Hans Dampf hatte aber gerade soviel und sowenig Gewissen, wie ein großer Staatsmann haben soll, der lieber eine Provinz als einen seiner Einfälle umkommen läßt, und dem gar behaglich zumute sein kann, wenn auch einem ganzen Volke bei seiner Staatsklugheit höchst übel ist. Als ihn eines Tages einer von den treuen Fürstenräten auf die traurigen Wirkungen der Nimrodswut aufmerksam machte, erwiderte er: »So wahr ich Hans Dampf heiße, alles Gute hat sein Böses, alles Böse sein Gutes.[120] Wenn es aber Gesetz wäre, daß ein Staatsmann allen Klagen im Lande ein Ende oder ein Arzt alle seine Kranken gesund machen müßte, wer möchte wohl Staatsmann oder Arzt werden wollen? Darum, lieber Freund, laßt uns getrost sein. Der liebe Gott hat die Welt so vortrefflich geschaffen, daß unsereins lange daran herumpfuschen kann, ehe er etwas verpfuscht!«
Wirklich mochte diese große Maxime nirgends besser bewährt worden sein als im Luchsensteinischen. Denn da waren seit mehr denn hundert Jahren abwechselnd alle möglichen und unmöglichen Staatstheorien versucht worden, ohne daß das Land darum öde und menschenlos geworden wäre. Jeder neue Fürst oder Minister machte neue Ordnungen und schaffte die alten ab; der eine baute Klöster, der andere machte Kasernen daraus; der eine legte für Staatsrechnung Fabriken an, der andere verkaufte die junge Mannschaft regimenterweise gleich andern Landesprodukten und hob die Fabriken auf; der eine wollte aus seinem Staate einen großen Harem, der andere daraus einen einzigen Tiergarten machen. Item, die Menschen mehrten und nährten sich dabei nach wie vor, sobald sie nur einmal die große Wahrheit recht beherzigt und sich daran gewöhnt hatten, daß sie zum Vergnügen ihrer Herren und nächstdem auch zu ihrer eigenen Freude geboren wären, übrigens dem neuesten System gemäß heut links, morgen rechts, heut vorwärts, morgen rückwärts marschieren müßten. Auch konnte alles Unheil des Nimrodsordens nichts an der Ehrfurcht, Hochachtung, Liebe und Bewunderung vermindern, mit welcher man dem Ordenskanzler begegnete, wo er sich blicken ließ. Denn er war die Rechte des angebeteten und von seinem Volk vergötterten Fürsten.
Es fehlte ihm dabei nicht an Neidern, aber er bemerkte sie kaum. Auch war er in der Gnade seines Herrn so fest, daß er in den Augen desselben seinen Wert nicht verlor, selbst als die genialistische Fidele krank ward und starb. Ohne Zweifel war das arme Tier das Opfer einer Verschwörung und Hofkabale geworden.[121] Denn der Leibarzt hatte am Leibhund Spuren einer Vergiftung bemerkt, und geflissentlich brachte man das Gerücht vor die Ohren Sr. Durchlaucht, es möge der Ordenskanzler seinen Zögling wohl selbst aus der Welt geschafft haben, um ihn nicht reden lehren und am Ende gestehen zu müssen, daß er nur ein leerer Prahler sei und die Kunst nie verstanden habe. Hans Dampf hatte zu aufrichtige Tränen um Fidelens Tod geweint, und der ganze Hof zu unverhohlene Gleichgültigkeit beim Absterben des edeln Tieres bewiesen, als daß Nikodemus durch boshafte Verleumdungen hätte getäuscht werden können. Im Schloßgarten unter Tränenweiden und Zypressen ward dem unvergleichlichen Hunde ein marmorner Obelisk errichtet und dazu einer der berühmtesten Bildhauer Italiens verschrieben.
Man kann zwar nicht sagen, daß Hans Dampf eigentlich Freunde gehabt hätte, aber wer hat denn am Hofe und in der großen Welt Freunde? Oder wer könnte einzelner Menschen Freund sein, der wie ein Hans Dampf aller Welt angehört? Dabei verlor jedoch der Ordenskanzler nichts. Er war jedermanns Vertrauter. Nicht nur der Fürst, sondern auch dessen Halbbruder, der Graf von Krähenburg, nannte ihn seinen Allesmacher. Jeder lächelte ihm, er jedem zu. Selbst die schönen Luchsensteinerinnen lächelten. Allein er war auch ein liebenswürdiger Mann, der nichts übelnahm und der sein ganzes Vergnügen darin fand, die Freuden anderer zu vermehren.
Freilich gelang ihm das nicht immer vollkommen, und dann hatte er gewöhnlich nachher Todesverdruß und Undank für seinen besten Willen. Ich will nur zum Beispiel die Geschichte eines einzigen Tages erzählen.
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