Zweiter Auftritt.

[156] Waldwiese an einer Hügelabdachung. Große Versammlung der Weiber, unter ihnen Tattabaucis, Kakodromida, Phyllis, Lainilla und andere.


TATTABAUCIS.

Hier scheint der Ort mir günstig. Gegen Süden

Senkt sich vom Eichwald her die sanfte Halde,

Ein warmer Streifen lockern, trocknen Bodens.

Wie denkt ihr andern?

PHYLLIS.

Du bist unsre Herrin,

Seit Artemisia des Todes starb.

TATTABAUCIS.

Nicht so! Ich will nicht eure Fürstin sein,

Nur eure Führerin, der ihr vertraut.

Mit Liebelei'n und höf'schem Glanz ist's aus.[156]

Auf kurzes Brautglück folgt die Mutterschaft,

In der wir alle gleich sind, unromantisch

Und praktisch nur. Bloß weil ihr mich erkanntet

Als so beschaffen, habt ihr mich erwählt.

KAKODROMIDA.

Ja, jetzt kommt unsereins zum Recht. Gebären

Ist demokratisch.

LAINILLA sich umsehend.

Mir gefällt's hier gut.

ANDRE WEIBER einstimmend.

Und mir! Und mir! Uns allen!

TATTABAUCIS.

Ans Geschäft denn!

Erst weiht den Ort mit gutem Spruch und Reigen,

Der auf die Bürde lösend wirkt; dann schlüpfen

Wir unter, jede, wo es ihr gefällt.

REIGEN UND GESANG.

Eier Eier legen –

Erst ein freier Regen –

Dann ein freier Sonnenschein –

Sieben Segen hinterdrein –

Maiengrün und Flieder –

Dreimal sieben Kinderlein –

Alle mitt's ins Nest hinein –

Sitz' nieder! Sitz' nieder![157]

ANTHUSA herbeieilend.

Ihr wollt gebären?

PHYLLIS sie begrüßend.

Ei, sieh da, Anthusa!

ANTHUSA sie nicht beachtend.

Ihr wollt gebären?

PHRIXA.

Wollen ist das Wort nicht,

Wir müssen.

PHYLLIS.

Doch wir können auch.

LAINILLA.

Und drum

Ist Wollen gleichwohl mit dabei. Wer möchte

Nicht wollen, was er muß und kann?

ANTHUSA.

Tut's nicht.

TATTABAUCIS.

Bist du kein Weib, daß du so töricht faselst?

PHYLLIS.

Verzeih ihr. Unsrer vielbeklagten Fürstin

Hoffräulein einst, gleich mir, sprach sie von jeher

Verworrnes krauses Zeug; doch war verständ'ger[158]

Ihr Handeln als ihr Reden. So zum Beispiel

Auch widerriet sie uns zu frei'n; wir sollten

Die Männer meiden. Später ward sie selbst

Mit einem Mann betroffen.

ANTHUSA.

Er ist tot.

PHYLLIS.

Wie starb er dir?

ANTHUSA.

Ihr kennt das Volk der Menschen.

Da Fliegen ihnen ist versagt, versuchen

Auf hundert Arten eilende Bewegung

Die Listigen. So haben sie's ergattert,

Auf leise Räder rittlings sich zu setzen,

Mit denen wie im Flug heran sie sausen.

Ein widerwärt'ger Anblick ist's, wenn häßlich

Vorwärts gebeugt, mit ihren nur vier Beinen

Sie auf dem Unding kleben. Solch ein Rad

Kam wie ein Blitz daher und traf den Gatten

An Kopf und Brust, ihn augenblicklich tötend.

So schnell geschah's, daß ich, mit ihm verbunden

In inniger Umschlingung, noch liebkosend

Ihn hegte, während längst sein Atem stockte.

PHYLLIS.

Du Aermste.[159]

TATTABAUCIS.

Wenigstens erfuhr sie nicht

Die schlimmre Witwenschaft, wie diese Männer

Nach kurzem Taumel weiter sich nicht kümmern

Um uns.

ANTHUSA.

Und wenn ihr dies erfuhrt, wollt dennoch

Fortsetzen ihr das unvernünft'ge Leben

In künftigen Geschlechtern?

TATTABAUCIS.

Hört die Närrin,

Die nicht begreift, daß wir Notwendiges üben!

PHYLLIS.

Fühlst du dich selbst nicht Mutter?

ANTHUSA.

Nein.

PHYLLIS.

Dann freilich

Hast du hier Sitz und Stimme nicht.

ANTHUSA.

Doch graut mir,

Daß solches Possenspiel, wie wir's erfuhren,

Sich zwecklos ewig soll erneu'n. – Erschnapptet

An dieser Lebensmahlzeit jemals ihr

Nur einen Bissen, der gewürzt nicht war

Mit Lug und Trug?[160]

PHYLLIS überzeugt.

Die Liebe!

ANTHUSA.

Wo ihr eben

Noch klagtet, daß die Männer euch verlassen,

Sei's, daß der Tod sie raubte, sei's – was schlimmer –

Daß wankelmüt'ger Sinn sie euch entzog?

PHYLLIS.

Mag sein, daß falsch die Männer sind und treulos,

Mag sein, daß wir auch allzuviel nicht taugen

Und daß die ganze Welt ein Possenspiel.

Doch gibt's im Zeitlauf dieser schlechten Welt

Für unsresgleichen mal ein Viertelstündchen,

Das alles zahlt: wenn zwei von diesen einzeln

So schlimm beschaffnen Wesen sich in Liebe

Verbinden. – Ach! es war halt schön! Und Kinder

Sind das Bekenntnis, daß die Welt uns einmal

So gut gefiel, um selbst an ihr zu baum.

ANTHUSA.

In unbedachter Lust, ja wohl!

PHYLLIS.

So sei es:

In unbedachter Lust!

ANTHUSA.

Die neue Sklaven

In dies Gefängnis liefert, unbefragte![161]

LAINILLA.

Geh, frag' sie doch, oh sie nicht kommen wollen.

Mir scheint, sie wollen alle.

ANTHUSA.

Wem gehörtest

Du an?

LAINILLA.

Ich? Bitt' schön, bin Hofpred'gerswitwe.

Und dreißig Pfarrerssöhn' und Pfarrerstöchter

Schenk' ich demnächst der Welt.

ANTHUSA.

Um Gotteswillen.

TATTABAUCIS.

Nun hab' ich's endlich satt, daß du verekelst

Uns Müttern die Entbindung. Trolle dich!

Wozu, was unabänderlich, beschwatzen?

ANTHUSA.

»Was unabänderlich?« – Könnt ihr ins Wasser

Die Brut nicht werfen, aufs Gestein sie betten,

Wo sie die Sonne dörrt?

TATTABAUCIS.

Du grundverderbtes

Geschöpf! So schlecht, wie jene blassen Riesen,

Die unsre Feinde sind und deren Laster

Sich auch ins Riesenhafte recken. Weiber[162]

Der Menschen tun vielleicht dergleichen. Heilig

Ist diesem mörderischen Volke wohl

Die eigne Brut auch nicht. Wer weiß! sie suchen

Sich Mittel, ihren Schoß gar zu verriegeln.

Sie leben nicht im Wald wie wir, sie ehren

Nicht Sonnenschein und Tau und nähren sich

Von sanften Blättern nicht, daß mit der Speise

Der Atem unsrer großen, heil'gen Mutter

In ihres Leibes Hallen dringt; sie heben

Die Hand auf feindlich wider die Natur

Und mästen sich vom Morde, der sich blutig

In ihre Adern gießt, ihr Hirn vergiftend

Zu tollem Aberwitz, bis sie verkennen

Des Lebens ewige Gesetze. Freilich

Straft auch Natur sie. Neulich hört', ich schreien

Ein menschlich Weib so furchtbar, daß ich wähnte

Man morde sie. Was war's?


Verächtlich.


Ein Kind gebar sie!

Nur eines, und doch wollte sie vergehn

In ihrer Qual. Auch mußten Hand und Werkzeug

In ihrem Leibe wühlen nach der Frucht –

Und diese Menschen werten höher sich

Als uns vor Gott, der sichtbar uns bevorzugt,

Da unser Schoß, wie reichlich auch gesegnet,

Leicht seine Bürde hinlegt, spielend fast. –


Zu Anthusa.


Du aber, die du frevelnde Gedanken

Als einz'ge Frucht gebierst, und uns empfohlen,[163]

Was nie in unserm Volke noch geschah,

Nimm in die Gruft, die über dir wir mauern,

Das schändliche Geheimnis deines Rates.

Ergreift sie! Fort mit ihr! Senkt sie lebendig

In ein Verlies, das nie mehr sie verläßt.

PHYLLIS.

Erbarmen für die Törin!

TATTABAUCIS.

Nein! – Kommt alle.

Du, Kakodromida, stehst Wache hier,

Daß niemand uns an unserm Werke störe.

ANTHUSA während sie fortgeführt wird.

Was ihr mir zufügt, wird euch selbst getan.

Ihr wißt nicht, daß die Wiegen eurer Brut

Euch zum Gefängnis werden und zum Sarge.

Ihr zahlt die Mutterschaft mit euerm Leben.


Alle ab, außer Kakodromida, die Wache hält.


DER LYRISCHE DICHTER SYLVAN kommt im Selbstgespräch des Weges daher.

Hier schließ ich endlich den Sonettenkranz

An meine Myrrha! –'s war ein Kettentanz

Für mich, ein wahrer Klebeklettenschwanz.

Und gar nun das berühmte Meistersonett!

Mit besserm Rechte hieß' es Kleistersonett,

Zusammengeleimt, zusammengepappt

Aus Sätzen, denen der Atem abschnappt,[164]

Bevor sie völlig zur Welt gekommen.

Doch hab' ich die schwere Form genommen,

Weil Würde sie verleiht zum Lohn,

Den rechten Mausoleumston.


O! Myrrha! nur flüchtig mir angegattet,

In schönen Versen jetzt bestattet,

In einem Sonettenkranz begraben, –

Was könntest du noch dagegen haben,

Wenn ich, da dies Stück Biographie

Nun hinter mir liegt, und ein Genie

Ins volle Leben hinein muß greifen,

Den Trauerflor jetzt würd' abstreifen?

»Sich ausleben«, denk' ich, heißt die Parole.

Du lebtest dich aus, als vom Pirole

Du wurdest durch die Luft getragen.

Ich aber möchte zu meinem Wohle

Eine andre Manier des Auslebens wagen.


In einiger Entfernung die Weiber erblickend.


Und da, schau schau, wie sich's gebührt,

Hat die Muse mich wieder mal glücklich geführt.

Ein ganzes Rudel schöner Kinder,

Kein Mann dabei, – gehn wir geschwinder!

KAKODROMIDA ihm den Weg vertretend.

Halt! wer da?

SYLVAN.

Sylvan, der Poet.[165]

KAKODROMIDA.

Was sucht Ihr hier?

SYLVAN.

Ich geh spazieren.

KAKODROMIDA.

Das ist kein Ort, wo man spazieren geht.

SYLVAN.

Warum nicht?

KAKODROMIDA.

Weil uns Männer hier genieren.

SYLVAN.

Wo bin ich hier denn?

KAKODROMIDA.

Bei den Müttern.

SYLVAN.

Ei!

KAKODROMIDA.

Ja! »Ei!« Das ist die Losung, drum geht weiter.

SYLVAN.

Aus diesem allem werd' ich nicht gescheiter.

Was treibt ihr?[166]

KAKODROMIDA.

Das Geschäft der Mütter?

SYLVAN.

Was?

KAKODROMIDA.

Hier wird geboren.

SYLVAN.

Schätzchen, du machst Spaß.

KAKODROMIDA.

Im Gegenteil! Mir ist es bittrer Ernst.

Und wenn du Frecher dich nicht flugs entfernst,

Wird Tattabaucis dir den Weg schon weisen.

SYLVAN.

Wer ist das?

KAKODROMIDA.

Unsre Mustermutter. Dicker

Als alle. Führt ein Regiment von Eisen.

SYLVAN.

Ich bleib'. Als Dichter ...

KAKODROMIDA.

Gib acht, Verseflicker!

Sie hat dich schon bemerkt. Jetzt geht's dir schlecht.[167]

TATTABAUCIS mit einem Teil der Weiber zurückkehrend.

Was muß ich sehn? Ein Mann! Mit welchem Recht

Störst du der Mütter heilige Verrichtung?

Steh Rede mir! Weshalb hier drangst du ein?

SYLVAN.

Ich bin Sylvan, ein Fürst im Land der Dichtung.

TATTABAUCIS.

Wärst du geblieben dort.

SYLVAN.

Wollt mir verzeihn.

Ich hoffte hier ein Publikum zu finden

Für meinen duftenden Sonettenkranz.

Von denen bin ich, die den Frauen binden

Manch zartes Sträußchen. Dichter geben Glanz

Der Frauenliebe wie dem Frauenleben.

TATTABAUCIS.

Ja wohl! So ein Verhimmeln und Verschweben

In luft'ge Phantasie und blauen Dunst!

Fern aller Wirklichkeit ist eure Kunst.

