[231] Henricus, der achte dieses Namens, König in Engelland, nachdem er mit Catharina, seiner Gemahlin (so eine gar gottseelige, und mit allen Tugenden gezierte Fürstin war) lange Jahr in der Ehe gelebt, einen Königlichen Printzen und Printzessin erzeugt, vergasse seiner selbst so weit, daß er sich nicht allein in Annam Bolenam, eine freche und verbulte Person unehrbar verliebte; sondern auch Catharinam, seine rechtmäßige unschuldige Gemahlin, durch eine Ehescheidung von sich verstossen, und sich mit gedachter Anna Bolena offentlich, mit grosser Aergernuß des gantzen Königreichs, hat lassen zusammen geben. Diese seine unehliche Ehe zu beschönen, suchte er die vornehmste Herren seines Reichs, theils durch Versprechen, theils durch Trohungen dahin zu bereden, daß sie seine Ehescheidung als rechtmäßig möchten billichen und gutheissen. Zuvorderst aber suchte er auf seine Seiten zu bringen den Reichs-Cantzler, mit Namen Thomas Morus, einen nicht allein gelehrten und verständigen; sondern auch Ehr, Tugend, und Gerechtigkeit liebenden Mann. Dann so der König diesen Mann hätte bereden könne, daß die [231] Ehescheidung von ihm wäre gut geheissen worden, wurde er wenig darnach gefragt haben, was andere Unterthanen des Reichs dazu gesagt hätten. Demnach liesse ihn der König zu sich kommen, und versichert ihn nicht allein beständiger Königlicher Gnaden; sondern versprache ihm auch grosse Reichthum, wann er die Königliche Ehescheidung wurde gutheissen. Allein Morus entschuldigte sich, sagend: wie daß er solches ohne Verletzung seines Gewissens, und der Gerechtigkeit nicht thun könnte. Wurde Ihro Majestät sonst etwas von ihm begehren, so wollte er thun, was die unterthänigste Schuldigkeit eines treuen Unterthanen von ihm erforderte. Das verdrosse nun den König dermassen, daß er Morum liesse in die Gefängnuß setzen; in Hofnung, diesen Mann durch Schrecken auf seine Seiten zu bringen. Allein, weilen auch dieses umsonst war, liesse der König des Mori Ehe-Gemahlin, mit Namen Aloysia, zu sich kommen. Dero gab er Befehl, alles anzuwenden, daß ihr Ehe-Herr dem König in der Ehescheidung möchte beyfallen. Wurde er das thun, so sollte er aller Königlichen Gnaden versichert seyn. Widrigen Falls wollte er nicht allein alle seine Reichthum und Güter, sondern gar das Urtheil des Tods über ihn fällen lassen. Aloysia liesse ihr den Königlichen Befehl zu vollziehen auf alle Weiß angelegen seyn. Gienge demnach mit ihren Kindern zu ihrem Ehe-Herren in die Gefängnus; allwo sie ihn auf folgende Weis angeredt: »Ach mein liebster Ehe-Gemahl! in was Unglück seyd ihr, ich, und diese unsere liebe Kinder gerathen! vorhin waret ihr in grossen Ehren, und Ansehen; anjetzo in den verächtlichen, und elenden Stand eines Gefangenen. Vorhin stundet ihr bey dem König in Gnaden; anjetzo habt ihr einen Feind an ihm. O harter Unglücks-Streich, allein ihr könnet alles wiederum zurecht bringen, wann ihr nur wollet. Ihr dörffet nur die Königliche Ehescheidung gutheissen, so setzt euch der König nicht allein wiederum auf freyen Fuß, sondern versichert euch auf ein neues seiner vorigen Königlichen Gnaden. Sollet ihr aber wider alles Verhoffen euch nicht bereden lassen, so wisset, daß der König nicht allein alle euere Reichthum und Güter entziehen, sondern gar das Urtheil des Tods über euch wird fällen lassen. Ach! in was Unglück setzt ihr nicht allein euch selbst, sondern auch mich, und unsere liebe Kinder, wie? Mein liebster Ehe-Gemahl! werdet ihr dann zulassen, daß ich euch durch einen schmählichen Tod verliehren solle? Werdet ihr unsere Kinder zu armen verlassenen Waißlein machen? Werdet ihr zugeben, daß wir an den Bettelstab gerathen? Gedenckt doch, wie inniglich wir einander allzeit geliebt haben. Gedenckt an die Ehrerbietung, Liebe, und Gehorsam, so euch diese unsere Kinder erwiesen haben. Sehet, wie betrübt sie vor euch da stehen; wie ihnen die Zäher aus denen Augen schiessen: wie sie die Händ ineinander [232] schlagen: wie sie vor Leydwesen vergehen möchten. Ach! laßt euch doch bewegen, und gebet nicht zu, daß wir umsonst zu euch in diese Gefängnuß kommen seyen. Lasset uns nicht ungetröst von euch weggehen.« Dieses geredt, vergosse die gute Frau samt ihren lieben Kindern einen gantzen Bach der Zähern.
