Auch die Behandlung der Instrumentalbegleitung und die Zusammensetzung des Orchesters wurde bereits durch Scarlatti so festgesetzt, wie sie in der Folgezeit im Wesentlichen beibehalten wurde. Zum Recitativo secco des Dialogs wird, wie schon bemerkt, nur vom Basse der Grundton des Accords angegeben, während auf dem Klavier, an welchem der Componist oder der stellvertretende Kapellmeister dirigirte, der volle [259] Accord angeschlagen und je nach Bedürfniß wiederholt wird. In den Arien und Ensembles tritt die volle Instrumentalbegleitung ein; die aber den Charakter der Begleitung, der Unterordnung unter den Gesang sehr bestimmt festhält. Allerdings hatte schon Scarlatti die Begleitung von dem Bann erlöst, nur die generalbaßmäßige Ausfüllung der Harmonie darzustellen, welche einem gegebenen Baß zu einer gegebenen Melodie Schritt vor Schritt folgt, und ihr eine freiere Bewegung gegeben; allein von Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Orchesters den Singstimmen gegenüber war dabei noch keine Rede. Selbständig trat das Orchester nur auf in den meist sehr langen Ritornellen, die aber nur die Motive der Arie vom Sänger auf die Instrumente übertragen wiederholten, in den kürzeren Zwischensätzen der begleiteten Recitative und endlich in der die Oper eröffnenden Sinfonia.
Für diese hat sich frühzeitig eine ziemlich constant festgehaltene Form ausgebildet1. Sie besteht aus drei Sätzen, einem Allegro, einem langsameren auch durch Tactart, Instrumentation – die meistens schwächer ist – und Charakter abstechenden kürzeren Satz, und einem rasch hinfließenden, heiteren und meist rauschenden Allegro. Diese Grundzüge ließen eine reiche und vielgestaltete Entwickelung zu, sowohl in Rücksicht der musikalischen Ausführung und Gestaltung, als der individuellen Charakteristik nach Maßgabe des Gegenstandes der Oper. Allein hierfür war in Italien von jeher wenig Sinn, man legte geringen Werth auf die Ouverture, und es blieb meistens bei der ganz allgemeinen Abstufung der drei [260] Sätze unter einander. Leitet doch auch Arteaga2 die Ouverture aus der Nothwendigkeit ab das verwirrte Murmeln der Zuhörer zu stillen, ihre Aufmerksamkeit zu erregen und ihre Gemüther zur Stille und guten Ordnung vorzubereiten, obgleich er die Componisten tadelt, daß sie nicht ihren Vortheil daraus zu ziehen verständen und durch die Symphonie den Affect auszudrücken sich bestrebten, der in der ersten Scene herrschte.
Bei den ersten Opernaufführungen war das Orchester zum großen Theil sehr reich und complicirt und es werden eine Reihe damals gebräuchlicher Instrumente genannt, die aber so vollständig verschollen zu sein scheinen, daß selbst die neuesten Instrumentationskünstler ihr Orchester noch nicht damit geschmückt haben. Das Orchester Scarlattis aber bildet in seiner Zusammensetzung schon die wesentliche Grundlage des noch heute bestehenden. Den Hauptstamm bilden die Saiteninstrumente, Violinen, Bratschen und Bässe; aber ihre Anwendung ist sehr einfach. Die Violoncelli gehen regelmäßig [261] mit den Contrabässen und auch die Bratschen bilden häufig nur die Verstärkung des Basses, so daß sie nicht selten in der Partitur gar nicht geschrieben werden; wo sie selbständig auftreten, sind sie dagegen manchmal getheilt, wie die Violinen, die aber auch sehr oft mit einander gehen. Unter den Blasinstrumenten spielen die Oboen bei weitem die Hauptrolle; nur neben ihnen, zur Abwechslung und besonderen Charakteristik erscheinen die Flöten, vereinigt sind sie selten, daher auch meistens im Orchester beide Instrumente von denselben Personen geblasen wurden. Ferner werden dann die Hörner angewendet und um einen besonderen Glanz zu verleihen Trompeten und Pauken3; Fagotts dienen in der Regel nur als Verstärkung der Bässe und treten selten selbständig auf. Demgemäß waren bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts auch die größten Orchester besetzt und eingerichtet. Ein Beispiel sahen wir schon oben S. 214 am Mailänder Orchester; interessant ist auch die Notiz, welche Rousseau4 über die von Hasse veranstaltete und als musterhaft gepriesene Besetzung und Anordnung des Dresdner Orchesters mittheilt5.
[262] Vergegenwärtigt man sich den allgemeinen Eindruck eines solchen Orchesters, so fällt zunächst die starke Besetzung der Baßstimme auf, welche der durch den Sänger vertretenen herrschenden Melodie gegenüber am selbständigsten auftritt und in der That für dieselbe eine feste Grundlage bildet. Diese beiden Elemente treten als die wesentlichsten so entschieden hervor, daß nicht selten die Melodie dem Baß gegenüber noch durch die Geigen und Oboen oder Flöten verstärkt wird. Um sich aber die Wirkung selbst bei starker Figuration nicht zu dürftig vorzustellen, darf man nicht vergessen, daß der Accompagnist auf dem Flügel die Harmonie ausfüllte. Diese zu verstärken und durch Abwechslung der Klangfarbe zu beleben war die Hauptaufgabe der Blasinstrumente. Indessen tritt, wo das Orchester als ein Ganzes behandelt wird und seine Bestandtheile mehr in der Masse wirken, sehr selten ein Bestreben nach seiner, detaillirter Schattirung durch abwechselnde Instrumente hervor; wo dieses erreicht werden soll, verwendet man concertirende Soloinstrumente.
Italien zeichnete sich damals auch als die Mutter und Pflegerin der Instrumentalvirtuosen aus. Eine Reihe ausgezeichneter Violinisten6 begründete den Ruhm des Violinspiels und [263] erhob ihn auf eine außerordentliche Höhe, auch für Oboe und Fagott7 gab es in Italien treffliche Meister und später erst konnte Deutschland auch hier mit Italien erfolgreich wetteifern; in Frankreich blieb die Instrumentalmusik am längsten zurück. Schon Scarlatti führte die Leistungen der Instrumentalvirtuosen in die Oper ein; die Richtung auf das bloß äußerlich Virtuosenhafte war hier noch näher und gefährlicher. Das Begünstigen der einzelnen glänzenden Leistung wirkte im Orchester so nachtheilig, wie auf der Bühne, indem sie die sorgfältige Durchbildung zu einem Ganzen hinderte. Dann aber, da man es liebte, den Instrumentalvirtuosen mit dem Gesangvirtuosen förmlich wetteifern zu lassen, wirkte allmählich die Kunst jenes auf diesen ein, anstatt daß es umgekehrt sein sollte, und trug nicht wenig dazu bei, daß die Stimme des Sängers als ein Instrument behandelt wurde. Bekannt ist es daß Farinelli seinen Ruhm in Rom begründete, indem er mit einem ausgezeichneten Trompetenbläser wetteiferte, für den Porpora eine obligate Partie zu Farinellis Arie geschrieben hatte. Die Hauptaufgabe war ein lang ausgehaltener Ton und Farinelli besiegte seinen Nebenbuhler durch Dauer und kunstmäßigen Vortrag zweimal. Die Anecdote8 ist charakteristisch für die Verschiedenheit virtuosenhafter Leistungen in verschiedenen Zeiten. Damals hatte die Kunst der Trompetenbläser einen Grad der Ausbildung erreicht, von dem die heutigen [264] Trompeter noch entfernter sind als unsere Sänger von den Gesangskünstlern jener Zeit.
1 Früher wandte man auch in Italien die durch Lully in Frankreich festgestellte Form der Ouverture an, welche mit einem Grave beginnt, auf welches ein rascher, meistens fugirter Satz folgt, der zuletzt wieder ins Grave übergeht und damit schließt.
2 Arteaga rivol. 13 t. II p. 172 (II S. 239ff. d. Ueb.). Dies hat sich auch der schon früher einmal erwähnte Schaul gemerkt und rühmt von Jomellis Symphonien daß sie in diesem Sinne wahre Ouverturen sind (Briefe über den Geschmack in der Musik S. 79f.), ein Geräusch, wie Weber (hinterl. Schr. I S. 68f.) sagt, das im Orchester gemacht wird um die Zuhörer zur Stille zu bewegen. Etwas seiner ist die Auffassung bei Rousseau (Dictionn. de mus. Ouverture): Dans un spectacle nombreux où les spectateurs font beaucoup de bruit, il faut d'abord les porter au silence et fixer leur attention par un début éclatant qui les frappe. Après avoir rendu le spectateur attentif, il convient de l'intéresser avec moins de bruit par un chant agréable et flatteur qui le dispose à l'attendrissement qu'on tâchera bientôt de lui inspirer, et de déterminer enfin l'ouverture par un morceau d'un autre caractère, qui tranchant avec le commencement du drame, marque, en finissant avec bruit, le silence que l'acteur arrivé sur la scène exige du spectateur.
3 Posaunen waren in der Kirche regelmäßig im Gebrauch, nicht in der Oper.
4 Rousseau Dictionn. de mus. Orchestre, danach wiederholt bei Kandler (vita di Hasse Taf. 1). Hasse bestätigte in Wien Burney daß die Angaben Rousseaus vollkommen genau seien (Reise II S. 257).
6 Es genügt an Arcang. Corelli (1653–1713), Franc. Geminiani (1680–1762), Ant. Vivaldi (16..–1743), Gius. Tartini (1692–1770), Pietro Nardini (1722–1793), Gaet. Pugnani (1727–1803), Ant. Lolli (1733–1802) zu erinnern.
7 Ich nenne nur die Gebrüder Besozzi, Alessandro (1700–1775), Antonio (1707–1781), Gaetano (1727 – nach 1793), Oboisten und Girolamo (1713–1781) Fagottist.
8 Burneys Erzählung (Reise I S. 153) ist von Fétis in einigen Punkten berichtigt.
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