Im großen Weltenkirchhof
Da steht ein mächtig Haus,
Da breiten Geisterbäume
Die fahlen Blätter aus.
Das ist von allen Domen
Der wunderbarste Dom,
Getaucht in Sonnenflammen,
In Feuerätherstrom.
Es ragen seine Kuppeln
Bis zu dem Sternenzelt,
Es wurzeln seine Pfeiler
Tief in der Unterwelt.
[5]
Er steht im Sturmesdonner
Ein schweigender Coloß,
Die Weltorkane spielen
Um seine Schläfe bloß.
Ein Grabmal ist's, daß Meister
Bezähmte Fluth und Wind,
Ein Pantheon der Geister,
Die dort begraben sind!
Ein Aetna ist's, umrauschet
Von Todesharmonie;
Es ist das Mausoleum
Der deutschen Poesie!
Und hinter seiner Kiefern
Metallenem Verschluß,
Da ruht ein Königsjüngling,
Geküßt vom Todeskuß;
Ein puer dolorosus,
Ein reiner Oedipus,
Ein Schmerzenssohn der Zeiten:
Der deutsche Genius!
[6]
Erschlagen o, erschlagen
Von einer Nestlingsbrut,
Von einem feigen Häuflein
Gestürzt in Todesgluth.
Die haben ihm genommen
Sein goldnes Fürstenband,
Die haben sich getheilet
Sein königlich Gewand;
Und haben Schmach gehäufet
Auf sein gesalbtes Haupt,
Sein blühend Jugendleben
Entblättert und entlaubt;
Und haben ihn verrathen,
Und haben ihn verkauft,
Mit seinem Heldennamen
Ihr schnödes Ich getauft;
Und haben einen Götzen
Statt seiner aufgepflanzt,
Und haben ohne Hosen
Um diesen Klotz getanzt.
[7]
Du aber hast Dein Auge
In Todesnacht gehüllt,
Dein großes Gottesauge
Von Gottesnaß erfüllt;
Und bist hinabgestiegen
In Deiner Gruft Verschluß,
Du unvergleichlich Schöner,
Du deutscher Genius!
Wirst Du nicht wiederkommen
Und Deine Welt befrei'n?
Dein zagend Volk erlösen?
Dein himmlisch Reich erneu'n?
Wird nicht um Hahnenkrähen
Ein Ruf aus Himmels Höh
In Deine Gruft erschallen:
Erwache, Lazare?
Wirst Du nicht herrlich kommen
Alsdann im Wettergraus
Und Deinen Purpur breiten
Ueber die Länder aus?
[8]
Werden nicht Gräber bersten,
Und auferstehn Gebein?
Und hohle Schatten schwirren
Auf luft'gem Rabenstein?
Wird nicht die Freiheit grünen,
Ein ries'ger Blüthenbaum,
Breitend die hehren Zweige
Bis zu des Himmels Raum?
Wird nicht Dein Beinhaus werden
Zum Sonnentempel hehr,
Erfüllt von des Gedankens
Glorreichem Strahlenmeer?
Wird nicht der Götze stürzen? ...
Aber Du redest nicht,
Ruhest nur tief gebettet,
Und schläfst und hörst mich nicht. –
Der Nachtwind aber stürmet
Und weht mich grimmig an:
»Was rufst Du, armes Menschlein,
Den heil'gen Schläfer an?«
[9]
»Was störst Du die Gebeine
Mit Deinem Klagegruß,
Und weißt nicht, daß verweslich
Gesäet werden muß?«
»Und weißt nicht, daß der Heiland
Den Tod erleiden muß« –
So ruhe denn drei Tage
O deutscher Genius!
[10]
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