Ach GOtt! wie schnitten diese Reden dem guten Herren in das Hertz hinein! mit was Betrübnus sahe er seine liebe Gemahlin und Kinder an! Wie schosse ihm das Wasser in die Augen; aber dannoch liesse er sich durch dieses alles nicht überwinden, sondern hielte vest an GOtt, an sein Gewissen, und an die Gerechtigkeit. Also dann nach einem langen Stillschweigen redete er seine Gemahlin mit folgenden Worten an: Meine liebste Aloysia! ihr sagt mir wohl von des Königs Gunst, dafern ich nach seinem Gefallen reden sollte. Ihr sagt mir von anerbottenen Reichthumen, die ich zu geniessen hätte. Allein wie lang meynt ihr wohl, liebste Aloysia! daß ich solcher Dingen zu geniessen hätte? Aloysia antwortete: Mein Herr! euerer Leibs-Gesundheit und Stärcke nach wenigst noch 20. Jahr. Auf diese Antwort sagte Morus: So wolltet ihr dann, daß ich die Ewigkeit mit 20 Jahren vertauschen sollte? Wahrhaftig, Aloysia, ihr wurdet kein gute Käufferin abgeben. Wann ihr von etlichen 1000. Jahren gesagt hättet, wurde es sich vielleicht haben hören lassen, Aber nur 20. Jährlein; was seynd sie gegen der Ewigkeit? ein Schatten seynd sie, Nichts seynd sie. Darum bitte ich euch, ihr wollet mir nicht länger beschwehrlich seyn. Dann ihr sollet es nicht erleben, daß ich von GOtt, von meinem Gewissen, und von der Gerechtigkeit dem König zu gefallen, um ein Haar breit werde abweichen. Behüt euch dann GOtt, liebste Aloysia! behüt euch GOtt meine liebe Kinder! in seinen Schutz befehle ich euch. Dieser wird an meiner statt vätterliche Sorg für euch tragen. Noch einmahl: Behüt GOtt! im Himmel wollen wir hoffentlich einander wiederum sehen. Dieses geredt, entliesse er seine Frau samt denen Kinderen gantz trostloß von sich; bliebe beständig, und wollte lieber alles, als GOttes Gunst verliehren. Wie er dann auch seinen Kopf für die Wahrheit unerschrocken dargegeben, und der ewigen Seeligkeit zugeflogen ist. Staplet. in vita.
O mit was Wahrheit konnte dieser gottseelige Cantzler mit dem David sagen Psalm. 76. Die ewige Jahr seynd mir zu Gemüth kommen! In dero Betrachtung verachtete er alles, was zeitlich war. Und also solle es seyn. Was zeitlich ist, das vergeht, was ewig ist, das besteht. Alle Freud auf dieser Welt nimmt ein End, und muß man zuletzt bekennen, was dort geschrieben steht im Buch der Weisheit Cap. 5. Alles ist vorüber [233] gangen, wie ein Schatten. Nur die Freud in jener Welt hat kein End, sondern währet ewig, gleichwie im Gegentheil auch die Peyn ewig währet. O glückseelige Ewigkeit in der Freud; O erschröckliche Ewigkeit in der Peyn; und dannoch wartet aus beyden eine auf uns. Wie sollen wir uns dann lassen angelegen seyn, damit wir die glückseelige Ewigkeit erlangen.