|
[334] 27. April 1790.
Ein Regensturm mit Schnee und Schloßen
Zog düster über Land und Meer,
Daß traufengleich die Dächer gossen;
Die Küh' im Felde brüllten sehr.
Frau Käthe, die zwar niemals zanket,
Sprach hastig: Geh doch, lieber Mann,
Geh hin, eh' Bläßchen uns erkranket,
Und zieh' den alten Flausrock an.
Die beste Kuh ist unser Bläßchen;
Und höre, wie sie kläglich brüllt!
Sie hat uns schon manch liebes Fäßchen
Mit Milch und Butter angefüllt.
Entsetzlich tobt des Sturms Gesause![334]
Geh hin, mein lieber guter Mann,
Und hole Bläßchen mir zu Hause,
Und zieh' den alten Flausrock an. –
»Mein Flausrock dient' in Sturm und Regen,
So lang' er neu und wollig war.
Doch jetzo hält er schwerlich gegen;
Ich trag' ihn schon an dreißig Jahr.
Frau, laß uns nicht so nährig geizen.
Wer weiß, wie bald man sterben kann!
Bedenk, für Eine Tonne Weizen
Schafft sich ein neuer Flausrock an.« –
Für so viel Weizen trug zur Feier
Der Herzog Ulrich seinen Rock,
Und murrte doch, er sei zu teuer,
Und schalt den Schneider einen Bock.
Der fromme Herr war Fürst im Lande,
Und du bist ein gemeiner Mann.
Der Hochmut führt in Sünd und Schande!
Drum zieh' den alten Flausrock an. –
»Nicht prunken will ich, liebes Käthchen,
Nur warm durch Sturm und Regen gehn.
Schon zählen läßt sich jedes Drähtchen,
Ja Fäserchen und Fetzen wehn.
Sieh' Roberts, Wilms und Bartels Kleider;
Wann gehen die so lumpicht, wann?
Doch Werkeltag und Sonntag leider
Zieh' ich den alten Flausrock an!« –
Der Flausrock, däucht mir, ist noch billig;
Ich hab' ihn gestern erst geflickt.
Du weißt, wie sorgsam ich und willig
Dich stets gepfleget und geschmückt.
Du findest hier ein warmes Stübchen,
Und eine warme Suppe dann.[335]
So geh' denn hin, mein wackres Bübchen,
Und zieh' den alten Flausrock an. –
»Ein jedes Land hat seine Weise,
Und seine Hüls' ein jedes Korn.
Die Wirtschaft, Frau, kömmt aus dem Gleise,
Verliert der Mann erst Zaum und Sporn!
In Sturm und Regen übernachte
Das Bläßchen, wo es will und kann!
Denn nimmer, ob sie auch verschmachte,
Zieh' ich den alten Flausrock an!« –
Mein Herzensmann, seit dreißig Jahren
Hab' ich in Fried' und Einigkeit
Mit dir viel Freud' und Leid erfahren,
Und dich mit manchem Kind' erfreut.
Zum Segen zog ich alle sieben
Mit Wachen und Gebet heran.
Nun, Männchen, laß dich immer lieben,
Und zieh' den alten Flausrock an. –
Frau Käthe, die zwar niemals zanket,
Mag gern des Wortes sich erfreun;
Auch wird's mit Ruhe mir verdanket,
Laß' ich nur fünf gerade sein.
Stillschweigend stand ich auf vom Sitze,
Ein wohlgezogner Ehemann,
Verschob aufs eine Ohr die Mütze,
Und zog den alten Flausrock an.
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro