[105] 1.
Du schändliche Kröte, nun hast du den Gifft
An meiner Unschuld außgelassen,
Du Drache, dein gifftiges Hauchen betrifft
Mein Leben unverdienter massen,
Doch bleib daheim, es hat nicht Noth,
Ein solch Basilisk der sieht mich nicht todt.
2.
Du fleischerner Teuffel, du wanderst herum,
Als wie ein Löw in finstern Püschen,
Und siehest dich hinten und fornen wohl um,
Ob du was schwächers kanst erwischen:
Doch lauff nur fort du wildes Thier,
Ein muthiger Hercules streitet bey mir.[105]
3.
Du hungeriger Wolfs-Zahn, ach wollst du nicht gern
Mich armes Schaf zu todte beissen?
So lauschet ein listiger Habicht von fern
Wann er die Taube will zureissen,
So schnappet ein räuberischer Hecht
Und jaget wohl selber sein eignes Geschlecht.
4.
Du garstige Fliege, was schmirst du vor Koth
An das Verhalten meiner Jugend?
Du eyferiges Lügen-Maul, wirst du nit roht,
In dem du meine reine Tugend
Zu lauter grossen Lastern machst,
Und meine Gedancken so höhnisch verlachst?
5.
Du diebische Katze, was leckst du mich doch,
Wann du mich willst von hinden kratzen?
Du spitzige Zunge, was willstu mir noch
Von guter Gunst und Freundschafft schwatzen:
Du meinst, ich sol ins Netze gehn
Drum singstu so lieblich und pfeifest so schön.
6.
Du Türcke, du Heyde, bedenckst du dich nicht,
Du Unmensch, hast du kein Gewissen?
Des Himmels Gerechtigkeit eyffert und spricht:
Verflucht sey! der sich so beflissen,
Daß er den Nechsten der ihn liebt,
Mit tausend betrüglichen Händeln betrübt.
7.
Doch schwerme nur besser, du rasender Hund,
Biß mir und aller Welt zuwider;
Ich bleibe doch immer am Leibe gesund,
Du aber schlägst dich selber nieder,
Ein Hund der sich so sehr bewegt,
Hat selten neun Tage zurücke gelegt.
8.
Ich habe noch keinen Bekannten gesehn,
Dem du von Hertzen günstig wärest:
Drumb laß ich es endlich gedultig geschehn,
Daß du mich hier und da versehrest.
Vielleicht kömmt noch die liebe Zeit,
Daß mancher sein eiffriges Wüten bereut.
Buchempfehlung
Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.
32 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro