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[45] Nun wollen wir den schönen Leibeigenen / mit seinen Hausjungfrauen / ein weilichen allein laßen; und der Abgeschiedenen nachschleichen. Wir wollen ihr das geleite geben; oder vielmehr von ferne folgen. Wir wollen uns / mit ihr / nach hofe begeben. Alda wollen wir / mit ihr / in der Königlichen Fürstin zimmer krähten; oder nur hinter der tühre stehen bleiben / zu horchen / was diese Liebseelige der Nitokris erzehlen wird.
Die Königliche Fürstin stund eben bereit / ihrer Frau Mutter auf zu warten / da ihre Kammerjungfrau in das zimmer traht. Aber sie ward bald anders sinnes / als ihr diese Jungfrau heimlich ins ohr flisterte: daß sie den schönen Leibeignen gesehen / ja selbst gesprochen. Von stunden an muste iederman abträhten. Straks gab sie dem Frauenzimmer einen wink. Allen Stahts jungfrauen / welche die Königliche Fürstin hatten begleiten sollen / ward gebohten wieder in ihre zimmer zu gehen. Alle Edelknaben / alle Lakkeien /alle Kammermägdlein / ja fast alles / was sehen und hören konte / warden auf die seite geschaffet.
Als sich nun die Fürstin mit ihrer Kammerjungfrau allein sahe; feierte sie nicht lange zu fragen / was vor ein glük sie zum schönen Leibeignen geführet? und wo / bei wem / und in was vor einer geselschaft sie ihn angetroffen? Flugs flugs! Fuhr sie fort / erzehlet mir alles miteinander / und verschweiget mir nichts /auch nicht das geringste.[46]
Hierauf berichtete Sie die Kammerjungfrau / daß sie ihre Muhmen besuchet. Alda hette sie den schönen Leibeigenen gefunden. Wie ist er dahin kommen? fragte die Fürstin weiter. Die Ismaeler haben ihn alda / bei ihrem wegzuge / in verwahrung gelaßen. So seind dan eure Muhmen / fiel ihr die Fürstin abermahl in die rede / glükseeliger / als die Königin / als ich selbst / und das gantze königliche Frauenzimmer / ja unser gantzer hof? Euch allein wil ich ausschliessen; weil unter uns euch allein die Götter mit dem glükke /ihn mündlich zu sprechen / beseeliget. Aber was sagte er guhtes? Das fürnehmste / antwortete die Jungfrau /das ich Ihrer Hoheit von seinen reden erzehlen kan /ist dieses. Er erklährete die Göttersprache / die Potifar über das Freulein Assenat empfing / viel anders /und mit viel grösserem vorteile vor das Freulein / als Potifar / oder der Ertzbischof. Ich wil es mit einem worte sagen. Die Fürstin Assenat wird die mächtigste Königin in Egipten werden. Was sagt ihr mir vor ein wunder? redete Nitokris weiter. Aber kan der schone Leibeigene / die dunkelen und verborgenen reden der Götter auslegen; so wird er auch gewis wahrsagen /und die geheimnüsse der treume erklähren können? Wie kahm er doch von dem Freulein Assenat zu reden? Wer hat ihm von diesem Ausspruche der Götter gesagt?
Die Kammerjungfrau redete ferner. Ich gedachte /sagte sie / in meiner rede / von ohngefähr des Fürsten Potifars. Da fing er mir diesen nahmen auf / und fragte / wer Potifar sei? Ich gab ihm volkommenen bescheid auf seine frage. Er fragte weiter: ob dieser Fürst keine Leibeserben hette? Diese frage veruhrsachte / daß ich von der Fürstin Assenat / und von der Göttersprache zu reden kahm. Und also gab ich ihm / unter andern / anlaß eine neue Erklährung über dieselbe Göttersprache zu machen. Diese nun fiel so glüklich / wie[48] ich gesagt / vor die Fürstin Assenat aus. Seine eigene worte waren ohngefähr diese / und zwar über die drei letzten zeilen; dan die erste erklährete er eben also / als Potifar. Daß Freulein Assenat / sagte er / wird einem Ausländer in ihrem ein und zwanzigsten jahre vermählet / und im Egipten selbsten / mit ihm zugleich / in den allerhöchsten ehrenstand erhoben werden. Ja das gantze Egipten wird ihm und ihr müssen nach dem munde sehen / ihr gebot zu empfangen. Hierzu fügte er / daß dis letzte /durch das wort mund / in der Göttersprache / ausdrüklich angedeutet werde. Als ich nun fragte: ob dan derselbe Fremdling König / und das Freulein Assenat Königin in Egipten werden solten? Da gab er zur antwort: wird der Ausheimische nicht König / so wird er doch der nächste und gewaltigste nach dem Könige sein. Ja der König wird ihm alle seine königliche gewalt übergeben; und sein tuhn und laßen nach seinem munde / oder weisem rahte richten. Nichts wird er tuhn ohne seinen willen. Ohne dieses Ausländers willen / wird niemand / im gantzen Egipten / seinen fuß regen dürfen. Und also wird der König nur dem nahmen nach / der Fremdling aber in der taht selbsten König sein.
Nitokris konte sich über diese reden nicht genug verwundern. Nun märkte sie / daß was großes aus der Assenat werden würde. Nun sahe sie / daß sie ewig auf der Sonnenburg zu bleiben von den Göttern nicht bestimmet sei. Bisher hatte sie die Tochter Potifars / als die allerschönste / als die allerliebseeligste /als die allergeschikteste / als die allerverständigste /und allertugendvolkomneste Fürstin der gantzen welt geliebet. Nun liebete / ja ehrete sie dieselbe in ihrem hertzen / als eine künftige Gemahlin eines gewaltigen Königes / als eine von den Göttern selbst bestimte Königin über das gantze[49] Egipten / ja über sich selbsten. Und darüm wolte sie nicht / daß iemand in der welt diese wüchtige sache wissen solte. Darum geboht sie auch ihrer Kammerjungfrau / stille zu schweigen. Ja sie geboht ihr selbsten / sich gegen keinen menschen verlauten zu laßen / daß sie den schönen Leibeignen gesprochen. Doch lies sie ihr zu / der Assenat alles zu offenbahren: weil sie wohl wüste / daß sie es selbsten nicht ruchtbar machen würde. Dan Assenat /sagte sie / ist so klug und so schlau / so jung als sie ist / daß sie es niemand / auch nicht einmahl ihrer Hofmeisterin / anvertrauen wird. Sie weis / was und wo sie schweigen / und reden sol. Sie weis / was ihr zu tuhn / und zu laßen stehet. Und darüm mögt ihr es ihr kühnlich schreiben. Es wird sehr viel zu ihrem nachrichte dienen. Guht ist es / daß sie es weis: ja das beste / daß sie es alles weis. Und eben aus diesen uhrsachen wil ich euch über acht tage zu ihr senden. Alsdan könnet ihr alles mündlich erzehlen / was ihr wisset / und was euch dünkt / das ihr zu wissen ersprieslich ist. Ja von diesem allem verhählet ihr nichts. Das wil ich. Das rahte ich. Das gebiete ich.
Eben als die königliche Fürstin diese letzten worte redete / ward sie zur tafel gerufen. Auch kahmen ihre Stahts jungfrauen schon an / sie in den Speisesaal zu begleiten. Die Fürstin erhub sich alsobald von ihrer stelle: und das gantze Frauenzimmer folgte ihr nach. Nur ihre vertraute / die Kammerjungfrau / die ihr diese zeitung gebracht / blieb zurükke. Dan ihre große begierde / der Assenat die gemelte Erklährung des Josefs kund zu tuhn / lies ihr keine ruhe. Ja sie trieb und strängte sie darzu so heftig an / daß sie des essens / ja selbst des schlafens vergaß. Sie nahm dan die feder / und schrieb diesen[50]
Brief an die junge Fürstin
Assenat.
Gnädigstes Freulein /
Auf erlaubnüs der königlichen Fürstin setze ich meine feder auf dieses papier. Ich begehe eine fast unverantwortliche kühnheit. Doch Die sie mir erleubet /wird sie verantworten. Ja ich schreibe an die allerliebseeligste Assenat. Darüm tähte ich schier sünde / wan einigen argwahn von Ihr ich / Ihre ewiggetreue / mein guhtes vertrauen stöhren ließe. Und was noch das allerwüchtigste ist / ich schreibe von einer solchen sache / auf derer kunde die gantze wohlfahrt dieser schönen Fürstin beruhet. Darüm wird Sie mir eher gnade / als strafe anbieten. Aber Ihrer gühte darfich /durch viel vergebliche worte / nicht länger misbrauchen. Auch darf / noch kan ich dasselbe nicht länger verschweigen / wovon mein hertz vol ist. Ich mus beichten / daß meine sünden verschwinden. Und so beichtet Ihr dan / o leutseeligste Fürstin / ihre treueste dienerin offenherzig: daß ein fremder und wunderschöner Leibeigner mir heute / in unserer Stadt / von ohngefähr aufgestoßen. Dieser vermag alles deutlich zu erklähren / was die Götter verborgenes sprechen. Er weis die Treume aus zulegen. Er weis aus dem Gestirne zu sagen / was künftig geschehen sol. Der Götter Antwort auf die frage / welche ihnen Ihr Herr Vater Ihrentwegen vorgetragen / hat er mir viel anders und viel klährer erklähret / als sie sonsten ausgedeutet[51] worden. Ich wil den inhalt mit kurtzen worten eröfnen. Die Fürstin Assenat / sagte er / sol nach dem zwanzigsten jahre ihres alters einem fremden Herren vermählet / und mit ihm / in Egipten selbsten / auf die allerhöchste staffel der ehren erhoben werden. Was er mehr hinzu setzte / darf ich der feder nicht vertrauen. Aber innerhalb acht tagen wird Sie aus meinem munde selbst / die gantze sache umständlich vernehmen. Dan gegen die zeit Ihr auf zu warten / hat meine Fürstin mich schon beuhrlaubet. Indessen sei Sie den Göttern befohlen / und Ihrer beharlichen gnade ich /imfal ichs verdiene /
Meines gnädigsten Freuleins
ewig gehohrsamste
Semesse.
Kaum war dieser Brief versiegelt / als die königliche Fürstin schon wieder von der tafel kahm. Straks im ersten eintritte in ihr zimmer / geboht sie allen Jungfrauen abermahl / sich in ihre eigene wohnungen zu begeben. Niemand durfte bei ihr bleiben / als Semesse. Ja sie wolte diesen gantzen abend niemand anders bei ihr wissen / als sie: auch von niemand anders entkleidet sein / als von ihr. Dieses der königlichen Fürstin gantz ungewöhnliches beginnen verursachte vielerlei gedanken. Niemand konte errahten / was geheimes sie mit der Kammerjungfrau zu tuhn / oder zu reden hette. Eine Jungfrau fragte die andre. Eine forschete hier / die andere dort. Dieser ahnete was guhtes / jener was böses. Ja sie waren alle miteinander gleichsam entsetzt. Die meisten bildeten ihnen ein /daß sich etwan eine vom Frauenzimmer verbrochen. Und eine iede unter diesen lies ihr schwanen / daß ihr das verbrechen vielleicht aufgebürdet würde: daß ihre Fürstin mit der[52] Kammerjungfrau deswegen zu rahte ginge. Also machte sie ihre unnöhtige sorge sehr bange. Also brachte sie ihr unnützer argwahn in die euserste angst.
Indessen daß sich diese furchtsamen mit solcher bekümmernüs schlugen / fing Nitokris mit der Semesse ihr kurtz zuvor zerschlagenes gespräche wieder an. Die Fürstin fragte wohl hundert mahl: ist der schöne Leibeigne auch freundlich? ist er auch höflich? ist er auch fröhlich? ist er auch wohl erzogen? Ja diese und dergleichen fragen hatten kein ende. Die Kammerjungfrau beantwortete sie alle / mit großem ruhme vor ihn. Sonderlich aber rühmete sie seine sehr bedachtsame reden / seine ausbündige vorsichtigkeit im fragen / seine fürtrefliche scharfsinnigkeit im antworten. Endlich fragte die Fürsten: ob sie nicht verstanden / aus was vor einem geschlechte er sei? Nein /antwortete die Jungfrau: aber das weis ich wohl / daß er Josef heist / und von Hebron aus Kanaan bürtig ist. Als die Fürstin Hebron nennen hörete / traht ihr eine sonderliche freude von stunden an ins gesichte. Flugs flugs! sagte sie / ruft ein Kammermägdlein her. So bald das Kammermägdlein ankahm / befahl ihr die Fürstin / in die Königliche küche zu gehen / und einen Ebreischen Jüngling / den des Kochs bruder mit von Hebron gebracht / zu ihr zu hohlen. Von diesem Jünglinge / sagte die Fürstin zur Semesse / werden wir ohne zweifel das herkommen des schönen Leibeignen erfahren: sonderlich weil wir wissen / wie er heisset. Dan jener ist auch von Hebron / und erst heute mit des Kochs bruder hierher kommen. Ach! wie guht ist es / daß ihr den nahmen Hebron nennetet. Dan er war mir schon entfallen: wiewohl er erst itzund über der tafel genennet ward / als man erzehlete / daß des Kochs bruder einen Ebreischen Jüngling mit sich von Hebron gebracht / und ihn morgen mit nach Nubien nehmen würde. Fürwahr![53] fing die Jungfrau an / die Götter haben es also geschikt / daß ich eben itzund diesen nahmen nennen müssen. Dan hette ich ihn morgen genennet; so were es schon ümsonst /und alzulange geharret gewesen.
Mitlerweile daß sie also redeten / gelangte der Ebreische neukömling an. Die Fürstin fragte ihn straks /wo er herkähme? Er gab zur antwort: von Hebron aus Kanaan: da hette er sich bei den Söhnen Jakobs aufgehalten / und ihnen ihr vieh weiden helfen. Weil ihn aber sein Herr / einer lüderlichen ursache wegen /geschlagen / sei er weggelauffen / und habe sich zu des Kochs bruder vermietet / der ihn mit in Nubien nehmen wolte. Was hat es doch unter den Ebreern zu Hebron / fragte die Fürstin ferner / vor fürnehme Leute? Jakob ist der allerfürnehmste / antwortete der Jüngling / und ein sehr mächtiger und gewaltiger Herr. Er ist aus einem uhralten und großem geschlechte entsprossen: und sein Vater Isaak / und Großvater Abraham seind gleichesfals sehr mächtige Leute / und in großem ansehen bei allen nächstümliegenden Völkern gewesen. Hastu nicht zu Hebron /fuhr die Fürstin mit fragen fort / einen sehr schönen Ebreischen Jüngling gekennet / welcher Josef heisset; den die Ismaeler seinem Vater / wie man sagt / sollen gestohlen haben? Es hat sich wohl gestohlen / fing der Ebreer hierauf an: seine Brüder / die erst im sinne hatten ihn zu ermorden / haben ihn den Ismaelern vor zwanzig silberlinge verkauft.
Die Fürstin ward froh / als sie schon so viel berichts vom Josef eingezogen. Darüm forschete sie immer weiter und weiter nach. Wie heisset dan sein Vater? hielt sie mit fragen an. Sein Vater / gab der Jüngling zum bescheide / ist eben derselbige Jakob /dessen ich itzund meldung getahn. Hierauf befahl sie dem Ebreer zu erzehlen / wan / wie / und warüm Josef sei verkauft worden. Der Jüngling gab zur antwort: wan es der[54] Königlichen Fürstin beliebt / so wil ich diese geschicht von ihrem allerersten begin an /den man sonderlich in Jakobs ehstande erblikket /aufs kürtzeste erzehlen. Dan darinnen werden uns die ursachen / warüm Josef verkauft worden / alle miteinander und in einer reihe nacheinander aufstoßen. Weil nun die Fürstin großes verlangen trug solches zu hören; so befahl sie dem Jünglinge in seinem vorsatze nur fort zu fahren. Hierauf sing der Ebreer folgender gestalt an.
Jakob / Isaaks aus der schönen Rebekke sohn /ist von Gott mit zwölf Söhnen und einer Tochter geseegnet. Er hatte vier weiber / Lea / und Rahel /beide des Labans / der seiner Mutter bruder war / ehleibliche töchter; darnach Bilha / der Rahel Magd /und dan Silpa / der Lea Magd: welche beide in Labans hause gebohren. Mit der Lea zeugete er erstlich den Ruben / Simeon / Levi / und Judah. Darnach zeugete er mit Bilha den Dan / und Naftali: und mit Silpa den Gad / und Asar. Diese viere waren Söhne von den Mägden. Hierauf gebahr ihm Lea wieder den Isaschar / und Sebulon / als auch eine einige Tochter / die wunderschöne Dina: in welche sich Sichem /der Herr von Salem / Hemors sohn / so heftig verliebte / daß er von ihr nicht laßen konte. Aber diese liebe gewan einen bluhtigen ausschlag. Endlich gebahr ihm auch die unvergleichlich schöne Rahel /welcher Leib Gott so lange verschlossen hatte / den Josef: und zu allerletzt den Benjamin; in dessen gebuhrt die fromme Mutter das leben einbüßete.
Dieser des Jakobs vorletzter Sohn Josef ist gewislich ein rechter ausbund und spiegel aller leibesschönheit. Und diese so fürtrefliche schönheit ist von seiner Mutter Rahel / von seiner Großmutter Rebekke / und von seiner Obergroßmutter Sara / welche alle drei unvergleichlich schöne Frauen waren / gleichsam[55] auf ihn geerbet / und als in ein meer der schönheit zusammengeflossen. Ja es scheinet / daß sich seine gebuhrt nur darum so viel jahre verzogen / damit die Natur zeit genug haben könte ein solches Meisterstükke der schönheit zur allerhöchsten volkommenheit zu / wie sie dan in der wahrheit getahn / aus zu arbeiten.
Aber diese euserliche leibesschönheit / ob sie schon keine feder beschreiben / seine zunge aussprechen / und kein kunstmahler abbilden kan / ist gleichwohl gegen die andern gaben / darinnen die innerliche Seelenschönheit bestehet / und damit ihn der Allerhöchste so gar reichlich geseegnet / nichts zu rechnen. Dan ihm ist von seiner Mutter / neben der übertreflichen Leibesschönheit / auch eine über die maße herliche Seelenschönheit angebohren. Ja diese Seelenschönheit hat er noch volkommener / und ich darf wohl sagen / auf das allervolkomneste von seinem Vater / Groß- und Ober-großvater / die damit vor andern menschen begabet / ererbet. Und also seind alle Seelenschönheiten nicht allein seines Vaters und seiner Mutter / sondern auch seiner väterlichen und mütterlichen Voreltern allesamt / als aus sechs springbrunnen / in ihn / als in eine tieffe see der Tugenden /und in ein unerschöpfliches meer des verstandes gleichsam zusammen geronnen.
Aus diesen ursachen wird nun niemand leugnen können / daß er würdig sei ein König aller könige /und ein Herscher über das gantze Menschliche geschlecht zu sein. Sein Verstand war in seiner ersten jugendblühte schon so reif / daß sich iederman darüber verwunderte. Seine fähigkeit / seine scharfsinnigkeit / und sein gedächtnüs war schon dazumahl so fürtreflich; daß er alles / was er sahe / und hörete überaus geschwinde begreiffen / überaus färtig durchgründen / und überaus feste behalten konte. Und eben daher kahm es / daß er in seinem so jungen und so zahrtem alter schon fähig war dasselbe[56] ohne mühe zu fassen / was seine Voreltern in ihrem mänlichen alter anders nicht / als schwerlich / begriffen.
In diesem noch weichlichem alter war es / da er den geheimnüssen der großen Zeugemutter aller dinge schon so nachforschete / ihre tiefsten abgründe schon so ergründete / und ihre verborgnesten geheimnüsse schon so entdekte / daß er in kurzer zeit in diesen dingen zu einer hohen wissenschaft gelangete. Und also verstund er / neben dem Akkerbau / und der Viehzucht / die eigenschaften der Menschen und Tiere. Die würkungen und kräfte der Kreuter und anderer Erdgewächse waren ihm nicht unbekant. Daher wuste er den manchfältigen gebrechen der Menschen und des Viehes mit eben so manchfältigen heilsamen Artzneien vor zu kommen / ja sie selbsten zu vertreiben. Und hierinnen übertraf er alle seine Brüder weit; unangesehen daß er der jüngste auf einen war / und sie selbsten schon so viel jahre vor seiner gebuhrt allen diesen wissenschaften täglich nachgeforschet. Daher kahm auch der uhrsprung ihres neides und hasses. Dieses war die erste ursache / daß sie ihm gram warden.
Ja er lies sich nicht vergnügen auf der erde zu bleiben. Sein verstand stieg auch endlich gar bis an den himmel. Alda erforschete er / aus dem lauffe der Sterne / den geheimen Rahtschlus Gottes. Er ergründete ihre verborgene schrift. Daher wuste er die künftige witterung lange zuvor. Er wuste was nach diesem auf erden geschehen solte. Ja aus diesem Sternbuche erblikte er den gantzen lauf der himlischen und irdischen kräfte. Hieraus wuste er / was dieser und jener Mensch vor Krankheiten unterworfen. Hieraus lase er / wan / und wie hart ihm diese oder jene Krankheit zustoßen würde: und darnach wuste er seine artzneien zu richten. Ich wil mehr sagen. Er kahm endlich hierinnen so weit / daß ihm auch selbst die stunde / ja der zeitblik des todes der Menschen unverborgen war.[57]
Zu solchem so fürtreflichem Verstande komt auch eine sonderliche fürtrefligkeit der Tugenden / und leibesgeschikligkeiten. Zur Gottesfurcht scheinet er gebohren: zur Frömmigkeit erkohren. Zur Demuht ist er gezeuget: zur Sanftmuht geneuget: zur Geduld erzielet. Die Langmühtigkeit / die Beständigkeit / die Verschwiegenheit / die Aufrichtigkeit / die Freundligkeit /die Holdund liebseeligkeit seind ihm als eigen. Diese würket seine seele in ihm mit solcher kraft / daß sie auch selbst die bewegungen der augen / und alle seine euserliche leibesgebehrden verrahten. Ja die gantze leibesgestalt / ob sie schon ohne bewegung dastünde /würde sie gleichwohl entdekken.
Eine solche lange reihe dieser und aller dergleichen Tugenden wohnet in einem so schönen leibe: der darüm so gar schon / und so gar hübsch gebildet ist /weil er so viel und so schöne gäste beherberget / und alle die häslichen ausschliesset. Dan Josef weis von keinem einigen Laster. Selbst der nahme bleibt ihm unbekant. Seine angebohrenheit treibet ihn zu nichts /als zu eitel Tugend. In ihm und an ihm lebet und schwebet auch nichts / als lauter Tugend. Und daher komt es / daß er sich iederzeit bemühet seinem Vater /durch die allerersinlichsten ehrenbezeugungen und liebesdienste / gefällig zu werden. Dieses augenmärk hat er auch glüklich erreichet. Er ist es worden / was er zu werden suchte. Er hat mehr erlanget / als er zu erlangen verlangte. Sein Vater liebte ihn ie länger / ie mehr. Die Väterliche und Kindliche liebe stritten gleichsam miteinander. Lange währete dieser streit. Endlich behielt jene die oberhand. Sie ward so über aller maße hertzbrünstig / daß sich ihre stammen nicht länger bärgen konten. Sie brach mit gantzer gewalt heraus. Sie scheuete sich weder vor Josefs Stiefmutter / der neidsüchtigen Lea / noch vor seinen zehn misgünstigen Stiefbrüdern. Josef muste[58] einen buntgestikten seidenen Rok tragen: welches eine tracht war der Königskinder. Josef muste stähts üm ihn sein. Jakob konte sich kaum entschliessen / seinen Josef nur einen halben tag aus den augen zu laßen: zumahl weil er in Josefs angesichte seiner seeligen Rahel /die er so hertzinniglich geliebet / so ähnliches und schönes / ja hundertmahl schöneres ebenbild erblikte. Und darüm hüpfete ihm das hertz im leibe / wan er seinen Sohn sahe. Ja er weinete vor freuden.
Aber wie dem Vater vor freuden die augen überlieffen: so lief der Lea die galle vor unmuht und grimmigkeit über; indem sie sahe / daß ihre Söhne dem Jakob so angenehm nicht waren / als Josef. Und also hassete und neidete sie den Josef / seiner Tugend wegen: weil er darüm seinem Vater so lieb war. Auch gewan dieser stiefmütterliche neid in den meist vergalten hertzen nicht allein ihrer sechs eigenen Söhne /denen er von ihr schon angebohren war / sondern auch in den vier andern stiefbrüdern des Josefs so tieffe wurtzeln / daß er von zeit zu zeit mehr und mehr anwuchs. Diese Bösewichter liessen ihren has zwar zeitlich und deutlich genug blikken. Aber Josef schlug gleichwohl keine acht darauf. Er gedachte / es sei einieder so aufrichtig und redlich / als er.
Wie heftig nun den Josef seine Stiefmutter / und Stiefbrüder / seiner tugend wegen / anfeindeten; eben so heftig / ja hertzlich liebete ihn sein frommer Vater. Ja Gott selbst lies ihm seine liebe blikken. Der Höchste selbst liebte ihn zum höchsten. Er offenbahrte ihm im schlafe / durch ein gesichte / was ihm künftig begegnen solte. Er zeigte ihm an / im traume / was vor ein glük ihm zustehen würde. Und hierdurch versicherte Er ihn der künftigen belohnung seiner Tugend. Hierdurch reitzete Er ihn an im tugendwege fort zu wandeln. Diese treume veranlaßeten den Josef / auch endlich der Traumdeuterei[59] ob zu legen. Und hierinnen bekahm er / durch scharfes nachsinnen / und beihülfe seines Vaters / eine ausbündige fähigkeit. Weil er nun in seinem hertzen gantz nichts arges von seinen Brüdern gedachte / so scheuete er sich auch nicht seine treume / in gegenwart / ihrer aller / zu erzehlen.
Der erste Traum war ihm / als er / zur zeit der ernte / bei seinen Stiefbrüdern / der Bilha und Silpa kindern / geschlafen / in der ersten morgenwache begegnet. Denselben erzehlete er also. Mir treumete / sagte er zu seinen Brüdern / daß wir Garben auf dem felde gebunden: und daß meine Garbe sich aufgerichtet /und gestanden; eure aber rund ümher sich vor der meinigen geneuget. Als nun Jakob diese worte hörete; da erseuftzete er / und schwieg stille. Endlich aber / damit er seinem Sohne aus dem traume hülfe /erklährete er ihn also. Du bist / sagte er / der beste unter deinen Brüdern; darüm hat sich deinen Garbe aufgerichtet. Und daß sie stehen geblieben / deine Garben aber deiner Brüder sich vor ihr geneuget: daß bedeutet deine beständigkeit / und ihre unbeständigkeit in der tugend; ja daß deine Brüder deswegen mit hunger und kummer gestraft / endlich aber dich / in deinem glük und wohlstande / üm rettung und hülfe anflöhen werden.
Waren dem Josef seine Brüder zuvor feind gewesen / so warden sie ihm itzund noch feinder. Fast die meisten ergrimmeten und erboßten sich dermaßen /daß sie ihm kein freundliches wort zusprechen konten. Was? sagten sie / solteste unser König werden / und über uns herrschen? Und als sie allein waren / murreten sie / und erbitterten sich untereinander noch mehr: sonderlich Simeon / und die Söhne der Mägde / Dan / Naftali / Gad / und Aser: die ihnen einbildeten /daß sie der Vater am wenigsten achtete / und Junker Josef / wie sie ihn schimpfsweise nenneten / ihnen allen vorgezogen würde.
Ruben / als auch Judah / und Sebulon vermeinten ihnen den gefasten argwahn aus dem sinne zu reden. Aber sie grolleten und gruntzeten immerfort; sonderlich Simeon. Judah / der ein verständiger und bescheidener man ist / auch dem Josef so abhold und abgünstig nicht war / suchte sie auf allerhand weise zu begühtigen. Was? sagte er / solte man auf treume achten. Treume seind treume; und nichts mehr. Solte man so töhricht sein sich über einen traum zu betrüben / oder zu erfreuen? Josef hat den tag zuvor uns im garbenbinden geholfen. Das ist ihm die nacht darauf wieder vorkommen. Seine einbildung hat im schlafe ihr spiel gehabt. Diese ruhet nimmer. Sie pflegt uns allezeit / so wohl wan wir schlafen / als wan wir wachen / ihre bilder vor zu stellen. Und diese bilder nimt sie gemeiniglich von solchen dingen / damit wir am meisten ümgehen. Fast eben dergleichen hielt ihnen auch Ruben / und Sebulon vor. Aber es half alles nichts. Ihr grol wühtete und tobete gleichwohl so sehr / daß sie mit gantz unruhigem hertzen voneinander gingen.
Nicht lange darnach hatte Josef noch einen andern Traum. Es dauchte ihn: daß sich die Sonne und der Mohn / und elf Sterne für ihm neugeten. Da diesen traum sein Vater hörete / erseuftzete er noch mehr /als vorhin. Und weil er sahe / daß seine andern Söhne darüber knurreten; strafete er ihn / zum scheine / in ihrer gegenwart. Was ist das vor ein Traum? sagte er. Sol ich und deine Mutter / und deine Brüder kommen / und dich anbehten? Aber er behielt gleichwohl alle diese worte in seinem hertzen. Er wuste gewis / daß ihre bedeutung geschehen würde. Ja er wündschte /daß er sie bald erfüllet sehen möchte: und erfreuere sich schon in seinem hertzen / seinen liebsten Sohn in solcher herligkeit zu schauen. Wie sehr sich nun Jakob auf seines Sohnes künftige glükserhöhung freuete; eben so[62] sehr betrübeten sich darüber seine anderen Kinder. Ja fast die meisten zitterten vor boßheit. Sie böbeten vor gramschaft; und vermochten weder zu essen / noch zu schlafen vor grimmigem zorne.
Josef konte sich noch nicht bereden / daß sie ihn hasseten / ja so überaus anfeindeten. Er vermochte ihnen nichts böses zu zu trauen. Das lief wider seine guhtahrtigkeit. Das stritte wider sein aufrichtiges hertz. Er maß sie ab nach seinem maße. Wie er geahrtet war / gedachte er weren sie auch. Aber es befand sich im auskehrichte viel anders. Der endliche ausschlag lehrete ihn mit seinem schaden / daß ihn seine garzuguhte gedanken betrogen. Der Vater selbsten lies ihm zwar wohl schwahnen / weil sie ihren unmuht vor ihm nicht so gar / daß er ihn nicht gemärket / verbergen konten / daß sie dem Josef seine vorstehende hoheit misgönneten. Aber es war ferne von ihm zu gleuben / daß Brüder / die noch darzu seine Söhne weren / denen er viel ein anders zutrauete / von einer boßhaftigen gemühtsregung so weit könten verleitet werden / daß sie ihrem Mitbruder sein glük so gar feindseelig beneideten. Und darüm schlug er alle gedanken / die ihm das gegenteil vorhielten / in den wind. Er war sicher. Er vermuhtete das beste. Er wolte von nichts böses hören.
Auf den nächsten morgen nach dieser begäbnüs /machten sich Josefs zehen Stiefbrüder mit den viehheerden früh auf. Sie nahmen zwar / ihrer gewohnheit nach / sehr freundlich abschied vom Vater; und befahlen dem Josef / seiner wohl zu pflegen. Aber sie waren so bald nicht auf das feld gekommen / fing sich unter ihnen / sonderlich unter der Mägde Söhnen / das alte gemurre und geknurre schon wieder an. Doch knurrete von diesen niemand mehr / als Dan und Gad. Dieser wündschte dem Josef alle böse drüsen an den hals. Jener verfluchte den tag / da er gebohren. Besser[63] were es / sagte er / daß er hette erde kauen müssen / als seine Mutter. So weren wir von unserer lebeigenschaft erlöset. Dan weren wir freie leute. Nun seind wir dienstbar. Nun trotzet uns der Hausjunker /wie er selbsten wil. Nun erzehlet er / uns nur zum verdrusse / seine selbst erdichteten treume. Ich weis gewis / daß er itzund mit dem Alten zu rahte gehet /wie sie es anfangen sollen / daß seine treume nur bald erfüllet werden. Mich deucht / fing ihm Gad das wort auf / sie seind schon alzuviel erfüllet. Hat ihn der Vater nicht schon über die maße verhähtschelt /verzährtelt / und verzogen? Lieget er nicht schon zu hause / als ein Dachs in seinem loche / und wil an keine arbeit? Wir hergegen müssen arbeiten / daß uns die schwahrte knakt. Und komt er schon zu weilen zu uns ins feld / so tuht er es nur darüm / daß er uns verkundschaffe / und bei dem Alten boßhaftig angebe. Was mangelt wohl mehr / daß er nicht ein König oder Fürst ist / als der bloße nahme Trägt er nicht schon königliche kleider? Wird er nicht albereit gehalten /als ein Königlicher Fürst? Hat ihn der Vater nicht schon vorlängst in seinem hertzen angebähtet? Ehret er ihn nicht schon mehr / als iemand in der welt? Endlich werden wir sehen / daß ihn der Vater gar zum einigen Erben seines gantzen Hauses einsetzen wird. Werden wir dan nicht / als huhrenkinder / ausgestoßen werden? Werden wir dan / mit allen unsern kindern / als Leibeigene / dem Josef nicht frohnen müssen? Das wolte ich eben sagen / fiel ihm Asar in die Rede. Dan itzund wird der endschlus gemacht werden.
Ob schon Ruben / und Judah / als auch Sebulon /die noch auf Josefs seite waren / darwider redeten /und einwendeten / man müste vom Vater so gar böse gedanken nicht schöpfen; so blieben sie doch auf ihrem wahne gantz verstokt / und wolten keiner einigen entschuldigung gehör geben. Was wolt ihr viel sagen? fing [64] Simeon endlich auch an: welcher bisher vor großem zorne nicht reden können. Haben wir nicht dergleichen beispiele schon in unserem Geschlechte? Ward Ismael nicht auch ausgestoßen? Ist dem Esau / unsers Vaters bruder / nicht fast eben dasselbe widerfahren? Hat unser Vater sich nicht gescheuet seinen leiblichen und ältesten Bruder / ja zugleich seinen Vater selbsten zu betrügen; so wird er es uns nicht besser machen. Hat er nicht dem Esau den väterlichen seegen entwendet? Hat er ihm nicht das recht der ersten gebuhrt entzogen? Ja hat er nicht auch seinem Schwieger- und unsrem Mütterlichen Groß-vater / mit allerhand listigen ränken / das seinige so vorteilhaftig abgezwakt? Dis hat dieser unser Vater / als ein kind / seinem Vater / als ein Bruder /seinem Bruder / als ein Schwiegersohn / seinem Schwiegervater getahn. Was meinet ihr wohl / daß er mit uns / seinen kindern / nicht auch so spielen werde?
Judah / als auch Ruben / und Sebulon hatten sich bisher auf das euserste bemühet / ihren Vater / ja selbst ihren Obergroßvater zu entschuldigen: indem sie vorwendeten / daß alles auf anstiftung der Weiber geschehen; dessen man sich itzund nicht zu befahren /weil Josefs mutter todt sei. Aber als sie sahen / daß sie ihrer Brüder neidische gemühter / durch solche reden / nur noch mehr wider den unschuldigen Josef erbitterten; so stelleten sie sich endlich / als wan sie eben also gesonnen weren. Wohlan dan! fing Ruben an / weil ich sehe / daß wohl etwas böses wider uns möchte vorgenommen werden; so wollen wir mit unsern heerden was weiter von Hebron wegtreiben. Ich weis / daß bei Sichem / in einem tahle / eine sehr fette weide vorhanden. Da wollen wir uns / mit dem viehe / eine zeit lang aufhalten / zu sehen / was unser Vater mit seinem Josef im schilde führet. Würde er sich dan unterstehen / uns unser[65] erbteil zu entziehen; so hetten wir der sache schon vorgebauet. Die heerde hetten wir in unserer hand. Ich wolte den wohl ansehen / der sie uns nehmen solte. Kein raht wird besser sein / als dieser. Ich treibe fort. Folget mir nach.
Niemand von allen war froher / als die vier Mägdesöhne. Niemand priese diesen fund mehr / als sie. Ruben war nun der beste man. Niemand war schlauer / als er. Niemand war klüger und verschlagener / als er. Ja niemand war weiser / als er: der so einen listigen rank erdacht / einen so heilsamen raht erfunden /ihrem gewähnten unheile vor zu kommen. So unmuhts als sie zuvor gewesen / so wohl waren sie nun zu muhte. Nun wollen wir diesen abend / sagte Gad /rechtschaffen lustig sein. Der stein / der uns drükke /ist vom hertzen verschwunden. Der kummer / der es klämmete / hat es verlaßen. Josef mag nun treumen /was er wil. Der Vater mag ihm geben / und uns nehmen / was er wil. Beide mögen immerhin tuhn / was sie wollen. Wir haben unser erbteil in der hand. Da wird es Josef nicht heraus treumen / und treumete er schon tausend Treume von tausend Garben / von tausend Sternen / und tausend Rindsheuptern darzu. Die Rinder seind unser: die Schafe nicht weniger. Sie werden auch wohl unser bleiben.
Indessen ersetzte sich Jakob zu hause mit seinem Josef. Allerhand reden fielen vor: aber keine / die diesen argwähnischen nachteilig war. Ihre gespräche lauteten viel anders. Jakob ermahnte seinen Sohn. Er ermahnte ihn zur Tugend. Dan / sagte er / wan du die tugend lieben / und fest an ihr halten wirst; so werden deine Treume gewislich erfüllet werden. Gewislich wird dich Gott zum großen Herrn machen. Das hoffe ich. Das wündsche ich. Ja das weis ich gewis. Hiermit fiel er ihm üm den Hals / und küssete ihn hertzlich.[66] Aber / fuhr er fort / wan dich der Allerhöchste also erhöhen wird / wilstu dan auch deines Vaters und deiner Brüder gedenken? Wilstu ihnen auch helfen / wan sie deiner hülfe nöhtig haben / und dich darum anlangen werden?
Auf diese reden fing Josef bitterlich an zu weinen. Ach! Vater / hertzallerliebster Vater / gab er zur antwort / wie solte ich eurer vergessen? Wie solte ich meinen Brüdern hülfe versagen / wan sie meiner hülfe benöhtigt? Keines von beiden wird nimmermehr geschehen. Auch werde ich nimmermehr zulaßen / daß euer graues heupt sich vor mir / etwas zu bitten / neugen solte. Nimmermehr wird ein solcher hochmuht mein hertz besitzen. Das sei ferne von mir. Würde ich schon ein Herr über die gantze welt; so wil ich dannoch euer treuester und gehohrsamster Sohn verbleiben / so lange mir vergönnet sein wird / euch in dieser sterbligkeit auf allerlei weise gefällig zu werden.
Mit diesen und dergleichen freundlichen gesprächen brachten sie den gantzen tag zu. Beide waren so wohl zu frieden / und so wohl vergnügt / daß sie die künftige nacht recht süße zu ruhen gedachten. Aber diese gedanken warden ihnen bald vereitelt. Diese ruhe ward ihnen bald gestöhret. Sie waren gewohnet /daß die heerden gegen den abend zu hause kahmen. Itzund kahmen sie nicht. Auch hatte man von ihnen nicht die geringste zeitung. Niemand wuste / wo sie weideten. Jederman ward hierüber betrübt. Jederman vermuhtete ein unglük. Die Weiber der Söhne Jakobs lieffen herüm / und weineten. Etliche bildeten ihnen ein / daß etwan die Araber eingefallen / und das vieh / samt ihren männern / weggeraubet. Andere argwähneten sonst etwas. Jene dachte dis / diese das; ja alle das böseste: keine das beste. Jakob selbsten war überaus bekümmert üm seine Söhne: und Josef üm seine Brüder. Und[67] solche bekümmernüs mehrete das wehklagen der Weiber / das weinen der Kinder. Also ward diese nacht mit trauren und unruhe zugebracht. Aber auf den Morgen berichtete Rubens Ehliebste /daß sie ihren man sagen gehöret / er habe bei Sichem eine fette weide gefunden. Da stünde das graß so geil / daß es jammer sei / solches nicht ab zu hühten. Ohne zweifel weren ihre männer / mit dem viehe /dahin gezogen. Ohne zweifel hetten sie sich alda verspähtiget / daß sie gestern abend nicht zu hause gekommen.
Straks auf diese worte / und auf inständiges anhalten der weiber / befahl Jakob seinem liebsten Sohne /sie zu suchen. Auf! auf! sagte er / mein lieber Sohn. Setze dich auf meinen Persichen Gaul; damit du üm so viel geschwinder hin / und wieder her gelangen könnest / uns die zeitung zu bringen / wie es üm meine Söhne stehet. Seume dich unterweges ja nicht. Reite tapfer fort: und laß uns deine zurükkunft bald wieder erfreuen. Josef hatte zwar itzund nur das siebenzehende jahr erreichet / und war seinem Vater so lieb / daß er mehr vor ihn / als vor alles in der welt /sorgete. Gleichwohl konte sich Jakob entschliessen /ihn zu einer so gefährlichen verrichtung ab zu färtigen. Daraus erblikte man sonnenklahr / daß er auch den andern Söhnen mit einer recht Väterlichen liebe zugetahn war. Und also machte sich Josef auf: und der Vater gab ihm den seegen.
Als der abend zu nahen begunte / bekahm dieser bekümmerte Bruder die Heerden / bei Dotan / ins gesichte: dan bis dahin waren sie von Sichem abgetrieben. Er fand sie in guhtem wohlstande. Auch erblikte er seine Brüder von ferne. Er sahe sie / ausser gefahr /frisch und gesund. Da verschwand alle seine bekümmernüs. Alle seine unruhe verlohr sich. Da erfreuen sich sein hertz. Ja es begunte vor freuden zu hüpfen. Er wündschte[68] seinen Vater zugegen / ihm ein teil seiner freude mit zu teilen. Er wündschte / daß seine augen sehen möchten / was ihm zu sehen aufstiesse. Und diesen wundsch wiederholete er wohl tausend mahl.
Aber wie erfreuet der guhthertzige Josef war / seine Brüder zu sehen; so entrüstet warden sie / als sie ihn von weitem erblikten. Seht! seht! sagte Gad: dort komt unser kundschaffer / unser verrähter / unser unterträhter an. Er wird abermahl etwas bei uns ausspühren wollen / damit er uns bei dem Vater noch mehr in die schmütze bringe. Sie haben vielleicht zu hause keinen plauderzeug mehr ihr geschwätze fort zu setzen. Drüm komt der plauderer / der wäscher / der treumer / seine ausgeleerte waschtasche wieder zu füllen. Sachte! sachte! bruder / sing der hönische Dan an. Du giebest ihm auch alzu verächtliche nahmen. Dadurch beschimpfestu seine hoheit. Dadurch begehestu ein verbrechen der verletzten Majestäht. Siehestu nicht / daß er in seinem königlichen stahtsrokke einhertrabet? Bistu dan blind / daß du des Königlichen rosses unter ihm nicht gewahr wirst. Eile straks Seiner Majestäht entgegen / und mache seinen traum wahr. Wirf dich vor unserem Fürsten / vor unserem Könige nieder. Bähte ihn an. Bitte ihn üm vergäbnüs. Flöhe ihn an üm seine gnade. Eben darüm hat ihn doch der Vater auf sein allerköstlichstes pferd gesetzt. Um nichts anders komt er so prächtig aufgezogen / als daß wir ihm mit dem alleruntertähnigsten fußfalle begegnen sollen. Nichts anders hat er im sinne / als daß er uns durch seine Majestäht wil erschrökken. Nun /denkt er / müssen die Garben sich vor mir bükken. Nun müssen die Sterne / selbst Sonne und Mohn sich vor mir neugen. Ja keine andere gedanken hat er / als daß wir ihm / als unserem Obergebieter und Könige /mit knechtischem gehohrsam / huldigen sollen.[69]
Was huldigen? fing Simeon das wort auf. Wir wollen ihm auf den kopf huldigen / dem Traumkönige /dem Schwarmfürsten / der er ist. Huldigen wollen wir ihm / daß er es fühlen sol. Sein bunter Fürstenrok mus zerflauschet; er mus in seinem bluhte gepurperfärbet werden. So bekömt er eine recht königliche farbe. Warüm fallen wir ihn nicht straks an? Warüm reissen wir ihn / den hoffärtigen Prahlfürsten / nicht straks zu bodem? Der stoltze hochtrabende kopf mus herunter. Den aufgeblasenen hochbrüstigen rumpf mus die erde verschlingen / oder die schündgrube den hunden zu fressen geben. Das sei ihm geschwohren. Zu diesem schwuhre seind wir alle verbunden.
Hiermit ging das fluchen / das rasen / das toben erst recht an. Fast die meisten wühteten / als die ein toller hund gebissen. Ruben aber und Judah trahten abermahl ins mittel. Diese suchten Josefs leben zu retten. Versündigt euch nicht / sagten sie / an eurem Bruder. Besudelt eure hände ja nicht mit seinem unschuldigen bluhte. Dieses bluht wird uns vor Gott anklagen / und üm rache rufen. Dieses bluht wird unsern alten Vater in die grube bringen. Ja es wird unser gewissen uns zu einem ewig nagendem wurme machen. Dis allein würde vor uns strafe genug sein: ob schon der Richter im Himmel stil darzu schwiege. Aber er wird nicht schweigen. Er hat seine strafruhte schon in der hand. Was sage ich von der ruhte? Sein schwert hat er gewetzet. Damit dreuet er uns zu verderben. Gedenket doch an Kain / den erst gebohrnen aller Menschen. Er beging auch einen brudermord am Abel. Aber Abels bluht schriehe zu Gott: und was Gott vor rache ausgeübet / ist euch nicht unbekant.
Als sie aber sahen / daß diese bluhtdürstigen /durch solche reden / nach Josefs bluhte nur dürstiger warden; so hingen sie den mantel nach dem winde. Sie stelleten[70] sich mit ihnen in ein horn zu blasen. Sie billigten ihre meinung. Doch / sagten sie / die sache mus behuhtsam angegriffen werden. Die knechte müssen nichts darvon wissen. Wir müssen ihn heimlich aus dem wege reumen. Sonst möchte es lautbar / und wir wieder getödtet werden. Zum wenigsten würde es uns zur ewigen schände gereichen. Gad meinete /durch zaudern würde man die gelegenheit verlieren. Man diese einmahl entwischet / liesse sie sich schweerlich wieder fassen. Ihr gantzes hinterteil sei mit einer schlüpfrigen ahlhaut überzogẽ. Wan sie den rükken kehrete / were sie nicht wieder zu erhaschen. Darüm müste sie / wan sie sich von vornen zeigete /fest gehalten werden. Ich sage nicht / warf Judah hierauf ein / daß man die gelegenheit aus der hand laßen sol. Ich rahte nur / daß man sich derselben klüglich gebrauchen / und sich nicht übereilen sol. Mit der gelegenheit mus sich zeit und ort fügen. Wan der diebstal sol verschwiegen werden / mus nicht / mit der tühre / der dich ins haus fallen. Sonst wird er /durch das gepolter verrahten. Auch mus er nicht bei tage einbrechen. Der tag hat alzuviel augen und ohren. Man mus nicht so straks zuplumpen. Heimlich und leise mus man schleichen. Vorsichtig mus man handeln. Im dunkeln mus man wandeln. Am rechten orte mus man beginnen.
Indem sie also redeten / stieg Josef vom pferde /und ging vollend zu fuße nach ihnen zu. Er neugte sich gantz ehrerbietig. Meldete ihnen des Vaters grus und seegen an. Verständigte sie / wie hoch er sich ihrentwegen bekümmerte: wie hertzlich er sich befahrete / es möchte ihnen etwan ein unglük begegnet sein; weil sie gestern abend nicht zu hause gekommen / und man keine einige zeitung von ihnen gehöret. Aus diesen ursachen habe ihn auch der Vater anher geschikt /den rechten grund zu vernehmen.
Kaum hatte Josef diese werte volendet / als man[71] ihn / ohne einige antwort / schon zu greiffen begunte. Simeon / weil er der stärkste war / muste seine feuste darzu lehnen. Er muste ihr häscher / ihr hänkersknecht / und stokmeister sein. Er muste ihn binden / und in seine verwahrung nehmen. Unterdessen trahten die andern seitwärts ab. Sie berahtfragten sich bei Ruben / was man weiter tuhn solte. Dieser hette den Josef gern gerettet / und wieder zu seinem Vater gebracht. Aber er durfte sich dessen im geringsten nicht verlauten laßen. Sie hatten ihm den tod geschworen. Das wuste er. Ja er wuste / daß ihre neidische hertzen so gar erbittert weren / daß / wofern er von seiner lebenserhaltung redete / sie ihn straks tödten würden. Und darüm sprach er sie also an.
Weil allen Söhnen Jakobs / welche Rahel nicht gebohren / ein unglük gedreuet wird: so were ich wohl töhricht / mir ein zu bilden / daß ich und meine kinder dessen entohnigt sein würden. Ich bin mit unter derselben zahl. Ich würde / wan es ergehen solte / dem Josef so wohl dienen müssen / als ihr. Ich würde eben sowohl sein leibeigner sein müssen / als ihr. Meine erste gebührt würde mir nichts helfen. Der erste würde so wohl das joch tragen müssen / als der letzte. Und darüm mus ich meinen unglükke selbst vorbauen. Darüm mus ich meiner sicherheit selbst rahten. Ja darüm mus ich nohtwendig rahten / daß Josef vertilget werde. Hierinnen beruhet unsere algemeine wohlfahrt. Aber daß wir unsere hände selbst an ihn legen sollen / rahte ich itzund eben so wenig / als vorhin. Dan also begingen wir einen Brudermord. Ja wir begingen zugleich einen Vatermord. Was könte greulicher gedacht werden? Wan wir den Vater seines liebsten Sohnes beraubten / würden wir ihn nicht zugleich seines lebens berauben? Würden wir ihn nicht muhtwillig in ein unaussprechliches hertzleid / und durch dieses gar in die grube bringen? Ich wil mehr sagen. Würde nicht Josefsbluht über uns rache fordern? Würde nicht des Vaters fluch / an stat des seegens / über uns kommen? Würde nicht Gottes fluch selbst uns treffen? Würde nicht unser gewissen unaufhörlich uns ängstigen / und so erschröklich foltern /daß wir nicht wüsten / wo aus oder ein? Und darüm müssen wir in alwege auf einen andern und bessern raht bedacht sein. Wir haben einen eidschwuhr abgelegt / zu Josefs verderben. Der mus volzogen sein. Aber wie? Es mus zum wenigsten den schein haben /als hetten wir uns selbst weder an Gott / noch unserem Vater / noch unserem Bruder vergriffen. Nun wohlan! weil man aus zwei unümgänglichen bösen das beste erwehlen mus; so wil ich aus einem zweifachen rahte / der in diesem handel allein stat kan finden / auch den besten anrahten. Durch dessen volziehung wird unser eidschwuhr volbracht / und Josef gleichwohl nicht / durch unsere hand selbsten / ümgebracht werden. Ich und Sebulon haben neulich / in jenem walde / eine Wolfsgrube gefunden. Darein wollen wir ihn werfen. Da wird er genug aus dem wege gereumet / und unser eid volbracht sein. Da mögen ihn andere Väter und Mütter / ja andere Brüder / nach seinem traume / dienstlich ehren und anbähten / wie sie wollen.
Diesen raht billigten und bewilligten sie alle. Ja sie priesen seinen klugen erfinder. Dem ward auch / zusamt dem Judah / und Sebulon / alsobald die volziehung anbefohlen. Hierauf zogen sie dem unglükseeligen Josef seinen köstlichen buntgestikten überrok aus: welcher fast die erste und fürnehmste ursache ihres neidischen grolles gewesen. Ja sie rissen ihm auch selbst den unterrok vom leibe. Und also ward er nach der Wolfsgrube zugeführet. Alda lies man ihn mit strükken / damit er nicht beschädiget würde / hinunter. Ruben aber hatte bei sich beschlossen / ihn in der nächstkünftigen[74] nacht heimlich wieder heraus zu ziehen / und seinem Vater zu bringen. Und eben zu dem ende ging er von seinen brüdern weg. Er gab vor / eine andere weide zu suchen. Aber sein einiger wundsch war seinen guhten vorsatz zu volziehen. Er dankte Gott / daß er ihm diesen raht eingegeben. Er verlangte nach der nacht: und das übrige dieses tages dünkte ihn so lang zu sein / als sonst zween volle tage.
Mitlerweile erblikten die andern brüder / auf der heerstraße von Gilead / eine große Gespanschaft der Ismaeler. Diese hatten Würtze / balsam / und mirren aus Arabien gehohlet. Damit gedachten sie nach Egipten. Sehet / alhier / sagte Judah / bekommen wir das rechtgewündschte mittel / Josefs ohne bluhtvergiessen / loß zu werden. Was hilft es uns / daß sich unsere hände an ihm vergreiffen? Er ist ja unser Bruder / unser fleisch und bluht. Komt! wir wollen ihn den Ismaelern verkauffen. Diesen worten gehorchten die andern. Von stunden an lieffen Gad und Judah hin / und zogen den Josef aus der Wolfsgrube. Auch verkauften sie ihn vor dreissig silberlinge: wiewohl sie nur zwantzig bekanten. Aber sie bedungen darbei: daß die Keuffer ihn nicht wieder in der nachbarschaft verkauften. Er solte in ferne länder geführet werden. Das bedungen sie ausdrüklich. Dan sie gedachten / kommet er so weit in die fremde / so wird er uns nicht mehr im wege stehen. Und so wird er ein ewiger leibeigner / dessen leibeigne wir zu werden uns besorgten. Aber Simeon / der mitlerweile zu Sichem gewesen / war viel anders gesinnet. Dan als er wiederkahm / und den Josef verkauft sahe / erzürnete er sich über den Judah dermaßen / daß er ihm den tod dreuete. Auch were den worten gewislich die taht gefolget; wo es Gott nicht verhindert. Die hand /damit er ihm dreuete / verdorrete zusehens. Und also konte er seine boßheit nicht volbringen.[75] Als nun die Ismaeler etliche meilen wegwaren / überfiel die verkeuffer alle eine plötzliche reue. Itzund bedachten sie erst / was vor ein schelmenstükke sie an ihrem Bruder verübet. Itzund kahmen sie erst wieder zu sich selbst. Itzund hetten sie ihn auch üm noch zehnmahl so viel gern wiedergekauft. Aber es war zu spähte.
Mit dieser reue überfiel sie zugleich die nacht. Ruben war froh / daß die gewündschte zeit / den Josef zu erlösen / herzu nahete. Er verzügerte nicht lange. Er ging / ja er lief eilend nach der Wolfsgrube zu. Alle tritte waren schritte. Alda fällete er einen mittelmäßigen baum. Dessen zakken hieb er rund herüm so weit ab / daß sie zu leitersprossen dienen konten. Hiermit begab er sich zur grube: und lies den baum hinunter / damit Josef an demselben herauf stiege. Darnach legte er sich beuchlings darvor nieder. Josef! rief er / liebster Bruder! Aber der widerhal rief eben die worte zurükke. Er wiederhohlte sie noch ein mahl / mit viel stärkerer stimme. Der widerschal rief sie abermahl nach. Endlich schrie er mit vollem halse: Bruder schläfstu? Der gegenhal fragte gleich also: ob er schlieffe? Ja er wiederhohlete diese worte etliche mahl: und wie oft er sie wiederhohlte / so oft warden sie ihm nachgesprochen. Ruben gedachte an den widerschal gantz nicht. Darüm ward er über diesen nachruf seiner worte so bestürtzt / daß er nicht wuste /wie ihm geschahe. Er stund im zweifel / ob Josef selbst / oder aber sein Geist / mit ihm redete. Zum allerletzten rief er: Ach! liebster Bruder / bistu todt? Da hörete er / was er fürchtete zu hören / und nicht zu hören wündschte / das letzte wort todt widerschallen. Ach! sagte er darauf / bistu todt? Ach! wolte Gott! ich were vor dich gestorben.
Man kan ihm leicht einbilden / wie dem guhten Ruben zu muhte gewesen. Die trähnen / die er vergos /[76] waren nicht zu zehlen: die seuftzer / die aus seinem hertzen stiegen / noch viel weniger. Die schmertzen /die er fühlete / konte keine feder beschreiben. Keine zunge war so beredt / seine hertzensangst aus zu drükken. In solcher eusersten betrübnüs brachte er die gantze nacht zu. Ja vor großem wehleiden verfluchte er auch seine Brüder. Er schalt das verhängnüs. Er murrete wider das gestirne / ja endlich gar wider Gott selbsten. Und in solchen halbunsinnigen gemühtsbewegungen kahm er zu seinen Brüdern /eben als die dunkele nacht der liechten morgenröhte gewichen.
Hatte Ruben zuvor aus wehleiden gefluchet / so donnerte er itzund aus übermäßigem zorne. Eine iede rede war ein donnerschlag: ein iedes wort ein donnerkeul. Seine augen wetterleuchteten. Ihre blikke blitzten / und schossen feurige strahlen. Mit lauter donnerschlägen öfnete sich sein mund. Mit eitel donnerkeulen bewegte sich seine zunge. Seine stimme brummete und summete. Ihr nachklang knasterte und prasselte. Sein ahtemwind stürmete so gewaltig / daß er alles gleichsam zerschmetterte. Und seine sprache brach mit solchem greulichen gekrache heraus / daß alles darvor erzitterte. Durch ein solches unwetter sprach er seine brüder an. Durch ein solches donnerwetter gab er ihnen den morgengrus. Ihr Brudermörder! sagte er / welcher Teufel hat euch getrieben euren Bruder zu ermorden? Welcher höllische geist hat eure faust beweget / an der Unschuld selbsten einen mord zu begehen? Welcher Engel der fünsternüs hat euch so verblendet / dem das tagelicht zu rauben / den der Himmel zu eurer Sonne bestimmet? Welches Gespånste des abgrundes hat euch so bezaubert / dem das leben zu nehmen / den das gestirne zum erhalter des eurigen erkohren? Welche Unholdin aus dem höllischen giftpfuhle hat euer hertz so vergiftet / dem lieb- und hold-seeligen Josef / durch[77] das allerfeindlichste /ja mordtähtigste beginnen / aus dem mittel zu reumen? O ihr ehrvergessene schänder des gantzen stammes der redlichen Ebreer! o ihr Gottsvergessene Höllenbrände! o ihr greuliche Natterngezüchte der pech- und schwefel-sümpfe des Abgrundes! Ach! du gerechter Himmel! Dieses wort fing ihm Judah plötzlich auf / seinen zorn zu stillen. Der Himmel / sagte er / ist freilich gerecht. Er hat es so wohl geschikt / daß er Josefs leben in seine beschirmung genommen.
Das sage / das klage ich eben / fuhr Ruhen fort /daß ihr ihm das leben genommen. So verstund er diese reden; weil er / aus übermäßiger entzükkung seiner sinnen / sie nicht recht hören. Doch bekahm er endlich seinen verstand ie mehr und mehr wieder. Er kahm wieder zu sich selbst. Und da vernam er erst recht / daß Josef noch lebete. Da sahe er das geld /darvor ihn seine Brüder verkauft. Das verfluchte er. Das verspiehe er. Aber was wolte er tuhn. Es war geschehen. Er war verkauft. Das zeichen sahe er vor augen. Darüm sagte er: besser verkauft / als ermordet. Nun habe ich noch diesen trost: Gott ist getreu. Verlesset schon den Josef sein ungetreues Gebrüder; so wird doch der Himmel ihn nicht verlaßen. Aber womit bedekken wir indessen diesen häslichen schandflek vor der ehrbaren welt? Womit trösten wir unsern alten Vater? Der wird sich todt grähmen / wan er erfähret / daß ihr seinen Sohn verkauft. Hierauf stiegen ihnen allen die trähnen ins gesichte. Sie wündschten es ungeschehen. Aber wündsche seind winde; und fliegen mit den winden darvon. Dieser wundsch nützte weniger / als nichts. Niemand war damit geholfen.
Nachdem sie lange genug gekårmet / und sich nun müde gehärmet hatten / vermeinten sie / es sei besser den Vater in ein kurtzes hertzleid / als in eine ewige bekümmernüs[78] zu bringen. Sie beschlossen / ihn / auf Dans einrahten / zu bereden / Josef sei todt. Er sei von den wilden tieren zerrissen. So / vermeinten sie /würde er eher zu trauren aufhören / als wan sie gerade zusagten / daß sie ihn zum leibeignen verkauft: dadurch sie sich zugleich in eine ewige schande stürtzten. Und darüm verwundeten sie erstlich dem Persischen leuffer / darauf Josef geritten / die schenkel; damit man vermeinen solte / die wölfe hetten ihn also zerbissen. Hierauf führeten sie ihn bei nachtzeit nach ihres Vaters hofe zu. Nicht weit darvon liessen sie ihn lauffen / und aus begierde zum futter / seinen stal suchen. Und also liessen sie dieses pferd ihrem Vater die erste zeitung vom tode seines Sohnes bringen.
Auf den morgen schlachteten sie einen ziegenbok. In desselben bluht tunkten sie den bunten rok ihres Bruders; nachdem sie ihn zerrissen. Und also schikten sie ihn / mit Isaschar und Sebulon / zum Vater. Sebulon sprach: Ach! Vater / diesen bluhtigen rok haben wir gefunden. Siehe zu / ob du ihn kennest. Jakob kennete ihn alsobald / und antwortete: es ist meines Sohnes rok. Ein böses tier hat ihn gefressen. Ein reissendes tier hat ihn zerrissen. Ach! Josef! Josef! wo seind nun deine Treume? O ihr betrüglichen treume! O ihr Himmel! warüm habet ihre meine deutungen vereitelen / und meine hofnung vernichtigen laßen? Mit diesen erbärmlichen worten / drükke er den Rok an seine brust. Er küssete das bluht so hertzlich / als wan es seines Sohnes eigenes bluht gewesen. Und also ward Jakob vergolten / was er an seinem Vater Isaak verschuldet. Er hatte ihn mit Esaus / seines liebsten Sohnes / Rokke betrogen. Nun musten ihn seine Söhne wieder mit seines liebsten Sohnes Josefs Rokke betrügen. Die schmertzen / welche dieser traurige Vater über einen so unglüklichen todesfal seines so lieben[79] Sohnes empfand / können mit keinen gedanken erreichet / viel weniger mit einiger feder beschrieben werden. Er zerris seine kleider. Er legte einen trauersak üm seine lenden; und beweinete seinen Sohn lange zeit. Es kahmen zwar alle seine Söhne / und Töchter / ihn zu trösten. Aber er wolte sich nicht trösten laßen. Ach! sprach er: ich werde mit leide zu meinem Sohne / in die grube / hinunterfahren. Ja er stellete sich so gar erbärmlich an /daß es ein stählernes / ein demantenes hertz zum mitleiden bewegen muste. Wie es nun nach meinem wegzuge weiter abgelauffen / weis ich nicht. Aber das weis ich wohl / daß man vom unglüklichen Josef keine einige zeitung / so lange er ist verkauffet gewesen / bekommen.
Die Königliche Fürstin war / durch diese erzehlung / überaus vergnügt. Ja sie hette wohl eine gantze nacht zugehöret. Sie fragte den Jüngling vielmahls: ob er vom Josef gantz nichts mehr wüste? Sie wolte gern alles erfahren. Alles wolte sie wissen. Als er aber sagte / daß ihm nichts mehr bewust sei; da lies sie ihn wieder von sich: und verboht ihm / bei verlust seines lebens / daß er sich gegen niemand solte verlauten laßen / warüm sie ihn entbohten / oder was er ihr vom Josef erzehlet. Er solte reinen mund halten. Er solte auch des Josefs nicht einmahl erwähnen. Und hiermit begab sich der Ebreer wieder hinunter in die küche.
So bald er weg war / brach die Fürstin gegen ihre Kammerjungfrau alsobald mit diesen worten heraus: Josef wird gewislich / sagte sie / derselbe Fremdling sein / davon die Götter gesprochen. Er wird derselbe sein / der so volgewaltig über Egipten sol herschen. Ich höre es aus allen ümstånden. Er ist es / dem Asse nat werden sol. Er ist es / in dessen armen sie ruhen sol. Er wird es sein / und kein ander. Das weis ich. Das wündsche ich. Das hoffe ich: ja das gleube ich gantz gewis.[80] Zur glüklichen stunde ist dieser Jüngling hier angelanget: der mir alle begäbnüsse des Josefs erzehlet. Ja zur glüklichen stunde habt ihr den Josef selbsten gesprochen: der euch den Ausspruch der Götter so deutlich erklähret. Dieser tag ist mir ein glüklicher tag. Dieser abend ist mir ein glüklicher abend: da mir die Götter beides so wunderbahrer weise geoffenbahret: da ich so viel wunders erfahren /so viel seltzames gehöret. An diesen abend wil ich gedenken / so lange ich lebe. Und wolten die Götter /daß ich den abend auch so glüklich erleben möchte /da Assenat in Josefs armen sol ruhen. Was vor freude würde wohl ich empfinden / ein so schönes / ein so edeles / ein so liebes Paar gepaaret zu sehen. Anders ist es nicht: es mus geschehen. Der himmel hat es also verhänget. Die Götter haben es also beschlossen. Und darüm wollen wir dem verhängnüsse / mit stilschweigen / zusehen. Mit stilschweigen laßet uns die erfüllung dieses Göttlichen rahtschlusses erwarten. Wir können nichts tuhn / als schweigen / und der zeit erwarten. Darüm / wan ihr gefraget werdet / was ich mit diesem Ebreischen Jünglinge geredet; so gebet kurtzen bescheid: daß ihr nichts darüm wüstet; daß ich in meinem geheimen beizimmer allein mit ihm gesprochen; daß ihr es nicht angehöret. Ich wil wohl wissen / was ich tuhn sol. Niemand wird etwas aus meinem munde erfahren: auch Assenat selbst nicht; wiewohl ich sie liebe / als meine seele. Und eben üm dieser liebe willen / wil ichs vor ihr verschweigen: doch gleichwohl auch die erste sein / die ihr alles erzehlen wird. Aber ich mus zuvor die zeit ersehen / da es ihr zu wissen dienet.
Hiermit stund die Königliche Fürst in auf / sich entkleiden zu laßen. Die Kammerjungfrau verrichtete diesen dienst: und schied endlich wohlvergnüget von ihr. Wohlvergnüget ging sie in ihre schlafkammer: da sie / eh ihr der schlaf die augen zuschlos / alles / was sie den[81] vergangenen tag gehöret / überdachte. Und in diesen gedanken begab sie sich zur ruhe. Der schlummer überfiel sie: aber das hertz blieb wakker. Die gantze nacht durch spieleten ihre gedanken. Die einbildung stellete ihr den schönen Leibeignen bald so /bald anders vor. Bald sahe sie die Assenat in seinen armen. Bald erblikte sie ihn im Königlichen staht. Eben dasselbe widerfuhr auch der Königlichen Fürstin. Und üm die morgenstunde hatte eine iede einen sonderlichen traum.
Nitokris treumete: daß sie einen schönen und jungen Stier zehn tage lang in Potifars hofe sahe / und darbei ein junges schneeweisses Fährsichen; welche sich beide sehr freundlich gegen einander gehabten. Darzu kahm endlich eine junge Hindin: welche anfangs dem Stiere schmeuchelte; aber ihn / als er ihr nicht auch schmeuchlen wolte / zuletzt in ein fünsteres loch stieß. Darinnen blieb er drei tage lang / bis ihn ein Krokodil wieder heraus gezogen: da dan der Stier eben auch als in einen Krokodil verändert schien.
Aber Semesse hatte diesen träum. Es kahm ihr vor / als wan sie einen fremden Vogel / nicht wuste sie in was vor einem hause / gesehen. Dieser Vogel war überaus schön von farbe / und sahe fast aus / als ein Habicht. In einem bauer saß ein junges Egiptisches Störchlein; welches er sehr lieb hatte / und oft vor den bauer flog / mit ihm zu spielen. Aber der bauer war rund ümher zu / und die tühre so wohl verwahret /daß er nicht hinein konte. Auch ward sie einer jungen Henne gewahr. Diese ging anfänglich von ferne üm den Habicht herüm. Darnach kahm sie ihm immer näher und näher. Endlich bewiese sie ihm etliche liebeszeichen mit pikken. Der Habicht[82] aber kehrete sich an nichts. Er stellete sich / als verstünde er nicht / was sie meinete. Alda befand sich auch ein alter Hahn. Wan dieser aus seinem Hühnerhause herfür traht /verlies die Henne den Habicht. Doch kahm sie straks wieder / so bald der Hahn den rükken gewendet. Sie klukkerte / sie kürrete rund üm den Habicht herüm. Sie pikte ihm erst nach den pfoten / und dan nach dem schnabel. Endlich / als er unbeweglich / und ihr lieblen gleichsam zu verschmähen schien / ergrif sie ihn mit dem schnabel bei den federn. Er aber ris sich loß /und flohe darvon. Eben kahm der alte Hahn wieder herfür. Dem lief die Henne / mit des Habichts federn im schnabel / straks entgegen. Eine guhte weile klukkerten sie miteinander. Ohne zweifel gab die Henne dem Hahne zu verstehen / daß ihr der Habicht gewalt zufügen wollen. Dan der Hahn stellete sich /nach langem geklukkere / gantz ergrimmet an. Der kam / der zuvor bleich gewesen / war nunmehr gantz feuerroht. In solchem erboßten wesen lief er dem Habichte nach / und jagte sich so lange mit ihm herüm /bis er ihn in ein kellerloch getrieben. Vor diesem loche hielt der Hahn drei stunden langschildwache; damit der Habicht nicht darvon kähme. Aber ein Leue jagte den Hahn vor dem loche weg; und erlösete also den Habicht / der sich in einen Adler zu verändern schien / aus seiner gefängnüs.
Kaum hatte sich Semesse aus ihrem bette erhoben /als sie schon nach der Nitokris zimmer zueilete / ihr diesen wunderseltzamen Traum zu erzehlen. Aber die Fürstin kahm ihr zuvor. Ach! Semesse / Semesse! schriehe sie auf / so bald sie die Jungfer erblikte. Ach! höret doch / was ich vor einen wunderlichen traum[83] gehabt. Und eben damit begunte sie ihn zu erzehlen. Als er geendiget war / da erzehlte die Kammerjungfrau den ihrigen auch. Beide stunden über diese beiden treume bestürtzt. Eine lange weile waren sie sprachloß. Die Fürstin brach endlich in diese worte aus. Es seind / sagte sie / einerlei treume. Sie zielen auf einerlei selbstände. Doch der eurige ist dunkeler / als der meinige. In diesem finde ich den ort / und die zeit / da seine bedeutung sol erfüllet werden. in eurem aber nicht. Ich sahe alles in Potifars hofe geschehen: und zwar in zehen tagen; darauf noch drei tage folgeten. Damit war alles zum ende. Ohne zweifel wird Assenat mit im spiele sein: wo nicht auch Josef. Ohne zweifel werden die dreizehen tage dreizehen jahre bedeuten. Assenat ist itzund achtjährig / aber nach dreizehen jahren wird sie im ein und zwanzigsten sein. Dieses jahr ist eben dasselbe / das ihr die Götter /durch ihren Ausspruch / zu ihrer vermählung mit dem fremden Herrn bestimmet. Was ich gestern aus der deutung des Göttlichen ausspruchs / und aus der erzehlung des Ebreers vom Josef / geschlossen; dasselbe wird ohne zweifel durch diesen meinen träum bekräftiget. Ja daß dieser mein traum gewislich wird wahr werden / schliesse ich daraus: weil der eurige auf eben dasselbe zielet; zumahl weil wir beide treume an einem morgen / und zu gleicher zeit gehabt.
Wen sol aber / fing die Kammerjungfrau an / der Stier / und das Fährsichen / mit der Hindin; ja was sol es / daß der Stier in einen Krokodil sich verändert / bedeuten? Der Stier / den ich sahe / und euer Habicht bedeuten einerlei: so auch mein Fährsichen / und eure junge Egiptische Störchin; meine Hindin / und eure Henne / ja mein Krokodil / und euer Leue des gleichen. Aber auf wen sie eigendlich zielen / und was es bedeutet / daß mein Stier in einem [84] Krokodil /und euer Habicht in einen Adler verändert worden /weis ich nicht zu sagen. Auch weis ich nicht / worauf euer alter Hahn / des gleichen ich in meinem traume nicht finde / zielen sol. Ja was sol ich sagen? Diese beiden treume seind mir viel zu wunderlich / und meinem verstande viel zu hoch. Wir müssen einen andern Traumdeuter suchen. Aber wo sollen wir ihn finden? Niemand wird hierzu geschikter sein / als Josef. Darüm kleidet euch straks an. Machet euch flugs färtig / und gehet zu ihm. Erzehlet ihm alle beide treume von stüklein zu stüklein. Aber in dem meinigen lasset Potifars hof / und die zeit der zehen / und drei tage weg: weil uns beides schon klahr genug ist / also daß wir keinen ausleger darzu bedürfen.
Semesse volbrachte diesen befehl alsobald. Josef stund eben in der tühre / da sie ankahm: Und die Jungfrauen / zusamt der Mutter / hatten sich in der Isis Götzenhaus begeben / ihren Götzendienst zu verrichten. Daher war sie froh / daß sie so eine gewündschte gelegenheit angetroffen / den Josef allein zu sprechen. Sie grüßete ihn sehr freundlich: und er unterlies auch nicht / ihr mit eben so freundlichem gegengrusse zu begegnen. Nach wenigen wortgeprängen diente sie ihm straks an / daß sie / ihrer Fürstin wegen / was geheimes mit ihm zu reden hette. Hierauf führete sie Josef in den saal: da sie dan ihre worte straks also anbrachte. Meine Fürstin / sagte sie / hat in der nächstverwichenen nacht einen Traum gehabt; und ich selbst zwar einen andern / doch einen solchen / der jenem in allen stükken fast gleich ist. Weil nun diese zwee gleiche treume / die uns beiden / auch in gleicher zeit / ja in einer stunde / zugleich aufgestoßen / was sonderliches bedeuten werden; so habe ich / auf meiner Fürstin befehl / die kühnheit gebrauchen müssen / ihn üm eine gründliche auslegung derselben an zu langen. Hierdurch wird er nicht allein[85] die königliche Fürstin / die ihm ohne dis schon sehr hoch gewogen / zur höchsten gnade / sondern auch mich selbsten zur höchsten wilfärtigkeit verpflichten.
Josef begunte seinen kleinen verstand in dergleichen dingen straks vor zu wenden. Er entschuldigte sich aufs höchste. Er suchte die allerersinlichsten ausflüchte. Er wiese sie zu den Priestern / die darinnen weit mehr geübet weren / als er. Ja er schlug die Kaldeer vor / derer tägliches handwerk es sei / dergleichen geheimnüsse zu ergründen. Aber ie mehr er ausflüchte suchte / ie mehr sie zuflüchte fand. Je mehr er seinen verstand verkleinerte / ie grösser sie ihn machte. Ja / sagte sie / seine gestrige erklährung des Göttlichen ausspruches ist so unvergleichlich guht und so fürtreflich gewesen / daß wir / in einer so schweeren und wüchtigen sache / zu niemand anders / als allein zu ihm / unsere zuflucht nehmen. Kein Priester / kein Kaldeer / ja niemand im gantzen Egipten hat eine so gründliche / eine so volkommene erklährung über gemelten Ausspruch tuhn können / als er. Und eben darüm haben wir auch von niemand / als allein von ihm / dergleichen auslegung unserer treume zu gewarten.
Weil nun Josef sahe / daß alle seine einwendungen nichts verfingen; so entschlos er sich endlich die Semesse / so viel ihm müglich / zu vergnügen. Ich vermärke wohl / sagte er / daß ich gestern meinen vorwitz / aus unwitz / alzubloß gegeben. Ich vernehme wohl / daß meine alzumilde vermessenheit ihre einbildung überteubet. Dan ich sehe / daß sie mich vor denselben helt / der ich nicht bin. Ich befinde / daß sie meinen verstand hoher schätzet / als er gelten kan. Ja ich spühre / daß sie mit gewalt von mir zu wissen begehret / was ich nicht weis. Darüm / solcher ihrer einbildung zu liebeln / mus ich noch vermessener werden. Ihr zu gefallen werde ich gezwungen in einer angefangenen verwägenheit / die ich[86] sonst vor einen fehler schätze / zu verharren. Ja was wil ich sagen? Das gebot der königlichen Fürstin ist mein spohren. Und so mus ich / ob ich schon sonsten nicht wolte. Hier steht der befehl. Dem mus sich mein wille unterwerfen. Kan ich nicht tähtig / so mus ich doch willig gehorchen. Und dieser so willige gehorsam wird die verwegenheit meiner taht entschuldigen; ja selbst der königliche befehl meinen fehler bedekken. Wan es ihr dan beliebt / so laße sie mich vernehmen / was sie getreumet.
Hieraus erzehlete die Kammerjungfrau ihre Treume / wie es ihr die Fürstin befohlen. So bald sie ausgeredet / fing Josef an. Beide Treume / sprach er / seind einerlei / wie sie sagt: und daher üm so viel leichter aus zu legen. Dan einer erklähret den andern. Auch was dem andern fehlet / ergäntzet der andere. Der schöne junge Stier / bedeutet einen schönen Jüngling: das junge Fährsichen / eine sehr zahrte Jungfrau / die noch nicht volkömlich erwachsen: die Hindin / eine schöne hurtige Frau. Diese Frau wird in den Jüngling sich verlieben. Sie wird ihn strählen; aber er wird sie nicht achten. Und weil er ihr keine gegenliebe bezeiget; wird sie ihn / aus zorne / verfolgen / ja gar ins gefängnüs bringen. Daß aber ein Krokodil den Stier aus dem fünsteren loche erlöset / und der Stier darnach selbst als in einen Krokodil verändert geschienen; solches bedeutet / daß ein Egiptischer König den Jüngling aus dem gefängnüsse loß / und gleichsam zum Könige in Egipten machen werde. Dan der Krokodil ist der Egiptischen Könige sinbild: welche sich auch selbst Faraonen / das ist Krokodillen / zu nennen pflegen.
In dem ihrigen bedeutet der fremde Vogel / der wie ein Habicht aussahe / eben auch einen Jüngling / der fremde oder ausländisch / und schön / auch[87] eines feurigen / ja fast Göttlichen verstandes / nach der eigenschaft des Habichts / sein wird: die junge Egiptische Störchin / eine noch junge Jungfrau / die in Egipten gebohren: der wohl verwahrte Vogelbauer / darinnen diese Störchin gesessen / ein Kloster / oder sonsten etwas / darinnen sie / in genauer verwahrung / erzogen wird: die junge Henne / eine junge Hausfrau; welche dem Jünglinge zuerst von ferne / darnach in der nähe ihre liebe wird blikken laßen: der alte Hahn / einen alten Ehman; in dessen gegenwart die junge Frau nicht wird dürfen märken laßen / daß sie den Jüngling liebet. In seinem abwesen aber wird sie ihm üm so viel mehr liebeszeichen erweisen. Ja / weil er weder mit liebesblikken / noch mit lieblenden worten zur gegenliebe zu bewegen ist /wird sie ihn endlich gar mit gewalt darzu ziehen wollen / ihren willen zu volbringen. Er aber wird ihr entspringen. Hierauf wird die Frau den Jüngling bei ihrem alten Ehliebsten / aus übermäßigem zorne wegen ihrer verschmähung / fälschlich anklagen / und ihn bewegen / daß er den Jüngling gefänglich wird setzen laßen: welches durch das jagen ins kellerloch angedeutet wird. Daß aber ein Leue / als ein königliches tier / den Hahn vor dem loche wegtreibet / und den fremden Vogel / der sich darnach gleichsam in einen Adler / der auch ein königlicher vogel ist / verändert; solches bedeutet / daß ein König den Jüngling erlösen / und in den königlichen stand erhöben wird.
Wan man nun diese beiden Treume / deren der eine den andern / wie ich gesagt / sehr ahrtig erklähret /zusammenhelt; so kommet diese volkommene bedeutung heraus. Nähmlich es wird sich irgendwo ein junger und schöner Ausländer / welcher / gleichwie der Göttliche und der Sonne geheiligte Habicht / eines feurigen geistes ist / mit einem schönen noch[88] unmanbahrem Egiptischen Jungfreulein / das man in scharfer aufsicht und genauer bewahrung / vielleicht in einem Kloster / erziehet / zusammen aufhalten; und dieses Jungfreulein lieben / auch ihrer gegenliebe geniessen. Es wird aber eine Ehfrau / die schöne / jung / und munter / auch desselben ortes / da jene zween sich befinden / gebieterin ist / darzwischen kommen / und in den Jüngling sich verlieben. Anfangs wird sie scheu tragen / ihm solche liebe zu offenbahren: und darüm zuerst von ferne ihm liebeln; darnach immer näher und näher kommen / ihn strählen / ja selbst küssen: bis sie endlich / wan sie ihre liebe verschmähen siehet / ihn mit gewalt zur unkeuschheit zu ziehen sich unterfangen wird. Er aber wird ihr entreissen: und dadurch wird sich ihre liebe in zorn verändern. Dieser zorn wird sie bewegen / den Jüngling bei ihrem Ehherrn fälschlich zu bezüchtigen: welcher ihn unschuldig ins gefängnüs werfen / und genau bewahren wird. Den Jüngling aber wird endlich ein Egipitscher König nicht allein aus dem gefängnüsse erlösen / sondern ihn auch gar in den Königsstand erhöben.
Josef hatte diese Treume zwar sehr klüglich und gründlich ausgedeutet. Aber er wuste gleichwohl nicht / daß sie ihn selbsten so nahe angingen / und daß der junge Stier und der fremde Vogel auf ihn zieleten. Er wuste nicht / daß das junge Fährsichen und die junge Egiptische Störchin die lieblichschöne Assenat sei: derer Göttlichen ausspruch er gestern eben so deutlich erklähret. Doch würde er es ohne zweifel /wan man ihm in der Nitokris Traume nicht die zwei fürnehmsten stükke verschwiegen / errahten haben. Dan da hette er des Potifars haus / und die zeit der vermählung der [89] Assenat / als auch der erhöhung des Fremdlings in den Königsstaht / wie sie beiderseits von den Göttern bestimt war / unschweer gefunden. Weil nun dieses alles / und noch darzu Josefs eigene Treume die Königliche Fürstin wuste; so gab ihr ihre scharfsinnigkeit und stähtiges überwegen dieser des Josefs traumdeutung sehr wunderliche gedanken ein. Den gantzen tag betrachtete sie so wohl die treume selbsten / als derselben deutung. Semesse muste ihr Josefs worte wohl hundert mahl wiederhohlen. Ein iedes legte sie auf die wageschahle ihres verstandes. Ein iedes deutwort schien ihr eine sonderliche verborgenheit zu begreiffen. Und also verstund sie wohl etwas: aber lange nicht alles.
Inmittels kahm der abend herbei. Nitokris war eben aufgestanden zur tafel zu gehen / als man plötzlich an ihre tühre klopfete. Ein reitender Bohte war von Heliopel angelanget. Dieser brachte von der Assenat folgendes
Schreiben an die lieb- und hold-seelige
Semesse.
Ihr liebstes brieflein empfange ich eben itzund. Nichts gebe ich zur antwort / als einen unsterblichen dank. Diesen verspreche ich mit hertz und feder. Es seind zwar stumme gelübde: doch wird sie die rede meines mundes bald bekräftigen. Mein mund wird es ihr selbsten ins ohr / ja ins hertze sprechen / wie dankbar ich zu sterben gesonnen. Sie eile nur bald / mir ihre gegenwart zu gönnen. Ich verlange darnach. Ja ich verlange / die volkommene Erklährung desGötterspruches aus ihrem munde zu hören. Ist es müglich / so finde sie sich morgen ein. Morgen erwarte ich ihrer. Drüm seume sie nicht. Inmittels wil ich gleichwohl /daß sie meinen Traum wisse: damit ich bei ihrer überkunft / desselben deutung erfahre. Diesen morgen / da ich kaum halb schlummerte / deuchtete mich in meines Herrn Vaters Hofe zu sein. Alda sahe ich ein fremdes schloßweisses tierlein; welches man ein Härmlein nente. Dieses wolte meine Stiefmutter mit schlamme besudeln. Aber es war so behände / daß sie es nicht erwischen konte. Letzlich bekahm sie es bei dem ende des schwantzes / und wolte es mit gewalt in den koht drükken. Aber das Härmlein ris so gewaltig / daß es ihr nur einen flausch haare in der hand lies /und darvon flohe. Darüber erzůrnete sich meine Stiefmutter dermaßen / daß sie das liebliche tierlein in ein fas einspünden lies. Aber ein Leue sties mit dem kopfe dem fasse den bodem ein. Da kahm das Härmlein heraus gesprungen / und ward dem Leuen gantz gleich. Hermit verlies mich der schlaf. Sie sehe zu /daß sie bei dem schönen Leibeignen die deutung erfahre. Sie vergesse es ja nicht. Bringt sie mir diese mit / wird sie mir üm so viel angenehmer sein. Ich werde ihr / und ihm danken / so lange ich ahteme. Die Königliche Fürstin sei hertzlich gegrüßet. Morgen sol Sie auch ein brieflein von mir empfangen. Unterdessen befähle ich sie den Göttern.
Assenat.
Dieses schreiben verursachte / daß Nitokris von der tafel blieb. Semesse muste es ihr wohl zehn mahl vorlesen; sonderlich des Freuleins Traum: welcher die[92] deutung der ihrigen / mit denen er fast gantz überein kahm / noch mehr bekräftigte. Es war zwar zimlich spähte. Gleichwohl schikte die Fürstin ihre Semesse straks zum Josef. Noch diesen abend wolte sie die deutung wissen: welche fast auf eben den schlag ausfiel / als der ersten zwee treume. Nur ward daß reinweisse Härmlein / das / seiner angebohrnen ahrt nach / sein reines fel durchaus nicht besudeln wil / auf einen eben so keuschen / als schönen fremden Jüngling aus gedeutet.
Weil nun Assenat so gar sehr nach der Semesse verlangte / so färtigte sie die Fürstin noch diesen abend ab; damit sie mit dem frühesten morgen aufsein möchte. Sie legte ihr fast alle worte in den mund. Sie befahl ihr alles / was sie reden / und nicht reden solte. Auch geboht sie ihr / auf alle gebehrden des Freuleins / wan sie ihr dieses oder jenes erzehlete / achtung zu geben; als auch auf alle ihre worte. Die solte sie fleissig anmärken / eigendlich behalten / und ja nicht vergessen; damit man aus beiden der Assenat verborgneste gedanken ergründen könte. Dan die Fürstin war begierig alles zu wissen / auch was in des Freuleins hertzen verhohlen lag: welches / wie sie wohl wuste /seine meiste gedanken verschwieg / und als ein heiligtuhm / heimlich bewahrete. Und hiermit wündschte sie ihr glük auf die reise.
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