XII.

Das erste Bühnenfestspiel zu Bayreuth.

[280] Generalprobe in Anwesenheit des Königs. – Ankunft der Festgäste, Kaiser Wilhelm. – Erster Aufführungen-Zyklus. Betz' Absage. – Festmahl nach der ersten Aufführung und Ansprache Wagners-Zweiter Zyklus. – Mancherlei gesellige Pflichten und Ansprüche. – Dritter Zyklus in Anwesenheit des Königs. – Abschied.


Ich glaube, Du warst einer von den Wenigen, der mir im vorigen Sommer anmerkte, wie es mir bei all der anscheinenden Herrlichkeit zu Mute war. Es hat sich im Verlauf auch Mehreren offenbart.

Brieflich an Standhartner (2. Jan. 1877).


Schon seit Wochen hatte König Ludwig sein lebhaftes Interesse an den bevorstehenden Aufführungen durch Briefe und Depeschen bekundet, in denen er u.a. teilnehmend nachfragte, wie der Meister mit den Dekorationen zufrieden sei und seine Ankunft zu den Generalproben meldete. Auf das Entschiedenste verbat er sich dabei alle und jede öffentlichen Ovationen. Er wollte ganz incognito auf der Eremitage wohnen und sich, außer dem großen Freunde, durchaus niemand zeigen. Da seine Ankunft für den 5. August angemeldet war, zeigten sich schon im Lauf des Tages allenthalben die Vorbereitungen für seinen Empfang. Von allen Dächern, aus allen Fenstern hingen bereits im voraus die blauweißen Fahnen herab, überall wurden die Veranstaltungen für eine glänzende Illumination getroffen. In der Nacht auf den 6. August traf der Erwartete mittels Extrazuges ein, in alleiniger Begleitung des Oberststallmeisters Graf Holnstein und eines Flügeladjutanten. Der Königssalon der Bahnstation war indes vergeblich geschmückt. Um 1 Uhr hielt der über Regensburg und Weiden kommende Zug Sr. Majestät mitten auf der Bahnstrecke bei einem Wächterhäuschen in der Nähe der Rollwenzelei.

Richard Wagner war seinem königlichen Herrn und Gönner bis zur Station vor Eremitage entgegengefahren und legte die letzte Wegesstrecke mit ihm gemeinschaftlich zurück: er bestieg nun mit dem Monarchen die bereitstehende Hofequipage, welche sie nach Schloß Eremitage führte. Es war ein bedeutungsvolles Wiedersehen nach achtjähriger Trennung: seit ihrem letzten [280] Zusammensein anläßlich der ›Meistersinger‹ war ihr Verkehr bloß ein brieflicher gewesen! Mit der ihm so eigenen bezaubernden Liebenswürdigkeit hielt der König den langentbehrten Freund noch volle zwei Stunden in seiner Gesellschaft fest, so daß dieser erst gegen 1/24 Uhr morgens wieder nach Wahnfried heimkehrte, – aber ganz beglückt durch alle ihm widerfahrene Huld und Freundschaft seines hohen Beschützers. Auch im Lauf des folgenden Tages (Sonntag, 6. August) legten wiederholt reitende Boten die Strecke zwischen Eremitage und dem Wohnsitz des Meisters zurück. Nur diesen Wohnsitz, das auch ihm so teure Haus Wahnfried, selbst zu betreten, hielt eine unüberwindliche Scheu vor Volksansammlungen und rauschenden Begrüßungen ihn zurück. In der Tat hatte sich gegen 7 Uhr abends, zur Stunde des Beginnes der ›Rheingold‹-Probe, eine nach Tausenden zählende Menge vor dem Festspielhause und auf dem ganzen Wege dahin eingefunden. Es waren großenteils Bayreuther, aber auch zahlreiche Landbewohner aus der Umgegend, die sich darauf freuten ihren Landesherrn zu begrüßen Allein der König kam auch diesmal nicht durch die Stadt; er benutzte einen – bis dahin selbst dem Meister unbekannt gebliebenen – Weg von der Eremitage über die Bürgerreuth, und langte so ganz unvermutet vor dem Theater an. Richard Wagner geleitete ihn in die Fürstenloge und blieb während der ganzen Vorstellung an seiner Seite. Der König wünschte nun auch, in altfreundschaftlicher Weise, die hochherzige Genossin seines Lebens und die Kinder des Hauses, bis zu dem siebenjährigen Siegfried, zu sehen; sie traten auf seinen Befehl in die Loge und die Kinder begrüßten ihn unter Überreichung eines Blumenstraußes.1 Die Probe begann vor dem völlig menschenleeren dunklen Hause; bloß in der ersten Sitzreihe waren einigen der nächsten Angehörigen Plätze eingeräumt, außerdem mit der größten Diskretion einem kleinen Teil der sonstigen Probenbesucher der Einlaß auf die Galerie oberhalb der Fürstenloge gewährt worden. Die Anwesenheit des hohen Patrones war allen Mitwirkenden ein Sporn mehr, ihre Leistungsfähigkeit auf das höchste zu steigern. Die Probe kam daher in allen Stücken einer ersten Aufführung gleich; auch in ihrer – durch keinerlei Unterbrechungen vermehrten – Zeitdauer von knapp drittehalb Stunden.2 Bloß die akustische Wirkung war nicht mustergültig, weil der Natur der Sache nach auf ein volles Haus berechnet Darauf machte der Meister den königlichen Freund aufmerksam. Da man nun bei der Konstruktion des Zuschauerraumes nicht zu [281] befürchten habe, durch ein fächerwedelndes Logenpublikum inkommodiert zu werden, außerdem auch alles dunkel sei, schlug er dem Könige vor, das Haus für die nächsten Vorstellungen zu besetzen und dieser willigte unbedenklich in diesen Vorschlag ein. Da er nun auch den Rückweg nach Eremitage wieder ebenso machen wollte, wie er gekommen war, redete ihm Wagner zu, er möchte doch durch die Stadt fahren; alle Bewohner seien voll Erwartung ihn zu sehen, und würden anderenfalls sehr enttäuscht sein. ›Sind denn hier nicht alle ganz preußisch gesinnt?‹ fragte darauf der König Offenbar hatte man es ihm in München so dargestellt. Als er gegen 10 Uhr das Festspielhaus verließ, um sich in seine Equipage zu begeben, war eine zahllose Volksmenge, selbst aus den umliegenden Orten, vor dem Ausgang zusammengeströmt; sie empfing ihn mit stürmischen, nicht endenwollenden Hochrufen und begleitete ihn während der Fahrt vom Festspielhügel auf beiden Seiten des Weges. Während der Dauer der Probe hatte inzwischen, bei eintretender Dunkelheit, die festliche Illumination ihren Anfang genommen. Dem von der Terrasse abwärts Schauenden bot die Stadt mit ihren erleuchteten Türmen, insbesondere dem ragenden Schloßturm, sowie den im hellen Lichtschimmer strahlenden Gebäuden einen festlichen Anblick. In gleichem Schmuck prangte in den tiefer gelegenen Stadtteilen Haus um Haus; die offiziellen Gebäude und das alte markgräfliche Opernhaus strahlten in ihren gesamten Konturen und Konstruktionsteilen im Lichterglanz: auch des Meisters Wohnhaus war festlich erleuchtet. Der König durchfuhr die Stadt fast in ihrer ganzen Ausdehnung durch sämtliche Hauptstraßen; überall herrschte Tageshelle, überall wogte eine dichtgedrängte jubelnde Menge Laute, begeisterte Hochrufe begleiteten den königlichen Wagen überallhin, wo er sich nur zeigte Bot doch der heutige bedeutungsvolle Tag auch dem warmen patriotischen Empfinden der Bayreuther eine hohe Genugtuung, eine Erfüllung ihrer Wünsche und Hoffnungen, seit jener fränkischen Winterreise im November 18663 die erste Gelegenheit, ihren angestammten Herrscher mit warmen Gefühlen der Verehrung auf ihrem heimatlichen Boden zu begrüßen: im Lauf dieses einen Jahrzehntes war aus dem kleinen, vergessenen, abgelegenen Bayreuth ein Ort von ganz neuer europäischer Bedeutung geworden.

Am Nachmittag des folgenden Tages empfing der König auf Schloß Eremitage die beiden örtlichen Regierungspräsidenten und den Bürgermeister Muncker. Um 5 Uhr begann die Generalprobe der ›Walküre‹. Der Zuschauerraum bot einen, von dem gestrigen sehr verschiedenen Anblick. Der König hatte den Wunsch ausgesprochen, das Theater gefüllt zu sehen. Der Zudrang war ein ungeheurer, kaum zu bewältigender gewesen. Um eine Einschränkung herbeizuführen, hatte der Verwaltungsrat öffentlich bekannt gemacht, [282] daß für Inhaber von Patronatscheinen Freibilletts ausgegeben würden4; durch diese allein war aber das Haus nicht zu füllen, und damit begann für die Herren des Verwaltungsrates die, nur mit Takt und Vorsicht zu besiegende Schwierigkeit. Zunächst kamen die Bayreuther Quartiergeber daran, aber selbst an dem großen künstlerischen Unternehmen gänzlich Unbeteiligte wußten sich an diesem und den folgenden Tagen den Zutritt zur Probe zu gewinnen. Und deren gab es viele, selbst unter den am Orte nicht Heimischen: nahm doch eine große Zahl von Reisenden ihren Weg in die Schweiz oder nach Italien in diesem Jahre über Bayreuth, um wenigstens einen äußeren Eindruck von dem dortigen Treiben zu empfangen Kurz und gut, das Haus war bis 5 Uhr nachmittags vollkommen gefüllt, und der Eindruck des Werkes auch auf diese gemischte Menge von 13–1400 Menschen von hinreißender Gewalt. Nach dem ersten Akt, in welchem Niemann die Szene in einer großartigen Weise beherrschte, kam der Meister aus der Königsloge auf die Bühne; er war so ergriffen, daß ihm die Stimme versagte, er umarmte unter Schluchzen seinen Sänger. ›Uns allen‹, erzählt Fricke, ›traten die Tränen in die Augen‹. Vor Beginn des zweiten Aufzuges vernahmen übrigens die der Bühne näher Sitzenden aus dem Orchesterraume seine Stimme, er sprach seinen getreuen Musikern, die unter Hans Richters Leitung den ersten Akt so wundervoll gespielt, noch einmal – weil ihn ›das Herz dazu treibe‹ – seinen innigen Dank aus: er behalte es sich vor, ihnen diesen bei einem später stattfindenden Festmahl zu erneuern. Ein kräftiges ›Bravo, Meister!‹ aus hundert Kehlen erscholl als Antwort aus der Tiefe empor, und das Publikum fiel sturmartig applaudierend mit ein. Die ungeheure Macht des Werkes aber bewährte sich heute zum ersten Male vor einer bunt zusammengewürfelten Schar von über tausend Hörern und Zuschauern, die, mit dem Werke nichts weniger als vertraut, durch blinden Zufall sich hier zusammengefunden. Auch für den folgenden ›Siegfried‹-Tag blieb die einmal gegebene Anordnung des Königs in Kraft; da jedoch der gestrige Andrang einen furchtbaren Wirrwar hervorgerufen hatte und auch mit den erteilten Freibilletts durch Verkauf derselben zu hohen Preisen ein grober Unfug getrieben worden war, wurde der freie Eintritt aufgehoben und das Billett kostete 20 Mk. Trotzdem, und trotz der glühenden Hitze, war der weite Raum des Hauses wieder von der gleichen bunten Menge von Bayreuthern und Durchreisenden besetzt, die mit atemloser Spannung den Vorgängen auf der Bühne folgten. Die Darstellung war so vollendet als möglich; nur Fafner war noch immer – ohne Kopf und hielt sich unsichtbar im Hintergrund. Im übrigen konnten die Wunder [283] jedes einzelnen Aufzuges nur noch durch die des folgenden gesteigert werden. Wie berauscht wandelten die Hörer und Schauer nach dem Schlusse der Vorstellung den Weg zur Stadt hinab, gleichviel ob das Ziel dieser Wanderung für den einzelnen durch das eigene stille Zimmer oder die hellen Räume der ›Sonne‹ des ›Ankers‹ oder des ›Reichsadlers‹, oder einer der zahlreich eröffneten Wirtschaften gebildet wird, in denen man in diesen göttlichen Tagen alles andere eher erwarten durfte, als eine peinliche Zerstreuung des empfangenen Eindruckes, oder den Verlust eines Atoms der ganzen Welt, die man in sich aufgenommen Wohin man trat, begegnete man – heute wie gestern – nur Verzauberten, denen sich die gleiche wunderbare Welt des Ideales erschlossen. Mit der am Mittwoch, 9. August, stattfindenden Generalprobe der ›Götterdämmerung‹ waren auch die letzten Vorbereitungen, der vierte und letzte Probenzyklus beendigt: er konnte in jeder Hinsicht bereits als erste Aufführung gelten.5

Gleich nach Beschluß des letzten Aufzuges begab sich der König nach Schloß Eremitage und reiste noch in derselben Nacht mit Extrazug nach Hohenschwangau ab, nachdem er während der Probentage mehreren einzelnen Darstellern seine besondere Anerkennung ihrer Leistungen ausgesprochen und vor seinem Abschiede noch allen Mitwirkenden durch den Meister selbst seinen Dank hatte ausdrücken lassen Dieser war während der ganzen Aufführungen nur auf Augenblicke von seiner Seite gewichen und der König hatte sich während derselben wiederholt mit begeisterten Äußerungen an ihn gewandt. Bei Siegfrieds letztem Gesange flüsterte er ihm die seltsamen Worte zu: ›Das hat Schnorr schon gesungen, ehe Sie es noch komponiert hatten‹. Der König spräche so undeutlich, erzählte der Meister darüber, so seien die hastig zugeraunten Worte ihm ganz unverständlich geblieben und hätten ihn ganz ›verplext‹. Im ersten Moment habe er an jene unvergeßliche Privataudition des Königs6 gedacht, bei welcher gleichwohl der Gesang des sterbenden Helden gar nicht zum Vortrag gelangte, noch gelangen konnte, weil er eben wirklich ›noch nicht komponiert‹ war; dann erst sei ihm eingefallen, was der König wohl gemeint haben werde. Schnorrs Frau habe ihm nämlich erzählt, die [284] letzten Worte Siegfrieds an Brünnhild vor seinem Tode seien auch das letzte gewesen, was über Schnorrs Lippen gegangen; in den Phantasien des Sterbenden habe diese Stelle der Dichtung seinem Geiste vorgeschwebt: davon habe der König erfahren und habe jetzt daran denken müssen. – Wenige Tage später richtete er bereits von Hohenschwangau aus einen wahrhaft königlichen Freundschaftsgruß an den Meister, in welchem er seinen Dank für die empfangenen und in ihm nachlebenden erhabenen Eindrücke nochmals zum Ausdruck brachte und zugleich seinen wiederholten Besuch für den dritten Aufführungszyklus ankündigte.

Im Verlauf der drei Tage bis zum Beginn der Festaufführungen war die Veränderung der gesamten Physiognomie des Ortes eine völlig überraschende. Man spürt, daß die zahlreiche Menge, deren bunte Wogen bisher Straßen und Gasthöfe ausgefüllt, nur ein schwaches Häuflein sei gegen die Fluten, die nun das anmutige Städtchen überschwemmen. Zum ersten Male traten damit an die Bayreuther Bürgerschaft diejenigen ernsten Pflichten der Gastlichkeit, denen sie auf diesen ersten Andrang noch nicht in vollem Maße gewachsen war. Schon um die Mittagsstunde des 12. August zeigt die Table d'hôte der Hotels einen so enormen Zudrang, daß alle Plätze der – bereits in die geräumigsten Säle verlegten – Tafeln dicht besetzt sind.7 Seit Bestehen der Eisenbahnlinie Neuenmarkt-Bayreuth hatten die Bewohner des Städtchens aber keinen so unabsehbaren Train erblickt, wie den, welcher an demselben Tage um 4 Uhr nachmittags ankommt. Er führt in seinen verschiedenen Wagenklassen nicht weniger als tausend Personen auf einen Schub, unter ihnen manches gekrönte Haupt, wie den Großherzog von Schwerin mit Gemahlin und Tochter (Großfürstin Wladimir), den Großherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar, Prinz Wilhelm von Hessen, die Herzöge von Anhalt. Dessau, Schwarzburg-Sondershausen etc. ›Bayreuth is Germany‹, der Ausspruch jenes Engländers scheint sich heute buchstäblich bewähren zu sollen. Eine Stunde später trifft der Separatzug ein, welcher den deutschen Kaiser bringt. Eine nach Tausenden zählende Volksmenge hat sich zum Empfang auf dem festlich geschmückten Bahnhof eingefunden, ihr brausender Jubel nimmt kein Ende. Und nun erscheint das ehrwürdig greise Reichshaupt, in einfachem Zivil, freundlich nach allen Seiten grüßend. Ein Hofkavalier des [285] bayerischen Monarchen, Oberststallmeister Graf Holnstein, macht ihm im Namen seines Herrschers die Honneurs; der Kaiser begrüßt ihn, wie auch den Regierungspräsidenten und Bürgermeister Muncker, an jeden von ihnen eine freundliche Anrede richtend, und wandte sich dann zu einer längeren Unterhaltung an den, ebenfalls zu seinem Empfange erschienenen Meister, um ihm seinen Glückwunsch zu seinem ›nationalen Unternehmen‹ auszusprechen. ›Ich habe nicht geglaubt, daß Sie es zustande bringen würden‹, waren seine an Wagner gerichteten Worte, ›und nun bescheint die Sonne Ihr Werk‹. Dann besteigt er die bereit gehaltene Gala-Hofequipage und durchfährt die in einen beflaggten Wald verwandelten Straßen. Aus der wogenden Menge erschollen freudige Rufe, Blumenspenden von zarter Hand fielen von rechts und links in den Wagen.8 Am Abend wurde dem greisen Helden auf Schloß Eremitage ein glänzender Fackelzug gebracht Mehr als zweitausend Flammenträger, Personen aus allen Ständen und Berufsklassen, auch bei dem Festspiel mitwirkende Künstler, setzten sich von dem nahe gelegenen Dorf St. Johannis aus nach dem Park von Eremitage in Bewegung und nahmen unter den Klängen des Kaisermarsches um das große Bassin vor dem Sonnentempel Aufstellung: die üppigen Wasserwerke rauschten in der magischen Beleuchtung farbigen Lichtes empor und entsandten in weiten Bogen ihre sich durchkreuzenden Strahlen, und die lange verlassenen Räume des Schlosses, die alten Baumwipfel, Grotten und Laubgänge fragten sich träumend, ob die alten Zeiten fürstlichen Glanzes wiedererstanden oder ein neuer allbelebender Frühling auch über ihnen aufgegangen sei. Während sich die Volksmenge nach dargebrachter Ovation in alle Richtungen zerstreute, rollte – gegen 1/211 Uhr – noch eine vierspännige Hofequipage durch die alte Lindenallee zur Eremitage hinaus, von den Heimkehrenden mit freudigen Zurufen begrüßt: sie galten der eben angekommenen Tochter des Kaisers, der Großherzogin Luise von Baden nebst ihrem Gemahl, dem Großherzog Friedrich, die dem Wunsch ihres greisen Vaters gemäß ebenfalls in der Eremitage Wohnung nahmen, während für die übrigen fürstlichen Gäste das königliche Schloß in der Stadt hergerichet war.9 [286] Auch wer den Tag daheim verbrachte, oder in einem jener Kreise, wie sie hier täglich auf flüchtige aber köstliche Stunden sich bildeten und nie ohne geistigen Gewinn sich auflösten, dem verkündeten in Zwischenräumen dumpfe Böllerschüsse und das aufbrausende Rufen des Volkes die Ankunft der verschiedenen hohen Herrschaften; das Räderrasseln und Rauschen auf den Straßen wollte bis tief in die Nacht hinein nicht nachlassen.

So brach der denkwürdige Tag der ersten Aufführung, Sonntag, der 13. August herein. Der Vormittag nahm das Haus des Meisters durch zahlreiche Besuche Neuangekommener in Anspruch; für ihn selbst gab es noch auf dem Festspielhause genug zu tun. Nach 21/2, Monaten gemeinschaftlicher Arbeit hatte er nun seine Künstler sich selbst zu überlassen; noch war ihnen der neue Stil keineswegs durchweg zu eigen geworden, so daß noch nicht aus jedem von ihnen, und bei den Besten nicht in jedem Moment, seine in ihnen verkörperte Seele gesprochen hätte. Als ein Abschieds- und Einführungsgruß sollten ihnen vor der Aufführung Anschlagzettel verteilt werden, die ihnen den Inbegriff seiner Lehren ins Gedächtnis zu rufen hatten Diese schriftliche Mitteilung an die Sänger und Darsteller hatte folgenden Wortlaut:


›Letzte Bitte an meine lieben Getreuen!


! Deutlichkeit !


Die großen Noten kommen von selbst; die kleinen Noten und ihr Text sind die Hauptsache.

Nie dem Publikum etwas sagen, sondern immer dem andern; in Selbstgesprächen nach unten oder nach oben blicken, nie gerad' aus!

Letzter Wunsch: Bleibt mir gut, ihr Lieben!


Bayreuth, 13. August 1876.

Richard Wagner.‹


Dieser Anschlag war hinter den Kulissen und in den Garderoben angebracht: für das Orchester, das er unter Richters Führung wohlgeborgen wußte, war der Text kürzer gefaßt, auch hier das Wesentliche seiner Forderungen ins Auge fassend:


›Nicht präludieren! Piano pianissimo – dann gelingt alles!‹


Und nun mußte es sich zeigen, ob der Geist und Wille eines einzelnen Mannes nicht allein seine Künstler, sondern auch sein Publikum aus der modernen Opernfrivolität heraus dem von dem großen Reformator gesteckten Ziele würde zuführen können, ob ihre Schamröte beim Anblick seines Werkes zu einer Morgenröte der Zukunft werden würde? Denn natürlich wäre ihm die Hälfte jenes Ringens in den letzten schweren, opferreichen Jahren erleichtert oder abgenommen gewesen, wenn er bei diesem Anlaß auf eine Öffentlichkeit Gleichgesinnter, Hochgestimmter hätte zählen dürfen. Hatte er die Leute glücklich aus ihren Großstädten und prunkenden Opernhäusern heraus auf den [287] kunstgeweihten Hügel des von ihm gewählten Ortes gebracht, was für Gewohnheiten und Voraussetzungen brachten sie dennoch aus ihrer sonstigen Umgebung mit sich? Um 7 Uhr abends war der Beginn der Vorstellung angesetzt; doch schon von der vierten Nachmittagstunde an drängten sich die Scharen der Zuströmenden vor dem Festspielhause. Mit jeder Viertelstunde schwillt die Menge an, immer neue Equipagen bringen an Festspielgästen und neugierigen Zuschauern Tausende von Personen in unabsehbarem Zuge die Anhöhe heraus. Da wogen und rauschen bunt durcheinander die Vertreter aller Enden des deutschen Vaterlandes, sowie fremder Nationen: Franzosen, Engländer, Amerikaner, Italiener, Dänen und Russen, schöne Frauen und angesehene Männer, Kapellmeister, Musiker, Maler, auch einzelne unserer ›berühmten Dichter‹, kurz – ›Celebritäten‹ aller Art! Von hohen und höchsten Herrschaften erscheinen außer dem Kaiser und den bereits aufgeführten deutschen Fürsten, ein russischer Großfürst, ja von jenseit des Weltmeers der Herrscher von Brasilien, Kaiser Dom Pedro. In das bunte Gedränge, das Gewoge glänzender Toiletten hinein erschallt endlich die Signalfanfare, das ›Heda! heda, hedo!‹ womit Donner der Herr die Dünste zu Heer ruft Was sich noch nicht in den Theaterraum begeben, drängt nun in Scharen hinein, um sich seines Platzes rechtzeitig zu versichern. Haupt an Haupt füllt die Menge das ungeheuere Amphitheater, das nun erst recht den Eindruck des Kolossalen macht. Schlag 7 Uhr tritt der Kaiser, die Großherzogin Luise am Arm, in die Fürstenloge. Bei seinem Eintritt erhebt sich das ganze Publikum im Vollgefühl des Augenblicks mit enthusiastischen Hochrufen von seinen Plätzen, um dem hochbetagten Kriegs- und Friedenshelden an der geheiligten Stätte der jungen deutschen Kunst seine Grüße entgegenzujubeln. Wohl ist es ein ergreifender Moment, als der also Gefeierte an die Logenbrüstung tritt und dankend nach allen Richtungen grüßt. Aufs neue braust der Sturm der Begeisterung hoch auf; dann Stille, die Beleuchtung wird eingezogen, ein feierliches Dunkel lagert sich über den ganzen Raum, aus der geheimen Tiefe des Orchesters beginnen unter dem Zauberstabe Hans Richters die Töne des Vorspiels. Die Aufführung glückt in allen Stücken, in Einzelheiten zeigt sich heute – im vollen Gegensatz zur Generalprobe! – die größere Erregung der Mitwirkenden. So gehört es offenbar zur Feier des Tages, daß beim Sinken der Dekoration nach der herrlich gelungenen ersten Szene ein technischer Unfall begegnet, wie er sich weder in den Proben gezeigt hat, noch in den nachfolgenden Aufführungen wiederholt: ein Arbeiter hat den Prospekt der Verwandlung zu früh aufgezogen, man sieht für einen kurzen Moment, was man nicht sehen sollte: die Hinterwand des Bühnenraumes und die Maschinisten in Hemdsärmeln. So gehört es zur Feier des Tages, daß die Riesen bei ihrem Erscheinen nicht mit den Keulen aufstampfen, daß Betz-Wotan seinen Ring verliert und während des Fluches in die Kulisse läuft. Diese kleinen [288] Einzelheiten der mächtigen Gesamtdarbietung, so sehr sie auf den Meister verstimmend wirkten sie gehen in dem hinreißenden Ganzen des allgemeinen Eindruckes spurlos und unmerklich unter.10 Der liebliche Gesang der Rheintöchter, die Anmut ihrer Bewegungen, die leidenschaftliche Begierde Alberichs, der große Vortrag Betz-Wotans, die verführerisch einschmeichelnden Laute, mit denen Fricka den göttlichen Gemahl zur Gewinnung des ›goldenen Tandes‹ zu bestimmen sucht, die geniale Leistung Mime-Schlossers, der in stetiger Entwickelung fortschreitende dramatische Vorgang, das imposante Schlußbild, alles das reißt im Laufe der zweieinhalbstündigen Aufführung das versammelte Auditorium selbst mitten im Gange der Handlung zu lauten Ausbrüchen des Entzückens hin. So in der zweiten Szene bei Loges Erzählung, so in der vierten bei Alberichs Fluch. Als der Vorhang sich vor dem erhabenen Bilde des Göttereinzuges in die, von der Abendglut beleuchtete Burg Walhall schloß, kannte die Explosion der allgemeinen Erregung keine Grenzen. Nach sekundenlangem Schweigen ein Tosen und Branden der Begeisterung, aus welchem nur der Name ›Wagner‹ deutlich wurde. Mit wechselnder Stärke tobte der Sturm ohne Nachlassen fast eine volle Viertelstunde hindurch, – freilich ohne sein Ziel zu erreichen, wenn dies das persönliche Erscheinen des Meisters war! Dieser hatte überhaupt nicht die Absicht, weder selbst zu erscheinen, noch auch seine Künstler hervortreten zu lassen; dazu war er gerade an diesem Abend durch das Mißlingen der erwähnten, an sich noch so unbedeutenden Einzelheiten tief verstimmt und niedergeschlagen. ›Er saß‹, heißt es in den Frickeschen Aufzeichnungen, ›außer sich in seinem Zimmer, schimpfte auf alle Darsteller, außer auf Hill und mich, welche bei ihm waren, er war nicht zu beruhigen.‹ Auch die mehrfachen Beifallsausbrüche im Verlaufe der Aufführung hatten ihn als eine, auf Bayreuth übertragene, Opernhaus-Unsitte sehr wenig befriedigt und er war sogleich darauf bedacht, sie einzudämmen und für die Zukunft ganz zu beseitigen.

Als die berauschte Menge das Haus verließ, lag die Stadt wie in einem Lichtmeer schwimmend zu Füßen des Festspielhügels. Auf demselben Wege, den jüngst unter den Zurufen seines Volkes Bayerns hochgesinnter Monarch genommen, fuhr heute der Kaiser mit den Seinigen, von gleich herzlichen Sympathieen begrüßt, durch die wiederum tageshell erleuchteten Straßen der Stadt nach Eremitage zurück, an der Wohnung des Meisters vorüber, in welche dieser sich gleich nach der Aufführung schweigend zurückgezogen. Bereits hatte sich seine Mißstimmung einigermaßen gelegt und war einer beruhigteren [289] Heiterkeit gewichen, als noch ein überraschender Umstand vollends die Wendung zum Guten gab. In vorgerückter Stunde ließ sich nämlich noch ein später Gast bei ihm melden: es war dies der Kaiser von Brasilien, der durch die überaus warmen und liebenswürdigen Ausbrüche seiner Begeisterung reichlich dazu beitrug, die Stimmung wieder ins Geleise zu bringen. Er entschuldigte seinen Besuch zu so ungewöhnlicher Tageszeit mit seinem Verlangen, den Meister persönlich kennen zu lernen: weder früher noch später sei ihm dies möglich gewesen, da er erst spät nachmittags eingetroffen11 und bereits morgen in aller Frühe zu seinem größten Bedauern Bayreuth wieder verlassen müßte. Wir erinnern uns, daß Dom Pedro II. einst – vor neunzehn Jahren – im Beginn seiner Regierung, durch einen Agenten den Antrag an ihn gerichtet hatte, für die ausgezeichnete italienische Operntruppe seines Theaters in Rio de Janeiro ein besonderes, neues Werk zu schreiben, und daß der Meister vorübergehend ›Tristan und Isolde‹ für diesen Zweck in das Auge gefaßt hatte.12 Es war ihm nun von doppeltem Interesse, seinen seltsamen Besteller von damals – nach so langer Zwischenzeit – von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen Dagegen konnte das enge Freundschaftsverhältnis, in welchem der geistvolle Herrscher seit dem Jahre 1868 zu dem ritterlichen Grafen Arthur Gobineau stand, aus dem einfachen Grunde noch keinen Anknüpfungspunkt für ihre Unterhaltung bilden, weil Wagner selbst damals mit Gobineau noch nicht bekannt war.

Am anderen Morgen war sein Erstes die Niederschrift einer, mit seinem Namen unterzeichneten Bekanntmachung an das Publikum in betreff des Hervorrufs der Sänger nach der Vorstellung, welche er durch Heckels Vermittelung13 der Druckerei übersandte. ›Die geehrten Patrone der Bühnenfestspiele‹, heißt es in dieser Bekanntmachung, ›möchten es weder den Darstellern noch dem Autor verargen, wenn sie den ihnen gespendeten, höchst erfreulichen Beifallsbezeigungen nicht durch Hervortreten auf der Bühne dankend entsprächen Sie hätten sich zur Durchführung dieser Enthaltung vereinigt, um vor den Augen des Publikums sich einzig in dem Rahmen des Kunstwerkes eingeschlossen zu wissen‹ Vor Beginn der Aufführung bemerkte man überall an den Eingängen des Hauses den weithin sichtbaren Anschlag, welcher den Eintretenden mit großen Buchstaben die obige Willensäußerung verkündigte. Die Vorstellung der ›Walküre‹ übte sogleich von ihrem ersten Beginn ihre ganze hin reißende Wirkung aus. Die ungeheure Macht des Werkes riß die Gemüter der Hörenden mit sich durch all die glühenden Schauer der Sehnsucht, der [290] Leidenschaft, durch die ganze Skala heroischer Empfindungen, furchtbarer Götternot, lodernder Kampfesglut, tiefster Erschütterung, wehmutvollster Entsagung Wiederum bricht wiederholt im Laufe der Handlung rauschender Beifallssturm bei offener Szene aus.14 Kaum gelingt es, ihn nach der Walkürenszene des dritten Aktes, mit ihrer stürmischen Glut, ihrem wilden Humor, ihrer berauschenden Bewegung, in seine Schranken zurückzuweisen. Wotan erscheint – vor dem Grimme des Gottes weichen die mutigen Schlachtjungfrauen, Brünnhild allein, über die er das Urteil der Verstoßung ausgesprochen, liegt geknickt zu seinen Füßen. Wie aber die sturmgetriebenen Wolkenzüge des Hintergrundes sich allmählich verziehen, der umflorte Himmel sich zu friedlicher Abendbeleuchtung abklärt, richtet sich die Gebeugte vom Boden auf und am Schluß der über alles erhabenen Abschiedsszene wetteifert mit dem Orchester die szenische Kunst, um in der, am Fuß der breitästigen Tanne unter dem langen Stahlschilde schlummernden Jungfrau und dem auflodernden Feuer ein Bild zu geben, würdig, durch die machtvoll ergreifendste Tonsprache verklärt zu werden. Beide Darsteller haben in der Schlußszene ihr Höchstes geleistet. An dem, nun sich erhebenden rauschenden Beifall beteiligte sich auf das lebhafteste auch der Kaiser, der sich im Lauf des Vormittags neben anderen Bayreuther ›Sehenswürdigkeiten‹ das Innere des Theaters, die Einrichtung der Bühne und des Maschinenraumes, ja selbst das Orchester hatte zeigen lassen, um, wie er scherzend sagte, auch den Ort kennen zu lernen, wo ›seine Hofmusiker schwitzen müßten‹. Dem Meister drückte er seine wärmste Anerkennung und Bewunderung aus, und versicherte ihm, wie sehr er es bedauerte, nur zu zwei Aufführungen bleiben zu können. Um 1/212 Uhr begab er sich zur Abreise vom Festspielhause direkt zum Bahnhof, um bereits am folgenden Mittag zu den militärischen Übungen in Babelsberg zu sein.

Am folgenden Tage überraschte an den Straßenecken und öffentlichen Plätzen die höchst unerwartete Bekanntmachung, die heutige Vorstellung des ›Siegfried‹ müsse wegen eingetretener Indisposition des Sängers Betz um einen Tag verschoben werden. Der Meister hatte die ihm in der Frühe zugekommene Kunde mit bewunderungswürdiger Fassung aufgenommen, so höchst unangenehm sie ihm in jeder Beziehung sein mußte. Erstens war es an sich bedauerlich, daß die geschlossene Folge der einzelnen Abschnitte des großen [291] Werkes dadurch eine unwillkommene Unterbrechung erlitt; zweitens, daß so manche der fürstlichen und sonstigen hochgestellten Festspielgäste wegen anderweitiger Verpflichtungen die Tage ihrer Anwesenheit genau eingeteilt hatten; drittens, daß dies alles unter den Augen einer durchaus böswilligen Presse geschah, welche nicht ermangelte, daraus ihre gehässigen Folgerungen zu ziehen. Dazu sprach es sich in vielen Kreisen herum, daß der Sänger in Wahrheit gar nicht heiser gewesen, sondern mit dieser Absage nur seinen Unwillen über den untersagten Hervorruf der Darsteller, und seine dadurch verletzte Künstlereitelkeit zum Ausdruck habe bringen wollen. Gleichwohl ließ die Bayreuther Luft, der aus den beiden ersten Aufführungen gewonnene Enthusiasmus, bei den meisten Festgästen keine eigentliche Zerstreuung und Ablenkung von der gehobenen Stimmung aufkommen, wie sie ein so einzig dastehendes Kunstfest verlieh, und die vielfach unternommenen Ausflüge in die – der großen Mehrzahl noch völlig unbekannte Reize darbietende – landschaftliche Umgebung der Stadt konnten nur dazu dienen, frische Kraft zu neuer Empfängnis zu gewinnen. ›Um die Mittagsstunden‹, heißt es in einer Schilderung dieser Tage, ›war bei Angermann (mit seinem berühmten »Weihen-Stephan«) ein interessantes Straßenleben. Kein Künstler, kein Fremder, der nicht da vorbeikam, sich niederließ, oder sich das Treiben wenigstens ansah Jedes Rendezvous war bei Angermann. Da saßen die ersten Ankömmlinge in den beiden kleinen räucherigen Stuben, dann füllten sich die, mit Tannenreisig umgebenen, Bänke vor dem Haus, endlich saß man bis mitten auf die Straße hinaus; als Tisch diente meist ein Faß, auf dem die Biergläser standen und die Weißwürstchen verzehrt wurden. Da saß alles durcheinander; ich habe Prinzen und Prinzessinnen einträchtig neben Choristen sitzen sehen‹.15 ›Man verlebte diese ersten Bayreuther Tage wie in einem Rausch der Freude, den zu beschreiben unmöglich ist. Wer Bayreuth in diesem ersten Jahr gekannt hat, der weiß, daß die höchsten, schönsten Empfindungen dort zur Blüte kamen, aber auch, daß die Menschen in ihrer Aufregung mehr als anderswo aneinander gerieten. Alle Gefühle waren auf das höchste gesteigert, man erlebte in einer Woche mehr als sonst in Jahren.‹16

Um so großartiger fiel am nächsten Abend (16. August) die Aufführung des ›Siegfried‹ aus. Unger war jeder Zoll ein Held, Schlosser als Mime überbot sich selbst, vom ersten bis zum letzten Augenblick; dem Sänger des Wotan war auch nicht die leiseste Spur seiner gestrigen Heiserkeit anzumerken, wie zündende Blitze fuhren Siegfrieds Schmelz- und Schmiedelieder darein. [292] Nach der düster erhabenen Nachtszene zwischen Alberich und dem Wanderer versetzte Siegfrieds Waldeinsamkeit alle Hörer in ein weltentrücktes wonniges Träumen; aus den Wipfeln der Bäume, dem Rauschen ihrer Blätter, dem Gesang ihrer Vögel, dem Rieseln der Quellen schien die Natur selber, Wald und Sonnenschein, zu heimlichem Flüstern Stimme zu gewinnen. Zur Vollständigkeit von Fafners Erscheinung fehlte immer noch das Halsstück, sein Haupt mit dem drohenden Rachen war aus Not dicht an den unförmlichen Rumpf befestigt. Doch taten Musik und Szene hinreichend das Ihre, um diesen Übelstand in seiner störenden Erscheinung ungefährlich zu machen. Von welcher packenden Wirkung war auch heute wieder die Begegnung der beiden Nibelungen auf dem Platz unter der Linde, den Siegfried soeben verlassen, wie stürmte unser ganzes Innere dem jungen Helden nach, wenn des Waldvogels Lockung die Sehnsucht nach einem ›lieben Gesellen‹ in ihm zur hellen Glut entfacht hat! Mächtig und groß in jedem Zuge war dann wieder der dritte Akt von der geheimnisvoll erhabenen Beschwörung der Wala bis zur Erweckung Brünnhildes; die überwältigende Herrlichkeit der Szene ihres Erwachens mit ihrem unermeßlichen Liebesjubel gab den Rest, um den Erfolg des heutigen Abends im Verhältnis zu dem vorgestrigen noch als eine merkliche Steigerung erscheinen zu lassen. Dies bezeugten die anhaltenden, nicht nachlassenden Ausbrüche des allgemeinen Enthusiasmus, welche heute nicht mehr den Zweck haben konnten, den Meister oder seine künstlerischen Genossen und Helfer vor den Vorhang zu rufen, sondern nur, das Bekenntnis der Dankesschuld für einen empfangenen Eindruck laut werden zu lassen, einen Eindruck, wie man ihn zuvor nie erlebt, – und die sich dennoch in keiner Weise genugtun konnten.

Gleichwohl sollte man erfahren, daß die schöpferische Kraft des Künstlers ihren Gipfel und Höhepunkt erst da erreiche, wohin er selbst, dem Plan seines Kunstwerkes gemäß, ihn verlegt, und daß es ihm frei stand, auch über das Höchstgeleistete noch hinauszugehen. In gespanntester Erwartung sieht die versammelte Zahl der Hörer am 17. August der ›Götterdämmerung‹ entgegen. Aus der unbeschreiblich stimmungsvollen Nornenszene mit ihren geheimnisvoll fremdartigen Webeharmonieen blüht der Abschied Siegfrieds selbst wie ein Sonnenaufgang hervor. Das herrliche Orchesterzwischenspiel – Siegfrieds Rheinfahrt – trägt den Hörer mit dem Helden über die flimmernden, glitzernden Fluten des Stromes, aus denen der Rheintöchter Klageruf wie eine düstere Ahnung des Kommenden hervorklingt, in eine neue Welt, an den Hof der Gibichungen. Der Eintritt des Arglosen in diese Welt weiht den Wotansenkel rettungslos der dunklen Macht des Fluches: von hier an ist er dem dämonischen Truge verfallen Nie erfaßt uns die Wirkung dieses Fluches mit kälterem Schauder als an dem furchtbaren Ausgang des ersten Aktes! – Nacht ist's: vor der Gibichungenhalle sitzt Hagen, vor ihm, im grellen Mondlicht, [293] Alberich, der Verderbensinnende, die Hände auf seine Knie gelehnt. Glühend bricht der Tag an und färbt des Rheinstroms Wogen mit sei nem purpurnen Licht. Siegfrieds Ankunft, die Mannenszene mit ihrer lang aufgesparten Wirkung frischen Chorklanges und der Massenaktion, das Erscheinen Gunthers mit Brünnhild und die vernichtende Gewalt des Schreckensausbruches der Betrogenen steigern sich unaufhaltsam zu dem unheilschweren Rachebündnis. Eine intensivere dramatische Wirkung, als dieser Akt sie bietet, liegt nicht im Bereich der Erfahrung. In knappster Schürzung folgen sich die Ereignisse des dritten Aktes. Auf die liebliche Rheintöchterszene der Tod des Helden, bei welchem kein Herz unerschüttert bleibt – dann verhüllen Nebel die Bühne; sie schwinden, und wir sind wieder in der Halle der Gibichungen. Gutrunes Angst um Siegfried, Hagens rauher Ruf bereiten das Erscheinen des Trauerzuges vor; auf die herzzerreißenden Klagelaute der Gibichungentochter und den Fall Gunthers im Kampf mit Hagen schreitet feierlich Brünnhild einher. Ihre Totenklage um den Gefallenen fließt wie ein breiter Strom dahin, in welchen die gesamte Tragödie mit allen ihren ethischen und musikalischen Motiven sich ergießt, dessen Macht sich niemand entziehen kann Sie übergibt den fluchbeladenen Ring den sühnenden Fluten; den schuldbelasteten Göttern gewährt sie die ewige Ruhe des Unterganges. Mit den, über den Scheiterhaufen hineinbrechenden Fluten des Rheines schlagen auch die Fluten des Orchesters über das Drama vom Ring des Nibelungen zusammen: über den Trümmern der Gibichungenhalle gewahrt man die Flammen, welche Walhall verzehren, und wie die befreite Seele des ganzen erschütternden Vernichtungsvorganges schwebt über allem das Thema der Liebeserlösung.

In der gesamten Geschichte des Dramas und des Theaters ist ein unerhörter Schritt geschehen, das empfinden nun die, deren Sorge an diesem Hause mitgebaut, das ahnt wohl der größere Teil der ergriffenen Hörer und Zuschauer. Wie auf einen Wink erhebt sich das ganze Haus und es erschallen die Stimmen zu brausendem Sturm. Kaum läßt sich nach dem ersten Austoben die Erregung soweit beschwichtigen, daß sich in einer der vorderen Sitzreihen ein Herr aus dem Vorstande des Berliner Wagner-Vereins (George Davidson) erheben und die Versammelten auffordern kann, ihre Rufe zu einem Hoch auf den Meister und seine erhabenen Kunst- und Kulturziele zu vereinigen. Dann hält das begeisterte Rufen so lange an, bis sich Richard Wagner genötigt sieht, vor dem Vorhange zu erscheinen. Tiefen Ernst im Antlitz, spricht er die einfachen, schlichten Worte: ›Ihrer Gunst und den grenzenlosen Bemühungen der Mitwirkenden, meiner Künstler, verdanken Sie diese Tat. Was ich Ihnen noch zu sagen hätte, ließe sich in ein paar Worte, in ein Axiom zusammenfassen. Sie haben jetzt gesehen, was wir können; nun ist es an Ihnen zu wollen. Und wenn Sie wollen, so haben wir [294] eine Kunst!‹ Schon bei den mit herzlichen Ausdruck hervorgebrachten Worten: ›meiner Künstler‹ unterbrach den Redenden ein lebhaftes: ›Bravo, Meister!‹ aus dem Orchester. Als die inhaltschweren Worte beendet waren, begann der kaum beruhigte Sturm von neuem. Noch einmal mußte sich Wagner zeigen. Sein, ›Axiom‹, an diesem Ort und bei dieser Gelegenheit vor Volk und Fürsten gesprochen, war ein Akt von geschichtlicher Bedeutung, eines jener großen, durch die Jahrhunderte klingenden reformatorischen Worte, wie das: ›Hier stehe ich, kann nicht anders‹. Es enthielt den Auszug aus dem gesamten künstlerischen Wesen des schöpferischen Geistes, der Werk und Haus aus eigener Kraft hatte entstehen lassen: den heiligen Drang zur Erschaffung einer großen, auf das geistige und sittliche Leben der Nation einwirkenden, freien, nur von sich selbst ihre Gesetze empfangenden Kunst; im Unterschied und Gegensatz zu der Treibhauskunst unserer, von tausend gewerblichen, unkünstlerischen Nebenzwecken geleiteten Theater- und Konzertinstitute. Der greise Heldenkaiser und Reichsbegründer hatte von einem ›nationalen‹ Werke des Meisters gesprochen und die Eröffnung der Bayreuther Festspiele durch seine persönliche Gegenwart zu weihen geruht; konnte eine volle Würdigung der damit verbundenen Idee billigerweise von ihm erwartet werden? Diese Idee – von den fünfzehnhundert geräuschvoll applaudierenden und durch das nun vollendete Wert ergriffenen Zuschauern war sie doch erst nur einem geringen Bruchteile innig zu eigen, und gerade ihre ernste Erkenntnis in den weitesten Kreisen der deutschen Nation mußte als die ersehnteste Frucht, das wertvollste Ergebnis dieses mit so ungeheuren, ja wahrhaft ›grenzenlosen‹ Bemühungen und Aufopferungen ermöglichten Festes gelten.

Eine weitere direkte Anregung dieser Erkenntnis behielt sich der Künstler noch vor. Der Abend des 18. August vereinigte den größten Teil der Festgäste – etwa siebenhundert Personen – zu einer abschließenden Gedenkfeier der vollbrachten Tat, einem solennen Bankett in den Räumen der Theaterrestauration. Dem aufsteigenden Terrain entsprechend, bot das Lokal zwei geräumige Säle, deren einer, mehrere Faß höher belegen, durch eine breite Stufenreihe mit dem unteren Saale verbunden ist. In beiden Räumen waren, ihrer ganzen Ausdehnung nach, je vier lange Reihen von Tischen gedeckt, die zu froher Geselligkeit einluden. In der Versammlung befand sich manche Größe auch der politischen Welt, unter andern vornehmen Festgästen auch Graf Andrassy. Auf das liebenswürdigste bewegte sich Wagner in dem glänzenden Kreise. Die unerhörte Elastizität seines Geistes gestattete es ihm, nach allen Anstrengungen der letzten Tage für jeden ein munteres und freundliches Scherzwort, eine witzige Bemerkung bereit zu haben.17 Um die achte Stunde [295] wurde die Tafel eröffnet. Während Frau Wagner an einem kleineren Tische einem auserwählten Kreise von Gönnern und Freunden (zu deren Zahl, außer mehreren hochgestellten Damen, wie Frau v. Schleinitz und Gräfin Dönhoff, Franz Liszt, der greise aber rüstige Gottfried Semper, die Herren des Verwaltungsrates u.a. gehörten) mit Anmut die Honneurs machte, saß der Meister selbst oberhalb dieser auserwählten Gesellschaft im Kreise seiner künstlerischen Genossen und beherrschte von diesem erhabenen Platze aus beide Räume. Ihm gegenüber Hans Richter, dessen junge Frau den Ehrenplatz zur Seite des Meisters inne hatte, außerdem Karl Hill, Frau Materna und Frau Sadler-Grün, Herr v. Reichenberg (Fafner), Gustav Siehr u.a. Dagegen fehlten merkwürdigerweise einige Vertreter der Hauptrollen, wie Betz und Niemann, die es also nach dreimonatlicher gemeinsamer Arbeit nicht für wert hielten, bei dieser Gelegenheit sich um ihren Meister zu scharen, sondern ihm immer noch wegen des vereitelten Hervorrufes zu grollen schienen.18 Etwa eine halbe Stunde nach Beginn des Mahles erhob sich Richard Wagner und trat dicht an den Rand der in den unteren Saal herabführenden Stufen. Es habe ihm geschienen, so begann er, als habe man gestern durch ihn noch über etwas belehrt werden wollen. Er wolle daher heute seinen verehrten Patronen, Gönnern und Freunden im Namen seiner Künstler. Das sagen, was sie früher und an anderer Stelle von ihm erwartet. Er komme auf seine gestrigen Worte zurück, die, wie er höre, mißverstanden worden seien. Er habe nicht sagen wollen, daß wir bisher keine Kunst gehabt. Aber eine nationale Kunst, wie sie Italiener und Franzosen besitzen, mochte sie zeitweise auch bei ihnen eine Abschwächung erfahren oder in Dekadence geraten, habe den Deutschen bisher gefehlt Besonders trete dieser Mangel an Originalität auf dem Gebiete hervor, auf welchem er es versucht habe, sich durch einen Wust von Unklarem und Unsauberem hindurchzuarbeiten, zu einer Kunst, die jener fremdländischen, bescheiden gesagt, ebenbürtig sei. Was er in dieser Beziehung im Sinne habe, das habe er hier zeigen wollen, und zur Ausführung seines Vorhabens dankenswerte Unterstützung durch seine Freunde gefunden. Da es nun ausgeführt sei, mache er den Vorschlag, solche Festspiele alljährlich zu wiederholen. – Aber indem er es ausführte, habe ihn oft genug der Mißmut ergriffen, er habe oft genug geglaubt, untersinken zu müssen und es nicht fertig zu bringen. Man habe sein Unternehmen als eine ›Gründung‹, einen Schwindel, als Gott weiß was verschreien wollen, obgleich von vornherein [296] jedermann bekannt gewesen, daß es sich hier um keinen pekuniären Erwerb gehandelt. Da hätten sich ihm diejenigen angeboten, die ihm nun auch zur Durchführung seines Werkes verholfen und sich nicht abhalten ließen durch das, was Rezensenten und Journalisten ihnen Tag für Tag sagten, er wolle Unmögliches: – seine Künstler. Diesen seinen Künstlern, seinen Freunden, danke er aus tiefstem Herzen, sie seien seine ersten Patrone. Uneigennützig hätten sie ihm ihre Kräfte geliehen, durch ihre freie Mitwirkung, ohne jeden Lohn, sei dem Feste der Charakter gewahrt worden, daß es nun keine Vorstellung sei ›gegen Entree‹, wie das banale Wort laute. Er dankte sodann auch nochmals den Männern, die hier im lieblichen Bayreuth selbst, ohne vielleicht in die künstlerische Seite seines Wesens den vollen Einblick zu haben, im Vertrauen auf seine Redlichkeit, ihm ihre Kräfte hingegeben. Der folgende Teil der Ansprache knüpfte an die Schlußworte des Faust, die er mit Bezug auf sein Unternehmen interpretierte. ›Alles Vergängliche sei nur ein Gleichnis‹, so auch das vergängliche Kunstwerk, aber ein Gleichnis des Bleibenden, Ewigen. Und wenn das, was sie geboten, in manchen Punkten noch ›unzulänglich‹ gewesen sei, so müsse es nun doch einmal als, ›Ereignis‹ anerkannt werden. Die Anwendung des, ›Unbeschreiblichen‹ lag nahe: war doch endlich dasjenige ›getan‹ und in die Wirklichkeit getreten, was den Zeitgenossen zu ›beschreiben‹ ihm lange Jahre hindurch die größte Not bereitet! Er beging einen momentanen Gedächtnisfehler und zitierte das ›Unausbleibliche‹, wußte aber mit Geistesgegenwart auch diesem Worte einen schönen Sinn abzugewinnen. Als er von der Macht des, ›Ewig-Weiblichen‹ sprach, hob sich sein Ausdruck zu würdevollem Ernst. Man spräche von dem Ideale, das sie anstreben. Das ›Ideal‹ sei ein Neutrum. Er setze dafür die ›Idee‹. Für die Kunst sei das ›Ewig-Weibliche‹ Goethes die Idee. Die Idee sei ihr mächtigster Hebel, ihre Macht habe sie zum höchsten Gipfel des Könnens hinangeführt, so daß er ihnen nun den Anfang einer neuen Kunst bieten könne. Die herzlich liebenswürdige Versicherung, mit welcher er zur Förderung dieser Kunst einlud: ›Ich meine es ehrlich, glauben Sie mir, ich meine es wirklich ehrlich‹, hätte auch einen verstockten Gegner hinreißen müssen.

Zu der schönen Unbedenklichkeit, mit welcher er sich durch die letzte Versicherung, ohne sich selbst das Mindeste zu vergeben, zu der Unmündigkeit seiner Zeitgenossen herabließ, bildete gleich die nächste Rede des Reichstagsabgeordneten Duncker, wenn auch nur in ihren Prämissen, einen wenig erhebenden Kontrast. Wenigstens klang es nach den außerordentlichen Erlebnissen der letzten Tage reservierter als vielleicht gemeint war, wenn dieser Redner als ›einfacher Laie‹ das abschließende ›Urteil‹ über Wagners kunstgeschichtliche Stellung der Nachwelt (!!) überließ, um sodann seinem Streben, seiner Energie und Willenskraft seine uneingeschränkte Bewunderung zu zollen. Die Kunst sei das einigende Element im Getriebe der politischen Parteien, [297] hierin beruhe ihre Bedeutung auch für den Staat und das soziale Leben. Durch Schwung und Feuer glänzten die Worte eines jungen Landsmannes von Liszt, des Grafen Apponyi: er feierte den Meister als den Siegfried, der, weil er das Fürchten nicht gelernt, die Tragödie in ihrer mächtigsten Gestalt aus dem Schlafe, in den sie verschlossen war, wieder geweckt habe: ›Heil Dir, Siegfried, Wecker des Lebens, siegendes Licht!‹ Einer oratorischen Leistung von intimerer Art, in welcher ein volles Herz in ebenso aufrichtig empfundenen Worten wie sein gewählter Sprache auf die Zunge trat, durfte die nächste Umgebung der trefflichen Frau Lucca aus Mailand, der Gattin von Wagners unlängst verstorbenem italienischen Verleger, Zeuge sein.19 Mit vieler Grazie zog die würdige Dame als, ›petit cadeau‹ einen silbernen Lorbeerkranz hervor und ließ es sich nicht nehmen, ihn dem Meister mit eigener Hand auf das Haupt zu setzen. Das Signal zu ungezwungenster Heiterkeit war gegeben, als sich Wagner mit dem freundlichsten Humor diese Huldigung gefallen ließ und, die ihm gespendete Zier auf dem Haupte, am Arme von Frau v. Schleinitz seine Wanderung durch die Reihen seiner Verehrer fortsetzte. Wo er anhielt, sprühten die Funken seines Witzes, treffend und geistvoll, dabei harmlos und ungezwungen; wie ein überragender Genius und doch wie ein Kind; als wäre er nicht mehr derselbe, der eben noch in ernster Mahnung die gegenwärtige Tat auch für die Zukunft fruchtbar zu machen gesucht, während doch aus jedem seiner Worte die volle Tiefe des Geistes und Gemütes hervorklang. Noch einmal wandte er sich zum Ernste zurück, indem er auf die schöne Bedeutung hinwies, die für sie Alle der Glaube an ihre Sache besitze. ›Hier ist derjenige, welcher mir zuerst diesen Glauben entgegengetragen, als noch keiner etwas von mir wußte, und ohne den Sie heute vielleicht keine Note von mir gehört haben würden, mein lieber Freund-Franz Liszt!‹ Es war ein innig erquickender Anblick, als er nach diesen Worten seinen wieder eingenommenen Platz nochmals verließ und die Stufen hinabschritt, mit weit geöffneten Armen, um vor aller Augen den ehrwürdigen Freund zu umfangen. Nur wenige Worte [298] vermochte der Tiefgerührte als Antwort hervorzubringen: er stehe vor ihm mit derselben Ehrfurcht, wie vor den größten Geistern aller Jahrhunderte; es sei sein Stolz, sich ihm tief unterzuordnen. Die letzte kurze Ansprache Wagners forderte zur Heiterkeit auf: es sei vielerlei zu Gehör gebracht worden: von einer Seite her, von der er es am wenigsten erwartet, sei ihm eine Bedeutung auch für den Staat zugesprochen worden, ein Enthusiast habe ihn poetisch zu verherrlichen versucht, es seien ernste Worte gesprochen worden: ›Nun aber kein vernünftiges Wort mehr!‹ – Dieser Losung gemäß wurde der Abend nach allem Großen und Schönen, was er in seinem Schoße geführt, ein hoffnungserfülltes und freudiges Zusammensein, als sei Allen schon jetzt diejenige Zukunft gewährleistet, deren wunderbare Vorboten die eben durchlebten Tage gewesen.

Durch den Aufschub der ›Siegfried‹-Vorstellung und das Bankett war die Zwischenzeit bis zum zweiten Zyklus der Festspiele auf einen einzigen Tag zusammengeschmolzen. Für den Meister und die Seinigen war dieser angebliche Ruhetag in seinem ganzen Verlauf ein Abschieds- und Empfangstag: das Publikum der ersten Serie ging nun fort, das der zweiten stellte sich ein, darunter der Herzog von Meiningen nebst Gemahlin; auch der alte Dresdener Freund Tichatschek, den Wagner zur zweiten Aufführung eingeladen. Außerdem hatte der Meister vormittags und nachmittags auf dem Theater zu tun. Die vortreffliche, ihn sehr befriedigende Sängerin der Erda und Waltraute, Frau Jaïde aus Darmstadt, war erkrankt und mußte plötzlich ersetzt werden, was für die Partie der Erda durch Frau Kindermann, für Waltraute durch Marianne Brandt (S. 150) geschah. Beide Künstlerinnen übernahmen hiermit ohne weitere allgemeine Probe bedeutende Aufgaben und führten sie in dankenswerter Weise durch. Eine fernere Personalveränderung fand für die Rolle des Froh im ›Rheingold‹ statt Diesen hatte zur ersten Aufführung Unger gesungen, der durch die 50–60 Takte dieser Rolle zwar gesanglich nicht angestrengt, doch aber genötigt war, anstatt sich zu erholen, den ganzen Abend auf der Bühne zu verbringen. Statt seiner sollte ein junger Tenorist (Engelhardt) eintreten; für diesen war erst vormittags, dann wegen Nichterledigung der Angelegenheit20 abends 7 Uhr auf dem Festspielhaus eine kurze Probe seiner Szenen angesetzt, obgleich inzwischen auf der Bühne bereits die Dekoration der ersten Rheingold-Szene vorgeschoben war. Der Empfangs-abend in Wahnfried vereinigte diesmal gegen zweihundert Personen, darunter Standhartner mit Familie, Frau v. Schleinitz, die reizende Gräfin Dönhoff mit ihrer sehr begabten und anziehenden Mutter Mme. Minghetti, Gräfin Usedom mit Tochter, Judith Gautier, Graf Apponyi, Schüré, Nietzsche mit [299] Schwester, Gersdorff, Klindworth, Dannreuther, Richard Pohl, Damrosch, Alfred, Formann, der Verfasser einer ausgezeichneten Übersetzung der ›Ring‹-Dichtung in das Englische u.s.w. u.s.w, eine unübersehbare Menge von Erscheinungen, welche Saal und Halle des Hauses in flutendem Wechsel erfüllten und in deren Mitte sich der Meister – scheinbar unermüdet durch alle Ansprüche – bewegte, in jedem Augenblick der Mittelpunkt eines anderen Kreises. Bewundernswert war dabei die sich stets gleichbleibende unerschöpfliche Produktivität, die Lebendigkeit und heitere Liebenswürdigkeit seiner Unterhaltung, die Gabe der ebenso geistreichen und witzigen, wie prägnanten und anschaulichen Darstellung Jederzeit stand ihm das treffendste Wort, das schlagendste Bild oder Gleichnis zu Gebote, und wo das Wort aufhörte, half die Gebärde oder ein ausdrucksvolles Mienenspiel nach Nie ist uns die, etymologisch nicht ganz zutreffende, Ableitung des Wortes ›Geist‹ in ›Oper und Drama‹ – als sei dieser das von uns sich Ausgießende, wie der Duft das von der Blume sich Ausbreitende, Ausströmende – sinnfälliger geworden, als bei diesem Verkehr des allen Überlegenen mit den wechselnd um ihn sich bildenden Gruppen, wobei er meist ganz allein die Kosten der Unterhaltung trug, und dies nach Wochen voll anstrengendster Tätigkeit, nach einem Tage mit den verschiedensten geselligen und künstlerischen Anforderungen.

Die Regelmäßigkeit der Aufführungen erlitt bei dem, mit dem 20. August beginnenden, zweiten Zyklus keinerlei Unterbrechung. In szenischer wie musikalischer Beziehung war das Gelingen durch eine größere Unbefangenheit Aller gefördert: das ganze Personal hielt sich wacker, trotz einer fortdauernd tropischen Temperatur, die von den Probentagen und -Wochen in gleichmäßiger Heiterkeit angehalten hatte. Der machtvolle Eindruck des Ganzen war durch die erneute Aufführung bei den Hörern der ersten nur erhöht: ihnen war Gelegenheit geboten, immer tiefer in die unerschöpflichen Geheimnisse des Wunderwerkes einzudringen. Auch außerhalb des Theaters zeigte sich, wie tief die empfangenen Eindrücke Sinn und Gemüt aller Teilnehmer beschäftigten. Selbst im freien Spiel des Humors brachen sie als Reminiszenzen durch, wenn im Gastzimmer des Reichsadlers nach der Aufführung die erquickende Abendluft durch die weitgeöffneten Fenster strömte und, in heiterer Gesellschaft, vereinigte Messer und Gabeln am leeren Glase den zögernden Aufwärter mit dem Schmiedemotiv der Nibelungen herbeilockten oder zahlreiche Pointen der Dichtung als Schlagwörter von Mund zu Mund gingen und stets gerüstete Erwiderung fanden Niemand empfand dies als eine Entweihung oder ein Herabziehen des Großen in das Triviale des täglichen Lebens, weil eben dieses festlich gestimmte Dasein selbst, von den empfangenen Eindrücken erfüllt und durchdrungen, wie im freien Äther von jedem Druck und aller Schwere befreit, in nichts an das sonstige tägliche Leben erinnerte. Bereits vernahm man von außen her, wie nichtswürdig schmähend und entstellend die deutsche ›Presse‹ [300] das große Ereignis begeiferte und neben dem Herunterreißen des Künstlers und seiner Schöpfung sich darin gefiel, die schlechte Verpflegung in den Gasthöfen einer schonungslos übertreibenden Kritik zu unterziehen. Gewiß war hier nicht auf den ersten Anlauf alles so, wie es sein sollte; doch waren alle diese Mängel des üblichen großstädtischen Komforts mit Humor zu ertragen und niemandes Wohlsein war dadurch geschädigt. Im Gegenteil. So gab es bei der anhaltenden Sommerglut noch manche andere kleine Beschwerde: obgleich für die Dauer der Festspiele nicht allein aus den benachbarten größeren Städten eine ansehnliche Zahl von Lohnfuhrwerken sich eingefunden und aus der näheren Umgebung von Bayreuth, was nur irgend an Roß und Wagen aufzutreiben, mobil gemacht war, mußte sich dennoch glücklich preisen, wer um die Aufführungszeit auf halbem Wege eines rückkehrenden Gefährtes sich bemächtigen konnte. Und doch war man zur rechten Zeit oben.

Wo aber des Meisters Gäste sich einem freudigen Genießen hingeben durften, drängte sich für ihn anhaltend alles Schwere an Pflichten und Ansprüchen zusammen. Es wird berichtet, daß am ersten Festspieltag 500 Personen ihre Karten in Wahnfried abgegeben hätten und er, da der Andrang der Besucher zu groß war, Massenaudienzen habe erteilen müssen. ›Ich machte‹, erzählt Nietzsches Schwester, ›eines Morgens einen Besuch in Wahnfried und wartete in dem kleinen Treppenflur, da die große Halle von Besuchern erfüllt war. Ich blickte hinein; mindestens 40 Kapellmeister, junge Künstler und Schriftsteller warteten dort auf eine Audienz Was ich in diesen wenigen Minuten sah, waren interessante Köpfe, seine geistvolle Gesichter; die älteren Herren sprachen mit leiser gedämpfter Stimme, die jüngeren hörten mit einem schönen Ausdruck von Ehrfurcht zu. Überhaupt lag über dieser kleinen, auf den Meister wartenden Menge eine ernste, weihevolle, ehrfürchtige Stimmung. Es war mir fast peinlich, daß ich sogleich angenommen wurde, während diese Leute noch lange Zeit zu warten hatten‹. Soweit ist in dieser Erzählung alles schön und gut; das überwältigend Komische kommt erst, wenn es weiter heißt: ›Vor solchen wahrhaft künstlerischen Menschen hätte man den Ring des Nibelungen allein aufführen und den Zuschauern nachher das Recht der freien Meinungsäußerung gestatten sollen! Welche viel größere Wirkung hätte dann Bayreuth auf die Entwickelung der Kunst ausüben können!‹ Nun, an freier Meinungsäußerung hat es von dieser Seite her in Bayreuth zu keiner Zeit gefehlt und niemand je den leisesten Versuch unternommen, das Recht dazu irgend einem Teilnehmer der Aufführungen zu verkürzen! Leider waren und blieben es die ›freien Meinungen‹ solcher Herren von der Zunft, die, ihre Operndienstgewohnheiten und ihren Viervierteltakt selbst hierher noch mitbringend, sehr viel und anhaltend von Bayreuth erst zu lernen hatten, bevor sie zu irgend einer ›Meinungsäußerung‹ berufen waren. Wir erinnern uns auch mit solchen ›künstlerischen Menschen‹ im ›Anker‹ oder in der ›Sonne‹[301] reichlichst verkehrt zu haben; der Ertrag davon war niemals sehr ausgiebig. Gerade auch zum zweiten Zyklus hatten sich plötzlich scharenweise deutsche ›Kapellmeister‹ zu besonderen Vergünstigungen, freiem Eintritt u. dgl., gemeldet, die alle ein besonders großes Interesse an der Sache gehabt haben wollten, während es allüberall gerade ihre Trägheit und Schlaffheit war, die, nächst der geringen Einsicht ihrer Intendanzen, an dem Verkommen der deutschen Theater die Schuld trug. ›Gegen ihre Faulheit und Unfähigkeit, die Bedürfnisse einer dramatischen Aufführung zu verstehen, stehe ich eben im Kampfe‹, hatte er noch vor wenigen Jahren geschrieben.21 Wir entsinnen uns, durch den mitanwesenden Sänger des Froh eine recht drastische Schilderung des Empfanges jenes Münchener Hofkapellmeisters vernommen zu haben, der sich die Zuneigung des Meisters schon dadurch verscherzt, daß er an des ausscheidenden Hans Richters Stelle – ohne jede tiefere Kenntnis dieser Werke – unbedenklich die Direktion jener fatalen Münchener ›Rheingold‹- und ›Walküre‹ Aufführungen22 mit unzureichenden Kräften übernahm. Es war diesem Manne jetzt alles daran gelegen, dem Meister auseinanderzusetzen, aus welchen Gründen er früher kein ›Wagnerianer‹ gewesen, es jetzt aber geworden sei! Er wünschte nämlich gern in München die musikalische Leitung der beiden früher von ihm dirigierten Werke zu behalten, während Levi eine Bedingung seines Bleibens in München daraus gemacht hatte, daß ihm die vier Werke dauernd übertragen würden. Der Empfang dieses Mannes durch den Meister war, so berichtet unser Zeuge, so unbefangen und liebenswürdig, als es sich jener nur wünschen konnte; nur hinterher sei er doch froh gewesen, als er ihn losgeworden und habe ihm, als er außer Hörweite war, nachgerufen: ›Adieu, Herr – Herr Generalmusikdirektor!‹ Denn es war nur allzu handgreiflich klar, worauf das Anliegen und die erklärte Gesinnungsänderung ausging.

Wir reihen hier noch einige andere, nicht von uns selbst mit erlebte Erfahrungen über die Art an, wie des Meisters Haus, seine Kraft und Zeit während dieser Aufführungen in Anspruchgenommen war. In vielen Fällen handelte es sich nicht bloß um Empfänge, sondern auch um Gegenbesuche, die, so lange dies möglich war, seinen hervorragenderen Gönnern von dem Meister persönlich gemacht wurden Wir sehen noch seinen Wagen am 26. Juli vor dem Hotel Reichsadler stehen, wo er der Fürstin Barjatinsky (S. 267) die ihm gemachte Visite erwiderte. Die meisten Besuchempfänge und Erwiderungen nahm ihm, mit ihren unvergleichlichen gesellschaftlichen Fähigkeiten, in selbstaufopfernder Weise seine Gattin ab. ›Ich kam‹, so berichtet Adelheid Schorn, ›eines Tages nach Wahnfried, als der Wagen vor der Türe stand – Frau Wagner wollte Besuche machen. Sie lud mich ein mit ihr zu fahren, um [302] unterwegs sprechen zu können. Wir waren bei Helmholtz und seiner Frau, bei Frau Materna und Frau Mathilde Wesendonck‹ etc. ›Es erschienen damals in Bayreuth‹, erzählt Nietzsches Schwester, ›so viele Leute mit dem Anspruch, von Wagners (wegen ihrer angeblichen Verdienste um die Sache) ganz besonders geehrt zu werden. Und wenn nun auch der Meister und Frau Cosima die verkörperte Gerechtigkeit gewesen wären, so hätten sie es doch nicht ausführen können, so und so viele Menschen ganz »besonders« zu ehren, d.h. jeden immer etwas mehr als den andern. So war ganz Bayreuth mit den Gefühlen gekränkter Eitelkeit erfüllt (?), die Luft war schwer und schwül davon und Frau Cosima mußte oft ganze Vormittage umherfahren, um solche gekränkte Empfindungen zu beschwichtigen.‹ Wir geben diese Betrachtungen, mit einigen Verkürzungen und Weglassungen liebloser Zusätze, unverändert wieder, bloß um zu zeigen, daß es in dieser berauschend herrlichen Zeit der Erfüllung großer Hoffnungen auch Kreise gab, in welche jenes unermeßliche Glücksgefühl nicht eindrang, die von allem nur das sahen, was ihnen selbst innerlich verwandt war: die nächste Umgebung eines überreizten kranken Mannes, der sich bisher nach seiner eigenen Erklärung als ›Wagner-Schriftsteller‹ in seiner geistigen Entfaltung unterdrückt (!) gefühlt hatte23 und sich fortan mit der bescheidenen Aufgabe begnügte: ein bloßer ›Nietzsche-Schriftsteller‹ zu werden oder zu bleiben! ›Mein guter Stern‹, fährt hingegen A. v. Schorn fort, ›hatte mich nur mit Menschen zusammengebracht, die die reine Freude an den herrlichen Werken genossen. Von Wahnfried, von Wagner selbst, hörte und sah ich gerade nur das, was meinen Enthusiasmus steigern konnte‹.24 Und dies war wohl die Erfahrung aller, die in Gegenwart eines Hohen und Höchsten das Triviale nicht absichtlich und mit Bewußtsein aufsuchten.

Die tiefliegenden Mängel, welche der gesamten Leistung trotzdem noch anhafteten, konnten natürlich niemand mehr, als dem Schöpfer des Werkes bewußt sein. Das Vorbild für den von ihm gemeinten dramatischen Stil war diese, trotz aller mühvollen Vorbereitungen dennoch übereilte Aufführung noch nicht. So weit dieses Werk seine ganze Zeitepoche überragte, so weit war diese seine vorläufige Wiedergabe von der Vollendung entfernt, so weit blieb diese Wiedergabe hinter dem Ideal zurück Einstweilen hoffte er noch mit Sicherheit auf eine nächstjährige Wiederholung. ›Nächstes Jahr machen wir Alles anders‹, sagte er einmal unter vier Augen zu seinem treuen Mitarbeiter Fricke; den Seinigen gegenüber sprach er sich offen darüber aus. Gleichwohl war der Erfolg des Ganzen auch diesmal ein gewaltiger, und das Verdienst selbstloser Unterordnung aller unter den gemeinsamen Zweck [303] wurde auf das lebhafteste von ihm anerkannt. Auch am Schluß der zweiten Aufführung machte sich die allgemeine Begeisterung in derselben geräuschvollen Weise Luft, wie das erste Mal, und wußte sich, des Meisters ausdrücklichem Wunsche entgegen, durch anhaltendes Rufen sein persönliches Erscheinen endlich zu erzwingen. Er erschien vor dem Vorhang, in den Zügen seines Antlitzes noch die Ergriffenheit des eben Erlebten; doch flog es wie ein leichter Schatten über die majestätische Stirn, als er mit großem Auge und ernstem Blick die erregte Versammlung überschaute und sich dem aufs neue ausbrechenden Beifallstoben gegenüber mit stummer Dankesgebärde verneigte. ›Hast Du stenographiert?‹ sagte, im Getümmel des Herausgehens, aus einer Gruppe englischer Freunde der eine, und: ›das hat er recht gemacht!‹ war die Antwort des andern. Was er seinen Zuhörern mit Worten zu sagen gehabt, das hatte er bereits am Schluß der ersten Aufführungen klar und deutlich ausgesprochen: es war nicht zu wiederholen.

