[195] SIDNEY.
Schon lange hallt das Innre des Palastes
Von klagendem Getön – Des Königs Schicksal,
Dein Schicksal, Albion, wird jetzt entschieden!
Wie bebt mein ahnend Herz! – Doch, seh ich, nicht
Des frommen Suffolk schöne Tochter,
Und Guilfords Braut, die königliche Lady
Johanna Gray, sich nahn? – Ihr thränend Auge
Verkündigt eine böse Botschaft!
LADY JOHANNA GRAY.
Es ist geschehn! – Der König ist nicht mehr!
Mein Freund, mein Bruder Edward! – gute Sidney,[195]
O hilf mir weinen! Weine, gute Sidney!
O! misch' in meine und in Englands Thränen
Die Deinigen – der König ist nicht mehr!
SIDNEY.
Gott! welch ein Schlag! Weh uns! – O Gott! wie schwer
Fällt deine Hand auf uns! – Mit ihm
Sinkt Albions letzte Hoffnung!
LADY JOHANNA.
Einer solchen Tugend
War diese Welt nicht werth! Der Himmel hat
Sein stärkres Recht, an ihn zurückgefodert.
SIDNEY.
Zu froh! Ach! allzufrüh, o theurer Jüngling,
Eilst du zurück, die Himmelsluft zu athmen
Wo du geboren warst – zu früh für uns,
Eh noch die goldnen Tage kamen,
Von denen uns die Morgenröthe schon
Aus deinem hulderfüllten Antlitz strahlte.
Dich flehten unsre ungestümen Seufzer
Dem Himmel ab, dich, unsre letzte Hoffnung!
Zu dir, zu dir rang ein gequältes Volk[196]
Die wunden Arme, seiner Fesseln müde,
Der Tyranney, der Todesscenen müde,
Ermüdet zwischen Furcht und banger Hoffnung
Ein ungewisses Leben fortzuschleppen.
Zu dir hob mitten aus den Flammen
Die leidende Religion ihr Auge
In heissen Thränen auf! – Ach! Edward, Edward
Fliehst du von uns? Eh deines Volkes Glück
Dich mit dem süssen schönsten aller Nahmen,
Dem Nahmen, der im Ohre frommer Fürsten
So lieblich tönt, dem Vaternahmen, krönte?
LADY JOHANNA.
Diess, Freundin, diess durchbohret mir die Seele!
Mein eigner Schmerz, so scharf er ist, verschwindet
Im allgemeinen Elend! – O! mein Vaterland,
Du kennst noch nicht in seinem ganzen Umfang
Den Werth des Guts, das du verloren hast.
O! grosse Thaten, werth des Nachruhms, werth
Von künft'gen Altern nachgeahmt zu werden!
Den Fürsten, die noch ungeboren sind,
Erhabne Muster, hat sein früher Tod,
Der Welt geraubt! Was schön, was edel ist.
Was erst den Menschen, dann den König bildet,[197]
Des dritten Edwards väterlicher Sinn
Zu seinem Volk, und Richards Löwenmuth,
Der kluge Geist des Salomons der Britten,
Das ganze Kor der Schwestertugenden,
Die einst sich Alfreds Brust zum Tempel weihten,
Befruchteten sein Herz. Wie Davids Sohn
Bat er von Gott nicht Macht, nicht Ruhm, nicht Gold,
Er bat um Weisheit, und er ward erhört!
Vergebens bot ihm mit Sirenenlippen
Die Wollust ihre schnöden Süßigkeiten;
Wie Herkules verschmäht' er sie, und wählte
Der Tugend steilen Pfad, den Weg der Helden!
Und o! wie zärtlich war sein fühlend Herz,
Wie scharf sein innres immer waches Ohr,
Der Weisheit leise Warnungen zu hören!
Wie weit verbreitet seine Menschenliebe!
Gefühlvoll für die Leiden seiner Brüder,
Von Sehnsucht glühend Allen wohlzuthun,
Schnell zum Verzeihn, und nur der Bosheit streng,
Wie sanft, wie frey von Stols und eitler Selbstheit,
Der Wahrheit hold, auch wann sie ihn bestrafte –1
O! mein zu weiches Herz! – O theures Bild,
Ists möglich, bist du alles, was von ihm
Mir übrig ist? O flieh! du täuschest mich[198]
Ihn mir so lebend, so mit jedem Zug
Mit jedem Lächeln seiner holden Augen,
Stets vorzustellen – Theurer Jüngling! Nimmer
Acht Nimmer wenden diese holden Augen,
Auf die Gespielin deiner Kindheit lächeln –
Nie wird mich deiner Stimme süsser Ton
Beym Nahmen rufen! Nimmer werden uns
Bey deines Platons göttlichen Gesprächen
Die Winterstunden zu Minuten werden!
Ists möglich, kannst du mich zurücke lassen?
Mich, deren Seele mit der deinigen
So zart verwebt war! – Ach! Und wo? wo lässt du mich?
Und eilst zu deinen anverwandten Engeln!
SIDNEY.
Gerecht sind deine Klagen, fromme Schöne:
Doch bald wird sie der allgemeine Jammer
Unhörbar machen! – Ach! die schwarze Stunde,
Da Edward starb, ist Englands Todesstunde.
Sein Tod wird ganze Hekatomben würgen!
Die Freyheit stirbt mit ihm, die nun so lange,
Aus Griechenlands und Rom's Ruinen flüchtig,
In Albion sich eine Zuflucht suchte.
