9. Dorindgen muß sich einer Zauberey beschuldigen lassen

[35] 1.

Dorindgen darff ichs sagen,

Und darff ich ohne Scheu

Dich offentlich verklagen,

Mit deiner Zauberey?

Ach du verwandelst meinen Sinn,

Daß ich mir selbst nicht ähnlich bin.


2.

Sonst ist mein junges Hertze

Bey allen Mädgen kalt,

Und giebt der Liebes-Kertze

Gar schlechten Auffenthalt:

Doch du verwandelst meinen Sinn,

Daß ich bey dir verliebet bin.


3.

Verlier ich ja bey andern

Manchmahl ein gutes Wort,

So bin ich nun von Flandern,

Und geh bey zeiten fort:

Doch du verwandelst meinen Sinn

Daß ich bey dir beständig bin.


4.

Ich habe meine Brüder

Ohn allen Schein geliebt,

Sie haben mich auch wieder[35]

Mit Willen nicht betrübt:

Doch du verwandelst meinen Sinn,

Daß ich den Freunden untreu bin.


5.

Ich bin zur Lust gebohren

Die hängt mir allzeit an,

Und gibt mir nicht verlohren

So lang ich lispeln kan:

Doch du verwandelst meinen Sinn

Daß ich bißweilen traurig bin.


6.

Ich kan an andern Orten

Vortreflich lose seyn,

Vnd lasse mich mit Worten

In manche Kurtzweil ein:

Doch du verwandelst meinen Sinn

Daß ich gar eingezogen bin.


7.

Sonst gieng ich bald zu Bette

Wenn nun der Abend kam,

Vnd alles umb die Wette

Mit sich zur Ruhe nahm:

Doch du verwandelst meinen Sinn

Daß ich des Abends munter bin.


8.

Wie schlimm hast du gehandelt,

Ich kenne deine List,

Ich werde so verwandelt

Du bleibest wie du bist:

Ach Kind verwandle deinen Sinn,

Wie ich bey dir verwandelt bin.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 35-36.
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