|
[150] Vor zeiten war ein alte tannen,
Die tet aus hoffart sich ermannen,
Veracht den dornbusch neben ir
Und sprach: »Du bist gar ungleich mir;
Gen himmel hoch trag ich mein kopf,
Den ganzen winter grünt mein schopf,
Bin groß erwachsen, dick und lang.
Des hab ich von den leuten dank,
Setzen mich hoch in ire gbeu
Und brauchen mich on alle reu
Zum pfeiler oder underlag.
Im schiff ich auch das banier trag
Und far gar prechtig über mer,
Bin aller hölzer fürst und herr;
Derhalb ich billich globet werd.
So steestu, dornbusch, bei der erd
Und must veracht daniden sitzen,
Man tut dich nit zun eren nützen.«
Der dornbusch sprach: »Du rümst dich groß,
Verachtest mich und mein genoß
Und butzest hoch den tannen namen,
Daß du den dornbusch magst beschamen,
Und merkest nicht die farlichkeit,
Die dir ist alle stund bereit.[150]
Auch kan dein hoffart nit ermeßen,
Wie wol dem, des man tut vergeßen,
Leßt in in seiner demut bleiben,
Mit gutem fried sein zeit vertreiben.
Es komt zu hand der zimmerman,
Mit seiner bindaxt greift dich an,
Setzt dich ins schiff zu einer mast.
Wenn du da lang gestanden hast,
Zu letst wirst vom nordwest ermordt,
Man haut und wirft dich über bord.
Denn gebstu wol als, was du hettest,
Daß du damit dein leben rettest,
Und wünschen, mit dem dornbusch klein
Zu haben fried und rue gemein.«
Es ist kein stand so hoch auf erden,
Der one müe mög funden werden:
Groß müe ist stets bei hohem stat,
Dagegen auch der gringe hat
Bei kleinem gut ein ruesam leben,
Kan sich dest baß zu frieden geben.
Aus hölzern schüßeln das eßen schmeckt
So wol, daß man die finger leckt.
Ein waßertrunk gibt freud und mut,
Den man in ru mit frieden tut.
Wenig gericht, ein klein salzfaß
Zieren die geringen tisch vil baß,
Denn daß man eß aus güldnem gschirr
Und wer dabei im herzen irr.
Horatius sagt: »Die hohen zinnen
Wenn die zu fallen einst beginnen,
Darab erschüttert sich die ert;
Der donder auch gemeinlich fert
In hohe berg und groß gebeu:
Vor im sind sicher im stall die seu.«
Drumb hat der warlich recht geredt,
Der den gar selig achten tet,
Auf welchs geburt, leben und tot
Niemant groß achtung geben hat.
Buchempfehlung
Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«
242 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro