Der goldene Hirsch.

[72] Ein König hatte seine größte Freude an großen stolzen Soldaten und schönen weißen Schilderhäuschen und konnte es ums Leben nicht ausstehn, wenn Namen oder Sprüche oder Reimchen auf die Schilderhäuschen geschrieben waren; das hatte er bei Todesstrafe verboten.

In seiner Leibgarde harte er einen Soldaten, der war der größte Mann im Lande, so daß für ihn ein eigenes Schilderhäuschen gebaut werden mußte. Als der eines Tages auf Wache vor dem Schlosse stand, wurde ihm die Zeit lang und er schrieb auf das Schilderhäuschen: ›Geld macht Alles aus.‹ Der König lag zufällig im Fenster und sah das, kam sogleich herunter in den Schloßhof und an das Schilderhäuschen. Da stellte er den Soldaten scharf zur Rede, las ihm den Text und sprach: ›Diesmal laß ich es dir noch einmal hingehn, aber das Nächstemal nicht mehr.‹ Und damit der Soldat nicht wieder in Versuchung käme, an das Schilderhäuschen zu schreiben, mußte er von jetzt an im Schloß vor der Thür der Prinzessin auf Wache stehn.

Ein Soldat hat auch ein Herz und er stand nicht manchen Tag da, als er sich sterblich in die Prinzessin verliebte. Sie war[73] aber auch so schön, wie man nur ein Mädchen sehen konnte und dazu gar freundlich und gut, nicht hochfahrend oder stolz. ›Ach,‹ dachte da der Soldat, ›wenn ich jetzt Geld hätte, dann wäre Alles gut, dann käme ich mit vielen Wagen und Bedienten und großem Hofstaat und bäte den König um ihre Hand, statt daß ich nun wie ein armer Sünder dastehe und sie kaum anblicken darf, die schöne Prinzessin.‹ Und er zog sein Bleistift aus dem Sack und schrieb sein Sprüchlein mitten auf die Thür: ›Geld macht Alles aus.‹

Am folgenden Morgen, als der König zu seiner Tochter gehen wollte, stand der Spruch da. Sogleich wurde der Soldat vor ihn in sein Zimmer geführt und der König frug ihn, warum er sich unterstanden habe, solches an die Thür der Prinzessin zu schreiben. Der Soldat dachte: ›Sterben muß ich doch, da mag der König auch Alles wissen‹ und er gestand ihm, daß er die Prinzessin liebe und ohne sie nicht leben könne, darum sei ihm der Tod am Ende ein willkommener Gast. ›Wenn du meinst, daß Geld Alles ausmache,‹ sprach der König, ›dann sollst du dessen haben, soviel dein Herz begehrt; hast du aber binnen Jahresfrist die Liebe der Prinzessin nicht gewonnen, dann lasse ich dir den Kopf abschlagen.‹ Da fiel der Soldat dem König zu Füßen und dankte ihm hunderttausendmal. Der König hielt sein Wort, er ließ den Soldaten aber in einen Thurm sperren und stellte zehn Mann Schildwache davor. Nun bekam der Soldat jeden Tag Tonnen voll Gold, aber was ihm fehlte war die Freiheit. Da fiel ihm wohl das Herz in die Schuhe, meinst du, aber ein rechter Mann verliert[74] nicht den Muth, dem sitzt das Herz fester, als daß es so leicht zu Falle käme.

Der Soldat sann vor Allem nach, wie er seine Freiheit wiedergewinnen könnte. Er mochte die Schildwachen nicht bestechen, denn wie leicht hätte das herauskommen können und die armen Kerle wären unglücklich gewesen; das litt sein gutes Herz nicht. Sein Weg mußte viel sicherer und kürzer sein und er fand ihn bald. Er hatte nämlich einen Zwillingsbruder, der ihm ganz ähnlich sah; den ließ er kommen, vertraute ihm die ganze Sache und versprach ihm fest und heilig, wenn sein Plan und Vorhaben nicht gelinge, vor Jahresfrist wieder im Kerker zu sein. Da wechselten sie die Kleider, der Soldat ging frei aus dem Thurme und damit war schon viel gewonnen. Als er aber nach der Königstochter frug, hieß es, sie sei auf Reisen, Niemand wisse wohin und sie komme vor Monatsfrist nicht zurück. Er beschloß ihr nachzureisen; wenn er sie auch nicht finde, so sei es doch anderswo besser und sicherer für ihn, als in der Hauptstadt, und er könne unterdessen auf Mittel denken, ihre Liebe zu gewinnen.

Also zog er aus der Hauptstadt weg und kam in eine andere große Stadt, wo er in einem vornehmen Wirthshaus einkehrte. Da dachte er Tag und Nacht nach, was er machen solle, aber was er auch herausbrachte, nichts schien ihm so recht sicher, und er dachte so viel, daß er von lauter Denken ganz mager wurde, denn er war gar nicht daran gewohnt und verstand viel besser zu kommandiren: Gewehr an! Schultert's Gewehr und wie das Alles heißt.[75]

Der Wirth war ein gar freundlicher und guter, dabei auch ein grundgescheiter Mann und er sah mit Schmerzen, wie sein Gast immer kränker und bleicher wurde. Oft versuchte er es, den Soldaten zum Bekenntniß zu bringen, was ihn drücke, aber der war nicht so leicht zum Sprechen zu bewegen. Endlich aber platzte er dennoch los und vertraute dem Wirth seine ganze Geschichte. ›Wenns nichts weiter ist, sprach der Wirth, dann ist dir leicht zu helfen; schaffe mir nur zwei Tönnlein Gold; ich verlange für mich keinen Deut davon, denn ich bin reich genug, ich muß sie aber haben, um die nöthigsten Auslagen für dich bestreiten zu können.‹ Da war dem Soldaten leicht ums Herz; er schrieb seinem Bruder ins Gefängniß, daß er ihm sogleich die zwei Tönnlein Gold in das Wirthshaus sende und es währte keine acht Tage, da kamen sie schon an.

Nun ließ der Wirth zwei sehr geschickte Goldschmiede kommen, die mußten einen großen, großen Hirsch von Gold machen, der bekam Augen von dunkelm Glas, fein zum Horchen aufgerichtete Ohren und war innen hohl; auf dem Rücken war aber zwischen den dichten goldnen Haaren eine Thüre so fein angebracht, daß man sie unmöglich sehen konnte. Dann mußte auch ein Glockenmeister herbei; der machte aus lauter kleinen und großen silbernen Glöckchen ein Glockenspiel, welches so wunderbar schöne Lieder spielte, daß es das größte Meisterstück war, welches man noch gehört hatte. Das wurde in dem Kopf des goldnen Hirsches angebracht und war ein Schnürchen daran, welches in das Innere lief; zog man einmal daran, so fing das Werk an zu spielen,[76] zog man aber zweimal dran, so hörte es auf. Als der Hirsch fertig war, lief die ganze Stadt herbei ihn zu sehn. Der Wirth steckte den Soldaten aber in den Hirsch hinein und schloß das Thürchen. Wenn nun der Wirth sagte: ›Goldhirsch, spiel dein Stücklein,‹ so zog der Soldat einmal am Schnürchen, sagte der Wirth aber: ›Goldhirsch, es ist genug,‹ dann zog er zweimal daran. So spielte der Hirsch, so oft der Wirth es befahl, und keiner konnte begreifen wie das zuging.

Wer war jetzt glücklicher als der Soldat. Schnell ließ er seinen Vater kommen, gab ihm die nöthigen Weisungen und nachdem er dem guten Wirthe noch von Herzen gedankt hatte, zogen sie ab geraden Weges zur Hauptstadt, wo die Prinzessin unterdessen wieder angekommen war. Dort war der Ruf von dem wunderbaren Goldhirsch schon weit verbreitet und jeder wollte das große Kunstwerk sehen. Des Soldaten Vater aber – denn der Soldat selbst war in dem Hirsch versteckt – sprach, es dürfe keiner den Goldhirsch sehen, bevor der König ihn gesehn habe und er fuhr mit dem prächtigen Thier in den Schloßhof hinein. Dort nahm er die Decken ab, welche es verhüllten und da leuchtete der Hirsch so herrlich in der Sonne, daß man den Glanz kaum aushalten konnte. Der König kam mit seiner Tochter herbei und Beide hatten nicht Worte genug, ihre Verwunderung auszusprechen über das stolze Thier und wie Alles daran so fein gearbeitet war. Als der Vater des Soldaten aber erst rief: ›Goldhirsch, spiel dein Stücklein‹ und die schönen Lieder erklangen, da konnte sich die Königstochter vor Entzücken nicht länger halten[77] und rief: ›Vater, ich will den Hirsch haben, koste er was es wolle.‹ Der König hatte seine Tochter allzulieb, als daß er ihr etwas hätte abschlagen können, darum frug er den Vater des Soldaten, was der Hirsch koste und ließ die Summe gleich bezahlen und noch mehr dazu, denn auch er hatte große Freude an dem prächtigen Goldhirsch. Der wurde jetzt ins Schloß getragen und zwar in das Schlafzimmer der Königstochter. Dort mußte der Hirsch den ganzen Abend spielen bis spät in die Nacht hinein, und die Königstochter wurde gar nicht müde zuzuhören.

Als Alles im Schlosse zur Ruhe war und die Königstochter auch, da öffnete der Soldat das Thürchen, stieg aus dem Hirsch und trat vor das Lager der schönen Königstochter. Der Mond schien hell in das Zimmer herein und da lag sie so schön und holdseelig da; leise beugte er sich über sie und gab ihr einen Kuß. Sie schrak vom Schlafe auf und schaute empor; als sie den schönen fremden Mann an ihrem Lager sah, stieß sie einen lauten Angstschrei aus und hüllte den Kopf in die Decke. Rasch sprang der Soldat in den Hirsch und schloß leise das Thürchen hinter sich zu. Kaum war er wieder in seinem Versteck, als die Kammerfrauen und endlich selbst der König hereinstürzten und frugen, was der Prinzessin fehle? Da erzählte sie zitternd und bebend Alles, man durchsuchte das Zimmer in allen Ecken, durchsuchte die Gänge und das ganze Schloß, aber Niemand war zu finden und das ist leicht begreiflich. Sprach der König zu der Prinzessin, sie habe gewiß geträumt und solle sich nur beruhigen; es[78] könne Niemand in ihr Zimmer hinein. Das that sie auch und schlief bald wieder fest wie vorher.

Als der Soldat dieß merkte, öffnete er wiederum das Thürchen, trat zu ihrem Lager und küßte sie von neuem auf ihre schöne weiße Stirn. Erschrocken fuhr sie auf und da stand der stolze schöne Mann wieder vor ihr und hatte die Hände flehend zu ihr gefalten; sie schrie noch lauter, wie das Erstemal und verbarg sich wieder unter der Decke. Ehe man eine Hand umdreht war der Soldat verschwunden. Das ganze Schloß lief zusammen, der König kam hinzu, man fragte, man suchte, aber da war keine Spur von einem fremden Manne zu finden. Nun wurde der König böse, denn er war nicht gern im Schlafe gestört; er verwies der Prinzessin mit harten Worten ihr grundloses Geschrei und drohte, ihr den Hirsch wegzunehmen, wenn sie noch einmal schreie. Da mußte sie sich wohl zufriedengeben.

Sie beschloß nun, nicht mehr einzuschlafen, denn sie wollte wissen, woher der schöne Mann komme, und stellte sich nur, als ob sie schliefe. Es dauerte nicht lange, so hörte sie ein leises Knarren an dem Goldhirsch und gleich darauf stand der Soldat vor ihr und küßte sie auf die Stirn. Sie schaute ihn groß an, aber da stürzte er zu ihren Füßen und sprach ihr so viel von seiner Liebe und wie er sein Leben um sie gewagt habe, daß die Prinzessin ihm hold wurde und versprach ihn nicht zu verrathen.

Seitdem lebte er herrlich und in Freuden in dem Zimmer der Königstochter; nur wenn manchmal der alte König kam, um den[79] Goldhirsch spielen zu hören, mußte er wieder in sein Versteck hinein. So ging es fort bis zum Ende des Jahres, welches der König ihm festgesetzt hatte, die Liebe der Prinzessin zu erwerben. Da sprach er, jetzt müsse er in sein Gefängniß zurück und nahm von der Königstochter Abschied. Als diese ihn um seinen Namen frug, sagte er: ›Ich heiße Gold-macht-Alles-aus.‹ ›Das ist ein sonderbarer Name,‹ sprach die Königstochter, ›aber wenn du ihn einmal hast, ist es nicht zu ändern.‹

Also ging er in den Thurm und erlöste seinen Bruder. Kaum war er acht Tage dahin zurückgekehrt, als die Königstochter eines schönen Knäbleins genas; dieß hielt sie aber gar heimlich, so daß kein Mensch im Schloß davon wußte außer ihrer Kammerfrau. Es wurde auch heimlich getauft und bekam den Namen Goldhirsch.

Am Tage nachdem das Jahr abgelaufen war, ließ der König den Soldaten kommen und sprach: ›Ich habe dir nun ein ganzes Jahr lang Gold gegeben, so viel du gewollt hast; weißt du, daß du jetzt sterben mußt, weil du die Liebe der Prinzessin nicht gewonnen hast?‹ ›Ach das weiß ich wohl, aber ich möchte sie doch vorher noch einmal sehen,‹ sprach der Soldat. ›Schenket mir die Gnade Herr König und führet mich zu ihr.‹ ›Das will ich dir gewähren‹ sprach der König.

Als sie die Thüre des Zimmers der Prinzessin öffneten, stand sie da und trug ihr wunderschönes Kind auf dem Arm. Frug der Konig erstaunt: ›Wem gehört das Kind?‹ Antwortete sie:[80] ›es ist mein Kind und dem Geld-macht-Alles-aus seins‹ und damit fielen Beide dem König zu Füßen und baten ihn um Verzeihung und das Kind erhob seine Händchen, als bäte es auch um Gnade.

Da stand der König starr und stumm, aber er mußte wohl gute Miene zum bösen Spiel machen, denn er konnte doch sein Wort nicht brechen. So bekam der Soldat die Hand der Königstochter und nach dem Tode ihres Vaters auch das Königreich.

Quelle:
Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen/Leipzig 1851, S. 72-81.
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