[415] Comoedia interposita
Die Bude des Zimmerherrn.
Ein geräumiges Zimmer, das man durch eine einflügelige, braungestrichene Tür in der Mitte der Hintergrundwand betritt. In der Rechtswand ein niederes, aber breites Doppelfenster mit weißen Seitenvorhängen. Links vorne an der Wand ein kurzer, mit falschem Perserteppich überbreiteter Diwan. Davor ein kleiner runder Tisch mit einigen Sesseln. Jenseits davon in der Linkswand eine Tür in das Wohnzimmer der Familie Spuller. Ein braun poliertes Pianino ist vor diese gerückt. Im übrigen eine kleine Bücheretagere, ferner an den Wänden: Öldrucke, gekreuzte Schläger, Stierköpfe und andere Fechtrequisiten.
Es ist Abend. Auf dem Pianino brennt eine bronzene Stehlampe mit rotem Papierschirm. Im Anfange des Aktes liegt bereits ein wenig Mondschein auf der Diele beim Fenster rechts. Die beleuchtete Bodenfläche wächst während des Aktes und gegen Ende zeichnet sich das Fensterkreuz scharf auf dem Fußboden ab.
Der Zimmerherr stud. med. Bonifaz Strantz und sein Kollege Stanck am Tische links. Sie haben
Weinflaschen und Gläser vor sich.
Strantz ist ein mittelgroßer, schlanker Mensch von ungefähr zwanzig Jahren, Sohn aus vermögendem Bürgershause, nach englischer Mode sorgfältig gekleidet. Sein Gesicht feingeschnitten und nervös.
Stanck, ein robuster Kerl, sehr salopp in Anzug und Haltung, ein älteres Semester mit ziemlich gedunsenem und mehrfach zerschmissenem Gesicht. Beide in Tabakqualm eingehüllt und in einigermaßen benebelter Stimmung.
Schon ehe der Vorhang aufgeht, vernimmt man unbändiges und unflätiges Gelächter, das bei Strantz jedoch ein wenig krampfhaft und forciert klingt.
STANCK. Hast du noch solche auf Lager? Kommt vor Lachen ins Husten.
STRANTZ haut ihn auf den Rücken. Sauf, altes Schwein, sonst würgt es dir noch den Mastdarm beim Rachen heraus!
STANCK sich allmählich erholend. Hol' mich der Teufel! Rülpst. Prosit!
STRANTZ gröhlt. Frau Wirtin hatte einen Knecht –
STANCK in überbrüllend. Silentium! Kennst du das? Singt. Frau Wirtin hatte einen Schurz –
STRANTZ. Schurz! Das kann gut werden! Platzt heraus.
STANCK singt mit Bierstimme.
Frau Wirtin hatte einen Schurz,
Der war ihr hinten viel zu kurz.
Da kam ein Schindersmann herbei,
Der war dem Schurz nicht böse
Und ...
STRANTZ mit einem plötzlichen Blick nach der Tür. Pst! Schrei nicht so! Mir war, als ob ...
STANCK mit blödem Gesichtsausdruck. Was erschreckst du einen denn so? Die Poengte ist mir förmlich in der Kehle stecken geblieben.[415] Cantus interruptus – um mich per analogiam auszudrücken!
STRANTZ gedämpft. Es war sicher jemand an der Tür.
STANCK. Na und?
STRANTZ noch immer gespannt. Kusch!
STANCK. Gib's auf, altes Haus! Sie kommt ja doch nicht, von der du erwartest, daß sie eines Tages als Susanna im Bade verkleidet hereintänzelt und dich zwischen ihre weißen Schenkel nimmt. Kauf dir ein Mensch, Kamerad, und laß jene ranzig werden! Oder hast du sie schon gehabt? Gestehet mir, Graf Örindur –
STRANTZ. Gehabt oder nicht gehabt, darauf kommt es nicht an.
STANCK. Wie das? feixte der Embryo.
