|
[127] Es war auch in Goldenthal, wie an andern Orten. Sobald irgend ein verständiger Mann etwas Neues auf die Bahn brachte, um damit etwas offenbar Schädliches abzuschaffen, machte sich Jeder ein Geschäft daraus, es zu verhindern. Dann ward Jeder ein Bedenklichkeitskrämer und hatte Zweifel feil; dann schüttelte Jeder den Kopf, zuckte die Achseln und sang das berühmte Lied aller feigen und trägen Memmen:
Laß es sein, es ist zu schwer;
Es geht nun und nimmermehr.
Oswald wußte das wohl, und war aus Erfahrung und Schaden klug geworden Hätte er seinen Goldenthalern den ganzen[127] langen Plan von den Armenanstalten, wie er sie im Sinn hatte, vorher bekannt gemacht, so würde Jedermann erschrocken gewesen sein, sich in der Betrachtung desselben verwirrt, ihn geradezu verworfen und dabei gerufen haben:
Laß es sein, es ist zu schwer;
Es geht nun und nimmermehr.
Oswald aber dachte: Probieren geht über Studieren. Er hatte selbst seinen ehrsamen Beisitzern nichts vom ganzen Umfang des Plans erzählt; denn es waren zwar wohlwollende, brave Männer, aber ängstliche, schüchterne Leute. Darum sagte er nie mehr, als immer stückweis etwas, das eben ausgeführt werden sollte.
Erst wurden die Armen und Bettler mit ihren Kindern aufgezeichnet und in Häusler und Spittler eingetheilt. Nun das ging. Dann wurde für jede Familie ein Vogt ernannt, und ihm vom Herrn Pfarrer erklärt, was er zu thun habe. Das kam endlich auch zu Stande. Dann schaffte man Hobel, Aexte, Sägen, auch Spinn-und Spulräder, Wollenkarden und ein paar Webstühle aus dem Armengut an. Das war keine Hexerei; eben so wenig der Ankauf von Wolle, das Hanf- und Flachssäen, das Einführen der Spinnerei und die Einrichtung der Spitalküche. So ward allmälig Eins ums Andere ins Werk gesetzt; man fand jedes Einzelne nicht zu schwer; so kam das Ganze zu Stande, und die hohe Regierung genehmigte den Plan mit großermunterndem Lobe. Man hat hintennach erfahren, daß selbst in der Regierung einige Herren den Plan für unausführbar gehalten und bespöttelt hatten, da derselbe schon, ohne daß sie es wußten, ins Werk gesetzt war.
Die meisten Sprünge machten anfangs die Spittler; sie wollten nicht in den engen Zellen schlafen. Man sagte ihnen aber: Arbeitet fleißig, so könnet ihr euch Wohnungen miethen oder Häuser bauen. Sie wollten aber nicht arbeiten, da kamen sie tagelang[128] ins finstere Loch bei kalter, schmaler Kost. Das gefiel ihnen noch weniger. Einige versuchten, ihr Loos durch Gehorsam zu verbessern, und ergaben sich in ihr Schicksal, zumal in den Wintertagen, wo es auf der Landstraße auch nicht angenehm zu reisen und zu schlafen war. Als sie einmal bessere Kost und bessere Behandlung genossen und die Arbeit gelernt hatten, und als sie schon in der Ersparnißkasse einige Gulden Eigenthum für ihre alten Tage oder für ihre Kinder besaßen, blieben sie gern da. Denn sie wollten das kleine an Zins gelegte Vermögen nicht im Stich lassen, und wurden begierig, es zu vermehren. – Andere aber liefen davon und in die weite Welt hinaus, um müßig zu gehen und zu betteln. Nun, dann war's ihr eigener Schade; die Gemeinde hatte nur den Nutzen, sie nicht mehr erhalten zu müssen. Einige von den Weggelaufenen kamen nie wieder zum Vorschein. Das war für Goldenthal kein Unglück. Andere wurden, als Bettler, von den Polizeibedienten des Landes aufgefangen und wieder zurückgebracht. Die besuchten zuerst das finstere Loch, und dann kamen sie wieder an die gemeine Arbeit, wie zuvor. – Binnen drei Vierteljahren war es mit allen Widerspenstigen in der Ordnung, und es gab keinen bettelnden Goldenthaler mehr, außer einige Weggelaufene in fremden Ländern.
Die Häuslerfamilien wollten sich anfangs auch auf die Hinterfüße stellen, und den Dreck und Unflath vertheidigen, worin sie zu leben gewohnt waren. Und sie klagten und schrien bitterlich über die Hartherzigkeit der Goldenthaler, die ihnen nicht mehr unentgeltlich wollten zu essen und zu trinken, und ihnen nicht einmal Geld in die Hände geben. Allein der Hunger und das finstere Loch machten zuletzt auch die Sprödesten geschmeidig, und die Goldenthaler blieben dabei: wer essen will, soll arbeiten; wer es gut haben will, soll gut thun.
Die Verwaltung des Spitals war vorzeiten kostbarer gewesen.[129] Jetzt kostete sie nichts. Nicht der Pfarrer, nicht Oswald, nicht Elsbeth wollten sich am Armengut bereichern. Die Spittler selbst mußten die angewiesenen Haus- und Unteraufsichtsgeschäfte verrichten. Ward ihnen solch ein Aemtlein vertraut, war es Belohnung ihres Wohlverhaltens; ward es ihnen genommen, war es Strafe. Einer lauerte dem Andern dabei auf den Dienst. Die Spital-Gärten und Güter gaben Nahrung genug, und auch was die armen Familien am ehemaligen Weidland zum Antheil empfangen hatten, wurde abträglicher, weil es gemeinschaftlich angebaut und besorgt ward. Die Unfleißigen bezahlten dem Spital mit dem, was sie auf dem Pachtland ärnteten, ihre Kost und Kleidung, und was sie noch erübrigten, ward in Geld verwandelt und für sie ein Schatz in der Ersparnißkasse.
Die Männer im Spital stellten sich anfangs zum Hobeln und Sägen, zum Wollekrämpeln und Weben ungeschickt genug an. Aber sie mußten lernen. Ein Meister aus der Stadt brachte das Ding bald ins Geleis; der war ein verständiger Mann und großer Verehrer und Freund des Herrn Pfarrers. So kostete die Bekleidung der Armen dem Spitalgut wenig, und die Anschaffung von Bänken, Stühlen, Bettgestellen, Schränken und andern Geräthschaften, wie auch Ausbesserung am Hause, fast nichts. Die Spittler mußten auch für die Häusler Geräth machen; so ward jede Familie damit wohl versehen und gewöhnte sich an einige Bequemlichkeiten.
So wie das Armengut und Spital dabei gewann, weil so viele Hände nur für Kost und Kleidung arbeiteten, so gewannen auch die Häusler und Spittler dabei an Vermögen und Eigenthum. Denn was sie außer den acht üblichen Stunden mehr arbeiteten, konnten sie zu ihrem Nutzen in Geld verwandeln und in der Ersparnißkasse an Zins legen; eben so, was sie von den Erzeugnissen ihres Pachtlandes erübrigen und verkaufen lassen konnten. Das[130] war kein geringer Vortheil. Die Menschen wurden arbeitslustig und bekamen Freude am Sparen und Vermehren ihres Eigentums, weil sie die Zeit voraussahen, da sie ganz unabhängig leben und einen gewissen Wohlstand zu genießen im Stande waren.
Am besten hatten es die Spitalmeister und die Aufseher, welche selbst Spittler waren. Denn Alles, was sie neben ihren Amtsverrichtungen arbeiten konnten und verkaufbar war, das wurde zu ihrem Nutzen verkauft. Darum war Jedermann beflissen, sich wohl zu halten, um zu einer solchen Stelle zu gelangen. Und diejenigen, welche das Aemtlein hatten, nahmen sich wohl in Acht, etwas von den ihnen übertragenen Pflichten zu versäumen. Der kleinste Fehler konnte sie um den vorteilhaften Dienst bringen, auf welchen Viele hofften.
Es gab zuletzt in der Armenanstalt Goldenthals recht geschickte Arbeiter. Nicht nur die Bauern im Dorfe, sondern selbst viele Leute aus der Stadt kauften von den hier verfertigten Waaren, oder ließen hier arbeiten. Und wenn so ein geschickter Arbeiter spürte, er verdiene mehr, wenn er für sich allein arbeite, verließ er das Spital und miethete sich Wohnung im Dorf oder in der Stadt und lebte für sich selber. Das feuerte nun wieder die Andern an, ebenfalls recht geschickt zu werden.
Im Dorfe war natürlich Jedermann froh, nicht mehr vom Bettelgesindel geplagt oder in Häusern und Gärten nächtlicher Weise bestohlen zu sein. Jeder schickte mit Freuden, statt der Almosen, etwas ins Spital, wenn es irgend in demselben an etwas fehlte. Allein es zeigte sich noch ein anderer Vortheil für das Dorf, an den vorher Niemand gedacht hatte. Nämlich, hatte es im Sommer an Feldarbeit gemangelt, so waren andere Arbeiten im Freien vorgenommen worden. Und so war's gekommen, daß alle Gassen des Dorfes, wo man sonst bei schlechtem Wetter im Koth bis über die Knöchel waten mußte, mit Steinen besetzt wurden;[131] daß der Bach im Dorfe, der sonst überlief und große Pfützen bildete, mit Gemäuer eingefaßt stand; daß die Feldwege und Fußstege ohne Löcher waren; daß die Gemeindswaldungen keine Stelle mehr hatten, die nicht mit jungen Setzlingen den erfreulichsten Nachwuchs zeigte. Weit umher im Lande sah man keinen Wald in besserer Ordnung, und kein säuberlicheres Dorf als Goldenthal. Es kamen sogar große Herren von der Regierung und besichtigten die Goldenthaler Anstalten und Einrichtungen, und hätten dergleichen gern überall gehabt. Allein sie sahen sich in andern Dörfern oft vergebens nach dem edeln Pfarrer Roderich, nach dem menschenfreundlichen Oswald und seiner eifrigen Gehülfin Elsbeth um. Dennoch ward es auch anderswo mit Abänderungen und mit Glück versucht. Und daran that man Recht. Probiren geht über Studieren. Und wo man mit eifriger Menschenliebe was Rechtes will, da geschieht auch was Rechtes.
Ausgewählte Ausgaben von
Das Goldmacherdorf
|
Buchempfehlung
Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.
68 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro