5. Kleine Leute sind so gut als die Grossen

[62] 1.

Ihr Leute wolt ihr meiner lachen

Daß ich ein bißgen kleine bin,

So wil ich euch zuschanden machen,

Ich dencke lachet immer hin,

Wie offte sieht ein kleines Haus

Viel schöner als ein grosses aus.


2.

Die kleinen Zobeln kommen höher

Als eine grosse Beeren-Haut,

Ein Mandel-Nüßgen isst man eher

Als eine Schüssel sauer Kraut,

Und weil die kleinen Lerchen gehn

So läst man wohl das Rindfleisch stehn.


3.

Ein kleines Mode-Hütgen stutzet

Mehr als ein Babilonscher Thurm,

Ein kleines Seidenwürmgen nutzet

Mehr als ein grosser Regen-Wurm,

Der beste Sammt hat kleiner Maß

Als wohl der grobe Cannefaß.


4.

Manch Bübgen hat zwar kurtze Beine,

Und macht doch einen guten Tantz,

Manch Füchsgen ist von Ansehn kleine

Und hat doch einen grossen Schwantz,

Den kleinsten Hunden hänget man

Die allergrösten Klöppel an.


5.

Und dieses läugnet warlich keiner,

Ein resolvirter Kerl ist jo

In kleinen Duodez viel feiner

Als so ein Narr in Folio,

Ein Kleiner hat ein loses Maul,[62]

Hingegen sind die grossen faul.


6.

Wie war es in dem Paradiesse,

Da Adam zu der Eva kam,

Und sie als seine Zuckersüsse

Vergnügung in die Armen nahm,

Und als das höchst-verliebte Paar

Ein Männlein und ein Fräulein war.


7.

Nach diesem ist es ja geschehen,

Daß sich ein Weibgen ohngefehr

An einen Ochsen hat versehen,

Da kommen nun die grossen her:

Drum bleibt die Art auch unverrückt,

Und sie sind etwas ungeschickt.


8.

Ich wil gar gerne kleine bleiben,

Ein ander Kerle mag sich nun

In Goliats Register schreiben,

So wil ich doch nicht furchtsam thun,

Der kleinste Zwerg ist gleich so gut

Als auch der gröste ...

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 62-63.
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