|
[481] Nachdem ich diesen Brief gelesen und aber gelesen, verfiel ich in langes Weinen – wie ein schwaches Kind, ohne Beistand, ohne Rat. Unverdientermaßen peinvoll nannte ich mein Los und wußte vorerst nichts besseres, als mich zu bedauern. Und wie ich dem Geschicke grollte, so mengte sich Bitterkeit sogar in meine Liebe. Wohl lohete sie auf wie ein Waldfeuer, doch beizender Qualm kam heraus. »O Thekla – jammerte ich – bringst du es übers Herz, mich von dir wegzubannen? Warum eilt die Gattin nicht in ihres Gatten Arme? Warum versteckst du dich hinter dem andern Mann und erkennst ihm Rechte zu, die er doch gar nicht hat? Ungültig ist ja deine Trauung mit ihm. Mir warst du früher angetraut, und nicht zur Witfrau hab ich dich gemacht. Die Meine bist du, Thekla, zögere nicht! Was soll mir, der ich lang auf dich geharret und nun vor Sehnen verschmachte, was soll mir noch fürdere Wartezeit? Bin ich ein Büßer, der fasten soll? O grausam wäre das!«
So machte mein Ungestüm einen Rebellen wider den Wunsch der Liebsten. An ihre flehentliche Bitte, vorerst nur brieflich mit ihr zu verkehren und nicht vor dem siebenten Tage zu antworten, mochte ich mich nicht binden. »Nein doch, Frau« – sprach ich heimlich – »laß lieber unseres Schöpfers Wort gelten, zur Eva gesprochen: Deinem Manne sei dein Wille untertan, es seien Mann und Männin ein Fleisch.« Und es brausete mein Blut wie vor vielen Jahren zu Magdeburg, da ich mit der Geliebten unter der Erde Hochzeit gehalten. Alle Reize des süßen Weibes erblühten von neuem und waren entzückender noch als damals in der Kirchengruft; mich verzehrte das Schmachten, eine Wüstenei galt mir das Leben ohne Thekla.
Unsinnige Pläne beschwur meines Blutes Gärung herauf. Umlauern wollt ich Kiesewalds Baude und bei guter[482] Gelegenheit Thekla zur Rede stellen, sie überzeugen, daß sie mir zu folgen habe, und dann mit ihr auf Schleichwegen entfliehen. Würde Heinrich uns verfolgen, dann wehe ihm! Schon im Kampfe mit dem Nebenbuhler sah ich mich, sein Blut floß wie das meine. Und nieder zwang ich ihn, frei war nun die Bahn für mein erobert Glück. Nach Dresden wollten wir uns wenden und ein friedlich Gütlein erwerben beim schönen Elbestrome. An Gelde sollt es nicht fehlen; des Abendburgschatzes wollt ich von neuem habhaft werden. Es reuete mich, ins Felsenloch ihn gesenkt zu haben. Indessen ließ sich der Schaden noch gut machen. Ich plante, das Höhlenwasser zu stauen und das Felsenloch trocken zu legen. Hineinkriechen wollt ich und das Gold wieder herausholen. Falls das Loch zu enge wäre, ließ es sich auseinandersprengen. Das Sprengmittel besaß ich; drei Faß Pulver waren in den kriegerischen Tagen der Abendburg drunten verborgen und noch unverbraucht. Die nächsten Tage schaffte ich in der Höhle, um den Schatz wieder in meine Hände zu bringen. Durch das eisige Wasser patschte ich und griff ins Felsenloch. Verschwunden aber blieben die Kostbarkeiten, hinabgespült in den Schacht harten Gesteins. Meine Mühe, das Wasser zu stauen, wollte nicht gelingen; zerrissen war das Felsenbett, und wenn ich mit Steinen, Moos und Schotter eine Sperre gemacht hatte, kam das Wasser aus tiefen Spalten herfürgeschossen. Da mußt ich mich schon auf langwierige Arbeit einrichten. Abgemattet und verzagt griff ich mit zitternder Hand an meine Stirn: »Was tust du, Narr? Erst verwirfst du das Gold, wie man eine Giftschlange wegschleudert; und jetzo suchst du wieder danach, als ob es dein Heil sei. War nun der Verwerfende ein Narr, oder ist es der reuige Sucher? Besinne dich, Mensch!« Und es raunte mein besser Selbst: »Verworfen hast du den Mammon, weil er Unfrieden und Schuld, Habgier und Neid, Trug und Totschlag heraufbeschwur und solchergestalt als echter Höllenfürst sich zu erkennen gab. Um dich ein für allemal loszusagen[483] von dem Seelenverderber, hast du ihn hinabgestürzt in den schwarzen Erdenschlund. Friede hat dich seitdem begnadet, schon tat der Himmel sich dir auf. Nun aber wendest du dein Angesicht wieder zur Tiefe. Was suchst du drunten? Meinst du, aus dem schaurigen Höllenkessel könne dein Glück emporsteigen? Das Gold holst du vielleicht heraus, dafür aber wirst du dein besser Selbst hinuntersenken.« So haderte ich, und es reuete mich allgemach, daß in dem Briefe, den ich dem hohlen Baum beim Kesselstein anvertraut hatte, eine Sinnesart zum Ausdruck gelangte, keineswegs dem Edelmetall des Herzens angehörig, wie es Waldhäuser empfohlen. Da ich mich schämte, im ersten Brief an Thekla mich also wüst zu geben, so eilte ich zum Kesselstein, den Brief wieder zurück zu nehmen. Er war aber bereits abgeholt. Theklas Antwort ließ nicht lang auf sich warten. Eine Rauchsäule am Breiten Berge gab das Zeichen, daß ich zum Kesselstein kommen solle. Ich eilte hin und zitternd entnahm ich der Baumhöhlung das Papier. Und las Theklas Zeilen, die hastig hingeworfen und zuweilen durch Zähren verwaschen waren:
»Wie zerrissen muß Dein arm lieb Herze sein, teuerster Mann! Wilde Geister möchten Dein Heiligtum erobern und haben mit blendenden Kriegslisten für ein Weilchen Boden gewonnen. Gewißlich nur für ein Weilchen! Bald wird mein Johannes aus seiner Verstörtheit erwachen und dann erst recht ein Gotteskind sein. Die unbeholfene Schreiberin hat im vorigen Brief verschwiegen, welch Entzücken ihr Deine Predigt im Felsendom erweckte. Sinne Dich, Geliebter, in eines anschmiegsamen Weibes Seele hinein, wenn sich der verlorene Gatte wiedergefunden hat, voller Adel wie ein Demant, der dem Besitzer abhanden kam, um köstlich geschliffen zurückzukehren. Nicht als ob ich in den Jahren unserer Jugend Mängel an Dir empfunden. So wie Du warst, hast Du meine wonnige Anbetung gehabt. Und nicht minder zärtlich umfinge Dich jetzo meine Liebe, wärest Du des Kriegsgottes Anhänger geblieben, obwohl ich alsdann zum[484] Himmel flehen würde, daß er Dich über die rauhe Ritterschaft hinaushebe in jenen Stand, zu dem die Sterne Dich bestimmt haben. Herzog Wallenstein war ein astrologischer Prophete, als er sagte, Du werdest kein Kriegsmann sein, sondern Hoherpriester. Ja, einen Born in Dir hat sich die Weisheit bereitet. Denke doch, wie darob eine Frauenseele jubilieren muß, die in langjähriger Trennung vom Geliebten zum selbigen Gipfel der Verklärung aufschauen lernte, den Deine Hohepriesterschaft feiert. So sind wir beide ja im tiefsten Grunde eins, von einer Andacht zum gleichen Pilgerziel bewegt. O reiche mir Deine Hand, ich halte sie fest. Vertrauend will ich ihr gehorsamen, soweit ich vermag. Nachsicht aber, Erbarmen erflehe ich, falls ich vor Schauder zittere und meinen ungestümen Führer zurückzerre von der finstern Tiefe, in die ein Taumel uns stürzen möchte. – Ach es muß wohl sein, daß die süßen Pfirsche bittere Steine bergen, daß zur Liebe Leid gehört und Straucheln zum Emporklimmen. Hat denn nicht selbst der Heilige am Kreuz geseufzet: ›Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?‹ Ist er nicht zur Hölle niedergesunken, bevor er zum Himmel emporfuhr? Hatte nicht Satan Gewalt, ihn zu versuchen? Und war es nicht von höchster Weisheit vorherbestimmt, daß nur durch Einkleidung ins niedere Staubgewand Gott zum Erlöser werden konnte? Unumgänglich – so scheint es – begibt sich alle Kreatur in den Eigensinn des Sündenfalls und wiederholt Luzifers Absturz. Erst aus der Enttäuschung, aus der Friedlosigkeit quillt und drängt das Heimweh nach der himmlischen Unschuld. So will ich denn geduldig mit meinem armen Liebling gehen, will Sorgen und Leiden mit ihm teilen, dieweil ja meinetwegen, aus Lust an dieser Evanatur, mein Adam sich verirrte. Ohn' Unterlaß aber will ich ihn anflehen: Laß mich nicht eine gar zu arge Versucherin sein! Genung, daß ich zur Gedankensünde, zum bösen Plane Dich verführte, nun hüte Dich vor der Ausführung! Halt! Keinen Schritt weiter! Unterlaß die Untat![485] Es warne Dich das Grauen, so allbereits den Vorschauenden anfällt! Schau doch her, ich zeige Dir, was die Hölle mit uns vorhat. Der Rat, den ihr giftiger Odem raunet, heißt Wortbruch, Flucht, Lüge, Verräterei, Beleidigung, Anreiz zu Eifersucht und Rache, Fehde und Totschlag, Schuld und Selbstqual. Mein Johannes und mein Heinrich, beide meiner Liebe anvertraut, sollen heimgesucht werden von diesen höllischen Folterknechten. Johannes begehrt mich zu seinem Eigentum, wie der Besitzer eine Sache einzig haben will. Heinrich aber wird alsdann zürnen: Halt, Räuber, nimm erst mein Leben, oder laß das deine! So verkehrt sich die Minne, die doch Wohltat sein sollte, zur Untat. Muß das sein? Meinest Du etwan, Heinrich mache Dir mein Herz abspenstig? Angenommen, er fürchte, von Dir in Schatten gestellt zu werden, alsdann wäre diese Sorge nicht so töricht, wie Deine; und ein Recht auf unsere Nachsicht hätte der Arme, der sich betrübt, weil ich ihm nur Schwester bin. Darf ich nicht einmal das? Zürnest Du, weil Heinrich Deiner Thekla gut ist? Ja, gut ist er, Dir und mir hat er lauter Liebes getan. Unser kleiner Johannes war von Berthulden geraubt; da hat Heinrich sich erbarmt des gefährdeten Kindleins und des geängsteten Mutterherzens, hat sein eigen Kind, sein krank Weib verlassen und die Verfolgung der Räuberin unternommen. Derweilen er Deiner Gattin in ihren gräßlichen Nöten treulich beigestanden, ist seine eigene Gattin dem Tode verfallen. Dies Opfer hat Heinrich für uns gebracht. Wie ich nun vielleicht dazu beigetragen habe, daß er Witmann ward, so hab ich sicher seines Mägdeleins Tod verschuldet; denn wär ich wachsam gewesen, wie ich gesollt, so hätte klein