Wiederum gab es vom Donnerstag bis zum Sonnabend drei Zwischentage, in denen ein Teil des Publikums sich entfernte, ein anderer neu zum dritten Zyklus eintraf. Um die Mittagszeit des 24 hatte er den Herzog von Meiningen nebst Gemahlin bei sich zu Tisch; dieser hatte Frau Materna durch eine Ordensverleihung ausgezeichnet. Am Abend wogten wieder weit über hundert Gäste in den Räumen seines Hauses, und Herr Saint-Saëns ließ sich am Flügel vernehmen. Am folgenden Tage, als des Königs Geburtstag, war ein Diner beim Regierungspräsidenten Burchtorff nicht zu vermeiden; am Vorabend der letzten Aufführungsserie (26. August) reihte sich eine gesellige Pflicht an die andere: ein kleiner Kreis französischer Freunde, die er noch während der Probentage zum Frühstück bei sich gehabt, ließ es sich nicht nehmen, diese Einladung durch ein festliches Dejeuner zu erwidern; daran schloß sich eine Matinée bei Frau Kapellmeister Eckert; abends fand, für dieses Jahr, ein letzter ›Künstler Abend‹ in Wahnfried statt, mit reichlicher Verteilung von Andenken an jeden Einzelnen. Es begann ein förmliches Gedränge um ihn; alle, die noch nichts von seiner Hand besaßen, und viele, die schon so manches handschriftliche Andenken an ihn ihr eigen nannten, kamen trotzdem an seinen Schreibtisch und baten um ein schriftliches Erinnerungszeichen. So entstanden für eine ganze Reihe von Künstlern (Schlosser, Engelhardt, Frau Materna, Fricke etc. etc.) humoristische Reimsprüche auf der Rückseite von Porträts, bis ihm der Vorrat, nicht an drastischen Reimen, aber an vorhandenen Bildern ausging. Um 11 Uhr trennte man sich; dem Hausherrn stand noch die nächtliche Abholung des Königs bevor. Schon während der zweiten Aufführung waren die für die königliche Hofhaltung bestimmten Wagen und Fourgons angekommen; in der Nacht vom 26. auf den 27. August kam der König selbst, der sich am Vormittag noch eigens telegraphisch angemeldet. Nach allen Ansprüchen des Tages hatte demnach der Meister auch noch in [304] dieser späten Stunde Pflichten der Gastlichkeit gegen seinen erhabenen Wohltäter und künstlerischen Freund zu erfüllen, von denen er erst bei grauendem Morgen zurückkehrte. So kam es, daß er am nächsten Vormittag, um sich für den Abend zu schonen, von weiteren Pflichten dieser Art sich entband und ihre Erfüllung seiner Frau überließ. So erzählte uns der Sänger des ›Froh‹, Engelhardt, der ihn um diese Zeit zu sprechen hatte, er habe ihn, während unten im Salon der zum dritten Zyklus eingetroffene Prinz Georg von Preußen durch Frau Wagner empfangen wurde, oben in seinem Zimmer auf dem Sofa liegend gefunden und es sei ihm ganz eigen vorgekommen, nach Nennung seines Namens und Anmeldung durch den Diener persönlich zugelassen zu werden, während unten ›Frau Cosima mit dem Prinzen gesessen‹.

So begann die dritte und letzte Aufführung, vom 27. bis 30. August. Für ihr Gelingen war es unzweifelhaft günstig, daß sich an Stelle der bisherigen tropischen Temperatur bereits im Verlauf der letzten Tage eine wohltätige Abkühlung eingestellt hatte. Seit 4 Uhr nachmittags strömte am letzten ›Rheingold‹-Tage der Regen vom wolkenbedeckten Himmel Dennoch glänzte Bayreuth im schönsten Schmucke und die Straßen waren voll Menschen; der König nahm seinen Weg zum Festspielhause heute nicht, wie zur Probenzeit, auf entferntem Umwege, sondern mitten durch die Stadt, und die jubelnde Menge begleitete seinen Wagen bis zum Festplatze. Er hatte den bestimmten Wunsch geäußert, daß alle weiteren Ovationen von seiten der Stadt Bayreuth unterbleiben möchten; sonst würde er gar nicht kommen. Der Andrang zum dritten Zyklus war wieder recht groß, größer als zum zweiten; die böswillig ausgesprengten ungünstigen Gerüchte über das Werk, die Darstellung und die ›Verpflegung‹, kurz, über alles mit dem Unternehmen Zusammenhängende, hatten genügend Zeit gehabt, sich selbst zu widerlegen. Die Aufführung ging herrlich vonstatten, ohne die mindeste Störung oder Unregelmäßigkeit; das Publikum folgte mit atemloser Spannung und brach am Schlusse wieder in jenen unhemmbaren, geräuschvollen Sturm der Begeisterung aus, der sich noch nach jeder Vorstellung wiederholt hatte. Dasselbe galt von der Aufführung der ›Walküre‹ am folgenden Tage: keinem der Mitwirkenden war nach allen wochenlangen Anstrengungen die mindeste Spur der Abspannung anzumerken. Niemann war herrlich, Frau Materna unübertrefflich: schwierig zu behandeln blieb einzig Betz, der dem Meister durch sein übles Betragen so manchen Kummer, so manche Sorge bereitet. Um so mehr war es diesem darum zu tun, alles in Güte zum Ziel zu führen. Es war ihm ein Leichtes, den König dazu zu bestimmen, den beiden Sängern der männlichen Hauptrollen für ihre Verdienste den St. Michaelsorden zu gewähren. Doch hörten wir ihn noch anderen Tages über das allgemeine Urteil der Öffentlichkeit klagen: ›die »Walküre« sei ein herrliches Werk, bis auf den zweiten Akt‹; wahrscheinlich meine man damit die Wotanszenen. Man übersehe nach alter Operngewohnheit die [305] Hauptsache, das Ganze des Dramas, und halte sich an die bloß episodischen Gestalten: Siegmund und Sieglinde. Wie sehr dies allgemeine Urteil auf den Darsteller des Wotan zurückfiel, haben alle späteren Aufführungen gelehrt; der Meister ließ indeß auf seinen Sänger nichts kommen und nahm ihn immer in Schutz. Bei derselben Gelegenheit rühmte er die Formannsche Übersetzung des Nibelungenringes in das Englische: sie sei ein ›Monument‹.

Ganz ohne Ovation für den Landesherrn ging es aber doch nicht ab, den Empfindungen der versammelten Festgäste ließ sich dieser Zwang nicht antun. War es doch jedem bewußt, daß einzig unter seinem Schutz das Große hatte erreicht werden können, wie viel ihm demnach für Person und Werk des kühnen Reformators zu danken war. Schon war zur Aufführung des ›Siegfried‹ (29. August) der Zuschauerraum verdunkelt, die gespannteste Stille eingetreten, ja die ersten düsteren Töne des Vorspiels hatten begonnen, als sich in den vordersten Sitzreihen Feustel, als Mitglied des Verwaltungsrates, offenbar laut Verabredung, von seinem Platze erhob und, statt einer in diesem Augenblick höchst unpassenden Rede, bloß mit schallender Stimme die Worte in den Zuschauerraum hineinrief: ›Seiner Majestät dem Könige Ludwig II. von Bayern, dem großmütigen Förderer und Beschützer der Kunst, aus vollem Herzen ein donnerndes Hoch!‹ Von den freudigsten Gefühlen bewegt, fiel die Versammlung begeistert in den Ruf ein und das volle Orchester stimmte lauten Tusch an. Aus dem Hintergrunde der Fürstenloge erhob sich die hohe Gestalt des Monarchen und die wieder hervortretende Beleuchtung fiel auf seine edlen, von dunklem Haar umrahmten Gesichtszüge, als er unter erneutem Hochrufen und tausendfachem Tücherschwenken von der Brüstung aus nach allen Seiten mit huldvollem Danke sich neigte. Dann trat er wieder zurück, die Beleuchtung ward eingezogen und die Vorstellung nahm ihren Verlauf. Unger, Schlosser, Hill und Betz, übertrafen sich selbst, vollends die unermüdete Frau Materna; aber auch Frau Jaïde war als Erda wieder auf ihrem Platze. Auch heute hinterließ das Erwachen Brünnhildens, deren Musik mit nichts anderem, als dem Erglühen schneeiger Alpengipfel sich vergleichen ließ, und die ganze ihm folgende Schlußszene einen überwältigenden Eindruck. Wie glücklich das Gelingen des Ungeheuren den Meister selbst machte, ward Denen recht ersichtlich, die an diesem Abende beim Herausströmen der Menge in das Vestibül ihrerseits das Glück hatten, ihn – auf dem Wege von der Bühne zum König – im schnellen Vorübereilen zu gewahren, wie er mit freudigem Gesichtsausdruck auf dem Wege ins Orchester hier einem Freunde auf die Schulter klopfte, dort einem Bekannten die Hand drückte, und ebenso schnell, wie aufgetaucht, den Blicken ver schwunden war.

Nach dem Schlusse der ›Götterdämmerung‹ (30. August) überstiegen die Kundgebungen der Versammelten alles Maß des bisher Gewohnten. Freudige Hochrufe auf König Ludwig mischten sich in das Verlangen nach Wagner, [306] der König selbst erschien an der Brüstung der Loge und applaudierte anhaltend. Richard Wagner trat hinter dem Vorhange hervor. Mit bewegter Stimme sprach er Worte des Abschiedes und des Dankes: Die Bühnenfestspiele seien zu Ende, ob sie wiederkehren würden, wisse er nicht. Er habe das lange vorbereitete Werk ein ›Festspiel‹ genannt, – mit welchem Rechte, könne er eigentlich nicht sagen, da in den Annalen der Geschichte in diesen Tagen kein Fest verzeichnet war. Es sei entworfen im Vertrauen auf den deutschen Geist und vollendet zum Ruhme seines erhabenen Wohltäters, Sr. Majestät des Königs von Bayern, der ihm nicht allein ein Gönner und Beschützer, sondern ein Mitschöpfer des Werkes gewesen. Oft habe er unter dem Hohn und Spott der Widersacher fast die Hoffnung aufgeben müssen, es ausgeführt zu sehen; nun es zu Ende, und wie der Beifall der Anwesenden zeige, nicht ohne Erfolg, dürfe er es vielleicht doch ein Fest nennen. Er hoffe nun, nicht wieder des Hochmutes geziehen zu werden, wenn er sage, mit den Festspielen sei ein Schritt zur Selbständigkeit der deutschen Kunst geschehen. Ob ein solcher Schritt geschehen, das werde die Zukunft lehren. Selbst wenn die hinter ihnen liegenden Aufführungen aber auch nur als ein erster Versuch zu betrachten wären, so würde dieser doch vielleicht nicht ganz nutzlos für die deutsche Kunst gewesen sein. Der Erfolg dieses Versuches falle aber zum großen Teil als Verdienst den mitwirkenden Künstlern zu –: ›ich wünsche‹, so schloß er, ›daß sie sich mir zeigen!‹ Der Vorhang öffnete sich: in weitem Halbkreise standen die vereinigten Künstler der Szene und des Orchesters, in ihrer Mitte Hans Richter, da, um des Meisters Abschiedsworte entgegenzunehmen. Durch ihren Glauben, ihre Hingabe sei in erstaunlichster Weise das vorgeschriebene Programm eingehalten worden, von dem zuvor niemand geglaubt hatte, daß es möglich sei; sie allein hätten ihm zu dem Unternehmen Mut gemacht und bis zum Ende ihre Treue gewahrt. Zum letzten Male wiederholte er ihnen den Dank für die Arbeit langer Tage, durchwachter Nächte, den Dank, daß sie ihm so treu geholfen, das Werk zu Ende zu führen: ›Und nun, da wir scheiden müssen, ein herzliches Lebewohl!‹ Was in den Gemütern der Zuschauer während dieser bedeutsamen Szene vorging, entzieht sich der Schilderung durch Worte. Die ungeheure Erhebung des Augenblickes vereinigte sich mit dem beengenden Gefühle des Scheidens, dem Bewußtsein, die Festtage seien nun wirklich zu Ende. Noch einmal loderten die Flammen der Begeisterung hoch auf und in tiefster Ergriffenheit verließ man das Haus. Wann würde man es wieder betreten?

Der König, bis zum letzten Augenblicke Zeuge des großen Vorganges, fuhr sofort nach Schloß Eremitage zurück und von da nach kurzer Erholung zur Rollwenzelei. Die Bürgerschaft hatte es sich nicht versagen können, dem geliebten Herrscher zum Abschiede eine Huldigung darzubringen: die Allee von der Eremitage zum Rollwenzelhause war mit farbigen Lampions beleuchtet, [307] von da bis zur Bahn waren in Doppelreihen Fackel- und Lampionträger, aus dem Veteranen- und Kriegerverein, der Feuerwehr, aus allen Ständen und Berufsklassen aufgestellt. Richard Wagner und der Bürgermeister der Stadt mit den Mitgliedern der städtischen Kollegien gaben dem Monarchen das Geleite. Am Fenster des Waggons stehend, lauschte er den letzten Worten des Künstlers, mit denen dieser in tiefster Rührung nächst dem huldreichen Schutze des Monarchen noch einmal auch der Bayreuther Bürgerschaft seinen Dank abstattete und mit einem von donnerndem Widerhall der Menge begleiteten Hochruf auf den König schloß.

Mit reißender Schnelle lichteten die nächsten Tage die Reihen der Festteilnehmer und der Künstler. Bei der Verabschiedung von den ihm herzlich ergebenen Musikern des Orchesters sagte Hans Richter: ›Wers ehrlich meint, kommt das nächste Jahr wieder!‹ Ein begeistertes ›Ja!‹ war die Antwort. Trotz der vielen Abschiede im Laufe des Tages war der am 31. August stattfindende letzte Empfangsabend noch überfüllt, und die näheren Freunde, wie Malwida, Gersdorf, Fürst Lichtenstein, Mathilde Maier u.a. blieben noch bis in die erste Septemberwoche hinein. Die ungeheure Ermüdung dieses ganzen verflossenen Vierteljahres machte sich nun erst geltend, wo sie durch keine neue tägliche Anspannung seiner Kräfte zurückgedrängt war. ›Ich bin‹, schreibt er (9. September) an Frau Materna, ›von einer lastenden Schwermut erfaßt und ersehne nur den Augenblick, der mich zur Zerstreuung fährt. In wenig Tagen, etwa nächsten Donnerstag gehe ich mit der ganzen Familie nach Italien. Von dort aus grüße ich Sie wieder, wie wir alle heute Sie aus vollstem Herzen grüßen!‹

Fußnoten

1 Vgl. Liszts Briefe an die Fürstin. ›Wagner seul se trouvait constamment dans la loge du Roi, ma fille a été appellée dans cette loge, où les 5 enfants ont offert un bouquet au Roi‹ (Liszts Briefe VII, S. 150).


2 Im Frickeschen Tagebuch heißt es: ›Ich fuhr schon um 4 Uhr ins Theater, um Inspektion zu halten und mich anzuziehen, um ähnlich so zu erscheinen, wie Hill (Alberich), der mich gebeten hatte, 24 Takte für ihn zu figurieren, damit er sich zu der Stelle: »fing' eine diese Faust!« ausruhen könnte. Wagner haben wir gar nichts davon gesagt, im Zuschauerraum wurde die Doppelfigur nicht bemerkt.‹


3 Band IV (III1) des vorliegenden Werkes, S. 195.


4 Die Ankündigung in den Zeitungen lautete: ›Inhaber von Patronatscheinen können zur heutigen Generalprobe Eintrittskarten erhalten. Dieselben werden im Geschäft von Friedrich Feustel ausgegeben. Der Verwaltungsrat der Bühnenfestspiele.‹ (›Bayreuther Tagblatt‹ und ›Oberfränk. Zeitung‹ vom 7. August 1876.)


5 Auf einen ganz anderen Ton sind die Tagebuchnotizen des treuen Mitarbeiters Fricke über diese Generalprobe abgestimmt, der den Eindruck nicht aus dem Zuschauerraum empfing, sondern hinter den Kulissen und in steter Sorge um das Gelingen. ›Mit Längen und Würgen, und für mich unter Schweiß und Angst, ging die Probe von 5–111/4 Uhr zu Ende. Die Schlußszene (er meint damit die szenischen Evolutionen um den Scheiterhaufen und das Tableau der untergehenden Walhall) ging erbärmlich und wird womöglich Fiasko machen, wenn Brandt nicht alle Minen springen läßt und ihm nicht günstige Zufälle helfen. Ich fuhr mit Wagner, Frau Cosima und den Kindern nach Hause, war aber nicht aufgelegt zu sprechen, noch meiner Sorge Worte zu geben‹ (Fricke, Erinnerungen, S. 134).


6 Vgl Band IV (III1) des vorliegenden Werkes, S. 104/6.


7 Als unzertrennliche Begleiterin jedes größeren Ereignisses hat sich auch die Betriebsamkeit der Modeindustrie auf die Masse der Festspielbesucher gerüstet. Mit erstaunlicher Mannigfaltigkeit ist alles zu Wagner und dem Festspiel in Beziehung stehende tausendfach industriell vervielfältigt und ausgenutzt worden, bis auf die Vignetten der Zigarrenläden hinab. Des Meisters Bild in Stahlstich, Photo- und Lithographie, in Büsten und auf Münzen, in allen Formen der Nachbildung, das Festspielhaus auf tausend Utensilien des täglichen Lebens, in den Buchläden ganze Kollektionen der Werke des Meisters und der an sie sich anknüpfenden sog. ›Wagner-Literatur‹ (!) in Flugschriften, Broschüren und Büchern!


8 Für den Meister gab es auch an diesem Tage auf dem Festspielhause noch kleine Proben im Einzelnen; auch war der Drache endlich fast vollständig angekommen.A1 ›Mit Wagner und Brandt‹, erzählt Fricke, ›ging im in die Restauration und fuhr dann allein mit dem Meister in die Stadt. Auch ein Einzug durch die geschmückten und belebten Straßen Bayreuths! Alles grüßte uns. Ich gestehe, daß diese Fahrt am heutigen Tage ein besonderer Kitzel für meine Eitelkeit war.‹ (Erinnerungen, S. 137.)


9 ›Die Menschenmenge‹, heißt es bei Fricke, ›welche sich nachdem bei Angermann allmählich einfand, spottet jeder Beschreibung. Vielen alten Bekannten begegnet, und neue Bekanntschaften gemacht. Wilhelm Scholz und Dohm, die Männer des »Kladderadatsch«, begrüßten mich herzlich aus alter Zeit‹.


10 Brandt sei, so berichtet Fricke, durch die begangenen Fehler derart aufgeregt worden, daß er außer sich, seine Kommandos laut geschrieen habe, so daß man sie ›bis in den Zuschauerraum hinein vernahm‹. Das kann doch von denen, die von dort aus den Eindruck empfingen, nur im beschränktesten Maße bestätigt werden, da es glücklicherweise wohl nur an Stellen geschah, wo diese Rufe durch die Musik übertönt wurden.


11 Er war von Gastein, wo seine Gattin noch zum Kurgebrauche weilte, über Salzburg und München um 1/24 Uhr mit Gefolge in Bayreuth angekommen, und reiste bereits am nächsten Morgen um 4 Uhr 50 M. über Essen nach Köln.


12 Band III (II2) des vorliegenden Werkes, S. 148/49.


13 Vgl. E. Heckel, Erinnerungen (unter dem Titel: ›Briefe Richard Wagners an E. Heckel‹), S. 112.


14 Natürlich nur durch die hergebrachte Opern-Gewohnheit und die Mißleitung der allgemein erregten Stimmung durch persönliche Interessen Einzelner, die mit dem Beispiel vorausgingen! So wurde gerade die am wenigsten hervorragende künstlerische Kraft, die Darstellerin der Sieglinde, die dem Meister während der Proben so viele Sorgen und Zweifel erregt, nach der Erzählung im ersten Akte durch einen heftigen Applausversuch, der viele mit fortriß, ausgezeichnet. Dieser Übelstand durfte in Bayreuth nicht zu dauernder Geltung gelangen, ihm mußte gleich in seinen ersten Anfängen gesteuert werden und ist gesteuert werden, – mochte es auch manchen Berliner und Münchener Hofopernsänger verdrießen!


15 A. v. Schorn, ›Zwei Menschenalter‹, S. 329.


16 Ebenda, S. 327. Zum ›Aneinandergeraten‹ boten u.a. die agents provocateurs der feindlichen, besonders reichshauptstädtischen und Wiener Judenpresse mit spöttischen und schmähenden Bemerkungen die schönste Gelegenheit, und aus einem solchen Rencontre, das sich gerade bei ›Angermann‹ am 15 zutrug, wurde hinterher in eben diesen selben Blättern reichlichst Kapital geschlagen!


17 Noch derselbe Tag hatte ihm, außer einer ganzen Kette von Besuchen und Diners, ein unerhörtes Hin und Her von gesellschaftlichen Ansprüchen gebracht! Am ›Götterdämmerungs‹-Tage hatte ihn außerdem der Großherzog von Schwerin mit Frau und Tochter, wie nicht minder der Großherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar mit ihrem Besuche in Wahnfried beehrt.


18 Zur rein äußeren Erklärung dieser Abwesenheit mag dienen, daß die Einladung zu dem Festbankett nicht von Wagner selbst, sondern von den Restaurateuren ausgegangen war. Doch war unter allen Teilnehmern nicht einer, der nicht gewußt hätte, daß der Meister mit seinen nächsten Freunden daran teilnehmen würde!


19 Als die Nachfolgerin ihres Mannes Francesco Lucca hatte die resolute Frau und enthusiastische Anhängerin Wagners einen fast 25 Jahre währenden Kampf gegen die Mißgunst ihrer italienischen Landesgenossen zu bestehen, in dem sie sich schrittweise das Terrain erkämpfen mußte. Zwar in Bologna hatte ›Lohengrin‹ einen großen Erfolg errungen (vgl. Band IV, S. 372/74); allein die Mailänder Musikkamarilla bereitete dem Schwanenritter im Skalatheater einen lärmenden Mißerfolg. Siebenmal setzte Frau Lucca die Wiederholung durch, aber die Gegner waren stärker und sie mußte der heulenden Meute weichen, worauf das Skalatheater den Werken Wagners durch volle 15 Jahre verschlossen blieb. Doch, Frau Lucca gab nicht nach; auf ›Lohengrin‹ folgten ›Tannhäuser‹, ›Rienzi‹, der ›Fliegende Holländer‹; unter ihrer Ägide unternahm Angelo Neumann seinen Triumphzug nach Italien und Frau Lucca erlebte es noch, wie das Scala-Publikum dem ›Ring des Nibelungen‹ enthusiastisch applaudierte und keine italienische Stagione mehr ohne ›Wagner‹ möglich war.


20 Weder Wotan-Betz, noch Loge-Vogl waren zu dieser angesagten Probe erschienen, bloß Donner und die Riesen.


21 Vgl. Band IV (III1) des vorliegenden Werkes, S. 251.


22 Ebendaselbst, S. 302/3, vgl. S. 307 (Bülows Ausspruch!), S. 313 Anm.


23 Vgl. hierzu dasjenige, was bereits in seinem, auf S. 248/49 dieses vorliegenden Bandes mitgeteilten letzten Geburtstagsbrief an den Meister zwischen den Zeilen zu lesen ist!


24 A. v. Schorn, Erinnerungen (unter dem Titel: ›Zwei Menschenalter‹), S. 329.


A1 Sehr drollig nimmt sich in den Frickeschen Aufzeichnungen seine erklärte Feindschaft gegen den Wurm aus. ›Der Drache ist angekommen‹, notiert er für sich am 14. August in sein Tagebuch. ›Als ich ihn sah, flüsterte ich Doepler zu: In die allertiefste Rumpelkammer mit dem L....! Weglassen! An diesem Wurm gehen wir zugrunde. Und dieser Drache kostet 500 Pfd. Sterling!‹ (Fricke, Erinnerungen, S. 136/37)


Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 5, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 280-309.
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