[515] Es war zur frühen Mittagsstunde, als Dorothea an Daniels Wohnung läutete. Philippine machte das Gatter auf und wollte sie nicht in die Stube lassen. Sie erzwang[515] sich den Eingang und musterte von der Zimmerschwelle aus Philippine hochmütig.
»Paß auf, Philippin', da stinkt's nach Unrat,« murmelte diese vor sich hin.
Daniel saß bei der Arbeit. Er erhob sich stumm und blickte Dorothea an, die behutsam die Türe schloß.
»Da bin ich, Daniel,« sagte sie und atmete wie ein Schwimmer, der ans Land kommt.
»Was bedeutet's?« fragte Daniel regungslos.
»Daß ich getan hab, was Sie wollten, Daniel. Weg von denen. Beim Vater kann ich nimmer bleiben. Wo anders sollt ich hin als hierher?«
Daniel ging auf sie zu und legte beide Hände schwer auf ihre Schultern. »Mädelchen, Mädelchen!« sagte er mahnend und erschüttert.
Sie sahen sich eine unendlich scheinende Zeit in die Augen. Es war, als wolle Daniel bis in die verborgensten Falten ihrer Seele schauen. Dorotheas Blick funkelte verwegen, sie senkte die Lider nicht. Plötzlich beugte Daniel den Kopf und küßte ihre Stirn.
»Du weißt, wer ich bin,« sprach er und schritt im Zimmer auf und ab. »Du weißt, wie ich gelebt habe und wie ich lebe. Ich bin ein schuldvoller Mann, ich bin ein einsamer Mann. Meine Natur verlangt nach Zärtlichkeit, aber Zärtlichkeit hergeben kann sie nicht. Mein Los ist hart, und wer es mit mir teilt, muß entschlossen sein, die Härte zu ertragen. Ich bin oft mein eigener Feind und oft der Feind derer, die es gut mit mir meinen. Ich bin kein Spaßmacher und kein Gesellschafter. Ich kann grob, beleidigend, hämisch, unversöhnlich und rachsüchtig sein. Ich bin häßlich, ich bin arm, ich bin nicht mehr jung. Fürchtest du nicht für deine dreiundzwanzig Jahre, Dorothea?«
Dorothea schüttelte energisch den Kopf.
»Prüfe dich, Dorothea,« fuhr er eindringlich fort, »nimm[516] es nicht ungenau mit dir und mir, nimm es ganz und tief genau, damit wir nicht falsche Rechnung mit dem Schicksal machen. Liebe kann meiner mächtig werden, mehr, als ich selbst meiner mächtig bin, und dann setz ich alles dran, dann muß ich vertrauen können, ohne Maß. Könnt ich nicht mehr vertrauen, ich wäre wie ein zur Hölle Verstoßener, ein böser Geist. Prüfe dich, Dorothea, du mußt wissen, was du tust, es ist eine heilige Sache.«
»Ich kann nicht anders, Daniel!« rief Dorothea und warf sich an seine Brust.
»Dann also sei Gott uns gnädig,« sagte Daniel.
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