|
[195] Wenige Tage vor Tillys Anrücken erhub sich ein Sturmwind, wie seit Menschengedenken nicht erhöret worden. Riß von den Dächern Ziegel, daß mehrere Leute erschlagen wurden, und auf den Straßen Haufen von Schutt lagen. Fünf Windmühlen und drei Schiffmühlen sind zerbrochen. Vier Kirchentürme haben ihre Spitzen verloren. Die empörte Windsbraut stürzte heulend in die Vorhalle des Domes, allwo Ereignisse des Alten und Neuen Testamentes abgebildet sind, riß den Klugen Jungfrauen die Lampen aus der Hand und zerschmetterte sie. Das sahen die Leute nicht mit Unrecht als eine Warnung drohenden Unglückes an.
Auch andere schlimme Fürzeichen sind geschehen. Ende März haben die Bauern des Dorfes Krakau, so Magdeburg genüber an der Elbe gelegen, etwas Seltsames beobachtet. Auf dem Kirchendache befand sich von altersher ein Storchennest, drin stund mit fröhlichem Klappern der heimische Storch nebst seiner Störchin. Auf einmal schoß ein fremder Storch heran, den Schnabel als einen Spieß gerecket. Da gab es ein grimmig Scharmützel zwischen dem heimischen und dem fremden Storche. Die Störchin aber sahe untätig zu, schwenkete nur etlichemal die Fittige und klapperte mit dem Schnabel. Schließlich fiel der heimische Storch blutend vom Dach zur Erde nieder. Obwohl nun der fremde das Feld behalten, flog er doch hin weg, begleitet von der Störchin. Hinfüro haben sich keine Störche blicken lassen, und öde ist das Nest geblieben – woraus manche Leute den Schluß zogen, daß es selbigen Ortes bald schlimm hergehen werde.
Es war Tillys Plan, unsere Außenwerke jenseits der Elbe einzunehmen, um das dorten erwartete Entsatzheer des Schwedenkönigs von der Elbbrücke abzuschneiden. So ist Anfang Aprilis kaiserisch Volk von Pechau herangezogen und[196] zwischen unsere feste Stellung in der Kreuzhorst und die Schanze bei Prester ins Holz vorgedrungen. Hat Verhaue angelegt, Karthaunen und Stücke hineingepflanzet und unsern Schanzen, zumeist aus losem Sande erbaut, die Contenance verdorben, daß sie sich nicht halten konnten. Ergrimmt, weil man ihnen so heiße Arbeit gemacht, haben die Kaiserischen auf ihre Gefangenen eingehauen. Doch Einhalt hat General Tilly geboten, hat die noch Lebenden begnadigt und seiner Fahne untergestellt, einen heldenmütigen Leutnant aber gelobt und frei nach Magdeburg entlassen.
Zugleich mit diesem andern Leonidas langte in Magdeburg noch ein zweiter Truppenrest an. Ein Kahn trieb die Elbe herunter, ohne Ruder, er enthielt viele Tote, Verwundete und nur drei Heile. Das war alles, was aus einem unserer Hauptwerke, der Kreuzhorstschanze mit dem übermütigen Namen »Trutz-Tilly«, zurücke kehrte. Während die übrige Besatzung sich dem Angreifer auf Gnade oder Ungnade ergeben hatte, waren diese Flüchtlinge in den Kahn gesprungen und durch Abstoßen mit den Musketen in die Strömung gelangt, dabei aber von vielen Schüssen übel zugerichtet worden.
Gleich nach der Einnahme von »Trutz-Tilly« durch Tilly machte sich Pappenheim an die bei Prester gelegene Schanze »Trutz-Pappenheim«, warf eine Batterie auf und ließ schwer Geschütz sattsam spielen. Hierauf ist er mit stürmender Hand vorgegangen, hat aber wegen vieler Pfähle mit Dornen, so wir ringsum eingeschlagen hatten, wieder weichen müssen. Da die Unseren vermerketen, daß man sie von der Stadt abschneiden wolle, so haben sie sich Hals über Kopf aus dem Staube gemacht. Leider sind auf dieser Flucht viele von den Verfolgern niedergemacht und in die Elbe geworfen worden, damit sie als Leichen gen Magdeburg schwimmen sollten, den Bürgern ein bitter höhnischer Gruß vom Feinde. Auch den befestigten Kirchturm des Dorfes Krakau – denselbigen, wo die ominöse Storchenbegebenheit sich zugetragen –[197] hat Tilly also heftig beschossen, daß unsere Besatzung flüchten gemußt.
Unser Herr Falkenberg hat jetzo seine ganze Außenmacht auf das Zollwerk, den Brückenkopf jenseits der Elbe, beschränkt und es mit gedoppeltem Wall und Graben umzogen. Dieweil nun Tilly diese Beste mit Sturm nicht anfallen gemocht, so hat er sich zur Geduld bequemt und von Krakau her Trancheen gezogen, willens, der Zollbesatzung den Rückzug über die Elbbrücke zu verlegen.
Da bis zum 19. Aprilis die Nebenwerke der Zollveste und sogar die Schanzen zum Roten Hagen gefallen waren, so ließ Tilly an diesem Tage einen Angriff unternehmen. Ein garstig Wetter jedoch hinderte ihn. Es wehete heftig, kalt strömte der Regen, die Laufgräben fülleten sich mit Wasser, das Pulver ward naß, die Soldateska mochte nicht ausdauern. So verschob Tilly den Sturm auf die Frühe des andern Tages. Doch wie im Morgengrauen seine Truppen sich zum heißen Strauße anschickten, gewahrten sie mit Verwundernis, daß in der Schanze alles stille. Kein Schuß ward getan, kein Kommando laut, keine Waffe blitzte. Die Unserigen hatten nämlich über Nacht die Zollschanze geräumt.
Schweren Herzens hatte sich Falkenberg dazu bequemt. Des Nachts, da ich ihm eine Meldung überbrachte, saß er in der Faussebraye mit dampfenden Kleidern am Feuer, düstern Gesichts. »Korporal Tielsch,« – sprach er dumpf – »ist Er nicht auch ein Stück Chymiste? Verstehet Er sich auf die Bereitung von Pulver? Arg gebricht es uns daran. Mit der Schanze Trutz-Kaiser habe ich zehn Tonnen Pulver verloren, und das gänzlich umsonst. Habe damit den Eroberer in die Luft sprengen wollen; doch ist die angelegte Miene nicht losgegangen; die Zündfäden sind in dem Sauwetter feucht worden. Das allerschlimmste aber ist, daß die Magdeburger sich und mich getäuscht haben über den Umfang ihrer Munition. Wie ich um Weihnachten die Magazine inspiziert habe, sind da Pulvertonnen genung gelegen. Jetzo[198] aber stellet sich heraus, daß dreihundertundfünfzig Tonnen nicht Pulver, sondern ungemahlenen Salpeter enthalten. Dieweil nun der Herr Administrator ganz unsinnig mit den städtischen Kartaunen gebummert hat, gebricht uns auf einmal das Pulver, in einem Momente, da wir's am nötigsten brauchen. Denn behaupten ließe sich die Zollschanze nur, wofern wir mit allem Geschütz feuern, rasend feuern könnten. So muß ich dies kostbare Außenwerk preisgeben – kann nicht einmal Minen legen, den Feind, wenn er eingedrungen, in die Luft zu schmettern – oh, oh!« Stöhnend sprang Falkenberg auf und schüttelte die erhobenen Fäuste.
Bestürzt trat ich zurück. »Preisgeben? Die Zollschanze? Ohne Schwertstreich?«
»Bleibet uns etwas anderes übrig?« erwiderte Falkenberg. »Sollen wir etwan unser letztes Pulver morgen hier verschießen? Die Geschütze der Stadtwälle müßten dann schweigen, wofern Tilly übermorgen die Sturmleitern anlegte.«
»Wie könnte er das wagen?« warf ich ein.
Falkenberg zuckte die Achseln. »Er braucht von den Verrätern, so er in Magdeburg stecken hat, nur zu erfahren, daß es uns an Pulver gebricht.«
Mir war, als ob ich einen Schlag aufs Herz erhielte, und ich stammelte: »Verräter?«
»Freilich Verräter! Täglich erfährt der Feind, was bei uns vorgeht. Drum darf ich auf dem Rathause nicht einmal merken lassen, aus was Ursach ich die Zollschanze quittiere. Und hör Er wohl: niemand darf erfahren, was ich Ihm inbetreff des Pulvers anvertraut habe. Ihm sag ich's nur, auf daß Er als Chymiste mir soll raten.«
»Ich kann dem Herrn nur raten, daß sofort aller Schwefel in der Stadt zusammengescharrt werde, und daß die Wassermühlen Tag und Nacht Salpeter mahlen. Wolle der Herr mich dem Pulvermeister beigeben!«
»Gut,« – sagte der Oberste – »Er hat freie Hand. Beginn Er sofort mit der Pulverbereitung. Drei Tage mindestens gedenke[199] ich den Kampf hinhalten zu können. Die Elbbrücke lasse ich noch diese Nacht abbrechen, und so wären wir gen Osten durch den Fluß gesichert. Westlich aber sind unsere Wälle und Mauern fürs erste uneinnehmbar. Nur die Vorstädte sind unsere schwachen Seiten. Werde sie daher niederbrennen.«
Ich erstarrte. »Niederbrennen?«
»Freilich!« entgegnete der Oberste mit kalter Ruhe. »Übermorgen geht zunächst die Sudenburg in Flammen auf, dann die Neustadt. Sonst installieret sich dorten der Feind und findet Deckung vor unseren Kugeln. Ja, Tielsch, heiß wird's. Geh Er nun stracks zum Pulvermeister und zeig Er, was ein Chymiste kann. Den Stein der Weisen verlang ich nicht von Ihm – nur Pulver und aber Pulver – das ist jetzo unser Stein der Weisen.«
Wiewohl ich vor Müdigkeit hätte hinsinken mögen, verlieh meines Amtes Bedeutung mir frische Kraft. Ließ die Müllerinnung und sämtliche Apotheker aus den Federn holen. Um die hastige Pulverbereitung zu rechtfertigen, schützte ich vor, Herr Falkenberg gedenke den Feind durch Minengänge zu bekämpfen und benötige einen Überfluß von Pulver. Allsogleich wurden die auf der Elbe schwimmenden Wassermühlen zum Mahlen des Salpeters hergerichtet. Auch mit Handmühlen und Mörsern, aus Apotheken und Bürgerhäusern herbeigeschafft, endlich mit Mahlsteinen, von kreisenden Pferden bewegt, ließ ich die Pulverisierung betreiben. Es gelang uns, hundertundsiebzehn Tonnen Pulver zu bereiten. Dann aber mußte die Arbeit eingestellt werden, dieweil es an Schwefel fehlte, und ich vergebens mit den Apothekern beriet, wie Sulphur sich formieren lasse.
Am Nachmittag des 21. Aprilis hatte ich mich in mein Quartier begeben und etliche Stunden festge schlafen. Von Wehegeschrei und Getümmel, so durch die Straßen scholl, ward ich aufgescheucht. Es war dunkel, Feuerschein aber strahlte zur Dachluke herein. Hastig begab ich mich hinunter[200] und sahe Männer, Weiber, Kinder auf dem Ringe lagern, bei sich zusammengebündelte Kleidungsstücke und allerlei Hausgerät. Es waren Bewohner der eingeäscherten Sudenburg. Weinend und jammernd starrten sie zum geröteten Himmel; über die Dächer wälzten sich glutige Rauchmassen; dicht wie Schneeflocken stöberte glühend Gebröckel hernieder.
Andern Tages ward auch die nördliche Vorstadt, die Neustadt, den Flammen preisgegeben. Nun hatte man in Magdeburg Hunderte von hungrigen Mäulern mehr zu füllen und sahe das nackte Elend der Flüchtlinge.
Als Flammen und Rauch entschwunden waren, erblickten wir von unseren Stadtmauern und Kirchtürmen nur noch schwarze Ruinen, dahinter aber die eherne Kette der teuflischen Belagerer, und die Luft erzitterte vom Brüllen ihrer Geschütze. Kein Wunder, daß die Bürgerschaft erstarrte, als habe man sie vor den Kopf geschlagen. Auf diesen Eindruck bauend, sandte Tilly seinen Trompeter in die Stadt. Noch sei die Gnadentüre offen, so schrieb er. Um sie nicht gänzlich zu verschließen, solle man sich beizeiten unterwerfen, sintemalen die Stadt unmöglich zu halten. Ein Teil der Bürgerschaft neigte zum Akkorde. Falkenberg aber eiferte wider die Akkordbrüder, und die Prädikanten sprangen ihm bei, indem sie von den Kanzeln herab predigten, wer zu Akkord rate, habe kein Gottvertrauen und wolle das Vaterland dem abgöttischen Papismo in den Rachen werfen. Ein ruinierter Brauer, Hans Herkel, der das Amt eines Rottmeisters bekleidete und großen Einfluß beim gemeinen Manne besaß, sorgte dafür, daß die Wortführer der Kapitulation niedergeschrien wurden. Hiezu halfen etliche Gerüchte und Zeitungen. Der ersehnte Messias Gustavus Adolfus sei im Anmarsche, stehe allbereits in der Mark und bitte bei seiner Seelen Seligkeit die Stadt, doch getrost auszuharren, da er sie präzise auf Tag und Stunde entsetzen werde. Vom Dome spähete bei Nacht eine mehrköpfige Wache gen Morgen, ob etwan des Entsatzheeres verabredet Signalfeuer aufleuchte.[201]
Gleich an dem Tage, da die strenge Belagerung ihren Anfang nahm, hatte Falkenberg nebst seinen Offizieren sämtliche waffenfähigen Bürger, Söhne, Knechte und Handwerksgesellen zu den Waffen gerufen und mit den Soldaten konjungiert, auch jedwedem seinen Posten angewiesen. Und ward die Bürgerschaft also abgeteilt, daß sie den oberen Wall zu besetzen hatte, bei Nacht vollkommen, bei Tage zur Hälfte. Die Soldaten aber sind auf die gefährlichen Stellen in Wall und Zwingmauer gelegt und haben allhie kampieren müssen.
Mit Zagen freilich sahe man, wie die 5000 Wehrhaften, die man zusammengebracht, über die weitläufige Fortifikation verteilt, nur eine dünne Verteidigungskette bildeten, indessen draußen die sechs- bis siebenfache Armada wohlgerüstet und emsig arbeitete. Leider stellete sich heraus, daß manche Teile des Walles und Grabens nicht in gutem Stande; und etliche Bürger murreten wider den Kommandanten, der, ein kecker Kibitz, ins Feld geflogen sei, anstatt zuvörderst das Nest zu verwahren. Schlimm auch, daß die Bürgerschaft uneins war. Der Arme mißgönnete dem Reichen seine Wohlfahrt und mochte nicht dulden, daß jener länger zu Hause bleiben oder sein Gesinde an seiner Statt zu Walle schicken durfte. Die Reichen aber wollten ihre Licenz mißbrauchen, und haben etliche, insonderheit die heimlich Kaiserischen, sich nicht ein einzigmal auf dem Walle sehen lassen. Ging man zu Walle, so geschah es weniger, um dem Feinde Abbruch zu tun, als vielmehr umherzulungern und Neues zu hören. Ein großer Teil wußte sein Bier und die dargereichten Würste besser anzuwenden als die Muskete.
Gleichwohl haben die Unseren in einem Ausfalle dem überraschten Pappenheim Schanzkörbe und Schippen weggenommen, auch 18 Leute erschlagen. Einen größeren Sieg gewann der Oberstleutnant Trost auf der Elbinsel, genannt der Stadtmarsch. Dorten hatte er die Ligisten also weit zurückgetrieben, daß er die Rote-Hagen-Schanze hätte zurückerobern[202] gekonnt, hätte er nur zweihundert Leute mehr gehabt. Aber weil der geschlagene Feind Sukkurs erhielt, mußten die Unsrigen mit der halben Viktoria zufrieden sein. In den Trancheen gab es mehr denn hundert Feinde tot, also daß man die ligistischen Truppen den ganzen Tag damit hat schleppen sehen.
Nach einem dritten Ausfalle, so dem Feind 40 Mann gekostet, hat Tilly sich abermals aufs Paktieren gelegt und Briefe durch seinen Trompeter geschickt. Ist aber nichts aus den Traktaten worden.
Des Feindes Arbeit ist inzwischen besser vorwärts gegangen. An manchen Orten ist er mit seinen Trancheen bis an die Kante des Grabens gelangt, hat auch Brandkugeln und Granaten, etliche einen Zentner schwer, in die Stadt geworfen. Nur weil wenig Heu und Stroh bei uns vorhanden, dazu gute Aufsicht gewesen, so ist kein anderer Schaden angerichtet, als daß eine Kuh zerschmettert worden und an etlichen Stellen Feuer aufgegangen, das jedoch mit nassen Häuten und Wasserkübeln allsogleich gelöscht worden.
Es war für uns schädlich, daß bei der Zerstörung der Neustadt nicht Zeit übrig, alle Mauern und Keller zu ebenen. Diese Deckungen wurden nun von Pappenheim genutzt. Von der Elbe bis zum Krökentor wühlete er Laufgräben durch die Neustadt und machte Approchen bis an unsere Fausse-braye, ließ hier die Pallisaden ausheben und mehrere hundert Leitern zum Sturme ansetzen. Die Pappenheimschen Laufgräben waren so dicht mit Musketen besetzt, daß, sobald von den Unseren einer hinter der Brustwehr herfürlugte, augenblicklich sechs bis acht Schüsse auf ihn fielen.
Am 7. Mai fing der Feind an, aus seinen vollendeten Batterien auf das heftigste zu schießen, und seine Truppen waren in Bewegung, daß wir gläubten, gleich werde der Sturm losgehen. Es gab ein Hin- und Wiederschießen, daß der Erdboden erzitterte und wie Hagel die Kugeln prasselten. Gleichermaßen ging es auch den folgenden Tag. Ein Turm[203] bei der Hohenpforte, so allbereits an die 300 Kartaunenkugeln empfangen, hielt sich nicht länger, sondern stürzte krachend und stäubend zusammen.
Immer düsterer dräueten die Wolken. Eine dumpfe Feierlichkeit lag auf der Stadt, gemahnend, wie nunmehro das schwanke Zünglein unserer Schicksalswage sich neigen solle zum Leben oder zum Tode. Am Abgrund der Ewigkeit stund die Bürgerschaft, starrte schaudernd hinab und besann sich in banger Selbstprüfung auf die letzten Dinge. Aus war es auf einmal mit hoffärtigen Gebärden, mit bunten Röcken, stolzen Hutfedern und güldenen Zieraten. In Trauerkleidung oder gar verwahrlost als Büßer strömten Frauen und Jungfern, Greise und Kinder, sowie die wenigen Männer, so gerade vom Kriegsdienste abkömmlich, in die Kirchen zum Tisch des Herrn, das Abendmahl zu nehmen – vielleicht ihr letztes.
Und seltsam, in diesen schwierigen Tagen fanden überaus viele Trauungen statt. Manch armes Menschenherze wollte die anoch vergönnte, vielleicht ganz kurze Lebensfrist nützen, einen inniglichen Wunsch zu erfüllen. Bei solchen Trauungen nun kam die Sitte auf, daß vor dem Altare rings um das Hochzeitspaar Junggesellen und Jungfern, so heimliche Liebe zueinander im Herzen trugen, Hand in Hand niederknieten, um für den Fall des Todes als Verlobte für das Jenseits zu gelten.
Am Morgen des 8. Mai, da ich von der Nachtwache heimkehrte und bei Sankt Johannis Kirche vorüberkam, ward ich im Kirchgängerzuge Theklas ansichtig und folgte ihr allsogleich in die Kirche. Unter der Wölbung, im Anblicke des Gekreuzigten und der frommen Gemälde, erschüttert von der Orgel, oft die Augen auf Theklas holdes Haupt gerichtet, fühlte ich Flammen der Andacht und der zärtlichen Liebe in meinem Herzen zusammenschlagen. Der Prädikant sprach über die Schriftworte »Sei getreu bis in den Tod, so will[204] ich dir die Krone des Lebens geben« und schloß mit dem Gebete: »Erwecke denn in uns die rechte Treue bis in den Tod, so nichts anderes bedeutet, als eine heilige Märtyrschaft, darin unsere Seele erstarket, lieber Haus und Heimat, Gut und Blut dahinzugehen, als ihren Glauben, ihre Liebe, ihre Hoffnung.« Inbrünstig sang die Gemeinde:
»Nehmen sie uns den Leib,
Gut, Ehr, Kind und Weib,
Laß fahren dahin,
Sie haben's kein Gewinn,
Das Reich muß uns doch bleiben.«
Nach dem Segen wollten die aufgebotenen Paare – neun an der Zahl – summarisch durch das Sakrament der Ehe kopulieret werden. Wie sie niederknieten, gab es schier ein Getümmel von solchen Junggesellen und Jungfern, so bei diesem Anlaß sich still einander verloben wollten.
Thekla warf einen traurigen Blick hinter sich, ward mein ansichtig und erschrak. Ich machte mich neben sie, und nun richtete sie ihre Augen tränenvoll, doch zärtlich auf mich. Wie von Magie angezogen, reichten wir einander die Hand und knieten zu den andern nieder.
Taumeligen Fluges schwebte meine Seele im Himmel. Ich vernahm die Worte: »Was Gott zusammenfüget, soll der Mensch nicht scheiden.« Tillys Geschütze brülleten ein höhnisch Amen. Alsdann nahmen sowohl die verlobten wie die verehelichten Paare das Abendmahl.
Kaum war die heilige Handlung vorüber, so gingen Thekla und ich – wie es die Sitte gebot – in Züchten voneinander, obwohl unsere schmachtenden Herzen uns unlöslich verbunden deuchten. Eine Weihe trug ich im Busen, die mein Quartier mit seligen Phantasien erfüllte, bis mich endlich der Schlaf unter sein Zepter nahm.
Um Mittage kam der Page von nebenan und holte mich zum Obersten. Ich fand daselbst etliche Offiziere und ein Häuflein Bürger, zumeist Schiffer und Handwerker.[205]
In unsere Mitte trat Falkenberg, dessen Angesicht in finsterem Trutze erstarret schien. »Magdeburger!« – sprach er heiser; »habe euch versammelt, dieweilen ihr keine schelmischen Proditores oder mattherzigen Akkordbrüder seid, sondern wahrhaft patriotischen und treu evangelischen Sinnes.« Schweigend nickten die Bürger.
»Nun denn,« fuhr Falkenberg fort, »wie ihr wisset, soll heute Tillys Trompeter, der Überbringer des Ultimatums, von der Stadt mit ihrem Bescheide zurückgeschickt werden. Sintemalen nun der Rat all seine Courage eingebüßet, so will er hinter die Menge retirieren. Hat aus diesem Grunde die ganze stimmfähige Bürgerschaft für heute Nachmittag in die Häuser ihrer Viertelsherren berufen, auf daß jedes Stadtviertel für sich ein Votum abgebe. Bitt euch, ihr Bürger, wollet doch mit aller Macht die geplanten Verhandlungen hintertreiben! Der Akkord wäre unser Untergang. So wir aber dem Feinde durch kecke Ablehnung alle Hoffnung nehmen, verbleibet ihm nur der Ausweg, entweder die Belagerung aufzuheben, maßen die schwedische Majestät mit dem Entsatzheere allbereits bei Burg sein muß, oder aber an unserer Beste sich den Kopf einzurennen. Gläubet mir, nicht der Belagerer draußen ist jetzo unser schlimmster Feind, vielmehr in unsern Mauern der schwache Mut und schleichende Verrat.«
»Schelme sind die Akkordbrüder!« rief es aus der Versammlung.
»So vereitelt denn auf jede Weise den Akkord! Streuet aus, was ich jetzo euch sage. Diese Nacht zwischen eilf und zwölf werden bei Biederitz drei Feuer aufgehen. Lasset die Zweifler auf die Domtürme steigen, und dann saget ihnen: Das ist König Gustavi Signal, anzeigen soll es, daß die schwedischen Vorposten schon da sind, und daß Magdeburg nicht in letzter Stunde alles verderben soll.«
Ein paar der Versammelten nickten schlau, andere blickten bedenklich.[206]
»Mit Verlaub,« meinte ein Bürger – »können wir uns denn auf die Signalfeuer verlassen?«
»Feste wie up en Swur,« platzte ein Schiffer heraus – – »wat mien Fritze öwernehmen duht, is als fix und fardig.«
Da nun etliche Gesichter säuerlich wurden, dieweil zutage getreten, daß die Signalfeuer nur Vorspiegelung seien, entschuldigte sich Falkenberg: »Ja, es ist weit gekommen, daß wir müssen zum Truge greisen, die Bürgerschaft vor Desperation zu bewahren. Doch lasset gut sein! Hinterher wird man unsere gewagten Mittel segnen. Im übrigen kann ja der König wirklich nicht mehr ferne sein. Daß aber die Feuer brennen werden, ist so gut wie sicher. Dieses Mannes Sohn, der Fritze, will mit zween anderen heute abend die Elbe hinunterschwimmen, beim Biederitzer Busche an Land gehen und die Feuer anbrennen. Sorget nun. Freunde, daß recht viele Leute bei Nacht die Türme besteigen. Und ferner könnet ihr sagen: Tilly will die Stadt, auch wenn sie sich ergibt, drei Tage plündern lassen – hat seinen Kroaten vorgeredet, hier sei der Reichtum dreier Königreiche.« Scheu blickten die Bürger und grollten.
»Höret weiter«, sprach Falkenberg, indem er ein Schriftstück aus seinem Koller zog. »Hier halte ich einen Brief von der schwedischen Majestät; vernehmet, was darinnen geschrieben stehet.« Hierauf tat der Oberste den Hut von seinem Haupte und las: »Meinem getreuen Falkenberg zu wissen, was Zeitung mir worden. Herzog Wallenstein, vordem Kaiserlicher Feldherr, ist auf seinen Nachfolger Tilly neidisch und ist ränkevoll beflissen, diesen Ligisten in die Schwerenot zu bringen, auf daß hernach der Kaiser keinen andern Rat wisse, als den altbewährten Generalissimum zum Retter des Reiches zu berufen. Vor den Augen der Welt ist der Wallenstein ein Freund Tillys, heimlich aber sucht er seine Lage zu verschlimmern. So hat er seinen mechelnburgischen Statthalter angewiesen, dem Tilly nur ja keinen Proviant zu verschaffen. Ferner möchte der Wallenstein dem Tilly, falls[207] dieser Magdeburg in seine Gewalt bekommen sollte, die Suppe gänzlich versalzen. Hat dahero seinem Freunde Pappenheim, so blind auf ihn vertrauet, den teuflischen Rat gegeben, die Stadt nach der Kapitulation zu plündern und dann durch Feuer vom Erdboden zu tilgen.«
Wie diese heillosen Worte ausgesprochen waren, erhub sich unter den Versammelten ein Gemurmel des Entsetzens und der gärenden Wut. Doch Falkenberg las weiter: »Die Vertilgung Magdeburgs soll der lutherischen Rebellion eine klaffende Wunde reißen. So heuchelt der Friedländische Ränkeschmied, bauend auf des Pappenheimers papistischen Sinn. In Wahrheit freilich will er seinen Rivalen Tilly ruinieren; nicht zugute soll ihm Magdeburgs Einnahme kommen, auf daß ja nicht die Hauptstadt der Elbe ein Stützpunkt der ligistischen Operationen werde.«
Grimm lächelten und nickten die Zuhörer. »So hat nun Pappenheim heimlich angeordnet, es solle die Stadt gleich nach geschehener Plünderung an allen Ecken und Enden angezündet werden. Die evangelische Bürgerschaft soll gänzlich verschwinden und an ihre Stelle eine neue aus papistischen Landen treten; auch soll Magdeburg seinen ehrlichen Namen verlieren und hinfüro Marienburg heißen.«
Bleichen Angesichts antworteten die Bürger mit Stöhnen und Knurren. Falkenberg warf das Schreiben auf den Tisch, schlug mit der Faust darauf und ließ seine Augen flammend im Kreise herumgehen. »Und nun ihr? Was wollet ihr tun? Werdet ihr den Akkord zulassen?«
»Nimmermehr!« Und Fäuste erhuben sich. »Nieder mit den Akkordbrüdern!«
Falkenberg ließ sie eine Weile toben, dann gebot er mit ausgebreiteten Armen Ruhe und sprach dumpf: »Was aber soll geschehen, so unsere Stadt gleichwohl in Feindes Hände gerät?«
Ohne Laut, ohne Regung starrte ein jeder vor sich hin. Es war eine Schwüle, wie vor dem Losbrechen des Gewitters.[208] Dann zuckte der zündende Blitz. Ein hagerer Mann, grau von Angesicht, roten Bartes, trat aus der Versammlung. Es war der Rottmeister Hans Herkel, eine Säule der schwedischen Partei. Wie Irrlichter loheten seine düsteren Augen, in denen das Weiße funkelte. Zähnefletschend schüttelte er die Fäuste und stöhnete wie von einem Dämon besessen: »Meine Seele sterbe mit den Philistern!«
Da wir verwundert den Mann anstarreten, winkte ein Schiffer raunend: »Der Geist kommet über ihn.«
»Simson, Simson!« – fuhr Hans Herkel fort – »in die Hand der Philister warst du gegeben, die hatten dir die Augen ausgestochen. Was hast du da getan? Hast im Philisterhause mit der Rechten die Mittelsäule ertastet und hast dich geneiget kräftiglich: Meine Seele sterbe mit den Philistern! Und hei, da stürzete das Haus auf die Fürsten und das versammelte Volk, und waren der Erschlagenen mehr, die an Simsons Tode starben, denn die er bei Lebzeiten gefället hatte. Simson, Simson, dein Geist komme über Magdeburg!« Nach diesen Worten blickte Hans Herkel als ein Erwachender im Kreise ringsum. »Das war Gottes Ratschlag!« sprach jemand; »dieser Prophete gibt uns ein Zeichen. Wohlan! Wenn wir schon müssen untergehen, so sollen wir wenigstens Rache nehmen.«
»Rache, Rache!« rief Falkenberg. »Ha, ihr Männer, jetzo kommet euch die Erleuchtung. Ja, tuet wie Simson! Oder wie die Bürger von Saguntum, so ihre Stadt nebst allen Schätzen verbrannten, um dem Eroberer Hannibal den Siegespreis zu ruinieren.«
»Zünden wir die Stadt an!« kreischte Herkel. Stutzig lauschte die Versammlung, dann kam es über sie wie grimme Freude: »Recht so! Wir zünden an! Noch bevor der Feind die Stadt geplündert hat, muß sie allbereits in Flammen stehen!«
Triumph blitzete aus Falkenbergs Augen, und er rief: »Patrioten! Helden seid ihr! Ja, unsere Stadt sei wie die[209] römische Jungfer Lukretia; die hat sich selber entleibet, auf daß kein Feind ihre Unschuld raube. O du edle Jungfer Magdeburg! Zünde lieber deine Burg an und stirb auf solchem Scheiterhaufen, als daß du dein Kränzlein verlierest.«
Ein hohl Gelächter erhub sich: »Haha, Pappenheim, du Erzschelm! Siehe, nun hast du deine Meister gefunden. Vermeinest, erst wird geplündert, dann gesenget. Wir aber sagen: Erst wird gesenget – dann magst du wühlen in rauchenden Trümmern nach den Schätzen der drei Königreiche ... haha! Einen Aschenhaufen vermachen wir den papistischen Mausköpfen.« – »Wer tut mit?« rief Herkel. »Gehen wir allsogleich in die Johanniskirche und schwören am Altare, daß wir es tun wollen.«
»Wir tun mit!« rief männiglich und ging eifernd hinaus. Schweren Herzens folgte ich bis zur Kirche, weiter nicht.
Andern Tages, durch etlichen Schlaf gestärket, vernahm ich, daß man auf dem Rathause noch immer verhandle, was denn eigentlich geschehen solle, und daß derweilen Tillys Trompeter von kriechenden Liebedienern mit Braten und Wein regalieret werde. Um zu beschließen, welche Antwort er seinem General heimbringen solle, sei die Bürgerschaft zu den Häusern ihrer Viertelsherren berufen worden; da tobe nun das heiße Ringen der Parteien, und es habe den Anschein, als solle den Akkordbrüdern die Oberhand werden.
Ekel hatte mein Sinn für die Krämerseelen, und ich brannte vor Begier, endlich die Entscheidung herbeizuführen, Mann an Mann. Wir schüttelten die Fäuste, knirschten mit den Zähnen, bissen uns die Lippen blutig in ohnmächtiger Wut, da wir über die Mauer lugend, gewahr wurden, wie der Feind unsere Pfähle am Neustädtischen Bollwerk in aller Ruhe ausgrub, ohne daß wir schießen durften; wegen unseres Pulvermangels war ja befohlen worden, wir sollten Kraut und Lot sparen. Der Feind aber überschüttete uns fortwährend mit Geschossen, also daß Wall und Zingel unter den schweren Kugeln erbebeten.[210]
Bis zur Raserei steigerte sich unsere Kampfbegier, wir öffneten die Hohepforte und überfielen mit blanker Waffe den verdutzten Belagerer. In meiner Wildheit hatte ich keinen anderen Vorsatz, als den Säbel immerfort in Feindesblut zu tauchen, und sooft ich einen Pappenheimer vor mir hatte, fällte ich ihn allsogleich. Zur Besinnung kam ich erst, als mir Blut über die Augen floß und unser Trompeter Rückzug blies. Unsere Schar war zusammengeschmolzen, doch der feindliche Laufgraben angefüllt mit erschlagenen Pappenheimern.
Meine Stirnwunde hatte wenig zu bedeuten. Immerhin ward ich auf Anordnung des Feldschers hinter die Zwingmauer geschickt, allwo die Wunde gewaschen und verbunden ward. Nach einem erquickenden Trunke verfiel ich auf dem Strohlager in tiefen Schlaf.
Unter süßem Vogelzwitschern erwachte ich. In den grauen Morgen, wo ein rosenrot Wölklein schwebete, erhub sich jubilierend eine Lerche. Und die Geschütze schwiegen. Friede! Friede! O bliebe doch immer solch liebliche Ruhe! Ein Bangen kam geschlichen, es möchte die Stille auf einmal unterbrochen werden. Ich atmete nur verstohlen. Dann drehte ich das Angesicht seitwärts. Da lagen die Verwundeten, und ein Bürger kniete, die Hände gefaltet.
Ein Jubelgedanke zuckte mir durch durch den Sinn. Sollte König Gustav nahe, und Tilly im Abzug begriffen sein? »Warum schießet man nicht? Ist etwan der Schwedenkönig gekommen?« fragte ich den Bürger.
»Ja, er stehet bei Biederitz! Von dorten hat er Feuerzeichen gegeben.«
Ein Stich ging mir durchs Herze – so war der Lügenhaber aufgegangen und narrete mich mit leeren Hülsen. »Und Tilly?« fragte ich weiter, indem ich mich aufrichtete – »warum schweigen seine Geschütze?«[211]
»Mag sein, daß er sich rüstet, den Schwedenkönig zu bestehen. Vielleicht auch siehet er ein, daß zu einer Zeit, da die Magdeburger den Akkord beraten, füglich Waffenstillstand sein müsse. Ei Bruderherz, mich dünkt, der Tilly ist gar nicht so grausam. Da trink einmal, Bruderherz!«
Und er reichte mir die Flasche dar, aus der ich einen guten Schluck nahm. Auch er trank und redete listig blinzelnd weiter: »So oder so, – heut hab' ich mein Feuerrohr zum letztenmal auf den Wall getragen. Jetzt geh' ich heim und schlafe mich endlich mal tüchtig aus.«
»Wie? Hat Falkenberg das erlaubt?«
»Ei gewiß, hat er denn nicht selber den Wall verlassen? Aufs Rathaus ist er gegangen, allwo jetzunder der letzte Kampf tobt – Gott sei Dank ein Wortgefecht. Mögen sie streiten! So oder so – wir kriegen Ruhe. Ach Gott ja, der süße Schlaf!«
Er gähnte und dehnte sich, raunte dann geheimnisvoll: »Gott hat mir offenbaret, daß ich von heut ab Ruhe finden soll vor dem grausigen Waffenhandwerk. Das ist gewißlich wahr!« Und mir zunickend ging der Bürger. Vom Wall herüber scholl feierlich der Kriegsgenossen Sang:
»Verzage nicht, du Häuflein klein!«
Den Kopf auf mein Strohbündel zurückgelegt, träumte ich gen Himmel, allwo noch immer die Lerche trillerte, derweilen der Friede so erquickend war.
Da auf einmal spürete ich ein Zwängen an meinem Herzen; ein störender Mißklang, eines Weibes Wehklage, war an mein Ohr gedrungen. Ich versuchte, nicht hinzuhören; aber deutlich vernahm ich die angstvolle Weiberstimme: »Ach Gott, ach Gott! Das ist ein Fürzeichen – das bedeutet ein Unglück.«
Verstört erhub ich mich – meine Stirnwunde schmerzete. Ich schnallte meinen Säbel um, nahm mein Feuerrohr und trat zu der Gruppe von Leuten, wo solche Rede ging. Eine Alte rang ihre knochigen Hände. »Das war der Gespensterwagen – der hat allemal was zu bedeuten.«[212]
»Maul gehalten,« herrschte ich die Alte an. »Höret Sie denn nicht, daß man auf dem Walle Gottesdienst abhält?«
»Ach, Herr Soldate! Ein Spuk hat sich gezeiget. Meine Base liegt totkrank von dem Anblick. Am Fischerufer wohnt sie, und heute nacht, da's eben zwölf geschlagen, geht auf der Straße ein dumpf Getrappel los. Wie sie ans Fenster tritt, siehet sie einen Trupp geharnischter Männer mit Fackeln. Die geleiten einen rasselnden Wagen. Ein ungefüger eiserner Kasten war's, von starken Rappen gezogen – die Häuser haben vor ihm gebebet.«
Ich lachte verächtlich: »Und das war der Gespensterwagen? Gans, die Sie ist!«
»Ach, hör Er nur weiter, Herr Soldate – jetzo kommt ja eben das Gräßliche. Dicht an die Elbe ist der Wagen gefahren, und da haben die Geharnischten die Fackeln auf einen Haufen zusammengeworfen, und lauter blutige Leichen haben sie aus dem großen Eisenkasten geholt und alsodann ins Wasser geworfen. Und hat die Elbe mit den schwimmenden blutigen Leichen vom Feuer beleuchtet wie ein Schlachtfeld ausgesehen. Schlag eins ist der Spuk verschwunden, wie weggeblasen; doch ist dabei ein schauxig Wimmern durch die Lüfte gegangen. Und so wahr ich allhie stehe, eine Menge Fischersleute haben das alles gesehen und haben die Leichen ins Wasser plumpsen hören.«
»Schwätzerin, Närrin! Maul gehalten!« Und ich ging zum Walle – wollte das Geträtsch mir aus dem Sinne schlagen. Und doch hatte sich Unheimliches bei mir eingenistet, Grauen empfand ich und wußte nicht wovor.
Begab mich zur Torwache, allwo die Leute auf ihrem Strohlager schnarcheten. Aus dem Wasserkruge tat ich einen Trunk, kühlete meinen brennenden Hautriß und verzehrete ein Stück Brot.
Hierauf stieg ich durch den runden Turm zum Wall hinan. Auch hier fand ich die Kameraden dem Schlaf ergeben – regungslos lagen sie in der strahlenden Frühsonne, die Posten[213] aber, die den Belagerer hätten im Auge behalten sollen, kehrten ihm den Rücken, an die Brustwehr hingekauert. Dem Geistlichen lauschten sie, so vom Propheten Daniel predigte, wie er, vom Tyrannen in die Löwengrube geworfen, gleichwohl heil geblieben und alsodann sein Dankgebet gesprochen: »Mein Gott hat seinen Engel gesandt, der den Löwen den Rachen zugehalten hat, daß sie mir kein Leid getan haben.«
Bei diesen Worten klang in der Ferne ein langgezogener dumpfer Ton, ähnlich dem Brüllen eines Bullen. Es war das Horn des Türmers auf Sankt Katharinen. Sollte eine Feuersbrunst ausgebrochen sein? Der Prädikant sprach unbekümmert weiter, wiewohl etliche Zuhörer zum Turm emporblickten, von wo noch immer das Horn erscholl.
Auf einmal rief jemand dicht bei mir: »Waffen! Waffen!« Nach der Brustwehr zugewandt, sah ich, wie zween feindliche Soldaten von außen herübergestiegen kamen, dann ein dritter, ein vierter. »Feindioh!« riefen die Unseren. »Waffen!« Meinen Karbiner hatte ich, doch – Teufel – keine Munition.
Schon knatterten Schüsse, und ein Gebrüll von Geschützen erhub sich. Einer unserer Posten stürzte, seine Muskete fiel vor meine Füße. Ich erhub sie wie einen Dreschflegel und ging auf einen Feind los. Der legte sein Pistol auf mich an und schoß. Ich schlug ihn mit dem Kolben nieder, stund aber allbereits vor einem neuen Gegner, der mit dem Schwerte nach mir stach. Ich parierte mit meiner Muskete und stieß sie ihm ins Gesicht, daß er hintaumelte.
Inzwischen hatten sich etliche der Unseren den Pappenheimer Eindringlingen entgegengeworfen, sie niedergemacht und die Brustwehr gewonnen. Ratlos aber lief ein Teil unserer Wallmannschaft durcheinander und schrie: »Waffen! Waffen!« Manche hatten keinerlei Waffen, nicht einmal eine Partisane oder einen Morgenstern.
Ich eilte zur Brustwehr und sahe nun, wie schlimm es mit uns stund. Es wimmelte von stürmenden Pappenheimern. Wie Meereswellen zum Strande rollen, kam Reihe auf Reihe[214] herangeflutet. In der Ferne aber regte es sich hinter allen Hügeln und Gründen von Reitergeschwadern und Pickenierbataillonen, von Fahnen, Spießen und blinkenden Rüstungen. Und war ein Gelaufe im Feinde wie in einem aufgescheuchten Ameisenschwarme.
Wie Katzen sprangen die Pappenheimer heran und renneten die Sturmleitern herauf, trugen auch immer neue Leitern herbei und lehnten sie an die Wallmauer, wiewohl die Unsrigen jetzo schossen und in rasender Wut Mauerbrocken auf die Emporklimmenden warfen.
Nur schwach freilich konnten wir uns wehren, da wir auf Deckung bedacht sein mußten. Hageldicht schwirrten die Kugeln aus den feindlichen Laufgräben, und schon mancher Kamerad lag entseelt oder stöhnend vor unsern Füßen.
Ich hatte die Lunte meiner Muskete entzündet und auch schon einen Pappenheimer von der Leiter geschossen. Da rief mich Kapitän Schulz an: »Korporal Tielsch, im Stall bei der Wachtstube steht mein Pferd, – reit Er, so schnell Er kann, zum Kommandanten Falkenberg – er ist auf dem Rathaus – Sukkurs soll er schicken – Sukkurs so viel als möglich – sonst halten wir den Wall nicht.«
Ich sogleich fort, den Auftrag auszuführen.
Im Turme, der des Walles Eingang war, hasteten mir die Unsrigen entgegen, so zum Kampfe eilten; – mühsam brach ich mir durch ihr Gedränge Bahn, gelangte zum Stalle der Wachtstube, fand das Pferd, schwang mich in den Sattel und galoppierte durch die Gassen.
Aus den Haustüren stürzten die Bewohner herfür, Weiber und Kinder rangen heulend die Hände, vom Katharinenturm brüllte der Alarm, und immer wilder knatterte das Gewehrfeuer.
»Zur Hohenpforte!« rief ich den Bürgern zu, die mit Waffen gelaufen kamen; aus ihren Augen sprühete ein Grimm, der, angesammelt in der langen Zeit qualvollen Ringens, jetzo sich entlud, angezündet von dem Gedanken, daß Leib[215] und Leben, Weib und Kind, Gut und Ehre, Glauben und Vaterland auf dem Spiele stehe.
Vor dem Rathause stund bei einer Gruppe von Bürgersleuten der Page des Obersten Falkenberg und hielt das Roß seines Herrn am Zügel. Ich hin zu ihm, schwang mich aus dem Sattel, gab ihm auch noch mein Pferd zu halten und stürmte die Treppe hinan zum Sitzungssaal. In der Tür blieb ich eine knappe Weile atemlos stehen.
Falkenberg redete zur Ratsversammlung. Wiewohl auf seinem Angesichte Schweiß und Erschöpfung lag, hielt er doch seine kalte, eiserne Trutzigkeit aufrecht. Ich aber trauete meinen Ohren nicht. Was diese Männer beschäftigte, war ja noch immer die Frage, ob mit Tilly zu ackordieren sei. Wußte man denn allhie noch nicht, wie die Dinge stunden?
»Nichts von Traktaten!« rief Falkenberg; »jede Stunde, die ihr heute länger ausharret, ist mit keiner Tonne Goldes zu bezahlen. Zum Abzuge ist Tilly entschlossen, und die Schüsse, so jetzunder gen unsere Mauern donnern, sind der Abschiedssalut ...«
»Mit Verlaub, Herr Oberst,« rief ich und drängte mich durch die Versammlung.
In diesem Augenblicke begann der Türmer der nahen Johanniskirche zu tuten. Die Augen aufgerissen horchte die Versammlung, und Falkenberg stutzte. Gleich darauf aber sprach er mit fester Stimme weiter: »Sollte der Feind aber wirklich wagen, unsere Mauern noch in letzter Stunde zu berennen, so mag er mit blutigem Kopfe heimziehen. O, daß er sich unterstünde! Er wird sich den Kopf zerschellen!«
Indem ward hinter mir die Tür aufgerissen, und der Burgemeister Otto von Gericke kam hereingestürmt: »Der Feind ist allbereits in der Stadt – am Fischerufer plündern die Kroaten!« Mit Rufen des Entsetzens sprang alles von den Stühlen und drängte zum Ausgang.
Ich trat vor Falkenberg und meldete: »Die Pappenheimer stürmen bei der Hohenpforte, Kapitän Schulz läßt um[216] schnellen Sukkurs bitten – der Feind ist allbereits auf dem Oberwalle.«
Bleich und finster starrete mich der Oberst an. Dann verzerrte er das Angesicht zu einem höhnischen Grimme, und aus der breiten Heldenbrust preßte sich ein seltsamlicher Laut, zugleich ein Stöhnen und ein Triumphieren.
»Auf!« rief er in plötzlicher Entschlossenheit und stürmte mit Sporengeklirr zum Saal hinaus, die Treppe hinab. Ich hinter ihm drein. Bei seinem Pferde angelangt, das der Page – wie auch das meine – am Zügel hielt, wandte sich der Oberst zu mir: »Reit Er zur Marschschanze, Oberstleutnant Trost soll mit seinen Reitern der Hohenpforte Sukkurs bringen – schnell, fort!« Und schon saßen wir beide im Sattel, gaben den Pferden einen Sporenhieb und galoppierten nach verschiedenen Richtungen.
Ich den Johannisberg hinunter, über die Strombrücke auf die Insel, so man den Stadtmarsch heißet. Da kam mir der Oberistleutnant Trost mit seinen Reitern entgegen. Ich tat ihm Meldung und trabte gemeinsam mit dem Geschwader zum Orte des Kampfes, von wo das Schießen wie ein unaufhörlich Geknatter erscholl. Munition hatte ich nun.
Als wir in die Große Lakenmacherstraße kamen, sahen wir das Mannsgetümmel mit Pulverdampf und blitzenden Waffen. Hinten aus den Häusern am Tore flogen Steine, Hausgeräte und Balken auf Feindes Haupt hernieder. Ein hölzern Haus stund in Flammen, in der sonnigen Maienfrühe seltsamlich anzuschauen, gleich einer Kerze, so milden Lichtes bei Tage brennt.
»Platz gemacht, Platz!« rief der Oberistleutnant Trost, da wir den kämpfenden Unseren im Rücken waren. Als diese nun zur Seite auswichen und eine Gasse eröffneten, rasselten wir wie ein Donnerwetter hindurch und pralleten wider den Feind, der dicht zusammengedrängt die Picken vorstreckte, während seine Musketiere wider uns eine Salve abgaben. Rings um mich brachen Rosse zusammen und Reiter stürzten,[217] andere Rosse bäumten mit Angstgewieher, Blutquellen schossen aus Tieren und Menschen herfür, ein Stöhnen und Röcheln, ein Klappern aufschlagender Harnische und Waffen, ein Wehgeschrei und Wutgeheul erfüllte die Luft.
Gleich darauf ward aus einem Fenster von nackten Weiberarmen ein Kessel geschwungen, und unter höhnischem Gekreische siedend Öl auf Feindeshaupt gegossen. Hinterher hagelte es Steine, Hausgeräte, brennende Fackeln und wuchtige Balken.
Da gerieten die Pappenheimischen Picken in Unordnung. Den Moment nutzend und angetrieben von der Löwenstimme Falkenbergs, der auf einmal unsere Führung hatte, gab alles, was von den Unseren heil geblieben, darunter ich, dem Rosse die Sporen und brach hauend oder mit Pistol und Karbiner schießend in die feindliche Menschenmauer ein.
Vor mir, neben mir hieben, stachen die Picken, Arme wurden geschwungen, Säbel sauseten, Helme prasselten, man schrie und heulete. Ich hieb wie rasend auf den Feind. Und abermals sahe ich Blutquellen herfürbrechen und manchen Getroffenen stürzen.
Diesmal gewannen wir die Oberhand. Des Feindes Ordnung löste sich, und was nicht liegen blieb, retirierte zur Hohenpforte. »Gewonnen! Gewonnen!« Mit diesem Rufe spornten wir die Rosse zur Verfolgung, unsere Fußtruppen, so inzwischen ihre Musketen geladen hatten, kamen hinterdrein gerannt, wir Reiter machten ihnen eine Gasse, und sie brannten dem flüchtigen Feinde ihre Kugeln auf den Pelz, daß die Lappen flogen.
Schon waren die Pappenheimischen Eindringlinge über den Oberwall zurück in die Faussebraye geworfen, und wir vermeinten, nun werde uns der völlige Sieg gelingen, als auf einmal eine furchtbare Salve groben Geschützes aus der Richtung des Krökentors in unsern Haufen schmetterte. Ich hörte, wie die Unseren auf dem Walle schrien und wimmerten, und dann rief eine Stimme: »Mit unserer eigenen Batterie erschießen uns die Hunde! Auf! Schmeißet sie hinunter!«[218]
Drauf so gingen die Unseren mit Wutgebrüll vor. Wir Reiter wollten absitzen und gleichfalls auf den Wall eilen. Aber da kam Herr Uslar herangesprengt: »Her zu mir! Vom Fischerufer kommen Kroaten! Mir nach!«
Nun wendeten wir die Pferde und folgten dem Offizier. An der Ecke, wo eine Gasse zum Fischerufer hinunterführet, wimmelte es von Menschen. Bürger wollten hastig Ketten über die Gasse spannen. Doch der Oberste Falkenberg schrie: »Noch nicht! Lasset unsere Reiter durch!«
Hierauf so schwenketen wir in die Gasse ein und sahen uns einem kroatischen Reitergeschwader gegenüber. Mit Karbinern schoß es nach den Fenstern, aus denen Steine und Balken geflogen kamen. »Auf und drein!« rief Herr Falkenberg mit geschwungenem Schwerte, wir rasselten an den Feind und warfen ihn, daß er ausriß. Wir folgten ihm zum Fischerufer. Hier kamen Kroaten aus den Häusern, wo sie geplündert hatten. Wir hieben sie nieder.
Doch da sahen wir, wie vom Rondel an der Elbe neue Kroaten geritten kamen; der Wasserstand war also niedrig, daß die Pferde bei der Mauer waten konnten. Es half uns wenig, daß wir auf den Feind schoßen. Immer neue Schwadronen rückten heran, und weil alle ihre Feuerrohre geladen waren, verloren wir viel Leute und mußten weichen.
Der nachrückende Feind kam in der engen Gasse nicht weit. Denn gleich hinter uns hatten die Bürger Ketten gespannt und ihre Häuser zu Festungen umgewandelt. Aber nun flammte eine neue Feuersbrunst auf. Der Feind warf Pechkränze in die Häuser, um durch Brand die Verteidiger auszutreiben.
Wir hielten an der Ecke der Lakenmacherstraße, als auf einmal von der Hohenpforte her eine wilde Flucht der Unseren kam. Gleich hinterher wurden feindliche Harnischreiter sichtbar, und Rufe des Entsetzens gingen durch unsere Reihen: »Jesus! Sie haben die Hohepforte! Nun kommt die ganze Armada!«[219]
Aber Falkenberg schwang sein blutig Heldenschwert mit dem Rufe: »Wer rettet die Stadt?« Und allsogleich rannten wir wütend den Feind an. Gleich beim Anprall erlegte ich mit dem Pistol einen Gegner. Doch brach mein Pferd zusammen, und ich stürzte mit dem Kopfe wider einen Prellstein der Straße, daß mir die Sinne schwanden.
Als ich wieder zu mir kam und mich verwundert aufrichtete, war die Straße ringsum besäet mit Toten und stöhnenden, zuckenden Verwundeten. Ich betastete meinen Kopf, er schmerzte und blutete, doch fand ich keinen Bruch am Schädel.
Nun riß mich die Kriegsfuria aufs neue in den Kampf. Ich sprang auf und lud meinen Karbiner. Da flüchteten etliche unserer Reiterei an mir vorüber, und siehe, einer war der Herr Administrator des Erzstiftes Magdeburg. Doch gleich hinter ihm drein sprengten fünf feindliche Panzerreiter, von denen einer kostbare Federn auf dem Helme trug. Dieser Ritter verlegte dem Administrator den Weg und rief gebieterisch: »Ergebet Euch! Ihr sollet Quartier haben!« Da hielt der Administrator sein Pferd an, steckte sein Schwert in die Scheide und gab sich gefangen.
Ich legte auf den Ritter an und wollte eben losbrennen, als plötzlich eine weibliche Stimme »Johannes« schrie. Es war die Jungfer Gräfin, meine Thekla, als ein Mann gekleidet, mit Blute bespritzt, ein Schwert in der Rechten, ein Pistol in der Linken. »Zu Hilfe, Johannes!« rief sie und lief zu einer kämpfenden Gruppe.
Ich folgte und sahe den Obersten Falkenberg, der vor sich auf dem Rosse einen ohnmächtigen Verwundeten hielt und an drei Harnischreiter, so ihn umzingelten, Schwerthiebe austeilte. Den wildesten Gegner des Obersten traf mein Karbinerschuß. Des andern Roß brach unter dem Schwertstich der Jungfer Thekla zusammen. Da brannte der dritte sein Feuerrohr auf den Obersten ab, stürzte aber gleich darauf, getroffen von einem Beilhiebe des Rottmeisters Hans[220] Herkel, jenes Propheten, so gerufen hatte: »Meine Seele sterbe mit den Philistern!«
Der Oberste Falkenberg ließ sein Schwert fallen, griff sich nach der Brust und sank nach vorne über den Menschenkörper, der noch immer vor ihm lag. Ich nahm des Obersten Linke, während Hans Herkel auf der andern Seite des Rosses die Rechte ergriff, Thekla hielt des Rosses Zügel – und so führten wir den verwundeten Obersten aus dem Kampfgetümmel.
Unweit war der Jakobikirchhof. Dorthinein zu den grünen Grabhügeln ging unser Zug. Bei der Wohnung des Totengräbers war ein Brunnen und eine Bütte mit Wasser. Ein unmündig Mägdlein, des Totengräbers Kind, stund dabei und staunete uns an.
Hier machten wir Halt, ich und Hans Herkel ließen den Obersten vom Roß in unsere Arme gleiten und legten ihn an einen grünen Grabhügel, das Haupt zwischen Stiefmütterchen und Narzissen gebettet. Jungfer Thekla hielt indessen den andern Körper, den das Roß getragen und der noch immer querüber lag, bei den Schultern und schaute schluchzend in das bleiche Angesicht. Und siehe, dies Angesicht gehörte der Frau Falkenbergin. Gleich Thekla hatte sich die edle Frau in Mannesgewand getan und als ein Krieger in den Kampf gestürzt, an ihres Gatten Seite zu fallen. Als wir sie neben den Obersten betteten, spürten wir, daß sie tot war.
Falkenberg drehte seinen Kopf zur Gattin, und ihre Hand legte ich in die seine. Er dankte mir mit einem Blicke und schaute mit wehmütiger Liebe nach seiner entseelten Frau.
Hans Herkel und ich stunden schweigsam dabei. Das Knattern und Donnern der Schlacht scholl herüber. Auf einmal aber ertönte aus dem nahen Blütenbusche das Flöten einer Nachtigall, so süß, als sei in Todes Arm die holdeste Hochzeit. Zugleich hörte ich des Totengräbers Kindlein jauchzen. Mit seinen Händlein plätscherte es in der Wasserbütte und freute sich der glänzenden Wellen und sprühenden Tropfen.[221]
Da ging ich hin, schöpfte meinen Hut voll Wasser und gab dem Obersten zu trinken. Thekla wusch das Angesicht ihrer verblichenen Schwester und weinte heiße Zähren. Hans Herkel hatte des Obersten Koller aufgetan und suchte das Blut der Brustwunde zu stillen.
Stöhnend richtete sich der Oberste auf. Da fielen Ascheflocken aus der Luft bei uns nieder, und gen Himmel richtete der Sterbende sein Auge groß und gierig. Droben flogen Rauchwolken und Funken.
»Herkel!« – stieß er mühsam herfür – »es ist Zeit – ans Werk! Er hat das Zeughaus übernommen.«
Ein heiser Schluchzen brach aus Hans Herkels Brust; dann rief er wild: »Ich tu's!« und rannte spornstreichs fort.
Mit einem Lächeln des Triumphes sank der Oberste zurück in die Blumen. Dann sah er milden Auges abwechselnd mich und Thekla an. »Tielsch,« – hauchte er – »rette Er die Jungfer – in die Kirche – schnell fort!« Keuchend rang des Helden Brust, ein Blutstrom brach aus seinem Munde, er röchelte – und verschied.
Thekla schrie auf, warf sich zu den Toten auf den Boden und umschlang ihre Schwester schluchzend. Dann küßte sie des Obersten Hand.
»Mein gnädig Fräulein«, mahnte ich. Da sie aber nicht hörte und von neuem aufschrie, so ergriff ich ihre Hand, hub die Jungfer empor und sprach: »Bitt Euch, gnädig Fräulein! Wollet doch den letzten Willen des Toten erfüllen und eilends mit mir gehen. Oder möchtet Ihr in Feindes Hand fallen?«
Sie starrte mich tränenvollen Auges an, besann sich und sprach: »Ja doch, Johannes! Ich komme allbereits.«
Nun eilten wir über die Gräber zur Pforte der Jakobikirche. Ich pochte heftig und rief: »Machet doch auf! Wir sind Magdeburger!« Doch verschlossen blieb die Pforte.
Hierauf verließen wir eilends den Kirchhof und liefen die Blaue Beilstraße entlang, die von Menschen ganz leer war, da sich alles in die Häuser verkrochen hatte.[222]
Als wir auf den Breiten Weg kamen, rannten Bürger, jammernde Weiber und Kinder an uns vorüber, nach links, während rechts vom Krökentore her ein feindlich Reitergeschwader anrückte mit Heerpauken und Drommeten. Wie eine blökende Schafherde vor dem Wolfe flüchtete das arme Stadtvolk. Ich hielt der Jungfer Hand und riß sie mit mir fort. Hinter uns krachte eine Salve, und etliche Leute wälzten sich im Blute. Wir waren heil geblieben und bogen um die nächste Straßenecke.
»Zur Johanniskirche!« rief ich, hoffend, dorten vielleicht Einlaß zu finden. Und wir rannten durch die Gassen.
An der Ecke der Marktstraße aber hatte Thekla derart den Odem verloren, daß sie nicht weiter konnte und stehen blieb. Es war gerade bei einer Gruppe jammernder Menschen. Es stund allda ein Prädikant, angetan mit seines Amtes Tracht, die Heilige Schrift mit der Linken an seine Brust gedrückt. Um ihn herum zitterten etliche bange Herzen von Jungfrauen und älteren Weibsbildern. Das war ein Weinen und Händeringen: »Was sollen wir denn tun? Was tun?« Der bleiche Prädikant aber erhub nur immer die Rechte und sprach: »Gott allein weiß das! Gott allein!«
Da packte mich die Jungfer Gräfin am Arm und schrie, die Augen wild aufgerissen: »Bring Er mich um, Johannes! Tu Er mir die einzige Liebe! Die Kroaten kriegen mich sonst! Schieß Er mich tot! auf der Stelle!« Und sie reichte mir ihr Pistol.
Ich riß es aus ihrer Hand, steckte es in meinen Koller und sprach: »Ja doch, mein gnädig Fräulein! Lebendig soll Euch der Feind nicht kriegen – das gelobe ich! Aber noch ist es nicht Zeit zum verzweifeln. Erst such ich, Euch zu retten! So gebeut unseres teuren Obersten letzter Wille. Wollet ihn, mein Fräulein, doch respektieren!«
»Nun gut!« entgegnete sie. »Johannes! Geb Er mir das Pistol zurück. Ich folge Ihm! Doch unser Plan ist schlecht. Bedenk Er nur: So es uns wirklich sollte gelingen, in die[223] Johanniskirche hineinzukommen, was hilft uns das? Der Feind wird die Pforten sprengen oder zu den Fenstern eindringen. Er verschonet die Kirche nicht, für ihn ist sie ein Ketzertempel.«
Daß dieser Einwand richtig sei, leuchtete mir ein. Ich sah im Geiste das Innere der Johanniskirche, sah die hineingeflüchtete Menschenmenge, wie sie teils betete, teils zwischen den Säulen herumirrte und nach einem Verstecke suchte. Versteck! Ja, wenn ich einen Versteck fände! Einen unterirdischen!
»Gott sei gedankt!« rief ich. »Ich weiß Rat! Aus dem Keller des Predigerhauses führet ein unterirdischer Gang in die Johanniskirche und von dorten nach Kloster Berge. In den wollen wir eindringen!« Und wieder ergriff ich des Fräuleins Hand und riß sie mit mir.
Da wir zur Johanniskirche kamen, hörten wir, wie die Pforte von innen vernagelt und verrammelt ward. Wir liefen um die Sakristei herum, und da stund nun das traute Haus, allwo ich als Knabe mit den Eltern gewohnet. Doch die Haustür war verschlossen, und die Eisengitter vor den Fenstern hinderten das Hineinsteigen.
Ich pochte heftig und rief: »Machet doch auf! Wir gehören ja zu euch! Sind evangelisch! Ich bin allhie geboren – bin des ehemaligen Prädikanten Tielsch sein Sohn – jetzo schwedischer Korporal! Machet auf! Wir wollen euch ja helfen! Wir wissen Rettung. Ei, so machet doch endlich auf!«
Vergebens! Indessen blickte aus einem Fenster des Nachbarhauses ein Weibsbild und sagte: »Ach, ihr Soldaten! Seid ihr wirklich Freunde?«
»Ja doch!« entgegnete ich. »Und damit Sie erkennet, daß ich die Wahrheit rede, so sag ich: Mein Quartier ist auf dem Ringe beim Kaufmann Schmidt; Sie kennt wohl seine Mutter, die alte Schmidtin. Und nebenan logieret – ach Gott, nein – hat logieret der Herr Oberste Falkenberg – Gott mache den Helden selig! Und ich – bin ein Magdeburger Kind, vor 27 Jahren hier nebenan im Predigerhause geboren.«[224]
»Ich mache schon auf!« rief das Weibsbild und verschwand. Gleich darauf wurde die Haustür aufgetan. Das Weibsbild, eine Hausmagd, Trude mit Namen, war ganz allein, sintemalen der Hausherr benebst Weib und Kindern in die Johanniskirche sich geflüchtet. Schon wollte die Magd die Haustüre hinter uns verschließen, als mir eine Kriegslist beifiel, den Feind zu täuschen, so jede Minute erscheinen konnte.
»Höret mich an!« sagte ich. »Ich weiß einen Rat! Wir wollen dies Haus also zurichten, als ob die kroatischen Mausköpfe schon hieselbst gewesen wären. Vielleicht daß die Plünderer alsodann vorübergehen, weil sie denken: da ist nichts mehr zu holen. Trude, bringe Sie mir eine Axt.«
Zur Jungfer Gräfin aber sprach ich: »Mein lieber Jaroslaus – so muß ich Euch nun wieder heißen – nimm den Säbel und schlitze die Betten auf – Stroh und Federn sollen verstreut werden.«
Da Trude die Axt gebracht, gab ich ihr fürder auf, in den Hausflur einen Tisch zu setzen und Speisen und Bier aufzutragen. Während sie es tat, zerschlug ich mit der Axt Ofen, Truhen und Schränke, Türen und Fenster. Dann tat ich die Haustüre sperrangelweit auf. Jungfer Thekla schleppte indessen zerschlagene Töpfe, Stroh und Bettfedern bis vorn in den Hausflur und auf die Straße. Wir aßen und tranken etliches von den Speisen und dem Bier. Und nun sahe das Haus also wüste aus, als sei hier für Plünderer rein gar nichts mehr zu holen.
Es war die höchste Zeit, denn schon hörten wir Schüsse bei der Johanniskirche. Von der Magd geführt, gingen wir die Treppe hinauf unters Dach in eine Bodenkammer. Ich und Jungfer Thekla prüften unsere Waffen, ob sie auch in Ordnung. Die Magd aber hielt das Beil gefaßt und zitterte vor Begier, den eindringenden Feind anzufallen.
»Trude,« sprach ich – »ist es möglich, daß wir nebenan ins Predigerhaus gelangen? Dorten ist im Keller sichere Zuflucht, nämlich ein heimlicher Gang, so unterirdisch zur[225] Johanniskirche führt.« Die Magd starrte mich an, als begreife sie nicht. »Ins Predigerhaus müssen wir!« fuhr ich fort. »Aber die Haustür ist verrammelt. Können wir nicht auf andere Weise hingelangen? Vielleicht übers Dach.«
Sofort tat ich die Dachluke auf und spähete hinaus. Dicke Rauchwolken, vermischt mit Funken, flogen über die Dächer. Ein feuerschnaubender Drache wälzte sich auf die Stadt. Drüben in der Johanniskirche hub ein Choral zur Orgel an. Von der Straße her scholl ein roh Gebrüll und Jauchzen: »All gewonnen! All gewonnen!«
Ich prüfte, ob der Weg übers Dach möglich. Es war nach unten steil, hatte jedoch oberhalb der Luke eine platte Stelle, über die man wohl sichern Fußes zu einer ähnlichen Stelle der Predigerhauses gelangen konnte.
»Fort von hier!« sagte ich. »In wenigen Stunden steht das ganze Viertel in Flammen. Wollen wir nicht verbrennen oder dem Feind in die Arme laufen, so müssen wir den unterirdischen Gang im Predigerhause aufsuchen. Vorwärts, klettern wir übers Dach!« Die Magd rang die Hände. Jungfer Thekla nahm entschlossen einen Strick, so durch die Bodenkammer gespannt war, und knüpfte das eine Ende um ihren Leib.
Ich kletterte nun zur Lucke hinaus und ließ mir des Strickes anderes Ende reichen, kroch zur platten Stelle des Daches empor und schlang den Strick um den Schornstein. Hierauf kehrte ich zur Luke zurück und half der Jungfer Thekla auf das Dach und hinan zur platten Stelle steigen. Ebenfalls mit Hilfe des Strickes, den Thekla nun frei gab, holte ich die Magd herauf, versäumte auch nicht, unsere Waffen mitzunehmen. Dann kroch ich hinüber zum Predigerhause, wo ich eine Dachluke offen fand, und befestigte daselbst den Strick, der nun gespannt als ein Geländer vom Schornstein zur begehrten Stelle hinleitete. Uns gelang der schwindelige Stieg übers Dach, und durch die Luke kamen wir in eine Bodenkammer, wie sie vom Gesinde bewohnt wird.[226]
Also waren wir endlich angelangt, allwo ein Weg zur Rettung winkte. Doch unsere Hoffnung ward gar bald verdüstert. Da wir nämlich die Tür der Bodenkammer auftaten, scholl von unten ein bestialisch Toben. Die Beutemacher waren also doch gekommen.
Und nun polterte ein schwerer Schritt die Treppe zu uns herauf. »Nicht schießen,« raunte ich, ergriff den Strick und lauerte hinter der Tür. Thekla trat neben mich mit gezücktem Degen, während die Magd auf der anderen Seite das Beil erhub. »Lebendig müssen wir ihn haben! Er soll uns die Losung sagen!« flüsterte ich.
Gleich darauf trat ein Soldat mit vorgestrecktem Degen ein. Im Nu hatte ich den Strick um seinen Hals geworfen und würgte ihn, daß er vor Schwäche zusammenbrach. Thekla schloß die Tür der Bodenkammer, und während die Magd dräuend das Beil über dem Kopfe des Gefangenen hielt, herrschte ich ihn an: »Schweig! So du schreiest, bringen wir dich um!« Hierauf ließ ich den Strick etwas lockerer, daß der Gefangene wieder Odem bekam und sagte: »Wie lautet eure Losung? Antwort, oder du bist des Todes!«
»Jesus Maria!« krächzete der Soldat.
»Heißet die Losung Jesus Maria?«
»Ja.«
Nun zog ich den Strick wieder fester und sprach zu Thekla: »Was machen wir mit ihm?«
»Totschlagen«, knirschte die Magd.
»Knebeln wir ihn!« meinte Thekla, trennte mit dem Degen ein Stück vom Bettlaken und rollte es zum Knebel zusammen.
Der Gefangene setzte sich zur Wehr. Wie ich aber meines Schwertes Schneide an seinen Hals hielt, ward er kirre und ließ sich den Knebel ins Maul stecken. Hierauf banden wir ihm Füße und Hände hinterrücks zusammen und fesselten ihn an einen Dachbalken.
»Trude!« sprach ich zur Magd, »so jetzo andere Beutemacher heraufkommen, verbleibt uns nur ein Rettungsmittel:[227]
Ich und mein junger Kamerad hier müssen uns stellen, als ob wir zur kaiserischen Soldateska gehören. Die Losung wissen wir ja. Du aber, Trude, bist unsere Gefangene und mußt immer sagen: Das Geld liegt im Keller, da ist ein heimlich Gewölbe. Hörst du, Trude, hier im Keller des Predigerhauses ist ein Gewölbe mit Geld ... Mut, Trude! Und wenn ich mich stelle, als sei ich selber ein Beutemacher – und wenn ich dich sogar würge ...« Hiermit packte ich die Magd an der Gurgel und schüttelte sie, doch ohne ihr wehe zu tun. Entsetzt starrte sie mich an. »Macht nichts,« fuhr ich fort. »Es geschieht ja nur, den Feind zu täuschen. Es kommt darauf an, daß wir ins Gewölbe gelangen – es ist wirklich da und führt vom Keller zur Johanniskirche ...«
Nun redete auch die Jungfer Gräfin der Magd zu: »Tu, was der Korporal gebeut. Es ist eine Kriegslist. Der heimliche Weg kann uns retten.«
Auf einmal erhellte sich das Antlitz der Magd und sie sprach: »Ja, nun verstehe ich. Ja, ich will es tun. Aber mir ist bange. Herr Jesus, wenn die Sache schief geht! ...«
Indem vernahmen wir Tritte auf der Treppe. Da galt es, nicht länger zu zaudern, sondern dem Feinde entgegenzugehen.
»Noch eins,« sagte ich – »wir gehören dem Grafen Mansfeld und sind von der Sudenburg her in die Stadt gedrungen. Nun denn in Gottes Namen los!«
Packte also die Magd bei der Gurgel und rief: »Wo ist der Geldschatz? Im Keller? Führe uns hin, Bestie!« Dann tat ich die Tür auf, wiederholte recht grimmig diese Worte und zerrte die Magd die Treppe hinab, während mein Junker Jaroslaus folgte.
Unten auf dem Flur stund ein Soldat, die Beine gespreizt und die Muskete mit brennender Lunte auf uns angeschlagen. »Losung!« brüllte er.
Gleichmütig entgegnete ich: »Jesus Maria!« und schleppte die Magd vollends hinunter. Da der Kroat noch immer stutzig[228] und mißtrauisch stund, sagte ich ihm keck ins Angesicht: »Holla, Kamerad! Komm Er mit mir in den Keller, dorten liegt Gold – ja Gold – ein großer Schatz!«
Da blitzte freudige Gier aus seinen Augen, er setzte die Muskete ab und schloß sich uns an, indessen wir die Magd auch die nächste Treppe hinunterschleppten.
Unten drangen auf einmal drei Beutemacher auf uns ein und riefen, mit ihren Waffen dräuend: »Losung!« »Jesus Maria!« antwortete ich, während der Kroat in fremder Sprache auf seine Kameraden einredete, worauf sie sich zufrieden gaben. Nur einer – ein junger Offizier – hielt seinen Degen gezückt und sprach: »Wos seids denn Ös? Doch nit Pappenheimer!« »Mansfelder!« entgegnete Thekla. Ich aber fügte hinzu: »Ja, wir Mansfelder waren allbereits früher da, als ihr. Was gaffet ihr, Kameraden? Kommet lieber mit in den Keller – dorten liegt Gold – ja Gold – ein großer Schatz – diese Magd wird ihn uns weisen.«
Die Soldaten redeten eifrig durcheinander. Der Offizier aber fragte verdutzt: »Sakrament noch emol! Sein die Monsfelder ollbereits in der Stodt? Verflucht! Aber gut, Gold nehmen wir! Gehen wir in Keller!«
Nun ließ ich die Magd los, hielt ihr die Faust unter die Nase und herrschte sie an: »Wehe dir, Bestie, so du läugest! Führe uns sogleich in den Keller und weise den unterirdischen Gang!«
»Mit Verlaub, ihr Herren!« antwortete die Magd weinerlich. »Lasset mich nur erst die Laterne anzünden. Unten ist es stichdunkel.« Hiermit ging sie in die Küche, und ich folgte ihr. Mit dem Feuerzeuge machte sie Licht und tat es in die Laterne, worauf ich das Feuerzeug in meiner Tasche barg.
Nun drangen wir alle in den Keller, und ich leuchtete mit der Laterne umher. Vom geheimen Gange nichts zu sehen; wohl aber lag in einer Ecke Gerümpel aufgeschichtet, alte Tonnen und Kisten. »Gesteh, daß der Schatz dahinter liegt!« fuhr ich die Magd an. »Ja doch, ihr Herren,« entgegnete sie[229] und begunnte, das Gerümpel wegzuräumen. Wir halfen, und siehe, in der Mauer war ein niedrig Türlein, mit Eisen beschlagen. Da es unverschlossen war, taten wir es auf und fanden einen Gang, den man nur gebückt passieren konnte.
»Mein lieber Jaroslaus!« sprach ich laut zu Thekla. »Nimm die Laterne und suche den Schatz! Findest du, was wir begehren – du verstehst mich, Jaroslaus – so rufe, daß ich nachkommen soll.«
Sogleich ergriff Thekla die Laterne und kroch in den Gang.
Da rief der Offizier etliche Worte in kroatischer Sprache und sagte dann zur Magd: »Geh mit Milivoi in Kuchel – holen mehr Licht – andere Laterne, auch Fackel – ganz gleich – ist zu dunkel – fort Milivoi!« Und es ergriff einer der Soldaten die Magd am Arm und ging mit ihr hinauf.
Ich war allein mit dem Offizier und dem andern Soldaten. Da konnte ich einen Angriff wagen, zumal es so weit dunkel war, daß nur aus dem Gange ein Schimmer herfürdrang. Gebückt stund der Offizier am Eingange und schaute hinein.
»Hast du etwas gefunden, Jaroslaus?« rief ich.
Da antwortete Thekla in böhmischer Sprache: »Ja, Johannes; der Gang biegt links ab, wird ganz geräumig und geht weiter – ich glaube, er kann uns retten – komm geschwind nach und laß uns kämpfen.«
»Wos sogt er?« fragte der Offizier mißtrauisch. – »Er hat den Schatz!« antwortete ich und griff nach meiner Muskete. »Hot er?« sprach der Offizier und kroch in den Gang.
In diesem Augenblick erhub sich oben im Hause ein Poltern und Geschrei; die Magd Trude eilte zum Keller herein und rief: »Ach Gott, ach Gott – aus der Bodenkammer kommt der Soldat – andere haben ihn frei gemacht.«
Da holte ich mit meiner Muskete zum Schlagen aus und traf den Soldaten, so bei mir stund, daß er lautlos zusammenbrach. Nun kam der Offizier wieder aus dem Gange heraus, ich aber schlug ihn nieder, bevor er sich aufgerichtet hatte. Und sofort flüchtete ich in den Gang.[230]
Gleich darauf erscholl Rufen und Waffenklirren im Keller, Fackelschein strahlte in den Gang, so daß ich meinen Schatten sah. Ein Schuß krachte.
»Johannes!« rief Thekla ängstlich.
»Ich komme,« antwortete ich.
»Schnell, schnell!« rief sie – »daß du hierher um die Ecke biegst – da trifft dich keine Kugel.«
Und es bog sich der Gang wie ein Knie, nach oben geräumig, so daß man sich aufrichten konnte. Hier stund Thekla hinter der Laterne, den Degen gezückt, ein Pistol in der Linken. »Verteidigen wir diese Stelle!« sagte sie.
Ich aber bedachte, ob man den engen Teil des Ganges nicht mit Steinen verrammeln könne. An der Decke fand ich das Gemäuer rissig und morsch, beschloß daher, es mit Pulver zu sprengen.
Riß aus meiner Feldbinde einen Fetzen, schüttete reichlich Pulver darauf, legte ein Stück Lunte hinzu und wickelte alles dermaßen zusammen, daß es ein Päcklein bildete. Das zwängte ich tief in eine Mauerritze und stopfte Steine hinterdrein, jedoch so, daß die Lunte herausragte. »Fort!« sprach ich zu Thekla und zündete das Ende der Lunte an. Wir liefen den Gang entlang.
Auf einmal erscholl hinter uns ein furchtbar Krachen, und der Lufstoß hätte mich beinahe zu Boden geworfen. Die Laterne war erloschen. Rauch und Staub benahm mir den Odem. »Thekla,« stöhnte ich. Sie antwortete erst nach einer Pause: »Hier bin ich.«
Nun holte ich das Feuerzeug aus meiner Tasche und zündete die Laterne wieder an. Wir gingen rückwärts und sahen, daß die Sprengung den Zugang mit Mauerstücken versperrt hatte. Lauschend vernahmen wir des Feindes Stimmen nur als ein verworren Gemurmel.
Stumm blickten wir einander ins Angesicht. Thekla seufzete, und als ich ihre Hand ergriff, verspürete ich, wie sie zitterte. »Mein gnädig Fräulein!« stammelte ich.[231]
Gemeinsam sanken wir auf die Knie, und mir war, als halte ich die Vaterhand umklammert, die so gütig und so stark aus Feindesnot erretten kann. Nach ihrem Gebete schaute Thekla auf, als erwache sie vom Traume, sie starrte auf die Trümmer, so den Gang verschüttet hatten, sah mich hierauf an mit stummer Frage.
»Ein Zurück gibt es nicht mehr,« antwortete ich – »und ob das Vorwärts zur Rettung führt, steht bei demselben Gotte, der uns zu dieser Stunde so wunderbarlich geleitet.«
Aufschluchzend umschlang Thekla meinen Hals und barg an meiner Brust ihr tränenvolles Antlitz. Ich legte den Arm um die bebende Gestalt. Wir fanden keine Worte. Mich deuchte, ich sei ein Nachtfalter und schwirre, vom Lichte trunken, um eines Engels lichtes Angesicht.
Wie ich meinen Sinn gesammelt hatte, sprach ich: »O meine Thekla, liebe Thekla, warum nur ist die Ewigkeit so kurz?« Da sie mich liebreich, doch fragend anschaute, meinte ich: »Wir waren in der Ewigkeit – und sind auf einmal wieder in der bangen Zeit.«
Mit einem schweren Seufzer preßte sie meine Hand an ihren Busen, flüsternd: »Ach, hätte der treue Gott jetzo uns beide zu sich genommen!«
»Es ist wohl noch nicht so weit – Pilger sind wir, und wer weiß, wo unser Ziel. Komm, liebe Braut! Ich bin bei dir, du bist bei mir.«
Und meinen Arm um ihre Schultern gelegt, stützte und leitete ich sie.
Bald hörte der Gang auf, eine sehr schmale Treppe von Stein führte aufwärts, bis sie von einem hölzernen Dache abgeschlossen ward, geformt als ein Sargdeckel. Ich drückte dawider, und es hub sich der Deckel. Ich ließ mir von Thekla die Laterne reichen und leuchtete in den aufgetanen Raum.
Es war eine Gruft, darin etliche Särge stunden. Wir erkannten, daß wir unter der Johanniskirche waren. Die Tür, durch die ich eindrang, war ein Sarg inmitten der anderen –[232] ein Sarg ohne Boden; sein Deckel war der Verschluß unserer Treppe.
Wir stiegen in die Gruft empor und taten den Sargdeckel hinter uns zu. Außer den Särgen befand sich in der Gruft ein Schrein, dessen Tür verschlossen war. Eine Leiter führte zur Decke, und hier mußte eine Falltür sein. Ich kletterte hinan und stemmte mich wider die eiserne Platte. Sie hub sich und klappte mit dumpfem Falle seitwärts.
Wir stiegen in ein Gewölbe, das wohl ebenfalls unterirdisch war, da es keinerlei Fenster hatte. Nur eine Tür, mit Eisen beschlagen. Ich rüttelte daran, sie schien von außen mit einem Vorhängeschloß versperrt. Das Gewölbe enthielt Truhen und Schreine, sowie etliche Fässer. Ich ward nun inne, daß wir in einer Gerätekammer der Kirche waren, wohin ich als Knabe meinen Vater einmal begleitet hatte.
Tat eine Truhe auf und fand eine Altardecke von schwarzem Sammet. »Kirchengerät!« sprach ich. »Vor den Plünderern hat man's geborgen. Hier muß ein guter Versteck sein.«
Auch die Truhen waren mit seinen Geweben angefüllt. Ein Schrein enthielt kostbare Leuchter und Wachskerzen, ein anderer silberne Kelche und Kannen, ein dritter ein Kästlein von Ebenholz, angefüllt mit Oblaten des heiligen Abendmahls. Da ich Thekla fragend ansahe, erschauderte sie und faltete die Hände. Ich verspürete auf einmal nagenden Hunger, brennenden Durst.
»In den Fässern ist Altarwein,« flüsterte ich; »sollen wir nicht ein Weniges davon trinken?« Thekla schwieg. »Der Wein hat noch keine Weihe,« – fuhr ich fort – »man darf ihn trinken.«
Wankend setzete sich Thekla auf eine Truhe, ließ den Kopf hängen und ächzete: »Ach – ich – verschmachte.«
Da holte ich hastig eine der silbernen Kannen, drehte am Zapfen eines Fasses, ließ dunklen Wein in die Kanne laufen und hielt sie an Theklas Mund. Thekla tat einen langen Zug, und nun trank auch ich, flammend Leben rann durch unsere Adern, neue Kraft und Hoffnung war auf einmal da.[233]
»Auch essen dürfen wir,« sagte ich. »Stehet nicht geschrieben, daß Gottes Knecht David sich Hungers halber vom Priester die heiligen Schaubrote geben ließ? Überdies werden die Oblaten ja erst im Abendmahl der Leib des Herrn.«
Thekla blickte zuversichtlich: »Und wären sie selbst schon geweiht, unser Heiland würde denken: Euch zwei armen Menschenkindern ist meine Speise Rettung des Leibes und der Seele. Nehmet hin und esset!«
»Amen!« sprach ich und brachte meiner Braut das Kästlein mit dem heiligen Gebäck; wir aßen und genossen dazu vom Weine.
Taumelnd lehnte Thekla ihren Kopf an meine Brust, und für ein Weilchen kehrte wieder jenes Entzücken, so mich im unterirdischen Gange begnadet hatte. Singen und klingen hörte ich die himmlischen Heerscharen. Bald freilich ward ich inne, daß man droben in der Kirche zur Orgel sang. Da ergriff mich Zagen. Hatte allbereits vermeinet, seit unserer Flucht über die Dächer, allwo ich das Choralsingen der bangen Kirchengemeinde zuerst vernommen, sei eine lange Zeit verflossen; und nun ward mir klar, daß es wohl nur ein Viertelstündlein gewesen, und daß die Feindesnot erst eigentlich beginne.
»Was ist dir?« fragte Thekla erschrocken.
Ich sprang auf. »Wir dürfen der Gefahr nicht vergessen.« Und ich leuchtete mit der Laterne in der Gerätekammer umher, beunruhigt von dem Gedanken, wir möchten keinen Ausweg finden.
Da vernahm ich Orgelton und Gesang, er kam von einer Ecke des Gemaches her, und dort führte eine Schneckentreppe aufwärts. Ich stieg mit der Laterne hinauf und gelangte in einen schmalen Raum, allwo ich nicht weiter konnte. Der Choral aber scholl deutlich durch die eine Wand.
Sie betastend ward ich inne, daß sie aus schwanker Leinewand bestund, und durch ein taghell schimmernd Löchlein sah ich in die Kirche, gerade auf den Prädikanten, so am Altare[234] betete, während die Gemeinde rings um ihn auf den Knien lag. Nun erkannte ich, daß ich in einer ausgehöhlten Seitenwand der Kirche war, nur durch eines Gemäldes Leinewand vom Altarraume getrennt. Ein Ausweg aus den unterirdischen Räumen war ja nun gefunden. Zugleich aber bildete dieser Ausweg eine Gefahr.
Da sprach ich zu Thekla, die neben mir stund und durch das Loch des Bildes schaute: »Wir müssen wieder hinunter zu den Särgen! In der Gerätekammer ist keine Sicherheit. Dringen die Feinde in die Kirche ein, so werden sie alles nach Schätzen durchstöbern. Und wimmern Küster und Prediger erst in der Folter, so verraten sie wohl, wo die silbernen Geräte liegen. Übrigens braucht ein Plünderer nur seine Picke in dies Gemälde zu stoßen, so ist die Höhlung entdeckt und wird für einen Versteck von Schätzen oder Menschen gehalten. Und wird nicht die nahende Feuersbrunst auch die Kirche ergreifen? Kann nicht der Dachstuhl brennend zusammenbrechen? Wer weiß, ob das obere Gewölbe den Einsturz aushält? Hinunter also!«
Wir kehrten zur Gerätekammer zurück, Thekla nahm das Kästchen mit dem Abendmahlgebäck, ich zween Leuchter nebst Wachskerzen, und wir begaben uns durch die Falltür wieder in die Gruft. Holten noch eine Kanne Weines, einen Becher, die Truhe mit Altardecken und Tüchern. Anfangs hatten wir vor, den ganzen Kirchenschatz zu bergen; indessen schien es ratsam, den Plünderern etliche Kostbarkeiten zu lassen, auf daß sie nicht weiter suchen möchten.
Um zu beobachten, was sich ereigne, waren wir aufs neue zur Gerätekammer emporgestiegen; da vernahmen wir, wie der Choral in der Kirche abbrach, wie dann ein Poltern und Krachen losging, als ob man die Kirchenpforte erbreche, und auf einmal ein vielstimmig Angstgeschrei und Weheklagen anhub.
Ich fühlte mein Herz pochen und Kampfeswut mir zu Häupten steigen. Machte meine Muskete bereit, hastete die Schneckentreppe hinan und lugete durch das Loch.
[235]
Um den Prediger, der mit entsetzt aufgerissenen Augen und ausgebreiteten Armen am Altare stund, drängten sich weinend und händeringend Weiber und Kinder, wie Küchlein, so unter der Mutter Fittig Schutz suchen. Etliche Männer aber waren handgemein mit der eingedrungenen Soldateska. Schüsse krachten, Partisane und Säbel blitzten, man brüllte gleich wütenden Stieren, stöhnend sanken die Opfer hin, und aus ihren Körpern quollen rote Bäche.
Nun lösete sich der Menschenknäuel um den Altar in einzelne Gruppen auf, wo allerlei Drangsale vorgenommen wurden. Wie Teufel sahen die Beutemacher aus, dunkelrot die Gesichter, blitzend die Augen. Da würgete einer einen alten Mann, einem Frauenzimmer riß man die Kleider vom Leibe. Zween Soldaten packten einen Bürger und quälten ihn durch Drehen seiner Arme, daß er aufschrie. Dann ließen sie nach und herrschten ihn an: »Gesteh!« Viele Plünderer schleppten ihre Opfer fort, auf daß sie in den Wohnungen verborgene Schätze angeben sollten.
O wie schnitt mir die Folter der armen Menschen, das Stöhnen und Kreischen, das Wimmern und Röcheln ins Herze! Zu mehreren Malen bäumte sich in mir die Rachsucht auf, und ich hätte mit der Muskete in die Plünderer hineinschießen mögen. Doch zügeln mußte ich mich, um meine geliebte Braut nicht zu gefährden. Und so schaute ich tatenlos zu, wie grausam der Feind meinen Landsleuten und Glaubensgenossen mitspielete. Manchesmal wandte ich mich ab vor Entsetzen, schüttelte die Faust und biß hinein in ohnmächtiger Wut.
Da legte sich eine Hand auf meine Schulter, Theklas Antlitz stund voll Schmerz und Tränen. Das grausige Schauspiel hatte sie mit angesehen, da auch sie eine Öffnung im Gemälde gefunden. Nun stund sie erschüttert und ratlos, die Hände ringend. Dann warf sie sich an meine Brust und schluchzte.[236]
Ich hielt die zitternde Braut umschlungen und streichelte wortlos ihre Wange.
»Ach, Johannes, laß uns nicht wieder hinschauen! Das ist ja die Hölle! Ihr Anblick weckt böse Geister.«
Ich nickte, und wir kauerten uns in eine Mauernische.
Aber nun vernahmen wir mit dem Ohre, was in der Kirche geschah; es war, als ob ein Bann uns zwinge, darauf zu achten. Und es dehnte sich die Zeit – wir seufzeten – aber des Schreckens war kein Ende.
Horch, nun scholl aus rauhen Kehlen ein Sauflied und ein Jauchzen, als ob man sich beim Weine verlustiere. Dann Weiberkreischen und wiehernd Gelächter. Die Augen aufgerissen, als ob sie innerlich schaue, brütete Thekla schweigend.
Ungeduld quälte mich. Dies Hinhorchen war ja schlimmer als das Zuschauen. Sprang also auf und lugete wieder durch die Öffnung des Gemäldes.
Ist das nicht der Prädikant? Ganz nahe lehnt er an einer Säule, matt zum Hinsinken. Bleich sein Gesicht, der Priesterkragen mit Blut besudelt. Ein Kroat hält die Muskete auf ihn angeschlagen, während ein zweites Feuerrohr am Boden liegt. Als eine reißende Bestia ist der Kerl anzuschauen, wie er die Augen funkeln läßt im gelben Gesicht und, den gepichten Schnauzbart wie Eisen spitzig, in jeder Backe eine Mordkugel vorrätig hält.
»Pfaff, gib Geld!« stößt er heiser hervor. »Gib Geld – oder –«
Da wirst sich eine junge Frau, ihr Kindlein im Arm, vor den Kroaten hin und ruft: »Erbarmen! Gnade! Pardon! Wir haben ja kein Geld mehr! Gnade! Pardon! Mein Mann ist geistlich!«
»Ah, Ketzer!« schnaubt der Kerl. »Pfaff, gib Geld – oder –«
Nun legt die Frau ihr wimmernd Kind auf den Boden, nestelt an ihrem Brustleibchen, reißt etwas Glitzerndes ab und beut es dem Eisenbeißer dar.[237]
Kalt blickt der Wüterich, bläset darauf die Lunte seiner Muskete an und will schießen.
Da ermannet sich die verzweifelte Frau, schlägt ihm die Muskete in die Höhe, wobei der Schuß losgeht, rafft das andere Feuerrohr vom Boden auf und legt es wider den Feind an. Der glotzt wie versteinert.
