[76] Lene von rechts zu den Vorigen.
LENE geht auf die Mutter zu, küßt sie. Tag, Mutter. Reicht Ale die Hand. Tag, Onkel Ale.
ALE. Na meine Tochter – nu setz' dir mal.
LENE. Jott, Mutter – was is denn mit Onkeln? Der macht ja ein Gesicht –?
ALE. Du kannst och stehn, wenn dir das lieber is – wir haben was mit dir zu reden.
LENE. Das klingt ja wie in die Kirche?
ALE. Is auch was Ernstes.
LENE. Man los, ich hol' mir bloß meine Arbeit. Sie geht an die Kommode, nimmt eine Näharbeit heraus, setzt sich damit an die Seite der Mutter.
ALE. Es is nämlich – jemand dajewesen.
LENE. So? Wer denn?
ALE. Und hat nach dir gefragt.[76]
LENE. Wer denn?
ALE. Wirst du jleich erfahren. Und – hat mit Muttern jesprochen.
LENE blickt der Mutter nah ins Gesicht. Von wegen – mir?
FRAU SCHMALENBACH. Ja, von wegen dir.
LENE beugt sich über die Mutter, blickt ihr lächelnd tief in die Augen. Na – Mutter?
FRAU SCHMALENBACH. Hm?
LENE breitet die Arme um die Mutter, legt ihr Haupt an deren Brust. Is er denn also dagewesen?
FRAU SCHMALENBACH. Wer, meinst du denn?
LENE. Aber – Mutter – Sie verbirgt, leise kichernd, tief errötend, ihr Gesicht am Halse der Mutter.
ALE. Wie ick also sage – der Herr Aujust war da.
LENE richtet sich auf. Der Herr Aujust?
ALE. Wer denn sonst?
LENE. Was hat denn der gewollt?
ALE. Na – du hast's ja gehört?[77]
LENE. Was soll ich denn gehört haben?
ALE. Daß er mit Muttern gesprochen hat.
LENE. Der war's? Was will er denn von mir?
ALE. Das is ja nun eben das, worum daß es sich handelt. Kommt zu Frau Schmalenbach heran. Ob ick's ihr nu sage?
FRAU SCHMALENBACH leise zu Ale. So reden Sie doch.
ALE. Na ja siehste, die Jeschichte is ja janz einfach. Es jibt Menschen mit'n jroßes Portmonnäh und Menschen mit'n kleenes – das verstehst du doch?
LENE lacht. Wenn ick mir Mühe gebe, – werde ick das wol verstehn.
ALE. Und wenn nu eener von die erste Sorte zu eenen von die zweite Sorte kommt und zu ihm sagt: genieren Sie sich nich, mein Portmonnäh is von heut' ab das Ihrichte – na – denn wäre der von die zweite Sorte doch'n rechter Dämelack, wenn er sich das zweimal sagen ließe? Wat meenste?
LENE lacht. Das is doch klar.
ALE. Ja – das is klar.
LENE. Tut denn der Herr Aujust das?
ALE. Das is es ja nu eben, worum daß es sich handelt – Rückt wieder zu Frau Schmalenbach. Ob ick's ihr nu sage?[78]
FRAU SCHMALENBACH leise. Machen Sie doch man zu.
ALE. Und wenn nu bei die zweite Sorte eine olle klapprige Frau is, die uf ihre Beene nich jehn und nich stehn kann, und die aber jesund werden würde wie'n Wiesel, wenn der von die erste Sorte nachhülfe mit's jroße Portmonnäh – na – denn is es doch erst recht klar, daß man der ollen Frau das zuliebe tun muß. Wat meenste?
LENE. Geht denn das auf mich?
ALE. Auf wen denn sonst?
LENE. Mir hat doch aber der Herr Aujust sein Portmonnäh nicht angeboten.
ALE. Jrade hat er.
LENE. Mir –?
ALE. Wem denn sonst?
LENE. Aber Onkel – nu weeß ich wirklich nich –
ALE. Herrjott, Mädchen – merkst du's denn immer noch nich?
LENE. Was denn? Was?
ALE. Daß der Herr Aujust dir heiraten will?
LENE sieht ihn verblüfft an, wendet sich zur Mutter. Mutter – Onkel is wol nich recht?[79]
FRAU SCHMALENBACH. Ne – es is janz wahr und richtig, was er sagt.
LENE springt auf und bricht in schallendes Gelächter aus. Hahahahaha! Sie läuft lachend im Zimmer auf und ab. Hahahahaha!
ALE zu Frau Schmalenbach. Nu hören Sie so was.
FRAU SCHMALENBACH zu Ale. Hören Sie so was.
LENE kommt zurück. Ich tu' mir ja noch 'nen Schaden vor Lachen. Na – Mutter – nu is es aber mit dem Spaß jenug.
FRAU SCHMALENBACH. Ich weiß aber jar nich, Mädchen, wie du bist; wer red't denn von Spaß?
ALE. Jleich kommt er selbst und heiratet dir vom Fleck weg.
LENE steht mit weit aufgerissenen Augen. Er kommt – selbst?
FRAU SCHMALENBACH. Jeden Augenblick muß er kommen.
LENE. Denn aber mit 'n Heidi – Sie will nach rechts hinauslaufen, Ale tritt ihr in den Weg.
ALE. Du bist wohl nich jesund?
LENE. Was soll ich ihm denn aber sagen, wenn er kommt?
ALE. Du wirst doch nich so auf'n Kopp jefallen sein, daß du das nicht weißt?[80]
LENE. Ne, wahrhaftig, ich weiß nich.
ALE. Na – zum Beispiel – also – du sagst – Herr Aujust, sagst du, es is mir eine jroße Ehre – oder – na aber was is denn da überhaupt ville zu reden, wenn du nur ein Wort zu sagen brauchst.
LENE. Das is ja wahr, aber ihm so schlankweg ins Gesicht »ne« zu sagen, und nichts weiter dazu, das paßt sich doch nich? Bei einem solchen Mann?
ALE. Ne? Du willst ihm – »ne« sagen?
LENE. Na aber – was denn sonst?
ALE zu Frau Schmalenbach. Nu hören Sie so was!
LENE blickt von einem zum andern. Na aber – was denn? Wie denn –? Mutter, um Jottes willen, so red' doch nur ein Wort?
FRAU SCHMALENBACH. Ich sage nichts dazu – ich sage nichts dagegen.
LENE. Nu wird mir aber doch himmelangst. Etwa? –? Daß ich? Mutter, is denn das dein Ernst?
FRAU SCHMALENBACH. Ich hab' dir meine Meinung gesagt.
LENE drückt beide Hände an den Kopf. Herrjott, Herrjott!
ALE. Wenn jemand in die Lotterie spielt und er je winnt's jroße Los – na, denn is das was. Wenn aber jemand nich in die[81] Lotterie spielt und er jewinnt's jroße Los doch, denn is das riesig; und so is es mit dir.
LENE. Mir wird ganz dumm – mir wird wahrhaftig ganz dumm.
FRAU SCHMALENBACH. Na sieh mal, Lene, das mußt du aber doch selber sagen, daß er ein juter Mann is.
ALE. Und wenn ein Mensch Jeld hat, denn is das jar kein Unrecht und ein Unglück noch viel weniger. Und einen reichen Mann seine Frau – na das is eben och 'ne reiche Frau.
LENE lacht auf. Als wie ich?
ALE. Na jewiß. Und wenn du ihn nimmst, denn schickt er Muttern ins Bad.
LENE blickt auf die Mutter. Hat er das gesagt?
ALE. Na jewiß. Und denn kriegt Mutter wieder neue Beene und wird wieder jesund.
LENE blickt stumm auf die Mutter, die Tränen rinnen ihr über die Wangen.
ALE. Und denn wird Mutter wieder wie ene junge Frau.
LENE stürzt jählings zur Mutter, kniet vor ihr nieder, wirft die Arme um sie. Is das wahr, Mutter? Is denn das wahr?
FRAU SCHMALENBACH. Jott, siehst du, Lene, in die Bäder sollen ja schon Todkranke wieder jesund jeworden sein, und nu is doch so'n Bad 'ne teure Jeschichte, und wir sind doch nu einmal so arm –[82]
LENE. Das is ja alles richtig – da läßt sich gar nichts gegen sagen – aber – ach Mutter – ach Mutter – Sie schluchzt und weint und birgt ihr Haupt im Schoße der Mutter.
Pause.
LENE. Und denn wirst du wieder jesund? Und hast keine Schmerzen mehr? Und kannst wieder gehn wie alle andren auch? Und das is gewiß? Das is ganz gewiß?
FRAU SCHMALENBACH. Ja, Ale meint doch so.
LENE in Gedanken versinkend. Das wäre ja wunderschön. Aber ich – dem Herrn Aujust seine Frau? Das is doch Unsinn, das kann ich mir ja jar nich denken – Sie holt das Taschentuch hervor. und denn – Sie drückt das Taschentuch an die Augen und flüstert unter Tränen in sich hinein. denn is ja nu alles aus – alles aus.
ALE ist ans Fenster getreten. Nanu die Ohren steif; nu kommt er.
FRAU SCHMALENBACH. Der Herr Aujust?
LENE wischt sich rasch die Augen ab, springt auf. Ach du allmächtiger Jott – Sie stürzt an die Tür links.
Buchempfehlung
Die Fortsetzung der Spottschrift »L'Honnête Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plissline« widmet sich in neuen Episoden dem kleinbürgerlichen Leben der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«.
46 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro