Vier und viertzigstes Exempel.

Ein frommer Kieffer wird aus eines Drachen-Gruben wunderbarlich erlößt.

[276] Zu Lucern, im Schweitzerland war ein frommer Kieffer: der gienge einstens im Wintermonat in einen Wald hinaus, um darinn Holtz für Faß-Taugen auszusuchen. Er kam aber so tief in Wald hinein, daß er auf die letzte nicht mehr wußte, wo er den Weeg zuruck nehmen müßte. Demnach wendete er sich bald auf diese, bald auf jene Seiten, in Hofnung, endlich einen Ausgang zu finden. Allein umsonst. Mithin, als er den gantzen Tag irr gangen, fiele die Nacht ein. Da wurde er dann gezwungen in dem Wald zu übernachten, welches ihn nicht wenig betrübt; [276] bevorab, weil es Winter-Zeit war. Weil es aber nicht anderst seyn konte, sahe er ihm ein bequemes Ort aus, wo er sich nieder legen, und schlaffen möchte; dann er von seinem Herumschweiffen in dem Wald ziemlich müd war. Nachdem er nun die Nacht hindurch geschlaffen, und des anderen Tags in aller Frühe erwacht, stunde er auf, und machte sich wiederum auf den Weeg, in Hoffnung, endlich aus dem Wald hinaus zu kommen: es müßte dann gar alles Unglück sich wider ihn verschworen haben. Weil es aber noch ziemlich düster war, und er den Weeg nicht recht sehen konte, kame er zu einer etlich Klafter tieffen Gruben, in welche er stürtzte. Wiewohl er nun von einer ziemlichen Höhe hinunter gefallen, ist er doch am Leib weiters nicht verletzt worden; weilen nemlich die Gruben einen lettichten Boden hatte. Allein weilen er im Fallen voller Angst und Forcht war, ist ihn ein Ohnmacht ankommen. Nachdem er sich aber daraus erholet, und mithin um sich herum gesehen, wo er seye, nahme er wahr, daß er sich in einer so tieffen Gruben befinde, aus welcher er menschlicher Weis sich nicht mehr schwingen wurde. Dann, weilen diese Gruben einem runden und weiten Schöpf-Brunnen gleich, die Wände aber von glatten Steinen waren, wußte er sich nirgends anzuheben, und mithin die Höhe zu besteigen. Da rufte er dann GOtt, und seine wertheste Mutter aus gantzen Hertzen an, sie wolten ihm doch aus dieser äussersten Noth hinaus helffen. Allein es gefiele GOtt, den Kieffer zu Vermehrung seiner Verdiensten noch länger zu probieren. So geschahe es dann, daß, indem der Kieffer in denen Wänden der Gruben da und dort eine tieffe Höhle ersahe, in eine derselben hineinschlieffen, und darinn sein Ligerstatt nehmen wolte, zwey erschröckliche geflügelte Drachen gegen ihme herausgeschossen: über welches der arme Mann also erschrocken, daß er sich eylends in die Grub zuruck gezogen, GOtt und sein werthiste Mutter auf ein neues angeruffen, sie wolten ihn doch nicht verlassen. In welcher Bitt er auch von GOtt erhört worden: in dem ihn zwar die Drachen mit ihren Leiberen umrungen; ihm aber weiters kein Schaden zugefügt. Wie nun dem armen Kieffer in dieser Gesellschaft der Drachen werde zu Muth geweßt feyn; was er werde gedenckt haben; was Angst und Forcht in ihm werde erweckt worden seyn, wer will es beschreiben? wer mit Worten aussprechen? und dannoch hat er in dieser Gruben und Gesellschaft müssen zubringen ein gantzes halbes Jahr. Aber da wirst du (der du dieses lisest) bey dir selbst gedencken, wie dieser Mensch so lange Zeit sich habe können beym Leben erhalten. So höre dann, und erstaune darüber. Er nahme wahr, daß die Drachen sich mit nichts anders erhielten, als daß sie täglich die Wände der Gruben, aus welchen eine gesaltzene Feuchtigkeit heraus schwitzte, abschleckten. [277] Da gedachte er bey sich selbsten: O! können die Drachen durch dieses Abschlecken sich erhalten, so werd ich es auch können. Demnach folgte er ihnen nach: und sihe! es gabe ihm so viel Kraft, daß er ein halbes Jahr kein andere Speis noch Tranck genossen, als gedachte saltzige Feuchtigkeit. Da hätte man wohl sagen können, daß die Natur mit wenigen zu friden seye; wann nicht andere Ursachen wären, welche uns überweisen, daß hier etwas übernatürliches unterloffen seye. Nun, wie gienge es weiters? Nachdem der Winter fürbey, und sich eine warme Frühlings Witterung anmeldete, floge einer aus denen Drachen zur Gruben hinaus, um sich in dem Wald eine andere Nahrung zu verschaffen. Wie der Kieffer das gesehen; gedachte er bey sich selbst: O! hätte auch ich mit dir können hinausfliegen, wie glückseelig wurde ich geweßt seyn! Gutiger GOtt! verschaffe doch ein Mittel, daß auch ich aus dieser Grub hinaus komme. Indem er also mit diesen Gedancken umgehet, schwunge auch der andere Drach seine Flügel, um zur Grub hinaus zu fliegen. Wie der Kieffer das gesehen, hielte er sich (O! wer entsetzt sich hier nicht über die Kühnheit dieses Manns?) an den Schweiff des Drachens; und floge also mit ihm zur Gruben hinaus. Wie dieses geschehen, liesse er den Drachen fliegen, wohin er wolte; er aber kame mithin auf den rechten Weeg, der nach Lucern gienge. Diesen nahme er dann ungesaumt unter die Füß, bis er zu den Seinigen (welche ihn längst für todt gehalten) wiederum nach Haus gekommen; denen er auch, mit ihrer höchsten. Erstaunung erzählet, wo er so lange Zeit sich aufgehalten, und auf was Weis er aus seiner Gruben erlößt worden. Damit er aber jedermänniglich kund machte, daß er seine Erlösung Niemand anderst, als GOtt, und nach ihm seiner werthisten Mutter zuzuschreiben habe, liesse er ein Meß-Gewand verfertigen, auf welches sein Ausflug samt dem Drachen aus der Gruben, zu einem ewigen Angedencken der Nachkömmlingen künstlich gestickt wurde: welches Meß-Gewand noch heutiges Tags in St. Leodegari Kirchen zu Lucern denen Fremdlingen zur Erstaunung gezeigt wird. Unterdessen wendete sich der fromme Kieffer mit gantzem Hertzen zu GOtt, und danckte ihm Tag und Nacht für die wunderbarliche Erlösung. Weil er aber in gedachter Gruben so lange Zeit ohne menschliche Speis gelebt, mithin sein Magen gäntzlich verderbt worden; ist er nach zwey Monath seeliglich in dem HErrn verschieden. Athanasius Kircher S.J. in Mundo subterraneo. Tom. 2. l. 8. Sect. 4.


Wie weißt GOtt so wunderbarlich zu helfen, wann er seine Allmacht zeigen will! diese hat er gezeigt, da er den frommen Kieffer so lange Zeit in der Drachen-Grub erhalten hat. Dann wie leicht hätte er von ihrem vergiften Athem können angesteckt, und getödtet;[278] oder von ihnen lebendig verschluckt werden? wie bald hätte er aus Mangel menschlicher Speis und Tranck verschmachten können? Aber wegen seiner Frommkeit hinderte GOtt, daß ihm weder die Drachen schaden, noch der Mangel menschlicher Speis und Tranck den Tod konte bringen. Also schützt GOtt die Fromme, und zeigt, daß er sich ihrer annehme. Was für ein Antrieb ist dieses, fromm zu seyn.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 276-279.
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