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Der ehrbare Don Giuseppe, Notar auf der Insel Capri, sagte zu seinem Vetter und Gaste, einem Rechtsgelehrten aus Neapel, mit Namen Don Giovanni: »Ei, wo steckt er denn diesen Morgen? Die Tafel ist gedeckt, und man könnte auftragen. Aber es sind doch wunderliche Leute, diese Fremden. Ich, der ich so viele Gelegenheit habe, sie zu beobachten, und die verschiedensten Nationen kennen zu lernen, vermag mich oft nicht mehr zu halten und lache. Die Sonderbarsten und Widerwärtigsten aber sind ohne Umstände die Engländer, die sich in nichts schicken wollen, Bequemlichkeiten und Dinge des Luxus hier auf der Insel verlangen, wie in der Stadt, einem keinen guten Tag wünschen, das Italienische schlechter sprechen, als selbst die Deutschen, alles bekritteln und tadeln, und wenn sie abziehn, meist noch einen übeln Ruf als Geizhälse zurücklassen. Allein, Herr Gevatter«, setzte er hinzu, indem er auf den Balkon trat, und über die weißgetünchten Säulen der Hausflur und die Orangen-, Wein- und Feigengärten gegen das Meer hinschaute, »allein unser Deutscher ist doch auch ein höchst abenteuerliches Subjekt.«
»Nun ja«, erwiderte der Advokat, »das sind alle Poeten, mehr oder minder, und er dünkt mir oft noch recht vernünftig zu sein! In der Tat, ich will ihm von Herzen wohl, wie einem Sohn, der wohl dem Vater selbst über den Kopf hinaussieht, und habe mich diese Herbstwochen durch recht gerne in seiner Gesellschaft befunden. Was kann so ein Mensch nur erzählen! Wir andere leben in unserer Stadt, und kommen kaum in die Favorita oder durch die Grotte, Jahr aus Jahr ein derselbe Schlendrian, und am Ende, wenn wir's genauer betrachten, geht unser ganzes Sinnen und Trachten nur darauf hinaus, das gewöhnliche Bedürfnis bequem befriedigen zu können. So ein wunderbarer Mensch verläßt aber Vaterland, Eltern und Geschwister, mischt sich unter fremde Sprache, Volk und Sitte, lernt die Welt im Großen kennen, und das müssen wir unserm Deutschen zum Lobe nachsagen, daß er mit uns zu leben versteht, als ob er in Neapel geboren wäre. Nur seit einigen Tagen ist er anders geworden. Statt daß er wie sonst mit[675] uns auf die Jagd oder auf den Fischfang zog, Nachmittags mit mir zum Tiber hinauf spazierte, und Abends uns bis in die späte Nacht mit Erzählungen aus fernen kalten Ländern, mit gelehrten Gesprächen oder mit Scherzen und gutem Humor unterhielt, läuft er nun Morgens allein zu den Felsen der Kleinen Marine hinunter, wo ihm keine Seele begegnet, spricht bei Tisch wenig oder ist so zerstreut, daß er in Gedanken auch nach meiner Bouteille greift, und sie ohne das mindeste Bedenken leert, sitzt des Abends am Schreibtisch, oder auf dem Dache, wenn er nicht gar noch um Mitternacht auf den Felswegen der Tracara schwärmt. Gewiß, daß er irgend ein Gedicht ausarbeitet, und er sagte ja, daß er eben deswegen nach Capri gekommen.«
»Ich befürchte«, versetzte Don Giuseppe, »daß er zu viel an Rom denkt. Ich glaube fast, daß er nicht lange mehr bleiben wird, und es mag wohl sein, daß ihn irgend ein zartes Verhältnis dahin zurückzieht!«
»Wer wollte auch die Herzensangelegenheiten eines Dichters durchblicken können«, rief Don Giovanni aus, und wollte eben fortfahren, als man den Erwarteten durch die Mauerwege von den Hundert Kammern des Tiberius herschlendern sah.
Sofort verschwor man sich gegen ihn, und nahm sich vor, ihm bei Tische so hart als möglich zuzusetzen, und ihn zu einem Geständnis zu bringen. So wurde denn der Deutsche – von den guten Capritanern Don Guglielmo genannt – auf's freundlichste empfangen, und in einem heitern Zimmerchen, wo man die Aussicht über Gärten, Felsen und das südliche Meer genoß, setzte man sich ohne weitern Verzug zu Tisch.
Jetzt wurde der Deutsche nicht wenig mit seinen melancholischen Spaziergängen, seinem zerstreuten Benehmen, seinem veränderten Wesen geneckt, bis er anfing zu lächeln, und sagte: »Ich sehe schon, Ihr habt's gegen mich abgeredet, und da ich durch mein Stillschweigen Eure Neugierde nur reizen würde, durch ein offenherziges Bekenntnis aber sicher bin, das Interesse von mir abzulenken, so wißt denn –«
»Nun?« riefen die neugierigen Italiener zumal.
»So wißt denn, daß ich erschrecklich in Gedanken bin!«
»Und nun, weiter, weiter!«
»Nun wißt Ihr alles!«
Der Notar lachte, und der Advokat versetzte: »Wohlan denn,[676] Don Guglielmo, wenn Sie uns necken, wenn Sie uns zum Besten haben wollen, so soll es nicht ohne Rache von unserer Seite ablaufen, und ich schwöre Ihnen, daß ich Sie auf jedem Spaziergange bei Tag und bei Nacht begleiten, daß ich Ihnen auf dem Dach Gesellschaft leisten, an Ihrem Schreibtisch meine Klienten anhören werde!«
»Das wäre allerdings eine empfindliche Rache«, antwortete der Deutsche, »und ich will denn in Gottes Namen Beichte tun. Wißt denn –«
»Ich wette«, fiel Don Giovanni ein, »daß der Schalk abermals etwas Drolliges vorbringt –«
»Unterbrechen Sie mich nicht! Wißt denn, daß ich satt, mit Erdenbewohnern zu verkehren, meinen Sinn zum Reiche der Geister gewandt, daß mir langes und tiefes Nachdenken den Schlüssel zu dem Zaubertore gegeben, aus dem die luftigen Schatten emporsteigen, und wodurch ich in die geheimnisvolle Welt gelangt bin, wo selbst die Unmöglichkeit zur Möglichkeit wird, wo die Elemente ihre wechselseitigen Verhältnisse verändern und vertauschen, wo alle Kräfte der Natur sich von ihrer ursprünglichen Bestimmung lossagen, und in ungebundener Freiheit, wie bei nächtlichem Carnevalsspiel, durcheinander wirken, wo neue unkörperliche und doch sichtbare Wesen entstehen, und selbst die körperlichen Luft und Wasser, Feuer und Erde durchdringen!«
»Hab' ich's doch gesagt!« rief Don Giovanni, indem er sich scherzhaft drohend erhob. »So etwas mußte kommen, und so sei Ihnen denn die grimmigste Rache zugeschworen, erstlich sollen Sie keinen Tropfen mehr von meinem Siracuser kosten –«
»O lieber Don Giovanni«, fiel der Dichter ein, »Sie fangen mit dem Äußersten an! Haben Sie Geduld! Glauben Sie, daß ich nicht scherze, daß alles buchstäblich wahr ist, was ich Ihnen gesagt, und daß ich im Stand bin, es Ihnen unwidersprechlich zu beweisen. Ob Sie mich gleich in diesem Augenblick leibhaftig und lebendig vor sich sehen, so leb' ich doch nicht unter Ihnen, vielmehr in der Welt eines höchst phantastischen Märchens, das mich der Wirklichkeit beinahe entrückt, und ich halte für möglich, daß ich in diesem Moment, während Sie mich anstarren, und vielleicht für verrückt halten, urplötzlich unsichtbar werde, und Sie sich vor Erstaunen in leblose Statuen verwandeln.«
Die beiden Italiener brachen in lautes Gelächter aus. Indem[677] erschien auch der alte Kanonikus, der Bruder des Notars, welcher dem Deutschen besonders zugetan war, ein junger Geistlicher, und mehrere andere Insulaner, welche sich gewöhnlich um den geachteten Rechtsgelehrten und den abenteuerlichen Fremden versammelten. Sofort wurde diesen gleich das Delirium des Letztern eröffnet, und die Gesellschaft geriet in eine allgemeine lustige Bewegung, als der Deutsche aufstand und sagte:
»Meine Herren! Weil Sie sich denn doch nicht so schnell überzeugen lassen wollen, und ich fürchte, daß die schrecklichen Drohungen Don Giovanni's in Erfüllung gehen möchten, sodann auch um meinen guten Ruf als Mann von gesundem Verstande zu retten, welchen Sie mir zu bezweifeln boshaft genug sind, so lad' ich Sie insgesamt auf Morgen zu einer Partie nach S. Maria ein, wo ich mich rechtfertigen, wo ich mit Einem Wort, mein Märchen erzählen werde.«
Die Einladung wurde mit einstimmigem Beifall aufgenommen! »Nun denn«, rief der Neapolitaner, »weil unser Dichter endlich zu uns herabsteigen, und uns eine Probe von seinem Talent geben will, so laßt auch uns nicht zurückbleiben, und versprechen wir ihm ein so vollkommenes Mahl, als es Capri und unser Vetter nur aufbringen kann, und zwar eben in S. Maria, im Freien, unter den Ruinen des Tiberischen Palastes!«
»Gut gesprochen, Don Giovanni«, rief die heitre Gesellschaft, und der Notar macht sich alsbald verbindlich, alles aufzutreiben, was Land und Meer, Jagd und Fischfang, Neptun und Bacchus reichen könne.
So wurde also die Partie auf Morgen verabredet. Der geschäftige Wirt hatte nun im Vollauf zu tun, er sandte nach seinem Fischer, das heitere Wetter hatte den Fang begünstigt, und man hatte die Auswahl zwischen Triglien, Dinten- und Schwertfischen, Seespinnen, und großen Seekrebsen, Cefalo und Merluzzo und trefflichen Muränen. Dazu kam noch die Beute der Jagd, die berühmten capritanischen Wachteln; einige Hühner wurden geschlachtet, und Don Giovanni wollte den Siracuser nicht sparen.
Der Tag erschien, und man versammelte sich, als die Sonne nicht mehr zu heiß brannte, im Hause des Notars. Das Mahl wurde einigen Männern aufgeladen, denn Esel gibt es auf dieser Insel kaum ein Halbdutzend, weil man sie nur an wenigen Stellen gebrauchen kann, indem die engen Wege fast allenthalben nur[678] Felstreppen sind. Langsam bewegte sich die Karawane vorwärts, denn es will gute Beine und frischen Atem, um Capri zu durchstreifen; unter der Gesellschaft aber waren einige wohlbeleibte alte Herren, welche nach jeder steilen Passage anhielten, sich den Schweiß von der Stirne trockneten, und ihr Gespräch stehend fortsetzten. So zog man durch die Mauerwege zwischen den Felsen fort, denen Aloë und indianische Feige in Menge entwächst, und wo man zuweilen in den Weinbergen ein einsames Haus von jener seltsamen morgenländischen Bauart bemerkt, welche diese Insel auszeichnet, wir meinen die gewölbten steinernen Dächer. Der Rückblick zeigte die Stadt aufs anmutigste und pittoreskeste hingelagert, und man bemerkte deutlich die schöne Palme beim Hause unsers Don Giuseppe. Drüber hin starrten die jähen Felsen des Monte Solaro, als Eine gigantische Masse, und man unterschied selbst die Felstreppe, welche mit mehr als sechshundert Stufen in das luftige Anacapri hinaufführt. Am liebsten aber ruhte das Auge auf dem reizenden Golf, dessen azurner Spiegel vom Vesuv und der duftigen Stadt an bis zum Kap Misen und den Inseln Procida und Ischia vor den Wanderern entfaltet lag.
Endlich erreichte man den Eremiten, und die großen Gewölbe, Überbleibsel des Tyrannen, der hier in seinen Greueln vor achtzehn Jahrhunderten die ganze Menschheit entehrte. Nun stritt man sich um den Platz, wo man sich niederlassen sollte: einige stimmten für die artigen Mosaikböden, auf denen einst der Herr der Erde wandelte, aber die Meisten doch für den freien Platz vor der Kapelle, wo man am Höchsten steht, und die Insel, nebst dem hohen Meer, und die beiden Golfe von Neapel und Salerno bis nach Kalabrien hin vor dem Auge liegen.
Hier lagerte man sich denn auch, und zwar auf die Erde. Zuerst freilich gedachte man der köstlichen Leckerbissen, und die geistlichen Herren vermeinten, daß man nach einem solchen anstrengenden Marsche ein gutes Mahl eigentlich verdiene.
Wohl eine Stunde mochte so verflossen sein, als man sich gesättigt fühlte, und nun, weil das Bedürfnis des Körpers nicht mehr drängte, auch dem geistigen Gehör verleihen konnte.
So hub denn der Dichter an: »Lieben Freunde! Ich glaube, daß wohl keiner unter uns mehr Appetit fühlt. Der Zweck, der uns hier zusammenführt, ist, wenn ich nicht irre, zwar ein weit erhabnerer, edlerer und göttlicherer; aber Ihr habt doch Recht getan,[679] zuvor für den Leib zu sorgen. Diese Pflichterfüllung muß billig die Erste sein, denn das Körperliche und Geistige verhält sich zusammen, wie der Stamm zu Blüte und Frucht, wie das Holz zum Feuer, wie der Marmor zum Ideal des Künstlers, wie das Erdenleben zur Ewigkeit und der Weinstock zu diesem Siracusanerweine! Das Erste muß vorhanden sein, damit sich das Andere aus ihm entwickle und vollende, auch wenn das Letztere eben der Zweck und das Ziel ist, dessenthalben das Erste vorhanden. Nach dieser Digression denn will ich zu meiner Erzählung schreiten, und hoffe, daß Ihr mir willig in Gedanken folgen werdet, wohin ich Euch auch fuhren möge, indem ich Euch verspreche, nicht über den Gesichtskreis hinauszuschreiten, den wir von der Burg Tibers aus genießen, und von Eurer Seite erwarte, daß Ihr mich nicht unterbrecht, sondern höchstens den Becher stillschweigend zum Munde führet, was ich gleichfalls, im Verlauf meiner Erzählung, etwa bei einem Abschnitt, oder einer begeisternden Stelle tun werde. Zuerst will ich Euch den Titel sagen, den mein Märchen führt: Er ist kein anderer, als: Die Blaue Grotte!«
Lauter Beifall erfolgte in der Gesellschaft. »Brav«, sagte Don Giuseppe, »brav, daß Sie unsere Insel durch die Dichtung verherrlichen wollen!«
»Aber was hat es denn eigentlich mit dieser Blauen Grotte für eine Bewandtnis?« fragte Don Giovanni. »Wohl hab' ich davon gehört, aber ich bin nie selbst hineingekommen.«
»Auf der westlichen Seite von Capri«, versetzte Guglielmo, »befindet sich ein unscheinbarer, bei völliger Windstille nicht einmal mannhoher Eingang, welcher unmittelbar vom Meer aus in eine gewaltige Grotte führt. Der Reflex des ausnehmend tiefen Wassers, von dem sie angefüllt ist, bringt aber ein so wunderbar zauberisches Phosphorlicht in den Wänden der Höhle hervor, daß einer dichterischen Phantasie unwillkürlich Bilder eines Feenmärchens aufsteigen müssen. Es ist wahrscheinlich, daß diese Grotte mit einem über dem Felsen befindlichen Lusthause zusammenhängt, wo Tiber Mädchen hielt, und die heut zu Tage noch Damicuta genannt wird. Leider aber ist wegen des äußerst niedrigen Eingangs sehr schwer, nur bei völliger Windstille, und nur schwimmend hinein zu kommen, weil kein Kahn in Capri befindlich ist, der sich durchwinden könnte, und weil die geringste Bewegung des Meeres das Herauskommen unmöglich machen würde.[680] Diese Grotte, welche erst neuerdings wieder besucht wird, würde den Ruf einer unvergleichlichen Seltenheit in der Welt bekommen, wenn sie zugänglicher wäre, und ich liege daher unserm Don Giuseppe täglich an, einen ganz kleinen Nachen eigens dafür bauen zu lassen!«
»Wir wollen dran denken!« antwortete der Notar. »Es soll noch geschehen! Aber es hat eine eigene Bewandtnis mit dieser Grotte. Sie steht bei den Seeleuten in großem Verruf, und nur zwei Marinari kenne ich, die beherzt genug sind, hinein zu schwimmen.«
»Auch ich«, versetzte der Dichter, »bin einmal mit neapolitanischen Seeleuten hier gewesen, die sich über die Maßen verwunderten, als einige unserer Gesellschaft hineinschwammen, und versicherten, daß sie's nicht um alles Geld der Welt tun würden, übrigens bloß aus Furcht vor Meerungeheuern, wie sie sagten, vor Muränen, Schlangen und Haifischen. Nun genug! Schenkt mir eine Stunde Gehör, und gefällt Euch meine Erzählung, so lasset die Ehre meinem Vaterlande angedeihen, gefällt sie Euch aber wenig oder nicht, so schiebet die Schuld auf mich, und seid überzeugt, daß es bessere Dichter in meiner Heimat gibt!«
Manfred ließ das Schwert sinken, und schien erstarrt vor Schrecken. Denn die schöne Manuele, für die er allein mit dem räuberischen Gefolge des Mohrenfürsten und dem Ritter selbst gekämpft hatte, sah er urplötzlich in einem leichten Wagen an der Seite des schwarzen Feindes emporschweben. Statt der Räder schwangen sich an diesem Luftwagen große Drachenflügel, der Rücken des Tieres trug das Gespann und das Schlangenhaupt zischte vorn in die Lüfte. Wohl sah Manfred, wie die Geliebte die Hände rang, wie sie sich anstrengte, zurückzublicken, sich aus den Armen des Entführers loszuwinden, wie sie schon hoch über Land und Meer sich in die Tiefe hinabzustürzen suchte, wie es der Mohr verhinderte und sie fest um den schlanken Leib gefaßt hielt. Schon schwebte der Wagen so fern und so hoch in den Lüften, daß der Ritter nur noch die goldenen Haare und den weißen flatternden Schleier der Schönen unterscheiden konnte; einem Versteinerten ähnlich blieb er stehen, und verfolgte das[681] immer kleinere Bild, das mitten über den Meerbusen weg dem Vesuv zuschwebte, so lange, bis es zu einem Punkt wurde, bis es endlich sein Auge vergeblich im Azur des Himmels suchte!
Jetzt da ihm die Angebetete völlig entrückt war, da er sich allein, getäuscht, gehöhnt auf dem Felsen von Capri sah, und umsonst sich Flügel wünschte, um die Erde zu verlassen und dem Räuber nachzueilen, jetzt kehrte sein Auge aus der blendenden Bläue des Himmels, wohin sein Teuerstes und Verhaßtestes verschwunden, auf sich selbst zurück, und streifte in der Nähe umher, ob er nicht einen Gegenstand finde, an dem sich der Grimm kühlen könnte. Aber wie erstaunte er, als er die Söldlinge, die sein Schwert getroffen hatte, nicht mehr auf der Erde fand, als sie alle wieder auf den Beinen waren, und nach einer jähen Felsklippe hineilten, welche sich senkrecht über das Meer erhebt. Der Zorn des Prinzen stieg, je mehr er sich einer unbesiegbaren Zauberkraft als unmächtiges Spielwerk anheim gegeben sah, und ohne zu wissen, was er tue, rannte er den Fliehenden nach. Sei es nun, daß die Wut ihn für jede Gefahr blind machte, und daß ihm, wie es in solchen Fällen zu geschehen pflegt, glückte, was ihm im Zustande klarer Besonnenheit Tod gewesen wäre, oder daß eine unsichtbare Macht ihm in diesem Augenblicke beistand, er kletterte so behend die schroffe Felswand hinan, als ob er gebahnten Weg ginge, und bemerkte in der Leidenschaft nicht einmal das grüne Meer, das in der Tiefe brandete, und in das ihn der geringste Fehltritt hätte stürzen können. Schon hatte er, das Schwert in der Rechten, die äußerste Felsspitze fast erreicht, und glaubte, daß ihm die Söldlinge, seien sie Menschen oder Schatten, nicht entrinnen könnten, als sie sich allzumal in den Abgrund stürzten, und ehe sie die Meeresfläche erreichten, unter Hohngelächter in Nichts vergingen.
Der Prinz besann sich einen Augenblick, ob er sich nicht gleichfalls in die See stürzen wolle, so beschämt fühlte er sich, so sehr hatte ihn die ungekühlte Wut und das peinigende Bewußtsein seiner Ohnmacht gegenüber von den feindlichen Geistern den Verstand umnebelt. Jetzt fühlte er nicht sowohl mehr den Verlust Manuelens, als die Art, wie sie ihm entrissen worden, als den Schimpf seiner Waffen, die nur zu siegen gewohnt, die Ehre des deutschen Vaterlandes und die Stütze seines tapfern Freundes, des Königs Manfred waren.[682] Traurig ließ er sich auf die Felsspitze nieder, wo ein minder aufgeregtes, minder mannbares Gemüt der Schwindel gefaßt hätte, und sagte zu sich selbst:
»Ich bin entehrt, ich bin verhöhnt, im Angesicht des ganzen Himmels verhöhnt! Meine Feinde zerstäuben in die Luft, und sind unverwundbar für die Schneide dieses Schwerts! Einst war es mein Ruhm, focht manche Schlacht mit meinem König, und ich glaubte seines Namens würdig zu sein. Nun bin ich wie ein wilder unmächtiger Knabe behandelt. Von meiner Seite, vor meinen Augen, wird das holdeste Wesen gerissen, dem ich Liebe und Treue für die Ewigkeit geschworen, dessen begeisterndes Lächeln mich tapfer im Kampfe gemacht, und in dessen goldene Locken ich jeden Lorbeerkranz drückte, den ich im Süden errungen. Wo find' ich dich wieder, o süße Manuele! Und wie erscheint dein Ritter vor dir, der wie ein Wahnwitziger mit leeren Schatten kämpft, und nicht zu verhindern vermochte, daß dich der Feind in alle Himmel entführte! Hätte dich der Sultan des Ostens geraubt, ich wollte dich gewinnen, aber wohin hat dich das Gezücht der Hölle getragen? Wo such' ich dich, wo such' ich den Feind auf.«
Solcherlei Gedanken verfolgte der Held, und ergriff endlich voll Unwillen das Schwert, das ihm zur Seite hing, nahm es ab, und rief: »Ich kann dich hinfort nicht mehr mit Ehren tragen: indem du entweiht wardst, hast du auch die Kraft meines Arms entehrt! Hinweg denn von mir, und vergehe, wo deine Schattenfeinde vergingen.«
Damit erhob er sich und warf es mit aller Kraft hinaus, aber statt daß es weit hinweg vom Felsen zum Meere niedergeflogen wäre, entfernte es sich nur langsam, und nur wenige Schritte, und kehrte eben so langsam wieder zurück. Der Prinz, der darin nur einen Hohn der unsichtbaren Feinde erkannte, ergrimmte heftiger, und warf es abermals hinaus, aber es kehrte zum zweitenmal zurück. Noch einmal, und mit größerer Kraft, schleuderte es Manfred weg, aber es schwebte zum drittenmal zurück, und zum Erstaunen des Wütenden hing ein Myrtenkranz an seiner Habe, und eine Stimme rief dem Ritter zu: »Nimm den Kranz, o Sterblicher: deine Manuele sendet ihn dir. Bleibe treu.«
Manfred ergriff das Schwert, und erkannte an dem Myrtenkranze dasselbe rosenfarbene Band, das Manuelens Haare geschmückt hatte. Umsonst blickte er umher, er wußte nicht, woher[683] die Stimme gekommen. Mit wunderbaren Gefühlen betrachtete er das geheimnisvolle Geschenk, hängte sich das Schwert wieder an die Seite, und sagte zu sich selbst:
»Noch scheint nicht alles verloren zu sein. Vielleicht, daß irgend eine wohlwollende Macht sich meiner annimmt, vielleicht daß das Gute einen Beschützer, die Liebe einen freundlichen Genius findet, der ihr Hülfe gewährt, der sie vor Entheiligung bewahrt! Seist du, wer du wollest, unsichtbares Wesen, das mir den Kranz gesandt und die Worte der Ermunterung zugerufen, ich nehme deinen Beistand an, ich danke dir für dein Geschenk, ich weihe mich dir, wenn du von so guter Art bist!«
Als er dies gesagt, wollte er den Rückweg wieder suchen, aber er schwindelte, indem er in den Abgrund blickte, er suchte vergebens die Einstufungen des Felsens, durch deren Hülfe er heraufgekommen sein mußte, und fand das Hinabsteigen unmöglich. Manfred, der sich hier nicht mit übermenschlichen Kräften, sondern bloß mit natürlichen Hindernissen im Streit sah, verlor den Mut nicht, er spähte allenthalben umher, ob er nicht irgend ein Gestrüpp finde, das ihm Halt gewährte, besann sich hin und wieder, wo er heraufgekommen, aber er konnte auch nicht die geringste Spur finden. Er blickte zum Meere hinab, ob nicht etwa ein Fischerkahn vorübergleite, aber er sah nur die stillen sanften Wallungen des Wassers, die dunkelblauen Schatten, die der hervorragende Fels über eine kleine Bucht warf, und die lichten hellgrünen Strecken, welche das Kies bezeichnen, das bei Windstille aus der durchsichtigen Flut hervorschimmert.
So war denn also kein Ausweg, als geduldig zu erwarten, ob nicht der Zufall, ob nicht übernatürliche Hülfe erscheine, denn von Menschen konnte man wenig oder nichts hoffen. Der heldenmütige Ritter, durch die ermunternden Zeichen des unbekannten Wesens gestärkt, und auf seine beharrliche Kraft vertrauend, setzte sich abermals nieder und sagte, indem er den Kranz betrachtete:
»Ja schöne Manuele! Ich will dir treu bleiben, und wenn es mir bestimmt wäre, auf diesem unwirtlichen Felsen den Hungertod zu sterben, so sollst doch du mein letzter Gedanke, das letzte Ach meines Atems sein!« Sie wiederzufinden, sie auf immer zu gewinnen, schien nun fast unmöglich zu sein, allein je schwüriger, je zweifelhafter die Wiedererlangung eines verlorenen Gegenstandes[684] ist, desto mehr strengt sich unsere Einbildungskraft an, seinen Wert zu erkennen, ja zu erhöhen, desto mehr fühlt sich unser Wille, unser Herz geneigt, alle Kräfte aufzubieten, um auch zum entferntesten Ziele zu gelangen. Nicht der Gegenstand allein, sondern unsere Kraft und Fähigkeit, die sich messen, ihre Dauer und Beständigkeit erproben soll, die Ehre oder die Schande, die uns vor uns selbst daraus erwachsen kann, wird uns nach und nach gleichsam zum Ziel, und so wollte er denn versuchen, ob er allen bösen Geistern, allen irdischen und überirdischen Hindernissen zum Trotz bei dem verharren könnte, was ihm Richtung für Gefühl und Wünsche, für Leben und Taten, für Kampf und Tod geworden.
In solchen Gedanken bemerkte der Prinz, daß die Sonne schon dem Untergang nahe war. Sie verbreitete die sanfteste Röte über die Insel Ischia, und der Duft der Ferne spielte so wundersam mit den Strahlen der Sonne, daß Eine Rosenglut das Meerbild des Eilands überschwemmte, und der Epomeo wie ein leuchtender Edelstein voll der durchsichtigsten Klarheit aus den Fluten hervorschimmerte. Unscheinbarer, und gleichsam tiefer ins Meer versenkt, dämmerte Procida und das Vorgebirge von Misenum nebst den flachern Bergumgebungen des Golfs von Bajä nur wie ungewisses rötliches Gewölk am Horizont, dagegen zur Rechten der fast in die See versunkenen Stadt das schöne Gebirg des Vesuvs in glänzendem Violett die Landschaft schloß.
Als die Abendröte zu erbleichen anfing, trat eine eben so schöne Nacht ein. So war der unschuldigen Freude der Liebe, die er diesen Morgen noch an Manuelens Seite genossen, bald die Trauer ihres Verlustes gefolgt, und der Prinz verglich ihre Rosenwange mit der sanften Röte des Himmels, ihr klares Auge mit der untersinkenden Sonne, und die Stimmung, in der jetzt sein Gemüt war, und mit der er die Welt betrachtete, mit der ungewissen Dämmerung, in welcher alle Gegenstände um ihn, in welcher das ferne Land über dem Meerbusen und die benachbarten Inseln zerflossen. Über dem schwarzen Haupt des Vesuvs leuchtete hie und da eine flüchtige Purpurhelle auf, die weithin einen glänzenden Schein verbreitete. Aber was die Einbildungskraft des Helden wundersam aufregte, war ein großes schönes Angesicht, das er zuweilen in jenem Glanze zu erkennen glaubte. Deutlich unterschied er die hohen Züge, die nur Manuele im Angesicht trug, und je öfter die[685] Flamme aus dem Krater aufstieg, desto sprechender fand er die Ähnlichkeit. Dieses Angesicht schwebte jedesmal mit dem Feuer empor, das der Berg auswarf, es war nur der entzückend schöne Kopf, ohne Hals, gleich der Gorgone, aber die goldenen Haare strudelten wie ein Feuerregen zu beiden Seiten hinab, und er sah wohl selbst eine Flammenlocke über den Krater wallen. Lange sah der Prinz mit unsäglichem Schmerz dem eben so schrecklichen, als reizenden Schauspiel zu, und vermutete zu seinem höchsten Leid, daß der schwarze Räuber die Geliebte wohl auf den Gipfel des Vesuvs entführt habe, und nun den unmächtigen Sterblichen mit seinen Blendwerken necke. Diese Vermutung, dieser Schmerz verwandelte sich in Wut, als plötzlich die Flammenauswürfe aufhörten, und dafür zuweilen das weiße Angesicht so bleich, wie der Halbmond in der Dämmerung, in den Lüften erschien und schnell wieder verschwand. Sein Schmerz vergrößerte sich, als er zu bemerken glaubte, daß das Gesicht Bewegung, Leben und Ausdruck zeige, ja, daß es ihn leidend und flehend anblicke.
»Wie hängt meine ganze Seele an dir«, rief Manfred, »o du holdes Antlitz, das mir der schreckliche Berg zeigt! Sei es die unnahbarste Macht, die dich mir entrissen, die den schwarzen Entführer beschützt, habe sie dich tief bis ins empörte Eingeweide des Vulkans getragen, verhöhne sie meine flügellosen Schultern mit welchen Bildern sie wolle, ich bleibe dir treu, Manuele, ich weihe dir Schwert und Ehre, so anders du in so neuen Regionen, in der schnellen Folge so unbegreiflicher Zauber des Unglücklichen nicht vergissest, den der Hohn seiner Feinde auf die Felsklippen dieser Insel verbannt!«
Unterdessen war der Mond emporgestiegen, und nun glaubte Manfred, einen riesenhaften Schatten gleich einem Manne zu erblicken, der das Gebirge noch überragte, und von der Südseite des Meerbusens Campani über das Meer hinüberschritt, und immer kleiner ward, bis er im Golf von Bajä so undeutlich verdämmerte, daß man ihn nicht mehr erkennen konnte. Dann kam er wieder zurück, vergrößerte sich mehr und mehr, warf einen langen Schatten bis zum Fuß des Vesuvs herüber, und verschwand in der Meerenge zwischen der Insel und den Campanellen.
Der Prinz betrachtete den ungeheuern Schatten mit steigender Ärgernis, denn er hielt auch ihn für eine Scheingeburt des Feindes, aber wie erstaunte er, als das himmelhohe ungewisse Bild plötzlich[686] mitten im Meere anhielt, sich näherte und zusehends verkleinerte. Je niederer aber der Schatten wurde, desto deutlicher und schwärzer erkannte man ihn im Licht des Mondes, bis er allmählich in die felsige Bucht hereinschwebte, und feste Umrisse gewann. Noch sah ihn Manfred über dem Wasser dunkeln, und Schatten werfen, ob er gleich selbst Schatte war, als er sich plötzlich in einen Mann von gewöhnlicher Größe verwandelte, der in einer Barke am Fuß des Felsens herumtrieb, auf dem der Ritter stand.
Nur das schärfste Auge konnte ihn erblicken, denn die Höhe jener abschüssigen Felsen auf Capri ist zu beträchtlich, als daß ein Kahn in der Tiefe bei Mondbeleuchtung leicht erkennbar wäre, dennoch aber erscholl seine Stimme so klar und hell herauf, als ob er neben Manfred stünde!
»Sei ohne Furcht, tapferer Sterblicher«, rief er, »ich bin der Wächter, der des Nachts vom Kap der Minerva über den Meerbusen wandelt, um das Reich meiner Königin vor den bösen Geistern zu bewahren, die dort im Feuerberge wohnen. Ich habe Befehl, dich zu befreien, denn die Fee will dir wohl! aber hüte dich, denn ich wittre auf dem Felsen den Feind! Diese Nacht wäre deine letzte, wenn du oben verharrtest, aber vertraue mir fest, ich bin der Diener einer wohlwollenden Macht!«
»Wer versichert mirs?« rief Manfred hinab. »Deine Worte, Alter, lauten freundlich, aber ich vertraue dir nicht!«
»Bei dem Kranze beschwör' ich dich, den du in Händen hast, eile, ich muß mich vergrößern und dein Feind ist nah. Wirf den Myrtenkranz herab! Er wird dir den Weg bauen!«
»Du forderst Unmögliches, den Kranz lass' ich nicht«, antwortete Manfred.
Da ergrimmte der Alte und rief: »O wie seid ihr blind, armselige Menschen, unterscheidet weder Freund noch Feind! Hier ist etwas, was diesen Abend der Berg ausgeworfen, denn reines Gold verträgt er nicht, besonders wenns in unserm Reiche geweiht ist. Nimm und vertraue!«
Damit schleuderte er etwas in die Höhe, und Manfred sah eine Taube heraufflattern, die ihm zutraulich vors Gesicht flog. Sie hielt etwas im Mund, der Ritter erkannte den Ring Manuelens!
Hastig nahm er ihn, und die Taube verschwand. »Schnell, schnell«, rief der Alte unten, »der Feind ist hinter dir, wirf den[687] Kranz in die Luft!«
»So vertrau' ich dir denn, unbekannte Macht!« rief Manfred, und warf denselben hinab. Und siehe von der Spitze des Felsen rauschte zumal ein Weg von Myrtenlaub gleich einer Treppe in die Tiefe hinab.
