Zweiter Auftritt

[100] August kommt von links zu den Vorigen.


AUGUST sieht mit leuchtenden Augen auf die Gruppe. Bravo! So gefällt's mir; das sieht ja reizend aus! Lene ist bei seinem Eyintritt vom Sitze aufgesprungen. Tüchtig gegessen und getrunken, Lenchen? Warum stehst du denn? Bist du schon fertig?

LENE. Ja, ja.

AUGUST setzt sich an den Tisch. Ah, mir zu Gefallen, setz' dich noch ein wenig, leiste mir Gesellschaft. Lene setzt sich, indem sie es vermeidet, ihn anzusehen. Wie ihr das Kleid sitzt – was meinen Sie, Juliane? Famos! Wie?

JULIANE. Dafür, daß Sie es fix und fertig gekauft haben, ganz merkwürdig gut.

AUGUST. Ja, was sagst du dazu, Lenchen? Blindlings gehe ich gestern zu Gerson hinein – ich glaube, es ist das erstemal in meinem Leben gewesen, daß ich in die Damenabteilung gekommen bin –

JULIANE. Da muß ich Sie korrigieren –

AUGUST. So?

JULIANE. Vor zwei Jahren sind Sie einmal für mich da gewesen.

AUGUST. Wahrhaftig – das hatte ich doch ganz vergessen.

JULIANE. Sie haben es vergessen.[101]

AUGUST. Ich komme also zu Gerson. »Geben Sie mir ein fertiges Damenkostüm,« sage ich zu der Dame – so eine Art Vorsteherin, verstehst du? – »Können Sie uns die Maße angeben? fragt die Dame – nun habe ich mich doch gradezu geschämt – daran hatte ich wahrhaftig nicht gedacht. – »Wissen Sie was,« sag' ich, »nehmen Sie von Ihren Probiermamsells die hübscheste, jüngste, schlankste, mit einem Worte, die netteste, die Sie haben, an der probieren Sie es, dann wird es grade recht sein.« – Gesagt, getan – ich packe das Kleid auf gut Glück ein – und jetzt sitzt es ihr wie angegossen! Was sagst du dazu, Lenchen? Ist das nicht merkwürdig?

LENE reibt mit dem Taschentuche an ihrem Kleide. Ich verdiene es gar nich –

AUGUST lachend. Was?

LENE. Ich – hab' mir einen Grasfleck in das schöne neue Kleid gemacht.

AUGUST schlägt mit erkünstelter Überraschung die Hände zusammen. Ist es möglich?

LENE. Aber es soll jewiß nie mehr vorkommen.

AUGUST. Wie ist denn das Unheil geschehn?

LENE. Ach – ich –

JULIANE. Sie hat auf dem Rasen, bei den Rosen gekniet.

AUGUST blickt in den Garten. Und geharkt? Und etwa gar wieder Staub gewischt und gefegt?[102]

LENE. Nein, nein!

AUGUST droht ihr mit dem Finger. O du – du –

LENE. Sei'n Sie nur nich böse –

AUGUST. Böse? Weißt du, worüber ich nun nächstens böse sein werde? Wenn du nicht endlich aufhörst, mich »Sie« zu nennen. Komm – Er streckt ihr die Hand über den Tisch zu. gib mir einmal die Hand – sieh mich einmal an – Lene legt ihre Hand in die seinige. na –? so sieh mir doch einmal ins Gesicht! Lene wendet ihm das Gesicht zu. Nu? Was ist denn das? Du hast ja geweint?

LENE. Nein, nein –

AUGUST hält ihre Hand fest, blickt ihr ins Gesicht. Denkst du denn, ich bin blind? Warum hast du geweint, Lenchen? Ist dir etwas zuleide geschehn?

LENE. Nein, nein –

AUGUST. Hat dir jemand etwas getan?

LENE. Nein, gewiß nich!

AUGUST. Aber wenn der Mensch weint, muß er doch einen Grund dazu haben?

LENE. Ich habe ja gar keinen Grund ich möchte nur –

AUGUST. Du möchtest – was?

LENE. Nur probieren – ob ich nich den Grasfleck aus dem Kleid bekomme.[103]

AUGUST ärgerlich lachend. Der unglückselige Grasfleck.

LENE erhebt sich in nervöser Unruhe halb von ihrem Sitze. Ich – möchte – aber wirklich –

AUGUST sieht sie einen Augenblick an, dann läßt er ihre Hand los. Wenn du durchaus willst – dann geh nur.

LENE. Ja – danke! Sie läuft nach rechts ab.

AUGUST blickt ihr nach. Als ob sie gejagt würde –


Pause.


AUGUST. Weshalb hat sie geweint, Juliane?

JULIANE. Seit wann ist es denn Ihre Art, beim Ziele vorbei zu fragen?

AUGUST. Wieso?

JULIANE. Es sollte doch wohl eigentlich heißen: was haben Sie ihr getan?

AUGUST. Das klingt aber wirklich etwas nach schlechtem Gewissen.

JULIANE. Ich will mit meinen Sünden nicht hinterm Berge halten: ich habe den Anlaß zu diesen Tränen gegeben.

AUGUST rückt mit dem Stuhle ab. Da haben wir's!

JULIANE. Allerdings nicht mit Absicht –[104]

AUGUST. Ob mit Absicht oder nicht, Sie haben dem armen Kinde Kummer verursacht!

JULIANE sieht ihm ins Gesicht. Ja – weil ich es Ihnen ersparen wollte, ihr diesen Kummer zu verursachen.

AUGUST. Das ist mir völlig unverständlich.

JULIANE. Wenn sie mit Ihnen am Tische zusammensitzen wird – wenn sie dann den Zucker in die Hand nähme und den Kaffee in die Untertasse gösse –

AUGUST. Dann würde ich lachen.

JULIANE. Nein – August.

AUGUST. Jawohl, Juliane.

JULIANE. Einmal würden Sie es vielleicht tun –

AUGUST. Aber ich bitte Sie; solche Kleinigkeiten!

JULIANE. Aber ich bitte Sie – Sie bricht ab.

AUGUST. Was?

JULIANE. Täuschen Sie sich doch nicht selbst! Sie soll – doch Ihre Frau werden – wollen Sie ein Lebelang Gewohnheiten an ihr sehen, die Ihnen – fatal sein würden? Glauben Sie denn im Ernste, daß das auf die Dauer eine Kleinigkeit bleiben würde?[105]

AUGUST. Ein Leben lang – dann hätte ich es ihr bei Gelegenheit gesagt.

JULIANE. Das eben wollte ich Ihnen ersparen.

AUGUST. Angesichts des Erfolges kann ich Ihnen aber nicht dafür danken.

JULIANE halblaut. Darauf hatte ich nicht gerechnet. Laut. Aber wenn Sie es ihr gesagt hätten –

AUGUST. Dann?

JULIANE. Dann wäre vielleicht etwas Schlimmeres eingetreten, als Tränen.

AUGUST. Nämlich was?

JULIANE. Angst.

AUGUST versinkt in Gedanken, es tritt eine Pause ein; dann. Darum also hat sie geweint? Weil Sie ihr das sagten?

JULIANE. Ja.

AUGUST. Und – bloß darum?

JULIANE. Ich – denke. Pause. August trommelt mit den Fingern auf dem Tische.

AUGUST. Weshalb meinten Sie denn, daß sie Angst haben würde?

JULIANE. O – ich –[106]

AUGUST. Vielleicht, weil es jetzt eben aussah, als ob sie davonliefe?

JULIANE senkt schweigend das Haupt.

AUGUST. Oder haben Sie vorhin im Gespräch mit ihr die Empfindung bekommen, daß sie sich fürchtet? – War es darum, daß sie geweint hat? – So geben Sie mir doch eine Antwort.

JULIANE gepreßt. Es ist – vielleicht nicht so einfach.

AUGUST tief in Gedanken. Wenn man nur begriffe. – Glauben Sie, daß sie sich vor mir fürchtet?

JULIANE. Ich glaube – sie hegt Ihnen gegenüber – die größte Ehrfurcht.

AUGUST springt vom Stuhle auf. Ehrfurcht! Er geht im Zimmer auf und ab. Aber an dem allen seid Ihr schuld!

JULIANE. Wir?

AUGUST. Ja! Ihr seid es, vor denen sie sich fürchtet! Sie erfriert an Euch! Aber ich weiß ja auch recht gut, woher das alles kommt –

JULIANE. Woher?

AUGUST. Weil Euch die ganze Geschichte nicht paßt!

JULIANE. August –

AUGUST. Es ist doch so! Ihr wollt es mir nicht verzeihen und es dem Mädchen nicht gönnen! Aber Euch zum Trotze![107]

JULIANE hat sich, leichenblaß, erhoben und steht an ihrem Platze. Nun merke ich wirklich, daß nicht für das Mädchen nur, sondern für uns alle neue Verhältnisse gekommen sind.

AUGUST. Wieso?

JULIANE. Weil ich es früher nicht für möglich gehalten hätte, daß Sie mir – so unrecht tun könnten –

AUGUST. Ich tue Ihnen nicht unrecht.

JULIANE. Ja wirklich – das tun Sie! Wenn ich dächte, daß Sie mit ihr glücklich werden könnten –

AUGUST. Wenn – ich will dieses verwünschte »wenn« nicht hören! Ich werde glücklich mit ihr werden!

JULIANE. So werden Sie es.

AUGUST. Werden Sie es – werden Sie es – ich kenne Sie gar nicht mehr wieder!

JULIANE. Was tue ich denn?

AUGUST. Sie tun, was die anderen tun, die Elenden, die Erbärmlichen, die einem die große Freudigkeit des Herzens vergällen und vergiften durch Mäkelei und Zweifelsucht!

JULIANE. Aber wenn es wirklich so wäre, was könnte Ihnen mein Zweifel denn anhaben, wenn Ihre Freudigkeit so groß ist?


Während dieser Worte erscheint Lene auf der Gartenterrasse, auf die sie vom Nebenzimmer aus gelangt ist, und huscht, sich ängstlich umsehend, die Treppe hinunter in den Garten, in dem sie nach rechts verschwindet. Dies ist unbemerkt geblieben.
[108]

AUGUST. Nehmen Sie mir's nicht übel, das ist die Weisheit des Philisters, der vor etwas Neuem steht. Dies Manchestertum der Gesinnung! Zu feige zur Feindschaft, zu neidisch zur Freundschaft und die sich mit dem elenden »gehen lassen, wie's gehen will« in die Tranhaut des Egoismus einwickelt.

JULIANE wirft das Haupt empor.

AUGUST. Früher waren Sie mutiger; wenn Sie an mein Glück nicht glauben, warum sagen Sie es nicht heraus?

JULIANE. Warum – ich –?

AUGUST. Ja, warum?

JULIANE qualvoll gepreßt. Lassen Sie es genug sein –

AUGUST. Nein, Sie sollen sagen.

JULIANE. Weil ich daran glauben möchte – daran glauben will! Weil ich keinen höheren Gedanken kenne – Sie bricht ab, man sieht den schweren inneren Kampf, in dem sie ringt.

AUGUST der stehen geblieben ist und sie ansieht. Als –?

JULIANE hervorbrechend. Als Sie glücklich zu wissen! Sie wendet sich rasch, wie mit Blut übergossen, zu der Gartentür.

AUGUST geht hinter ihr drein. Juliane –

JULIANE wehrt ihn ab, ohne ihn anzusehen. Lassen Sie – lassen Sie – Halb für sich. man ist schließlich doch auch von Fleisch und Blut.[109]

AUGUST. Nein – geben Sie mir die Hand, Juliane – Er streckt ihr die Hand zu, in diesem Augenblick hört man aus dem Garten, von rechts, laute Stimmen und Gelächter. August läßt die Hand finden. Hören Sie?

JULIANE. Ja.

AUGUST. Das ist sie?

JULIANE. Sie muß in den Garten gelangt sein, während wir uns unterhielten.

AUGUST. Und sie lacht? Sie ist vergnügt? Juliane macht eine Bewegung, als wolle sie hinaustreten, er hält sie an der Hand zurück. Nein, bleiben Sie – stören Sie sie nicht – lassen Sie mir den Ton – stundenlang könnt' ich hier stehn und nur ihrem Lachen zuhören. Sehen Sie, es war alles nur Einbildung – sie ist glücklich, Juliane – glauben Sie es? Glauben Sie es?

JULIANE. Ja – es scheint.

AUGUST. Aber nun möcht' ich doch wissen – Er macht einen Schritt auf die Gartentür zu.

JULIANE rasch einfallend. Lassen Sie mich sehn! Sie tritt auf die Treppe hinaus, blickt um die Hausecke, kommt dann mit verlegenem Gesicht zurück.

AUGUST. Na?

JULIANE. Hermann.

AUGUST mit unterdrücktem Laute. Hm – Er will auf die Gartentreppe hinaus, bleibt wieder stehn, kämpft mit einem Entschlusse, wendet sich dann wieder kurz um und geht nach links ab. Juliane, die seinen inneren Kampf schweigend beobachtet hat, schüttelt, während er abgeht, sorgenvoll das Haupt, geht dann rasch nach rechts ab; die Tür bleibt hinter ihr unzugeklinkt.


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1911–1918, S. 100-110.
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