Zweiter Auftritt

[276] Konrad, Agnes kommen von links unten; Agnes auf Konrad gestützt.


KONRAD.

Dort siehst du Brandenburg; wir sind am Ziel.

Gut, daß wir's sind, denn du bist müd' geworden.[276]

AGNES.

Ein wenig nur.

KONRAD blickt zurück.

Die Mutter auf dem Wagen

Blieb weit zurück.

AGNES.

Die Räder mahlen langsam

Im tiefen Sand, man geht zu Fuße schneller.

KONRAD.

Dies ist der Ort; die brandenburg'schen Städte

Versammeln heut sich hier, dem Hohenzollern

Huld'gung zu leisten; dieses stille Feld

Wird bald von Menschenscharen widerhallen.

Jetzt, da die unbefleckte Morgenfrühe

Das Land mit ahnungsvollem Schweigen deckt,

Laß uns denn Abschied nehmen.

AGNES.

Abschied?

KONRAD.

Ja.

Und ohne Wort. Was sollen Menschenworte

Da, wo das Schicksal spricht? Doch meinem Kuß

Verwehr' dich nicht, denn Sterbende sind heilig.

Und wie ein Sterbender, so küss' ich dich.


Er küßt sie.


AGNES.

Du gehst? Und warum gehst du?

KONRAD.

Weil ich muß.

AGNES.

Kannst nicht auf unsrer Seite bleiben?

KONRAD.

Nein.

AGNES.

O – doch versuch's.

KONRAD.

Ein jeder geht den Weg,

Der ihm geschrieben ward. Zum Hohenzollern

Führt deiner dich, der meinige – wohin –?[277]

AGNES.

Solch kurzer Abschied für die Ewigkeit?

KONRAD.

Häng' dich nicht an den Toten.

AGNES.

Nein, du lebst!

KONRAD.

Tot ist, wer nicht mehr glauben kann und hoffen.

AGNES.

Und du, so reich an Glauben einst und Hoffnung,

Hast du von all dem nichts mehr? Nichts mehr?

KONRAD.

Nein.

Ich hab' in meiner Seele einen Menschen

Begraben – wer an Gräbern wohnt, verwelkt.

AGNES umschlingt ihn.

O nur nicht also stoße mich von dir!

So tief, so rein sprach Weibes Liebe niemals

Zum Mann, wie dies mein stammelndes Gebet:

Laß mich dich lieben, Konrad, liebe mich!

In dieser Stunde, da dich Gott verläßt,

Behalte mich an deinem Herzen, Konrad!

Du weißt ja, ich bin armer Leute Kind,

Heut bist du selber arm, heut kann ich helfen –

KONRAD.

Reiß mein Geschlecht mir aus dem Blute, Weib,

Dann sprich von helfen. – Geht zum Hohenzollern!

Mög' er der Retter sein für Brandenburg,

Das flehe ich, obschon ich es nicht glaube,

Obschon ich weiß, daß Quitzow sterben muß,

Wenn Hohenzollern Brandenburg errettet –

O Wahnsinn über meinen Haupt und Herzen

Und Wirrsal, unentrinnbar, fürchterlich![278]

AGNES blickt ihm ins Gesicht.

Sieh – diese Träne – wie ein Tropfen Bluts

Aus deinem Herzen quillt sie dir vom Auge –

So trink' ich sie im Kuß und so bewahr' ich

In mir dein heiliges geliebtes Herz.


Küßt ihn.


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 9, Berlin 1911–1918, S. 276-279.
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