STRANTZ verbissen. Klein will ich sie vorher erst einmal sehen! Herangekrochen muß sie kommen, mir aus der Hand fressen –
STANCK frotzelnd. Sie, die es gewagt hat, Herrn stud. med. Bonifaz Strantz eine Maulschelle zu verabreichen, als sich seine Hand dorthin verirrte, wo zwischen weißen Hügeln, wie die Dichter sagen –
STRANTZ ohne darauf zu achten, aber noch verbissener. Und erst dann, erst lang darnach, wenn sie mir aus der Hand gefressen hat, werde ich vielleicht in puncto veneris mit mir reden lassen.
STANCK ironisch. Sie wird dich nicht lang bitten müssen.
STRANTZ eingebildet. Vielleicht doch! Hübsch ist sie ja eigentlich nicht.
STANCK ihn hänselnd. »Sie sind mir zu sauer, ich mag sie nicht«, sagte der Fuchs und schlich seines Weges.
STRANTZ wegwerfend. Trottel!
STANCK wie oben. Hasenfuß!
STRANTZ. Fang du etwas an, wenn ihr der Vater, die Mutter, der Bruder den lieben Tag lang auf dem Hals sitzen! Seitdem der Alte auf seinem künftigen Sterbebett liegt, ist sie überhaupt nicht mehr zu sprechen.
STANCK sachlich. Wird er aufkommen;
STRANTZ. Nee, bewahre.
STANCK. Na also, ein Argus weniger. Prosit!
STRANTZ. Prosit! Sie trinken.
STANCK nach einer kleinen Pause, sachlich. Bist du eigentlich verliebt in sie?
STRANTZ wegwerfend. Ich verliebt? Man müßte doch der Eunuch des Sultans von Marokko sein, wenn man mit solch einem Geflügel Tür an Tür lebt, wohnt, schläft, und nicht darnach schnappen wollte.
STANCK. Du hast zu viel und zu wenig Phantasie, mein Junge. Wer weiß, wie sie aussieht als Ding an sich, besser gesagt, als Ding, das nichts an sich hat? Lacht.
STRANTZ überlegen. Laß das gut sein.
STANCK. Hast du es eigentlich schon mit Geld und guten Worten probiert?
STRANTZ trübsinnig. Alles umsonst. Stolz hat sie. Das muß man ihr lassen.
STANCK. So mach sie verliebt in dich!
STRANTZ. Nein, danke. Ich bin nicht für verliebte Verhältnisse.
STANCK. Allerdings. Die man rief, die Geister, wird man dann nicht los. Lauernd. Immerhin, wenn man selbst kühl bis ans Herz hinan bliebe – Könntest du das?
STRANTZ wegwerfend. Ob ich das könnte!
STANCK. Na du, so einfach ist das nicht. Liebe steckt an. Unsereins hat doch auch nicht Kamillentee in der Herzklappe. Auf Ja und Nein schwimmst du im Zuckerwasser und träumst, lügst dir und ihr vor, daß es ewig währen müsse.
STRANTZ. Ich nicht.
STANCK. Gerade du. Du bist nämlich schon verliebt in sie.
STRANTZ betroffen. Red keinen Unsinn!
STANCK. Der Beweise, daß du bereits in sie verliebt bist, sind nämlich zwei. Erstens: warum ziehst du nicht einfach aus, wenn dir an ihr nichts liegt?
STRANTZ verlegen. Bist du verrückt? Ich kriege doch so ein passendes Quartier nicht wieder.
STANCK. Larifari! Tausend, wenn du willst.
STRANTZ. Und diese Aussicht! Bemühe dich doch zum Fenster: Gärten und immer wieder Gärten! Ganz ferne die alten Dächer und jenseits die Berge in weitem Zug! Sowas ist selten in der Großstadt.
STANCK ironisch. Also gut. Die Aussicht ist unbestreitbar schön. Ich kann mir vorstellen, daß man sie ungern missen würde. Ich setze dieses Argument vorläufig beiseite. Es gibt aber noch ein anderes, viel triftigeres – für deine Verliebtheit.
STRANTZ unbehaglich. Das wäre?
STANCK. Ein argumentum ad hominem sozusagen, gipfelnd in der zugegebenen Tatsache, daß du sie noch nicht besessen hast. Pardon, hör mich an! Wärest du nämlich wirklich so[416] kalt, wie du vorgibst, du hättest schon längst die Methode gefunden, um dieses Schmalwild zur Strecke zu bringen. Denn im Grund genommen ist doch eine jede mit denselben paar leichtfertigen und banalen Tricks zu kapern. Man muß sie nur anwenden.
STRANTZ kleinlaut. Ich hab' es doch versucht.
STANCK. Ja, aber nicht mit jenem aalglatten Zynismus, der vor allem nottut. Darum ist es auch vorbeigeglückt. Laß mich einmal in deiner Situation sein!
STRANTZ ärgerlich. Ach was, ich bin in gar keiner Situation.
STANCK. Nicht? Auch recht. Du, soll ich einmal statt deiner hier übernachten? Ich wette mit dir –
STRANTZ mit rotem Kopf. Halt's Maul!
STANCK ironisch. Oho, du bist ja verliebter, als ich gedacht habe!
STRANTZ wegwerfend. Red meinetwegen, was du willst.
STANCK jedes seiner Worte auskostend. Ich wette also mit dir, daß sie am andern Morgen am Grabe ihrer Jungfernschaft stünde, blutige Tränen weinend.
STRANTZ mit gemachtem Gelächter. »Blutige Tränen weinend« ist gut.
STANCK animiert. Ist sie überhaupt noch virgo fidelis?
STRANTZ. Wüßt' ich das, sie wär's nimmer.
STANCK. Nur keine Renommagen, Herr Kamerad! Die Erkenntnis, daß eine Tür verschlossen ist, hat noch niemals den Schlüssel ersetzt!
STRANTZ mit Galgenhumor. Ein guter Dietrich sperrt alle Schlösser.
STANCK trällernd. Wenn man ihn nur haben tut.
STRANTZ. Verlaß dich drauf! Sie lachen beide unbändig.
STANCK. Siehst du, so lieb' ich den Spanier! Kopf hoch, die Nüstern gebläht und hingestoben auf den Fährten, die uns das Leben gewährt! Die ganze Welt ist, wenn man will, ein Freudenhaus. Eine andere Mutter hat auch ein schönes Kind, und schwarz sind alle Kühe bei Nacht.
STRANTZ mitgerissen. Und alle Katzen grau! Recht hast du!
STANCK. Du sollst nicht geizen mit dem Balsam deiner Lenden! So lautet das elfte bis hundertsiebente Gebot.
STRANTZ. Ist es die eine nicht, so sind es zehntausend andere!
STANCK. Jetzt ist die Zeit der Barkarole, sagt Offenbach. Die Stunde der Geschäftssperre, sage ich. Jetzt sind die Straßen übervoll von blühendem Fleische, und »alle wollen sie erfahren der Verführung süße Sündigkeit«, sagt ein vaterländischer Dichter! Komm mit, blonder Doktor!
STRANTZ. In des Teufels Namen, ich verlasse diese schwüle Mondscheinkammer und gehe mit dir!
STANCK. Das ist ein Wort, bravo! Und tu mir Geld in den Beutel, auf daß es für ein Nachtmahl reiche und drei Flaschen Rüdesheimer! Dafür kannst du dir heute noch die Genüsse eines Paschas einhandeln! Und wenn alle Stricke reißen –
STRANTZ einen Augenblick ernüchtert, aber gleich wieder forciert. Was dann?
STANCK. So gibt es noch immer die kleine Irma, Rheinweinstube, Box Nr. 9 rechts.
STRANTZ. Die Pseudo-Ungarin, die eigentlich Mali heißt –?!
STANCK. Name ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmelslicht! Aber wesentlich und wirklich sind die Spuren ihrer Raubtierzähnchen, die sie mir in besseren Zeiten in meinen Bizeps eingraviert hat.
STRANTZ mit Gelächter. Dir auch?
STANCK ihn umarmend. Bruder in meretrice! Du zahlst alles!
STRANTZ. Ich zahle alles!
STANCK. Auf nach Bethulia!
STRANTZ packt Stanck plötzlich am Handgelenk. Horch!