Und ach! Was wird die Kirche Gottes werden?[199]
Die kaum errettet aus des Tiegers Rachen,2
Zu athmen anfing, unter Edwards Schutz
Die erste goldne Zeit der Christen hoffte;
Die Tage hoffte, da das heil'ge Volk
Noch auf dem Pfade seines Meisters ging,
Da Unschuld, Sanftmuth, ungefärbte Liebe
Das Merkmahl war, woran man Christen kannte?
Ach! jede Hoffnung bessrer Zeiten sinkt
In Edwards Grab! Und welche Schreckgestalten
Zeigt uns die Zukunft? Bald, o schrecklicher Gedanke!
Verschlingt die Erde, bebend vor Entsetzen!
Das Blut der Zeugen, das aus Flammen sprudelt,
Maria leiht der priesterlichen Wuth
Den königlichen Arm, Weh uns! was bleibt
Der nackten unbewehrten Unschuld übrig?
Wenn du, o Gott, dich unser nicht erbarmest,
Und Edward aus den Au'n des Lichts herabsteigt,
Der treue Schutzgeist seines Volks zu bleiben!
LADY JOHANNA.
Er wird, er wird es seyn! Kein Mutterherz
Schlägt zärtlicher für ihren ersten Säugling,
Als Edwards Herz für sein geliebtes Volk,
Vor allen trug er die in seiner Brust,[200]
Die nach der Reinigung der Kirche seufzten,
Und an das Werk des Herrn voll Heldenmuths
Die Hand schon angelegt. Nur die Erinnerung
An sie, hielt seine Lust zum Sterben auf.
In dieser Nacht, da schon sein Geist im Eingang
Des Himmels schwebte, naht' ich unbemerkt,
Beym düstern Schein der Lampe, seinem Lager,
Er betete. Sein, thränenvolles Auge
Schien unverwandt zu Gottes Thron entzückt,
Und sagte mehr, als Worte reden können.
Doch brach die Inbrunst seines Herzens oft
In Seufzer aus, die auf den starren Lippen
Zu Worten wurden, und in meine Brust
Wie Pfeile drangen: »Gott, (so hauchte sich
Die heil'ge Seele aus) o Gott nimm mich zu dir!
Nimm meinen Geist aus dieser Welt des Abfalls
Zu dir, und zu den Geistern, die dich lieben,
Und deinen Willen thun. – O! meine Seele
Lechzt lange schon dein Angesicht zu schauen!
Du Vater, weissest es, wie gut mirs wäre,
Bey dir zu seyn! Und doch, um derer willen
Die du erwählt hast, um der Frommen willen,
Die zu dir weinen, lass mich länger leben!
Noch leben, bis das grosse Werk vollbracht ist,
Dein Reich in Englands Grenzen fest zu gründen.[201]
Doch nicht mein Will', o Vater, sondern deiner
Gescheh!3 Hier schwieg sein Mund, und mir
Zerfloss das Herz in nahmenloser Wehmuth.
SIDNEY.
Des frommen Edwards letztes Seufzen wird
Und kann nicht unerhört zum Himmel steigen.
Zwar Edward starb! Doch Der, zu dem er flehte,
Hat tausend Mittel uns zu retten übrig.
LADY JOHANNA.
Die Wege Gottes sind dem blöden Menschen
Geheimniss; die Gedanken, die er denket,
Sind nicht wie unsre eiteln Traumgedanken.
Nur Wunder, die wir nicht berechtigt sind
Zu fordern, können uns dem offnen Rachen
Des Untergangs entreissen! – Edwards Krone
Fällt nach dem Reichsgesetz, und Heinrichs letztem Willen
Jetzt auf Mariens Haupt. Die Stund' ist da,
Auf welche sie ihr racheschnaubend Herz
So lang vertröstete, die Stund' ist da,
Nach der sich Rom und seine Priester sehnten.
O! was für grauenvolle Scenen
Von Blut und Mord weissagt mein bebend Herz![202]
Schon lange lechzt ihr Eifer nach dem Blute
Der Heiligen! – Von Mönchen mit gezücktem Stahl,
Von Priestern, die mit räuberischer Faust
Den Donner Gottes schleudern, rings umgeben,
Wird sie, die neue Königin, den Thron
Auf Todtenschädel gründen, und den Himmel
Und Roms erzürntes Haupt mit Menschenopfern
Versöhnen wollen. Bonner, Gardiner,
Und andre, deren tief versteckte Bosheit
Zu Edwards Zeit sich in Verstellung hüllte,
Stehn schon bereit, den Gott der sanften Liebe
In ihrer heuchlerischen Wuth zu rächen.
Ach, Sidney! – Ach! Die Zahl der Wahrheitsfreunde,
Der Redlichen, verliert sich in der Menge
Der falschen Seelen, die von jedem Winde
Wie Rohre wanken, immer fertig sind,
Dem zuzurauschen, den das Glück begünstigt.
O England! O zu früh verwaiste Kirche!
So kürzlich erst gepflanzt, jetzt schon im Keime
Von strenger Glut versengt! O kleine Schar
Der ersten schwachen Säuglinge der Wahrheit!
Für euch bricht mir mein schwesterliches Herz,
Für euch thränt unversiegt mein ahnend Auge![203]
Der Himmel zürnt den frommen Thränen nicht,
Dem Zoll der Menschlichkeit; er fordert nicht,
Dass wir gefühllos seiner Schläge lächeln.
SIDNEY.
Lord Guilford kommt, Prinzessin, deine Klagen
Und den gerechtsten Schmerz mit dir zu theilen.
Ich geh', der Stadt, die zwischen Furcht und Hoffnung
Erwartend schwebt, ihr Schicksal anzukünden.
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