Dritter Auftritt.

[144] Der Doge und Dandolo.


DOGE ihm entgegen.

Seid willkommen auf der Insel,

Letzter meiner alten Freunde,

Den mir noch das Schicksal ließ.[144]

Welche Botschaft bringet Ihr

Aus Venedig?

DANDOLO.

Manche Botschaft,

Aber keine fröhliche.

DOGE.

Her, nur her! – die schrecklichste

Ist ja schon vorangegangen;

Nun kann auch, was immer kömmt,

Mich fürwahr nicht tiefer beugen.

Ist der Leichnam des Erschlagnen

Endlich aufgefunden?

DANDOLO.

Nirgends.

Die Bemühungen der Fischer

Und der Gondoliers sind eitel.

Kein Kanal blieb undurchforscht.

Taucher stürzten in die Tiefe

Der Lagunen ohne Nutzen.

Und die Schiffe unsers Hafens

Suchten eitel durch des Meeres

Wasserwüsten weit umher.

Dennoch deuten immerdar

Des vergoss'nen Blutes Tropfen,

Vom zerwühlten Bett Canari's

Längs der Marmorstiege nieder

Zu den Schwellen des Palastes,

Und zum Ufer des Kanals.

Niemand lös't jedoch das Räthsel,

Wie die Unthat möglich war?

Wie bei finstrer Nacht die Mörder[145]

Durch verschloss'ne Pforten drangen?

Jeder von den Dienern schwört:

In der mitternächt'gen Stille

Kein verdächtiges Geräusch,

Keinen Laut gehört zu haben.

DOGE.

Doch das ewig wache Auge,

Dem die Nacht nicht Nacht ist, kennet

Den geheimnißschweren Gräuel;

Kennt den Stifter alles Jammers.

Nein, verschwiegen bleibt er nicht!

Wie geborgen sich der Frevler

Dünk', in trotz'ger Sicherheit; –

Ihm im Nacken streckt sich schon

Unsichtbar die Rächerhand.

Und ist seine Stunde reif,

Schleppet sie ihn ins Gericht,

Seine That ans Sonnenlicht.

Missethat zu offenbaren,

Wird der todte Stein lebendig,

Müssen stumme Gräber plaudern.

DANDOLO.

O, der Möder ist bekannt ...

DOGE schnell.

Wie denn?

DANDOLO.

Hat sich schon genannt!

DOGE.

Angegeben? Wann und wo?

DANDOLO nimmt ein Papier hervor.

Abermals durch Mauerzettel.[146]

Dies Papier ward in der Frühe

An der alten Löwensäule

Auf St. Marcusplatz gefunden.

DOGE.

Was enthält's?

DANDOLO.

Es lautet also:

»Jeder weiß, Venetianer,

Goldner Lohn ist dem verheißen,

Welcher von Canari's Mörder

Irgend eine Spur verräth.

Euch die Mühe zu erleichtern,

Will er selber sich verrathen.

Hier sein Name:

Abellino.«

DOGE ungläubig lächelnd.

Freund, man äfft uns. Das ist Machwerk

Loser Buben, deren Muthwill

Mit der Angst Venedigs scherzt.

Welch ein Grund denn wäre denkbar,

Daß ein Meuchelmörder laut

Seinen Namen ausposaunen,

Seine That verkünden sollte,

Während das vergoss'ne Blut

Wider ihn noch auf zu Gott schreit?

DANDOLO.

Eure Durchlaucht woll' erwägen,

Daß, im Garten Dolabella,

Eurer Nichte eigne Augen

Diesen Abellino sah'n;

Daß die Züge in der Handschrift[147]

Hier durchaus dieselben sind,

Die wir gestern schon erblickten.

O mein Herzog, richtet nicht

Diese Zeiten nach den Tagen,

Die mir ehmals beide sah'n!

Vormals schminkte noch die Sünde

Ihr bleifarbenes Gesicht;

Strebte sie noch gern, der Blüthe

Reiner Unschuld gleich zu scheinen.

Doch das Laster heut'ger Welt,

Voller Stolz, verschmäht sogar

Auch nur Tugend noch zu heucheln.

Abgefallen ganz vom Himmel,

In verkehrter Ruhmbegier

Durch das Leben fortgewirbelt,

Will man heut in Ausschweifungen

Glänzen, groß in Lastern sein,

Held noch in Verbrechen heißen.

DOGE.

Nicht doch! bleiben wir gerecht.

Unzufriedne Schwermuth wirft

Ihren Trauerflor uns beiden

Um die Augen, um die Seele;

Darum dünkt der Schnee uns schwarz,

Und der heitre Himmel finster.

Mögen neben reinen Seelen

Immerhin Verworfne wandeln,

Wie der Schatten neben Licht;

Gott kennt Beid' und hält Gericht.

Längst schon wären alle Bande

Der Gesellschaft aufgelös't,[148]

Längst die Staaten schon zertrümmert,

Wenn der Erdball, wie Ihr wähnt,

Nur ein weiter Tummelplatz

Rasender Satane wäre.

Aber fest in den Geleisen

Heil'ger Ordnung geht die Welt,

Unserm Zweifel zu beweisen,

Daß des Guten Macht dem Bösen

Immerdar die Wage hält.

DANDOLO.

Glaubet Ihr's im Ernst, mein Fürst?

Eine altererbte Ordnung

In den Fugen festzuhalten,

Traun, bedarf's der Tugend wenig.

Denn die Bosheit selber liefert

Dazu dauerhaften Kitt.

Das Gewohnte wirkt gewalt'ger,

Als das Machtwort der Vernunft;

Unlösbarer, denn der Eid

Fesseln Eigennutz und Neid.

Glaubt Ihr, daß nur Edelmuth

Des Gesetzes Hoheit schütze?

O, die Feigheit wird viel öfter,

Als das Recht, des Rechten Stütze!

DOGE zeigt auf die Stadt in der Ferne.

Fasset Muth! Laßt Euch nicht beugen.

Seht, wie noch in Majestät

Dort Venedigs Thürm' und Tempel

Aus dem Schoos des Meeres steigen.

Seht die Riesenstadt, sie schwebt,

Ihre Zinnen in den Wolken,[149]

Herrschend, nur durch eigne Kraft,

Ueber Adria's Gewässern.

DANDOLO.

Wohl, sie schimmert noch im Lichte

Ihres Sonnenunterganges.

Doch ist sie nur noch das Grabmal

Längst gestorbner Herrlichkeit;

Ein Geripp', in dessen Innern

Würmer der Verwesung nagen.

Meuchelmörder höhnen schmählich

Des Gesetzes Heiligthum.

Und ein schwelgerischer Adel,

Buhlend um die Hand des Pöbels,

Rüstet, mit Verbrecherkünsten,

Seines Vaterhauses Sturz.

DOGE.

Dandolo, bannt die Gespenster!

Schaut, noch steht die Riesenstadt.

DANDOLO.

Ist sie's wirklich? Oder ist sie

Ihr Gespenst nur? Ist sie noch

Königin der weiten Meere?

Warum zittert Cypern? warum

Liegt ihr Corfu öd' und wüst?

Ah, ihr Zepter ist gebrochen!

Genua, des Kaisers Magd,

Spottet ihrer, zerrt die stolze

Nebenbuhlerin zu sich

In die Schmach der Knechtschaft nieder.

Wehe uns, der Tag wird kommen,

Und vielleicht ist er schon nah,[150]

Da des edeln Marcuslöwen

Leichnam Geierbeute wird.

O mein herrliches Venedig,

O mein theures Vaterland!

Weh, wenn dir einst stummer Knechtschaft

Joch den stolzen Nacken beug!

Dann wirst du, mit Wittwentrauer,

Deiner alten Helden Enkel

Halbentblößt und hungernd sehn,

Wie sie, vor zerfallnen Kirchen

Bettelnd, um ein Zehrgeld flehn.

Deine Marmormauern werden

Unbewohnt zum Schutt verwittern;

Die Kanäle und Lagunen

In Morast und Sumpf erstarren,

Sonder Wasser für die Gondel,

Sonder Erdreich für den Wandrer,

Während bleiche Fieberseuchen

Drüberhin in Nebeln schleichen.

DOGE.

Eure düstern Weissagungen

Rufen nicht und bauen nicht

Unser edeln Stadt Verhängniß.

Kommt! – Ein Wort von andern Dingen! –

Männern soll die Macht des Schicksals

Nie die Macht des Muthes rauben.

Laßt uns, statt an Weissagung,

An des Himmels Weisheit glauben.


Beide gehen ab.


Quelle:
Heinrich Zschokke: Gesammelte Schriften. Band 15, Aarau 1865, S. 144-151.
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