[111] Hans Dampf

Hans Dampf, der seine Mitbürger sehr gut kannte, saß wohlgemut und furchtlos zu Hause, wo ihn seine alte Haushälterin verpflegte. Er wußte sehr gut, daß in wenigen Tagen alles anders werden könnte, daß seine lieben Lalenburger, groß in Worten, klein in Taten, ihm, auch wenn er entdeckt werden sollte, kein Haar krümmen würden. Ohnehin tröstete ihn sein gutes Gewissen, denn er hatte dem Fürsten von Luchsenstein noch nie eine Fliege totgeschlagen.

Wie er aber von der treuen Haushälterin, die von Zeit zu Zeit ausging, Staatsneuigkeiten und Ratsverhandlungen zu erfahren, die seltsame Mär hörte, er sei zum Hofrat des Fürsten ernannt, um dessen Leibhund Unterricht in der deutschen Grammatik zu geben, die Ratsdeputation habe ihm im Staatsgefängnis vergebens ihre Aufwartung gemacht, die ganze Stadt wäre in außerordentlicher Bestürzung, sowohl wegen seines Verschwindens als wegen der unergründlichen Art desselben,[111] da, aufs genaueste untersucht, Mauer-und Gitterwerk, Nägel und Amtssiegel unversehrt gefunden worden, so bereute er fast seine Flucht. Um also die Sache so bald als möglich ins Gleis zu bringen, kleidete er sich aufs prächtigste, zündete seine Tabakspfeife an, legte sich damit weit ins offene Fenster, rauchte ganz harmlos und grüßte freundlich die Vorübergehenden. Er erreichte damit seinen Zweck, denn jeder blieb stehen und gaffte verwundert herauf. Das Gerücht flog wetterschnell durch die Stadt, der wunderbar verschwundene Hofrat rauche zum Fenster heraus seine Pfeife; alles lief hin, sich von der Wahrheit des Gerüchtes selbst zu überzeugen, je weniger man daran glaubte. In einer halben Stunde war die Gasse gedrängt voller Menschen von einem Ende bis zum andern; die Honoratioren der Stadt, in die Nachbarschaft zu Bekannten und Freunden geeilt, sahen rechts und links gegenüber Kopf an Kopf gedrängt zu den Fenstern heraus, während Schornsteinfeger, Maurer Zimmerleute und freche Buben ihre bequemen Plätze auf den Dächern gegenüberstehender Häuser wählten, den neuen Hofrat zu sehen, der mit eben so großer Neugier und Freude das Volksgewimmel betrachtete, wie er von demselben angestaunt wurde.

Mit unsäglicher Mühe arbeitete sich die Ratsdeputation durch das Gewühl der Gaffer zu seinem Hause. Er empfing sie mit herablassender Huld. Der Bürgermeister selbst hatte sich nun an ihre Spitze gestellt und eröffnete seine Rede mit den Worten: »Hoch- und wohlgeborner Herr fürstlicher Hofrat! Leider ist in unserer teuren Vaterstadt wahr geworden, was jener spricht: ›Kein Prophet gilt weniger als in seinem Vaterlande.‹« Aus diesem Text spann der Konsul nun eine lange Glückwunschsrede, die sich mit schmeichelnden Komplimenten und Entschuldigungen wegen der gestrigen Übereilung eines wohlweisen Rates endete. Darauf ward das Schreiben des Fürsten überreicht. Alle Ratsherren weinten Freudentränen. Der potenzierte Staatsbaumeister hielt ihm nun eine vortreffliche[112] Gegenrede, die so lange währte, bis sich das Volk auf den Straßen verlaufen und die Deputation vollkommen aufgehört hatte, Freudentränen zu vergießen. Dann erschien der fürstliche Kutscher und meldete, daß Se. Durchlaucht befohlen, der Hofrat solle noch diesen Abend sich in der Residenz zur Audienz einfinden.

Da war nun nicht zu säumen. Der entzückte Hans Dampf packte ein und saß nach einer Stunde schon in der fürstlichen Kutsche. Eine ungeheure Volksmenge war wieder versammelt, ihn einsteigen zu sehen. Jeder nahm in tiefer Ehrerbietung den Hut oder die Kappe bei dem Anblick des goldverbrämten Kutschers und des bestäubten Reisewagens ab. Denn so stolz auch jeder Lalenburger auf seine republikanische Unabhängigkeit und Freiheit war, und wiewohl auch der ärmste Teufel sich als freier Bürger einem König gleich dünkte, hatte doch jeder Lalenburger immerdar eine geziemende knechtische Ehrfurcht vor allem, was fürstlich war.

Hans Dampf mußte noch den gleichen Abend zu Sr. Durchlaucht. Fürst Nikodemus war ein vortrefflicher Herr, dem nur ein Kaisertum fehlte, um einer der größten Monarchen zu sein; so aber war er nur ein kleiner mit großen Schulden. Zu seinen edelsten Vergnügungen rechnete er wie billig die Jagd, und daraus läßt sich erklären, daß an seinem Hofe mehr Hunde als Menschen lebten. Gesellschaften liebte er sonst nicht. Obwohl er eigentlich kein Menschenfeind war, äußerte er doch manchmal in vertrauten Zirkeln, daß er viel darum geben würde, wenn er, mit Ausnahme des Jagdpersonals, alle seine lieben und treuen Untertanen in Hirsche, Rehe, Wildschweine, Hasen, wilde Gänse, Enten, Schnepfen, Rebhühner und dergleichen verwandeln könnte. Er glaubte, sie würden ihm dann mehr Vergnügen machen und Nutzen bringen.

»Hör Er einmal!« redete der Fürst seinen neugeschaffenen Hofrat an, der ihm in untertänigster Untertänigkeit den Rockzipfel küßte: »Ist Er's also, der die Hunde sprechen lehren kann?[113] Sieht er hier die Fidele? Schade, daß das arme Tier sich nicht mündlich auszudrücken versteht; aber auf Ehre, was ich dem Geschöpf sage, begreift es.« Darauf befahl Nikodemus dem Hunde auf deutsch, französisch und italienisch allerlei, und der Hund vollzog die Aufträge mit bewundernswürdiger Pünktlichkeit.

»He, was sagt Er dazu?« fragte der Fürst mit freudeglänzenden Augen.

»Wie Ew. Durchlaucht befehlen!« antwortete der Lalenburger.

»Hofft Er die Fidele zum Sprechen zu bringen?«

»Wenn man uns beiden Zeit genug läßt –«

»Daran soll es nicht fehlen. Hör' Er einmal, fange Er nur mit dem Deutschen an. Französisch kann nachher vorgenommen werden, wenn das Tier in der Muttersprache hinlängliche Progressen gemacht hat. Er kann hier im Schlosse bei mir logieren. Mein Haushofmeister soll Ihm ein Zimmer anweisen. Er muß sich nur erst das Tier recht attachieren, daß es gern bei Ihm bleibt. Wenn Er Seine Sache gut macht, soll Er noch schöne Récompense haben. Ich werde von Zeit zu Zeit nachfragen, wie es mit den Lektionen geht. Versteht Er auch Französisch?«

»Ew. Durchlaucht, zum Unterricht der liebenswürdigen Fidele verstehe ich genug davon; doch wird mir die französische Sprache etwas mühsam zu reden und zwar bloß wegen eines kleinen Fehlers meiner Zunge. Denn es geschieht zuweilen, daß sie das Wort nicht gleich herausbringen kann, was ich meine.«

»Und italienisch?«

»Ew. Durchlaucht, damit habe ich auf Universitäten guten Anfang gemacht, aber das ist leider schon lange her.«

»Nun, nun, so laß Er's, mon cher.«

»Ew. Durchlaucht, ich bitte untertänigst ab, ich habe sie nicht bei mir.«

»Was?«[114]

»Die Schere.«

»Ei, ei, was Schere? Was macht Er da gleich für eine tolle faute?«

Der Hofrat besah sich schamrot die Hände und versteckte dieselben, weil er glaubte, Se. Durchlaucht rede von seiner Pfote.

»Nun, geh Er jetzt nur! Laß Er sich sein Logement zeigen und sich brav Wurst aus meiner Küche geben, denn Fidele frißt sie gern. Damit gewinnt Er gleich ihr Herz.«

Der Hofrat merkte, daß ihm die Tür gewiesen sei, und nahte sich derselben unter vielen Verbeugungen rücklings, weil er nicht wider die Ehrfurcht fehlen und dem Fürsten den Rücken zukehren wollte. Dabei kam ihm aber unvermutet Fidele, ein derber Jagdhund, zwischen die Beine, und er stürzte so ungeschliffen rückwärts zu Boden, daß ihm die Füße im Aufschwung hoch über den Kopf emporfuhren. Hans Dampf ließ einen tiefen Seufzer fahren, der Hund schrie vor Schrecken laut auf, und Nikodemus lachte sich fast krank. »Nun, ihr fangt an, miteinander Bekanntschaft zu machen!« rief der Fürst, und der Hofrat lief unter Millionen Abbitten zur Tür hinaus.

Quelle:
Heinrich Zschokke: Hans Dampf in allen Gassen. Frankfurt a.M. 11980, S. 111-115.
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