[442] Beckmesser ist, dem Nachtwächter nachschleichend, die Gasse heraufgekommen, hat nach den Fenstern von Pogners Haus gespäht, und an Sachsens Haus angelehnt, stimmt er jetzt seine mitgebrachte Laute.
EVA Walther zurückhaltend.
Tu's nicht! – Doch horch! –
WALTHER.
Ein lauter Klang.
EVA.
Ach! meine Not!
Als Sachs den ersten Ton der Laute vernommen, hat er, von einem plötzlichen Einfall erfaßt, das Licht wieder etwas eingezogen und öffnet leise den unteren Teil des Ladens.
WALTHER.
Wie wird dir bang?
Der Schuster, sieh, zog ein das Licht:
so sei's gewagt!
EVA.
Weh! Siehst du denn nicht?
Ein Andrer kam, und nahm dort Stand.
WALTHER.
Ich hör's und seh's: ein Musikant.
Was will der hier so spät des Nachts?
EVA in Verzweiflung.
's ist Beckmesser schon!
SACHS hat unvermerkt seinen Werktisch ganz unter die Tür gestellt; jetzt erlauscht er Evas Ausruf.
Aha! – ich dacht's.
Er setzt sich leise zur Arbeit zurecht.
WALTHER.
Der Merker? Er? In meiner Gewalt?
Drauf zu! Den Lung'rer mach ich kalt.
EVA.
Um Gott! So hör! Willst du den Vater wecken?
Er singt ein Lied, dann zieht er ab. –
Laß dort uns im Gebüsch verstecken! –
Was mit den Männern ich Müh doch hab!
Sie zieht Walther hinter das Gebüsch auf die Bank unter der Linde. Beckmesser, eifrig nach dem Fenster lugend, klimpert voll Ungeduld heftig auf der Laute. Als er sich endlich auch zum Singen rüstet, schlägt Sachs sehr stark mit dem Hammer auf den Leisten, nachdem er soeben das Licht wieder hell auf die Straße hat fallen lassen.
[442]
SACHS.
Jerum! Jerum!
Hallahallohe!
O ho! Tralalei! Tralalei! O he!
BECKMESSER springt ärgerlich von dem Steinsitz auf und gewahrt Sachs bei der Arbeit.
Was soll das sein? –
Verdammtes Schrei'n!
SACHS.
Als Eva aus dem Paradies
von Gott dem Herrn verstoßen,
gar schuf ihr Schmerz der harte Kies
an ihrem Fuß, dem bloßen.
BECKMESSER.
Was fällt dem groben Schuster ein?
SACHS.
Das jammerte den Herrn;
ihr Füßchen hatt er gern,
und seinem Engel rief er zu:
»Da, mach der armen Sünd'rin Schuh';
und da der Adam, wie ich seh,
an Steinen dort sich stößt die Zeh,
daß recht fortan
er wandeln kann,
so miß dem auch Stiefeln an!«
WALTHER flüsternd zu Eva.
Was heißt das Lied? Wie nennt er dich?
EVA flüsternd zu Walther.
Ich hört es schon; 's geht nicht auf mich:
doch eine Bosheit steckt darin.
WALTHER.
Welch Zögernis! Die Zeit geht hin.
BECKMESSER tritt zu Sachs heran.
Wie? Meister? Auf? Noch so spät zur Nacht?
SACHS.
Herr Stadtschreiber! Was? Ihr wacht? –
Die Schuh machen Euch große Sorgen?
Ihr seht, ich bin dran: Ihr habt sie morgen.
Arbeitet.
BECKMESSER zornig.
Hol der Teufel die Schuh!
Hier will ich Ruh!
SACHS.
Jerum! Jerum!
Hallahallohe!
O ho! Tralalei! Tralalei! O he!
O Eva! Eva! Schlimmes Weib,
das hast du am Gewissen,
daß ob der Füß am Menschenleib
jetzt Engel schustern müssen!
Bliebst du im Paradies,
da gab es keinen Kies:[443]
um deiner jungen Missetat
hantier ich jetzt mit Ahl und Draht,
und ob Herrn Adams übler Schwäch'
versohl ich Schuh und streiche Pech!
Wär ich nicht fein
ein Engel rein,
der Teufel möchte Schuster sein! –
Je –
Sich unterbrechend.
WALTHER zu Eva.
Uns, oder dem Merker,
wem spielt er den Streich?
EVA zu Walther.
Ich fürcht, uns Dreien
gilt er gleich.
O weh, der Pein!
Mir ahnt nichts Gutes.
WALTHER.
Mein süßer Engel,
sei guten Mutes!
EVA.
Mich betrübt das Lied.
WALTHER.
Ich hör es kaum;
du bist bei mir:
Welch holder Traum!
Er zieht Eva zärtlich an sich.
BECKMESSER drohend auf Sachs zufahrend.
Gleich höret auf!
Spielt Ihr mir Streich'?
Bleibt Ihr tags
und nachts Euch gleich?
SACHS.
Wenn ich hier sing,
was kümmert's Euch?
Die Schuhe sollen
doch fertig werden?
BECKMESSER.
So schließt Euch ein,
und schweigt dazu still!
SACHS.
Des Nachts arbeiten
macht Beschwerden;
wenn ich da munter
bleiben will,
so brauch ich Luft
und frischen Gesang:
drum hört, wie der dritte
Vers gelang! –
Er wichst den Draht recht ersichtlich.
BECKMESSER.
Er macht mich rasend! – Das grobe Geschrei!
Am End denkt sie gar, daß ich das sei!
[444] Er hält sich die Ohren zu und geht, verzweiflungsvoll sich mit sich beratend, die Gasse
vor dem Fenster auf und ab.
SACHS.
Jerum! Jerum!
Hallahallohe!
O ho! Tralalei! Tralalei! O he!
O Eva! Hör mein Klageruf,
mein Not und schwer Verdrüssen!
Die Kunstwerk', die ein Schuster schuf,
sie tritt die Welt mit Füßen.
Gäb nicht ein Engel Trost,
der gleiches Werk erlost,
und rief mich oft ins Paradies,
wie ich da Schuh und Stiefel ließ!
Doch wenn mich der im Himmel hält,
dann liegt zu Füßen mir die Welt,
und bin in Ruh
Hans Sachs, ein Schuh-
macher und Poet dazu!
BECKMESSER.
Das Fenster geht auf!
Er späht nach dem Fenster, welches jetzt leise geöffnet wird und an welchem vorsichtig Magdalene in Evas Kleidung sich zeigt.
Herr Gott, 's ist sie. –
EVA mit großer Aufgeregtheit.
Mich schmerzt das Lied, ich weiß nicht wie!
O fort! Laß uns fliehen!
WALTHER auffahrend.
Nun denn: mit dem Schwert!
EVA.
Nicht doch! Ach, halt!
WALTHER die Hand vom Schwert nehmend.
Kaum wär er's wert.
EVA.
Ja, besser Geduld!
BECKMESSER.
Jetzt bin ich verloren, singt der noch fort!
Er tritt zu Sachs an den Laden heran und klimpert, während des Folgenden, mit dem Rücken der Gasse zugewendet, seitwärts auf der Laute, um Magdalene am Fenster festzuhalten.
Freund Sachs! So hört doch nur ein Wort!
EVA.
O, bester Mann!
Daß ich so Not dir machen kann!
WALTHER leise zu Eva.
Wer ist am Fenster?
EVA leise.
's ist Magdalene.
WALTHER.
Das heiß ich vergelten. Fast muß ich lachen.
EVA.
Wie ich ein End und Flucht mir ersehne!
WALTHER.
Ich wünscht, er möchte den Anfang machen.
[445] Walther und Eva, auf der Bank sanft aneinander gelehnt, verfolgen des weiteren den Vorgang zwischen Sachs und Beckmesser mit wachsender Teilnahme.
BECKMESSER.
Wie seid Ihr auf die Schuh versessen!
Ich hatt sie wahrlich schon vergessen.
Als Schuster seid Ihr mir wohl wert,
als Kunstfreund doch weit mehr verehrt.
Er klimpert wiederholt seitwärts, ängstlich nach dem Fenster gewandt.
Eu'r Urteil, glaubt, das halt ich wert;
drum bitt ich, hört das Liedlein doch,
mit dem ich morgen möcht gewinnen,
oh das auch recht nach Euren Sinnen.
SACHS.
O ha! Wollt mich beim Wahne fassen?
Mag mich nicht wieder schelten lassen.
Seit sich der Schuster dünkt Poet,
gar übel es um Eu'r Schuhwerk steht:
ich seh, wie's schlappt,
und überall klappt;
drum laß ich Vers und Reim
gar billig nun daheim,
Verstand und Witz, und Kenntnis dazu,
mach Euch für morgen die neuen Schuh.
BECKMESSER kreischend.
Laßt das doch sein! Das war ja nur Scherz:
Vernehmt besser, wie's mir ums Herz. –
Vom Volk seid Ihr geehrt,
auch der Pognerin seid Ihr wert:
will ich vor aller Welt
nun morgen um die werben,
sagt! – könnt's mich nicht verderben,
wenn mein Lied ihr nicht gefällt?
Drum hört mich ruhig an,
und sang ich, sagt mir dann,
was Euch gefällt, was nicht, –
daß ich mich darnach richt.
SACHS.
Ei! Laßt mich doch in Ruh,
wie käme solche Ehr mir zu?
Nur Gassenhauer dicht' ich zum meisten:
drum sing ich zur Gassen, und hau auf den Leisten! –
Jerum! Jerum!
Hallahallohe!
O ho! Tralalei! Tralalei! O he![446]
BECKMESSER.
Verfluchter Kerl! Den Verstand verlier ich,
mit seinem Lied voll Pech und Schmierich!
Schweigt doch! Weckt Ihr die Nachbarn auf?
SACHS.
Die sind's gewöhnt: 's hört keiner drauf.
»O Eva! Eva!«
BECKMESSER in höchste Wut ausbrechend.
Oh, Ihr boshafter Geselle!
Ihr spielt mir heut den letzten Streich:
Schweigt Ihr jetzt nicht auf der Stelle,
so denkt Ihr dran, das schwör ich Euch!
Er klimpert wütend.
Neidisch seid Ihr, nichts weiter:
dünkt Ihr Euch auch gleich gescheiter;
daß Andre auch was sind, ärgert Euch schändlich:
glaubt, ich kenne Euch aus- und inwendlich!
Daß man Euch noch nicht zum Merker gewählt,
das ist's, was den gallichten Schuster quält.
Nun gut! So lang als Beckmesser lebt,
und ihm noch ein Reim an den Lippen klebt;
so lang ich noch bei den Meistern was gelt –
ob Nürnberg blüh und wachs,
das schwör ich Herrn Hans Sachs,
nie wird er je zum Merker bestellt.
Er klimpert in höchster Wut.
SACHS der ihm ruhig und aufmerksam zugehört hat.
War das Eu'r Lied?
BECKMESSER.
Der Teufel hol's!
SACHS.
Zwar wenig Regel, doch klang's recht stolz.
BECKMESSER.
Wollt Ihr mich hören?
SACHS.
In Gottes Namen,
singt zu: ich schlag auf die Sohl die Rahmen.
BECKMESSER.
Doch schweigt Ihr still?
SACHS.
Ei, singet Ihr,
die Arbeit, schaut, fördert's auch mir.
BECKMESSER.
Das verfluchte Klopfen wollt Ihr doch lassen?
SACHS.
Wie sollt ich die Sohl Euch richtig fassen?
BECKMESSER.
Was? Ihr wollt klopfen, und ich soll singen?
SACHS.
Euch muß das Lied, mir der Schuh gelingen.
BECKMESSER.
Ich mag keine Schuh!
SACHS.
Das sagt Ihr jetzt:
in der Singschul Ihr mir's dann wieder versetzt.
Doch hört! Vielleicht sich's richten läßt;
zwei-einig geht der Mensch am best'.[447]
Darf ich die Arbeit nicht entfernen,
die Kunst des Merkers möcht ich erlernen;
darin kommt Euch nun Keiner gleich:
ich lern sie nie, wenn nicht von Euch.
Drum, singt Ihr nun, ich acht und merk,
und fördr' auch wohl dabei mein Werk.
BECKMESSER.
Merkt immer zu; und was nicht gewann,
nehmt Eure Kreide und streicht mir's an.
SACHS.
Nein, Herr! da fleckten die Schuh mir nicht:
mit dem Hammer auf den Leisten halt ich Gericht.
BECKMESSER.
Verdammte Bosheit! – Gott, und 's wird spät!
Am End mir die Jungfer vom Fenster geht!
Er klimpert eifrig.
SACHS aufschlagend.
Fanget an, 's pressiert: sonst sing ich für mich.
BECKMESSER.
Haltet ein! Nur das nicht! – (Teufel! Wie ärgerlich!) –
Wollt Ihr Euch denn als Merker erdreisten,
nun gut, so merkt mit dem Hammer auf den Leisten:
nur mit dem Beding, nach den Regeln scharf,
aber nichts, was nach den Regeln ich darf.
SACHS.
Nach den Regeln, wie sie der Schuster kennt,
dem die Arbeit unter den Händen brennt.
BECKMESSER.
Auf Meisterehr?
SACHS.
Und Schustermut!
BECKMESSER.
Nicht einen Fehler: glatt und gut.
Nachtwächterhorn sehr entfernt.
SACHS.
Dann ging't Ihr morgen unbeschuht!
Auf den Steinsitz vor der Ladentüre deutend.
Setzt Euch denn hier!
BECKMESSER zieht sich nach der Ecke des Hauses zurück.
Laßt mich hier stehen.
SACHS.
Warum so weit?
BECKMESSER.
Euch nicht zu sehen,
wie's Brauch der Schul vor dem Gemerk.
SACHS.
Da hör ich Euch schlecht.
BECKMESSER.
Der Stimme Stärk
ich so gar lieblich dämpfen kann.
Er stellt sich ganz um die Ecke dem Fenster gegenüber auf.
SACHS.
(Wie fein!) – Nun, gut denn! Fanget an!
Beckmesser stimmt die in der Wut unversehens heraufgeschraubte D-Saite wieder herunter.
[448]
WALTHER leise zu Eva.
Welch toller Spuk! Mich dünkt's ein Traum:
den Singstuhl, scheint's, verließ ich kaum.
EVA sanft an Walthers Brust gelehnt.
Die Schläf umwebt mir's wie ein Wahn:
ob's Heil, ob Unheil, was ich ahn?
BECKMESSER.
»Den Tag seh' ich erscheinen,
Sachs holt mit dem Hammer aus.
der mir wohl gefall'n tut;
Sachs schlägt auf. Beckmesser schüttelt sich.
da faßt mein Herz sich einen ...
Sachs schlägt auf. Beckmesser setzt heftig ab, singt aber weiter.
guten und frischen« –
Sachs hat aufgeschlagen. Beckmesser wendet sich wütend um die Ecke herum.
Treibt Ihr hier Scherz?
Was wär nicht gelungen?
SACHS.
Besser gesungen:
»Da faßt mein Herz
sich einen guten, frischen« –?
BECKMESSER.
Wie soll sich das reimen
auf »seh ich erscheinen«?
SACHS.
Ist Euch an der Weise nichts gelegen?
Mich dünkt, sollt passen Ton und Wort?
BECKMESSER.
Mit Euch zu streiten? – Laßt von den Schlägen,
sonst denkt Ihr mir dran!
SACHS.
Jetzt fahret fort!
BECKMESSER.
Bin ich verwirrt! –
SACHS.
So fangt noch mal an:
drei Schläg ich jetzt pausieren kann.
BECKMESSER beiseite.
Am besten, wenn ich ihn gar nicht beacht: –
wenn's nur die Jungfer nicht irre macht!
»Den Tag seh ich erscheinen,
der mir wohl gefall'n tut;
da faßt mein Herz sich einen
guten und frischen Mut:
da denk ich nicht an Sterben,
Sachs schlägt.
lieber an Werben
um jung Mägdeleins Hand.
Sachs schlägt.
[449]
Warum wohl aller Tage
schönster mag dieser sein?
Zwei Schläge. Ärgerlich.
Allen hier ich es sage:
weil ein schönes Fräulein
Zwei Schläge.
von ihrem lieb'n Herrn Vater,
Sachs nickt ironisch beifällig.
wie gelobt hat er,
Viele kleine Schläge.
ist bestimmt zum Eh'stand.
Fünf Schläge. Sehr ärgerlich.
Wer sich getrau,
Schlag.
der komm und schau.
Schlag.
Da steht die hold lieblich Jungfrau,
Schlag.
auf die ich all mein Hoffnung bau,
Schlag.
darum ist der Tag so schön blau,
Viele Schläge.
als ich anfänglich fand.«
Springt wütend auf.
Sachs! Seht, Ihr bringt mich um!
Wollt Ihr jetzt schweigen?
SACHS.
Ich bin ja stumm!
Die Zeichen merkt ich; wir sprechen dann:
derweil lassen die Sohlen sich an.
BECKMESSER gewahrt, daß Magdalene sich vom Fenster entfernen will.
Sie entweicht? Bst! Bst! – Herr Gott, ich muß!
Um die Ecke herum die Faust gegen Sachs ballend.
Sachs, Euch gedenk ich die Ärgernuß!
Er macht sich zum 2. Vers fertig.
SACHS mit dem Hammer nach dem Leisten ausholend.
Merker am Ort:
fahret fort!
BECKMESSER immer stärker und atemloser.
»Will heut mir das Herz hüpfen,
Schläge wie vorher.
werben um Fräulein jung,
doch tät der Vater knüpfen
daran ein Bedingung[450]
für den, wer ihn beerben
will, und auch werben
um sein Kindelein fein.
Der Zunft ein biedrer Meister,
wohl sein Tochter er liebt,
doch zugleich auch beweist er,
was er auf die Kunst gibt:
zum Preise muß es bringen
im Meistersingen,
wer sein Eidam will sein.
Er stampft wütend mit den Füßen.
Nun gilt es Kunst,
daß mit Vergunst,
ohn all schädlich gemeinen Dunst
ihm glücke des Preises Gewunst,
wer begehrt mit wahrer Inbrunst,
Sachs, welcher kopfschüttelnd es aufgibt, die einzelnen Fehler anzumerken, arbeitet hämmernd fort, um den Keil aus dem Leisten zu schlagen.
um die Jungfrau zu frei'n.« –
SACHS über den Laden weit herausgelehnt.
Seid Ihr nun fertig?
BECKMESSER in höchster Angst.
Wie fraget Ihr?
SACHS hält die fertigen Schuhe triumphierend heraus.
Mit den Schuhen ward ich fertig schier. –
Während er die Schuhe an den Bändern hoch in der Luft tanzen läßt.
Das heiß ich mir echte Merkerschuh: –
mein Merkersprüchlein hört dazu! –
Sehr kräftig.
Mit lang und kurzen Hieben
steht's auf der Sohl geschrieben:
da lest es klar
und nehmt es wahr,
und merkt's Euch immerdar.
Gut Lied will Takt:
wer den verzwackt,
dem Schreiber mit der Feder
haut ihn der Schuster aufs Leder. –
Nun lauft in Ruh:
habt gute Schuh,
der Fuß Euch drin nicht knackt,
ihn hält die Sohl im Takt![451]
BECKMESSER der sich ganz in die Gasse zurückgezogen hat und an die Mauer mit dem Rücken sich anlehnt, singt, um Sachs zu übertäuben, mit größter Anstrengung, schreiend und atemlos hastig, während er die Laute wütend nach Sachs schwingt.
»Darf ich mich Meister nennen,
das bewähr ich heut gern,
weil ich nach dem Preis brennen
muß, dursten und hungern.
Nun ruf ich die neun Musen,
daß an sie blusen
mein dicht'rischen Verstand.
Wohl kenn ich alle Regeln,
halte gut Maß und Zahl;
doch Sprung und Überkegeln
wohl passiert je einmal,
wann der Kopf ganz voll Zagen
zu frei'n will wagen
um jung Mägdeleins Hand.
Er verschnauft sich.
Ein Junggesell,
trug ich mein Fell,
mein Ehr, Amt, Würd und Brot zur Stell,
daß Euch mein Gesang wohl gefällt,
und mich das Jungfräulein erwähl,
wenn sie mein Lied gut fand.« –
DAVID hat den Fensterladen, dicht hinter Beckmesser, ein wenig geöffnet und lugt daraus hervor.
Wer Teufel, hier? –
Er wird Magdalene gewahr.
Und drüben gar?
Die Lene ist's –, ich seh es klar!
Herrje, der war's, den hat sie bestellt.
Der ist's, der ihr besser als ich gefällt!
Nun warte, du kriegst's! Dir streich ich das Fell!
Er entfernt sich nach innen.
NACHBARN erst einige, dann immer mehre, öffnen in der Gasse die Fenster und gucken heraus.
Was heult denn da? Wer kreischt mit Macht?
Ist das erlaubt so spät zur Nacht?
Gebt Ruhe hier! 's ist Schlafenszeit.
Mein', hört nur, wie dort der Esel schreit!
Ihr da! Seid still und schert Euch fort!
Heult, kreischt und schreit an andrem Ort!
[452] Sie verlassen die Fenster und kommen nach und nach in Nachtkleidern einzeln auf die Straße heraus.
Sachs beobachtet noch eine Zeitlang den wachsenden Tumult, löscht aber alsbald sein Licht aus und schließt den Laden so weit, daß er, ungesehen, stets durch eine kleine Öffnung den Platz unter der Linde beobachten kann. – Walther und Eva sehen mit wachsender Sorge dem anschwellenden Auflaufe zu; er schließt sie in seinen Mantel fest an sich und birgt sich hart an der Linde im Gebüsch, so daß beide fast ungesehen bleiben.
DAVID ist, mit einem Knüppel bewaffnet, zurückgekommen, steigt aus dem Fenster und wirft sich auf Beckmesser.
Zum Teufel mit dir, verdammter Kerl!
Magdalene winkt, da sie David wiederkommen sieht, diesem heftig zurück, was Beckmesser, als Zeichen des Mißfallens deutend, zur äußersten Verzweiflung im Gesangsausdrucke bringt.
MAGDALENE am Fenster, schreiend.
Ach, Himmel! David! Gott, welche Not!
Zu Hilfe! Zu Hilfe! Sie schlagen sich tot!
BECKMESSER wehrt sich, will fliehen; David hält ihn am Kragen.
Verfluchter Bursch! Läßt du mich los?
DAVID.
Gewiß! Die Glieder brech ich dir bloß!
Beckmesser und David balgen sich fortwährend; bald verschwinden sie gänzlich, bald kommen sie wieder in den Vordergrund, immer Beckmesser auf der Flucht. David ihn einholend, festhaltend und prügelnd.
NACHBARN an den Fenstern.
Seht nach! Springt zu! Da würgen sich zwei!
Sie kommen herab.
's gibt Schlägerei!
ANDERE NACHBARN in die Gasse laut schreiend.
Heda! Herbei! 's gibt Schlägerei:
da würgen sich zwei.
Ihr da, laßt los! Gebt freien Lauf!
Laßt ihr nicht los, wir schlagen drauf.
EIN NACHBAR.
Ei, seht, auch Ihr hier? Geht's Euch was an?
EIN ZWEITER.
Was sucht Ihr hier? Hat man Euch was getan?
ERSTER NACHBAR.
Euch kennt man gut.
ZWEITER NACHBAR.
Euch noch viel besser.
ERSTER NACHBAR.
Wieso denn?
ZWEITER NACHBAR zuschlagend.
Ei, so!
MAGDALENE hinabschreiend.
David! Beckmesser![453]
LEHRBUBEN einzeln, dann mehr, kommen von allen Seiten dazu.
Herbei! Herbei! 's gibt Keilerei!
EINIGE.
's sind die Schuster!
ANDERE.
Nein, 's sind die Schneider!
DIE ERSTEREN.
Die Trunkenbolde!
DIE ANDEREN.
Die Hungerleider!
DIE NACHBARN auf der Gasse durcheinander.
Euch gönnt ich's schon lange!
Wird euch wohl bange?
Das für die Klage!
Seht euch vor, wenn ich schlage!
Hat euch die Frau gehetzt?
Schau, wie es Prügel setzt!
Seid ihr noch nicht gewitzt?
Nun, schlagt doch! – Das sitzt!
Daß dich Halunken
gleich ein Donnerwetter träf!
Wartet, ihr Racker!
Maßabzwacker! –
Esel! – Dummrian! –
Du Grobian! –
Lümmel du! –
Drauf und zu!
LEHRBUBEN kommen von allen Seiten dazu.
Kennt man die Schlosser nicht?
Die haben's sicher angericht't!
Ich glaub, die Schmiede werden's sein!
Die Schreiner seh ich dort beim Schein! –
Hei! Schaut die Schäffler dort beim Tanz! –
Dort seh die Bader ich im Glanz;
herbei zum Tanz!
Krämer finden sich zur Hand
mit Gerstenstang und Zuckerkand,
mit Pfeffer, Zimt, Muskatennuß,
sie riechen schön,
doch machen viel Verdruß;
sie riechen schön,
und bleiben gern vom Schuß.
Seht nur, der Has
hat überall die Nas!
Meinst du damit etwa mich?
Mein ich damit etwa dich?
Immer mehr heran![454]
Lustig, wacker! Jetzt geht's erst recht an!
Hei, nun geht's Plauz hast du nicht gesehn!
Hast's auf die Schnauz! –
Ha! nun geht's: Krach! Hagelwetterschlag!
Wo es sitzt, da wächst nichts so bald nach!
Keilt euch wacker! Keiner weiche!
Haltet selbst Gesellen mutig stand!
Wer wich, 's wär' wahrlich eine Schand!
Wacker drauf und dran!
Wir stehen Alle wie ein Mann!
Wie ein Mann
stehn wir Alle fest zur Keilerei!
Bereits prügeln sich Nachbarn und Lehrbuben fast allgemein durcheinander.
GESELLEN mit Knitteln bewaffnet, kommen von verschiedenen Seiten dazu.
Heda! Gesellen 'ran!
Dort wird mit Streit und Zank getan;
da gibt's gewiß noch Schlägerei;
Gesellen, haltet euch dabei!
's sind die Weber! 's sind die Gerber!
Die Preisverderber!
Dacht ich mir's doch gleich:
spielen immer Streich! –
Dort den Metzger Klaus
kenn ich heraus!
's brennt manchem im Haus!
's ist morgen der Fünfte!
Zünfte heraus! –
Hei, hier setzt's Prügel!
Schneider mit dem Bügel!
Gürtler! – Spengler! – Zinngießer! –
Leimsieder! – Lichtgießer! –
Tuchscherer! Leinweber!
Immer 'ran! Immer drauf!
Schert euch selber fort und macht euch heim!
Immer drauf und dran!
Jetzt gilt's: keiner weiche hier!
Zünfte! Zünfte! Heraus! –
DIE MEISTER und älteren Bürger kommen von verschiedenen Seiten dazu.
Was gibt's denn da für Zank und Streit?
Das tost ja weit und breit!
Gebt Ruh und schert euch jeder gleich nach Hause heim,
sonst schlag ein Hageldonnerwetter drein![455]
Stemmt euch hier nicht mehr zu Hauf,
oder sonst wir schlagen drein!
DIE NACHBARINNEN haben die Fenster geöffnet und gucken heraus.
Was ist das für Zanken und Streit?
Da gibt's gewiß noch Schlägerei?
Wär nur der Vater nicht dabei!
's wird einem wahrlich angst und bang!
Heda! Ihr dort unten,
so seid doch nur gescheit!
Seid ihr denn Alle gleich
zu Streit und Zank bereit?
Seid ihr Alle blind und toll?
Sind euch vom Wein denn noch die Köpfe voll?
Mein! Dort schlägt sich mein Mann!
Hilfe Der Vater! Der Vater! Ach, sie haun ihn tot!
Hört keines mehr sein Wort! Gott, welche Not!
Seht dort den Christian; er walkt den Peter ab!
Auf, schreit zu Hilfe: Mord und Zeter! –
Gott, wie sie walken!
Die Köpf und Zöpfe wackeln hin und her!
Schafft Wasser, Wasser her! Wasser her!
das gießt ihn' auf die Köpf herab!
Die Rauferei ist allgemein geworden, Schreien und Toben.
MAGDALENE am Fenster, schreiend.
Ach Himmel! David! Gott, welche Not!
Zu Hilfe! Zu Hilfe! Sie schlagen sich tot!
Mit größter Anstrengung.
Hör doch nur, David!
So laß doch nur den Herrn dort los,
er hat mir nichts getan!
Hinabspähend.
So hör mich doch nur an!
Herrgott, er hält ihn noch!
Mein'! David, ist er toll?
Mit höchster Anstrengung.
Ach, David, hör:
's ist Herr Beckmesser!
POGNER ist im Nachtgewand oben an das Fenster getreten.
Um Gott! Eva! Schließ zu!
Ich seh, ob unt' im Hause Ruh!
Er zieht Magdalenen, welche jammernd die Hände nach der Gasse hinab gerungen, herein und schließt
das Fenster.
WALTHER der bisher mit Eva sich hinter dem Gebüsch verborgen, faßt jetzt Eva dicht in den linken Arm und zieht mit der rechten Hand das Schwert.[456]
Jetzt gilt's zu wagen,
sich durchzuschlagen!
Er dringt mit geschwungenem Schwerte bis in die Mitte der Bühne vor, um sich mit Eva durch die Gasse durchzuhauen. – Da springt Sachs mit einem kräftigen Satze aus dem Laden, bahnt sich mit geschwungenem Knieriemen den Weg bis zu Walther und packt diesen beim Arm.
POGNER auf der Treppe.
He! Lene! Wo bist du?
SACHS die halb ohnmächtige Eva die Treppe hinaufstoßend.
Ins Haus, Jungfer Lene!
Pogner empfängt Eva und zieht sie am Arme in das Haus. Sachs, mit dem Knieriemen David eines überhauend und mit einem Fußtritt ihn voran in den Laden stoßend, zieht Walther, den er mit der andren Hand fest gefaßt hält, gewaltsam schnell ebenfalls mit sich hinein und schließt sogleich fest hinter sich zu. – Beckmesser, durch Sachs von David befreit,
sucht sich, jämmerlich zerschlagen, eilig durch die Menge zu flüchten. – Im gleichen Augenblick, wo Sachs auf die Straße sprang, hörte man, rechts zur Seite im Vordergrunde, einen besonders starken Hornruf des Nachtwächters. Gleichzeitig haben die Frauen aus allen Fenstern starke Güsse von Wasser aus Kannen, Krügen und Becken auf die Streitenden hinabstürzen lassen: dieses, mit dem besonders starken Tönen des Hornes zugleich, wirkt auf Alle mit einem panischen Schrecken: Nachbarn, Lehrbuben, Gesellen und Meister suchen in eiliger Flucht nach allen Seiten hin das Weite, so daß die Bühne sehr bald gänzlich leer wird; die Haustüren werden hastig geschlossen; auch die Nachbarinnen verschwinden von den Fenstern, welche sie zuschlagen. – Als die Straße und Gasse leer geworden und alle Häuser geschlossen sind, betritt.
DER NACHTWÄCHTER im Vordergrunde rechts die Bühne, reibt sich die Augen, sieht sich verwundert um, schüttelt den Kopf, und stimmt, mit leise bebender Stimme, den Ruf an.
Hört, ihr Leut, und laßt euch sagen,
die Glock' hat eilfe geschlagen:
bewahrt euch vor Gespenstern und Spuk,
daß kein böser Geist eu'r Seel beruck!
Lobet Gott, den Herrn!
Hornruf.
Der Vollmond tritt hervor und scheint hell in die Gasse hinein; der Nachtwächter schreitet langsam dieselbe hinab. Als[457] der Nachtwächter um die Ecke biegt, fällt der Vorhang schnell, genau mit dem letzten Takte.
Buchempfehlung
Die Ausgabe enthält drei frühe Märchen, die die Autorin 1808 zur Veröffentlichung in Achim von Arnims »Trösteinsamkeit« schrieb. Aus der Publikation wurde gut 100 Jahre lang nichts, aber aus Elisabeth Brentano wurde 1811 Bettina von Arnim. »Der Königssohn« »Hans ohne Bart« »Die blinde Königstochter« Das vierte Märchen schrieb von Arnim 1844-1848, Jahre nach dem Tode ihres Mannes 1831, gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter Gisela. »Das Leben der Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns«
116 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro