Der getreue Paul.

[382] Der König von Spanien ging eines Tages auf die Jagd, aber es war kein Wild zu sehen weit und breit. Da hörte er im Walde etwas jammern und als er hinzu kam, war es ein armes Knäbchen das weinte. Er nahm das Kind in seinen Mantel, trug es mit sich in sein Schloß und ließ es mit seinem eigenen Sohne erziehen. Der hieß Ferdinand, das Knäbchen bekam den Namen Paul. Als die Beiden achtzehn Jahre alt waren und recht stattliche Jünglinge, da wollten sie sich die Welt beschauen und gingen zu Schiffe. Sie waren aber noch nicht weit gekommen, da wurde ihr Schiff von Seeräubern umzingelt und Beide gefangen genommen. Das war wohl sehr hart, aber noch härter, als sie jetzt als Sklaven verkauft wurden und in des Sultans Gärten die niedrigsten Arbeiten verrichten mußten.

Der Sultan hatte eine Tochter, die war sehr schön. Diese ging jeden Tag in dem Garten spazieren, wo die beiden Jünglinge arbeiteten, denn der lag unter ihren Fenstern. Als sie das stolze Wesen der Beiden sah und besonders Ferdinands, da dachte sie, dieselben müßten nicht von geringer Herkunft sein und fragte sie eines Tages, aus welchem Lande sie stammten? Da erzählte Ferdinand ihr Alles und das rührte sie so sehr, daß sie den Jünglingen[383] gut wurde und ihnen manches zukommen ließ. Jetzt mußten sie ihr jeden Tag erzählen und je mehr sie erzählten um so lieber wurden sie ihr und besonders Ferdinand, bis sie endlich erkannte, daß er ihr lieber als Vater und Mutter, ja als alles in der Welt sei. Auch Ferdinand liebte sie von ganzem Herzen und berieth mit Paul, wie er mit ihr fliehen könne. Da gab ihm Paul einen trefflichen Rath, welcher sogleich ausgeführt wurde. Die Prinzessin legte sich zu Bette, sprach sie sei sehr krank. Da kamen alle Aerzte der Hauptstadt, aber keiner konnte finden, was ihr fehlte. Endlich sprach sie: ›Laßt mich auf unser Lustschloß ans Meer, vielleicht wird mir da besser,‹ und ihr Vater ließ sie sogleich dahin bringen. Als sie dort einige Tage war, sprach sie: ›Die Gärten gefallen mir nicht, denn die Gärtner verstehen nichts von den edeln Blumen, welche hier wachsen, ich will andere Gärtner.‹ Da sandte ihr Vater ihr andere, aber die gefielen ihr alle nicht, bis er endlich die beiden Jünglinge hinschickte; da sagte sie: ›Die verstehen es.‹

Jetzt harrten sie sehnsüchtig auf ein Schiff, welches sie in ihr Vaterland brächte, aber es wollte keins kommen und wollte keins kommen. Endlich sah Paul eines Abends in der Nähe ein Schiff vorbeifahren, worauf die Fahne von Spanien wehte. Schnell rief er Ferdinand zu, dieser der Prinzessin, alle drei setzten sich in einen Nachen und ruderten auf das Schiff zu. Als sie nahe bei demselben waren, rief Paul dem Schiffsherrn zu: ›He Landsmann, hier ist der Prinz Ferdinand, rette ihn aus der Gefangenschaft und du sollst großen Lohn haben.‹ Als der Schiffsherr hörte, daß[384] der Prinz in dem Kahne sei, hielt er sogleich an, nahm alle drei in sein Schiff auf und erwies dem Prinzen große Ehren. Dann befahl er schnell alle Segel aufzuziehn und da der Wind günstig blies, so war das Schiff bald so weit, daß es nicht leicht eingeholt werden konnte. Die beiden Jünglinge verabredeten sich aber, daß jeder eine Nacht in dem Mastkorbe sitzen und Wache halten sollte, damit der Sultan sie nicht überrasche.

Als Paul eines Abends im Mastkorbe saß, da kamen gegen Mitternacht zwei weiße Tauben geflogen, die setzten sich auf den Mast und die eine sprach: ›Rucke di guck, wenn die drunten noch zwei Tage fahren, sind sie zu Hause; jetzt schon kann der Sultan sie nicht mehr einholen.‹ ›Rucke die guck, aber zu Lande kann er ihnen schaden‹ sprach die andre Taube. ›Rucke di guck, wie kann er das?‹ ›Rucke di guck, durch einen Gaul, den hat er durch seine Künste in die Hauptstadt gebracht. Wenn der Prinz ihn sieht, will er ihn haben, reitet er aber drauf, so fliegt der Gaul mit ihm in die Türkei zurück.‹ ›Rucke di guck, was ist da zu machen?‹ ›Rucke di guck, Einer muß den Gaul todtstechen, darf aber nicht sagen warum, sonst wird er bis an die Brust zu Sandstein.‹ ›Rucke di guck, ei was du sagst!‹ Als sie so gesprochen hatten, hoben sie ihre Flügel wieder und flogen weiter. Paul hatte aber Alles verstanden, denn er war im Walde geboren und hatte da den Vöglein fleißig zugehorcht, bis er ihre Sprache verstand. Jetzt dankte er Gott von Herzen für diese Gabe.

Am folgenden Abend wollte Ferdinand in den Mastkorb steigen, aber Paul sprach: ›Lasset mich hinein, es ist besser so.‹ Da[385] gab Ferdinand nach und Paul wachte auch diese Nacht. Gegen Mitternacht kamen abermals die zwei weißen Tauben geflogen, die setzten sich auf den Mast und plauderten zusammen. Die eine sprach: ›Rucke di guck, noch einen Tag, dann sind die drunten zu Hause.‹ ›Rucke di guck, der Prinz mag sich zu Hause in Acht nehmen‹ sprach die andre. ›Rucke di guck, wie meinst du das?‹ ›Rucke di guck, der Sultan schickt eine große Kreuzspinne aus, die kriecht an der Decke über den Hochzeitstisch und läßt ihr Gift in Ferdinands Becher fallen, wenn er daraus trinkt, stirbt er auf der Stelle.‹ ›Rucke di guck, was ist da zu machen?‹ ›Rucke di guck, wer's weiß wirft den Becher um, dann verplatzt die Kreuzspinne, sagt er aber warum er's gethan, dann wird er zu einem Salzstein.‹ ›Rucke di guck, ei was du sagst!‹ Da hoben die Täubchen die Flügel wieder und flogen weg.

Am folgenden Tage landete das Schiff und da war eine große Freude in der Hauptstadt. Sobald es bekannt wurde, der Prinz sei wieder da, zog alles Volk hinaus und begrüßte ihn mit großer Freude. Als er nun seinen festlichen Einzug hielt, da mußte die Sultanstochter zu seiner rechten Seite reiten und Paul zu seiner linken denn er sprach: ›Diesen Beiden verdanke ich meine Freiheit und mein Leben und ich will sie hoch ehren bis zu meinem Tode.‹ Die alte Königin seine Mutter fuhr in ihrem Wagen hinterdrein. Als sie über den Markt kamen, hielt da ein Mann mit einem wunderschönen Pferde, welches dem Prinzen so sehr gefiel, daß er es sogleich kaufte und sich drauf schwingen wollte. Doch da sprang Paul hinzu, zog sein Schwert und durchstach den[386] Gaul, daß er sogleich todt hinstürzte. Ferdinand schaute ihn erstaunt an und sprach: ›Was machst du und warum verdirbst du mir meine Freude?‹ ›Das ist der pure Neid, mein Sohn,‹ sprach die alte Königin, welche den Paul nie hatte leiden können, und Paul konnte nichts sagen als: ›Das mußte so sein, fraget mich nicht weiter.‹ Da ging der Zug weiter zum Schlosse und am folgenden Tage war schon die Hochzeit. Als nun alle fröhlich an der Tafel saßen, da aß Paul nichts und trank nichts und schaute nur stets nach der Decke. ›Siehst du wie er sich ärgert, mein Sohn? Das ist der pure Neid,‹ sprach die alte Königin. Da sah Paul wie die Kreuzspinne aus einer Ecke des Zimmers herankroch und sich mit ihrem schwarzen giftigen Leibe gerade über des Prinzen Becher hing, auch wie sie das Gift fallen ließ, einen Tropfen und noch einen und noch einen. Da griff der Prinz zu dem Becher, aber Paul warf den Becher im selben Augenblicke um, so daß der Wein über die Tafel floß. ›Da siehst du es deutlich, mein Sohn, daß er vor Neid nicht weiß was er thut,‹ sprach die alte Königin. ›Ich an deiner Stelle würde ihn sogleich ins Gefängniß werfen.‹

Nach der Tafel rief der Prinz Paul zu sich, ging mit ihm in den Garten und sprach: ›Nun sage mir doch Paul, warum hast du denn das schöne Pferd erstochen und meinen Becher umgeworfen?‹ ›Das darf ich nicht sagen, darum zwingt mich nicht dazu, es wäre mein Unglück und euch brächte es doch kein Glück,‹ sprach Paul, doch der Prinz drang in ihn, er müsse es sagen, damit die alte Königin nicht ferner so schlecht von ihm denke. Da[387] konnte Paul zuletzt nicht mehr widerstehen und sagte ihm, warum er das Pferd erstochen habe und sogleich wurde er bis an die Brust zu Salzstein. ›Bin ich soweit zu Stein geworden, dann will ich es auch ganz werden‹ sprach er und erzählte auch, warum er den Becher umgeworfen habe und zugleich stand er regungslos da.

Da war Ferdinand sehr betrübt und jammerte laut, daß er eine so große Treue so schlecht belohnt habe. Er ließ den Salzstein in das Schloß tragen, ging jeden Tag zu ihm und betrachtete ihn mit betrübten Blicken. Nach Jahresfrist schenkte seine Frau ihm ein Kind. Da träumte ihm in einer Nacht der Stein thue den Mund auf und sage: ›Du kannst mich erlösen, wenn du dein Kind schlachtest und mich mit seinem Blut bestreichst.‹ Das war doch gar zu hart für ein Vaterherz, welches eben erst seines Kindes froh zu werden denkt; darum überredete er sich leicht, der Traum sei eben nur ein Traum, wie alle andern. In der zweiten Nacht träumte ihm aber dasselbe und da fing er an, sehr traurig darüber zu werden. In der dritten Nacht wiederholte sich der Traum noch einmal und der Salzstein sprach noch dazu: ›Wenn du mich heut nicht erlösest, dann bin ich für ewig zum Stein verwünscht.‹ Da dachte der Prinz, er dürfe nun nicht zögern und müsse Treue mit Treue lohnen. Er stand mit Tagesanbruch auf, nahm das Kind aus der Wiege, seinen Hirschfänger von der Wand und ging in die Stube, wo der Salzstein stand. Da küßte er das arme Kind noch einmal und hob das Mordmesser, um es zu schlachten, doch da war der Stein plötzlich lebendig[388] und Paul hielt ihm den Arm, ehe noch dem Kinde ein Leides geschah. Jetzt war die Freude erst groß! Im ganzen Schloß kehrte ein anderes Leben ein, denn alle Leute hatten den getreuen Paul nun doppelt so lieb. Der Prinz aber schenkte ihm eine Grafschaft in der Nähe von der Hauptstadt und es verging kein Tag, wo die Beiden sich nicht gesehen hätten.

Quelle:
Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen/Leipzig 1851, S. 382-389.
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