Und was da Männchen heißt, stimmt gleichen Tones

Sanft flötend ein in eure Melodie,

Bis ihr teilhaftig seid des süßen Lohnes,

Den ihr erstrebt. Doch selten oder nie[168]

Seid ihr nachher die gleichen wie zuvor.

Schlecht hält der Gatte, was der Bräut'gam schwor.

Und daran seid vor allem schuld ihr Dichter,

Die ihr die Welt gewöhnt an Lügentand,

So daß, wenn alles nüchterner und schlichter

Dann in der Ehe zeigt sich dem Verstand,

Enttäuschung Mann und Weib ergreift und trennt.

SYLVAN.

Ich darf behaupten, daß ihr mich verkennt,

Und nicht nur mich, die ganze Dichterzunft.

Wohl wahr ist, daß zuweilen Unvernunft

Uns reißt dahin in all zu tollem Schwirren,

Wenn nach dem Weibe jede Fiber lechzt ...

TATTABAUCIS.

Berechnung ist dabei; ihr wollt uns kirren,

Indem ihr gar so gottserbärmlich ächzt ...

SYLVAN.

O! nein! Es ist uns wirklich so zu Mut.

Wer brünstig liebt, schaut wunderbare Dinge,

Die blasse Welt getaucht in Purpurglut,

Um leere Köpfe heil'ge Farbenringe.

Und in uns schwillt's und brodelt's trüb und schwül

Von einem übermächtigen Gefühl ...

TATTABAUCIS.

Das dann ohnmächtig sinkt in sich zusammen,

Sobald gelöscht des ersten Durstes Flammen.[169]

SYLVAN.

Das alles mag so sein ...

TATTABAUCIS.

Es ist.

SYLVAN.

Doch nur,

Weil jene große Dichterin Natur

So in uns wirkt Wir Dichter aber streben,

Dem flücht'gen Glück den Weiheglanz zu geben,

Der selbst den Tod oft überdauert,

Wie ich, zum Beispiel, der um Myrrha trauert ...

LAINILLA als Botin kommend, zu Tattabaucis.

Jetzt ist sie völlig eingemauert.

TATTABAUCIS.

Schweig!

SYLVAN.

Wer ist eingemauert? Darf ich fragen?

TATTABAUCIS.

Nein!

LAINILLA.

Ei! warum soll man's nicht sagen?

Ein sittenlos Geschöpf, das frevelhaft

Uns riet, die künft'gen Kinder zu vernichten.[170]

PHYLLIS.

Anthusa ist's.

SYLVAN.

O! Löset ihre Haft

TATTABAUCIS.

Nichts da!

SYLVAN.

Ist's ein Triumph, sie hinzurichten?

Wär's nicht glorreicher, edler, zu bekehren

Die arg Gefallene?

TATTABAUCIS.

Bekehren? Die?

SYLVAN.

O! schenkt sie mir. Ich würde sie belehren

Und bessern.

PHYLLIS.

Witwer er und Witwe sie

Laßt Gnad' für Recht ergehn.

TATTABAUCIS.

Und wär' es Gnade,

Wenn aus den Beiden wirklich würd' ein Paar?

LAINILLA.

's ist Eines für das Andre nicht zu schade![171]

TATTABAUCIS für sich.

Die schärfste Buße Beiden wär's. –'s ist wahr:

Ein Dichter und ein tolles Frauenzimmer

Als zärtlich Paar – da ist der Tod nicht schlimmer.


Zu Sylvan.


Es sei! – Doch Myrrha? der Sonettenkranz?

SYLVAN beglückt.

O! sorgt euch nicht um diesen Firlefanz.

Da »Myrrha« so wie so kein Reimwort war,

Paßt alles auf Anthusa ganz und gar.

Doch nimmt sie mich?

TATTABAUCIS.

Wo ich das Bündnis flechte?


Höhnisch.


Glaub mir's: du bist für sie genau der Rechte!


Alle gehen ab.


Quelle:
Josef Victor Widmann: Maikäfer-Komödie. Frauenfeld [o.J.], S. 156-172.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Chamisso, Adelbert von

Peter Schlemihls wundersame Geschichte

Peter Schlemihls wundersame Geschichte

In elf Briefen erzählt Peter Schlemihl die wundersame Geschichte wie er einem Mann begegnet, der ihm für viel Geld seinen Schatten abkauft. Erst als es zu spät ist, bemerkt Peter wie wichtig ihm der nutzlos geglaubte Schatten in der Gesellschaft ist. Er verliert sein Ansehen und seine Liebe trotz seines vielen Geldes. Doch Fortuna wendet sich ihm wieder zu.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon