Zweite Szene

[233] Elisabeth erblickt Tannhäuser


WOLFRAM.

Dort ist sie; nahe dich ihr ungestört!


Er bleibt an die Mauerbrüstung gelehnt im Hintergrunde. – Tannhäuser stürzt ungestüm zu Elisabeths Füßen


TANNHÄUSER.

O, Fürstin!

ELISABETH in schüchterner Verwirrung.

Gott! Stehet auf! Laßt mich! Nicht darf ich Euch hier sehn!


Sie macht eine Bewegung sich zu entfernen


TANNHÄUSER.

Du darfst! O bleib, und laß zu deinen Füßen mich!


Elisabeth wendet sich ihm freundlich zu


ELISABETH.

So stehet auf!

Nicht sollet hier Ihr knien, denn diese Halle

ist Euer Königreich. O, stehet auf!

Nehmt meinen Dank, daß Ihr zurückgekehrt!

Wo weiltet Ihr so lange?

TANNHÄUSER sich langsam erhebend.

Fern von hier,

in weiten, weiten Landen; – dichtes Vergessen

hat zwischen heut und gestern sich gesenkt.

All mein Erinnern ist mir schnell geschwunden,

und nur des Einen muß ich mich entsinnen,

daß ich nie mehr gehofft, Euch zu begrüßen,

noch je zu Euch mein Auge zu erheben.

ELISABETH.

Was war es dann, das Euch zurückgeführt?

TANNHÄUSER.

Ein Wunder war's,

ein unbegreiflich hohes Wunder!

ELISABETH freudig aufwallend.

Ich preise dieses Wunder aus meines Herzens Tiefe!


Sich mäßigend, in Verwirrung


Verzeiht, wenn ich nicht weiß, was ich beginne!

Im Traum bin ich und tör'ger als ein Kind,[233]

machtlos der Macht der Wunder preisgegeben.

Fast kenn ich mich nicht mehr ... O helfet mir,

daß ich das Rätsel meines Herzens löse!

Der Sänger klugen Weisen

lauscht ich sonst wohl gern und viel;

ihr Singen und ihr Preisen

schien mir ein holdes Spiel.

Doch welch ein seltsam neues Leben

rief Euer Lied mir in die Brust!

Bald wollt es mich wie Schmerz durchbeben,

bald drang's in mich wie jähe Lust;

Gefühle, die ich nie empfunden,

Verlangen, das ich nie gekannt!

Was sonst mir lieblich, war verschwunden

vor Wonnen, die noch nie genannt! –

Und als Ihr nun von uns gegangen,

war Frieden mir und Lust dahin;

die Weisen, die die Sänger sangen,

erschienen matt mir, trüb ihr Sinn;

im Traume fühlt ich dumpfe Schmerzen,

mein Wachen ward trübsel'ger Wahn:

die Freude zog aus meinem Herzen –

Heinrich! Heinrich! Was tatet Ihr mir an?

TANNHÄUSER begeistert.

Den Gott der Liebe sollst du preisen!

Er hat die Saiten mir berührt,

er sprach zu dir aus meinen Weisen,

zu dir hat er mich hergeführt.

ELISABETH.

Gepriesen sei die Stunde,

gepriesen sei die Macht,

die mir so holde Kunde

von Eurer Näh gebracht!

Von Wonneglanz umgeben

lacht mir der Sonne Schein;

erwacht zu neuem Leben,

nenn ich die Freude mein!

TANNHÄUSER.

Gepriesen sei die Stunde,

gepriesen sei die Macht,

die mir so holde Kunde

aus deinem Mund gebracht!

Dem neu erkannten Leben

darf ich mich mutig weihn;

ich nenn in freud'gem Beben

sein schönstes Wunder mein![234]

WOLFRAM im Hintergrunde.

So flieht für dieses Leben

mir jeder Hoffnung Schein!


Tannhäuser trennt sich von Elisabeth; er geht auf Wolfram zu, umarmt ihn heftig und entfernt sich mit ihm durch die Treppe. – Elisabeth blickt Tannhäuser vom Balkon aus nach.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 233-235.
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