Aber in demselben Moment erschien eine Schlange auf der Klippe, welche ein so blendendes Licht von sich warf, daß der Ritter wohl hundert Myrtentreppen sah. Er hörte den Angstruf des Alten, er schrie, aber er fühlte sich betäubt, die Schlange schwang sich blitzschnell in leuchtenden Kreisen, so daß vor seinen Augen Himmel und Meer und Fels zusammenschwamm, und indem er bewußtlos auf eine der Treppen zustürzte, bekam er einen so mächtigen Stoß von hinten, daß er in den Abgrund hinunter stürzte.
Der Unglückliche sah nicht mehr, was um ihn vorging, hörte nicht mehr das Hohngelächter, das aus der Luft erschallte, nicht mehr die Flüche des Fährmanns, der im Zorn über die vergebliche Warnung und aus Furcht vor der Strafe, daß sich die feindlichen Geister herübergeschlichen, in demselben Augenblick mit der Schnelligkeit einer Wolke, die aus dem Vesuv emporfliegt, zu einer Riesengestalt aufschoß, deren Schatten bis zu dem andern Ende des Meerbusens reichte. Der Ritter trieb in den Wellen, sammelte alle Kräfte, sich über dem Element zu erhalten, aber wo landen?
Indem hörte er etwas neben sich plätschern, er erschrak, und sah einen Delphin, der lustig in den Wassern spielte, und sich zutraulich dem Schwimmenden näherte. Manfred fühlte nicht dieselbe Neigung zu dem Meergeschöpfe, und suchte ihm zu entfliehen, aber er sah sich verfolgt, und wie er sich gebärden wollte, so umschwamm ihn das Tier, indem es zuweilen untertauchte, und zwischen seinen Beinen wieder hervorkam, als ob es ihn einladen wollte, sich auf seinen Rücken zu begeben. Diese Künste wiederholte es so oft, daß sich endlich der Held entschloß, das Wagstück zu begehen, und als er den gewaltigen Fisch wieder unter sich fühlte, sich schnell aufrichtete, und zumal auf seinem Rücken saß.
Jetzt schien das Tier von Freude durchdrungen zu sein, es schlug mit den Floßfedern lustig in die Flut, und trug unsern Helden so schnell und so sanft in die Bucht hinüber, daß ihm der Mut zurückkehrte, und er mit heiterer Ergebung sich der Laune seines[688] wunderbaren Freundes überließ.
Bald erreichten sie eine Felswand, und Manfred bemerkte eine kleine Höhle, welche aus dem Meer hervorstieg. Nur schmal und niedrig war der Eingang, doch so, daß der Ritter, ohne sich zu bücken, mit dem schwimmenden Fische hinein gelangen konnte.
Wer beschriebe aber das Licht, das ihm aus dieser Grotte entgegen leuchtete! Schön ist eine Mondnacht im Süden, und die Bläue der Lüfte, so wie des Wassers ist bezaubernd, aber was sind solche Farben gegen das brennende Blau, das diese hohe Felsenhöhle wie mit der Kraft einer optischen Magie durchschimmerte, gegen die Klarheit des Meeres, das sie mit dem Kristall einer bis auf den tiefsten Grund durchsichtigen Flut anfüllte, gegen die unbeschreibliche Helle, die sich wie ein süßes blaues Feuer von ihrem Spiegel aus über die seltsam gebildeten Felswände verbreitete, daß auch sie in phosphorischen Flammen zu glühen schienen, gegen die sanften Übergänge und Abstufungen dieses Feuerblau's, gegen die Wirkung von Nähe und Ferne, von Licht und Schatten, gegen die Lieblichkeit des Bildes, das die lautern Wasser von den mannigfaltigen Felsgestalten zurückspiegelten, ja gegen die Schwimmenden selbst, die mit entzückender Lichthelle aus dem blauen Zauberbad hervorleuchteten.
Schon hatte der Held vergessen, daß er auf dem Rücken eines Delphins saß, so stark und berauschend wirkte der holdselige Tag auf ihn, in den er sich aus der Dämmerung der Mondnacht versetzt sah, als er eine schöne sanfte Musik hörte, die ihn mit Entzücken überströmte. Sie schien aus dem Innern des Felsens oder aus der Tiefe des Meers zu kommen, und verhallte unendlich anmutig in den glänzenden Gängen der Grotte. Bald unterschied er Stimmen von übermenschlicher Reinheit, und vernahm einen Gesang, der erst nur schwach und ferne klang, nach und nach aber stärker anschwoll, und das Herz des Ritters in die süßeste Trunkenheit versetzte.
Kommt aus den Lüften,
Liebliche Kinder,
Alle geschwinder,
Leichter und flüchtiger,[689]
Frommer und züchtiger,
Als die Winde, durchatmet von rosigen Düften.
Auch aus der Erd' und aus Wasser und Feuer,
Wo ihr nur lebet,
Wirket und webet,
Kommt zu der Feier
Behaglicher Lust.
Jeglichem teuer
Ist ja der Sterbliche.
Genien, euer
Ist ja der erbliche
Kummer der leidenden Menschenbrust.
Seht, wie sie glänzen
Felsen und Fluten,
Schwebt mit den Kränzen
Herein in die Gluten,
Seht, wie es leuchtet,
Und leuchtend sich bricht,
Wie es mit blauem Licht
Schimmernde Wände zauberisch feuchtet!
Reicht euch die Arme,
Zieht ihm entgegen,
Auf strahlenden Wegen,
Schon ist der Bangende,
Sehnlich Verlangende,
Sehnlich Verlangte mit zärtlichem Harme,
Schon ist er da,
Schon der gefährlichen Prüfung nah!
Mit den letzten Strophen dieses Gesanges wuchs die Musik gewaltiger an, die Farben der Grotte wurden heller und durchsichtiger, der Delphin gaukelte sich so munter, als ob er die Worte des Gesangs verstünde, und zumal wimmelte es aus dem dunklen Grunde von so schönen, luftigen, geistigen Wesen hervor, daß Manfred den Himmel vor seinen Augen eröffnet glaubte. Über dem lichtblauen Wasser, an den Felswänden hin, in den Lüften[690] schwebten die holden Gestalten, und verbreiteten einen morgenrötlichen Glanz, einen sanften goldenen Schimmer, der immer klarer und vollkommener wurde, je mehr der anmutigen Wesen erschienen, bis auf den Grund hinab zitterte diese blendende Helle, tausend Edelsteine schienen heraufzufunkeln, Korallen und Muscheln in der Tiefe zu glänzen, der Delphin, auf dem der Prinz saß, ward mit den reinsten goldenen Schuppen bedeckt. Manfred war bezaubert, denn was er noch Herrliches und Schönes auf Erden gesehen, Sonnen- und Mondaufgang, blieb hinter der überschwänglichen Anmut dieser Erscheinungen zurück.
Da verklärte die Grotte, Wasser und Fels und die ganze Schar der flatternden Wesen, welche aus der Ferne hervor wimmelten, ein glühender Rosenschein, und in einer prachtvollen Muschel, aus der die Blumenkränze bis zu der Flut herabhingen, die einen himmlischen Wohlgeruch ergossen, erschien die Feenkönigin selbst. Ihre Gestalt war so unkörperlich, so durchsichtig, so ungewiß, daß Manfred gleich ein übernatürliches Wesen in ihr erkannte, und dennoch hatte er noch nie eine so erhabene Schönheit, einen so vollendeten Wuchs, ein so unwiderstehliches Angesicht gesehen.
Wir leben im Reinen,
Wir wirken im Guten,
Wir trösten und einen
Die zärtlichen Herzen, die leiden und bluten.
Wir schaffen im Stillen,
Wo Zartes erblühet,
Verbergen, verhüllen
Die Rose der Liebe, die heimlich erglühet.
Wir hüten das Feuer,
Und segnen die Flur,
Wir erheitern des Himmels,
Des Meeres Azur.
[691]
Wir füllen das Haupt der luftigen Berge,
Den grünenden Hang mit göttlicher Frucht,
Wir nähren dem Fischer die Kinder des Meeres,
Und leiten das Boot in die sichere Bucht.
Wir ehren das Alter,
Und lieben die Jugend,
Wir lieben die Schönheit,
Und ehren die Tugend.
Wir erhalten dem Menschen Vertrauen und Glauben,
Wir stillen den Seufzer im dunkeln Gemach,
Wir hören des Sterbenden, hören des Armen,
Wir hören der Jungfrau süßeres Ach.
Wir schützen und ehren den siegenden Helden,
Der Wunder mit tödlichem Schwerte schafft,
Doch erkennen wir einzig und loben und krönen
Im Helden der Treue die höchste Kraft.
Als der Gesang geendet hatte, trat eine tiefe Stille ein. Der Prinz fühlte sich geblendet, und wagte nicht zu sprechen. Indem winkte die Königin, und zwei jener luftigen Wesen, junge blühende Mädchengestalten, eilten auf ihn zu, bedeuteten ihm, daß er sich erhebe, der Delphin verwandelte sich in einen von Blumen überdeckten Fels, und die Muschel, worin die Fee stand, schwebte langsam auf ihn zu.
Jetzt öffnete diese den Mund und sprach: »Sei willkommen, Prinz Manfred! Du und dein tapferer König, ihr seid mir gleich bekannt! Du bist in die Hände deines und meines Feindes geraten, doch ist mir's gelungen, dich zu retten!«
Der Prinz warf sich in diesem Augenblick aufs Knie und sagte: »Wer du auch seist – und von sterblicher Herkunft bist du nicht, das zeigt mir die Macht, mit der du alle Elemente beherrschest, die Güte, mit der du deine Hülfe mir angedeihen lässest, und die unaussprechliche Schönheit, die dein Angesicht verklärt! bist du es, die mich gerettet, und ich glaub' es dir, o Herrliche, so nimm meinen Dank! Aber wisse, daß mir dies Leben, das du beschütztest, keinen Wert hat, wenn seine Seele verloren ist! daß ich dein[692] Geschenk, mein Dasein nur halb fühle, wenn es nicht in deiner Macht, oder in deinem Willen liegt, es zu vollenden, indem du mir die Wege anzeigest, wie ich meine Seele wieder erlangen kann. Und diese Seele ist Manuele! Wehe mir, wenn sie der böse Feind geraubt, wenn sie die Hölle befleckt! Ich bin bereit, dies Wenige, was mir noch übrig geblieben, der Hölle zu weihen, um meine Verlorne wieder zu finden, wenn es dem Himmel nicht gefällt, seinen Engel mir wieder rein zurückzugeben.«
»Schweige«, antwortete die Fee, »und lästere den Himmel nicht. Aber höre mich an! Manuele kann die Deinige werden. Doch so gern ich sie in diesem Augenblick an deine Seite stellte, so erstreckt sich meine Macht doch nicht so weit, ja ohne deine Hülfe ist mir's unmöglich, sie wieder zu erlangen, und ein Held von deiner Kraft und Stärke wird sich nur geehrt fühlen, wenn es ihm vergönnt ist, durch eigene Bemühung zu erreichen, was ihm das heiterste Ziel dünkt, und sich allein zu verdanken, was ihm keine Macht der Erde verschaffen kann! Willst du Manuelen treu bleiben?«
Der Prinz stutzte und erwiderte: »Treu? Willst du mich beleidigen, Unsterbliche? Ich schwöre ....«
»Laß, Verblendeter!« fiel die Königin schnell ein. »Schwöre nicht! Nur zu leicht ist's, daß meineidig wird, wer durch Worte die Freiheit seines Herzens binden will! Die Leidenschaft ist eine schreckliche Gebieterin des Menschen, und es ist oft besser, wenn er sie wechselt, als daß er dem unfreiwillig getreu bleibt, was den Wert für ihn verloren. Wehe dir, wenn du schwörst! Manuele ist ewig für dich verloren! Die Mächte, die sie dir zurückgeben wollen, können der Schwäche des Herzens verzeihen, aber das feierliche Wort ist bindend auf ewig!«
»So sprich, o Fürstin der Geister«, rief Manfred, »sprich, auf welche Weise ich mein Leben wieder erlangen kann?«
»Bleibe treu«, antwortete die Königin, »und Manuele wird dein! Und nun bereite dich zum Werk! Ich führe dich ins Innere meiner Wohnung, und zeige dir das Reich des Friedens! Sei dein Herz stark wie dein Arm, und deine Freude wird ewig sein, wie deine Liebe! Wirst du Sieger, so feiert mein Reich das Freudenfest eines Jahrtausends, und deine Hochzeit wird sein, wie in der goldenen Urwelt!«
Damit hieß sie den Prinzen in die Muschel steigen. So nah er[693] ihr nun war, so hörte doch ihre hohe Gestalt nicht auf, jenen Schein eines unkörperlichen Gebildes zu behalten, und ein übernatürlicher Glanz erhellte und vergeistigte ihr Angesicht voll Milde, Frieden und Ruhe.
Wie Manfred aus der Wassergrotte getragen ward, blieb ihm selbst unbewußt. Sei es, daß die Menge reizender Gegenstände, die Nähe der Königin, die Mannigfaltigkeit ihres Gefolges ihm die Veränderung des Orts unfühlbar machte, oder daß ein absichtlicher Zauber ihn einschläferte, er befand sich plötzlich in einem unübersehbaren Garten, wo freundliche Blumenauen, heimliche Gesträuche, junge Haine, schlängelnde Bäche, luftige Springquellen, weite Alleen mit hin und wieder verstreuten Bänken, Paläste und Lusthäuser von wundersamer Bauart abwechselten. Statt daß aber der klare wirkliche Himmel die holdseligen Dinge beschienen hätte, war es dasselbe blaue Licht, das die Wundergrotte beleuchtet, und das sich auch hier den Rosenbüschen, den Zypressengängen, den Lorbeerhainen, den lachenden Seen, den hellen Palästen mitteilte, und Manfred glaubte einen Augenblick, durch eines jener blauen Gläser zu sehen, welche uns alle Gegenstände in dieser Farbe zeigen. Je länger er aber die seltsame magische Beleuchtung betrachtete, desto mehr überzeugte er sich, daß er in einer unterirdischen Welt, daß er mitten in den undurchdringlichen Felsen der Insel, oder wohl gar im Abgrund des Meeres sei.
Schweigend ging er der Königin zur Seite, und so sehr war er mit dem Anblick dieser reizenden Zauberwelt beschäftigt, so sehr fesselten ihn die Eindrücke der Gegenwart, erfüllten ihn die Erwartungen der Zukunft, daß er erst jetzt bemerkte, was längst schon statt gefunden, daß er nämlich mit der Fee allein war.
»Wohl meinem Reiche«, sagte sie, »wenn die Weissagung von dir erfüllt wird. Dann wird das arme Kind, die Treue, aus der nächtlichen Felsenkammer befreit, und der Bräutigam kehrt nach einer Reihe von dreitausend Jahren in ihre Arme zurück. Dann werden die Feuerquellen und Schwefelbäche in meinem Reiche versiegen und erkalten, der Grimm des Berges wird die Grundfesten meiner Inseln nicht mehr erschüttern, und ihre Bewohner werden sich freuen, wie damals als Enaria noch die äußerste Landzunge war, und der Fels von Capri mit dem Vorgebirg der Minerva zusammenhing.«[694]
Als die Königin so sprach, achtete der Held wenig auf ihre Worte, denn seine Sinne wurden von einem ganz andern Gegenstand in Anspruch genommen. Sie befanden sich in einem schattigen Hain, zwischen dessen Palmen die üppigsten Rosenbüsche wuchsen, und in dessen Mitte eine Menge Springquellen aufstiegen. Indem Manfred die blauen Wasserwallungen betrachtete, welche in lustigen Säulen emporsprudelten, und zum Teil zu Nebel und Dunst verwehten, gewahrte er in derselben Muschelschale, aus welcher der größte Strahl aufschoß, ein unbeschreiblich reizendes Wesen, welches mit langen glänzenden Haaren gleich einer Anadyomene herauftauchte. Mit einer Schnelligkeit, die dem sterblichen Auge nicht erlaubte, die einzelnen Teile des nackten Schwanenleibes festzuhalten, flog die Gestalt mit dem Springquell in die Lüfte und in dem Regen des aufgelösten Wassers, das zumal wie ein rosenfarbener Nebel anzusehen war, schwebte sie auf die Wiese nieder! Jetzt richteten sich alle Fontänen nach ihr, und überströmten sie mit rötlichen Tropfen, von den Palmen regneten Blumen herab, sie schwang sich in bacchantischem Tanze, und spielte das Tamburin, sie breitete die Arme nach Manfred aus, und die lüsternste Trunkenheit brannte in dem flammenden Gesicht! Unser Held fühlte sich unwiderstehlich angezogen, die Königin aber lächelte, reichte ihm einen Stab, und sagte: »Wink' ihr nur damit.«
Manfred tat's, aber wie erstaunte er, als sie urplötzlich mit einem lauten Schellenklange zusammenstürzte, und verschwand. An dem Platze aber, wo sie zerstäubte, fand der Ritter ein Halsband von Narrenglocken, und das scheckige Carnevalskleid des Arlecchino.
»Laß dir's zur Lehre dienen!« versetzte die Fee. »So verrauschen und vergehen die Freuden der Sinne und des Taumels! Ewig und unvergänglich sind nur die Freuden der Mäßigung und der Weisheit! Zu einer Tochter der Urwelt aber muß ich dich nun führen! Ihr Schicksal hängt von dir ab, sie erwartet die Erfüllung der Weissagung von dir! Das arme Kind! Ihr Bräutigam ist ein König, und es sind Jahrtausende, daß ihn das Verhängnis von ihr trennt. Einst beherrschten beide ein glückliches Menschengeschlecht, nun ist sie in die ewige Nacht einer schwermütigen Felswelt verbannt, und sie ist es, die der Insel die Kraft verleiht, dem unablässigen Andrang des andern Elementes zu widerstehen! Sie[695] hat einen Magnet, den ihr einst, ehe nur die Geschichte war, der geoffenbarte schöpferische Gott zum Geschenk gebracht, einen Magnet, der die doppelte Kraft zu beseligen und zu zerstören besitzt! Dieser Magnet ist ihr Herz! Jene doppelte Eigenschaft aber äußert sich beseligend in Liebe, und zerstörend in Haß. Einst als noch die Natur in heiterm Frieden, in reiner Ordnung ihre gesetzlichen Wege ging, und die körperliche, wie die geistige Welt zufrieden in ihren Grenzen lebte, beglückte die Tochter der Urwelt nur mit der Eigenschaft der Liebe, während nun längst in beiden Reichen, der organischen Natur und der Seele, ein verheerender Zwiespalt entstanden, der den Bräutigam so lange von der Geliebten trennt, bis ein Sterblicher die Weissagung erfüllt, bis der Magnet aufhört, bloß die tote Masse des Felsens in allen Adern zu durchdringen, und ihn zum Widerstand gegen das Wasser zu stärken, bis er wieder auf die Seele wirken kann, und der Friede zurückkehrt in das Reich der Geister. Doch du verstehest noch nicht, wozu du berufen bist, und das Gesetz verlangt, daß du es nicht erfahrest, ehe denn du die Weissagung erfüllt. Nimm alle Kraft zusammen, Manfred, schweige, bebe nicht, vertraue, und überlasse dich der Gewalt des Magnets, der dich erfaßt.«
In diesem Augenblick erscholl ein Donner, und es verfinsterte sich dergestalt um den Prinzen, daß er nichts mehr unterscheiden konnte. Er fühlte sich von einer Kraft ergriffen, welche ihm mit elektrischem Schüttern durch die Nerven drang, und wie eine linde Betäubung auf seine Sinne wirkte, so daß er sich unfähig zum Widerstand fühlte und mit offenen Augen zu schlafen meinte.
Kein Laut unterbrach diese Szene. Es mochte eine Zeitlang gewährt haben, als die Betäubung nachließ, die Kraft, die ihn forttrug, mit derselben in allen Nerven fühlbaren Bewegung seinen Körper verließ, und er sich mitten in ungeheuern Felslagern befand, in welche ein schwacher Schein von oben hereindrang. Bald erkannte er die Königin wieder neben sich, und wollte eben den Mund öffnen, um eine Frage zu tun, als sie ihm winkte zu schweigen, und sofort dreimal eine platte Felswand mit der Lippe berührte.
Abermals bedeutete ihm die Königin zu schweigen, und der Fels senkte sich hinab, und eröffnete den Blick in eine Art von natürlicher Grotte, in deren Wänden eine Menge phantastischer[696] Bildungen sichtbar waren.
Indem vernahm Manfred einen Gesang:
Es rauscht in der Tiefe
Das alte Meer,
Die kalte Welle
Ruht nimmermehr,
Und auch das Herz, von Lieb' und Kummer
So heiß und schwer,
Es labt's der Schlummer
Wohl nimmermehr.
Der Fels verharret,
Vom Wind umsaust,
Vom Mond beschienen,
Vom Meer umbraust.
Und dennoch klopfet
Im Fels kein Herz,
Und diesen Busen
Verzehrt der Schmerz.
Ach nein, mein Holder,
Ich bleibe dein,
Ach nein, mein König,
Ich warte dein!
Und kommst du einst, und find'st du mein Leben
Zerflossen in einer Träne Schmerz,
O mein König, so hast du
In einer Träne mein ganzes Herz.
Während dieses Gesangs war Manfred etwas vorwärts getreten, und nun bemerkte er erst, woher das Licht kam, das diese sonderbaren Naturbildungen so magisch beleuchtete. Eine zarte Jungfrau saß abgewandt von ihm auf einer Felsbank, ihr blondes Haar lag über die Schultern, und schien auch das Angesicht zu bedecken, von ihrem Herzen aus floß aber jener geisterhafte Schein in die Höhle. Unendlich rührend war dieses sanfte Bild, es hatte den Ausdruck eines unaussprechlichen Schmerzes, und so oft es aufatmete, so oft es seufzte, zitterte auch das magnetische[697] Licht, das von ihm über die Grotte ausging.
Abermals winkte die Königin dem ergriffenen Helden zu schweigen. Da öffnete sich die Felswand über der Jungfrau, und das Gestein schob sich langsam aus einander, der Sternenhimmel glänzte herein, die Jungfrau erhob sich, aber immer abgewandt von dem Prinzen, richtete das Haupt gegen die Öffnung, und breitete die Arme mit unbeschreiblicher Inbrunst aus, das Licht erhellte sich und glänzte in schnellen Schwingungen an den Felsen, ihr Herz schien heftig zu klopfen, und eine weiße verschleierte Gestalt schwebte, eine Lilie in der Hand, von Oben herab. Sie sank der Jungfrau in die Arme, und beide ruhten lange in ein stilles heiliges Entzücken verloren.
Allmählich wand sich die weiße Luftgestalt wieder aus der Umarmung los, und schwebte durch die Öffnung des Felsens weg. Von diesem Augenblick an aber dämmerte das Licht nur schwach, und erlosch endlich ganz. Der Magnet, das Herz schien nur zu leuchten, wenn es von Sehnsucht und Schmerz bewegt war, und zu verlöschen, wenn ihn die Umarmung der himmlischen Schwester stillte.
»Tochter der Urwelt«, rief nun die Fee nach einer langen Pause.
»Königin, du bist's?« war die Antwort.
»Der Verheißene ist da!«
»Dein Wort ist Wahrheit!«
»Deine Erlösung ist nah!«
»Gepriesen sei der Friede der Urwelt!«
»Der Held der Treue ist erschienen!«
»O Königin, wie pocht der Magnet!«
»Bald verläßt er den Fels und leuchtet in der Seele!«
»Königin, fliehe, es leuchtet mein Herz!« Schon bemerkte Manfred wieder den zitternden Schein, als ein Donnerschlag aus der Tiefe erscholl, jene unwiderstehliche Kraft ihn erfaßte, und betäubt durch die Nacht hinwegschwang.
Er erwachte nicht eher wieder, bis er einen heftigen Wind um sich brausen hörte. Die zurückkehrenden Sinne suchten sich zurecht zu finden, ihre Kräfte wieder zu gewinnen, und der Prinz sah sich endlich in der äußern Welt, wie ihn der frische Zug des Windes, wie ihn der Sternenhimmel überzeugte.
»Du weißt nicht, wo du bist«, sprach neben ihm eine Stimme, und er erkannte die Königin, »sieh dich um, du bist auf dem höchsten[698] Gipfel der Insel!«
Manfred sah sich allerdings auf der äußersten Spitze des Solaro, wo das Auge nach allen Seiten hin das Meer beherrscht, gegen Nord und West sich der Berg mehr verflacht, gegen Süd aber jählings in eine Tiefe hinabstarrt, die Schwindel erweckt. Nun zu dieser Stunde aber war das Meer nicht wohl vom Himmel zu trennen, wenigstens schwammen beide am Horizont in einander, so daß der ungeheure Fels gleichsam in den Wolken zu schweben, daß er nicht mit der Erde zusammengewurzelt schien.
Jetzt erhob sich die Fee und Manfred staunte die feierliche Würde an, mit der die duftige schöne Gestalt den Winden gebot, zu schweigen. Alsbald ließen sie nach zu blasen und zu wehen, und eine liebliche Stille trat ein. Noch eine Zeitlang blickte sie in die Ferne über das Meer hinaus, und sagte zuletzt, den Stab erhebend: »Ich seh ein Schiff tief in der See mit den Wellen kämpfen! Es will nach Malta! Drehet euch, Winde, füllt ihm die Segel, ehe die Sonne zweimal wieder untergeht, sei es im Hafen! Aber nun, Tochter der Urwelt, atme deinen Lebenshauch in den Felsen, schlage dein Herz durch ihn, leuchte der Stein, und sprosse die Blume!«
Mit diesen Worten schlug sie auf den Felsen, und zwei hohe weiße Lilien sprangen aus ihm hervor, und gaben ein heiteres reines Licht von sich, der Stengel verbreitete eine grüne Helle, die Blume selbst aber schien einen Edelstein im Kelche zu führen, der einen weißen Glanz von sich warf.
»Hieher hab' ich dich geleitet«, versetzte nun die Königin, »um dich für das Werk zu weihen, was du für dich und mein Reich tun sollst. Du überblickst es, die Winde schweigen, die Lilie brennt, die Morgenröte dämmert heran, so höre denn, Sterblicher, die Lehre der Urwelt.«
Sie bedeutete ihm sich in einiger Entfernung von ihr niederzusetzen. Sodann hub sie folgendermaßen an:
»Vor Jahrtausenden herrschte noch der Friede in der Welt. Ich spreche dir nicht vom Anfang, da die Erde sich erhob aus den zurücktretenden Wassern, sondern führe dich aus der Zeit der gewaltsamen Entstehung in die Tage hin, da sich die Elemente in Ordnung geschieden, da die jugendliche frischgeborene Natur sich bereitete, ihre Beherrscher zu empfangen. Damals hing dieser rauhe Fels, auf dem wir uns befinden, noch mit dem Vorgebirg[699] der Minerva zusammen, das Kap Misen verband sich mit Procida, und der ereträische Berg schloß das glückliche Land. Und wie die Kräfte der Natur sich noch nicht anfeindeten, sondern ein ununterbrochen frohes Spiel von Wirkung und Gegenwirkung die friedlichen Fluten mit den Strahlen des Lichtes, die heitern Lüfte mit der fruchtbaren Erde verband, so war das Haupt des Vesuvs und des Epomeo noch nicht mit Asche und Steinen, mit Strömen von Lava bedeckt, die Ruhe ihres Innern störte noch kein verderblicher Brand, kein Schwefellager, kein Zwiespalt der Elemente, ein schöneres Leben, eine fröhlichere Tätigkeit durchdrang jene Berge, das holdeste Grün bedeckte sie, Kräuter und Blumen wuchsen auf der Spitze, die Rebe entwickelte ungepflanzt, in selbstständiger Kraft, ihre üppigen Gewinde und die Frucht reifte ungepflegt im Segen des Lichts heran: jene kahlen leukogäischen Höhen, die der innere Brand nun verzehrt, jene Strecken von Cumä, vom Avern und vom Acheron, welche nun allmählich ersterben und jedem Lebendigen Gefahr drohen, umwehten damals balsamische Lüfte, getränkt vom Wohlgeruch heilbringender Pflanzen, und ewig frisch durch die Einflüsse des kühlenden Meeres.
So die organische Natur, und eben darum, weil die geistige noch in ungetrübter Ruhe, in unverdorbener Schönheit blühte. Denn diese ist die Erste, und jene ist ihr gehorsam, so wie der Mensch, wenn seine Seele in gleichmäßiger Bewegung verharrt, einer vollkommenen Gesundheit genießt, sobald aber jene die Gesetze überschreitet, und in Unordnung gerät, auch die Materie, in die er verhüllt ist, aus dem Zustand eines glücklichen Daseins hinaustritt.
Ich herrschte mit meinen gleichgeschaffenen Wesen in diesem seligen Reiche des Friedens. Unsere Wirksamkeit war die Beglückung des minder vollkommenen Geschlechts, dem du angehörst. Weder in uns, noch in ihm trübte sich die Harmonie. Wir weihten das neugeborene Kind zum Dienste des Guten und Schönen, wir erzogen es in der Furcht vor dem Schöpfer der Natur, in der Liebe zu seinen Gespielen, denn das Böse war noch nicht in der Welt, und weder der Mensch, noch seine Schutzgenien ahnten seine Geburt. Wir beschützten die züchtige Liebe, wir prüften die Neigung der Jugend, und fanden wir sie fest, so beschenkten wir sie mit einem Rosenkranze, der sie ewig zusammenknüpfte. Wir erteilten ihnen Rat, wo ihre beschränktere Einsicht nicht reichte,[700] wir halfen ihnen säen und ernten, denn Tätigkeit ist die goldene Quelle, aus der die unvollkommene Menschennatur ihr Glück, ihre Zufriedenheit schöpft, die Ruhe der Himmlischen eignet sich nicht für sie, und Arbeit war das erste Gebot, das ihr der Schöpfer gegeben. Nur von Früchten lebten die Sterblichen, weder die Tiere der Erde, noch des Wassers, noch der Lüfte töteten sie. So verfloß denn ihr Leben sorgenlos in den Beschäftigungen des Feldbau's, in den unschuldigen Freuden der Liebe, in den harmlosen Spielen eines noch unverdorbenen Sinns. Keinem fehlte die Nahrung, denn jeder arbeitete, und die freigebige Natur lohnte ihm die leichte Beschäftigung mit unerschöpflicher Fruchtbarkeit: kein Schweiß rann über die Stirne eines Ermüdeten, man pflanzte im Spiel! Keiner bedurfte des Trostes, denn keiner verlor, keiner des Arztes, denn keiner erkrankte; je älter sie wurden, desto mehr erheiterte sich ihre Seele, desto ähnlicher wurden sie uns: unsre Feste waren gemeinsam, wir flehten den Frühling an, und dankten dem Herbst, wir lobten das segnende Licht, und priesen die sanften Gewitter, wir opferten dem Tag für die muntere Lebenskraft, und der Nacht für die stärkende Ruhe; kein Element beschädigte die Glücklichen, und alle Wirkung des Lebens, so in der Natur, wie im Geiste der Menschen, hatte nur die göttliche Richtung zum Guten und Schönen. Damals trieb sich die Freude noch nicht im Rausch eines vergänglichen Taumels, wie du sie gesehen, und zerstäubte noch nicht beim Winken des Stabs in nichtigen Schellenklang, denn ihre beständige Begleiterin war die Weisheit. Damals klagte die Tochter der Urwelt noch nicht in den hallenden Felsen, ihr Herz leuchtete nicht, denn nur die Sehnsucht, nur der Schmerz erfüllt es mit Licht, damals ging ihr der Bräutigam zur Seite, alle Sterblichen huldigten ihr, denn alle übten die Treue, damals stemmte sich der Magnet, der die Felsadern bis zu den untersten Wurzeln durchzittert, noch nicht gegen die rauschenden Wasser an, und die duftige Reinheit, die nun in den Himmel entflohen, wandelte noch auf Erden mit der Tochter der Urwelt, verband ihre Hand mit der Hand des Königs, und hatte noch nicht die traurige Pflicht, die Verlassene, Harrende mit ihrer Umarmung zu trösten.
Viele Weissagungen hielten wir heilig, doch Eine mehr als alle. ›Im Meere‹, sagt sie, ›versenkt ist das Ei. In einer Schale liegt die Welt. Wird sich vermählen die Königin, so zieht's aus dem Meer.[701] Hundert Gewänder bedecken es! Aber wenn es zerbricht, wird kommen das Schicksal.‹
Die Zeit, da unser Sinn auf diese Weissagung der ersten Schöpfungstage gekehrt wurde, kam heran. Es beherrschte den fruchtbaren Vesuv und die schönen Ufer des benachbarten Meeres ein Jüngling von meiner Abkunft, gleich ausgezeichnet durch Schönheit, als durch Kraft und Lebhaftigkeit. Von ihm und seinem Stamme sprach die Weissagung: ›Feuer erzeugt Asche, Leidenschaft den Tod. Glücklicher aber, wer ihn leidet, als wer ihn schafft. Umarmst du die Königin, so kannst du Erd und Meer erschüttern. Lüftest du die hundert Gewänder vom Ei, so wirst du Neues sehen.‹
Eines Tages, als wir ein hundertjähriges Fest feierten und die Bewohner der fernsten Berge und Ufer herbeikamen, um an seinen Freuden Teil zu nehmen, als das Meer wimmelte von muntern Feen, die es übergleiteten und überschwebten, und wohl auch. Sterbliche, denen sie wohl wollten, und welche besonders fromm und heiter lebten, in großen Muschelwägen oder auf Zaubergewändern herbeibrachten, denn damals kam noch keinem der Gedanke der Schiffahrt, als alles nun, Unsterbliches und Sterbliches, am schönen Gestade des Meeres versammelt war, da wo nun von den Felsen des Posilip bis zum Fuße des Berges die Stadt sich ausdehnt, kam der Beherrscher des Vesuvs in aller seiner Schönheit mit glänzendem Gefolge herbei, und die strömende Menge teilte sich ehrerbietig, pries seine Stärke, und bewunderte die Reize seiner Jugend. Herrlich eignete sich für den stolzen Ausdruck seines Angesichts die goldene Krone, die sein Haupt schmückte, ein meergrünes Gewand floß von seiner Schulter, seinen Wagen zierten die prachtvollsten Edelsteine, die er aus den Tiefen und Schachten seines majestätischen Berges ausgesucht, und die seltensten Kostbarkeiten und Gewächse des Meeres, die er aus dem geheimnisvollen Abgrund hervorgeholt.
Als er nahte, erhob ich mich von dem Throne, den mir Geister und Menschen aus Rosen und andern duftigen Blumen erbaut, und begrüßte den königlichen Jüngling. Er aber hieß die Volksmenge und selbst die Wellen des Meeres schweigen, und sprach: ›Du kennst, o Königin, meinen Stamm und mein Reich! Aber du weißt nicht, daß ich die zärtlichste Liebe zu dir trage, und daß deine unvergleichliche Schönheit, deine Weisheit und Güte mein[702] Herz mit dem feurigsten Verlangen angefüllt hat, deinem Auge zu gefallen. Bekannt ist dir die Weissagung, die von unserer Vermählung spricht! Die Zeit ist herangekommen, ich teile mein Reich mit dir, wenn du dich entschließest, deinem jungfräulichen Stande zu entsagen, und mir die Hand zu reichen.‹
Als er so gesprochen, entstand ein allgemeiner Jubel in der Volksmenge. Tausende frohlockten, das Meer jauchzte, die Blumen meines Thrones durchbebte eine freudige Bewegung.
Ich bemerkte wohl die Neigung, welche der König zu mir fühlte, und nahm seine Huldigung mit freundlicher Miene auf. Aber ich antwortete nicht entscheidend, und sagte: ›Du ehrest mich, o Fürst des Berges! Soll die Weissagung erfüllt werden, und wünscht es so unser gesamtes Reich, so mag es wohl geschehen. Aber gönne mir sechzig Tage Zeit, und fordere dann die Antwort.‹
Der König hatte wenig Freude an diesem Aufschub, denn seine Liebe war ungeduldig, heftig und nicht von jener Mäßigung besänftigt, mit der ich meine Gefühle beherrschte. Er verabschiedete sich, und flehte zum Himmel um Gewährung seiner Wünsche.
Seine Ungeduld stieg von Tag zu Tag. Er saß in der Tiefe seines Berges, da wo das Meer an seine Wurzeln anspült, mitten in seinen Kammern voll herrlicher Metalle, und während er sonst im Verein mit fröhlichen Geistern die Erde mit wohltätiger Kraft erfüllte, damit sie dem hülfsbedürftigen Geschlechte der Menschen Nahrung und Früchte bringe, fing er nun an, dies segensvolle Geschäft zu lassen, die Ruhe, von welcher jede Glückseligkeit unzertrennlich ist, floh aus seinen weiten nächtlichen Gemächern, und wie sein Herz den Berg und das Meer beherrschte, so verriet sich nun sein ungestümes Pochen in den wilden Bewegungen, welche das Wasser bis auf den Grund durchwühlten, ja selbst in den Erschütterungen des grünen Hauses, worin er seine Liebesflamme nährte. Oft fuhr er auf den Flügeln der Winde, mit den Blitzen des Ungewitters über die See, und seine Schritte klangen wie Donner, oft eilte er über die schäumenden Wogen, und verweilte bei meinen friedlichen Blumenfelsen, welche in das unendliche Meer hinaussahen, flehte, daß ich ihm erscheine, daß ich die Zeit der Erwartung verkürze, ergoß sich in Klagen, die mein Herz rührten, und gebot den Winden und den Wellen, in melodischem Einklang mir den Schmerz seiner Liebe zu singen.
Mich betrübte diese störende Bewegung seiner Seele, und ich[703] mahnte ihn durch meine Boten, sich zu besänftigen, die Elemente ruhen zu lassen, sein Land zu segnen, seine Tätigkeit nicht zu unterbrechen, und ließ ihn hoffen.
So brach der Tag heran. Und schon mit der Morgenröte fühlt' ich an dem gewaltsamen Schwellen und Wogen des Meeres, mit welcher Ungeduld der Bräutigam die Sonne erwarte! Mit hallenden Donnern, mit leuchtenden Wettern kam er über die rauschende See geflogen, purpurn glänzte die aufsteigende Sonne durch die Wolken, in denen es stürmte, und flammte über die Berge, die das Ja der Vermählung erwarteten. Ich erschien auf der Spitze des Felsens, aber ich erschrak über die wilde Unordnung, in welcher Himmel und Erde zitterte, und sprach: ›Fürst des Berges, kläre die Lüfte auf, heiße die Wellen schweigen! Wehe, wenn dem Ei im Meere Gefahr droht! Nimm das Ja der Vermählung, und fordere morgen die Gäste zur Hochzeit.‹
Da durchbebte Entzücken den Bräutigam, seine Seufzer durchstürmten die untersten Tiefen des Meers, sein Freudenlaut überklang die rauschenden Elemente, und Blitze schlugen aus seinem klopfenden Herzen.
Aber ich sprach zu dem König: ›Zähme die Lust, und beruhige dich und die Welt! Denk' an die Weissagung, morgen erscheine, und ich ziehe das Ei aus dem Meere!‹
Damit gab ich ihm einen zärtlichen Gruß und verschwand. Und der Morgen der Vermählung erschien. Die Treue, die Tochter der Urwelt, weckte mich mit ihrem Kusse. ›Ich bin deine stete Begleiterin‹, sagte sie; die Weisheit kam und sprach: ›Ich weiche nie von deiner Seite‹, und die Freude der Unschuld rief: ›Wo jene beiden sind, da bin auch ich.‹ Die Elemente sandten ihre fröhlichsten Glückwünsche, und überreichten ihre Kostbarkeiten zum Brautschmuck, das Meer die wundersamsten Korallen, die Erde ihre Edelsteine und duftende Blumen, das Feuer sandte die Flamme für den Altar, und die Luft versprach die süßeste Musik. Es fiel ein Tau von echten Juwelen und Goldstaub auf die Erde, die unfruchtbarsten Felsen hatten sich mit Rosen geschmückt, der Himmel glänzte im blendendsten Lichtblau, alle Kräuter und Blumen entfalteten ihre Blüten, die Bäume füllten sich mit reifen Früchten, und ein Heer von Nachtigallen durchschmetterte die Lüfte mit Gesang.
Stündlich füllte sich Ufer und Meer mit den Gästen der Vermählung.[704] Zuletzt kam er selbst, der königliche Bräutigam, mit allen Wundern seines Reiches geschmückt, schön und jugendlich auf einem strahlenden Wagen, dessen Rosse Flammen hauchten: hundert Jünglinge schwebten ihm voraus mit goldenen Fittichen, die sie bis über die äußersten Höhen zu tragen vermochten, wohin sich je der Adler geschwungen, die immer seines Winkes harrten, ob er sie in den Abgrund des Meeres, oder in die metallischen Kammern der Berge, oder in die stürmenden Wetterwolken sende. Hundert Jungfrauen brachten Kronen und Blumengewinde, Edelsteine in ganzen Körben, Feengewänder von den kunstreichsten Händen gewebt. Aber wie reich auch das Gefolge sein mochte, das ihn in tausend Gestalten umflatterte, wie erstaunlich die Geschenke waren, welche von ganzen Zügen dienender Genien herbeigebracht wurden, so überglänzten doch alles das leuchtende Gespann, auf dem der König einherzog, die blendende Schönheit seiner Gestalt und die Strahlen, die von seinem Haupte ausgingen.
›Hebe das Ei nun‹, sprach zu mir die Tochter der Urwelt, ›ich begleite dich! Werde erfüllt die Weissagung, und wirke der Magnet!‹
Und mit Eile schwebten Beide über die See hin, an den Ort, wo das Ei versenkt lag. Die Tochter der Urwelt fand ihn mit dem Magnet auf, und zog das Ei des Verhängnisses aus den Wassern. Diese kochten und sprudelten und quirlten, denn trotz der hundert Tücher, von denen es umwickelt war, drang doch die glühende Hitze durch, und nur durch die Kraft des Magnets brachten wir es über das Meer weg zum Brautpalast, wo schon der König in ungeduldiger Sehnsucht seiner harrte.
Die Braut erschien, und ward mit dem Bräutigam allein gelassen, damit sie das Ei enthüllen sollten. Ihm stand die Weissagung vor Augen: ›Umarmst du die Königin, so wirst du Land und Meer erschüttern‹ Wir hüben an, die Tücher abzunehmen. Aber je weiter wir vorrückten, desto mehr sah' ich den König beunruhigt, desto leidenschaftlicher funkelte sein Auge, denn die allmählich freier wirkende Kraft des Ei's verbreitete einen Reiz um mich, dem der Bräutigam immer weniger zu widerstehen im Stande war. Es kam das letzte Gewand, und der Zauber äußerte seinen Einfluß so heftig auf den König, daß er zitterte, daß ein glühender Feuerschein ihn umgab: da hüllt' ich es ab, und golden lag das[705] Ei des Schicksals in seiner Flamme. Siehe, da hielt sich der wilde König nicht mehr, er streckte die Arme nach mir aus, und wollte mich mit Inbrunst umfangen. Ich aber sprang entsetzt zurück, und das Ei stürzte zur Erde.
Ein Donnerschlag, wie bis jetzt noch keiner Himmel und Erde erschütterte, erfolgte in demselben Augenblick, eine schwarze erschreckliche Gestalt flog aus der goldnen Eierschale, der König verwandelte sich in eine blutrote Flamme, und suchte mich mit den lodernden Armen zu umfangen. Da erschien die Tochter der Urwelt, ein unsäglicher Schmerz weinte aus ihrem blauen Auge! ›Rette dich, Königin des Frie dens‹, rief sie, ›das Schicksal ist in die Welt gekommen, der Tod ist erschienen! Schrecklich ist die Weissagung erfüllt. Dich aber trifft der Fluch des Verhängnisses, Flammenkönig von unreiner Begier!‹ Jetzt stürzte die Reinheit mit der Lilie herbei: ›Feuer erzeugt Asche‹, rief sie, ›Leidenschaft den Tod! Von hinnen auf ewig, Geist der Empörung! Das Ei ist zerbrochen, die Ruhe ist aus der Welt verschwunden‹ Sofort kam die Weisheit und rief: ›Wehe, wehe! das Volk hat der Schwindel ergriffen, es kreist in rasendem Tanz, und stürzt ohne Seele zur Erde! Fliehe, Geist des Wahnsinns, blutroter Bräutigam, deine Stunde ist gekommen.‹
Und mit verstärkten Flammen, mit wütender Gewalt wollte der Feuergeist die Braut umfassen, aber der Magnet im Busen der Tochter der Urwelt, aber die Lilie der himmlischen Schwester lös'te seine Arme in zerstäubende Funken auf. Feuriger Schweiß rann von seinem Angesicht, von seinen brennenden Haaren, Donner war seine Stimme, Blitze seine Blicke! Da rief ich aus mit gefalteten Händen: ›Vergehe Fels, verschwinde Palast, löse dich ab, Reich des Friedens vom unreinen Boden! Der Aufruhr ist kommen in die Elemente, die Leidenschaft in die Seelen, der Tod in die Menschen: eine neue Welt beginnt, denn das Schicksal ist da!‹
Und ich schlug mit dem Stab zur Erde, da verschwanden die Paläste, da floh der wütende König, sich vergrößernd mit jedem Schritt! Noch scholl der Tumult des Wahnsinns unter dem tanzenden Volk, Sterbliche vermischten sich mit Unsterblichen, die Freude verlassen von der Schwester Weisheit schwang den Becher und betäubte die Rasenden, da verfinsterte sich der Himmel, furchtbare Wolken stiegen aus dem empörten Meere, Nacht erschien, und man gewahrte nichts mehr als die ungeheure Flammengestalt[706] des Königs, der im Schmerz des Verlusts, in der Wut der Täuschung, im Sturme der Leidenschaft, im Zorn des ungestillten Verlangens mit den Elementen haderte, Berge erschütterte und Felsen zerschlug, das Meer aus dem Grund aufrüttelte, und endlich mit entsetzlichem Geräusche in seinem Berg verschwand. Aber kaum war er ins Innere gestiegen, als die Flammen seines Atems, seines Herzens die Wohnung anzündeten, als in unbeschreiblichen Strömen von Feuer und Rauch und Asche seine metallischen Abgründe sich entleerten, als eine Feuersäule unter krachenden Donnern in die Lüfte stieg, und das tobende Meer weithin erhellte, als ein Regen von flammender Asche, von zermalmenden Felsen aus dem Rachen des Berges flog, welcher den ebengeborenen Tod in Tausenden von Unglückseligen verbreitete, die dem Menschengeschlecht angehörten. In unübersehbaren purpurnen Fluten strömte der blutige Schweiß des unglücklichen Königs aus dem berstenden Felsen und rann verheerend und zernichtend über die Gärten und Hütten der fliehenden Menschen, bis zum Strande des Meeres, das dem brennenden Element entgegenschäumte, und selbst seine unschuldigen Bewohner versengt ans Land warf.
Bis in mein Reich herüber erstreckte sich die grauenvolle Nacht, die das Ungeheuer in seinem Schmerze, die das ankommende Schicksal, der schreckliche Tod verursacht. Und gleich einer Kette von geheimen Ursachen und Wirkungen wütete die Empörung des Elements über die Landzunge hin, allenthalben brach es in Feuerstrahlen aus den zerschellenden Felsen, aus der einsinkenden Erde, und schon brannten die Quellen meines äußersten Berges, schon kochte das Wasser in seinen lautern Schachten, schon stiegen auch dort die schlängelnden Blitze aus dampfender Öffnung.
Da erhub ich den Stab der Macht, bange, daß der Zorn des Königs mein Reich verzehre, und gebot den Felsen, daß sie sich lösten vom Lande der Empörung. Und mit unterirdischem Krachen schieden sich die Berge, und schwammen ins Meer zurück, und die tosende See brauste zwischen sie hinein. Da ließ die Tochter der Urwelt den Magnet wirken, er teilte den Felsen die Kraft mit, im Abgrund festzuwurzeln, und hielt die abgeschnittenen Wände, hielt die nachfolgen den Ströme des Feuers zurück, das sie entzünden wollte.
So entstanden die Inseln, die hier vor dir aus dem Meer erstehen,[707] und der Aufenthalt meiner Feen, und einer friedlichen Menschengattung sind. Seit jener Erfüllung der Weissagung ist freilich nie wieder die Ruhe auf Erden einheimisch geworden, denn wie sich das Reich des Gemüts entzweit, wie die Rohheit der Leidenschaft, das unreine Verlangen seine einst unsterbliche Schönheit getrübt und verwüstet, wie die beunruhigten Neigungen den Haß erzeugt, und die Liebe nur noch ein schwaches Überbleibsel der Urwelt dem Bedürfnis entspringt, die Schwächen der verdorbenen Natur entdeckt und eine Folge ihrer Mangelhaftigkeit ist, indem sie sich nur in einem Andern vervollkommnen möchte, wie der Tod auch die reinem Neigungen und Bestrebungen trennt und endet, so hat auch die äußere Natur angefangen, auf sich selbst und die geistige zerstörend zu wirken; die Elemente, wenn sie gleich die Lebensquelle des Menschen sind, und sein Dasein bedingen, bereiten ihm doch allenthalben den Tod; der König des Berges aber hat die Weissagung zu seinem Leid nur zu sehr erfüllt, denn sein Zustand ist der unglückseligste, seine Qual ist endlos, sein Herz veräschert sich nie ganz, ewig brennt es, und füllt das Innere der Behausung mit unreinem Stoffe, ewig bekämpft und bestreitet es sich selbst, seine Kräfte haben ihre Gegner nur unter sich, und wenn sich der Hader zu wild verwickelt, das Haus zu voll ist, das Herz zu sehr gepeinigt ist von Brand und Qual, so schleudert der rasende König die blutigen Ströme aus dem offenen Rachen, sein Schweiß bedeckt die Rinde des Hauses, und verzehrt mit seiner Feuerflut alles Lebendige, bis sich der Schmerz mit dem Toben abkühlt, nur noch Seufzer des Unglücklichen in stillern Flammen über dem grauen Aschenhaupte glühen, und die Ströme von blutigem Schweiß zu Lava erkalten.
Das Schicksal, das er in der Welt einführte, hat ihn ewig in den Berg gebannt. Aber freilich hindert ihn die Gefangenschaft nicht, seine verderblichen Einflüsse weit außerhalb desselben fühlen zu lassen, er begräbt Städte, tötet Menschen und ihre Anpflanzungen, und hat es oft schon versucht, durch unterirdische Wege und Verbindungen meine Inseln zu entzünden und zu erschüttern. Nur die Tochter der Urwelt, nur die Macht meines Stabs beschirmt das Reich vor dem feindlichen Nachbar.
Er ist unterdessen alt geworden, denn Schmerz und Leidenschaft zerstört auch geistige Kräfte. Von seinem dampfenden Hause ist die Fruchtbarkeit gewichen, graue Lava und Asche bedeckt[708] es, und wo der Mensch seine edeln Reben dem heißen Boden vertraut, ist er nicht sicher, daß der bösartige Geist in einem Ausbruch seines Grimms die reifende Frucht verderbe.