Indem aber tritt ein anderer Feind von hinten zur Frau und trifft sie mit einer Keulhaue auf den Kopf, daß sie taumelt. Zugleich springen von allen Seiten Feinde herbei, geschwungene Säbel blitzen und zerhacken den hingesunkenen Körper wie Fleisch auf dem Metzgerblocke. Hierauf so packen die Mörderfäuste das am Boden liegende Kindlein an den Beinen und reißen es voneinander wie einen Tuchfetzen.
Da halte ich mich nicht länger, und wie Thekla mir zuruft: »Ja, schieß!« stecke ich die Muskete durch die Öffnung, nehme mir einen Bluthund aufs Korn und brenne los. Zugleich knallt Theklas Pistol. Der Pulverdampf verhüllt die Gruppe.
Wie er sich verteilt, wälzen sich zween Soldaten im Blute, während die anderen sich fortgemacht haben, und nur einer, den Karbiner angeschlagen, zum Gemälde emporstarrt, verdutzt, weil zwar Rauch, aber kein Schütze zu erblicken. Dann wendet der Soldat sein Gesicht ganz aufwärts, als ob er oben im Gewölbe etwas Seltsamliches gewahr werde. Gleich darauf reißt er die Augen auf und schreit: »Feurioh!«
Wie ich mich bemühe, durch das Loch emporzuspähen, siehe, da bricht an einer Stelle der gewölbten Decke schwarzer Qualm herfür und eine Funkengarbe. Und auf einmal geht ein Gebrüll los: »Feurioh! Die Kirche brennt!«
Ein Teil der Plünderer rennt zur Kirchenpforte, der andre Teil scheint es nicht eilig zu haben. Aber da kommt ein Soldat zurückgelaufen: »Macht fort! Das ganze Stadtviertel brennt!«
Nun geht die Flucht erst recht los, alles, was sich regen kann, drängt zum Ausgange. Bis auf wenige Kerle, die entweder kaltblütig oder sinnlos fortfahren, ihren räuberischen und bestialischen Gelüsten zu fröhnen. Einer zerrt am Fuß[238] eines erschlagenen Bürgers, ihm den Stiefel abzuziehen. Ein paar Saufbrüder wanken gröhlend Arm in Arm, den gefüllten Kirchenpokal erhoben.
Bald aber sind die Menschenlaute verstummt, und nun haucht und wispert und knattert die Feuersbrunst.
Fragend sehe ich Thekla an: »Sollen wir hinaus? Oder bleiben?«
»Bleiben!« meint sie. »Denn so wir selbst der Feuersbrunst entgehen, wird uns diese Soldateska empfahen.«
»Laß uns zuvörderst kundschaften! Komm Thekla, wir wollen uns umschauen!«
Mit dem Schwerte zerschneide ich die bemalte Leinewand, hole aus der Gruft die Leiter und lasse sie durch die gewonnene Öffnung hinunter. Drauf steige ich ins Kirchenschiff, gefolgt von Thekla. Den Säbel in der Rechten, in der Linken das Pistol schußfertig, nehmen wir den Weg nach der Pforte.
Welch gräßlicher Anblick! Durch die ganze Kirche verstreut, besonders am Altare, liegen die blutigen Opfer der Mordknechte. Hin und wieder zuckt noch ein Glied; Stöhnen und Röcheln. Auf der Kanzeltreppe sitzt ein bejahrter Mann, reglos, verzerrten Angesichts. Sein Daumen ist in ein Pistol an Stelle des Feuersteins festgeschraubt. Daneben ein Kind mit zerschmettertem Schädel. Mitten in der Kirche haben die Bestien zur Bluthochzeit gesoffen und geschmauset. Roter Wein ist aus einem Fasse gelaufen und mengt sich mit vergossenem Blute.
Und dorten am Taufbecken – was ist das? Nackte Körper, zwei junge Weibsbilder, gänzlich entblößet, haben Kopf und Oberkörper im Taufwasser, solchergestalt ersäufet, indes die Beine heraushängen. Ein ander Weibsbild lieget am Boden, die Arme gefesselt, hat schändliche Gewalt leiden müssen; reget sich nicht mehr. Und neben dieser Leiche hockt ein lebendiger Plünderer. Seine Augen glotzen aus gerötetem Gesichte. Toll und voll gröhlet er:
[239]
»Zur Hochzeit immer feste
Blutwurst und Branntewein.
Dann komm du mir ins Neste,
Mein glattes Vögelein.«
Wie wir zur offenen Kirchenpforte kommen, schlägt uns sengendheißer Odem entgegen, ein einzig Meer von Flammen ist der Himmel; rings brennen alle Häuser, es rauscht und heult wie ein Orkan, prasselt und kracht von stürzenden Balken und Ziegeln. Unmöglich, diese Glut zu bestehen. Zurück also, wieder zurück in die Kirche.
Aber seltsam! Von hehrem Orgelklang erbrauset auf einmal das Gewölbe. Spielt uns der Todesengel den Sterbechoral? Oder ist das ein Mensch? Der Organist?
Die Treppe zum Chore eilen wir hinan. Da sitzt vor der Orgel ein Mann mit weißen Locken, Wie ich ihm die Hand auf die Schulter lege, starrt er uns als ein Träumender an und spielt weiter.
»Kommet mit uns!« rufe ich ihm zu. »Auf! Rettung bringen wir, so Gott will. Wir sind Magdeburgische! Die Kirche hat einen unterirdischen Gang! Da hinein wollen wir uns flüchten! Auf!«
Der Organist schüttelt lächelnd das greise Haupt. Dann hebt er mit klarer Stimme zur Orgel zu singen an:
»Ob Sodom und Gomorrha brennt,
Mein Herz bleibt ohne Zagen!
Denn zu Jehovahs Firmament
Holt mich sein Feuerwagen.«
Mit großen Augen, die Lippen schmerzlich zusammengepreßt, starrt Thekla diesen Frommen an, dessen Seele, erhaben ob aller Leibesgefahr, im ewigen Frieden schwebet.
Derweilen nun die Orgel zum Gesange aufspielet, sind auf einmal etliche Orgeltöne zu einem heisern Stöhnen worden, und am Knistern und Qualmen wird vollends offenbar, daß die langen Orgelpfeifen von der Feuersbrunst angesteckt sind. Da packe ich den Organisten und will ihn fortreißen.[240]
Doch er sträubt sich mit vorwurfsvollem Blicke und abwehrenden Händen und ruft: »Hie will ich ausharren, bis mein treuer Gott mich heimholet.«
Thekla, Tränen im Auge, löset meine Hand vom Arm des greisen Mannes: »So laß ihn doch! Wozu sollen wir ihn aus seinen Himmeln reißen? Und was vermagst du ihm zu bieten? Ist uns denn selber Rettung des Leibes gewiß?«
Seufzend nicke ich der Jungfer zu, und nun flüchten wir, sintemalen die auflodernde Flamme sengende Glut verbreitet. Am Fuße der Chortreppe verweilen wir noch ein kleines und horchen mit Staunen auf den Gesang, der wiederum anhebet:
»Denn zu Jehovas Firmament
Holt mich sein Feuerwagen.
Zween Cherubim sind fürgespannt,
Gelenket von Elias' Hand.
Mein Christ mit seinen Frommen
Winkt droben mir Willkommen.«
Inzwischen sind die Orgeltöne immer mehr entartet, und während ich, von herabfallenden Feuerbrocken vertrieben, meine Braut an der Hand, weiterhaste, den unterirdischen Schlupfwinkel zu erreichen, hören wir die seltsamliche Weise, so das wilde Feuer auf den Orgelpfeifen aufspielet – ein Rauschen und Kreischen, Kichern und Quieken. Also schaurig griff diese Verwandlung uns aus Herze, als sei das Instrumentum der frommen Harmonie von höllischen Dämonen besessen und zerstöre sich selbst in heulender Tollheit.
Der Organist mußte allbereits emporgefahren sein zu seinem Gotte. In prasselnden Flammen stund der Dachstuhl, glühende Sparren fielen, Rauch und Schmauch erfüllete die Kirche.
[241]
Kaum waren wir mittels der Leiter wieder in die Gruft gelangt und hatten die Falltür hinter uns zugeklappt, so trieb uns brennender Durst, vom Weine aus der Kanne zu trinken und vom kirchlichen Gebäck zu essen. Thekla nahm eine Oblate zwischen ihre feinen Finger und betrachtete sie mit zärtlicher Träumerei: »Wie seltsam, lieber Johannes! Von dieser heiligen Speise haben wir vor zween Tagen in der Kirche droben am Altare genossen, einander gelobend, im Himmelreich Braut und Bräutigam zu sein. Und jetzo? Gläubest du nicht auch, daß die Stunde nahe, da wir Hand in Hand zum Himmelreich eingehen?«
Mein Herz war vom Liebesrausche und, wie jedwedes arme Fleischgeschöpf, vom genossenen Weine stark und feurig worden. Ich ergriff des angebeteten Fräuleins Hand, drückte sie an meine Brust und sprach: »Wohl sind wir Braut und Bräutigam; doch derselbige Herre Gott, so uns einander verlobet hat, offenbaret uns zu dieser Frist in meinem Herzen: Ihr zwei Menschenkinder sollet nicht eher zum Himmelreich eingehen, als bis ihr auf Erden einander Ehegemahl geworden.«
Da sahe mir Thekla ins Auge, groß, tief, unaufhörlich, wie durch Magie gebannt. Hingerissen sank ich auf die Knie, bedeckte ihre Hand mit Küssen und flüsterte: »Und du? Wie entscheidest du?«
»Dein bin ich,« – hauchte sie – »dein, Johannes!« Ach und dann schloß ich sie in meine Arme, und jener Strom, der entsprungen, wo Adam und Eva einander umfingen, seit Jahrtausenden durch die Menschheit rauschet und immer jubilieret: »Seid eins, wie ihr im Paradiese eins gewesen« – der Strom riß uns hin mit schmeichelnden Wellen.
Wie ich nun die Braut an mich preßte, drängte sie mich sanft zurück, und in ihrem Liebesblicke war frommer Ernst, als sie flüsterte: »Ein Sakrament ist die Ehe!«
Ich küßte ihre Hand und gab zur Antwort: »Unsere Liebe[242] ist unser Sakrament. Einen Priester haben wir nicht – einen Priester brauchen wir nicht – alles geht ja zugrunde – unser letztes Stündlein nahet.«
Da strahlte Theklas Auge: »Sei du unser Priester! Traue dich mir an in frommer Feier, Johannes! Gib uns das Sakrament der Ehe – Gott wird es gelten lassen – wie ihm eine Nottaufe gilt.«
Mit heiligem Glück erfüllte mich die Aufgabe, und ich erhub mich stracks. »Ja, unser Priester will ich sein – zurüsten will ich einen Altar. Mag meine Traute indessen hinunter sich begeben in den unterirdischen Gang, gleichsam in ihre Kemenate, um abzutun das kriegerische Mannsgewand und hochzeitlich sich einzukleiden, so gut es in dieser Verlassenheit gelingen will. Mag auch das Bette nicht vergessen, allwo wir des Pförtners harren wollen, so uns aus dieser Gruft zur lichten Höhe erlöset.«
Nun hielt ich Umschau im Gewölbe und plante die Feier, halb in Andacht, halb wie ein spielend Kindlein. Breitete über die Truhe das Altartuch von schwarzem Sammet, stellte die zween dreiarmigen Silberleuchter darauf und besteckte sie mit Kerzen, die ich anzündete.
Thekla war indessen mit brennender Laterne, Tüchern und Gewändern durch den offenen Sarg hinunter in den Gang gestiegen.
Da ich keinen Kruzifix fand, zog ich mein Schwert aus der Scheide und stieß es in den Altar, daß es zwischen den Leuchtern aufrecht stund, mit seinem kreuzförmigen Griff anzuschauen wie des Gekreuzigten Symbolum. Obwohl ein geistlich Gewand vorhanden, beschloß ich, als ein Kriegsmann die Trauung zu vollziehen. Einen gefüllten Silberbecher und das Kästchen mit den Oblaten stellte ich auf den Altar.
Da hub sich aus dem Sarge eine schimmernde Gestalt – meine Thekla, nicht mehr als Jungfer Jaroslaus anzuschauen, sondern als sanfte Jungfrau, angetan wie ein Engel mit wallendem Linnen, das die weichen Arme bloß ließ, über der[243] Hüfte durch einen Gürtel zusammengehalten. Die dunkeln Locken kränzte Silberflitter wie eine Hochzeitskrone.
Ich ging der Braut entgegen, reichte ihr die Hand und führte sie zum Altar, allwo wir in die Knie sanken zu stillem Gebet.
Dann stund ich auf, hub die Braut mir zur Seite und legte ihr Haupt an meine Schulter. »Siehe, meine Traute, wie hold die Kerzen schimmern – vom ewigen Licht der Gnade entzündet, daß wir in dieser finstern Öde einander ins Auge schauen, allwo noch holdere Lichtlein erblühn, ihren Docht aus unseren Herzen nährend.«
Sie schlang ihre Arme um meinen Hals und bebete vor Weinen.
Ich streichelte ihr Haar. »Stille, mein Kind! Nun laß uns Gott geloben, einander als Gatten anzugehören – und laß uns das Abendmahl darauf nehmen. Nicht vom Geistlichen ist es geweiht, der Gekreuzigte und Auferstandene aber, so im Geist und in der Liebe lebet, er weiß auch ohne Priester die Herzen zusammen zu tun. Laß uns denn bedenken, wie er tat. Und er nahm das Brot, dankete, brach's – Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird – Desgleichen auch den Kelch – und sprach: Das ist das Neue Testament in meinem Blute, das für euch vergossen wird.«
Nach diesen Worten löste ich mich aus der Jungfrau Armen, brachte ihr eine Oblate an die feinen Lippen und tat eine zweite in meinen Mund. Auch den Kelch reichte ich ihr, sie nippte – worauf ich selber trank.
»Und nun, mein Gott, habe Dank, Dank – und tue, wie du willst – wie du willst!« sprach ich, in die Knie sinkend. Aufschluchzend kniete Thekla neben mir; und sie war, was ich längst ersehnt, mein angetraut Gemahl.
Doch in welcher Verfassung der irdischen Dinge! Meine Hoffnung, die früher keck zu stolzen Höhen hinangeblickt, hielt nun die Augen verzweifelt niedergeschlagen. Ehemann und Eheweib waren wir worden, doch nur, um in einer Gruft,[244] lebendig begraben, Arm in Arm den Tod zu erwarten, während über uns die Welt in Gluten zusammenstürzte.
Auf einmal tut mein Herz einen heftigen Schlag und steht still; ein Krachen droben, als sei das Dach ins Kirchenschiff herniedergefahren. Die Erde bebet, wie lang hinrollender Donner poltert es über unsern Häupten. Meiner lieben Frau Arme schlingen sich um mich, ich fühle, wie sie schaudert. Dann wird es droben wieder ruhig, nur die tolle Orgel hören wir heulen.
»Der Organist!« – flüstert mein Weib, und ich erwidere: »Der ist uns längst vorangegangen – den trug sein Feuerwagen in die Ewigkeit – vielleicht, daß er uns jetzo anmeldet.«
Und aber dumpf Gepolter ob uns, die Balken der Decke ächzen und beugen sich, Staub und Schutt sprüht hernieder und blendet die Augen.
Doch mein Weib wischt sie mir aus mit ihrem sanften Gewande, nun schaue ich ganz nah die holdesten Sterne, und ihre Blicke sinken süß berauschend in meine Seele. »Laß ihn poltern droben, den groben Gesellen mit seiner knöchernen Faust!« scherze ich.