Anneliesel die Wassergefahr gemieden. Schlimm genung hab ich dem guten Heinrich mitgespielt. Hab überdies sein Herze betört, daß es nicht mehr ließ von mir, hab es dann gequält, da ich nur mit Schwesterliebe sein glühend Verlangen beantworten konnte. Langmütig und bescheiden hat er alles Leid ertragen, so ich über ihn[486] gebracht, und hat treulich gehalten, was er aus freien Stücken angelobt: mein Beschützer zu sein bis zum Grabe. – Und diesem Manne soll ich mit Verrat lohnen? Aus seiner Hütte stehlen soll ich mich und den Stachel der Eifersucht in seinem Herzen lassen? Über ihn und über Dich heraufbeschwören die Zorn- und Racheteufel? Zwingen und foltern soll uns aufs neue jene Welt, der wir uns schon gänzlich entronnen glaubten? Die Welt der blinden Gier, des wüsten Tobens und blutdürstigen Haders? Die wahre Hölle ist das! O mein Liebling! Ich war einmal in solcher Hölle und habe davon genung für immer. Als Kind mußt ich zuschauen, wie Eiferer meinen teuern Vater umbrachten. Alsdann sperrten sie mich hinter Schloß und Riegel, und nach ihrem Sinn ist es wahrlich nicht gegangen, als Du dorten mein Sonnenschein, mein Befreier worden bist. Kurz nur hat uns damals das Glück gelächelt; dann ist wieder bange Finsternis hereingebrochen. Das große Morden zu Magdeburg raffte Schwester und Schwager an meiner Seite hin. Du, Johannes, halfest mir abermals entrinnen. Denk aber an die Greuel, so uns hierauf begegnet, denk an die Beutemacher im Predigerhause, an den unterirdischen Gang, an den Versteck hinter dem Kirchengemälde, wo wir Zeugen waren jenes Heulens und Zähneklappens, das die Geister der Habgier heraufbeschwören, wo auch immer sie losgelassen sind. Erinnere Dich auch der Ängste, mit denen Zetteritz uns beide quälte, da er liebende Herzen voneinander riß. Lies endlich noch einmal meine Schilderung der Folter, so Berthuldens Eifersucht über mich verhängte. Die wilde Gier mit dem heißen Odem hat den mörderischen Stahl in meine Brust gestoßen, hat unser Kind geraubt und in die Glut der Teufelsmette gerissen, hat dem Abgrund der Verzweiflung ein Mutterherz überantwortet. Der Retter, so mich erhub aus der schaurigen Tiefe, ist der gütige Himmel, Heinrich aber und Sibylle waren seine dienenden Werkzeuge. Keine Zaubermacht über den Wolken vermeine ich, sondern den Gott im[487] Menschengemüte – sein Name ist Erbarmen, Friedfertigkeit, Besonnenheit, Seelenruhe. Diesem Himmel sei anheimgegeben unsere Führung. Er allein beschert das Heil. Er findet den Ausweg aus jeglichem Irrsal; lösbar sind ihm die verworrensten Fäden des Schicksals. Das ist mein Glaube, mein Trost – laß mich selig in ihm werden, mein Johannes! Willst Du es tun, so gib Antwort, je eher, je besser; ich vergehe vor Bangen. Sobald Du entschlossen bist, meine Sehn sucht zu erfüllen und ganz einig mit mir zu sein, entzünde das Feuer am Hohen Stein. Ich weiß dann Bescheid und bin getröstet. Freilich erst am Sonntag kann Sibylle zum Kesselstein gehen. Da Du also Zeit hast, so laß Dein Schreiben reichlich sein; tu mir die Liebe, Dein Leben zu schildern, soweit es mir noch unbekannt. Vertraue Deiner Gattin an, was in den Jahren unserer Getrenntheit Dein Herz bewegt hat. Vergiß auch nicht, Gedichte beizufügen, die Du ersonnen. Deine Weisen sollen mich in Schlummer wiegen, dabei will ich lächeln, Du wirst an meinem Lager sitzen und die treue Hand über meine geschlossenen Augen halten. Oh, trenne Dich nie von mir, Du Meiner! Ewig bin ich Dein.«
Unter dem Buchenbaum am Kesselstein, wo ich diese Worte Theklas gelesen, warf ich mich ins Beerenkraut, wie ein Kämpfer, der vor seinem Gegner reuig und gehorsam die Waffen streckt. Die Hände gefaltet, ergab ich mich der heiligen Seele, die ich anbetete. Ich küßte den Brief und flüsterte flehentlich: »Du reine Quelle, verzeih, daß ich dich trüben wollte! Und Dank dir, daß du mit Wohltat mein garstig Ungestüm vergelten, das Unlautere von mir tun willst!« Zähren brachen aus meinem Auge, es schwand die Welt, nur das zuckende Herz war zu spüren, zugleich aber Linderung wie von einer sanften Hand, süßes Schaudern, stilles Aufjubeln, als sei ein Engel nah. Und ich begab mich zu einer Senkung des Geländes, wo Rüstern einen dunklen Hain wölbten, und zwischen moosigen Blöcken ein dünn Wässerlein wimmerte. Draußen aber auf die Wipfel schien die[488] Herbstsonne warm hernieder und kosete die grünen Kindlein, so auf den Zweigen saßen in dichtem Gewimmel. Und diese Sonne, ihre Güte ergießend über tausend mal tausend schmachtende Kreaturen, deuchte mich Thekla. Waren denn nicht die Waisen, Kranken und Einsamen zu Petersdorf, waren nicht Heinrich und ich selber wie die grünen Sonnenkinder, denen die mütterliche Göttin mit einem Lächeln myriadenfach wohltut? Und da sollte ich neidisch sein auf ein Geschwister? sollte grollen, weil nicht bloß mir das lichte Heil zugute kommt? sollte meinem Bruder Heinrich sein Teilchen Sonnenschein mißgönnen, obwohl ich selber doch nicht im Schatten stund? Nicht doch! gelobte ich inbrünstig; laß schwinden die Habsucht, meine Seele, der Liebesflut gib dich hin, so aus dem Sonnenherzen quillt! – Und im lauschigen Hain, wo durch dunkles Laubdach güldene Lichter äugelten, wo winzige Flügeltierlein ihren Luftreigen summten und das Wasserseelchen weinte, hub mein Herz zu singen an:
Wie traurig diese Wälder düstern!
Kein Sonnengold tiefinnen lacht.
Das tun die felsengrauen Rüstern,
Von Laubgeflechten überdacht.
Auch ich so trüb! Der Liebe Gnade
Darf strahlen nicht zu meinem Grund.
Die Sorg umdüstert meine Pfade;
Bin gar ein öder Dickichtschlund.
Doch duld ich lächelnd, fromme Sonne,
Daß sich dein Brautkuß mir verschließt –
Wenn draußen nur die güldne Wonne
Um all die Sonnenkindlein fließt.
Laß lieben dich mit jener Liebe,
So nicht Genuß, nur Andacht will.
Und ob ich ewig dunkel bliebe,
Von deinem Leuchten träum ich still.
Wiewohl so unter Theklas Führung mein besser Selbst wiedergefunden und gesichert war, vermochte ich meinen Trost nicht festzuhalten. Zweifel und Gram überfielen mich aufs neue, und ich fragte: Muß denn Tugend so streng und[489] herbe sein? Du göttliche Macht der Liebe, warum lässest du zwei deiner Getreusten solche Entbehrung leiden? Ist das dein Heil, wenn Gatte und Gattin, die endlich einander wiederfanden, nachdem sie in Trennung ihre jungen Jahre vertrauerten, jetzunder vor der Umarmung zurückweichen, als wären sie Mönch und Nonne? und nur verstohlene Zwiesprache wagen, ähnlich dem griechischen Liebespaar Pyramus und Thisbe, so nichts anderes für sein Schmachten hatte als zärtlich Gewisper durch den Spalt der grausamen Wand? Mit Stöhnen sah ich meines wallenden Bartes ergrauend Haar und bedachte, daß verlorene Jugend nicht zurückkehre. Versäumt, armer Johannes, hast du dein Liebesglück. Es lächelt dir zwar wieder – doch spät, und dann nur von ferne!
Solche Gedanken trug ich bei Tage mit mir herum, nachts machten sie das Herz schwer und den Kopf heiß, kein Schlummer brachte Trost. Da übermannte mich die Erschöpfung eines Mittags, als die Herbstsonne noch einmal wärmte, und ein duftiger Heuhaufen auf Preislers Wiese lockte. Und es kam mir ein süßbanger Traum: Sonntag war's und Erntefest, ich aber hatte der köstlichen Zeit nicht wahrgenommen, hatte im Heu die Stunden verschlafen. Traurig zumute war meinem Schätzchen, der Hirtin Thekla, die gekommen war, mit ihrem Johannes zu tanzen, und nirgends ihn fand, bis er endlich vom Abendläuten wach wurde. Da war's nun zu spät, Versäumtes nachzuholen, Mißlungenes wieder gut zu machen. Ein anderer Mann hatte ihr den Arm geboten, die Einsame hatte ihn angenommen, der andere führte sie heim. Noch einmal schaute sie nach dem säumigen Liebsten zurück, unsagbare Trauer im Auge. O Träumer, Versäumer! Den verlorenen Tag kann die Allmacht nicht zurückbringen. Die Welt geht ihren starren Gang. Nun fühle, Närrchen, was es heißt: zu spät! Aufschluchzend erwachte ich, einen Augenblick war's, als wandle unweit Thekla an Heinrichs Arm, dann verschwand das Gesicht. Unter Zähren[490] starrte ich unablässig in meines Traumes seltsame Welt und kam nicht los vom unerbittlichen Zuspät. Schließlich löste sich mein Gram in Versen. Ratloses Irren durch ein Labyrinth ahmten sie nach, durch düstere Gänge, die verschlungen immer wiederkehren, obwohl der Verlaufene sie schon einmal durchgemacht hat. Verzweifeln muß er, statt des Gebetes kommt ihm ein bitter Lachen, hin legt er den wirren Kopf, um endlich zu vergessen ...
Und wie ich mich erhub vom Heu,
Und wie mein Blick ging staunend um,
Da schlug aufs Herze mir die Reu:
O weh, du hast verschlafen
Den ganzen Sonntag schier – wie dumm!
Und wie mein Blick ging staunend um,
Stund dort mein Schatz und sah zurück –
An eines Fremden Arm – wie dumm!
Mein Seelenschatz vom Himmel!
Sein dürstend Auge leer von Glück!
Verdürstend sah mein Schatz zurück:
»Was schliefest, Närrchen, auch so lang!
Verträumt ist unser Minneglück,
Im Sinken schon die Sonne ...
Ade! Mir ist wie dir so bang!«
Was schliefest, Närrchen, auch so lang!
Und was nun weiter? Bleib im Traum!
Beliebt vielleicht ein Schlendergang,
Recht einsam, ohne Hoffen?
Vielleicht zu Totenackers Saum?
Ja, was nun weiter? Bleib im Traum!
Die Welt geht ihren starren Gang,
Und Zährenfluten lindern kaum,
Wo mädchenschwach ein Schätzchen
Mit seinem harten Schicksal rang.
Die Welt geht ihren starren Gang.
Wohin? Mein armer Kopf ist irr.
Mag sein, mir wäre minder bang,
So ich noch könnte beten.
Ich hab's verlernt, vom Heuduft wirr.
[491]
Wohin? Mein armer Kopf ist irr.
Denk wohl, ich bette mich aufs neu
Und schlaf' im duftgen Halmgewirr
Und von verblichnen Blumen
Träum ich zu Tode mich im Heu.
All dies wechselvolle Seelenwetter beichtete offenherzig mein neuer Brief. Zugleich erstattete ich ausführlichen Bericht über mein Geschick, wie es seit meiner Trennung von Thekla verlaufen war. Indem ich schilderte, wie die Begebenheiten meine innere Welt gewandelt hatten, gewann ich Klarheit über mein Wesen, und ein gut Teil Beruhigung. Hatte Thekla diesen Erfolg herbeiführen wollen? Zuzutrauen war das ihrem klugen Zartsinn. Jedenfalls hatte sie es verstanden, auf Beschaulichkeit, forschende Wahrhaftigkeit mich hinzulenken, was mir eine Wohltat war, insofern ich abgezogen wurde von selbstsüchtigen Ansprüchen und Anklagen. Hatte das Eremitenleben der letzten Jahre keinen anderen Dämpfer für meine Launen gehabt, als die einförmig harte Öde, die mich umgab, und meinen Hang zum Meditieren, so ward ich anitzo von der geliebtesten Menschenseele vor Aufgaben gestellt, die meine besseren Kräfte planvoll zur Entfaltung brachten. Gleich der nächste Brief Theklas trug zur Ordnung meines wirren Gemütes bei.
»Armer Johannes« – schrieb sie – »Dein Gram teilt sich mir mit, bittere Tränen vergoß ich, so oft ich Dein Gedicht las vom Schlaf im Heu und dem versäumten Glück. Menschlich ist es ja, einem unfruchtbaren Grame zu unterliegen, und wer solche Menschlichkeit in wahren Worten ausdrückt, ist ein Tröster ihm selber und auch seinen Mitmenschen. In dieser Hinsicht erkenne ich an, daß die Wunde, die das Schicksal vor etwelcher Zeit meinem Herzen geschlagen, von Deinem Gedicht zwar aufs neue zum Bluten gebracht, zugleich aber mit linderndem Heilbalsam versehen worden. Eine Beigabe dieses Balsams jedoch macht mir brennenden Schmerz. Es ist die Art, wie Du Heinrich beurteilst, wie Du[492] die Rolle deutest, die er in meinem Leben spielt. Laß Dir doch nicht vorgaukeln, daß er mich Dir entführt, und daß mein Auge leer von Glücke sei, als ob dieser Mann mich in öder Gefangenschaft halte. Wie gut er ist, und wieviel echtes Glück ich ihm verdanke, wirst Du dereinst noch erkennen, wenn ihr beide so weit sein werdet, harmlos miteinander umzugehen. Einstweilen bedenke, teurer Johannes, was Du selber in Deiner Predigt gesagt hast, daß nämlich zu unterscheiden sei zwischen der wahren und der falschen Minne. Die falsche Minne stelle ich mir als jenen Drachen für, den alte Märlein beschreiben, wie er einen Goldschatz hütet oder auch eine Maid, die er sich geraubt hat. Wehe dem Ritter, der den Hort erlösen möchte; mit sengendem Odem und giftigem Geifer, mit geringeltem Schweif und krallender Klaue, mit hauendem Flügel und schnappendem Rachen greift das Ungeheuer den Vermessenen an, Blut besudelt den Goldschatz, Grauen entstellt die Jungfrau, die Blumen welken, die Lüfte wimmern, es verhüllt die Sonne ihr Angesicht. Will meines Evangelisten geweihtes Herz solch einem Drachen Unterschlupf gewähren? Und soll ich die Maid sein, die der Drache hütet? Wenn dem nicht so ist, so mag der Drache wenigstens willig sein, sich entzaubern zu lassen. Es raunen ja doch die Mären, er sei ein verwunschener König, und seine Maid könne ihn erlösen durch einen Zauberspruch. Den nenne ich Dir; der Heiland ruft ihn allen Erlösungsbedürftigen zu: Wisset ihr nicht, daß ihr Götter seid? Wohlan, du mein Born, der mich erquicken kann, bleibe doch stets Gottes voll und König im Reiche der Himmel! Ja Du bist König, wiewohl Du es zuweilen vergissest. Deine Enttäuschungen fühle ich schmerzlich nach. Doch zu segnen sind sie, da sie dir Läuterung bescherten. Ich bejuble die heilige Macht, die der Abendburgklausner in sich gefunden hat, absagend jenem Götzen, der zu Taumel, Fehde, Mord verlockte. Ich Glückliche, die ich einen Führer habe, der nicht bloß predigt von Gotteskindern, sondern auch selber eins wird. Was[493] wahre Minne ist, hat so herrlich deine Brüderschaft mit Zetteritz dargetan. Jedem war vom anderen bewußt, daß er mich liebt, und früher waret ihr beide darob arge Nebenbuhler. Gleichwohl habet ihr ineinander den Menschensohn gefunden und vom Hasse euch zur Friedfertigkeit und Freundschaft bekehrt. Nicht mehr verübelt hast Du Deinem Bruder Zetteritz, daß er seiner Minne dasselbe Ziel gab, wie Du. Im Gegenteil, inniger hat dies Ziel eure Seelen geeint. Für tot freilich habet ihr mich gehalten. Ei ja doch, muß ich denn wirklich erst sterben, um Nebenbuhler in Freunde zu verwandeln? Kannst Du nicht schon zu meinen Lebzeiten Heinrichs Bruder sein, damit auch ich etwas davon habe? Sei es, Johannes! Voran schreite zum Ziele, das Deine Predigt gewiesen hat. Heinrich wird folgen, sicherlich, wiewohl wir ihm Zeit lassen müssen, sein besser Selbst zu sammeln. Ich werde still ihn locken und lenken.«
Immer mehr nun verklärte sich Thekla vor meinem Auge. Zugleich ward ich williger zu der Aufgabe, in keuscher Andacht ihr fern zu bleiben und allen Trost in der Vermählung unserer Seelen zu finden. Wenn ich nachts einen besonders reinen Funkelstern ob dem düstern Gebirgskamm schweben sah, deuchte er mich Thekla zu sein, während ich mich dem Teiche bei der Schneekoppe verglich, der in seiner öden Felsenhaft von der Sternenbraut träumt, ohne mehr zu besitzen als ihr Spiegelbild.
Es träumt aus düsterm Felsenschacht
Ein totenstiller See
Zur grenzenlosen Sternenpracht:
»O Seligkeit und Weh!
Laßt taumeln mich, ihr Himmelshöhn,
Versinken ganz in Schau!
Mein Funkelstern, so bräutlich schön
Wie eine Perle Tau!
Und bleibst du, Engel, weltenfern,
Streu deinen Silberschein,
Dein Seelengleichnis, keuscher Stern,
In meine Tiefen ein!
[494]
In meine Tiefen lockt ein Grund –
O find ihn, Sternenbraut! –
Wo Erd und Himmel Mund an Mund
Zur ewgen Ruh sich traut.«
Theklas Antwort waren die wenigen Worte: »Dankbar lodert mein Herz, doch es beschämt mich die übergroße Verehrung, die du mir entgegenbringst. O mache mich zu dem, was dein Zutrauen in mir sieht! Versinken möcht ich wohl im geliebten Bergsee!« Diesem Schreiben war, gehüllt in zart Papier, eine Locke beigegeben. Welch Entzücken, süße Gattin, dein braun weich duftend Haar bei mir zu haben, es küssen, auf dem Herzen tragen zu dürfen! Aber ach, dies Stück vom Körper der Geliebten, an dem ihr Hauch, ihr Wesen haftete, berauschte meine Sinne, und des Geblütes Gärung trieb heißes Träumen von Zärtlichkeit herfür. Ich lag mit Thekla unter einem Schleier, der unsere Körper gänzlich verhüllte. Im gleichen Gemache mit uns befanden sich Heinrich und Sibylle. »Wo ist Agnete?« fragte Heinrich, und Sibylle antwortete: »Mag sein, bei Herrn Johannes.« Unter unserm Schleier blieben wir mäusleinstill und fühlten, wie uns die gnädige Heimlichkeit einander antraute.
So heimlich süß war unsre Hochzeitsfeier:
Wir lagen dicht
Beisammen, überwallt von einem Schleier,
Man sah uns nicht.
Wir hörten, wie die Leute nach uns fragten
Im gleichen Raum.
Wir unterm Flore blieben reglos, wagten
Zu atmen kaum.
Nur unsre Hände durften sacht sich drücken,
Wie küssend fand
Sich Hauch zu Hauch, mein Knie war mit Entzücken
An deins gebannt.
Mein glühend Auge, das im Dunkeln schaute,
Versank in deins;
Ich war in dir, du warst in mir, uns traute
Die heilige Eins.
[495]
Wohlan, was Edens Glut zusammenglühte,
Trennt keine Welt.
Hinweg denn, Angst, da uns die Hand der Güte
Geborgen hält.
Wir ruhn verhüllt; zum Baldachin, zum Himmel
Ward unser Flor.
Uns singt von Flügelköpfchen ein Gewimmel
Den Wonnechor.
