[374] Eginardus, dieses Kaysers geheimer Secretarius, hatte seinen unordentlichen Anmuthungen den Zaum zu weit schiessen, und etwas höhers gehen lassen, als sein Stand und Herkommen ertragen möchte. Er ware etwas zu freundlich mit einer Prinzeßin, des Kaysers Tochter. Diese liesse ihr ihn, wegen seiner Höflichkeit, und schönen Naturs-Gaben so wohl gefallen, vermeinend, solche solten dasjenige ersetzen, was ihme an dem Stand und Herkommen abgienge. Darum liesse sie ihn unterweilen [374] bis in ihr Zimmer kommen, allwo er sich eine gute Zeit mit Schertzen und Possen-reissen aufhielte.
Nun geschahe es auf eine Zeit in dem Winter, daß er sich in der Prinzeßin Zimmer bey nächtlicher Weil also lang aufhielte, daß entzwischen ein tieffer Schnee gefallen, welches er erst gegen anbrechendem Tag vermerckte, da ihn die gewöhnliche Geschäften, und schuldige Dienst ermahneten, einen Aufbruch zu ma chen, und nach seiner Schreib-Stuben zu kehren. Weil er aber bey dem Kayserlichen Zimmer vorbey paßieren mußte, stunde er in Sorgen, wann er aus der Prinzeßin Zimmer heraus gienge, von dem Kayser, welcher fruhe aufzustehen gewohnt hatte, vermerckt zu werden. Zu dem hatte die Prinzeßin ein sonderbares Bedencken, man möchte unter Tags zweyerley Tritt aus ihrem Zimmer in dem Schnee in Obacht nehmen. Dannenhero sie beyde in grossen Aengsten und Sorgen stunden. Endlich nach langem Sinnen und Rathschlagen, fiele der Prinzeßin dieses Mittel ein, beyde von der bevorstehenden Gefahr zu erretten. Sie nahme diesen ihren Holder-Stock Eginardum auf ihre Achslen, und truge ihn durch die Länge des Kayserlichen Hofs bis in des Eginardi Schreib-Stuben; daß man also am folgenden Tag keine andere Fußstapfen, als die ihrige vermerckte. Vermeinte also, der Sach geholfen zu haben, daß ferners kein Hahn darnach krähen solte. Nun sagt ein heiliger Vatter, die Liebe habe einen so starcken Rucken, daß, wann sich die gantze Hölle liesse aufladen, sie von der Liebe ohne Beschwerde wurde getragen werden. Jedoch habe sie mehr Frechheit, ihre Händel anzuspinnen, als Klugheit, selbige zu verbergen. Und GOtt der HErr, der alles siehet, lasset nicht leichtlich zu, daß solche Thorheiten allzeit verborgen bleiben: wie dann diesen beyden ergangen, indem der Kayser eben diese Nacht mit studieren zubrachte; und als er gegen Tags der Prinzeßin Thür aufgehen hörte, wolte er wissen, was dieses bedeute. Gienge demnach zum Fenster, und ersahe diesen schönen Aufzug. Er verwunderte sich sehr darüber; wolte aber sie damahls nicht beschreyen, damit er sie mit besserer Gelegenheit vermahnen, und gütlich abstraffen möchte.
Folgenden Tags, als die Prinzeßin samt anderen vornehmen Fürsten und Herren an der Kayserlichen Tafel sassen, auch Eginardus, seines ihm obliegenden Diensts halber, gegenwärtig war, gabe der Kayser eine Frag auf: was derjenige Diener für ein Straf verdiene, der sich einer Kayserlichen Prinzeßin an statt eines Maulthiers bediene; und sich mitten in dem Winter durch einen tieffen Schnee tragen liesse? ein jeder sagte seine Meinung, und ware keiner, der ihn nicht zum Tod verdammte. Die arme Prinzeßin samt ihrem Eginardo erbleichten im Angesicht, wurden so weiß, als der Schnee, [375] und konten ihnen nichts anders einbilden, als man wurde sie ohne weiteren Proceß zum Tod führen.
Unterdessen fienge der Kayser an zu lächlen, und sprache zu dem Secretarius: Eginarde! wann du je ein so grosse Lieb zu dieser Prinzeßin, unserer Tochter getragen, soltest du zuvor uns, die wir in dieser Sach zu gebiethen haben, darum begrüßt haben; und nicht mit solchen heimlichen Practicken, dardurch du den Tod verschuldet, umgangen seyn. Damit du aber unserer Kayserlichen Mildigkeit ein Angedencken habest, schencke ich anjetzo dir, und deiner Tragerin das Leben.
Diese beyde arme neue Eheleut gedunckte es, als wann sie in einem Augenblick aus der Tieffe der Höllen bis an den Himmel wären erhoben worden. Sie erkenneten ihr Verbrechen, und bedanckten sich aufs höchste für diese unverhofte Kayserliche Gnad. Alle Gegenwärtige konten sich ab einem so milden, und klugen Urtheil nicht genugsam verwunderen.
Es ist ungezweifelt, daß Carolus in dieser Tugend sehr vortreflich gewesen, und hierinn dem Rath des H. Ambrosii, den er auf ein Zeit dem Sipinnio gegeben, gefolget seye. Dieser Sipinnius hatte einen Sohn, der sich auf jetzt gemeldte Weis, ohne sein Vorwissen, mit einer, die seinem Stand nicht gleich war, verehelicht. Hierinn zweifelte der Vatter, ob er es also geschehen lassen solle. Befragte sich derohalben bey dem Heil. Ambrosio um einen Rath. Ambrosius antwortet mit Ja darzu: dann (sagte er) wann ihr sie beyde aufnehmet, machet ihr sie besser, wann ihr sie aber verstosset, so werden sie nur ärger. Jedoch solle diese Mildigkeit der Elteren denen Kinderen keinen Anlaß geben, daß sie ohne Vorwissen ihrer Eltern sich versprechen, und bisweilen einer gantzen Freundschaft grosse Ungelegenheit verursachen.