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[28] Eva Sorel hatte eine Gesellschafterin und Behüterin, Susanne Rappard; einen häßlichen Irrwisch, schwarz gekleidet und zerstreut. Sie war aus der unbekannten Vergangenheit Evas mit aufgetaucht, und sie rieb sich noch die Finsternis aus den Augen, als sich für die achtzehnjährige Eva die Lichtbahn öffnete. Sie spielte vortrefflich Klavier und war dadurch die Helferin Evas bei deren Übungen.

Crammon hatte ihr einige Artigkeiten erwiesen, und der Ton, mit dem er über ihre Herrin sprach, gewann ihm ihre Sympathie. Sie bewog Eva, ihn zu empfangen. »Bringen Sie ihr Blumen,« raunte sie ihm zu, »das mag sie gern.«

Eva und Susanne Rappard bewohnten zwei Zimmer in einem kleinen Hotel. Crammon brachte Rosen in solcher Menge, daß die muffigen Korridore stundenlang voll Duft waren.

Eintretend gewahrte er Eva vor dem Spiegel, auf einem Armstuhl. Susanne kämmte ihr die Haare, die die Farbe des Honigs hatten.

Auf dem Teppich kniete ein junger Mensch, siebzehn Jahre alt, sehr blaß, mit Tränenspuren im Gesicht. Er hatte ihr erklärt, daß er sie liebe. Er mochte nicht aufstehen, auch als der Fremde kam; seine unglückliche Leidenschaft machte ihn blind.

Crammon blieb an der Tür stehen.

»Susanne, du tust mir weh,« sagte Eva. Susanne warf den Kamm erschrocken auf den Boden.

Eva streckte Crammon die Hand entgegen. Er ging hin und beugte sich nieder, um die Hand zu küssen.[28]

»Der Arme,« sagte sie lächelnd und deutete auf den Knaben, »er quält sich so, er ist so töricht.«

Der Knabe preßte die Stirn an die Lehne ihres Sessels. »Ich werde mich töten,« flüsterte er. Da schlug Eva die Hände zusammen und näherte ihr Gesicht, das spöttische Betrübnis zeigte, dem des Knaben.

Welche Bewegung! mußte Crammon denken; wie durchgebildet, wie zart, wie neu! Und wie sich das Augenlid hob und der Stern des Auges energischesten Glanz aufwies und in der Neigung des Kopfes das Kinn ein wenig sank und ein unerwartetes Lächeln in den Mienen war, halb darbend, halb süß, halb verschlagen, halb kindlich.

»Wo ist mein Goldreif, Susanne?« fragte Eva und stand auf.

Susanne antwortete, sie habe ihn auf den Tisch gelegt. Sie suchte dort umsonst, sie flatterte hin und her, ein schwarzer Riesenfalter, machte Laden auf und wieder zu, schüttelte den Kopf und drückte besinnend die Hand an die Stirn, endlich fand sich der Reif unter dem geschlossenen Klavierdeckel, neben einigen Hundertfrankscheinen.

»So ist es immer,« seufzte Eva und steckte den Reif ins Haar, »wir finden alles, aber wir müssen lange suchen.«

»Was für eine Art Französisch sprechen Sie eigentlich?« fragte Crammon, der vollkommen Pariserisch sprach.

»Ich weiß nicht,« erwiderte sie; »vielleicht ein spanisches, ich bin lange in Spanien gewesen, vielleicht ein deutsches. Ich bin in Deutschland geboren und habe bis zu meinem zwölften Jahr dort gelebt.« Ihr Blick verdunkelte sich ein wenig.

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Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 28-29.
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