29. Wieder etwas Neues.

[132] »Was hat auch der Oswald wieder?« fragten sich die Bauern unter einander. Denn wenn alle Leute Feierabend hatten, lief er noch mit dem Schulmeister und einigen jungen Burschen in den Feldern herum. Die schleppten sich mit Ketten, steckten lange Stangen in die Erde, und Oswald sah immer über einen kleinen, langbeinigen Tisch nach den Stecken, und konnte sich nicht satt daran sehen. Und der Schulmeister Heiter that es auch gern. Und an den Stecken war doch nichts zu sehen.

Das ging beinahe ein Jahr lang so. Und da die Bauern hörten, daß Oswald das Land und alle Felder vermessen und alle Wege und Stege in einen Plan bringen lasse, ward Vielen bange. Denn es ging wieder die Rede vom Krieg und sie dachten, der Oswald könne dem Feind das Land verrathen wollen.[132]

Es verhielt sich aber folgendermaßen: Oswald verstand das Feldmessen und hatte Bücher, die davon handelten. Und er hatte seinen Liebling, den Johannes Heiter, auch in dieser Kunst unterrichtet, nebst andern Bauernburschen, die Kopf dazu besaßen. Weil nun die Waldungen der Gemeinde sehr genau ausgemessen waren, kam er auf den Einfall, nach und nach in den Nebenstunden alle Güter, Wege und Stege des ganzen Gemeindsbezirks zu vermessen und daraus eine große Karte zu machen.

Auf der Karte sah man sehr deutlich jedes Stück Land, jeden Steg, jeden Hag, jedes Haus. Eine Juchart war beinahe einen Zoll ins Geviert groß. Und die große Karte, wie sie fertig war, wurde im Gemeindshause aufgehängt. Da liefen nun tagtäglich Bauern hin und beschauten den Plan, und wunderten sich sehr. Denn sie fanden sich bald zurecht, und Jeder erkannte seinen Acker, seinen Garten, seine Wiese. Und was das Beste war: in jedem Stück Feld oder Acker stand die Größe desselben, genau bis auf einen halben Schuh, geschrieben. Nun erst wußte Jeder recht eigentlich, wie groß seine Aecker und Wiesen waren, und er schrieb sich die Zahlen sorgfältig ab. Das war beim Kauf und Verkauf keine Kleinigkeit; denn bisher hatte man das Land nur nach Schritten geschätzt, und Mancher zu wenig angegeben, Mancher zu viel. Das war allerdings nun ein großer Nutzen.

Der Vorsteher Oswald sagte aber zu den Leuten, wenn sie den Plan betrachteten: »Das ist noch nicht der größte Nutzen; ich weiß noch einen bessern.« Wenn sie ihn darum fragten, antwortete er: »Habet ihr's bis Lichtmeß nicht errathen, so will ich es euch dann sagen.« Sie erriethen es aber nicht.

Als nun Lichtmeß kam und die Gemeinde wegen verschiedener Angelegenheiten versammelt war, trat Oswald, nachdem man alles abgethan hatte, hervor und sprach: »Ihr Alle kennet sattsam den Plan von unserm Gemeindsbezirk, wie ihn der Schulmeister[133] Johannes Heiter mit seinen Schülern genau und zierlich verfertiget hat. Ihr Männer, liebe Mitbürger, Jedermann hat dabei seine besondern Gedanken gehabt, und auch ich die meinigen. Und diese will ich euch offenbaren.«

»Wenn ich die Felder übersah, die wir im Schweiße unsers Angesichts bauen, nicht ohne Segen von Gott dem Herrn, so that es mir oft weh im Herzen, daß die Arbeit uns so viel Mühe macht, und es that mir oft weh im Herzen, daß dabei Vieles nicht so gut angebaut ist, und folglich auch nicht so viel abträgt, als wohl sein sollte. Und ich warf meine Augen noch einmal auf den Plan, und siehe, da wurden auch die Augen meines Geistes eröffnet, und ich erkannte einen Hauptfehler in unserer Feldwirthschaft.«

»Ihr Männer, liebe Mitbürger, es liegt nun sonnenklar am Tage, wenn ihr euch unter einander verstehet, so werden eure meisten Güter mit geringerem Aufwand von Zeit und Unkosten besser besorgt werden und abträglicher sein können, als bisher.«

Da riefen viele Bauern: »Dazu wollen wir uns ohne Mühe mit einander verstehen, wenn es nicht einmal so viel kostet, als sonst!«

Oswald sprach: »Ich wünsche Glück dazu. Ich will euch sagen, was bisher viel Unkosten verursacht hat, die ihr nun sparen könnet, wenn ihr wollet. Das ist die Zeit! – Jeder von euch hat nämlich sein Land nach und nach zusammengeerbt oder zusammengekauft, wie es kam. Da hat er ein Stück am Berg liegen, ein anderes hinterm Wald, ein anderes wieder jenseits der Brücke, ein anderes neben der Landstraße, wieder ein anderes am Bach, und noch ein anderes beim Steinbruch. Da muß er nun Viertelstunden weit unnütz umherlaufen von einem Stück zum andern, eben so die Knechte und Mägde, eben so die Fuhre mit dem Dünger. Da wird ein Theil des Tages bloß mit Gängen und Läufen verloren,[134] wo man hätte arbeiten können. Da werden Magd und Knecht für Hin- und Hergehen bezahlt, was doch nichts einträgt. Es wird daher um so viel weniger im Tage gearbeitet, und das Land um so weniger mit größtem Fleiß bearbeitet, weil es an der nöthigen Zeit gebricht. Mancher scheut sich, noch etwas Land zu kaufen, weil er das seinige kaum recht in Ordnung besorgen kann; und doch hat er nicht viel. Aber das Umherziehen von einem Stück zum andern nimmt die Zeit weg. Lägen alle seine Felder beisammen und wäre ein Ganzes, er könnte mit eben so vielen Leuten in eben so vieler Zeit noch einmal so viel Land besorgen, als er jetzt hat, und um so viel reicher sein.«

Die Bauern sagten: »Das ist ganz richtig, aber es läßt sich nicht ändern. Man kann seine Aecker nicht auf den Rücken nehmen und an einen Haufen legen.«

Oswald sprach: »Das könnet ihr, wenn ihr wollet, nun ihr den Plan vom Gemeindsbezirk habet und nun Jedermann weiß, wie groß jedes seiner Stücke ist. Aber ich sage euch, die Sache hat viel Schwierigkeiten. Ihr müsset mit einander die zerstreuten Stücke austauschen, so daß endlich Jeder sein Land im Zusammenhang hat, als ein einziges Stück. Da rede Jeder mit seinen Nachbarn und Anstößern. Entschädiget einander, wo der Eine ein paar Schuhe Land mehr oder bessern Boden hat, als der Andere. Und wenn Einer oder der Andere beim Tauschen wirklich etwas einbüßen sollte, so gewinnt er doppelt dadurch, daß er Alles beisammenliegend hat. Wo ihr nicht eins mit einander werdet, nehmet unparteiische Schätzer oder billige Schiedsrichter, oder ziehet Loose. Ich sage: lasset euch durch kein Hinderniß abschrecken, oder seid darum nicht zufrieden, weil ihr es jetzt seit vielen Jahren so gewohnt seid; es kommt darauf an, daß ihr reicher werden könnet, ohne größere Mühe.«

Als der erste Vorsteher so geredet hatte, ging die Gemeinde[135] kopfschüttelnd aus einander. Zwar Alle sagten, der Gedanke sei gar gut; aber man würde nun und nimmermehr einig werden.

Inzwischen dachten doch Einige in müßigen Augenblicken daran, welches Stück von ihren Feldern sie wohl Dem und Diesem für das seinige geben könnten, das an das ihrige stieß. Sie fingen sogar zum Spaß an, davon mit den Angrenzern zu reden. Diesen war dann das Angebotene nicht allezeit gelegen, und wünschten ein anderes, das dem Dritten gehörte, zu empfangen. Da begrüßten beide Theile nun den Dritten. Einer stieß den Andern. Bald machte Jeder Plane für sich, seine Besitzungen auszurunden und in ein einziges Stück zu verbinden. In kurzer Zeit griffen die Unterhandlungen um sich. Manche gelang, manche scheiterte. Immer kam dabei etwas heraus. Es war in Goldenthal wie an einer Landversteigerung oder wie auf einem Gütermarkt, zumal im Winter, da man mehr müßige Stunden hatte und Abends zum Gespräch zusammenkam, bald bei Diesem, bald bei Jenem. Denn ins Wirthshaus zu gehen und das gute Geld durch die Gurgel zu jagen und einem Vieh gleich zu werden, schämten sich alle Ehrenleute im Dorfe. Lieber tranken sie ihr Glas bei Weib und Kind und mit denselben an einem Sonn- und Festtage.

Oswald hatte es vorausgesagt: der Gütertausch hat Schwierigkeit! So war es auch. Allein im ersten halben Jahr war es doch schon Fünfen fast ganz gelungen, all ihr Land beisammen zu haben. Das verdroß die Andern. Sie sahen den Nutzen davon sehr wohl ein. Nun setzten sie den Kopf daran, es auch so weit zu bringen. Das Gemeinhaus ward beständig besucht am Abend. Da standen immer einige Bauern vor der großen Karte, und handelten und stritten, daß man es draußen hörte, und liefen aus einander im Zorn, und traten wieder mit neuen Vorschlägen zusammen.

Was war die Folge? Von Jahr zu Jahr rundeten sich die[136] Güter immer besser zu, und die guten Wirkungen wurden auffallend sichtbar.

Quelle:
Heinrich Zschokke: Novellen und Dichtungen, Band 16, Aarau 1857, S. 132-137.
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