Dritte Szene

[246] Es ist gänzlich Nacht geworden. Tannhäuser tritt auf: er trägt zerrissene Pilgerkleidung, sein Antlitz ist bleich und entstellt; er geht matten Schrittes an seinen Stab gestützt
[246]

TANNHÄUSER mit matter Stimme.

Ich hörte Harfenschlag, wie klang er traurig!

Der kam wohl nicht von ihr!

WOLFRAM.

Wer bist du, Pilger,

der du so einsam wanderst?

TANNHÄUSER.

Wer ich bin? –

Kenn ich doch dich recht gut! Wolfram bist du,


Höhnisch


der wohlgeübte Sänger!

WOLFRAM heftig auffahrend.

Heinrich! Du?

Was bringt dich her in diese Nähe? Sprich!

Wagst du es, unentsündigt noch den Fuß

nach dieser Gegend herzulenken?

TANNHÄUSER.

Sei außer Sorg, mein guter Sänger!

Nicht such ich dich, noch deiner Sippschaft Einen. –


Mit unheimlicher Lüsternheit


Doch such ich wen, der mir den Weg wohl zeige, –

den Weg, den einst so wunderleicht ich fand –

WOLFRAM.

Und welchen Weg?

TANNHÄUSER.

Den Weg zum Venusberg!

WOLFRAM.

Entsetzlicher! Entweihe nicht mein Ohr!

Treibt es dich dahin?

TANNHÄUSER.

Kennst du wohl den Weg?

WOLFRAM.

Wahnsinn'ger! Grauen faßt mich, hör ich dich!

Wo warst du? Zogst du denn nicht nach Rom?

TANNHÄUSER wütend.

Schweig mir von Rom!

WOLFRAM.

Warst nicht beim heil'gen Feste?

TANNHÄUSER.

Schweig mir von ihm!

WOLFRAM.

So warst du nicht? Sag! – Ich

beschwöre dich!

TANNHÄUSER wie sich besinnend, mit schmerzlichem Ingrimm.

Wohl war auch ich in Rom ...

WOLFRAM.

So sprich! Erzähle mir! Unglücklicher!

Mich faßt ein tiefes Mitleid für dich an!


Tannhäuser betrachtet Wolfram lange mit gerührter Verwunderung


TANNHÄUSER.

Wie sagst du, Wolfram? Bist du denn nicht mein Feind?

WOLFRAM.

Nie war ich es, solang ich fromm dich wähnte.

Doch sag, du pilgertest nach Rom?

TANNHÄUSER.

Nun denn, hör an! Du, Wolfram, du ...sollst es erfahren.


[247] Er setzt sich erschöpft am Fuße des Bergvorsprunges nieder; Wolfram will sich an seiner Seite ebenfalls niederlassen


Zurück von mir! Die Stätte, wo ich raste,

ist verflucht!


Wolfram bleibt in geringer Entfernung vor Tannhäuser stehen


Hör an, Wolfram! Hör an!

Inbrunst im Herzen, wie kein Büßer noch

sie je gefühlt, sucht ich den Weg nach Rom.

Ein Engel hatte, ach! der Sünde Stolz

dem Übermütigen entwunden;

für ihn wollt ich in Demut büßen,

das Heil erflehn, das mir verneint –

um ihm die Träne zu versüßen,

die er mir Sünder einst geweint! –

Wie neben mir der schwerstbedrückte Pilger

die Straße wallt, erschien mir allzuleicht: –

betrat sein Fuß den weichen Grund der Wiesen,

der nackten Sohle sucht ich Dorn und Stein;

ließ Labung er am Quell den Mund genießen,

sog ich der Sonne heißes Glühen ein;

wenn fromm zum Himmel er Gebete schickte,

vergoß mein Blut ich zu des Höchsten Preis;

als im Hospiz der Müde sich erquickte,

die Glieder bettet ich in Schnee und Eis; –

verschloßnen Augs, ihr Wunder nicht zu schauen,

durchzog ich blind Italiens holde Auen. –

Ich tat's, denn in Zerknirschung wollt ich büßen,

um meines Engels Tränen zu versüßen!

Nach Rom gelangt ich so zur heil'gen Stelle,

lag betend auf des Heiligtumes Schwelle: –

der Tag brach an; da läuteten die Glocken, –

hernieder tönten himmlische Gesänge: –

da jauchzt es auf in brünstigem Frohlocken,

denn Gnad und Heil verhießen sie der Menge.

Da sah ich ihn, durch den sich Gott verkündigt, –

vor ihm all Volk im Staub sich niederließ.

Und Tausenden er Gnade gab, entsündigt

er Tausende sich froh erheben hieß –

Da naht auch ich, das Haupt gebeugt zur Erde,

klagt ich mich an mit jammernder Gebärde

der bösen Lust, die meine Sinn empfanden,

des Sehnens, das kein Büßen noch gekühlt;

und um Erlösung aus den heißen Banden[248]

rief ich ihn an, von wildem Schmerz durchwühlt ...

Und er, den so ich bat, hub an:

»Hast du so böse Lust geteilt,

dich an der Hölle Glut entflammt,

hast du im Venusberg geweilt,

so bist nun ewig du verdammt!

Wie dieser Stab in meiner Hand

nie mehr sich schmückt mit frischem Grün,

kann aus der Hölle heißem Brand

Erlösung nimmer dir erblühn!«

Dann sank ich in Vernichtung dumpf darnieder, –

die Sinne schwanden mir ... Als ich erwacht,

auf ödem Platze lagerte die Nacht, –

von fern her tönten frohe Gnadenlieder ...

Da ekelte mich der holde Sang!

Von der Verheißung lügnerischem Klang,

der eiseskalt mir durch die Seele schnitt,

trieb Grauen mich hinweg mit wildem Schritt!

Dahin zog's mich, wo ich der Wonn und Lust

so viel genoß, an ihre warme Brust!


In grauenhafter Begeisterung


Zu dir, Frau Venus, kehr ich wieder,

in deiner Zauber holde Nacht;

zu deinem Hof steig ich darnieder,

wo nun dein Reiz mir ewig lacht!

WOLFRAM.

Halt ein! Halt ein, Unsel'ger!

TANNHÄUSER.

Ach, laß mich nicht vergebens suchen!

Wie leicht fand ich doch einsten dich!

Du hörst, daß mir die Menschen fluchen, –

nun, süße Göttin, leite mich!


Finstere Nacht; leichte Nebel verhüllen allmählich die Szene


WOLFRAM in heftigem Grausen.

Wahnsinniger! Wen rufst du an?

TANNHÄUSER.

Ha! Fühlest du nicht milde Lüfte?

WOLFRAM.

Zu mir! Es ist um dich getan!

TANNHÄUSER.

Und atmest du nicht holde Düfte?


Die Nebel beginnen in rosiger Dämmerung zu erglühen


Hörst du nicht jubelnde Klänge?

WOLFRAM.

In wildem Schauer bebt die Brust!

TANNHÄUSER immer aufgeregter, je näher der Zauber kommt.[249]

Das ist der Nymphen tanzende Menge!

Herbei! Herbei! Herbei, herbei zu Wonn und Lust!


Wirre Bewegungen tanzender Gestalten werden erkennbar


WOLFRAM.

Weh! Böser Zauber tut sich auf!

Die Hölle naht mit wildem Lauf!

TANNHÄUSER.

Entzücken dringt durch meine Sinne,

gewahr ich diesen Dämmerschein!

Dies ist das Zauberreich der Minne,


außer sich


im Venusberg drangen wir ein!


In einer hellen rosigen Beleuchtung erscheint Venus, auf ihrem Lager ruhend


VENUS.

Willkommen, ungetreuer Mann!

Schlug dich die Welt mit Acht und Bann?

Und findest nirgend du Erbarmen,

suchst Liebe du in meinen Armen?

TANNHÄUSER.

Frau Venus, oh, Erbarmungsreiche!

Zu dir, zu dir zieht es mich hin!

WOLFRAM.

Zauber der Hölle weiche, weiche!

Berücke nicht des Reinen Sinn!

VENUS.

Nahst du dich wieder meiner Schwelle,

sei dir dein Übermut verziehn;

ewig fließe dir der Freuden Quelle,

und nimmer sollst du von mir fliehn!

TANNHÄUSER indem er sich mit wilder Entschlossenheit von Wolfram losreißt.

Mein Heil, mein Heil hab ich verloren,

nun sei der Hölle Lust erkoren!

WOLFRAM.

Allmächt'ger! Steh dem Frommen bei!


Er hält Tannhäuser von neuem


Heinrich! Ein Wort, es macht dich frei!

Dein Heil!

TANNHÄUSER zu Wolfram.

Laß ab! Laß ab von mir!

VENUS in keimender Angst.

O komm! O komm! Auf ewig sei nun mein!

WOLFRAM.

Noch soll das Heil dir Sünder werden!


Tannhäuser und Wolfram ringen heftig


TANNHÄUSER.

Nie, Wolfram! Nie! Ich muß dahin!

VENUS.

O komm! Komm, o komm! Zu mir! Zu mir!

WOLFRAM.

Ein Engel bat für dich auf Erden,

bald schwebt er segnend über dir:

Elisabeth!

TANNHÄUSER der sich soeben losgerissen, bleibt plötzlich wie an die Stelle geheftet.

Elisabeth!


[250] Die Nebel verfinstern sich allmählich: heller Fackelschein leuchtet dann durch sie auf


MÄNNERGESANG hinter der Szene.

Der Seele Heil, die nun entflohn

dem Leib der frommen Dulderin!

WOLFRAM in erhabener Rührung.

Dein Engel fleht für dich an Gottes Thron,

er wird erhört – Heinrich, du bist erlöst!

VENUS.

Weh! Mir verloren!


Sie verschwindet, und mit ihr die ganze zauberische Erscheinung. Das Tal, vom Morgenrot erleuchtet, wird wieder sichtbar. Von der Wartburg her geleitet ein Trauerzug einen offenen Sarg


MÄNNERGESANG.

Ihr ward der Engel sel'ger Lohn,

himmlischer Freuden Hochgewinn!

WOLFRAM Tannhäuser sanft umschlungen haltend.

Und hörst du den Gesang?

TANNHÄUSER ersterbend.

Ich höre!


Von hier an betritt der Trauerzug die Tiefe des Tales, die älteren Pilger voran; den offenen Sarg mit der Leiche Elisabeths tragen Edle, der Landgraf und die Sänger geleiten ihn zur Seite, Grafen und Edle folgen


MÄNNERGESANG.

Heilig die Reine, die nun vereint

göttlicher Schar vor dem Ewigen steht!

Selig der Sünder, dem sie geweint,

dem sie des Himmels Heil erfleht!


Auf Wolframs Bedeuten ist der Sarg in der Mitte der Bühne niedergesetzt worden. Wolfram geleitet

Tannhäuser zu der Leiche, an welcher dieser niedersinkt


TANNHÄUSER.

Heilige Elisabeth, bitte für mich!


Er stirbt


DIE JÜNGEREN PILGER während des Sonnenaufgangs die Bühne vom Vordergrund her betretend.

Heil! Heil! Der Gnade Wunder Heil!

Erlösung ward der Welt zuteil.

Es tat in nächtlich heil'ger Stund

der Herr sich durch ein Wunder kund:

Den dürren Stab in Priesters Hand

hat er geschmückt mit frischem Grün:

dem Sünder in der Hölle Brand

soll so Erlösung neu erblühn![251]

Ruft ihm es zu durch alle Land,

der durch dies Wunder Gnade fand!

Hoch über aller Welt ist Gott,

und sein Erbarmen ist kein Spott!

Halleluja! Halleluja!

Halleluja!

LANDGRAF, RITTER, SÄNGER UND DIE ÄLTEREN PILGER in höchster Ergriffenheit.

Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden

er geht nun ein in der Seligen Frieden!

Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 246-252.
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