Als ich Thekla den Traum aufschrieb, fügte ich hinzu: »Hat meine Gattin schon bedacht, daß der kleine Johannes uns wiederkehren kann?« – Eine Woche später kam die Antwort: »Du kennst die Mär von der schlafenden Maid, deren Schloß desgleichen schläft, eingesponnen von Rosendorn. Da dringt durch die abwehrende Hecke der Königssohn und erlöst mit seinem Kusse die Maid; sie erwacht, das Hausgesinde, das ganze Schloß erwacht, Rosen erblühen aus dem Dorn, und Hochzeit wird gefeiert. In Deiner Thekla ist etwas ähnlich dieser Maid. Die arge Spindel der Spinnerin des Schicksals hat mich gestochen, und da ist der lange Schlaf über meine Sinne gekommen. Ach wohl, Johannes, Dein Schätzlein ist nicht mehr die frische kecke Jungfer von einst. Schwach und zahm ward mein Blut, kaum ein leis Seufzen ist in mir des Weibes Trieb nach Mutterschaft. Die Männer, so mich umwarben, seit ich Dich verlor, haben nicht vermocht meine Sinne aus dem Dornrösleinschlaf zu wecken, und selbst im trüben Licht des Felsendomes wirst Du wohl bemerkt haben, was für ein hinfällig Weibel die Agnete Kiesewaldin, die halt nimmer den Dolchstich der Kindesräuberin verwunden hat. – Und nun auf einmal bricht der Königssohn durch meine Dornenhecke. Was tust Du, Süßer! Ich schaue Dein Auge, spüre Deinen Hauch, Deinen Kuß, Deine Umarmung – erweckt aufs neue, aufgestört ist ein glühend Sehnen in mir. Und gar vom kleinen Johannes raunest Du, der könne uns wiederkehren ... O Liebling, wie verführerisch kannst Du locken! Ein Wirbelsturm tobt in meinem Herzen, ich wünsche heiß, doch zage zugleich[496] vor der Erfüllung. Wiederkehren soll der kleine Johannes aus des Ewigen Schoße, wo er doch geborgen ruht? In diese Welt der Unrast, Not und Schuld soll er zurück? Ist das ein weiser Wunsch? – Und dennoch! Vom Geschlecht jener Eva bin ich, deren Name bedeutet: Mutter der Lebendigen. Und mit Entzücken lauscht auch mein Herz, von Deinem Zaubersang erweckt, dem Wonnechor der Flügelköpfchen. Nur daß ich nicht von gnädiger Heimlichkeit unser Glück erhoffe, sondern von Heinrichs Güte.«
Mitnichten linderte solcher Bescheid das Schmachten, so Theklas Haarlocke in mir wachgerufen. Wagemut riß mich hin, Theklas Verordnung zu übertreten. Ich konnte mich nicht gedulden, konnte dies Harren auf die mögliche Gunst einer vielleicht fernen Zukunft nicht aushalten. Machte daher einen Boten ausfindig, der nach Kiesewalds Baude gehn und folgendes Briefel verstohlen in Agnetens Hand geben sollte: »Ich ertrag es nicht – muß die heiß Ersehnte mit leiblichem Auge schauen. Gewähre sie mir baldigst diese Gunst, ich bitte flehentlich. Der Bote mag die Antwort mitnehmen.« Und sieh, mein Wunsch ging in Erfüllung; das Schreiben, das ich noch gleichen Tages erhielt, lautete: »Sei morgen nach Mittag um die zweite Stunde, wo der Zackenberg jählings zum Zackenfluß abstürzt; der Schwarze Wog ist der Felsenkessel geheißen. Dann komm ich in Deine Nähe, auf die Waldwiese jenseits. Aber Kluft und Fluß müssen zwischen uns bleiben. Laß Dich nicht hinreißen, zu mir hinüber zu streben. Sobald Du Miene machtest, dies Gesetz zu brechen, würd ich in den Wald flüchten, Du fändest mich nicht, und Trübsal täte mir Dein stürmisch Wesen an. Sollen unsere Seelen fest in Händen das Zepter behalten, so dürfen die Sinne nicht in Versuchung geraten; sonsten werden sie leichtlich Aufrührer. Einstweilen wenigstens besteht solche Gefahr. Mit der Zeit mag dies strenge Gebot Milderung finden – bis vielleicht dermaleinst ... Doch still, du ungestümes Herz!«[497]
Innerlich jauchzend und beflügelten Fußes begab ich mich andern Mittages zur beschriebenen Stelle. Es war viel zu zeitig, als ich am Felsenabsturze stund, wo tief unten der Zackenfluß brausend über die Blöcke gischtet. Drüben von der steilen Halde zwischen blaugrünem Tann und Birken, so bereits von Herbstgolde loderten, lächelte verheißend die lichte Wiese. Da nichts von Thekla zu sehen war und ich wohl noch eine Stunde zu harren hatte, suchte ich die Qual der Ungeduld durch Tätigkeit zu lindern. Ein Feuer wollte ich machen, das weithin der Ersehnten meine Ankunft melden sollte. Hastig sammelte ich Holz, und wie Erlösung war mir die Prasselflamme. Durch aufgeworfene Rasenstücke und feuchtes Holz steigerte ich den Rauch, so daß bald eine mächtige Säule himmelan wirbelte. Dann entsprang meinem erleichterten Herzen ein frohgemut Singen; ein Lied nach dem andern mischte sich ins Tosen des Bergstromes. Derweilen flog das lächelnde Auge über Kluft und Strom. Drüben links wölbte sich wie ein Eisenhut der bewaldete Breite Berg. Unsichtbar blieb Kiesewalds Baude, weil vor ihr eine Höhe lagerte. Nur Einsamkeit und Wildnis fern wie nah, Abgründe und wogende Berge, finstre Tannen und graue Steine, hin und wieder lichtes Beerengesträuch. Geradeaus das höchste Gebirge, ein ungeheurer Wall, in die Ferne erstreckt, wo rundliche Kuppen blauten. Zur Rechten unweit die Schneegruben, steiles Geröll, Wasseradern, graugrüne Steinvölker, dunkle Knieholzgebüsche. Und all dieser mannigfache Erdenstoff unter der klaren Stahlglocke des Himmels war ein sanftbunt Leuchten, ein wehmütig Lächeln und heimlich Locken. Ein Traum jener Sehnsucht, die nicht weiß, wonach sie greifen soll, weil sie die Seligkeit für ungreifbar und unendlich hält. Aus meines Schauens Versunkenheit erwachte ich aufseufzend und ward wieder inne, worauf ich harrte. Mit Adlergier spähte mein Blick in der Richtung des Breiten Berges, ob nicht ein Stück des Pfades sich zeige, der die Waldung durchschnitt, ob nicht ein Weibes Gewand schimmere.[498]
Plötzlich pochte mein Herz – drüben auf der Waldwiese stund die Ersehnte. Winzig wie ein Blümlein war die ferne Gestalt, doch ich erkannte Thekla an der inbrünstigen Gebärde und an der schlanken Zierlichkeit, so in den Jahren der Jugend mein Entzücken gewesen. Beide Hände preßte sie aufs Herz, breitete dann die Arme mir entgegen. So blieb sie eine Weile wie versteinert, während eine Macht in mir mich trieb, ihre Gebärden nachzuahmen. Sie trug ein stahlblau Gewand und ein gleichfarben Kopftuch, das sie aber abnahm, worauf ich das schöne Braun der Locken wiedersah. Ihr Gesicht blieb bei der beträchtlichen Entfernung undeutlich. Doch glaubte ich hinstarrend ihren Blick zu spüren, ihr glühend Auge, und es sank all mein Selbst durch dies rätseldunkle Auge in die wonnigste Heimat. Dasselbe Entzücken durchschauerte mich, das ich einst im böhmischen Waldschlosse empfunden, wenn beim verabredeten Stundenschlag die Liebe mit magischer Kraft durch die Kerkermauern drang, und ein Schmachten dem andern begegnete. »Eins sind wir«, jubelten jetzunder wie damals unsere Seelen; »du und ich selig verschmolzen!« Und offenbar ward mir das Geheimnis der wahren Minne: Nur da erblüht sie, wo zwei Herzen ineinander ihre selbe göttliche Eingeborenheit finden; und ist solche Minne Gewißheit der ewigen Habe, nicht aber Gier. Wer in der Minne nur Lust begehrt, verschließt sich eigenhändig die Himmelspforte. In solcher Erleuchtung ward ich auf einmal mit Schrecken inne, wie ich beinahe Todesgefahr über meine Liebe heraufbeschworen hätte. Wär ich meiner Gier, Thekla hinwegzuführen, gefolgt und also in den Abgrund der Ichsucht getaumelt, so hätt ich mich innerlich von ihrem Herzen geschieden und jene wahre Ehe zerstört, so im Himmel geschlossen wird. Bewahrt vor dem Sündenfalle hatte mich die sanfte Macht der Unschuld, hatte mich Thekla, die gewißlich mein Schutzgeist war. »Engel!« jauchzete ich über den tosenden Abgrund und hub gefaltete Hände. Mit gleicher Gebärde antwortete sie, als habe sie mich verstanden.[499]
Und manch süßes Wort rief ich hinüber, während sie die Hand ans Ohr hielt und manchmal sich neigte, als danke sie für Gehörtes. Auf einmal wandelte sie zum Waldsaum, und schon besorgte ich, die Frist unseres Minnespiels sei abgelaufen; da bückte sie sich, und ich ward inne, daß sie Holz zu einem Feuer sammelte. Beifall winkte ich und beobachtete, wie sie auf einem Felsen inmitten der Waldwiese das Holz schichtete, alsdann mit einem Feuerzeug das gelbrote Flackern erweckte und den blauweißen Dunst. Eifrig holte sie weitere Nahrung für die Flamme, und es hub sich die Rauchsäule, verfolgt von Theklas Blick wie vom meinigen. Auf ihres Feueraltars Schwelle ließ sich nun meine liebe Vestalin nieder und träumte, das Haupt an den Stein gelehnt, zu mir herüber. Ich sang ihr feierliche Lieder, die sie zu vernehmen schien, derweilen die Rauchsäulen hüben und drüben hoch in die stille Luft stiegen und zusammenschmolzen, bedeutend, daß kein Außen, nicht Kluft noch Strom, zu trennen vermöge zwo Seelen, so im Himmel tiefinnen ihre Vermählung fanden. Wie Theklas Feuer niedergebrannt war, erhub sie sich, legte abermals aufs Herz ihre Hände und winkte mir Abschied. Ich antwortete mit Zuwerfen von Küssen. Langsam, unter wiederholtem Zurückschauen, stieg sie zum Waldrande empor, zuletzt warf auch sie einen Kuß über die Kluft und verschwand zwischen den Tannen. –
Aus Theklas folgenden Briefen hebe ich noch die Stelle heraus: »Vielleicht wann die Zeit unser Haar gebleicht hat, das Angesicht faltig ist, und in unseren Herzen die jugendliche Unrast durch friedliche Weisheit abgelöst worden, so sonnen wir uns im güldenklaren Spätherbst, und geschieht uns wohl wie den beiden alten Hirtenleuten, von denen ich Dir sagen ließ:
Im dunkeln Seelengrunde
Winkt einer Krone Gold,
Und hast du sie gefunden,
Wird Minne dir zum Sold.«
[500]
Unter dem Austausch unserer Briefe ging der Herbst zur Rüste, nach langwierigem Sturme regnete es tagelang, und dann war der Winter da. Erst brachte er klares Frostwetter, am zweiten Advent aber ein Schneetreiben, das Weg und Wildnis überwogte, also daß Sibylle außerstande war, ihres Botenamtes zu walten. Endlich am Sonntage vor Weihnachten stieg Rauch vom Breiten Berge, auf Schneeschuhen flog ich bergab zum Kesselstein und sahe schon an der Fußspur, daß ein Mensch durch den Schnee gewatet war. Die gute, treue Sibylle! Im hohlen Baume fand ich ein Päcklein, das enthielt außer dem erwarteten Briefe ein handgroß Bildnis Theklas, auf Glas gemalt. Unverkennbar war ihr Angesicht, vom braunen Gelock umrahmt – wiewohl die Frische und Keckheit der Jugend einer blassen Zartheit und wehmütigen Güte gewichen war. Das dunkle Auge, größer und tiefer als ehedem, sprach so rührend von Sehnsucht und Liebe, daß ich hingerissen das Konterfei mit Küssen bedeckte.
Der Brief lautete: »Nur noch ein paarmal tagt es, dann kommt der Heilige Abend. Da muß ich meinem Liebling doch ein Christkindel bescheren. Dies Bild hat der alte Werner zu Petersdorf gemalt, so in besseren Zeiten ein begehrter Glasmaler gewesen. Besser hat er mich gemacht, als ich wirklich bin; wenn es uns vergönnt sein wird, einander in der Nähe zu betrachten, wirst Du Deine Thekla gealtert und mager finden. Habe Nachsicht, guter Johannes! Und noch eine andere Gabe nimm freundlich auf. Begib Dich vom Kesselstein nach Schreiberhau zu Jakob Liebig, dem Schmied, und heische den Korb, den Kiesewalds Sibylle für Dich abgegeben. Den Mohnstollen hat mir Sibylle backen helfen. Die Wolle der Kleidungsstücke ist von unseren Schafen, und selber haben wir sie gesponnen. Vor zween Tagen war's, daß wir den Korb zu Tale brachten, im Hörnerschlitten fuhr uns Heinrich nach Petersdorf. War das ein glückselig Stündlein! Als ich neben Sibyllen im Schlitten saß, von Heinrich[501] mit Wolldecken und Stroh gut verwahrt, blühte Zärtlichkeit aus seinem Herzen, daß er mich auf Mund und Hände küßte, gerührt sprechend: »Ich danke jedem Tage, der die liebe Agnete gesund und froh sein lässet.« Alsdann zog der Gute seine Pelzkappe über die Ohren, begab sich vor den Schlitten zwischen die beiden Kufen, so gleich mächtigen Ziegenhörnern sich emporkrümmten, packte sie mit behandschuhter Faust und zog den Schlitten. Immer hurtiger stampften seine hohen Stiefel durch den Schnee, und dann kam das Abwärtsgleiten. Mit eisenbeschlagenen Hacken lenkend, sperrte sich der starke Mann, daß der aufgewühlte Schnee wie Wassergischt umherspritzte, und blieb alleweil des Schlittens Meister. Indessen jauchzete Sibylle; mir aber war, als schaukle ich in der Wiegen und schwebe zugleich als Schwalbe. Frisch und rein die Winterluft, Wärme und Glück rann durch meine Adern. Rechts und links die Tannen von Rauhreif dick versilbert, von der Schneelast gebeugt. Am violenblauen Himmel erglommen die Sterne. Sibylle hielt mich umschlungen, und das fromme Klingen unserer Seelen scholl zweistimmig in die magische Nacht:
Da draußen, da draußen
Vor der himmlischen Tür,
Da steht ein' arme Seele,
Schaut traurig herfür.
Arme Seel mein, arme Seel mein,
Komm mit mir herein,
Und da werden deine Kleider
So weiß und so rein.
Ja so weiß und so rein,
Viel weißer, denn Schnee.
Und so wolln wir mitsammen
Ins Himmelreich gehn.
Ins Himmelreich, ins Himmelreich,
Ins himmlische Paradeis,
Wo Gott Vater, Gott Sohne,
Gott heiliger Geist.
[502]
»Beschere nun die holde Weihnachtszeit meinem Liebling Frieden und Wohlgefallen! Sei glücklich, wie ich es bin. Und wenn Dein Liedergeist Dir gnädig ist, so bitte ihn, daß er eine Weise beschere, wie Deine Thekla sie ersehnt. Sprich darin von dem, was ich liebe, bedenke auch den kleinen Johannes und klein Anneliesel. Zärtlich und fromm mag es klingen, zugleich ein Ständchen und ein Nachtchoral. Im Bette möcht es heimlich meine Seele singen und den Ruheengel gütig stimmen, auf daß er der sehnsuchtsvollen Kiesewaldin Sänftigung und Vergessen, Schlaf und unschuldige Träume zubillige.«
Mit neuem Heile segnete mich diese Botschaft, und inne ward ich, wie mein Herz, aller Trennung spottend, so fühlbar an ihrem schlug, daß ihr Glück das meine ward. Heißer Dank erfüllte mich, und tags vor Weihnachten sandte ich einen zuverlässigen Petersdorfer zu des Breiten Berges Baude. In Sibyllens Hände sollte er einen Korb tun, der meine kleinen Gaben für Heinrich, Sibyllen und Thekla enthielt. Unter vier Augen sollte er der Kiesewaldin ein Päcklein übergeben. Darinnen war das Buch »Abaelardi und Heloisae Briefe«. Unter den Masken dieses Paares, dem ein strenges Schicksal die Herzen zu heiliger Minne lenkte, wollte ich für uns beide eine neue Form geheimer Zwiesprach einführen. Randbemerkungen, von meiner Hand geschrieben, begleiteten den Druck. Der Mönch Abaelardus hatte nicht immer meinen Beifall; eisig hauchte sein Gottesfriede. Doch ich dankte ihm ein Wort, das er in warmer Jugend gesprochen: »Habe nur Liebe, du magst alsdann tun, was du willst.« Heloisa, die liebreiche, war mein Entzücken, und verstohlen hoffte ich, auch aus Thekla werde diese Glut herfürbrechen, die doch der Jungfer Gräfin nicht fremd gewesen. Um sie zu entzünden, hatte ich gewisse Stellen der heloisischen Briefe angestrichen; zum Exempel: »Da ich nun einmal Deiner Gegenwart beraubt bin, so laß doch in Worten der Liebe, die Dir so reichlich zu Gebote stehn, Dein süßes Bild bei mir einkehren ... Da Du bei Gott Deine Zuflucht[503] suchtest, bin ich Dir gefolgt; nein vorausgeeilt ins Kloster bin ich Dir. Und doch, bei Gott, ich wäre auf Dein Wort ohne Zögern Dir in die Hölle vorangeeilt oder gefolgt. Mein Herz war ja nicht mehr mein, ich hatte es an Dich verloren. Und so es itzo auch bei Dir keine Statt mehr findet, alsdann hat es überhaupt keine Heimat mehr; ohne Dich mag es ja nirgendwo sein. Ach laß es denn bei Dir geborgen sein, ich bitte.« Auch ein Schreiben meiner Hand war dem Buche beigefügt, und es hieß darin: »Hier ist das Lied, das meine Sternenbraut sich ausgebeten hat. In Dein Herze bin ich eingegangen und habe von denen gesprochen, die ich darin vorgefunden. Gelingt es meiner Weise, Dich in Schlummer zu singen, laß uns alsdann beide denken, daß ich auf meinen Armen Dich schaukle, Du mein Wiegenkindlein:
Wenn mit Dunkel und mit Schweigen
Mutter Nacht dein Bett umhüllt,
Lausche, wie mein Zaubergeigen
Heimlich deine Kammer füllt.
Lausche, wie dich Wunderglocken
Fromm zu deiner Tiefe locken.
In der Tiefe wohnt die Ruh –
Und die Tiefe, das bist du.
Frieden ihm, so dir zur Seiten
Atmend ruht; er ist dein Schild.
Frieden allen Erdenbreiten,
Jedem Gottes-Ebenbild!
Gib den Hütten dein Erbarmen
Und dem Glück ein froh Umarmen.
Ohne Güte keine Ruh;
Jedes Antlitz, das bist du.
Engel, heitre Lichtgestalten
Steigen aus dem dunkeln Land
Und in deine Hände falten
Kosend sie die Kinderhand.
Sieh doch, deine toten Lieben
Sind dir alle treu geblieben;
Mutterherz heißt ihre Ruh.
Deine Kinder, das bist du.
[504]
Spürst du auch, wie auf dein Grüßen
Harrt ein treuer Paladin?
Aus der Ferne dir zu Füßen
Kann ihn deine Sehnsucht ziehn.
Gib dein Auge seinem Auge!
Eins im andern sauge, sauge
Heimatwonne, Heimatruh ...
Du bist ich, und ich bin du.
Horch, mein Lieb, die Zaubergeigen
Singen Hochzeitsmelodein,
Und der bunte Sternenreigen
Stimmt und funkelt üppig drein.
Welten schwärmen dort bei Welten,
Wiegen sich in blauen Zelten,
Summen uns in sel'ge Ruh ...
Ich bin Stern, und Stern bist du.«
»Mein siegreicher Johannes« – so lautete Theklas Antwort – »juble mit mir! Was wir kaum zu hoffen gewagt, es gelingt! Das Wunder, verheißen dem erhöhten Menschensohne, Du vollbringst es. Machst Blinde sehend, Lahme gehend. Heinrich ist genesen von der Sorge, Agnetens erster Gatte werde wiederkehrend ihn verdrängen. Und Du bist es, Dein Gedicht ist es gewesen, wovon Heinrichs Auge aufgeschlossen ward, daß er nunmehr schaut, wie das Himmelreich keimt und wächst in des Menschen Brust, und daß er an gütige Liebe glaubt. Laß Dir berichten, wie alles gekommen ist. Du weißt schon, Sibylle ist meine Vertraute. Ermissest Du nun, mit welchem Entzücken, welchem Stolze mich Deine Lieder erfüllen, so wird es Dich nicht überraschen, daß sie von Sibyllens Hand in ein Buch eingetragen worden sind, darein sie im Laufe der Jahre ihre liebsten Gedichte gesammelt hat. Am Heiligen Abend nun, da wir drei Kiesewaldischen einander unsere Gaben gereicht hatten und beim Kerzenschein unseres dreiarmigen Festleuchters andächtiglich um den Tisch saßen, tat Sibylle ihr Buch auf und las zu meiner bänglich frohen Überraschung dein Lied von der Menschenseele, die sich zur Gottesmutter weihen soll:
[505]
Zu Bethlehem die Krippe
Ist jeder Herzensschrein –
Wie solches von der schönen tiefen Stimme verkündet war, sann Heinrich bewegt der Botschaft nach.« Hierauf tat er die Frage: »Wer hat dies fromme Lied gemacht?« Ich erschrak, doch Sibylle sprach mit Fassung: »Es ist ein Mann, so in der Enttäuschung harter Schule gelernt hat, den wahren Schatz im eignen Acker zu suchen.« – »Und sein Name?« forschte Heinrich. – Mit Geistesgegenwart stellte meine Schwäherin als Verfasser nun jenen Waldhäuser hin, von dem Du berichtet hast; und fürwahr, wenn irgend ein Mitmensch Anteil haben könnte an dieses Liedes Urheberschaft, so wär's der Mann, der Dich die Umwandlung der Gefühle zu Edelmetall lehrte. Des weitern aber spann Sibylle ihr Märlein also aus: »Als junger Gesell liebte dieser Waldhäuser eine Jungfer, hütete jedoch dies Geheimnis, indem er daran verzagte, daß seine Angebetete einem geringen Menschen, als den er sich betrachtete, ihr Herz widmen werde. Weil er also nicht um sie warb, reichte sie schließlich einem andern Manne ihre Hand. Unser Poet aber blieb unbeweibt und hegte unaufhörlich seine heimliche Liebe. Wie er nun bereits graue Haare bekam, bescherte ihm die Gelegenheit eine vertrauliche Aussprache mit seiner Herzensherrin; da erfuhr er denn, stets habe sie ihn geliebt. Zu spät, ach zu spät! seufzete Waldhäuser. Meine Jugend ist hin, versäumt mein Glück ein andrer hat es heimgeführt.« Dann fragte er die Frau, ob sie denn wenigstens zufrieden mit dem andern sei. »Ich liebe sein Herz,« antwortete sie; »er ist sehr gut zu mir, und ich bin ihm wieder sehr gut; nie mag ich ihn betrüben, nur der Tod scheidet mich von ihm. Doch gleichfalls bis zum Tode klopft mein Herz voll Sehnsucht nach Dir, Du mein Sternenbräutigam! ...« Sibylle ward hier unterbrochen durch Heinrich, der nach gespanntem Zuhören auffuhr: »Was? Zween Männer zugleich konnten in diesem Weibesherzen wohnen, und keiner hat den anderen verdrängt?« – Ruhig[506] und fest kam die Antwort: »Die beiden Männer wurden halt Brüder, und des öftern hat einer dem andern bedeutet: Über der lieben Frau Herz zu gebieten, hat keiner von uns Gewalt und Recht. Dich guter Freund, mag sie nicht missen; drum schleiche dich ja nicht von hinnen, laß uns beisammen bleiben.« »Und niemals,« fragte Heinrich kopfschüttelnd, »ist ein Nebenbuhler dem andern an die Gurgel gefahren?« – »Nicht doch, du Wildfang! Als Verbündete fühlten sie sich und waren wie zusammenstimmende Töne.« – »Aber nur einer war Gatte, der andre Bruder der Frau; ist es nicht also?« warf Heinrich ein. – »Mag sein,« entgegnete Sibylle errötend, war aber gleich wieder freimütig und sprach im Buche blätternd: »Hier ist noch ein Lied von Waldhäuser; an die geliebte Frau ist es gerichtet und darin segnet er ihren Gatten.« – »Segnet ihn?« staunte Heinrich. – Und nun las Sibylle Dein Gedicht, daß Du zur Weihnachtsgabe mir bestimmt.
Frieden ihm, so dir zur Seiten
Atmend ruht; er ist dein Schild.
Bei diesen Worten weitete sich Heinrichs Auge, Rührung zuckte über sein Antlitz. Schließlich seufzte er, wie einer, dem eine Bürde abgenommen ist, sah uns Weibsbilder heiter an und nickte: »Fürwahr, ein gütig Lied! Wer möchte solchem Nebenbuhler gram sein?« – Ich konnte mich kaum enthalten, laut aufzujubeln. Zu ihm tretend, legte ich den Arm um seinen Nacken, indessen er mich umfing. Da ich keine Worte fand, gab sich die kluge Sibylle zu meinem Munde her: »Wohlgesprochen, lieber Bruder! Gebe nun der Himmel, daß du nicht mehr eifersüchtig bist auf Agnetens ersten Mann. Nimm an, daß er wie Waldhäuser ist.« – »Ja, wenn er so wäre,« antwortete Heinrich trunken mich anschauend. – »Zweifle nicht,« eiferte Sibylle, »so ist er. Laß dir doch endlich einmal erzählen, nachdem dein gereizter Sinn all die Jahre hindurch nichts hören gewollt von ihm.« – »Ich wußte nicht,« entschuldigte sich Heinrich, »daß es Männer gibt wie dieser Waldhäuser.« – »Nun du es aber weißt,«[507] fuhr Sibylle fort, »wirst du Vertrauen haben zu Agnetens erstem Gatten; und wenn er sich am Leben fände ...«. Hier schloß ich die Augen vor Bangigkeit, fühlte aber Heinrichs spähenden Blick, dann flüsterte seine Seele in meine hinein: »Ja, wenn er nun wiederkehrte, wie würde Agnete entscheiden, was ihren Heinrich betrifft?« Und flüsternd gab ich zurück: »Bei Gott, ich würde nicht minder Treue wahren, denn jene tat, die Waldhäuser liebte; ich würde sagen: Nie mag ich meinen Heinrich betrüben, nur der Tod scheidet mich von ihm.« – Dankbar preßte er mich an sich, dann raunte er hastig: »Weiter aber! Was würdest du weiter sagen? würdest ihn auch Sternenbräutigam heißen?« – »Wenn deine Güte es erlaubte, ja!« – Heinrich stutzte: »Meine Güte? Zweifelst du daran?« – Voll schlug ich den Blick nun auf: »Nein, Guter!« – Hierauf schwieg er, doch ein neuer Glanz strahlte aus seinem Auge, und sieh, in dieses Auges schwarzem Spiegel, vom blauen Kränzlein umrahmt, flimmerten winzig die drei Flammen unseres feierlichen Leuchters. Sibylle blickte aufmunternd, als wolle sie mir sagen: »Wohlan, nutze die Stunde!« Ich aber war bereits so glückselig, daß ich nicht denken konnte, wie uns noch Besseres solle werden als die wunderbare Bekehrung Heinrichs. Daß er nun den rechten Glauben gefunden, und daß dein Glaube, mein Psalmist, den seinen geweckt hatte, war meine Seligkeit. Nicht lockte mich, was Vorteil uns beiden Liebesleuten erwachsen könne aus Heinrichs Nachgiebigkeit. Und hiermit sei es gestanden: »Schmachtend nach dir, bin ich doch bange vor der Erfüllung dieses Schmachtens. Denn sie wird uns Änderung bringen. Alles hat ja seine Zeit, und sobald die Frucht ansetzen will, muß die Blüte welken. Versteht mein Johannes, was ich meine? Sieht er das graue Gespenst, vor dem ich zage? Ach daß es unserer Liebe erspart bliebe, seine Macht zu fühlen.«
[508]
Wem vertraut ist der Minne Art – wie sie nach langem Dürsten entzückt wird, da auf einmal dem Schmachtenden ganz nah die liebliche Quelle von Stillung flüstert – der mag ohne meine Worte erraten, welch Triumphieren in mir anhub, und wie voller Lachen mein Herz den Lenz begrüßte, so mit sonniger Gunst mich begnaden wollte. Ganz jugendschön, nicht Frau Agnete, sondern meine Magdeburger Braut schwebte Thekla um mich auf allen Pfaden; in des Schneegefildes Lichtfunken, aus den Eiszapfen der Tannen strahlte ihr Blick, ihr Lächeln war im Goldgewölk, ihr zärtlich Geflüster vernahm ich lauschend, von ihrer Umarmung träumte ich, mein Haupt lag ihr im Schoße, indessen sie übergeneigt ihr aufgelöstes Haar niederwallen ließ, so daß mich eine duftige Laube umgab. All meine zärtlichen Gedanken schrieb ich für Thekla auf. Es schloß aber mein Brief folgendermaßen:
»Mich nennest Du siegreich? Dir einzig gebürt die Palme. Du hast unser Schicksal gelenkt. Ohne Dich wär ich erlegen der Versuchung, die schon den schwarzen Drachenfittich um mich schlug. Deine Güte hat mich erlöst, hat mein Minnen geadelt. Und wenn mein Lied für Heinrich heilsam war, Du hast es mit solchem Heil erst erfüllt. Drum vertraue ich Dir mein Dasein an. Der Himmel in Dir hat alle Führung, und folgen will ich, sogar wenn ich des weitern den Weg der Entsagung zu gehen hätte. Daß Deine Hoheit ihn mir anweiset, würde meine Trauer mit Trost und sanfter Schönheit erfüllen. Aber sage mir, mein Engel, ob Deines Briefes Schlußworte den Weg der Entsagung meinen. Und verständlicher sprich mir von dem grauen Gespenst, so Deine Hoffnungen verdüstern will. Es ist wohl nur ein Spuk schwermütiger Laune. Oder was sonst? Warum bangt der Schmachtenden vor ihres Schmachtens Erfüllung?«
Eine Woche, nachdem ich mein Schreiben zum Kesselstein gebracht, fand ich daselbst die Antwort. Sie bestand nur in[509] einem Gedicht, von Sibyllens, nicht von Theklas Hand geschrieben, und ich selber war der Verfasser. Entstanden war es, kurz bevor ich Kiesewalds ersten Besuch erhalten hatte. Nebst anderen Gedichten hatte ich es Thekla mitgeteilt. Wie ein Echo kam es nun zurück, bedeutend: Den Bescheid auf seine Frage mag Johannes sich selber geben, mag er ihn ableiten aus seinen eigenen Worten.
»Zur Fernesucht geboren,
Wird nie der Pilgram froh.
Seine Heimat ging verloren –
Er weiß nicht wo.
Ihn rührt ein stummes Mahnen
Von blauer Höhen-Wand.
Darf er dahinter ahnen
Sein Wunderland?
Im Tale Bauden winken,
Zum Dorfe traut gereiht.
Er aber muß versinken
In Einsamkeit.
Er haust auf Bergesklippen
In dumpfer Schwermut Bann,
Umstarrt von Knieholz-Rippen
Und wüstem Tann.
Verworren träumt im Grunde
Des Mühlenrads Gesumm.
Er lauscht mit zuckendem Munde;
Sein Lied bleibt stumm.
Er schmachtet – wie im Staube
Ein welkes Blumenhaupt.
Doch ward sein frommer Glaube
Ihm nicht geraubt.
O Pilgram, du mußt lernen
In Demut abseits stahn,
Du darfst den blauen Fernen
Nie täppisch nahn.
Wenn ungestüme Minne
Dich riß zum Götterweib,[510]
Umarmten deine Sinne
Nur Menschenleib.
So bleib dem Wunderlande
In keuscher Andacht hold,
Dann spülst du aus dem Sande
Das ewige Gold.
Es sammelt alle Zähren
Die treue Ewigkeit.
Sie sollen sich verklären
Zum Krongeschmeid.
O sieh, ein Fenster glühet
Im letzten Abendglast!
Das Baudenhaus erblühet
Zum Goldpalast.
Die Felsenschatten dehnen
Sich weit ins Talgefild.
So wird gar manches Sehnen
Noch spät gestillt.
Erst wann im großen Dunkel
Versank die wirre Welt,
Erblüht das Trostgefunkel
Am Sternenzelt.
Und birgt sich in der Erden
Ratlos dein Angesicht,
Tief innen soll es werden
Auf einmal Licht.«
Was war das nun? Es beunruhigte mich, daß kein Wörtlein von Thekla geschrieben war. Sollte sie erkrankt sein? Angstvoll bedachte ich, daß mehrfach von ihrer Hinfälligkeit die Rede gewesen. Nicht gänzlich hatte sie sich erholen können von Berthuldens Stich. Wenn sie mir entrissen würde – wie ein betäubender Schlag traf mich dieser Gedanke. Sofort mußte ich Gewißheit schaffen. Begab mich also zu meinem erprobten Boten, der sollte unauffällig in Sibyllens Hand dies knappe Briefel geben: »Ist Agnete krank? Euren Bescheid mag mein Bote sogleich mitnehmen.« Da kam folgende Antwort, von Theklas Hand geschrieben,[511] doch ohne die Festigkeit ihrer früheren Schriftzüge: »Wohl war ich krank. Ich genese. Frohen Dank für die Nachfrage, doch ich flehe: Wollet nimmermehr einen Boten schicken. Es genüge, was ich mitteile. Geduld, bis der Rauch aufsteigt!«
Halbwegs beschwichtigt war meine Sorge, ich beschloß, mich in Geduld zu fassen. Sann nun darüber nach, was Thekla mit meinem Gedicht andeuten wolle. Ach freilich, ihre Edelschönheit bewahrt die Ferne nur, wenn sie fern bleibt. Drum in Demut lerne abseits stahn und taste nie an ihr keusch Geheimnis. Oft hab ich das erfahren, wenn mein Aug übers Wiesental, über die Zackenschlucht und die bewaldeten Hügel zum höchsten Gebirgswall schweifte und im Zauberhaften des Anblicks schwelgte. Ganz heimlich singt und orgelt das Wallen feiner Linien, das Leuchten der Farben und die innigste Bedeutung aller geschauten Dinge. In schwebenden Duft hat sich aufgelöst der trübe schwere Erdenstoff. Fels und Erde, Holz und Laub, sengendes Feuer und beizender Rauch ist zarter Hauch worden, ein Gewebe aus Licht, reiner Geist. Wehmütig lächelt die Ferne, als wolle sie sagen: »Liebe mich, doch umarme mich nie!« Unschuldig schaut das Dörflein im Tale aus. Kommst du aber den Hütten nahe, so findest du Unrat und Siechtum, finstere Geister, wüste Herzen. So scheint in deinem Leben manches verklärt, da du es noch ersehnst; fad und welk aber wird es, wann du es hast. – Wunderliche Ferne! Soll ich dich nun des Truges anschuldigen, weil du nicht hältst, was dein Lächeln verheißt? Oder bist du preiswürdig, weil du Unedles ausscheidest aus der gemeinen Welt und nur den Adel zeigst, so in Dingen und Menschen sich birgt gleich dem Schatz im Abendburgfelsen?
Nach etlichen Tagen kündete eine Rauchsäule, daß ein Schreiben für mich befördert sei. Im Fluge trug mich der Schneeschuh zum Kesselstein, Fußtapfen führten zum hohlen Baum, und ich fand den Brief. Küßte ihn beglückt, da ich Theklas Handschrift erkannte. Zwar nicht mehr so unsicher[512] wie letztes Mal war sie, immerhin zart, schüchtern. »Getrost, mein Liebling!« las ich. »Stille erfüllt mein Herz, Sonnenklarheit. Manchmal ist mir, als gleite ich noch immer im Hörnerschlitten, vom Himmelreiche singend. Auch schaukelt mich jemand auf den Armen. Bist Du das? Oder ist es meine Huldin Hoffnung, die neuerdings so gütig um mich beflissen ist. Sie hat ein leis Lächeln, wie Hauch ist ihr Geflüster. Ich lauschte ihr diese Nacht, derweilen Tauwind am Dache rüttelte. Willkommen, Herold des Lenzes! Nun schmilz mir wacker den Schnee, daß wir balde wieder die liebe Matte zu sehen kriegen. Dann sprießt es zart im Gesträuch, winzige Silberkätzlein sitzen auf Weiden und Weißpappeln. Die Amsel pfeift, und Stare jauchzen. Erst wie ein Anhauch ist das Grün, doch an Sonnenplätzen lugen Schneeglöcklein aus winterlichem Gestrüpp. Eine träumende, jüngst verlobte Braut ist die Erde, und fürwahr, ihr märzlich Träumen ist schöner, als was später wirklich kommt. Mai und Junius schwelgen in Saftgrün und Blüten, in Sonnenwärme und Vogeljubilieren. Doch die Üppigkeit, die satte Lust hat nicht den Adel der Sehnsucht. O selig, wer in seinem Herzen den ersten Lenz verewigt! Erinnere Dich, mein Bräutigam, wem das gelang! Der Königstochter und ihrem Liebsten! Den Schatz der Bräutlichkeit hielt noch mit greisem Haar das Hirtenpaar bewahrt im Seelengrunde. Über sie hatte keine Gewalt das graue Gespenst. – Begreifst Du jetzunder, wen ich meine mit dem Gespenst? Alles Lebendige währt seine Zeit, das reinste Weiß ergraut einmal, es trübt sich jeder Glanz. Kann nicht auch das heiligste Entzücken altern? Diese Sorge ist das Gespenst! Nicht, als ob ich davor scheue, Silberhaar zu bekommen und Falten im Angesicht. Wenn aber unsere Seelen verblühen, wenn ihre Frische welkt, ihr Schwung erlahmt, wenn die staubige Gewöhnlichkeit auf unsere Blumen und Schätze sinkt – schau, mein Bräutigam, müßt es so kommen mit uns, ei so wollt ich doch lieber bald ins Grab flüchten, gelt? In Balsam[513] hüllen möcht ich mein Herz, daß es immer bleibt, wie es ist. Hilf mir doch nachsinnen, wie solches könne geschehn.«
Eine Wehmut ging von dem Briefe aus, daß mir wie einem Bräutigam war, wenn am Altar seine Braut in Weinen ausbricht. Ach ja, die Erfüllung ist ein Abschied von der Sehnsucht. Gleichwohl suchte ich der Braut ihr Zagen auszureden. Mit frohen Farben malte mein Schreiben die Zukunft. Ich schilderte, wie jeder Tag zum Feste werden könne, wenn unser Auge nicht mit flachem Behagen auf der Nähe ruhen bleibe, sondern neue Fernen entdecke, die selbst im Busen der Nähe sich auftun. »Auch fürder wird der Himmel ob uns sich wölben und immerdar an einer Stelle die Erde berühren, wo unsre Fernesucht ihr Wunderland ahnet.«
Es war, als wolle Thekla mein tröstlich Zureden überhören; eine Woche später kam nur diese kurze Antwort: »Mein Bräutigam schwärmte davon, sein Haupt mir im Schoße ruhen zu lassen, von meinem Haar wie von einer Laube umwallt. Ich denke dabei an die Mondkugel im Wolkenschoße. Wundervoll freilich sind Silberschleier und leuchtende Glieder der Wolkenfrau. Doch vom Monde kommt solche Pracht, mit seinem Strahl verklärt er das Gewölk, das ohne ihn trüber Dunst wäre. Weiß mein holder Schwarmgeist, wie die Wolkenfrau geheißen?«
Glühend widersprach ich dieser Demut, die ich Kleinmütigkeit nannte. »Nicht erborgten Glanz hat meine Thekla, sie leuchtet eigen, und nie verbleichen soll mir dieser schönste Stern.« Sorgenvoll bat ich alsdann, sie möge doch endlich deutlichen Bericht über ihr Befinden geben; was ihr gefehlt habe, und ob sie genesen sei. »Und Heinrich? wie läßt er sich an? Das graue Gespenst macht mir halt nur insofern bange, als Heinrichs Seelenschwung ermatten und seine Bekehrung welken könnte.«
Seltsam lautete Theklas Antwort: »In der Chronika derer von Schlick ist der Lebenslauf manches Ahnen beschrieben.[514] Von meines Urgroßvaters Schwester Veronika heißt es, sie sei eine ebenso hochsinnige wie schöne Jungfer gewesen. Überreich an Freiern, trat sie ins dreißigste Jahr, ohne ihr Herz verloren zu haben. Da kam auf ihres Bruders Schloß ein Gast, war anoch ein Jüngling, obwohl bereits mit güldenen Sporen angetan, dazu ein gekrönter Sangesmeister. Als er nun wieder scheiden gemußt, lief Veronika heimlich hinterdrein. Mit ihrem süßesten Lenze hielt Frau Minne die beiden bezaubert. Und wiewohl sie ein ehelich Paar hätten werden dürfen, war eine andere, ungewöhnliche Hochzeit mehr nach ihrem Sinn. Aufs Hochgebirg wallten sie Hand in Hand und mögen auf blumigen Matten bei Felsen und Wolken, erhaben ob dem Getriebe drunten, wie Engel gewesen sein. Nach dreien Tagen aber fand man sie entseelt in einem Abgrunde, wohinein sie in der Umarmung sich gestürzt hatten. Ein hinterlassener Zettel war von des Ritters Hand also beschrieben:
Wen du begnadet in der Zeit,
Hat Eines nur zu sorgen:
Nit welken darfstu, Seligkeit!
Wohlan, im Heim der Ewigkeit
Bleib alterlos geborgen!
Dieser Liebesleute Beispiel zu empfehlen, sei ferne von mir. Herbeizwingen darf man den Tod nicht. Doch ich fühle, wie durch meine Adern rollt der Veronika Blut.
Denn ich möchte nicht wieder ins trübe Tal sinken aus der klaren Höhe, zu der mich des Himmels Güte emporgehoben. In reinster Liebe aufblühen, dann nicht erst das Welken abwarten, sondern gleich eingehn zur stillen Ewigkeit! Unschuldig sterben, wie jenes Knäblein, an dessen Bahre Waldhäuser Heimweh nach der Ewigkeit empfand. Und unser kleiner Johannes – wiewohl Grauen seinen Opfertod umgibt –, im weißen Kleide als ein Lämmlein ist er zum guten Hirten gekommen. So preist ihn ein Lied,[515] das im Herzen seiner Mutter erklungen, bald auch von ihr gelten mag:
Am offenen Fenster
Ein Flämmchen wacht,
Es flirrt und flackert
In wehender Nacht.
Ein Windstoß würgt es;
Da beugt es sich müd,
Als ob ein Blümchen,
Ein blaues, verblüht.
Aus lischt sein Auge;
Ein letzter, Strahl
Hinan zum heiligen
Sternensaal. –
Arm Flackerseelchen,
Du Bettelkind,
Gern wärst du worden
Was Sterne sind.
Mußt nun versprühen
In Nacht und Tod.
Jedoch getrost:
Der Lichtborn loht!
Dein Lichtborn droben,
Die glühenden Sonnen,
Dran heilige Sehnsucht
Dir ist entbronnen.
Und was du liebtest
In armer Zeit,
Dein Reichtum ist es
In Ewigkeit.
Der Sternenliebe
Ergib dich ganz;
So wirst du selber
Zu Sternenglanz.«
Ich weinte. Ein Lied von ihr! ein Lied auf unser Kind! So war nun Klein Johannes ein zitternder Klang im Elternherzen. Wie denn aber? Auch von der Mutter sollte bald dies Lied der Wehmut gelten? So meint sie – oh![516]
Bange Zweifel bestürmten mich. Immer rätselhafter ward Thekla. Weshalb diese Todesgedanken? Warum ging sie mit keiner Silbe auf meine Fragen ein? War mein Schreiben nicht in ihre Hand gelangt? Wollte sie die Antwort vermeiden? War etwas vorgefallen? »Ich beschwöre Dich, Thekla« – so schrieb ich – »sprich gerade heraus: Vermeinest Du, ein Hindernis vereitele unser ehelich Glück, und willst Du mir Enttäuschung ersparen, indem Du vorschnelle Hoffnungen zügelst? Oder hast Du eine wirkliche Scheu vor unserm Zusammenleben, selbst wenn Heinrich es gestattet? Darf ich nie als Gatte bei Dir einkehren? Willst Du bleiben, was Du bist, möchtest nur meine Braut sein? In Zeit und Ewigkeit nichts weiter als das?«
Der Märzmond war kommen, in den Tälern und selbst an den sonnigen Hängen meiner Iserberge hauchte, sproß und zwitscherte der erste Lenz, nicht anders, als Thekla ihn geschildert. Da erhielt ich, nach siebentägigem Harren, ein neues Schreiben. »Du ewig Meiner! Wie soll ich danken für all Deine Güte, Treue und Geduld, für die Wonnen, so mir Deine Liebe gab, und dafür, daß Du mich zu einem neuen, besseren und glückseligen Menschen gemacht. Immerdar nun möcht ich das bleiben in Deinem Herzen. Als mein Vater endete, hat es die gute Marianka den Kindern erspart, des Vaters Blut und Leichnam zu sehen; so ist es gekommen, daß mein Vater nur rüstig und strahlend mir im Gedächtnis lebt. Nicht wahr, auch dem Bilde, so ich Dir hinterlasse, vergönnest Du, daß es nicht entstellet werde! Wenn einmal der gute Tod mein Abendstündlein läutet, möcht ich mich hinwegstehlen aus dieser Enge wie ein Hauch. Die am Sterbebette weinen, sollen lieber über das, was röchelnd hier unterlag, recht bald ein Tüchel decken; ich schäme mich der armseligen Körperlichkeit. Ich bin nicht Staub; in dieser Ruine, die vordem eine saubere Hütte gewesen, hat mein[517] Geist gehauset und geschafft. Die zertrümmerte Klause meidet er, sein Heim ist ein hohes, weites Königszelt. Diese Mahnung gilt meinem guten Heinrich. Hilf ihm verstehen! Wer wie Du und Sibylle gelernt ins Ewige zu schauen, der findet mich darin, und darf nicht traurig bleiben. Für Dich, mein Liebling, möcht ich noch besonders vorgesorgt haben für den Fall meines Todes. Das beste wäre, wenn Du von meinem Krankenlager gar nichts erführest. Schüttelt mich der peinvolle Husten, so dürft ich denken: Gottlob, er ahnt nicht diesen Verfall. Aus meinen Briefen an Dich, die ich gebieterisch der matten Hand abringen würde, ließe ich nur so viel durchblicken, als meinem Ziele dient.
Nit welken darfstu, Seligkeit!
Wohlan im Heim der Ewigkeit
Bleib alterlos geborgen!
Sei nicht bange, Johannes, versteh mich recht: Nur gesetzt den Fall, daß ich dem Tode nahe, würd ich so tun. Sanft ablenken möcht ich Deine Sehnsucht von der Gattenschaft, daß Dir vertraut der Gedanke werde, mich nie in Deine Arme zu schließen, sondern immer nur eine Sternenbraut zu haben. Selbst wenn ich schon in der Erde ruhete, würden an Dich noch immer Briefe abgehen, auf Vorrat von mir geschrieben. Sibyllen hätt ich eingeschärft: Jeden Sonntag bis auf weiteres gönne ihm sein Briefel!
Schließlich allerdings, nachdem meine Betrachtungen Dich vorbereitet hätten, müßtest Du wohl die Wahrheit erfahren; und also sollte dies geschehen: Wenn mein letzter Brief in Deinen Händen wäre, käme Heinrich zur Abendburg und spräche: ›Lieber Bruder, ich soll Dir melden, sie sei nun bei uns alle Tage!‹ – Will dann mein Liebling weinen, so sinke er an Heinrichs treue Brust. Bei jedem weitern Anfall des Leides aber lausche in Dich hinein, bis Du die Worte vernimmst: ›Dies ist derselbe Kummer, den auch sie empfunden hat, und nun sind Braut und Bräutigam wieder eins, wenn auch nicht in Lust.‹[518] Mein Wunsch, falls ich bald sterben sollte, wäre noch, es möchten Heinrich und Sibylle Dir zureden, die öde Abendburg doch zu verlassen und lieber in der Baude am Breiten Berge zu hausen. Nicht weil mein Staub daselbst ruht – Dein Herz ist ja mein wahres Grab; vielmehr weil Du wohnen sollst in meinem Stübel. Da mögen Dich täglich grüßen die Zeichen meiner Zärtlichkeit und meines Wandels Spuren. Auch wirst Du Dir viel zu erzählen haben mit Heinrich und Sibyllen. Behalte sie lieb; auch in ihnen lebt Deine Thekla ...
Verzeihe nun, mein Liebling, dies seltsamliche Gedankenspiel, nur ein Vorsorgen ist es ja für den Fall meines Todes. Nicht bekümmern darf es Dich, es soll Dich rüsten und beruhigen, wie es mir selber Trost gab. Ich bin im Frieden; und seliger ist keine Erdenbraut, denn Deine Thekla, berufen zum Altar der Ewigkeit.
Ein Bettlein ward mir zugedacht,
Wie's keine Mutter sanfter macht.
Ich bette mich in seine Ruh,
Wann ich den letzten Seufzer tu.
Und träume lächelnd: O was hab
Ich für ein wundersüßes Grab!
Von deiner Liebe eingewiegt
Und wie in Gottes Schoß geschmiegt!
Nun drücke noch, als weißen Stein,
Die Hand auf diesen Ruheschrein.
Die Hand aufs Herz dir selber, du!
Drin ich so treu geborgen ruh.«
Diese Zeilen ließen wiederholt mein Herz vor Bangen stocken. Wenn Thekla so gesonnen war, konnte ich ja gar nicht wissen, ob der Fall, den sie erörterte, nicht schon eingetreten. Wär's möglich? Lag sie vielleicht wirklich bereits unter der Erde, und waren ihre letzten Briefe nur gütige Täuschung?[519]
Erst schlug mich der Schrecken nieder, und ich zitterte. Dann faltete ich die Hände, von Andacht durchschauert. Hehr und kühl ward es innen wie in einem Dome, und ein Flüstern ging durch die Stille: »Hie bin ich, Liebling! Schau mir ins Auge, wie du bereits im Böhmerschlosse schauen gelernt. Im Seelenblick sei eins mit mir, mich findest du, sooft dein Sehnen lodert, sei's an der Zackenschlucht, sei's wo du magst. In allem Schicksal web' ich dir, aus tausend Verstecken lach' ich dich an. Ich tröste dich, bin dir Beraterin und Schaffnerin, ich wirke mit bei allem Tun, das unsere Seelen einen kann. Nimm mein Bestes in dich auf, setze fort mein Lieben und mein Trachten! So hast du nichts verloren. Seit wir einander aufs neue hienieden begegnet sind, durft ich ja nie ein andres sein denn deine heimliche und ferne Braut. Wohlan, nichts Minderes bin ich worden; alles bleibt, wie es war, und wir haben noch den Vorteil, daß unser Minnen gerettet ist vor dem grauen Gespenst. Briefe tauschen wir, solange du atmest – nur daß du nicht erst zu schreiben, vielmehr bloß an mich zu denken brauchst, und daß dein Herz an Stelle des Baumes dient. Sei nun zufrieden, weil alles doch in Ordnung. Ich wußt es nicht besser einzurichten. Da mir der Tod so nahe bevorstund, wollt ich dir sein Bild ersparen und lieber das holde Geheimnis der Ferne dir verewigen.« So flüsterte es in mir, eine sanfte, gütige Hand lag in der meinen, und am Altare kniet ich mit der Sternenbraut.
Komm, Sonnenmund, du Hochzeitsbecher,
Zum Abendmahle mir geweiht!
Im Kusse sterbend saugt der Zecher
Das Feuerblut der Ewigkeit.
Laß trinken, trinken deinen Gatten –
Bis ihm die Seele feierstill,
Ein Himmel ohne Wolkenschatten,
Ein Sonntag, so nicht enden will.
Wie ich in der folgenden Frühe vor die Tür meiner Klause trat, siehe, da kamen aus dem Walde Heinrich und[520] Sibylle gegangen. Ich schrak zusammen. Das war ja, wie Thekla es angekündigt. Wie versteinert stund ich. Und nun war Heinrich bei mir, schwer atmend. Weh lag auf seinem Antlitz, feierlich blickte sein blaues Auge, dann kamen die bebenden Worte: »Lieber Bruder – ich soll dir melden – sie – ist nun bei uns alle Tage.« Aufschluchzend lagen wir einander in den Armen, indessen Sibylle still für sich weinte. »Du weißt alles, Bruder?« fragte Heinrich weich. Ich nickte. »Und wirst zu uns kommen?« Ich drückte seine Hand und auch Sibyllens Hand: »Sie will es so; gerne komm ich mit; ich danke euch. Lasset mich nur noch das Liebste aus meiner Habe zusammenraffen.«
Wir saßen beisammen und weinten still. Dann hub der Umzug an. Sibylle führte die Ziege; Heinrich trug meine Waffen, in seiner Hucke waren meine Bücher; hinterdrein wankte irr der Oheim mit der Harfe. So schwanden sie im Walde. Auch für mich lag ein Bündel bereit. Doch ging ich noch nicht, mir blieb noch etwas zu tun. Ich durfte ja die Abendburg nicht lassen, wie sie war. Sonst hätte sie in goldgierigen Menschen aufs neue den Dämon reizen können, der doch schon genung des Unheils hier angerichtet. Trümmer sollten den Höhleneingang verschütten. Da kamen mir nun zustatten die vorhandenen Pulverfässer. Ich brachte sie in Spalten der Grotte und leitete Zündschnur zur Balkenklause.
Ein letzter Abschiedsblick ins alte Heim, dann zerrte ich aus dem Ofen Feuerbrände und zündete an. Von Ferne beobachtete ich, wie die Flammen aus Fenster und Dach loderten. Plötzlich huben sich Stücke des Felsens, als ob ein riesiger Maulwurf den Grund emporwühle, dicke Feuerstrahlen schossen herfür, es krachte, als berste der ganze Berg. Und zusammen in sich sank die Abendburg wie ein zertrümmerter Turm, dann war alles in schwarzen Qualm gehüllt, aus dem die Funken stoben. Bald legte sich der Aufruhr, die Balken verkohlten und verglühten, ich trat herzu und[521] vergewisserte mich, daß der Felsen ob der Höhle zusammengebrochen war und den Eingang zur Tiefe, den ohnehin außer mir, dem Oheim und Kiesewalds kein Lebender mehr wußte, völlig begraben hatte. Ein Seufzen; dann lud ich mein Bündel auf und ließ die Stätte hinter mir. Auf des Zackenberges Rücken schaute ich zurück, überm Hohen Stein schwebte noch Rauch. Der war wie ein letztes finstres Mahnen an die Welt der Gier und Fehde. Mein Hund schnopperte unruhig und glotzte scheu. Dann zog er den Schwanz ein, hub den Kopf und heulte aus tiefer Brust. Er heulte, und ich schluchzete. Endlich faßte ich mich und ging.
Wie ich nun an die Schlucht des tosenden Bergstroms kam, allwo ich vor einem halben Jahr Thekla erwartet und das Feuer entzündet hatte, flog mein Blick hinüber zur Waldwiese, als ließe sich aufs neue die Braut finden. Und sieh doch! ich traute meinem Auge nicht: sie stund, wo sie damals gestanden. Wenigstens schien es eine Menschengestalt zu sein. Ein mal meinte ich, Sibylle sei es. Bei schärferem Spähen kam es mir vor, es müsse ein Baumstumpf sein – oder ein Felsen – vielleicht gar nur ein Schatten. Sei's, wie es wolle! Mir war dies Gebilde meine Thekla, ich erkannte ihr stahlblau Gewand und Kopftuch, sogar das Braun der Locken und ihr liebes Angesicht, still lächelte sie mich an.
Dem Schauen hingegeben, war ich ins Beerenkraut gesunken, sanfter Jubel sang mir im Herzen: »Süße ferne Braut! Mein Schatz der Abendburg!« Dazu vernahm ich in weiter Ferne Glockenläuten, als begebe sich zu Hirschberg, im ganzen Tale drunten, ein groß Feiern. Und ich träumte, die Stadtruinen seien bekränzt, auf den Knien lägen die wenigen Bewohner: »Friede! Das lange Sengen und Morden ist aus! Endlich Friede!« Und leibhaftig erschien der Friede, ein weißgekleidet Kindlein. So mag gelächelt haben jenes Kindlein, das der Abendburgfelsen seiner Mutter zurückgab; und so mag strahlen das Mägdlein vom Krökentor, wann die lichte Ewigkeit ihm seine finstre Mauerklause hat aufgetan.[522]
Und nun sieh! Küsse warf mir von drüben meine Braut zu; war dann um ein Freudenfeuer beflissen – und nun sollte auch das meinige lodern.
Waldfeuer drüben an der Bergeshalde,
Dein Wölkchen Rauch
Schwebt einsam nicht; aus meinem Tannenwalde
Steigt gleicher Hauch.
Ob dort und hier zwei treue Herzen flammen,
Getrennt durch Kluft und Strom –
Den Rauch, die beiden Säulen, schmilzt zusammen
Ein Himmelsdom.
Die Ferne hat ein Minnen uns gegeben,
Das nicht genießt,
Nur segnend grüßt – und sanft zu Gottes Frieden
Hinüberfließt.
Waldfeuer drüben an der Bergeshalde,
Dein Wölkchen Rauch
Schwebt einsam nicht; aus meinem Tannenwalde
Steigt gleicher Hauch.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Abendburg
|
Buchempfehlung
Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.
64 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro