[545] Gemüt ist im allgemeinen die innere (seelisch-geistige) Seite unsers Wesens überhaupt, im besondern die Fähigkeit zum Fühlen, im Gegensatz zum Geiste, der Fähigkeit zum Denken, und zum Charakter, der Grundlage des Wollens. Wie von fast allen Völkern der Sitz des Denkens und des (besonnenen) Willens in den Kopf verlegt wird, so findet sich fast ebenso übereinstimmend die Anschauung, daß das G. in der Brust (im Herzen) wohne, wohl deshalb, weil die meisten Gefühle mit Modifikationen der Herztätigkeit eng verknüpft sind, was besonders bei jenen heftigen Gefühlszuständen hervortritt, die die Psychologie als Gemütsbewegungen (s.d.) oder Affekte bezeichnet. An diesen letztern zeigt sich auch besonders deutlich, daß bei den Erregungen des Gemüts das Subjekt eine vorwiegend passive Rolle spielt (oft wird es von seinen Gefühlen »überwältigt«), während es sich im Denken und Wollen wesentlich aktiv verhält. Man hat deshalb das G. bisweilen für eine mehr schädliche als nützliche Anlage erklärt. In der Tat wirkt es schädlich, wenn es, unter teilweiser oder völliger Verkümmerung der aktiven Vermögen, im Übermaß oder einseitig entwickelt ist; aber der reine Verstandesmensch, der immer »kalt« bleibt und nur aus nüchterner Berechnung handelt, bezeichnet ein ebenso ungesundes Extrem wie der reine Gemütsmensch, der durch äußere Eindrücke nur zu Gefühlen, nicht zu Gedanken angeregt wird und nach seiner jeweiligen Stimmung, nicht nach klaren Grundsätzen handelt, bez. überhaupt energischer Tatkraft ermangelt. Jenes kommt beim männlichen, dieses beim weiblichen Geschlecht am häufigsten vor. Je nach dem Grade der Erregbarkeit des Gemüts und der Natur der in ihm vorherrschenden Gefühle unterscheidet man verschiedene Gemütsarten; heftiges und sanftes, veränderliches und treues, reiches und armes, rohes und zartes, ernstes und heiteres, weltliches und religiöses, gutes und böses G. bilden Gegensätze verschiedener Art. Im engsten Sinne versteht man dann unter G. auch oft speziell das für die (sympathetischen) Gefühle des Mitleids und der Mitfreude besonders empfängliche und nennt den entsprechenden Mangel Gemütlosigkeit. Gemütlich heißt, was das G. anspricht, befriedigt, aber auch was aus dem G. kommt; Gemütlichkeit (im übeln Sinne) die Neigung zu behaglich-geselligem Verkehr, der zu nichts verpflichtet, die Scheu vor strengem Denken und entschiedener Tat, die dem Ernst des Lebens aus dem Wege geht.