Aber Manfred, es dämmert der Morgen, und meine Erzählung ist zu Ende, denn was dich betrifft, so muß ich schweigen. Daß die Tochter der Urwelt ihre Erlösung von dir erwartet, hast du vernommen, daß Manuele dir genommen worden, fühlst du schmerzlich, ob du sie aber wieder erreichst, das hängt einzig von dir ab. Und nun verschwindet, Lilien, und tragt eure reinen Strahlen in die Felskammer des Magnets zurück.«
Damit verschwanden die glänzenden Blumen, und schon erhellte der Morgen auch den östlichen Himmel, und die flammenden Seufzerhauche des Königs im Berge erblaßten. Endlich stieg die Sonne strahlend über den Horizont, und beleuchtete die unermeßliche Meereswelt, welche der Blick von der Felsspitze des Eilands aus beherrschte, die schönen Inseln, welche am Ende des Meerbusens in sanften Linien aus dem Azur der Flut empordufteten, als wären sie nur Wellen, als hätten sie kein bestimmtes Dasein, als schimmerten die morgenrötlichen Lüfte durch sie, während die Sireneninseln am Vorgebirg der Minerva schroff aus dem Meer stiegen, und nur die Ufer des griechischen Pästum und die Berge Kalabriens in Glanz und Sonnenstrahl zu ungewissen Lichtgebilden verschwammen.
Indem erschien ein Blumenwagen, den weite mächtige Flügel statt Rädern trugen, die Königin hieß den Helden einsteigen, und beide wurden sanft von der Spitze des Solaro über die rauhen Felshänge gen Norden getragen, bis sich der Wagen endlich dem Meere zusenkte, und der Prinz sich am Eingang der Blauen Grotte befand.
Wieder umfing ihn der phosphorische Zauberglanz, holde Gestalten schwebten ihm entgegen, die Königin ward unsichtbar, und der Prinz sah sich von jenen luftigen Dienerinnen der Fee wieder in den Park gebracht, den das blaue Licht beschien. An einem murmelnden Bach, unterm Gesang der Nachtigallen, umgeben von Blütenbüschen, Orangen und Palmen, lagerte er sich und genoß die Freuden einer Tafel, um die ihn selbst König Manfred beneidet haben würde. Als er gesättigt war, bereiteten ihm die heitern Geister ein weiches Lager im Freien, im Duft der Rosen, und eine sanfte Musik wiegte seine ermüdeten Sinne bald in[709] einen glücklichen Schlummer hinüber.
Als er erwachte, ging er einsam in den Lorbeeralleen des Parks auf und ab. Es kam die Nacht, und die Königin erschien. »Eile«, sagte sie, »damit die seufzende Treue den Bräutigam wieder umarme, eile, ich führe dich über die nächtliche See!« Manfred folgte ihr, und der Zauberkahn stand schon in der Blauen Grotte bereit. Es wichen die Felsen hallend auseinander, luftige Genien spannten einen Segel auf, dessen rosenfarbiges Licht sich über die Fahrenden ergoß, ein frischer Wind schwellte ihn, so daß der Kahn zu fliegen schien, und die Wellen glänzten und funkelten in blitzenden Strahlen um ihn.
»Siehst du dort den Fürsten des Bergs«, sagte die Fee, »wie er Feuer ausatmet? Er ist dein Feind, und beschützt den Mohren.«
»Wo ist Manuele?« fragte der Prinz.
»Noch schwebt sie zwischen seiner und meiner Macht. Heil dir, wenn du die Tochter der Urwelt erlösest! Dann ist die Kraft des Bergkönigs auf immer gebrochen, nie wagt er sich wieder ins Reich des Friedens, und die Flamme seines Zorns wird sich verzehren in sich selbst.«
»Was denkt mein König von mir?«
»Er hält dich für tot, und beweint dich!«
»Ha noch ist dies Schwert zu meiner Seite!«
»Bekämpfe dich selbst, so erlegst du den gefährlichsten Feind.«
»Mächtige Königin, führe mich nicht ab von der Bahn des Ruhmes! Liebe und Ehre sind die Worte meines Lebens.«
»Ruhmsüchtiges Menschenherz, die höchste Liebe ist Treue, die höchste Ehre Selbstüberwindung!«
Alle Bewohner des Meers kamen zur Oberfläche herauf, welche der Rosenschein des Segels magisch erhellte, und gaben ihre Freude und Verehrung durch Hüpfen und Plätschern zu erkennen. Eifrig ging auch der Riesenschatte des Meerwächters über die Wasser von Kap zu Kap, und bückte sich ehrerbietig, so oft er an dem fliegenden Kahn vorüberwandelte.
Man langte am Ufer des ereträischen Eilandes an. »Hinfort«, sagte die Königin, »bist du dir selbst überlassen! Du bist dem menschlichen Auge unsichtbar, und nur die Geister erkennen dich! Nur dein eignes Gefühl, nur die Wahl zwischen Gutem und Bösem läßt dich fromme und heimtückische Geister unterscheiden. Nimm diesen Ring, und steck ihn an den Finger, wehe dir,[710] wenn er schmilzt! Ich verlasse dich, gedenke Manuelens, gedenke der Tochter der Urwelt!«
Mit diesen Worten verschwand die Fee zusamt dem Kahn, und der Prinz sah sich allein. »Du bist dem menschlichen Auge unsichtbar!« sprach er zu sich selbst. »Und nur die Geister erkennen dich! So war' ich denn selbst ihnen ähnlicher geworden. Ach nein«, setzte er bald halb traurig, halb unwillig hinzu: »Was ist dieses Geschenk der Unsichtbarkeit? eine neue Fessel, eine neue Beschränkung meiner Freiheit! Die Geister werden mich nie für ihres Gleichen halten, und ich kann weder mit den Guten, noch mit den Schlimmen Freundschaft schließen: denn jene finden mich zu mangelhaft für ihre frommen, und diese viel leicht eben recht für ihre bösen Zwecke. Beiden müßt ich den Diener spielen, aber ich möchte weder im Himmel noch in der Hölle ein Sklave sein! Denn es dünkt mir gleich erbärmlich, das Gute, wie das Böse gezwungen zu tun! Was hast du mit mir beschlossen, übermächtiges Wesen! Unvermerkt bin ich dein Diener geworden, und du läßt mich nicht einmal wissen oder ahnen, was deine Gedanken sind! Ich soll mit eigener Kraft Manuelen befreien, soll selbst einem unbegreiflichen Wesen deiner Art Erlösung von seinem Weh verschaffen, und bin doch das blindeste Spielzeug deines verborgenen Willens! Nein! ich fühle mich nicht beglückt durch die Verbindung mit vermögendem Kräften! Ich habe gelernt nur die Gedanken meines eigenen Gehirns, nur die Stärke meines eigenen Arms als Gesetz für Andere zu betrachten, und was sind jene nun gegen die unauflöslichen Geheimnisse, die unerforschlichen Rätsel eines Geschöpfs, das war, als der Herr die Welt schuf, was ist diese gegen die Macht eines Geistes, der die Inseln sich losreißen läßt vom Festland, dessen Seufzer Feuerströme sind, welche Erd und Meer und Himmel in Schrecken setzen!«
Mit solchen Gedanken irrte er die schönen Wege am Ufer des Eilands hin und her. Wohl bemerkte er die lieblichsten Wesen, welche zuweilen in anmutigen Kreisen um einen Orangenbaum schwebten, zuweilen in artigen Gruppen im Mondlicht zusammensaßen, zuweilen in der Flut auf- und niederplätscherten, in den Lüften sich jagten und fingen, und wieder nach Irrlichtern haschten. Aber er näherte sich keinem, ob wohl manch schalkhafter Engelskopf ihm winkte, oder eine Blume zuwarf, er verfiel in eine tiefe Schwermut, fühlte sich höchst unzufrieden mit[711] seiner Sklaverei, haßte die guten, wie die schlimmen Dämonen, nur weil sie mächtiger, der Kraft nach vollendeter waren, als er, und rief: »O wär' ich eher in Fesseln eines großen Helden, der mich im Kriege gefangen, es bliebe mir mein Selbstgefühl auch im Gefängnis, und ich wollte mich so unbesiegt fühlen, als mein Sieger! Aber wie mess' ich mich mit diesen elementarischen Mächten? Noch schwindeln mir die überfüllten Sinne von den unaussprechlichen Wundern jener Insel! Du, o Beherrscherin dieses Reiches, du scheinst die Königin der Liebe, der Treue, der Unschuld und des Friedens zu sein, aber warum mich so grausam fühlen lassen, wie unerreichbar du über mir stehst, warum so eigenmächtig mit mir walten, ohne mich als Menschen zu ehren?
Ja«, sprach er zu sich selbst, indem er sich endlich zur Erde lagerte, »hätt' ich einen jener gewaltigen Geister zu Gebot, nur Einen, und war er aus dem Reich des Friedens oder des Aufruhrs, ich wollte – O wahnwitziger Traum! Wie wir Menschen in jeder Handlung bis ins Feinste und Unsichtbarste hinab die Triebfeder eines persönlichen Interesse's haben, so hätten es die Geister nicht auch? Sie, die so mächtig sind? Und mit der Macht verbände sich nicht die Eigenliebe, die Lust, zu erweisen, was man vermöge, die Freude, daß er von einem Niederern anerkannt wird, daß er wirkt, daß er schafft! Und ich also wäre doch nur das Spielzeug, doch nur der bewundernde Schwächling, der gefesselte Mensch? Nein, es gibt mit höhern Kräften kein würdiges Verhältnis, als ein feindliches! Lieber unterliegen im Ehrenkampfe, und diesen Stolz, dies Gefühl des unsterblichen Ichs im Menschenbusen bändigt auch im letzten Röcheln kein göttlicher oder sterblicher Sieger.«
Trübselig entschlief er endlich. Mit dem kommenden Morgen erhob er sich und sprach: »Laß mich meines Gleichen suchen.« Er verließ die einsamen Bergwege, häufig durch das überreiche: Weinlaub ins Meer hinausblickend, und zu dem schroffen Zauberfels, der drüben aus ihm herausduftete! Er trat unter die Menschen, aber sie sahen, sie erkannten ihn nicht. Es begegneten ihm grauhaarige Greise, Bilder menschlicher Weisheit und Einsicht, rüstige Männer in froher Beschäftigung, Bilder sterblicher Kraft, blühende Mädchen und Frauen, Bilder jugendlichen Reizes, heitern Glückes, aber sie sahen, sie erkannten ihn nicht! Keine Türe verschloß sich vor ihm, er erschien im geheimsten Gemache, wo Zufriedenheit, Tätigkeit, Vertrauen und Liebe wohnte, er belauschte[712] selbst das unschuldige Kind, wenn es in glücklicher Verborgenheit mit dem Auserwählten kos'te, belauschte die zartesten Freuden der Mutterliebe, wenn sie den verlangenden Säugling an den Busen nahm; er sah jeden in seinem Kreise, seiner Ordnung und Beschäftigung, mit seinen Leiden und Genüssen, aber er blieb ausgeschlossen von warmer tätiger Teilnahme, die Schmerzen seines Innern, die Qual seines Zustands kannte niemand, und wie ihn der Stolz und die Herrschsucht von den Geistern weggetrieben, so floh er bald die Menschen aus Mangel an Erwiderung.
Mit einem Gemüt, das sich immer mehr verschattete, je einsamer, je abgeschlossener, je schwankender zwischen dem Stolz gegenüber den Dämonen, und dem Geschlechte der Menschen es sich fühlte, bestieg Manfred den Epomeo.
Lange hing er an dem ungeheuern Bild der Meeresflächen, an den beiden Golfen, den Inseln, dem Vesuv. Plötzlich sah er einen alten Mann neben sich sitzen. Unmutig, daß er in seiner Einsamkeit gestört worden, rief er: »Was kommst du, weißbärtiger Alter meine Ruhe zu stören?«
»Ich bewohne diesen Berg seit vielen Jahrtausenden«, gab er zur Antwort.
Manfred stutzte. »So wollt' ich doch lieber«, rief er, »daß du seit Jahrtausenden darin begraben lägest!«
Der Alte lächelte und sprach: »Ich verstehe deinen Unmut, stolzes Menschenkind, aber du hast Unrecht, wenn du mir zürnest. Auch wir haben unsere Leiden; in jenem Aschenberge dort brennt das unglückseligste Herz, das je von einer Leidenschaft erfaßt wurde, und bis in meine Bergkammern dringt zuweilen durch den Grund des Meeres sein entzündendes Schüttern. Das Reich des bösen Feuers hat seine geheimen Tore, und noch dampfen und kochen geschwefelte Wasser in Menge durch die Adern dieses Eilands, nur die Mildtätigkeit der Fee hat sie zum Heil des verderbenden Menschengeschlechts verwandt.«
Manfred erhob sich, und wollte den Berg hinuntersteigen.
»Warum fliehst du mich, Manfred?« fragte der Alte.
»Bist du ein Geist der Guten?«
»Frage dich selbst.«
»Oder ein Sklave des Bergkönigs?«
»Fürchtest du dich?«
»Das bilde dir nicht ein, übermütiger Geist. Du bist mir gleich[713] lästig in beiderlei Gestalt!«
»So gehe zu deinen Menschen!«
»Und du spottest meiner? Ist das der Wille der Königin, mich auf's Tiefste zu demütigen? O Fluch dem verhaßten Geschenk dieser Unsichtbarkeit!«
»Eitle Seele«, rief der Alte, »dein sämtlich Fühlen und Trachten ist nur die kleinste Selbstsucht! Warum fliehst du die Geister? aus Eigenliebe. Warum die Menschen? aus Eigenliebe! Warum hassest du jene? weil sie erhaben sind über dein Ich! Warum suchest du diese? damit sie abspiegeln dein Ich! Was lockt dich zum Kampfe des Schwerts? Die Liebe zum Ruhm! Was ist Ruhm? Liebe des Ich! Was füllt deine Seele mit Schmerz? Liebe zum Weibe! Was suchst du im Weibe? Erwiderung. Was ist Erwiderung? Abspieglung des Ichs! Liebe des Ichs!«
»Höhnst du so meiner«, rief Manfred zähneknirschend, »so möcht' ich euch allen den grimmigsten Haß erklären!«
»O wen hassest du? den, der hinderlich ist dem Ich!«
»Fluch diesem Ich, ich hass' es!«
»Du lügst, Sterblicher! Das vermagst du nicht. Haßtest du dich, so würdest du dich selbst als Nichts denken und wünschen!«
»Und wenn ich's denke?«
»So denkst du eben, daß du ein Ich bist!«
Damit verschwand der Alte. Manfred schäumte vor Wut. Die Sonne sank in flammendem Purpur in das wiederleuchtende Meer! »Ha«, rief er, »so wär' auch deine Wirkung, dein ganzes ungeheures Sein, du ungemessen Gestirn, so wär' es nur Liebe zu deinem eigenen Bild? Ist's nicht, als ob dich das Entzücken verschönerte, wenn du dein glühend Angesicht im Meere spiegelst? Was ist am Ende der Unendliche selbst? Das höchste Ich! Was ist sein Wirken und Schaffen, was ist sein Grund? Sein Ich! Was ist das Geschaffene, was ist die Welt? Der Spiegel seines Ichs! Fürchterlichster Gedanke, der dies unermeßliche All mit Einem zernichtet. So wäre denn nur ein Einziges Ich? Wir alle wären nur sein Wiederglanz, unsre Gedanken und Taten nur Schatten des einzigen Ichs, unsere höchste Begeisterung, unsere seligste Verzückung, unsere stolzeste Trunkenheit, nur der Regenbogen, den jene Sonne des einzigen Ichs in den verstäubenden Dunst der Erde zeichnet? alle Blüten und Früchte unserer Seele nur Erzeugnisse seines allumfassenden Lichtes? Unsere Geburt[714] nur die erste Erscheinung der Knospe, unsere Jugend die Blüte, unser Alter der Herbst, unser Tod der Winter? Deutet nicht alles in der Natur auf dieses entsetzliche Ich? Ist diese Selbstsucht nicht Gesetz im Spiel der Elemente? Äugelt das Bild des Berges, den das Wasser wiederstrahlt, nicht rückwärts gekehrt wieder dem Urbild zu?
Es ist entschieden!« rief Manfred aus. »Er hat Recht, der schreckliche Urgreis!«
Noch streifte ein purpurnes Licht und violette Schatten über die Inseln hin, im Element des Meers spielten die reizendsten Farben des Edelsteins zusammen, der letzte Sonnenstrahl, der über Land und Wasser flammte, rötete auch das Angesicht Manfreds, und der Feuerball versank in der noch lange nachleuchtenden See.
Der Prinz eilte hinab. Eine unruhige Nacht folgte auf den unruhigen Tag, und das Morgen war wie das Gestern. Mehr als einmal ging dem Unglücklichen die Sonne auf, und erweckte ihn nur zu tiefern Qualen.
In einer Nacht, da die Unzufriedenheit in ihm auf den höchsten Grad stieg, und er laut die tyrannische Königin aufforderte, das entsetzliche Geschenk der Unsichtbarkeit zurückzunehmen, erschien ihm eine alte Frau. »Folge mir«, sprach sie, »ich will dich von deinem Kummer befreien!«
Manfred war zu verzweifelt, als daß er sich lange bedacht hätte, er folgte. Die Frau führte ihn in eine einsame Gegend der Insel, nahe an's Meer, und sagte: »Hier zwischen den Felsen wohnt die Schlange. Sieh ihr so lang' ins Auge, bis dir schwindelt, bis du Lust fühlst, dich auf sie zuzustürzen, und du wirst deinesgleichen wieder sichtbar werden.«
Manfred sah eine große grüne Schlange im Grase liegen, deren Augen unsäglich hell glänzten. Er tat, was die Alte verlangte, er blickte starr und regungslos in das wilde verräterische Licht, bis er sich unwiderstehlich getrieben fühlte, dem lauernden züngelnden Tier sich entgegenzuwerfen. Da faßte ihn die Alte mit Gewalt, hielt ihm die Augen zu, und rief: »Genug, oder du bist verloren!«
Der Prinz trat zurück, und ließ sich einige Schritte mit verdeckten Augen führen, dann verschwand die Hand, und mit ihr die Alte.
Einsam bracht' er die Nacht zu. Am folgenden Morgen aber[715] ging er die Menschen aufzusuchen. Es tat ihm herzlich wohl, als ihm die ersten Insulaner begegneten, und ihn ehrerbietig begrüßten. Während er so einen luftigen Bergabhang hinwandelte, der mit schwer beladenen Weinreben, mit Feigen und heranreifenden Orangen überdeckt war, und durch die efeubehangnen Mauern, durch einsame Zypressen und mächtige Aloëstauden einen Blick in die zarteste Meerlandschaft gewährte, vernahm er in der Ferne Tamburinschall, und das Jauchzen eines fröhlichen Volks.
Schon hatte er sich entschlossen, sich diesen Menschen beizugesellen, als er ein bildschönes Mädchen aus einer von Bäumen umschatteten Hütte treten sah. Das reizende Kind trug einen Traubenkorb auf dem Kopf, und schien zu jener jubelnden Gesellschaft zu gehören. Sein leichter und fast leichtfertiger Anzug mußte Lüsternheit erwecken, und das glutatmende blühende Gesicht mahnte auf's anmutigste an die Freuden des Tanzes, des Weins und der Liebe. Manfred, von den Reizen des lieblichen Menschenkindes getroffen, näherte sich ihm und grüßt' es freundlich.
»Dank Euch, schöner Ritter«, antwortete die Schelmische, und Manfred bat um eine Traube.
Schnell nahm sie den Korb ab, und der bezauberte Held hing voll Verlangen an den wohlgebildeten Teilen, die sich enthüllten, als sie sich niederbückte, und ihm eine süße duftende Frucht auslas.
»Du gehörst wohl zu den Fröhlichen«, sagte der Prinz dankend, »und bist gewiß so gefällig, mir zu erlauben, daß ich mich mit ihnen freue.«
»Und warum nicht«, versetzte das Kind lächelnd, »sie feiern die Weinlese, und jeder muntere Gast ist willkommen.« Der Ritter fühlte das innigste Wohlbehagen, menschlich unter Menschlichem zu sein, und das Schelmenauge der Weinleserin traf ihn so feurig, daß er der Lockung nicht widerstand, und mit ihr der Vigne zuging.
Dort finden wir ihn bald unter den phantastischen Gestalten der Jubelnden. Sie gleichen einem Schwarm von Bacchanten, trunkene Männer und Jünglinge, die Haare bekränzt mit Weinlaub, schwingen die Becher in der Hand, und leeren und füllen! Wollüstige Mädchen schlagen das Tamburin, und spielen mit mannigfachen Guirlanden! Blumenkränze umflechten ihr fliegendes Haar,[716] und beschatten das lustflammende Gesicht; hier schien der zarte sittige Sinn, jede Fessel der Scheu verbannt zu sein! Die Sinne glühten, und erregten wieder die Sinne, das Verlangen schmachtete nach Genuß, und der Genuß feierte die Wiedergeburt im neuen Verlangen. Den Kräften der Erde, der Glut des Trankes, dem Blick eines Auges, dem Wogen eines Busens war die züchtige Regung der Seele gewichen! Es dufteten die Blumen, es schäumte der Wein, es flammten die Lippen, es schwang sich der Fuß im saturnalischen Tanze. Mann gesellte sich zu Weib, und drehte sich, Becher und Kranz in den Händen, im betäubenden Reigen.
Schon hat Manfred von dem Feuerwein gekostet, der ihm mit magnetischer Kraft durch die Nerven brennt, schon hat er die Hand seiner Schönen ergriffen, und die schweren Gewänder abgeworfen, schon blühn ihm Rosen in den Haaren, und er fühlt den verlangenden Druck einer Hand, die Gefühl durchbebt, die Lust verheißt: schon umnebelt ihm die schmeichlerische Gefährtin, der Sturm der vorüberflatternden Paare, der Schall des Tamburins, die Flamme des Bechers den Sinn, schon schwingt er sich mit ihr im wildesten Tanze, und umflicht mit zitternden Armen den schlanken Leib, schon ermüdet ihn die kreisende Bewegung, und er zieht die halb widerspenstige, halb lüsterne Schöne zu sich auf einen Rasen, schon flüstern die brennenden Lippen Worte der Liebe, flehen und verheißen, wünschen und vergönnen, schon schlingt er den Ann um sie, und fühlt sich wieder umschlungen, während die rasenden Tänzer des zärtlichen Paares nicht achten, als der Prinz zumal einen unsäglichen Schmerz in der Hand fühlt, die auf dem schwellenden Nacken liegt, und das geschmolzene Gold des Ringes über ihn hinabträuft.
Indem bebt die Erde, es erdröhnt ein fernes Getöse, wie der Donner des Berges; urplötzlich verschwindet der Tag, und die düstersten Wolken fliegen dampfend über die Insel her! Ins Nichts zerflattern die Tänzer, in den Armen, an seinen Lippen sieht Manfred die schöne Verführerin vergehen, manche verwandeln sich vor dem Verschwinden noch in höllische Gestalten, und ehe sich's der entsetzte Sterbliche klar bewußt wird, was vor seinen Augen geschieht, sieht er auf einem Drachenwagen die Königin der Inseln in wetterleuchtenden Wolken schweben.
Schon ist das ganze Schattengezücht zerstoben, als sie dem errötenden Ritter zuruft: »Wo ist dein Ring, o Sohn der Prüfung?[717] Fühlst du, wie das Herz der Einsamen in den Felsen glänzt? Fühlst du, welch ein Geist es war, der dich in's Auge der Schlange blicken ließ? Siehst du dich getäuscht, stolzer Verächter der Geister, verblendeter Menschenfreund, verirrtes Kind der Selbstsucht? Blick' auf in's Reich der Reinheit und stürze beschämt zu Boden.«
Und sieh die Wolken teilen sich, und eine süße liebliche Helle dringt durch die fliehenden Schatten. Mitten im lichtesten Himmelblau erscheint Manuele auf einem Rosenbette, überdeckt von den Wallungen ihrer blonden Haare, und die weißen Arme ringend nach der Erde. Trauernde Genien sind beschäftigt, in goldenen Schalen ihre Tränen aufzufassen, ein unaussprechlicher Schmerz drückt sich in ihren Bewegungen aus.
»Wenn der Geist des Berges in Stürmen und Wettern gewütet«, sprach jetzt die Königin, »und mein weinendes Auge mit dem Glanz seiner Tränen und der Sonne des Friedens den Regenbogen in den Himmel zauberte, dann fielen goldne Schalen zur Erde, und die Genien sammelten sie für das feuchte Auge des Reinen, das nun im Jahrtausend des Bösen nicht mehr trocknet. Manuele weint um dich, weint um deinen Fall! Aber, wie ich die Liebe bin, so bin ich die Langmut! Zeige, Held des Schwertes, zeige die Kraft in der Treue! Überwinde die Sinne, so rettest du dein Herz! Hinfort wirst du mich nicht mehr sehen, bis die Zeit vorüber ist!«
Mit diesen Worten flog die Königin weg, und bald entschwand der Drachenwagen im dampfenden Gewölk, es zerrann auch dieses, und der blaue Himmel schien wieder auf die Erde herab.
Dies alles erweckte ein wunderlich Gemisch von Empfindungen und Gedanken in unserm Helden. Die Täuschung, das Gaukelspiel des Feindes, die in seinen brünstigen Armen verschwindende Schöne erregte bittern Unmut in ihm, die Erscheinung der Fee, ihre strafenden Worte, das rührende Gesicht in den Wolken, das Bild der jammernden Geliebten beschämten ihn, aber der ungezügelte Stolz, das unzerstörbare Selbstgefühl erhoben sich und verdrängten jedes andere Gefühl, außer der Sehnsucht nach der teuren Verlornen. Denn so ist das Menschengemüt, daß es das Bewußtsein auch einer unreinen Handlung gern zu entschuldigen sucht, je kräftiger, tatfähiger, ruhmbekränzter es ist, desto weniger kann es die Scham eines Fehltritts dulden; es beschönigt, und[718] aufgereizt, wie es ist, geht es im Gefühl eines guten Grunds, im Trotz der ungebändigtsten Leidenschaft endlich so weit, daß es sich beleidigt, gekränkt, entwürdigt glaubt, und mit höhern Mächten rechtet.
So fing auch Manfred an, der Gewalt der Königin zu grollen, welche ihm schon vorher lästig gewesen, und nun noch drückender für ihn wurde, da sie ihn schwach gesehn.
Er brachte qualvolle Tage zu, Menschen und Dämonen floh er gleich unmutig, und es fehlte nur noch der Ehrgeiz, um ihm seinen abhängigen Zustand ganz und gar verhaßt zu machen. Der Ruhm seines Königs, der auch in der friedlichen Insel erscholl, steigerte seine Ungeduld aufs Höchste!
»Durch eigene Kraft«, rief er oft aus, »soll ich Manuelen befreien? Und wo soll ich diese betätigen, ich, den der unerforschliche Eigenwille einer tyrannischen Macht in verhaßter Einsamkeit, in der Stille einer abgelegenen Insel, fern von der Gelegenheit zu jeder glänzenden Tat, ohne Schwert und Heer, wie ein schüchternes Weib hält? Ist's nicht sie, die alles tut, in deren Hand ich nur wie ein spielender Knabe bin?«
So saß er eines Tages trübselig am Strande, als er ein großes Schiff mit vollen Segeln von der Seite der hohen See hersteuern sah. Der kriegerische Anblick des majestätischen Baues, die wehenden Flaggen, und die nach und nach hörbare Schlachtmusik an Bord wirkte auf den Prinzen wie Sirenengesang. Sein Herz pochte, unwillkürlich griff er nach dem Schwert, und rief aus: »Unwürdige Trägheit, in der ich mich verzehre! Glücklich, dreimal glücklich, wer ein solches Schiff befehligt!«
Indem verschwand es hinter dem Kastell. Lange verharrte der Held noch, und sah trauernd in die unendliche See hinaus, endlich machte er sich auf, zum Hafen zu gehen.
Da vernahm er wieder schallende Musik. Schon hatte das Schiff Anker geworfen, und die kriegerische Mannschaft ordnete sich. Aber als Manfred sichtbar wurde, siehe da schmetterten Trompeten, da ertönte ein lauter Jubel, da richtete sich alles nach ihm, da umgab ihn frohlockendes Volk, und ein fürstlich gewaffneter Ritter in prachtvollem Gefolge trat ihm entgegen.
»Sei dem Himmel Preis«, hub er an, »daß ich den Helden des Ruhms gefunden! Erstaunt bin ich aber, ihn in der Einsamkeit, in untätiger Stille zu finden!«[719]
»Wen suchst du, Unbekannter?« fragte Manfred, dem das Herz heftiger klopfte.
»Ich suche und habe gefunden den Sieger der Schlacht, den unüberwundenen Kämpfer, den Stolz des Königs, den Prinzen Manfred.«
»Und dein Begehr?« fragte dieser mit glänzendem Auge.
»Dein Arm, dein Schwert ist's, was ich erflehe. Hülfe begehr' ich von dir, denn ohne dich bin ich verloren. Ich bin der Herr der entlegenen Insel Ventilene, die du bei klarem Himmel von den Höhen dieses Eilands wohl tief im Meere erschauen kannst. Ein räuberischer frevlerischer Mohrenfürst hat mich, nicht mit Waffengewalt, sondern mit den Künsten der Hölle, aus dem Besitz meiner Herrschaft vertrieben! Du falt'st die Stirne, dein Auge funkelt, ja daß ich's dir nur gestehe, der Mohr ist's, der Manuelen dir entführt, der Manuelen auf meiner Insel verbirgt.«
Der Prinz sprühte Blicke der Wut, und versetzte nach langem Schweigen: »Sprichst du die Wahrheit?«
»Komm, und sieh!« antwortete der Ritter. »Ich rüstete ein Schiff aus, und wollte mich dem Ohngefähr des Meeres anvertrauen. Schon segelten wir in der See, ungewiß, wohin wir lenken sollten, als eine mächtige Fee, ein übernatürliches Wesen von unbeschreiblicher Schönheit auf dem Schiff erschien, und die Worte zu mir sprach: ›Richte deinen Weg nach Ischia, dort weilt in Abgeschiedenheit dein Held, und wartet dein. Fleh' ihn um Hülfe an, ohne seinen Arm gewinnst du dein Reich nicht wieder, Manfred wird den Mohren töten, und seine Geliebte wieder erlangen.‹«
»Ha das wird er!« rief der Prinz, und zog das Schwert. »Bist du es endlich, Königin der Blauen Grotte, die mich dem Schimpf dieses Eremitenlebens entzieht, die meinem Schwert vergönnt, den Frevler zu strafen, und meine Manuele zu befreien? Ich folge dem Ruf, seist du es oder nicht!«
Der Ritter von Ventilene ließ sich vor ihm nieder, und dankte ihm mit den demütigsten Worten, und küßte das Schwert des Helden. »Gelobt sei die wohlwollende Fee«, sprach er, »die sich erbarmte des Vertriebenen, aber mehr noch gelobt sei der mächtige Fürst der Schlachten, zu dessen Füßen sie mich leitete.«
»Zaudere nicht«, rief der racheglühende Manfred, »stoßen wir rasch in die See, Feuerpein ist mir noch jegliche Minute, eh' ich[720] diesen Stahl in das teuflische Herz des Feindes gebohrt! Nun, Gebieterin der Felsen und des Windes, des Meers und der Sonne, nun fülle meine Segel mit günstigem Wind, wenn dein Wort nicht Täuschung ist, wenn in Erfüllung gehen soll, daß die Kraft meines eignen Arms dem Feind die Beute entreißen, daß mein der Lorbeer des Sieges sein werde. Nun bin ich versöhnt mit deinem eigenmächtigen Walten, wenn du durch dies ruhmlose Schattenleben nur den eisernen Sinn in mir prüfen wolltest, ob ihn diese weibische Untätigkeit entnerve oder heftiger aufrege! Ist das deine Absicht gewesen, so hab' ich gesiegt, so werd' ich siegen!«
Das Volk umher rief Beifall, und schon wollte sich der Prinz an Bord begeben, als ein Ritter herbeieilte, und sich gewaltsam zu ihm durchdrängte. »Prinz Manfred«, rief er, »mich sendet der König! Er hielt dich für tot, und dankt dem Himmel, der dich lebend erhalten. Er wartet dein, und will deine Ankunft feiern, als wärst du von den Toten erstanden.«
»Sage dem König, meinem treuen Herrn«, antwortete schnell der Prinz, »daß ich tue, was ich nicht unterlassen kann, daß mich die Rache nach dem einsamen Eiland treibt, und daß ich ihm wieder dieses Schwert weihen werde, wenn es die ersehnteste Tat meines Lebens geheiligt.«
Damit kehrte er dem Ritter den Rücken, und eilte an Bord. Ein starker Ostwind blies in die Segel, und das Schiff rauschte im Flug durch die Wellen.
Bald verkleinerte sich der Epomeo, und der Fels von Capri zusehends und beide verdämmerten nach und nach in immer zärtern und ungewissern Duft. Es sank die Sonne ins Meer, fortwährend trieb der günstige Wind, und der Prinz erkannte in ihm die freudigste Vorbedeutung und die unsichtbare Mitwirkung der Königin.
Noch dunkelte die Nacht, noch kündigte sich der Morgen auch nicht mit dem lindesten Streifen an, als sich das Schiff schon vor dem Eiland befand.
Jetzt freilich sah der Prinz lebhaft genug ein, wie abgeschlossen, wie entfernt von jeder übernatürlichen Mithülfe er war, wie alles nur auf seiner Kraft beruhe, und hätte die Glut der Rache seine Seele nicht zu entschieden gefüllt, der Drang nach Sieg und Ehre, die Hoffnung der Wiedererlangung Manuelens sie nicht zu sehr berauscht und geblendet, so hätt' er es vielleicht für unmöglich[721] halten müssen, einem Feinde Trotz zu bieten, in dessen Dienste alle bösen Geister des Berges standen. Aber sein Mut fürchtete sich vor keinen Hindernissen, und scheute sich bei jenen wilden Triebfedern auch vor dem Schwierigsten nicht.
»Siehst du den Turm, wo die schöne blondhaarige Unglückliche schmachtet, dort am Gestade«, sprach der Ritter von Ventilene.
»Fluch dem Geiste«, rief jetzt der wütende Manfred, »Fluch dem Geiste, der sich einmischt in den Kampf der Sterblichen! Laß uns streiten, Mann gegen Mann, Sichtbares mit Sichtbarem, Verwundbares mit Verwundbarem!«
In der Stille der Nacht ward gelandet. Jetzt, als man ausgestiegen, sprach der Ritter der Insel: »Hier, o mein erhabener Schutzherr, ist eine Rüstung, wie man sagt, von einem mächtigen Zauber geweiht, aber sei auch der Stahl so unzerbrechlich, als er wolle, so vermag ihn schwerlich ein Sterblicher zu tragen, wenn es nicht etwa deine eisernen Glieder im Stande sind. Versuch' es, denn ohne schützende Waffen kannst du dem Gegner nicht entgegen treten.«
Manfred betrachtete die schwere Rüstung, und nur von Einem Gedanken, Einem Wunsche, Einem Rachegefühl beseelt, hub er den eisernen Helm mit Leichtigkeit auf, und hüllte seine ganze Kriegergestalt in das undurchdringliche Metall. »In jenem Turm«, rief er, »ist Manuele? Dort hält sie der schwarze Barbar gefangen? Laß uns zuerst dorthin eilen: ich fühle ein unüberwindlich Verlangen, die Kraft dieser Rüstung und meines alten Schwerts zu versuchen, vielleicht, daß wir die Wächter von Ventilene allesamt ins Schattenreich senden, wenn sie anders menschlich Blut und menschliche Empfänglichkeit für den schneidenden Stahl haben.«
In Begleitung des Ritters und eines Gefolges von tapfern Jünglingen eilte Manfred dem Turme zu. Man kletterte still an den Felsen empor: der Mond, nahe am Untergang, streute die ungewissesten Lichter über den halbverfallenen Bau und die öde Umgebung. Schon aber dämmerte über der schwarzen Fläche der See die erste falbe Erscheinung des nahenden Tags.
Da trat plötzlich den Vorwärtsdringenden ein Greis von weißem Bart in den Weg, und sprach: »Hüte dich, verwegner Fürst des Schwerts, ohne Geleit eines wohlwollenden Geistes dich dem Turme zu nahen: es walten Zauber um ihn, die mächtiger sind,[722] als menschliche Kraft! Vertraue dich mir an, ich überwinde sie, und du wirst die Ersehnte sehen.«
Der Prinz ward unmutig über den Alten, aber er ließ ihn vorauswandeln. Man erreichte den Sarazenischen Turm, und der Greis zog einen glänzenden Stein aus dem Mund, den er vor die Türe warf. Alsobald wimmelten Schlangen heraus, und verloren sich in verschiedenen Richtungen. »Siehst du die Feinde«, sprach der Alte, »aber nun ist das Gewölbe leer, die Gefangene atmet freier auf, und ahnt deine Ankunft.«
Und siehe an einer fensterartigen Maueröffnung, die oben der Mond erhellte, erschien ein weibliches Bild in blonden fließenden Haaren. Es breitete die Arme aus, und legte die Hände sodann aufs Herz. Endlich seufzte es tief auf, und lispelte: »Manfred!«
»Ja du bist's!« rief nun der wonneberauschte Prinz. »O welche Leiden hat dir die Liebe bereitet! Manuele! ich komme, dich zu befreien!«
Abermals breitete sie die Arme aus, und faltete dann die Hände zum Himmel blickend. Sodann warf sie eine Strickleiter auf den Fels herab, Manfred zog das Schwert und rief: »In meine Arme, du Angebetete, und Himmel und Hölle vermag dich mir nicht mehr zu entreißen!«
Das Bild winkt, und bedeutet dem Geliebten, hinaufzusteigen. Er unternimmts, er klettert empor, er erreicht die Öffnung, er streckt die klirrenden Eisenarme nach der Teuren aus, und sie zerrinnt ins Nichts.
Jetzt überfällt den Helden die Wut des Tigers, Trug, Gaukelspiel, Höllentäuschung sieht er um sich, halb durchschaut er schon das Gewebe des Netzes, in welchem er gefangen, halb ist er noch betäubt von diesem unverhofften Schlag, er eilt die Mauer herab, er ruft dem Greis, er ruft dem Ritter, aber aus demselben Felsen, wohin die Schlangen des Turms entflohen, tritt der Mohr im Gefolge von Gestalten, wie sie nur das infernalische Herz des Berges ausgebären konnte.
Manfred erhebt sein Schwert, und will es mit fürchterlicher Kraft über den Feind sinken lassen, als er sich den Arm gelähmt fühlt, er versucht mit aller Muskelanstrengung ihn zu bewegen, aber umsonst, er will auf den höhnenden Schwarzen zustürzen, aber die Zauberrüstung raubt ihm auch den Gebrauch der Beine!
Hohngelächter erschallt vor ihm! Es führt der Schwarm der[723] Bösen einen Kreis um ihn, und beginnt einen höllischen Tanz. Dem Prinzen strömt der Schweiß von der Stirne, er sieht auch den Ritter im Reigen, aber mit geschupptem Leibe und Drachenfüßen! er will den Namen der Fee ausrufen, aber er schämt sich, er wütet auch über sie! Plötzlich sieht er sich von einem Halb Dutzend dieser Unwesen erfaßt, und ohne daß er sich zu rühren vermag, wird er auf einen einsam aus dem Meer vorragenden Felsen getragen.
Manfred ist allein, die Geister sind verschwunden, er zweifelt, ob er bei Verstand, ob er nicht wahnsinnig sei, ob er nicht geträumt! Er fühlt sich wieder im Gebrauch seiner Glieder, er überlegt seine Schande, seine Täuschung, in der Erbitterung überhäuft er die Fee mit Vorwürfen, er glaubt sich auch von ihr betrogen. Manuele dünkt ihm verloren für immer, dünkt ihm unerreichbar, seine Seele füllt sich so mit dem Gefühl seiner schimpflichen Lage, mit Schmerz und Lebensekel an, daß er beschließt zu sterben.
Längst ist die Sonne aufgestiegen! Der unglückliche Held starrt in's grüne Meer hinab, und mit Schauder sieht er in jeder Welle sein Bild abgespiegelt. Er sieht in die Lüfte, und tausend- und abertausendmal gewahrt er in ihnen – sein Bild! Er wirft den Blick der Verzweiflung auf den nackten Fels, auf dem er steht, und aus unzählbaren Tautropfen strahlt ihm entgegen – sein Bild! Wohin er sich wendet, nach Himmel und Wasser, Land und Sonne, nach Oben und Unten, in Licht und Schatten, es erscheint nur – sein Bild! Ja selbst wenn er die Augen schließt im Übermaß der Qual, der Beschämung, gaukelt in der Nacht, im fliegenden Stern seines Auges sein farbiges Bild.
»Schreckliches Ich!« rief der Gepeinigte wieder und wieder. »Wie du die Quelle bist all' unseres Strebens und Ringens, all' unseres Liebens und Fühlens, unseres Glücks und unserer Wonne, so kannst du es auch unseres Hasses, unserer Marter sein? Wer spottet meiner so? Warum zeigt mir die falsche Welle, der ich nicht gebiete, mein unglückseliges Bild, warum glänzt mir's aus jedem Blitze des Tau's, aus jedem Strahle der Sonne zu? Ist's nicht der Spott der ganzen Natur, die meiner Schwäche lacht, die mir millionenmal zeigt, wie der Stolz dieses Ichs beschämt worden! Ha ich ertrag' es nicht länger mehr! Seid ihr Abbilder von mir, ihr unzähligen Spiegel, so kehrt zurück in den Punkt, von dem ihr ausgeflossen! Kehrt zurück in meine Seele! Aber hier ist ein[724] Manfred, dort ist ein Ritter, und alle sehen mich an! O Verzweiflung! Eine andere Bildung! ein anderes Ich zeige mir, fürchterlicher Gott, Einziges Ich! Zeige mir Manuele! Um sonst! So fluch' ich denn diesem entsetzlichen Ich, fluche dieser gräßlichen Spiegelwelt, und ende, und zernichte dich, tausendfältiges Bild!«
Mit diesen Worten warf er den Helm von sich, und siehe aus dem Helm wuchs eine Schreckengestalt, er schleuderte den Harnisch weg, und er ergänzte sich zu einem Unwesen, aus jedem Teile der Rüstung entwickelte sich ein hohnlachender Dämon.
Der Prinz stürzte sich vom Felsen herab, aber die Geister fingen ihn in der Luft auf, und seinen Leib umwindend, huben sie ihn hoch in alle Himmel empor, so daß die Erde unter ihnen undeutlich ward. Dem Helden entschwand die Besinnung, als er die Insel nun wie einen sonnigen Flecken unter sich im unermeßlichen Meer sah, als er die Scheusale erblicke, die ihn umklammerten, und hier die Bildung des Menschen, dort der Schlange, dort eines noch häßlichem Tieres zeigten. So in den sausenden Lüften trugen sie ihn über das Meer weg, und als der Sterbliche die Augen aufschlug, erkannte er mit schwindelnden Sinnen die Inseln der Königin wieder unter sich, aber er flog so hoch über ihnen weg, daß er von ihrer höchsten Spitze aus noch unsichtbar gewesen wäre. Die Sonne war für die Erde schon untergegangen, während er ihren Flammenball noch über dem Meere sah, aber sein Grausen stieg aufs Höchste, da die fliegenden Dämonen ihren Lauf nach dem Vesuv nahmen.
Da schwebten sie über dem Rachen des dampfenden Berges, und trieben im Rauche, der aus der Tiefe heraufstrudelte. Es lagerte sich die schwärzeste Nacht über Erde und Meer, und die Fliegenden senkten sich gegen den Krater herab. Und siehe, es erschallen Donner aus seinem Innern, und hallen fürchterlich in seinen Eingeweiden nach, es schleudert der König Blitze aus dem flammenden Hause, die durch alle Himmel züngeln und die dichtesten Rauchwolken durchglühen, es sprudelt unter dem Beben der Erde, unter den Donnern des Weltgerichts, unter dem Tosen des Meeres ein ungeheurer Feuerstrom aus dem Berg, den das schäumende Wasser wiederleuchtet, der einen blutroten Schein über die nächtliche Stadt, über die zitternden Berge, über die Bucht bis zu den Inseln der Fee hinwirft! Ihm folgt ein glühender Aschenregen, der alsbald die schimmernden Fernen, die rötliche[725] Stadt überdeckt, und selbst den Fuß des Berges in Nacht verhüllt. Fortwährend aber wallen und lodern die Feuersäulen aus dem Rachen, und es flutet in breiten Strömen die blutige Lava aus berstenden Rippen des Berges, und der überfüllte Krater treibt sie über die rauchenden Kränze seines Aschenhaupts!
Das Herz des Sterblichen in den Lüften erstarrt, er hört den Jammer der Menschen unter sich nicht, er zittert nicht für die Städte, auf welche der purpurne Schweif des Berges in majestätischer Wallung zu fließt, ihn umsausen die Blitze, ihn umhageln die Steine, ihn umdampft die qualmende Wolke, ihn umheulen die Lüfte, ihn umdröhnt das Getöse des Königs, der sein schreckliches Haus erschüttert! Er blickt hinab in das Gewühle des Flammenmeers, das im Busen des Vulkans kocht, zu wild und zu entsetzlich, als daß es noch mit dem Bild einer Seele verglichen werden könnte, welche Orkane von Leidenschaft und Furienheere des blutenden Gewissens durchtoben. Hier verlieren die Sinne ihre Empfänglichkeit, hier flieht Gefühl und Gedanke, hier scheint der Tod das wünschenswerteste Glück zu sein.
Und in der Tat, dieser soll auch das späte Ende seiner Qualen sein. Über dem Abgrund des speienden Kraters, auf rauchendem Felsen lassen sich die Kreaturen des Königs nieder, und der schaudernde Mensch sieht nun in tiefer Kammer die riesenhafte Gestalt des Erderschütterers, welche überdeckt ist von feuertriefenden Haaren, zuweilen zu erlöschen scheint, zu einem schwarzen Aschenhaufen wird, und wenn die Leidenschaft wieder ausbricht, wenn die gepreßte Brust wieder ein grauenvolles Ach drückt, in neuer Glut aufbrennt, und mit dem donnernden Brüllen ungemessenen Schmerzes seine Blitze bis zu den Sternen emporwirft. So verrauscht die Nacht in Schrecken des Jüngsten Tages, und schon fassen die Geister, in deren Leib das Element wilder zu brennen anfängt, den ringenden Helden, da tost es lauter und heftiger im Innern des Berges, eine plötzliche Bewegung zuckt durch die lodernde Feuersäule, die Blitze kehren sich ihrem Ursprung zu, der Rauch drängt sich gewaltsam zurück, die Dämonen heulen, aus dem zerstäubenden Dunst fliegen tausend funkelnde Gestalten abwärts nach dem Rachen des Königs!
Siehe da wird er selbst wieder zu Asche, und der Strom des Feuers erlöscht. Nebel und Rauch umwittert die Höhen des Kraters, und allmählich durchdringt sie eine Helle von Außen. Die[726] Dämonen stürzen sich heulend in den Abgrund; und Manfred sieht neben sich nur noch den – Mohren. Da faßt er ihn wütend an den Leib, entschlossen, ihn zu vertilgen und mit ihm zu vergehen! Der Schwarze ruft nach den höllischen Dienern, aber keiner erscheint, und mit herkulischer Gewalt wirft ihn der Sieger in die wogende Lava hinab.
Es verteilen sich die Wolken, der ungetrübte Himmel lächelt durch ihre verdünnten Nebel, die Morgenröte glüht mit reinstem Gold im Osten, und von Westen her aus dem Meere nahen unübersehbare Scharen weißer Gestalten. Einsam steht der freier atmende Held auf dem Berg, und mit der Klarheit des Mondes, den schon die anbrechende Helle des Tages dämpft, sieht er auf dem Sternenwagen die Königin der Inseln herüberschweben.
Sie ist ihm nahe, ihn blenden die blitzenden Sterne, die von ihrem Busen ausstrahlen, er stürzt in die Asche nieder und faltet die Hände, da steigt die Sonne herrlich über die Berge hervor, und ihr wogendes Rosenlicht färbt auch den noch zitternden Berg, ergießt sich über die glänzende Stadt, und den Meerbusen, und die holden Eilande bis tief zum Horizonte der See, wo die Insel Ventilene gleich einem Veilchen aus ihr hervorknospet.
»Angebetet seist du, himmlisches Licht«, rief nun der Knieende, »Licht von Oben, das segnet und fruchtbar macht, und dessen Wirken so unendlich ist bei aller Ruhe!«
Aber der Wagen der Königin schwebte vor ihm und er schwieg, beugte sein Haupt zur Erde, und legte die Hände auf die Brust.
»Manfred«, sprach die Königin, voll feierlichem Ernst und doch voll göttlicher Milde, »du bist am Ende deiner Prüfung! Beschämt fühlst du, was du getan und was du nicht getan, ja als du den gefährlichsten Leidenschaften, als du der Sinnenlust und dem Ehrgeiz den Zaum vergönntest, und des reinen Zieles vergaßest, dem du rein, dich selbst aufopfernd, in stiller heiliger Erwartung entgegenharren solltest, als der König des Berges Macht über dich gewann, der jede selbstsüchtige Glut beschützt, da verlorest du Manuelen auf ewig, und fielest dem Geist anheim, der diese Nacht seine Flammen bis in mein Reich verbreitet, und nun zur Aschensäule ausgebrannt ist, weil ich jedes Jahrtausend ihn zweimal hemmen darf in seinem zerstörenden Wüten! Aber ich weiß, daß du nur getan, was deinem Geschlecht angeboren ist, seitdem das Ei des Verhängnisses zerbrochen! Ich wollte versuchen, ob nach[727] so traurigen Jahrhunderten kein Mensch im Stande wäre, die Weissagung zu erfüllen, die meinem Reiche die Oberhand verheißt, sobald ein Sterblicher die Prüfung überstünde. Deiner harrte die weinende Tochter der Urwelt, deiner der Geist der Lilie, aber ihre Hoffnungen sind zernichtet, sie sind in Tränen zerflossen, die ein Engel in den Himmel geflüchtet. Darum werde dir Vergebung! Dein Herz verlangte nach Liebe, verlangte nach Ruhm, steig' in meinen Wagen, und Beides wird dir zu Teil werden.«
Manfred erhob sich, schwang sich in das Flügelgespann, und sich das Gesicht verhüllend, bemerkte er nicht, wie der Wagen vom Haupt des Berges weg über das längst beruhigte Meer hinflog.
Als er schüchtern wieder aufblickte, sah er sich schon dem Eiland nahe, wo die Königin ihm zum erstenmal in der Blauen Grotte erschienen. Auf dem jähen Felsen, den sich der Hohenstaufische Friedrich zu einem Schloß erwählt, ließ sich der Wagen nieder.
Da erscholl Jubel und Musik. Das blumenbekränzte Tor öffnete sich, und die Edeln seines Reichs um sich, trat der König Manfred unserm Helden entgegen. An seiner Hand ging die schöne Manuele, und den tapfern Krieger umarmend, rief der Hohenstaufe: »Willkommen, Auferstandener, willkommen, Wunderkind des Schicksals! Es bringt dir dein König den Lorbeer, und die Geliebte die Myrte!«
Freudenmusik stürmte aus der jubelnden Menge, und Manfred kniete vor dem Herrn und der wiedergefundenen Herrin!
Die Fee aber war längst verschwunden, und sie hat seither nie mehr menschliche Treue versuchen wollen.[728]
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