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[47] Die Künstlererscheinung Robert Schumanns ist ein interessantes musikalischpsychologisches Problem. Während bei anderen Meistern die eigentliche Individualität erst im Verlaufe einer längeren Entwicklung sich Bahn bricht, entschleiert er alsbald in seinen ersten Jugendwerken die charakteristischen Züge seiner Muse. Sein spezifischer Stil offenbart sich nirgends so deutlich, wie in diesen Klavierstücken op. 1 – 23. Er hat ihn wohl später auf grössere Formen übertragen, auch da und dort seine Mängel durch formale Abklärung zu decken gewusst – verleugnet hat er ihn nie. Und gerade darum sind eben jene Werke aus den Jünglingsjahren für denjenigen, der Schumanns Kunst an der Quelle studiren will, so überaus wichtig.
Der Stil eines Künstlers ist das Produkt aus seiner Veranlagung und seiner Erziehung. Nach beiden Seiten hin gewährt gerade Schumann ein höchst eigenartiges Bild. Der geniale junge Feuerkopf, dem jederzeit eine Fülle der originellsten Ideen zuströmt, zeigt sich auch in jenen Werken, nicht minder aber auch zugleich eine gewisse Unfähigkeit, die gewonnenen Ideen organisch zu verarbeiten, den angefangenen Faden logisch weiter zu spinnen. Und so schweben denn diese kurzen Momentbildchen in einer Art von traumhaftem Helldunkel kaleidoskopartig an uns vorüber, jedes einzelne scharf gezeichnet, doch in ihrer Gesammtheit kein organisches Ganzes bildend. Schumanns Anlage kam hierin dem Zug der Zeit auf das Glücklichste entgegen, der unter der mächtigen Einwirkung der musikalisch-dramatischen Schöpfungen Webers auch in der reinen Instrumentalmusik das poetisirende Element immer stärker zu betonen begann. Es war die Zeit der dichtenden Musiker und der musizirenden Dichter. Eine junge Kunst war allerorts im Aufblühen, und wie jede junge Kunst, arbeitete auch sie zunächst noch mit kleinen Mitteln und kleinen Motiven. Hierher gehören die Klavierstücke Webers, der moment musical Schuberts, das Lied[48] ohne Worte Mendelssohns, vor Allem aber die Klaviermusik Schumanns. Es geht ein echt romantischer Frühlingshauch durch all diese Stücke; die überall aufspriessenden Melodiekeime und Ansätze, die sich nur selten zu einer breiten Kantilene entwickeln, dazwischen das Blüthengeranke der arabeskenartigen Figuren mit seiner unerschöpflichen Mannigfaltigkeit – alles dies verleiht Schumanns Klaviermusik einen Zauber, den wir in der Klavierlitteratur nicht zum zweiten Male antreffen.
Die musikalische Erziehung, die Schumann im Elternhaus genoss, wies gar manche Lücken auf. Den immerhin bedenklichen Mangel eines geregelten Klavierunterrichts vermochte er zwar durch seine glänzende Begabung und seinen eisernen Fleiss zu decken, ja er kam ihm sogar insofern zustatten, als er schon früh dazu gelangte, sich seinen eigenen Stil und Geschmack zu bilden. Spuren fremder Klaviertechnik finden sich auch in seinen frühesten Werken nur sehr selten. Weit schlimmer war das Fehlen der musiktheoretischen Unterweisung. Noch zur Zeit seines Unterrichts bei Dorn lebte er des naiven Glaubens, dass zum Komponiren lediglich Phantasie und ein gutes Gehör von Nöthen sei und schrieb lustig darauf los, »ein reiner, einfältiger Zögling der leitenden Natur.«62 Den Mahnungen Wiecks gegenüber verhielt er sich schroff ablehnend, und auch über Dorn äussert sich der begeisterte Verehrer Bachs anfangs sehr ungehalten: »er will mich dahin bringen, unter Musik eine Fuge zu verstehen.«63 Allerdings gelangte er auch über diesen Punkt sehr bald zu einer besseren Einsicht und bestrebte sich nach Kräften, das Versäumte nachzuholen. Auch Schumann ist es nicht leicht geworden, die Herrschaft über die Form zu erringen, und noch bis weit in seine Mannesjahre hinein macht sich in seinen Werken nach dieser Richtung hin eine gewisse Befangenheit geltend.
Weitaus die tiefgreifendsten Folgen für seine ganze spätere Entwicklung aber hatte ein weiteres Moment, nämlich die systematische Beschränkung auf das Klavier. Das Klavier war der Boden, aus dem Schumanns gesammte Ideenwelt erwachsen ist. Nicht nur dass er seine 23 ersten Werke für dieses Instrument allein schrieb, noch bis zu »Paradies und Peri« (op. 50) gewöhnte er sich daran, seine Gedanken überhaupt am Klavier zu konzipiren. Es leuchtet ein, dass in Folge davon sein gesammtes Schaffen stark unter dem Banne des Instruments steht, dass alle seine Ideen einen mehr oder minder fühlbaren klaviermässigen Charakter tragen. Sowohl seinen Liedern, als seinen Orchesterkompositionen hat der Klavierkomponist Schumann seinen unauslöschlichen Stempel aufgedrückt. Erst in weit späteren Jahren begann er auch der Vokalmusik gerecht zu werden.
Schauen wir uns nach dem geistigen Nährboden um, aus dem jene Werke erwuchsen, so treffen wir auch hier wieder auf – Jean Paul. Recht bezeichnend für sein geistiges Verhältniss zu diesem Dichter ist Schumanns gelegentlicher Ausspruch, dass er »von Jean Paul mehr Kontrapunkt gelernt habe, als von seinem Musiklehrer.«64 Nicht allein, dass sich in den Klavierwerken da und dort direkte Anknüpfungspunkte an Jean Paul finden, die ganze Atmosphäre, die in diesen Stücken weht, ist jean-paulisch, und sehr treffend bemerkte Lyser in Saphir's Humorist vom 20. Oktober 1838: »Verdiente je ein Virtuos und Komponist die Bezeichnung des musikalischen Jean Pauls, so ist es Robert Schumann.« Die merkwürdige Mischung von fantastischer Träumerei und keckem Humor, der scharf pointirte Stil, der nie eine gewisse oppositionelle Färbung verleugnet, endlich die Neigung zum Aufsuchen von allerhand geheimnissvollen[49] symbolischen Beziehungen, die sogar an das Alleräusserlichste, wie z.B. Namen, anknüpft – das Alles stammt aus der Ideen- und Gefühlswelt Jean Pauls. Und dieser Jean-Paulismus hat, wenn auch späterhin abgeklärt und gedämpft, bis zum Ende einen wesentlichen Theil von Schumanns gesammtem Empfindungsleben gebildet.
Von den Musikern brachte er zuerst, wie wir sahen, Franz Schubert seine besondere Sympathie entgegen, »meinem einzigen Schubert, zumal da er Alles mit meinem einzigen Jean Paul gemein hat; wenn ich Sch. spiele, so ist mir's, als läs' ich einen komponirten Roman Jean Pauls.«65 Auf Schuberts »Moments musicals«, »Deutsche Tänze« u.s.w. mag denn auch Schumanns schon von Anfang an deutlich hervortretende Vorliebe für die idealisirte Tanzweise zurückgehen. Allerdings ist dabei nicht zu vergessen, dass im Jahre 1819 Webers »Aufforderung zum Tanz« entstanden war, jenes epochemachende Werk, das mit einem Schlage die alten halb naiven, halb barocken Tänze weit überholte und mit seiner bunten Reihenfolge dramatischer Szenen, durchglüht von dem echt Weber'schen Allegro con fuoco, das typische Vorbild für die gesammte spätere Tanzmusik geworden ist.66 Auch Schumann steht in dieser Hinsicht, trotz aller Anlehnung an Schubert, bewusst oder unbewusst, unter dem Einfluss Webers.
Bald nach Schubert trat, wie schon bemerkt, ein noch Gewaltigerer in Schumanns Ideenkreis ein: Joh. Seb. Bach. Der alte Meister ist wohl von Niemand in edleren und wärmeren Worten gepriesen worden, als gerade von Schumann, der schon im Jahre 1832 an Kuntsch schreibt: »Bach war ein Mann durch und durch; bei ihm giebt's nichts Halbes, Krankes, ist Alles wie für ewige Zeiten geschrieben.67 Seit jenen frühesten Zeiten bildet das ›Wohltemperirte Klavier‹ Schumanns ›musikalische Grammatik‹,68 seine ›tägliche Bibel‹;69 Bach gilt ihm sein ganzes Leben hindurch als ›der grösste Komponist der Welt‹,70 als der ›Ewige‹,71 aus dem ›immer von Neuem zu schöpfen ist.‹«72
Bach war es denn auch, der Schumann von dem Zustand des »blinden Naturalisten«73 losriss und ihm zugleich den mangelnden theoretischen Unterricht ersetzte. Es war der tief innerliche, mystisch-symbolische Zug der Kunst Bachs, der den jungen Romantiker mit unwiderstehlicher Gewalt fesselte. Und so hat sich denn auch Schumann an diesem Urquell der modernen Instrumentalmusik vollgesogen; an ihm bildete er seinen reich verschlungenen polyphonen Klavierstil, dessen orchestrale Färbung einen ganz neuen Typus in der Entwicklung der modernen Klaviermusik inaugurirt hat.
Alle Jugendwerke einer genaueren Analyse zu unterwerfen, dazu fehlt hier der Raum; es kann nur denjenigen eine breitere Behandlung zu Theil werden, die für Schumann selbst ganz besonders charakteristisch erscheinen.
Op. 1, die »Variationen über den Namen Abegg« (der Gräfin Pauline von Abegg gewidmet) gehören hierher nur insofern, als sie bereits die Liebhaberei Schumanns für Mystifikationen (die »Gräfin« war eine gute Bürgerliche, die Verlobte eines seiner Freunde), und die Neigung, an Aeusserlichkeiten, wie z.B.[50] Namen anzuknüpfen, aufweisen. Derartigen Spielereien mit Namen u.s.w. werden wir bei Schumann noch öfter begegnen; sie waren ihm natürlich nicht etwa Selbstzweck, sondern der in Töne eingekleidete Name war für ihn das Symbol der Persönlichkeit, der seine Huldigung galt, ebenso wie die Begegnung im Ballsaal den Anlass zu der Behandlung des Themas in Tanzform gab. Im Uebrigen kennzeichen sich die Variationen als das Werk eines hochbegabten, revolutionslustigen Dilettanten, der von der Herrschaft über das Stoffliche noch weit entfernt ist. Spezifisch Schumannsche Züge weisen die 2. Variation und das Finale auf, in technischer Hinsicht macht sich da und dort der Einflus Hummels bemerkbar.
Echt Schumann'schen Geist dagegen athmen die »Papillons« (op. 2), von denen einige bereits im Jahre 1829 entstanden sind. Schon in der Benennung dieser Stücke tritt uns Jean Paul entgegen. Sie bezieht sich nämlich keineswegs auf deren lustigen, gaukelnden Charakter; Schumann selbst bestreitet dies auf das Entschiedenste,74 ohne jedoch selbst den Schleier des Geheimnisses zu lüften. Allein die Betrachtung der Titelvignette in der Originalausgabe und die Lektüre von Schumanns damaliger »Bibel«, den »Flegeljahren«, bringen uns auf die richtige Fährte. Die »Papillons« sind das Symbol der poetisch-musikalischen Gedanken, die sich aus dem Innern des schaffenden Künstlers losringen, gleichwie der junge Schmetterling aus der Puppe – eine Vorstellung, die sich bei Jean Paul sehr häufig und auch bei Schumann selbst nicht selten findet.75 Auch inhaltlich fusst das Werk auf Jean Paul, insofern als dem Ganzen der »Larventanz« aus dem vorletzten Kapitel der »Flegeljahre« zu Grunde liegt.76 Schon hier treffen wir also Schumann auf den Pfaden der Programm-Musik. Und schon hier nimmt er alsbald Gelegenheit, seinen Standpunkt in dieser Frage unzweideutig zu präzisiren durch die Erklärung, dass er den Text der Musik untergelegt habe, nicht umgekehrt; »sonst scheint es mir ein thöricht Beginnen.«77 Noch deutlicher spricht er sich einmal später aus: »Die Hauptsache bleibt, ob die Musik ohne Text und Erläuterung an sich etwas ist, und vorzüglich, ob ihr Geist innewohnt.«78 Schumann hat somit nie bewusst in die Bahnen der Berlioz'schen Richtung eingelenkt; er will uns lediglich rein musikalische Schöpfungen geben, deren poetische »Ueberschriften« nach seinen eigenen Worten nicht viel mehr bedeuten sollen als die Ueberschriften über Gedichte.79 Was es thatsächlich mit diesen Erklärungen für eine Bewandtniss hat, wird bei der abschliessenden Betrachtung erörtert werden.
Hatten uns schon die Abegg-Variationen in den Ballsaal geführt, so entrollen die Papillons vollständig das buntbewegte Treiben der Maskerade in allen seinen wechselreichen Phasen.80 Sie sind der richtige Vorläufer des »Carneval«, mit dem sie auch die Verwendung des »Grossvatertanzes« im letzten Stück gemein haben. Die scharfen Pointen fehlen zwar noch und die kecke Oppositionslust wagt sich noch nicht so kühn hervor, wie in op. 9. War doch damals der Einfluss Franz Schuberts und damit der Wiener Volksmusik in Schumanns Schaffen noch vorwiegend. So manche Melodie der Papillons erinnert an den Wiener Meister, so namentlich ausser der graziösen, etwas sentimental angehauchten Eröffnungsmelodie:
[51] das Stück Nr. 8 mit dem Mittelsatz:81
Aber die Miniaturarbeit der kleinen Charakterstücke, die Zusammenfassung einer Reihe kontrastirender Stimmungsbilder in skizzenhaft-abrupter Weise – alle diese speziellen Charakteristika der Schumann'schen Muse liegen bereits in den »Papillons« voll ausgeprägt vor uns. Auch der merkwürdige Dualismus in seiner Natur, die Vermischung von melancholischer Träumerei und burschikosem Drauflosgehen tritt in diesen Stücken zu Tage; Florestan und Eusebius treiben schon hier ihr reizvolles Spiel. Namentlich der urwüchsige, derbe Humor macht sich geltend, ein Gebiet, auf dem Schumann wohl einer der berufensten Nachfolger Beethoven's geworden ist.
Die »Studien für das Pianoforte nach Capricen von Paganini« (op. 3) zeigen Schumann bereits als vollendeten Beherrscher der Technik, weisen aber auch schon deutliche Spuren der theoretischen Studien bei Dorn auf. Ebenfalls durch äussere Eindrücke – Paganinis Auftreten in Frankfurt – angeregt, sind sie doch keine blossen Transskriptionen im landläufigen Sinne. Was das Urbild nothwendigerweise durch die Umschreibung für das Klavier verlor, wusste Schumann durch seine originelle und geistvolle Harmonisirung reichlich wieder zu ersetzen, so dass die Stücke vollauf den Werth von Neuschöpfungen gewinnen. Für jeden Klavierspieler beherzigenswerth sind endlich die trefflichen Rathschläge des Vorworts hinsichtlich des Anschlags, Fingersatzes u.s.w.A1[52]
Die grosse Förderung, die Schumanns Klavierstil aus dieser Bearbeitung der Capricen erwachsen war, zeigt sich am deutlichsten in den »Intermezzi« (op. 4). Auch sie sind durchweg »Gelegenheitskompositionen« in Goethischem Sinne, wie die Worte »Meine Ruh ist hin« in Nr. 2, das plötzliche Auftauchen des Abegg-Themas in Nr. 6, endlich die engere Verbindung von Nr. 2–4 beweisen. Rein musikalisch bedeuten sie einen entschiedenen Fortschritt, schon deshalb, weil an die Stelle der schattenhaften Aphorismen in den »Papillons« grössere Formen treten. Schumanns Eigenart, die dort zwar deutlich genug, aber doch immerhin nur in Umrissen zu Tage getreten war, gelangt hier in voller Klarheit zum Durchbruch. Die Vorliebe für auftaktige Motive:
das charakterische Ineinandergleiten der Akkordgebilde:
dem die Dissonanz nur dazu dient, die Harmonie in Fluss zu erhalten, endlich die stark hervortretende Neigung zu synkopirten Bildungen – alle diese untrüglichen Kennzeichen von Schumanns Melodik, Harmonik und Rhythmik finden hier zum ersten Male unzweideutigen Ausdruck. Die zeitgenössische Kritik erkannte in dem Werke allerdings eine völlige Verirrung. So schrieb Rellstab in der Iris: »Diese Art von Modulation, diese abgebrochenen Rhythmen, diese gesuchten Künsteleien der Finger, alles thut der Natur Gewalt an. Zugleich werden die Kompositionen dadurch sehr schwierig und der Verfasser verlangt also auch ein besonderes Studium für seine freudlose Arbeit von uns. Das ist zuviel...«82 Für die heutige Betrachtung sind die Intermezzi Schumanns erstes selbständiges Werk von wahrhaft künstlerischer Bedeutung, trotz aller harmonischer und modulatorischer Härten, die sich da und dort noch bemerkbar machen mögen. Aehnlich verhält es sich mit den »Impromptus sur une Romance de Clara Wieck« (op. 5), dem ersten Stück, das seiner späteren Gattin gewidmet ist. Auch Clara selbst hatte kurz vorher als op. 3 Variationen über dasselbe Thema veröffentlicht. Die Impromptus bilden eine Vorstufe zu den späteren »Symphonischen Etüden« und sind überhaupt ein charakteristisches Beispiel für die Entwicklung, die, unter Beethovens Vorantritt, die Variationsform im letzten Jahrhundert genommen hat. Sehr bezeichnend beginnt das Werk, ganz in Beethoven'scher Weise, mit dem Grundbass des Themas, dessen eigentliche Melodie auch in der Folge nur eine sekundäre Rolle spielt. Die Variationskunst Beethovens hat freilich auch Schumann
[53] nicht zu erreichen vermocht. Aber er hat ihr ein neues fruchtbares Element dadurch zugeführt, dass er die Form in den Dienst seiner programmatischen Ideen stellte. Sie giebt den Boden ab, auf dem sich die duftigen Gebilde seiner Phantasie in buntem Reigen umhertummeln, öfters die Grundgestalt des Kerngedankens derart verhüllend, dass das Ganze mehr den Charakter phantastischer Improvisation gewinnt – ein ähnlicher Vorgang wie bei den Sonaten. Mit gutem Grund nennt Schumann somit sein op. 5 einmal »eine Geschichte.«83
Das intensive Studium Beethovens zeigt sich auch in den leider nicht erhaltenen Variationen über das Allegretto aus der Adur-Symphonie, die er neben der Umarbeitung der schon in der Heidelberger Zeit komponirten Toccata (op. 7) und neben den ebenfalls verlorenen Variationen über Schuberts Sehnsuchtswalzer vollendete.
Die beiden verlorenen Variationenwerke machen den Abstand erklärlich, der zwischen den Impromptus und den »symphonischen Etüden« (op. 12, aber 1834 komponirt) besteht. Auch ihr Thema ist nicht von Schumann, sondern von Ernestine von Frickens Vater, der über dasselbe Thema Variationen geschrieben und sie Schumann zur Begutachtung übersandt hatte. Die Antwort Schumanns verstattet einen interessanten Einblick in seine Ansichten von der Variation überhaupt. Die Etüden weisen den Impromptus gegenüber eine weit grössere formelle Meisterschaft auf, insbesondere zeigt sich ein bedeutend vertieftes Verständniss für die dem Thema zu Grunde liegende harmonische Gestaltung. Diese allein ist es, welche die Einheit des Ganzen zusammenhält während Rhythmik und Melodik vollständig freien, vom Thema unabhängigen[54] Spielraum besitzen. Die kanonische Form, die ja überhaupt, im Gegensatz zur Fuge, sich noch das ganze 19. Jahrhundert hindurch als lebenskräftig erwiesen hat, beginnt sich auch bei Schumann deutlich hervorzudrängen; er ist in der Folgezeit einer der Hauptwortführer der modernen Kanonik geworden. Vor Allem aber zeigt sich in diesem Werke zum erstenmal die souveräne Beherrschung der neuen, von Weber inaugurirten, aber von Schumann noch weit über seinen Vorgänger hinaus entwickelten Klaviertechnik. Sein Klavierstil, der einen vordem kaum geahnten harmonischen Reichthum erschloss, hat dem Instrumente unzählige neue Ausdrucksquellen verschafft. Hauptsächlich durch ihn ward es in den Stand gesetzt, auch seinerseits der instrumentalen Denkweise, wie sie seit Beethoven die ganze Folgezeit beherrschte, gerecht zu werden. Chopin ist jederzeit eigentlicher Klavierkomponist geblieben. Schumanns Klavierbehandlung dagegen trägt einen merkwürdig orchestralen Charakter; ihm drängen sich alle Instrumentalstimmen zusammen in den engen Rahmen des Klaviers, und dieses »Orchester im Kleinen« war und blieb fortan das ureigenste Organ seines Empfindens.
Die zweite bedeutende Schöpfung des Jahres 1834 war der »Carnaval. Scènes mignonnes sur quatre notes pour piano, op. 9.« Auch dieses Werk schlägt in das Gebiet der Variationsform im weitesten Sinne ein, insofern ein bestimmtes Motiv allen Stücken mit wenig Ausnahmen zu Grunde liegt. Der Carneval ist eines der interessantesten und speziell für Schumanns Entwicklung am meisten charakteristischen Stücke, trotzdem er selbst merkwürdigerweise nie sehr viel davon gehalten hat.84 In der Carnevalszeit 1835 vollendet, »in ernster Stimmung und eigenen Verhältnissen«,85 bilden diese Miniaturen den musikalischen Niederschlag all der mannigfach bewegten Stimmungen und Erlebnisse der vergangenen Jahre. Es ist ein bunter Maskenroman, dessen Held Schumann selbst ist, in phantastischem Helldunkel umgaukelt von all den Gestalten, die in Scherz und Ernst, in Dichtung und Wahrheit zu jener Zeit seine Seele bewegten, das Ganze eingekleidet in den uns schon von den Papillons her bekannten Rahmen der idealisirten Ballszenen. Florestan:
und Eusebius:
Chopin und Paganini, Chiarina (Clärchen) und Estrella (Ernestine) schweben in abenteuerlichem Zuge an uns vorüber; zum Schlusse marschirt sogar die Garde der Davidsbündler, die auch hier in dem 3/4-Takt ihres Marsches ihre Oppositionslust zu beweisen scheinen, gegen die Philister auf. Dazwischen hinein mengen sich typische Tanzgestalten, wie Arlequin, Pantalon und Colombine u.s.w.; auch Ballabenteuer intimer Art spinnen sich an, wie die Titel »Reconnaissance«,[55] »Aveu« u.A. darthun. Ja sogar die Buchstaben ASCH wirbeln als »lettres dansantes« im Walzertakt durch die Luft:
Ihnen verdankt das ganze Stück seine Entstehung; sie stellen den Namen des Städtchens Asch, der Heimath Ernestinens, dar und waren zugleich, wie Schumann mit grosser Freude entdeckte, die einzigen »musikalischen« Buchstaben seines eigenen Namens:
»Das klingt sehr schmerzvoll« meint er in einem Briefe an Henriette Voigt.86 Kein zweites Werk vergönnt uns einen so klaren Einblick in Schumanns Kunstschaffen wie der Carneval. An und für sich an eine rein äusserliche Spielerei anknüpfend, gleich den Abegg-Variationen, giebt er ein treues musikalisches Spiegelbild von der seelischen Verfassung, in der sich Schumann damals befand. Ueber Idee und Form des Ganzen schwebt wiederum der Geist Jean Pauls, dem wir ausser Schumanns bekannter Hinneigung zu mystisch-symbolischer Spielerei auch das reizvolle Hin-und Herschwanken zwischen humoristischer Laune und phantastischem Traumleben verdanken. Auch hier geben sich Walt und Vult, ins Schumannische übertragen Eusebius und Florestan, ein Stelldichein voll Poesie und Laune. Inhaltlich wie der Einkleidung nach gehört der Carneval zu Schumanns originellsten Kompositionen. Die kleinen Genrestücke, die zu Mendelssohn's Liedern ohne Worte die Parallele bilden, erhalten hier unter Schumanns Händen ein ganz verändertes Aussehen; sie nähern sich wieder mehr den Allegro-con-fuoco-Sätzen Webers. Statt der fortgesponnenen Stücke Mendelssohns treffen wir hier eine Fülle abrupter, unerwarteter Wendungen voll Geist und Originalität – und doch ist die Einheit des Ganzen durchaus gewahrt, äusserlich durch die Beibehaltung des Grundmotivs, innerlich durch die streitfreudige Stimmung des Davidsbundes, die uns aus allen diesen Stücken entgegenweht und den Carneval als ein musikalisches Gegenstück zu dem »kunsthistorischen Ball der Davidsbündler« (Ges. Schr. II, 21) erscheinen lässt.
Ebenfalls im Jahre 1835 erschienen die beiden Sonaten in Fis moll (op. 11) und Gmoll (op. 22, der letzte Satz wurde erst 1838 hinzugefügt). Wir treffen hier Schumann zum ersten Male auf dem Gebiet einer höheren Kunstform, und es ist recht bezeichnend, wie sich seine Individualität mit dem Erbe Beethovens auseinandersetzt. Wir haben sie aus seinen bisherigen Werken genügend kennen gelernt, um zu erkennen, dass hier nicht von Sonaten im Sinne Beethovens die Rede sein kann. Es sind vielmehr Phantasiestücke in grossem Stil, voll von überquellendem Ideenreichthum, in allen glühenden Farben der Romantik schillernd, allein ohne formelle Abrundung und ohne künstlerische Abklärung. Speziell die Fis moll-Sonate, »Clara zugeeignet von Florestan und Eusebius«, ist ein Werk voll Feuer und Ursprünglichkeit, das nur ein Pedant der Form missen möchte, ein Werk, allerdings dem Sturm und Drang entsprungen, aber die Schöpfung eines jungen Genies, das in der Ueberfülle der Schaffenslust in die Worte ausbricht: »Wüssten Sie, wie ich noch auf den ersten Zweigen zum Himmelsbaum zu stehen meine und wie ich da oben in einsamen heiligen Stunden Lieder zu hören glaube, von denen ich meinen geliebten Menschen später noch verkündenmöchte...«87 In keinem andern Werke finden sich Florestan und Eusebius mit gleicher plastischer Deutlichkeit verkörpert, letzterer in der sehnsuchtsvollen Aria und der Einleitung voll glühender Schwärmerei, ersterer in den übrigen pathetischen Sätzen.
Formell einwandfreier, inhaltlich jedoch lange nicht von demselben fesselnden Reiz sind die beiden anderen Sonaten dieses Jahres, die in Gmoll und das »Concert sans Orchestre« (op. 14; den geschmacklosen Titel verdanken wir der Initiative des Verlegers J. Haslinger; er wurde später, auf Moscheles' und Liszt's Urtheile hin von Schumann selbst wieder in »Troisième grande Sonate« abgeändert, wobei auch das anfänglich aufgeopferte Scherzo Wiederaufnahme fand). Beide Werke entstammen derselben Sphäre der Empfindung, wie die Fis moll-Sonate, auch sie wissen zu erzählen von den Kämpfen, die ihren Schöpfer Clara gekostet, aber ihnen fehlt die hinreissende Gluth der Leidenschaft, der jenes Werk seine Entstehung verdankt. Diese findet ein würdiges Gegenstück in der ursprünglich ebenfalls »Grosse Sonate« genannten »Phantasie« (op. 17). Die einzelnen Sätze wiesen anfangs besondere Benennungen auf; da Schumann den Ertrag des Werkes als »Obolus« dem Fonds für das in Bonn zu errichtende Beethoven-Denkmal zuwenden wollte, nannte er die einzelnen Sätze »Ruinen«, »Triumphbogen« und »Sternenkranz.«88 Später, im Jahre 1838, wollte er das Ganze »Dichtungen«, die einzelnen Sätze »Ruine, Siegesbogen und Sternbild«89 benennen, bis er sich schliesslich 1839 für den Titel »Phantasie« entschied mit dem Fr. Schlegel'schen Dichterwort als Motto:
»Durch alle Töne tönet
Im bunten Erdenraum
Ein leiser Ton gezogen
Für den, der heimlich lauschet.«
»Der Ton im Motto bist Du wohl?« schrieb er an Clara; »beinahe glaub' ich es.«90 Der erste Satz ist eine »tiefe Klage« um Clara, das Ganze ein Ausfluss der melancholisch-resignirten Stimmung, wie sie das unglückliche Jahr 1836 in Schumanns Seele wachgerufen hatte. Es war eine Art künstlerischer Katharsis, die er an sich selbst vornahm; wie tief sie sein Innerstes berührte, beweist am besten sein eigenes, einem richtigen Gefühl entsprungenes Urtheil über das Werk: »der erste Satz ist wohl mein Passionirtestes, was ich je gemacht; die anderen sind schwächer, brauchen sich aber nicht grade zu schämen.«91 Er gehört zu den bedeutendsten Erzeugnissen dieser Periode und ist schon insofern interessant, als Schumann hier zum ersten Male aus einem und demselben Motiv92 einen ganzen Satz herauszuspinnen unternimmt:
Allerdings kündigt sich auch schon hier die Manier der späteren Symphonien an: das Thema selbst bleibt stets ein abgeschlossenes Ganzes, seine Durchführung besteht in der Aneinanderreihung scharf begrenzter Perioden, die auf verschiedenen Tonstufen wiederholt werden. Die langathmigen, tiefsinnigen Kombinationen Beethovens sind Schumann versagt; er arbeitet auch innerhalb grösserer Formen nur mit kleinen Motiven und hat naturgemäss das Bestreben, bei seinen Durchführungen das »Auseinander« durch ein »Nebeneinander« zu ersetzen. Dem Gedankeninhalt nach reicht die Cdur-Phantasie am nächsten von allen Jugendwerken an Beethoven heran. Der Kampf um die Geliebte mit seinem stürmischen Wechsel von wild aufflammender, zorniger Leidenschaft und süssem, träumerisch verweilendem Erinnern ist[58] hier mit einer Ueberzeugungskraft geschildert, die auch unter Schumanns Werken nicht eben häufig wiederzufinden ist.
Das Jahr 1837 glättete die Wogen der seelischen Erregung einigermassen und Schumann kehrte wieder auf sein ureigenstes Gebiet zurück: er schrieb die »Phantasiestücke« (op. 12) und die »Davidsbündlertänze« (op. 6). Die »Phantasiestücke« tragen den Namen der einst hochgepriesenen Pianistin Miss Anna Robena Laidlaw, die am 2. Juli 1837 in Leipzig eine Matinee gab und dadurch in Schumann den Gedanken an die Widmung seines fertig gestellten op. 12 wachrief.93 Das Antwortschreiben auf einen Brief der Künstlerin beginnt mit folgenden Worten:
»Besten Dank, mein theures Fräulein, dass Sie Ihr Versprechen gehalten. Die Zeit Ihres Aufenthaltes hier wird mir stets eine recht schöne Erinnerung bleiben, und dass dies wahr ist, was ich schreibe, werden Sie noch klarer in acht Phantasiestücken für Pianoforte finden, die bald erscheinen und Ihren Namen an der Stirne tragen. Um Erlaubniss einer Dedicace habe ich zwar nicht besonders angefragt; aber sie gehören Ihnen – und das ganze Rosenthal mit romantischem Zubehör steht in der Musik. Bis Ende September werden die Phantasiestücke fertig sein. Wie, auf welche Weise soll ich sie Ihnen zusenden?
Es geht mir wohl, ja glücklich, und wenn uns nicht so viele Meilen trennten, sollten Sie mehr darüber erfahren. Zum Schreiben ist es zu lang.«
Die lezten Worte, die in schlichter Weise auf Schumanns erneuertes Verlöbniss mit Clara Wieck hindeuten, beweisen zur Genüge, dass alle die romantischen Ausdeutungen, die die Nachwelt an sein Verhältniss zu Miss Laidlaw geknüpft hat, der Grundlage durchaus entbehren. Auch ein zweiter Brief an Miss Laidlaw vom 8. September 183794 erweist sich als durchaus unverfänglich. Von Bedeutung ist ferner, dass Schumann trotz jener Widmung die Stücke in seinem Briefwechsel mit Clara ganz ausführlich behandelt. Hier ist keineswegs vom Rosenthal die Rede – ein Beweis, wie vieldeutig Schumann selbst seine Ueberschriften auffasste. Bei der »Nacht« fiel ihm nach Vollendung des Werkes die Geschichte von Hero und Leander ein95, während das »Ende vom Lied« Erinnerungen an Zumsteeg in ihm wachrief: »am Ende löst sich Alles in eine lustige Hochzeit auf, und da klingt es wie Hochzeit und Grabgeläute durcheinander.«96 Diese verschiedenerlei Angaben zeigen aufs Deutlichste, wieviel feine Beziehungen alle diese Stücke Schumanns in sich bergen;[59] sie lassen aber auch zugleich die Unmöglichkeit erkennen, jede einzelne aufzuführen und mahnen den Betrachter zur Vorsicht. Rein musikalisch genommen, steht der Schumann der »Papillons« wieder vor uns, aber gereifter und abgeklärter. Die melodischen und harmonischen Härten sind geschwunden, über dem Ganzen schwebt ein duftiger Hauch taufrischer Romantik, die sich bald in übermüthigem Humor, bald in träumerischem Hindämmern äussert, eine jede dieser Stimmung mit wunderbarer Prägnanz festhaltend.
Ein ganz anderes Gesicht weisen die »Davidsbündlertänze« (op. 6) auf. Sie führen uns mitten hinein in das streitlustige Leben des Bundes, gewissermassen als der musikalische Rechenschaftsbericht über die Stimmungen, die damals in dem jugendlichen Künstlerkreise herrschten. Die skizzenhafte Ausführung der früheren Werke macht sich hier wieder bemerklich, denn auch hier drängte die Fülle persönlicher Erlebnisse zu unmittelbarer Aussprache. Ueber dem kecken Getriebe des Bundes schwebt immer noch der Gedanke an Clara, und zwar diesmal in Gestalt freudigen Hoffens auf baldige Vereinigung. »In den Tänzen sind viele Hochzeitsgedanken97... ein ganzer Polterabend ist die Geschichte... war ich je glücklich am Klavier, so war es, als ich sie komponirte« heisst es in den Jugendbriefen.98 Das Werk bildet eine musikalische Illustration zu den »Schwärmbriefen« und den »Büchern der Davidsbündler«. Formell genommen sind die einzelnen Stücke lyrische Improvisationen in Tanzform, inhaltlich fesseln sie vornehmlich durch die vielen Beziehungen persönlicher Art. An musikalischem Gehalt stehen sie den Phantasiestücken nach.[60]
Das Jahr 1838 zeigt uns Schumann mit den »Kinderszenen« (op. 15), den »Kreisleriana« (op. 16) und den »Novelletten« (op. 21) auf dem Höhepunkt seiner kompositorischen Thätigkeit für das Klavier. Die »Novelletten« bilden gewissermassen eine gesteigerte Fortsetzung der Davidsbündlertänze. Auch sie knüpfen deutlich an bestimmte äussere Erlebnisse an, auch sie wurden im Wesentlichen durch Clara veranlasst. Es sind »grössere, zusammenhängende, abenteuerliche Geschichten«,99 voll bunten Stimmungswechsels, in leichtem, geistreichem Erzählerton gehalten und demgemäss auch formell von ziemlich lockerem Gefüge.
Die schönste Frucht, die die Welt dem langjährigen Kampf um Clara verdankt, bilden unstreitig die »Kreisleriana« (op. 16), Schumanns erstes Meisterstück. Der Titel führt uns in die Sphäre E.T.A. Hoffmanns, der in seinen »Kreisleriana«, verbunden mit den »Lebensansichten des Katers Murr«, ein ergötzliches Bild von dem Kontrast zwischen dem überschwenglichen Idealisten Kreisler – sein Urbild sollte der Kapellmeister L. Böhner sein – und dem nüchtern prosaischen Kater Murr entworfen hatte. Mehr als diesen allgemeinen Grundgedanken hat der Dichter dem Komponisten schwerlich gespendet. Auch Schumann befand sich ja damals in einer zwischen Hoffnung und Resignation, zwischen leidenschaftlicher Erregung und still träumender Sehnsucht hin und her schwankenden Seelenverfassung. Und diese seine eigenen Gefühle waren es, denen er hier in Tönen Luft machte, es sind im Grunde »Schumanniana« unter der Maske des excentrischen Hoffmann'schen Kapellmeisters. Schumanns Freude am eigenen Schaffen wurde durch dieses Werk mächtig gehoben. Er schreibt an Clara: »Diese Musik jetzt in mir, und welch' schöne Melodieen immer! Denke, seit meinem letzten Briefe habe ich wieder ein ganzes Heft neuer Dinge fertig. ›Kreisleriana‹ will ich es nennen, in denen Du und ein Gedanke von Dir die Hauptrolle spielen, und will es Dir widmen – ja Dir wie Niemandem Anderen – da wirst Du lächeln so hold, wenn Du Dich wiederfindest. Meine Musik kommt mir jetzt selbst so wunderbar verschlungen vor bei aller Einfachheit, so sprachvoll aus dem Herzen, und so wirkt sie auf alle, denen ich sie vorspiele, was ich jetzt gern und häufig thue.«100 Sowohl Florestan als Eusebius hat in diesem Werke sein Bestes gegeben; gleich in den beiden ersten Sätzen stehen sie in reifster Vollendung da. Ein Werthunterschied zwischen den einzelnen Stücken lässt sich kaum feststellen, von jedem einzelnen gilt das Wort Schumanns: »Da giebt's zu denken dabei.«101 Man denke nur an das schwärmerisch-innige 2. Stück:
[62] und das an schwermüthige Volksweisen gemahnende sechste:
Zwischen die beiden musikalischen Herzensbeichten op. 21 und 16 fallen die »Kinderszenen« (op. 15). Der Sturm der inneren und äusseren Wirrsal scheint hier auf eine Zeit lang beschwichtigt zu sein. Träume aus der Jugendzeit sind es, die den nunmehr ins Mannesalter eintretenden Jüngling umgaukeln, in der Erinnerung an seine Kindheit findet er Ruhe und Erholung inmitten der Stürme des Lebens. Sie sind somit, nach Schumanns eigenen Worten, nicht sowohl Stücke für Kinder, als poetische Rückblicke eines Erwachsenen in die Jugendzeit.102 Es ist im Hinblick auf alles Vorangegangene bewundernswerth, mit welchem Maass künstlerischer Selbstzucht der junge Künstler für seine Gedanken und Empfindungen die angemessene anspruchslose Form wählt. Die Ueberschriften sind auch hier wieder später entstanden und »eigentlich weiter nichts als feinere Fingerzeige für Vortrag und Auffassung.«103 Die Kritik konnte sich seltsamer Weise gerade mit diesen Stücken lange nicht befreunden: selbst Moritz Hauptmann vermisste an ihnen die »rechte Mitte«.
Das Jahr 1839 brachte neben zwei anmuthigen, wenn auch weniger bedeutenden Kompositionen: »Arabeske« (op. 18) und »Blumenstück« (op. 19) die breit angelegte, von echt Schumann'schem Geist durchdrungene »Humoreske« (op. 20). Ein bunter Szenen- und Stimmungswechsel zieht hier an uns vorüber, beim Komponiren »lachte und weinte er durcheinander«.104 So hat denn »Humor« für ihn einen weiteren Sinn, als wir gewöhnlich dem Worte beilegen, nämlich denjenigen einer freien, naiven Weltanschauung, die im Bewusstsein eigener Kraft der Aussenwelt gegenübertritt, hier mit Laune und Witz, dort gelegentlich auch mit einem Anflug von Sentimentalität, aber ohne sich jemals dem Banne einer einzelnen Stimmung völlig hinzugeben. Für sich genommen, stehen die einzelnen Sätze vollkommen auf der Höhe der Kreisleriana, als Ganzes jedoch leidet die Humoreske fühlbar unter dem Mangel der Einheitlichkeit.
Die »Nachtstücke« (op. 23), deren Titel wohl ebenfalls in Anlehnung an E.T.A. Hoffmann gewählt wurde – ursprünglich sollten sie »Leichenphantasie« heissen105, die einzelnen Sätze »Trauerzug«, »Kuriose Gesellschaft«, »Nächtliches Gelage«, »Rundgesang mit Solostimmen«106 – sind das erste Erzeugniss jenes überreizten, hart ans Pathologische streifenden Seelenzustandes, der in späteren Jahren immer mehr Macht über Schumanns Gemüth gewann. Er war bei der Komposition so angegriffen, dass ihm die Thränen kamen; Leichenzüge, Särge, unglückliche, verzweifelte Menschen waren das Bild, das ihm vorschwebte. Aber in jener Zeit überwand seine Jugend die melancholischen Anwandlungen rasch. Im selben Jahre erschien der »Faschingsschwank aus Wien« (op. 26), der[63] Niederschlag des frohen Faschingstreibens an der Donau. Es ist ein Seitenstück zum Carneval; auch hier spielen äussere Erlebnisse eine grosse Rolle, so namentlich in dem Anklingen der damals in Wien polizeilich verbotenen Marseillaise. An Originalität freilich und blendender Stimmungsmalerei ist der Faschingsschwank seinem Vorgänger nicht gewachsen (mit Ausnahme des schon früher selbständig veröffentlichten »Intermezzo«); formell vollends gehören diese Stücke zu den lockersten Gebilden, die Schumann geschaffen.
Mit den drei Romanzen (op. 28), der Fughette (op. 32) und einigen anderen, später erschienenen Werken einverleibten Klavierstücken schloss Schumann fürs Erste seine kompositorische Thätigkeit für dieses Instrument ab. Der Einfachheit halber mögen jedoch die späteren Klavierstücke auch schon hier Erwähnung finden. Die nächste Reihe steht durchaus unter dem Zeichen Bachs. Es sind die Studien op. 56 und Skizzen op. 58 für den Pedalflügel, wozu noch die sechs Orgelfugen über den Namen BACH (op. 60) treten. Das erste und dritte der genannten Werke gehören zu den edelsten Blüthen, die der Geist Bachs dem Boden der Romantik entlockte. Dort scheinen die Inventionen[64] als Vorbild gedient zu haben; die Stücke sind mit einer erstaunlichen Combinationsgabe durchgeführt. In den Orgelfugen geht, gleichwie im Carneval, das thematische Material in letzter Linie aus einer rein äusserlichen Spielerei hervor. Und doch, was weiss Schumann aus diesen vier Noten Alles zu machen! In ihrem Grundton auf die Kunst Seb. Bachs gestimmt, verklärt sie doch ein leiser Schimmer des Schumannschen Charakterstücks mit seinen farbenreichen Gegensätzen. Die Vielseitigkeit und den Tiefsinn der in diesen Werken enthaltenen Kontrapunktik hat Schumann auch in seinen späteren grossen Werken nur selten wieder erreicht. Einen Nachhall zu diesen Werken bilden die Vier Fugen (op. 72).
Von einer ganz anderen Seite zeigt sich Schumann in seinen Kinderstücken, dem »Jugendalbum« (op. 68) und den »Drei Sonaten für die Jugend« (op. 118, seinen drei ältesten Töchtern gewidmet). Eine lange Reihe von »Kinderstücken« haben diese Werke nach sich gezogen, aber keines erreichte die edle Naivität, die Sicherheit, mit der hier die feinsten Regungen der Kindesseele in Tönen wiedergegeben sind.
Die letzten Klavierstücke Schumanns kehren wieder zum Stile der ersten zurück; sie bieten kein näheres Interesse, wohl aber die vierhändigen Stücke, unter denen die »Bilder aus Osten« (op. 66) – nach Rückerts »Makamen« – zu den vollendetsten gehören. Ein Werk von ganz besonderem Reiz endlich ist das ursprünglich für Kammermusik gedachte »Andante und Variationen« für zwei Klaviere op. 46, ein würdiger Nachhall des an Meisterwerken so reichen Jahres 1842 und das vollendetste Variationenwerk, das wir Schumann verdanken.
Schumanns Jugendwerke, die Kinder einer stürmischen Zeit des Kampfes um Existenz, Liebe und Ruhm, bilden ein geschlossenes Ganzes. Er hat den hier angesponnenen Faden nicht wieder aufgenommen. Als er sein Ziel erreicht hat, tritt er zurück in die alten Geleise der Tradition. Eine stets vorwärtsdrängende Kampfnatur wie Wagner war er nicht; nach der Vereinigung mit Clara zog er sich mehr und mehr von der Aussenwelt zurück. So sind denn jene Werke für uns unschätzbar nicht bloss deshalb, weil sie uns ihren Schöpfer in seiner frischesten Originalität und auf seinem eigensten Gebiet, der Kleinkunst des Klaviers, zeigen, sondern sie liefern auch einen interessanten Beitrag zur Geschichte der modernen deutschen Programm-Musik in ihren Kindheitstagen. Schumann selbst hat sich allerdings, wie wir wissen, des öfteren dagegen verwahrt, dieser Richtung beigezählt zu werden. Allein versteht man darunter das Schaffen eines Komponisten unter dem Eindrucke einer poetischen Idee und dessen[65] äussere Bekundung durch Text oder Ueberschrift – gehören diese Stücke mit ihren »inneren Stimmen«, mit ihren unzähligen offenen und versteckten poetischen Beziehungen, mit ihrer weitverzweigten Symbolik nicht auch dazu? Für die moderne Zeit mögen sie freilich als sehr »zahme« Vertreter der Gattung gelten. Damals aber trugen sie einen bedeutend umstürzlerischeren Charakter und wurden von der Kritik zumeist denn auch als »verworren« abgelehnt. Der Hang zum Poetisiren in der Musik lag in der Luft, und Schumann, selbst eine Poetennatur durch und durch, ist ihm willig gefolgt, zumal zu einer Zeit, wo sein eigener Dichterflug ihn nochmals zu bedeutenden Höhen trug, nämlich zur Zeit seiner kritischen Thätigkeit.
Sie geht gewissermassen ergänzend und erklärend neben der rein musikalischen her. Ueber ihren äusseren Anlass haben wir schon oben gesprochen; es genügen daher hier nur ein paar Worte über Schumanns Schriftstellerei im Allgemeinen. Auch sie besass einen agitatorischen Charakter. Sie sollte der Entwicklung seiner Kunst, in deren Morgenröthe zu stehen er fest überzeugt war, die Pfade ebnen und dafür sorgen, »dass die Poesie in der Kunst wieder zu Ehren komme.«107
Was Schumanns Kritiken ihre hohe und einzigartige Bedeutung verleiht, sind nicht etwa tiefere musikhistorische Kenntnisse oder scharfe, verstandesgemässe Analysen, sondern der feine, künstlerische Instinkt, dem sie sammt und sonders entsprungen sind. Seinen Standpunkt drückt er selbst deutlich aus mit den Worten: »Wir halten die für die höchste Kritik, die durch sich selbst einen Eindruck hinterlässt, dem gleich, den das anregende Original hervorbringt.«108 Der musikalische Eindruck also, den das betreffende Tonwerk auf ihn gemacht, soll durch das Medium der Poesie auf den Leser übertragen werden. Diese Art von Kritik, die sich das hohe Ziel steckt, ein Kunstwerk durch ein Kunstwerk zu erklären, geht in letzter Linie auf Heinses »Hildegard von Hohenthal« zurück und war dann besonders von E.T.A. Hoff mann mit Glück gepflegt worden. Sie sollte von Schumann zur höchsten Vollendung geführt werden. Zum letzten Male macht sich hier das in der Jugendzeit gepflegte starke dichterische Talent selbstthätig geltend; noch einmal nimmt Schumanns poetische Muse einen erstaunlich kühnen Flug, um dann allmählich von der rein musikalischen ins zweite Treffen gedrängt zu werden. Förmliche lyrische Dichtungen109 wechseln ab mit novellenartigen110 oder gar dramatisch zugespitzten Stücken;111 nicht selten führt er den Leser mitten hinein in eine Romanszene. Es ist dieselbe Sphäre künstlerischen Empfindens, denen auch die Klavierstücke entstammen. Gleichwie die Figuren des »Carneval«, so gleiten auch die hier vorgeführten Künstlergestalten in duftigem Dämmerlicht an uns vorüber; ihre Bilder sind nie in vollen Farben ausgeführt, aber die Umrisse so scharf gezeichnet, dass der Eindruck der Persönlichkeit sofort auch im Leser lebendig wird. Aber auch inhaltlich bilden die Kritikeninteressante Parallelen zu den Klavierstücken, vor allem in der kampfesfrohen, fortschrittlichen Tendenz, die einem neuen, triebkräftigen Frühling in der Kunst die Bahn weisen will. Wie mancher Andere wäre unter ähnlichen Verhältnissen der Versuchung erlegen und hätte zu Gunsten eines »kräftigeren Tones« die Rücksichten des Taktes über Bord geworfen!112 Schumann – und dies erscheint als der höchste Vorzug seiner Schriftstellerei, weil es den Menschen ehrt – verleugnet seine feine Herzensbildung nie; er lobt, ohne zu schmeicheln und tadelt, ohne zu kränken (mit einziger Ausnahme, der vernichtenden Kritik über Meyerbeers »Hugenotten«), ja, er steht nicht an, den Irrthum eines übereilten Urtheils freimüthig einzugestehen (so in seiner Auffassung von Wagners »Tannhäuser«).
Von Wagners Schriften scheidet somit diejenigen Schumanns eine tiefe Kluft. Jener stellt seine Schriftstellerei vollständig in den Dienst seiner Mission auf musikdramatischem Gebiete, sie ist ihm nur Mittel zum Zweck. Schumanns Kritik dagegen erzeugt selbst Kunstwerke, bis jetzt unerreichte Beispiele dichterischer Synthese, die den musikalischen Eindruck des Gehörten in dem Leser lebendig hervorzurufen im Stande ist.
A1 Eine weitere Fortsetzung dieser Studien bildet op. 10, ebenfalls Bearbeitungen Paganinischer Capricen. Bekanntlich haben auch Fr. Liszt und J. Brahms ähnliche Uebertragungen vorgenommen, ein Beweis für die nachhaltige Wirkung von Paganinis Auftreten.
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