STANCK ihn mit der anderen Hand festhaltend. Herstellt! – Hirngespinste!
STRANTZ. Horch! – Auslassen!
STANCK. Keine Rückfälle, wenn ich bitten darf!
Strantz reißt sich los.
STANCK verächtlich. Waschlappen!
Strantz mit großen Schritten, auf den Zehen zur Tür hin, die er rasch öffnet.
Marie wird in der Türöffnung sichtbar, sie steht verlegen und betreten da. Strantz sieht sie einige Augenblicke überrascht und fragend an. Auch er scheint verlegen. Stanck ist zu sich gekommen und betrachtet die Situation mit zynischer Neugier.
MARIE. Verzeihen Sie, ich glaubte Sie allein.
STRANTZ. Wenn Sie es wünschen –
MARIE. O nein, verzeihen Sie die Störung.[417]
STRANTZ leise zu Stanck. Mach dich aus dem Staub!
STANCK verständnisvoll, prononciert. Ich bin kein Spaßverderber, ich gehe schon.
MARIE erregt. Um Spaß handelt es sich nicht.
STANCK seine Sachen zusammensuchend, trällernd, leise.
Ein gülden Geschmeide,
Ein Tüchlein aus Seide
Kam nie keiner Maide
Zu Unpaß und Leide.
STRANTZ ungeduldig. Ich komme nach.
STANCK absichtsvoll. Also Punkt neun, Rheinweinstube, in der Box von der kleinen Irma.
STRANTZ. Schon gut.
STANCK. Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz! Leise. Und kalt bis in die Sohlen, rat' ich dir! Laut. Meine Ergebenheit, Fräulein. Ab.
STRANTZ formell. Nehmen Sie Platz! Womit kann ich dienen?
MARIE mühsam. Ich bin nicht schuld daran, daß Sie sich neulich in der Tonart geirrt haben. Ich habe Ihnen wirklich keinen Anlaß gegeben.
STRANTZ mit gespielter Ruhe. Diese Sache ist ja abgetan.
MARIE weiblich-gekränkt. Bei der kleinen Irma ist jenes Benehmen vielleicht am Platz.
STRANTZ höhnisch. Eine Eifersuchtsszene? Darauf war ich am wenigsten gefaßt.
MARIE ironisch, rauh. Eifersucht?
STRANTZ. Scheinbar.
MARIE mit Überwindung. Wenn ich heute trotz alledem zu Ihnen komme –
STRANTZ. So haben Sie sicher einen triftigen Grund dafür, und der wäre?
MARIE erschüttert. Der Arzt hat meinen Vater – aufgegeben.
STRANTZ konventionell. O, das bedaure ich sehr.
MARIE. In dieser Wohnung ohne Licht und Luft kann er nicht mehr gesund werden.
STRANTZ wie oben. Ein Aufenthalt im Süden oder in staubfreier Bergluft wäre freilich besser –
MARIE leise. Wir sind arm.
STRANTZ. Einen kleinen Notpfennig für die äußersten Fälle hat wohl jede Familie aufgespart.
MARIE. Die lange Krankheit hat alles aufgezehrt.
STRANTZ. Das wäre freilich schlimm. Peinliche Pause.
MARIE schamvoll. Muß ich es denn aussprechen?
STRANTZ mit gedämpfter Brutalität. Sie wollen Geld von mir –
MARIE. Geld – Geld? Ich will keine Almosen.
STRANTZ geschäftlich. Ein Darlehen also.
MARIE wieder zaghaft. Einen Vorschuß.
STRANTZ. Worauf?
MARIE. Auf den Zins –
STRANTZ. Kommen Sie im Auftrag Ihrer Frau Mutter?
MARIE. Meine Mutter weiß nichts davon.
STRANTZ mit leisem Lächeln. Das ändert die Sachlage.
MARIE mit unterdrückter Ängstlichkeit. Sie gedenken doch nicht, das Quartier zu wechseln?
STRANTZ sich weidend. Ich weiß wirklich nicht, ob ich das gedenke.
MARIE ihn durchschauend, mit unterdrückter Empörung und gespielter Demut. Sind Sie nicht zufrieden mit der Wohnung?
STRANTZ. Es gibt Umstände, welche die schönste Wohnung zu verleiden vermögen. Man ist schließlich auch nur ein Mensch, nicht wahr?
MARIE mit vorsichtiger Schärfe. Sie können die kleine Niederlage nicht vergessen, die Ihre Eitelkeit erlitten hat.
STRANTZ. Eitelkeit?
MARIE. Es ist nichts anderes!
STRANTZ vielsagend. Wer weiß!
MARIE immer unbeherrschter. Wer ein Mädchen liebhat – seine Werbungen stell' ich mir anders vor.
STRANTZ mit eisiger Freundlichkeit. Darum haben Sie mir ja auch den Schlag ins Gesicht versetzt, nicht wahr?
MARIE rechtsbewußt. Ich konnte mich Ihrer nicht anders erwehren.
STRANTZ wie oben. Also haben wir beide in unwiderstehlichem Zwang gehandelt. Denken wir nicht mehr daran.
MARIE dumpf. Soll ich Sie um Verzeihung bitten?
STRANTZ mühsam in seiner Rolle verharrend. Darauf wird gerne verzichtet.
MARIE mit beherrschtem Flehen, leise. Mein Vater ist sterbenskrank.
STRANTZ. Ich habe es bereits aufrichtig bedauert.[418]
MARIE mühsam. Sie gehen auf meine Bitte nicht ein. – Mir fehlen ein paar – mir fehlt eine Summe, die Sie unbedenklich – in einer einzigen Nacht vielleicht –
STRANTZ ironisch. Sie machen sich übertriebene Vorstellungen von meinen Einkünften und meiner Verschwendung.
MARIE sich erhebend, abschließend. Ich weiß, woran ich bin.
STRANTZ plötzlich unsicher. Bleiben Sie noch!
MARIE kalt. Wozu?
STRANTZ gedämpft. Ich liebe Sie – Sie wissen es.
MARIE herb. Es ist nicht wahr.
STRANTZ. Ich schwöre es.
MARIE überlegen. Es reizt Sie bloß, daß Sie ein Mädchen nicht bekommen können, das mit Ihnen in einer Wohnung lebt.
STRANTZ. Sie haben gehorcht.
MARIE. Nein, Sie haben so laut gesprochen, daß man es draußen hören mußte!
STRANTZ ohne zu begreifen. Und trotzdem sind Sie gekommen?
MARIE. Warum nicht? Ich will ja nichts von Ihrer angeblichen Liebe. Nur von Ihrer Menschlichkeit –
STRANTZ tief. Es war das zynische Gefasel mit einem Halbtrunkenen – Galgenhumor! Ihre Kälte hat mich so weit gebracht. Verzeihen Sie mir, Marie!
MARIE weich, leise, in die Ferne. Ich könnte einem Manne alles geben, wenn ich – ihn liebhabe. – Es müßte nicht geheiratet sein.
STRANTZ aufgewühlt. Und mich können Sie nicht – liebhaben?
MARIE gramvoll. Ich war Ihnen gut – im Anfang.
STRANTZ. Ich glaubte es zu merken. Und dann?
Marie schweigt.
STRANTZ drängend. Reden Sie, es ist vielleicht noch nicht alles verloren! Vieles läßt sich gutmachen!
MARIE ablehnend. Deswegen bin ich nicht gekommen.
STRANTZ immer dringender. O doch, doch! Auch deswegen sind Sie gekommen. Sie wissen es nur nicht. Sie fühlen bloß, wie unrecht Sie mir getan haben. Was habe ich denn schließlich verbrochen? Ist es so verwerflich, nach Ihnen zu trachten? Sie sind ja so stolz, so schön! Ich habe nicht anders können!
MARIE schwer atmend, bitter. Sie haben sich zu trösten gewußt.
STRANTZ mit Steigerung. Sie kennen den Brand nicht, der in den Adern tobt. Die fliegenden Schauer nicht, die den Leib erschüttern. Die Träume nicht, die immer wieder dieselben Kreise jagen. Sie wissen nicht, daß man lieben kann mit einer Andacht ohnegleichen und doch seine Liebe durch die Gosse schleifen kann, durch den Abhub der Lust, wenn die reinen Tore verschlossen bleiben. Sie sind kalt!
MARIE benommen. Ich bin nicht kalt.
STRANTZ. Für mich aus Eis.
MARIE bitter, schneidend. Wie für alles, was nicht echt ist.
STRANTZ aufgebracht. Und Sie, Sie kommen und spielen mir eine Komödie vor, um – um –
MARIE außer sich. Ich habe Ihnen nichts vorgemacht! Oder ja? Es wäre mir nicht schwergefallen, Ihnen die Verliebte vorzuspielen! Ihre Eitelkeit hätte sich mit der bloßen Komödie begnügt! So aber bin ich gekommen wie ein Mensch zum andern Menschen und habe gesagt: das Leben meines Vaters – retten Sie es!
STRANTZ. Das steht nicht in meiner Macht.
MARIE steinern. Unter welchen Bedingungen stünde es in Ihrer Macht?
STRANTZ dumpf. Unter einer einzigen.
MARIE wie oben. Die wäre?
STRANTZ mit bemeistertem Gefühl. Daß Sie mich – liebhaben.
MARIE. Das kann ich nicht. Sprechen Sie – deutlicher!
STRANTZ entschlossen. Daß Sie mir gehören.
MARIE hart. Gut.
STRANTZ heiß. Ich bin ja von Sinnen nach dir! Will sie berühren.
MARIE zusammenfahrend. Lassen Sie das! Mühsam. Wir sprechen von Geschäften.
STRANTZ mit forcierter Brutalität. Auch recht! – Die Tür meines Zimmers ist jede Nacht offen.
MARIE mit äußerster Beherrschung. Wann bekomme ich das – Geld?
STRANTZ. Sobald Sie bei mir waren.
MARIE in plötzlicher Mädchenangst. Sie müssen es mir gleich geben – müssen es mir gleich geben! Morgen kann es zu spät sein. Sie können nicht verlangen, daß ich – schon heute Nacht – Sie bricht in krampfhaftes Weinen aus.[419]
STRANTZ nimmt die Willenlose in seine Arme und läßt sie auf den Sessel gleiten. Marie, um Gottes willen, Marie! Er kniet vor ihr.
MARIE von Schluchzen gemartert. Ich bin nicht schlecht – Es ist ja nur – Mein Vater ist sterbenskrank –
STRANTZ zerknirscht. Sei still, still! Ich knie ja vor dir. Ich bitte dich um Verzeihung – Er küßt ihre Hände, die sie ineinandergerungen in ihren Schoß hat sinken lassen.
MARIE angstvoll. Was tun Sie denn! Ich liebe Sie ja nicht. Nur für meinen Vater –
STRANTZ leise. Noch heute, heute sollst du bekommen, womit du ihn rettest!
MARIE aufleuchtend. Noch heute?
STRANTZ. Ich habe Freunde, ich schaff' es für dich, noch heute, ganz gewiß!
MARIE. Und muß es mir holen kommen – heut nacht?
STRANTZ. Nicht heute, nicht morgen, niemals, wenn du mich nicht liebhast.
MARIE wie ein Kind. Ich hab' dich – nicht lieb.
Strantz sieht wehmütig zu ihr auf.
Marie neigt sich wie eine Träumende zu ihm hinab und küßt ihn auf die Stirne. Dann läßt sie ihn los und eilt mit versagenden Knien bis zur Tür.
Strantz, von ihrem Kusse verwirrt, erhebt sich, will ihr nach, kann vor Erregung nicht von der Stelle.
MARIE schon an der Tür, die Hände sanft abwehrend gegen ihn ausstreckend, mit traumhaftem Lächeln, leise. Nicht lieb! Ab.
Strantz tut eine Gebärde, als wollte er auf sie zu und sie zurückhalten. Dann läßt er die Arme sinken.
Das Zimmer ist voller Mondlicht.
Der Vorhang fällt.
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
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