Sie drückt mich an sich: »Ja, laß ihn! So er jetzo eindringet, findet er mich in meines Mannes Armen. Im Himmel sind wir – und im Himmel bleiben wir – so oder so!«
Was drauf weiter geschehn im schaurigsüßen Hochzeitsgemache, lebt in meinem Gedenken verschwommen als ein Traum. Wundersam hat die Phantasei Glitzerfäden gewoben in unseres Schicksals düster Gespinst. Ich erinnere mich, wie wir den Deckenvorrat der Truhe auf den Boden breiteten, und wie ich scherzte: »Weiß nun mein Lieb, wie den Waldtauben zumute, so sie ihr Nestlein bauen?« Bald deuchte uns, wirklich wären wir Tauben und schwebeten durch blauen Himmel, einander mit dem Fittich streifend.
Dann wieder fühlte ich, daß wir Menschenleiber hatten, echte Kinder Adams und Evas, und mein waren Theklas entzückende Glieder. Ich spürete den angeschmiegten Busen mit[245] dem pochenden Herzen, spürete den heißen Odem, so meine Sinne trunken machte. Unersättlich stürmte unsere Zärtlichkeit, wie wenn Gewitter mit Wolkenbruch und lohenden Blitzen auf die schwüle, dürstende Erde niedergeht. Dann auch war's, als schaukelten wir in einem Nachen und trieben den Strom hinunter, an dessen Ufer zwischen Zypressen morgenländische Paläste schimmerten. Da stund ein Graubart in Purpur, die Krone auf dem Haupte. Lachenden Auges winkte er uns zu, gleich der Sonne blitzte an seiner Hand ein Ring, und wie Gesang war seine Stimme: »O siegreicher Mann! Hold ist deine Braut wie ein Reh! Halte fest den Schatz, erfreue dich der Perlen!« Und entzückt sah ich auf Thekla und flüsterte: »Wie hold bist du! Dein Auge wunderbar wie die Nacht, dein Haar wie die Ziegenherden auf dem Berge Gilead. Deine Zähne gebadete Lämmer, deine Lippen duftende Purpurrosen.« Sie lächelte, und wie leiser Freudensang scherzte ihre Antwort: »Mein Freund ist mein, und ich bin sein – der unter den Rosen weidet.« Mein Blick ruhte gleich einem Schmetterling ihr auf Stirn und Wangen, Nase und Kinn, wie alles so sanft gebildet war und sich bleich von den dunkeln Locken abhub, und wie unter den seinen Brauen die langen Wimpern den Traum der Minne verschleierten.
Manchmal war's, als ruhe ihr Antlitz allbereits im Banne des Todes. Wenn aber dann das dunkle Auge groß zu mir aufschaute, war auf einmal das Leben neu erblüht. Und ich preßte an mich dies warme Leben und küßte seine Blüten, dazu lächelte Thekla wehmütig.
Es fehlte uns nicht das Gedenken an den Ruin der Dinge ringsumher. Zu drehen schien sich die Kirche, schien sich mit uns herumzuwälzen, als könne sie so dem Tode entrinnen. Eine Riesin war sie in Grimmen und Zucken, und wir pulseten innen als letztes Leben, als banges Herz. Das Heulen und Stöhnen der Riesin drang dumpf zu uns herein und wandelte sich in das Fittichrauschen des Todesengels.[246]
In solchen Schauern banger Seligkeit sah ich den Stein der Weisen gleißen, und ward meinem Innern ein tief Geheimnis enthüllet: Ich schaute, wie Tod und Leben zusammengehören seit dem Sündenfalle Adams und Evas, wie der Herr, während er den Tod über die Menschen verhängte, zugleich die Mutter alles Lebendigen mit Kindern segnete ohne Zahl, wie jeglichen Ortes die Geburt zum Sterben führet, vor dem Winter aber all Gewächs Samen ausstreuen möchte. Von der Sündflut träumte ich, von Paaren, die von der Flut umwogt, auf einer schmalen Insel den Taumelkelch der Liebe schlürfen, indessen rings Ertrinkende krallende Hände aus den Todesgewässern strecken. Auch Sodom und Gomorrha sah ich – und wir zwei lagen auf üppigen Fellen beim Klange goldener Saiten und waren übermütige Fürstenkinder, so all ihre Schätze in einer Stunde vergeuden und ihr brennend Königreich für die allerschönste Hochzeitsfackel nehmen.
Von neuem donnerte das Knochengerippe an unser Brautgemach. Und diesmal vermeineten wir, aus sei alle Erdenlust und Erdennot. Der Kirchturm mußte auf unsere Häupter herniedergekommen sein und als ein ungeheurer Grabstein unsern Tod besiegelt haben. Wie ein Schiff auf wilder See schwankte die ganze Kirche, über uns geschah ein Stöhnen und Brechen, und von der Decke kam eine Masse hernieder. Es war ein Brocken Gemäuer, und der krachte auf den Schrein, so an der Wand stund.
Aus war es jetzo mit unserer himmlischen Abgeschiedenheit; als zitternde Erdenkinder fühlten wir uns wieder verstoßen aus dem Paradeis in eine Wildnis, allwo der Sturm die brechenden Baumwipfel zauset, wo Dornen und Disteln starren, und Giftschlangen den Wanderer in die Ferse stechen.
»Rette mich, Johannes!«
Ich sprang empor, spähete nach der Stelle des Einsturzes und leuchtete umher.
Da bemerkte ich, wie die Tür des Schreins, den wir bisher nicht weiter beachtet hatten, vom Stoße des herabfallenden[247] Gemäuers aufgegangen – und siehe, drinnen war eine Öffnung ins Dunkle, steinerne Stufen führten zur Tiefe.
Mein Ruf froher Überraschung hatte Thekla an meine Seite gebracht, und wir schickten uns an, den neu entdeckten Gang zu erforschen.
»Thekla, süßes Weib, werde nun wieder ein Kriegsmann. Vielleicht, daß wir uns doch noch herauswinden aus den Gefahren.« Ich setzte unsere Waffen in Bereitschaft und tat einen Vorrat von Oblaten in meine Tasche, während Thekla sich aufs neue zum Junker Jaroslaus umwandelte.
Mit erhobenen Leuchtern drangen wir alsodann in den Gang. Nach etlichen Stufen führte er eben und in gerader Linie dahin. Kaum den fünften Teil einer Stunde können wir gegangen sein, doch endlos schien diese Zeit.
Auf einmal ging es bergab, und gleich darauf trat mein Fuß ins Nasse. Hinleuchtend sah ich eine Tür, halb unter Wasser. Schritt durch das Wasser zur Tür und fand, daß ein von innen vorgelegter Eisenstab sich wegnehmen ließ. Indem ward die Tür durch den Druck des äußeren Wassers aufgetan, draußen rauschte die Elbe.
Es war Nacht, doch von Glutschein war der Strom und das jenseitige Ufer beleuchtet. Hoffnung im Herzen wandte ich mich um: »Liebste Frau, nun stehet uns doch noch ein Ausweg offen. Flach ist die Elbe, ich kann schwimmen, Gott wolle, daß ich dich rette.«
Und wir traten Hand in Hand durch die Pforte ins Strombett hinaus, wobei uns das Wasser bis zu den Hüften ging.
Eine einzige Glut der Himmel, draus regneten Funken wie Schneegestöber hernieder. Zur Rechten kam ein brennend Fahrzeug dahergeschwommen, eine jener Schiffmühlen, so schon zu meiner Kindheit zwischen Magdeburg und Buckau auf der Elbe lagen. Von herabgefallenen Feuerbrocken entzündet, hatte sich die Mühle von ihrem Anker gelöst und trieb nun den Strom hinunter. Da sie uns ganz nahe kam und der Wind ihre Brunst von uns wegblies,[248] wateten wir hin und banden uns an einer vom Feuer verschonten Stelle mit unseren Gürteln derart fest, daß uns das Fahrzeug hinter sich her durch das Wasser schleifte, aus dem wir nur mit den Köpfen ragten.
So schwammen wir an der brennenden Stadt vorüber. Wie eine Sünderin im höllischen Feuer, von den Qualen seltsam verwandelt, starrete meine Vaterstadt angstvoll mich an. Die Fenster ausgebrannter Gemäuer deuchten mich Augenhöhlen, deren Augäpfel durch Blendung vernichtet waren. Die Balken und Dachsparren glichen verkohlenden Gerippen, die züngelnden Flammen aber Dämonen, so hohnlachend die höllische Qual bereiten. Und noch immer wuchs das Elend. Neue Opfer gingen in Flammen auf, Rauchwolken quollen dick und dicker; wie Springbrunnen, wie Strahlengarben schossen Funken gen Himmel; und ähnlich dem Flintenknattern einer Schlacht prasselten die brennenden Hölzer. Von den ungezählten Fackeln rot bestrahlt, doch unbeschädigt stund der Dom zu Sankt Mauritz, als fühle er sich erhaben über diese Vergänglichkeit. Andere Kirchtürme freilich brannten wie Fackeln. Von den zween Türmen der Johanniskirche, aus der wir entronnen, war nur ein rauchender Stumpf übrig.
Ich drehte meinen Kopf zu meiner Frau. Ihr Auge stund voller Tränen, ihr Kinn bebete. Ich drückte ihr ermutigend die Hand. Und weiter schwamm mit uns die feurige Mühle.
Am Fischerufer liefen rotbeleuchtete Menschen, Plünderer und ihre Opfer. Schüsse krachten, Johlen mischte sich mit Jammergeschrei, Leichen sahen wir in unserer Nähe schwimmen, ein Weib, im Arm ein schreiend Kindlein, stürzte sich von einer Mauer ins Wasser. Auch Kähne mit Soldaten kamen geschwommen, eine Kugel pfiff dicht an uns vorbei; doch beschirmend hielt der Herr anoch seine Hand über uns. Freilich nur, um uns für die schwerste Prüfung aufzusparen, wie sich allzubald herausstellte.
Fahl brach der Morgen herein, als die Mühle, bis zum Wasserspiegel niedergebrannt, zwischen Weidenbüschen an[249] einem Ufervorsprunge landete; es war hinter dem Dorfe Rotensee, dessen Kirchturm sich zeigte. Wir machten uns von der Mühle los und gingen an Land. Unsere Glieder waren lahm vor Kälte und bebeten.
Als wir dorthin zurückschauten, wo einst eine Stadt gestanden, sahen wir nur eine ungeheure rote Qualmwolke. Im Strome aber hinter dem Ufervorsprung war ein Strudel, darin wurden etliche Leichen umhergetrieben, so daß bald ein bleiches Haupt, bald ein starrer Arm oder ein Fuß aus dem Wasser ragte. Mit Grauen dachte ich an die Spukhistoria, so ich gestern vernommen, wie man die vielen Leichen aus dem Gespensterwagen ins Wasser geworfen, und wie dies Gesicht nun wahr geworden.
Indem vernahmen wir eine hohle Stimme, langgezogene Predigerworte, und von der aschgrauen Morgendämmerung abgehoben, sahen wir einen Mann, in schwarzem Talar, die Arme gen Magdeburg gereckt. Und wie närrisch geworden, predigte er im Klageton für sich hin:
»Eli, Eli, lamah asabtani! O wehe, Zion, du große schöne Stadt! Wie arg bist du verwüstet! War nicht dein Antlitz licht wie Schnee und rötlich wie Korallen? Warst du nicht bekleidet mit Seiden und Purpur und übergoldet mit den Schätzen deiner Kaufleute und Schiffsherren? Wehe, nun ist dir abgefallen die Krone vom Haupte, schwarz starrt dein Angesicht von Ruß und Rauch, dürr wie Baumrinde hängt die Haut um dein Gebein. Denn der Herr hat dich voll Jammers gemacht am Tage seines Grimms, hat Feuer herniederfallen lassen wie auf Sodom und dich zertrümmert als ein tönern Gefäß. Nun mordet das Schwert in deinen öden Gassen, und durch die Trümmer schleichen Hunger und Pestilenz. Wer aber entronnen ist, muß irren und bange girren wie die vom Schwarm verlorene Taube ....«
Und der Prediger verhüllete sein Angesicht mit den langen Ärmeln seines Gewandes und schluchzte. Dann erhub er die Stimme von neuem: »Venit summa dies et ineluctabile[250] tempus ... o mein Magdeburg, vorbei, alles vorbei ... Fuimus Troes, fuit Ilium et ingens gloria Parthenopae ... vorbei, vorbei, du arme Magd! Da liegest du nun ohnmächtig in Asche. Übermannet hat dich der geile Jesuiter, bevor dein Tröster und Bräutigam hat kommen können. Und sie haben dich vom Throne deiner Burg gestoßen, die langen Haare dir abgeschnitten, das Kränzlein zerzauset, den frommen Leib aber bei Trommeln und Pfeifen auf soldatisch geschändet ... oh, oh!«
Verzweifelt rang der Prediger die Hände. Auch uns ging das Unglück der edeln Stadt so zu Herzen, daß wir weinend niederknieten, hinstarrend nach den glutig rauchenden Trümmern.
Jetzo fiel des wunderlichen Predigers Blick auf uns. Er betrachtete uns eine Weile, und da er unsere Trauer erkannte, sprach er mit Gebärden des Mitleides: »Weinet nicht! Glaubet nur! Der Glaube versetzet Berge. Gebet acht, ihr klagenden Leute von Israel! Und auch du, blutige Erde, du rauchiger Himmel, gebet acht und seid Zeugen des Wunders.« Und die Arme gen Magdeburg ausgereckt, predigte der irre Mann im Prophetentone: »Eli, Eli, in deinem Namen tue ich kund: Dies Mägdlein ist nicht tot – es schläft nur! Drum stille! Schlafe dich aus, bleich Töchterlein! Balde kommt ja dein Tröster, so deine Hand ergreifet: Stehe auf und wandle! Und auferstehen wird die Magd. Drum getrost, Kinder Israels! Hoffet, hoffet! Der Herr segne euch und behüte euch!« Zum Segen breitete er die Arme, wandte sich dann und ging mit gefalteten Händen, als ob er von kirchlicher Amtierung abträte.
Wir starrten ihm nach, und für ein Weilchen sah ich im Geiste die Stadt aufs neue herrlich erstanden. Dann besann ich mich auf die eigenen Nöte und erwog die mißlichen Umstände, in die wir beide trotz unsrer vorläufigen Rettung geraten waren. Und wie der Geier seine Fänge um die Beute schlägt, ergriff mich die Sorge um Leibesnotdurft und Leben.[251]
Düster betrachtete ich mein Feuerrohr. Es war vorerst zum Schießen untauglich; desgleichen Theklas Pistol. Uns fehlte ja das Pulver. Umherspähend gewahrte ich in der Ferne eine Staubwolke, aus der es blitzte wie Gewaffen. Sogleich flüchtete ich mit Thekla in das Weidengebüsch, so sich am Elbufer erstreckte. Hier blieben wir liegen, lauschend auf jedes Geräusch und in unseren nassen Kleidern bebend. Verworren Kommandorufen drang an mein Ohr; dann ward es still, und lange Zeit hörte ich nur das Weidenlaub im Winde säuseln, dazu die Lerchen ins glimmende Morgenrot trillern.
Still wurden unsere Seelen. Wir schauten einander ins Auge und ergaben uns einem sanften Gekose.
Nicht lange, so nahm ich wahr, wie meiner Liebsten die Augen zufielen. Bettete also ihr Haupt in meinen Arm, und sofort entschlummerte sie. Wiewohl mein Herz an ihrem lieblichen Anblick sich weidete, und wiewohl ich gegen die Angriffe der Müdigkeit ankämpfte, sank mir doch immer wieder das Kinn auf die Brust, bis mich die Mattigkeit ganz überwältigte.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Abendburg
|
Buchempfehlung
Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.
286 Seiten, 12.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro