Die komische Oper, welche Mozart für das Theater in München zum Carneval 1775 – zwei Jahr nach demLucio Silla – componirte, war La finta giardiniera. Der Text, welchen Anfossi bereits componirt hatte1, gehört zu den elendesten [359] die es giebt2. Die Handlung ist unverständig und verworren, die handelnden Personen fast sämmtlich Karikaturen3; es ist nur darauf angelegt eine Anzahl Situationen herbeizuführen, bei denen gelacht werden kann.
Die Marchese Violante Onesti ist von ihrem Geliebten Conte Belfiore in einem Anfall von Eifersucht verwundet worden und da er sie getödtet zu haben glaubt, flieht er. Verkleidet macht sie sich mit einem treuen Diener Roberto auf ihn zu suchen; beide treten als Gärtner chei Don Anchise, Podesta von Lagonero, in Dienste, sie unter dem Namen Sandrina, er als Nardo. Der Podesta verliebt sich [360] in die schöne Gärtnerin und vernachlässigt die Zofe Serpetta, welcher er früher den Hof gemacht hat, und um deren Gunst sich nun Nardo vergeblich bemüht; die beiden fremden Eindringlinge sind ihr gleich verhaßt. Bei Don Anchise hält sich als Gast Ramiro auf, früher ein begünstigter Liebhaber Armindas, einer Nichte von Don Anchise, welche ihn aber verabschiedet hat um sich mit Belfiore zu verloben.
Beim Beginn der Oper sind die Bewohner von Lagonero in voller Thätigkeit den Garten zum Empfang der Verlobten, deren Ankunft man erwartet, zu schmücken; die verschiedenen Gefühle der Einzelnen, ihre Sympathien und Antipathien sprechen sich dabei aus. Nachdem Ramiro dem Podesta gestanden daß eine unglückliche Liebe ihn quäle verläßt er ihn; dieser heißt Nardo und Serpetta sich entfernen um mit Sandrina allein zu bleiben und ihr eine Liebeserklärung zu machen, welcher sie auszuweichen sucht, indeß Serpetta sie immer von Neuem stört; dies giebt zu einer komischen Arie des Podesta Veranlassung. Darauf erklärt Sandrina dem Nardo, sie wolle um den Bewerbungen des Podesta zu entgehen diesen Ort verlassen und beklagt sich über die Untreue der Männer, Ramiro der dazukommt beklagt sich über die Untreue der Frauen, und Nardo über die Hartherzigkeit Serpettas. – Arminda, die so eben angelangt ist, läßt den Podesta und Serpetta ihre Launen empfinden, als Conte Belfiore eintritt, sie als Braut begrüßt und sich wie ein affectirter eitler Geck beträgt, während sie ihm auseinandersetzt, daß sie heftig und launisch sei und ihn mißhandeln werde, was er wohl zufrieden ist, und dem Podesta eine närrische Rede hält von seinem Adel, seinem Reichthum, seiner Schönheit, seinen Eroberungen und seiner Liebe zu Arminda. Nachdem dann Serpetta und Nardo sich gezankt, sehen wir Sandrina im Garten beschäftigt. Arminda, welche sie dort findet, erzählt [361] ihr daß sie den Conte Belfiore heirathen werde: vor Schreck wird Sandrina ohnmächtig. Arminda ruft Belfiore zu Hülfe und überläßt ihm die bewußtlose Sandrina um ihr Riechfläschchen zu holen; als sie zurückkommt, tritt grade Ramiro dazu, die vier Liebenden erkennen einander und gerathen in die äußerste Bestürzung, über welche der herbeikommende Podesta vergebens Aufschluß verlangt, indem alle abgehen und ihn allein lassen. Ehe er sich von seiner Verwunderung erholt, erzählt ihm Serpetta um ihn eifersüchtig zu machen, daß sie Belfiore mit Sandrina in zärtlicher Unterhaltung gesehen habe und er zieht sich zurück um sie zu beobachten. Belfiore sucht Sandrina das Geständniß zu entlocken daß sie Violante sei, sie läugnet es anfangs, dann vergißt sie sich und macht ihm wegen seiner Untreue Vorwürfe. Als er ihr darauf reuevoll zu Füßen fällt, kommt Arminda mit Ramiro dazu, alle stürzen herbei, überhäufen ihn und Sandrina mit Vorwürfen und in der allgemeinen Verwirrung schließt der Act.
Der zweite Act beginnt damit daß Ramiro Arminda wegen ihrer Untreue Vorwürfe macht, und diese Belfiore wegen der seinigen; dann treibt Serpetta mit Nardo ihren Spott. Sandrina, welche gegen ihren Willen Belfiore noch liebt, wird von ihm im Garten überrascht, vergißt sich und überhäuft ihn mit Vorwürfen; als er darauf voll Reue fleht, daß sie ihm ihre Liebe wieder schenken möge, besinnt sie sich und erklärt ihm, sie habe Violante gekannt, deren Gefühle sie ihm geäußert habe. Ganz verwirrt macht er ihr zärtliche Entschuldigungen und will ihr die Hand küssen, erfaßt aber die des Podesta, der lauschend herangeschlichen ist, und geht bestürzt ab. Dieser macht nun Sandrina erst Vorwürfe, darauf eine förmliche Liebeserklärung, der sie mit Mühe auszuweichen sucht. Ramiro kommt mit einem Brief, in welchem Belfiore [362] als Mörder der Marchese Onesti angezeigt wird und fordert den Podesta als obrigkeitliche Person auf Untersuchung anzustellen; zum großen Verdruß Armindas erklärt dieser die Hochzeit für aufgeschoben; Ramiro schöpft für sich neue Hoffnung. Der Podesta nimmt nun Belfiore ins Verhör, der trotz der Einflüsterungen Armindas und Serpettas sich in seinen Aussagen verwirrt und den äußersten Verdacht auf sich zieht; da erscheint Sandrina und erklärt, sie sei die Marchese Violante, die nur verwundet aber nicht getödtet worden sei. Man glaubt ihr nicht und verhöhnt sie, und als sie mit Belfiore allein ist und dieser entzückt ihr von Neuem seine Liebe erklären will, sagt sie ihm, sie sei nicht Violante, sondern habe im Vertrauen auf ihre Aehnlichkeit mit ihr sich für sie ausgegeben um ihn zu retten. Er bleibt allein, ganz verwirrt und bestürzt verliert er die Besinnung und fängt an wirklich zu deliriren, kommt aber doch noch wieder zu sich. Dem Podesta und Ramiro berichtet darauf Serpetta, daß Sandrina entflohen sei, verräth aber, als jene fortgeeilt sind um sie aufzusuchen, vor dem lauschenden Nardo, daß Arminda sie an einen einsamen verborgenen Platz im nahen Walde habe bringen lassen, um zu verhindern, daß sie ihre Hochzeit mit Belfiore störe. – Hier sehen wir dann Sandrina, im Finstern allein gelassen, in Noth und Verzweiflung. Hinter einander kommen darauf Belfiore von Nardo geführt und der Podesta um Sandrina zu suchen, Arminda und Serpetta um sich zu überzeugen daß sie dort hingebracht ist; im Dunkeln geräth der Podesta an Arminda, Belfiore an Serpetta, beide in der Meinung mit Sandrina zu reden, welche Nardo der sich ihr nähert mit Freuden erkennt – da kommt Ramiro, der Alles aufbietet Belfiore die Hand Armindas zu entreißen, mit Fackeln. Als die Gesellschaft sich erkennt, ist anfangs große Verlegenheit; dann bricht alles in Schelten und Vorwürfe aus; Sandrina [363] ist darüber wie Belfiore vom Verstand gekommen, beide bilden sich erst ein Hirten zu sein und singen zwischen dem allgemeinen Lärm verliebte Pastorale, dann glaubt sie Medusa, er Hercules zu sein, zuletzt wollen sie vor Vergnügen tanzen, während die Anderen vor Zorn und Erstaunen außer sich sind.
Im dritten Act wird Nardo wiederum von Serpetta verspottet, dann bedrängen ihn Belfiore und Sandrina, welche in ihrem Wahnsinn ihn zum Gegenstand leidenschaftlicher Liebe machen, und denen er mit Mühe durch List entflieht. Der Podesta hat hierauf von Serpetta zu leiden, die er abweist, von Arminda, welche mit Belfiore vermählt sein will und von Ramiro, der Armindas Hand verlangt, worauf sie ihm von Neuem erklärt, daß sie ihn verabscheue. – Im Garten sind Belfiore und Sandrina eingeschlafen und erwachen unter den Tönen einer sanften Musik von ihrem Wahnsinn geheilt; sie erkennen sich und nach einigem Widerstreben giebt sie seinen erneueten Liebesanträgen Gehör. Auf diese Nachricht entschließen sich Arminda dem Ramiro und Serpetta dem Nardo ihre Hand zu reichen und nur der Podesta bleibt allein zurück.
Es kostet Mühe dieser ungeschickt an einander gehängten Reihe von Scenen zu folgen, aus denen keine zusammenhängende Handlung zu Stande kommt, und wenn man dazu nimmt, daß die einzelnen Figuren ohne Charakter sind, der Dialog ohne Witz und Geist, und sehr selten eine Situation eigentlich komisch ist, so wird man diesen Text als einen sprechenden Beleg für die allgemeine Klage ansehen, daß in den komischen Opern weder eine verständige Handlung noch ein unterhaltender Text zu finden sei, sondern alles meist auf untergeordnete Spaßmacherei hinauslaufe. Der Componist mußte Viel leisten, der einen solchen Text über Wasser halten wollte.
[364] Von Mozarts Originalpartitur sind nur noch der zweite und dritte Act vorhanden, der erste ist verloren4. Nun ist diese Oper aber später deutsch bearbeitet worden; der deutsche Text ist in der Originalpartitur von Leop. Mozart untergelegt, der auch hie und da der Declamation wegen kleine Veränderungen in den Noten vorgenommen hat5. Daß Wolfgang dieser Bearbeitung aber nicht fremd geblieben war erkennt man daraus, daß auf besonderen Blättern die begleiteten Recitative, welche in der deutschen Oper beibehalten wurden, von seiner Hand umgeschrieben beiliegen6. Wann diese Bearbeitung vorgenommen und wer der Uebersetzer ist habe ich nicht mit Sicherheit herausbringen können. Sie wurde in dieser Gestalt unter dem Titel Das verstellte Gärtnermädchen im Jahr 1789 in Frankfurt aufgeführt, wie man richtig angiebt7. Daß aber die Bearbeitung damals erst vorgenommen worden sei, wäre schon deshalb sehr unwahrscheinlich, weil Mozart in der Zeit schwerlich eine Jugendarbeit ohne erhebliche Veränderungen auf die Bühne gebracht [365] hätte; da Leop. Mozart, welcher 1787 starb, den Text geschrieben hat, muß die Bearbeitung älter sein. Dies findet nun seine Bestätigung dadurch, daß in Reichardts Theaterkalender, welcher eine Uebersicht der für die Bühne arbeitenden Tonkünstler und ihrer Werke giebt, bereits im Jahrgang 1781 unter Mozarts Werken die Operette Die verstellte Gärtnerin angeführt wird8; sie muß also damals schon irgendwo gegeben oder wenigstens ihre Existenz bekannt gewesen sein. Da sie im Theaterkalender von 1779 noch nicht angeführt ist, so darf man vermuthen, daß die Bearbeitung nach Mozarts Rückkehr aus Paris in Salzburg vorgenommen wurde; wir werden sehen, daß er damals mit mancherlei Arbeiten für die deutsche Oper beschäftigt war, bei denen er sowohl Manheim als Wien im Auge hatte. Wahrscheinlich wird Schachtner der Bearbeiter gewesen sein; die Uebersetzung ist schwerfällig und plump, wie man sie ihm wohl zutrauen kann. Die Partitur dieser deutschen Bearbeitung hat sich in Abschriften erhalten9 und es ist ein vollständiger Klavierauszug derselben gedruckt10.
[366] Hier ergiebt sich aber ein Problem. Mir liegt die Abschrift einer Partitur des ersten Actes vor, welche leider im Anfange des Finales abbricht11. Hier sind nicht allein an die Stelle der italiänischen Namen deutsche gesetzt12, sondern es ist ein anderer deutscher Text untergelegt13. Auch in der Musik sind Veränderungen vorgenommen. Bei einigen Arien (n. 2. 3. 5. 7) ist das Ritornell gekürzt, bei einer (n. 10) vor dem Eintritt des 3/8 eine Kürzung vorgenommen; dagegen finden sich in einer andern (n. 7) vor dem Schluß (S. 55, Syst. 4, nach Tact 5) 17 Tacte, die in jener Bearbeitung fehlen, und in der folgenden (n. 8) ist eine längere Stelle (S. 62, Syst. 4, Tact 3 bis S. 63, Syst. 4, Tact. 5) ganz verändert. Viel erheblicher aber sind die Abweichungen der Instrumentation. Diese ist bei allen Nummern mit Ausnahme von n. 9 verstärkt worden. Bei der Ouverture und Introduction, der Arien. 8 und dem Finale ist das vollständige Orchester angewandt, wie es Mozart nur in der letzten Zeit [367] gebrauchte, auch bei den übrigen Nummern sind mehrfach Blasinstrumente zusammengestellt, namentlich die Clarinetten häufig gebraucht, wie es Mozart damals so wenig als Andere zu thun pflegten. Hier fragt es sich nun, ob eine von Mozart später vorgenommene Umarbeitung vorliegt, oder der Versuch eines Anderen Mozarts Musik durch reichere Instrumentation aufzuhelfen14. Gegen die erstere Annahme spricht, daß in Mozarts eigenhändigem sehr sorgfältigem Cataloge seiner Arbeiten von 1784–1791 diese Bearbeitung nicht erwähnt ist, und noch mehr die Beschaffenheit derselben. Die Erweiterung der Instrumentation ist nicht ohne Geschick und insofern mit einer gewissen Freiheit gemacht, als den zugesetzten Blasinstrumenten hie und da selbständige Motive und Figuren gegeben worden sind, welche zu dem ursprünglich Gegebenen hinzuerfunden sind; allein diese sind nicht nur im Ganzen unbedeutend, sondern es ist sorgfältig darauf geachtet, daß die ursprüngliche Instrumentation nirgends wesentlich dabei verändert werde. Es ist aber nicht denkbar, daß Mozart bei der Ueberarbeitung eines eigenen Werks sich nicht einmal die Freiheit genommen haben sollte, mit welcher er bei der Instrumentation Händelscher Oratorien verfuhr, um das was er früher geschrieben hatte ängstlich zu respectiren; es ist ebenso unwahrscheinlich daß er, wenn er die Instrumentation völlig umarbeitete, nicht das ganze Werk wieder [368] vorgenommen und einer durchgreifenden Reform, namentlich durch Kürzung, unterzogen haben sollte, da wir wissen, daß er in späteren Jahren eine strenge Selbstkritik übte15.
Wenn man sich vergegenwärtigt, was über das Verhältniß der Opera buffa zur Opera seria im Allgemeinen gesagt worden ist, wie schon in der ersten komischen Oper Mozarts sein Talent für Alles das, worauf es bei dieser hauptsächlich ankam, so entschieden sich ausspricht, endlich daß zwischen der letzten Opera seria und der Finta giardiniera mehrere Jahre liegen, welche in dieser Zeit der Entwickelung von keiner geringen Bedeutung sind, so wird man nicht überrascht sein, wenn diese Oper nicht allein in der Sicherheit der formalen Behandlung sondern durch Originalität und Kraft der Erfindung, durch lebendige Charakteristik einen unvergleichlich höheren Rang einnimmt als die bisher betrachteten.
Von den sieben handelnden Personen, welche alle mit sicherer Hand in festen Umrissen gezeichnet sind und jede ihre Individualität treu bewahren, sind nicht alle komische Charaktere16.
Die Partie des Ramiro, welche für einen Castraten geschrieben ist und schon dadurch auf die Opera seria hinweist, hat einen durchaus ernsten Charakter: es ist der gefühlvolle, leidenschaftlich aber unglücklich Liebende, der nur dadurch komisch [369] wird, daß er trotz der schlechten Behandlung, welche ihm von Arminda widerfährt, unermüdlich in seiner Neigung bleibt, immer von Neuem zürnt und hofft. Von diesem Contrast, welcher in der Situation liegt, ist in die musikalische Charakteristik nichts aufgenommen. Am bestimmtesten ist sein Charakter in den beiden Arienn. 18. 25 ausgesprochen. Die erste ist eine Cavatine, welche auf eine einfach schöne Weise das Gefühl der hoffenden treuen Liebe ausdrückt, voll Innigkeit und wahrer Empfindung; die zweite eine leidenschaftlich bewegte Arie, in welcher der Unwille über die treulose Geliebte sich ausspricht, zwar sehr unruhig und bewegt, – was durch die lebhaft accentuirte Declamation wie durch die rasch wechselnde, zum Theil in frappanten Uebergängen fortschreitende Harmonie ausgedrückt wird – aber doch mit einer Mäßigung des Pathos, welche auf der richtigen Erwägung beruht, daß in einem solchen Charakter auch die Leidenschaft nicht so gewaltsam auflodert, daß sie Alles um sich her verzehrt. Am ruhigsten gehalten ist Ramiros erste Arie (n. 2), in welcher er die Betrachtung anstellt, daß ein von einer unglücklichen Liebe kaum Geheilter sich vor neuer Verlockung zurückzieht; er hat die treulose Geliebte noch nicht wiedergesehen, deren Anblick ihn nachher über dem Verlangen sie zu besitzen Alles vergessen macht. So ist in diesen Arien eine durchaus folgerichtig gesteigerte Entwickelung eines bestimmten Charakters gegeben. Ohne Zweifel gab die Eigenthümlichkeit des Sängers zu der individuellen Gestaltung der vom Dichter gelieferten Grundzüge bestimmende Veranlassung; allein darin bewährt sich eben der Künstler, wenn er Bedingungen der Art zu Gesetzen macht, nach welchen mit innerer Nothwendigkeit ein in sich einiges Kunstwerk sich entwickelt. Aus jenen äußeren Umständen geht es auch hervor, daß die Arien des Ramiro der alten Form am nächsten stehen und [370] durch Passagen am meisten für den Sänger sorgen. Besonders gilt dies von der ersten Arie, die im ganzen Zuschnitt an die Bravurarie erinnert, der auch die langen Ritornelle nicht fehlen; doch sieht man auch in den übrigen wohl die Anlage eines breitgehaltenen ersten Theils, der nach einem Mittelsatz wiederholt wird. Aber nicht allein ist diese Wiederholung eine stricte –, es treten dabei vielmehr manche Modificationen ein – sondern dieser Haupttheil ist in seinen einzelnen Bestandtheilen reicher, freier und organischer gegliedert; besonders aber ist der Abschnitt, welcher den eigentlichen Mittelsatz vertritt, nicht mehr als ein Fremdartiges, absolut Contrastirendes angefügt, sondern obgleich er einen bestimmt ausgesprochenen Gegensatz bildet, ordnet er sich als ein zum Ganzen gehöriger Theil demselben ein. Das seine Gefühl und die Kunst, mit welcher er eingeführt, dann in einer Weise behandelt wird, welche darauf hinweist, daß er den völligen Abschluß nicht zu geben sondern nur vorzubereiten bestimmt ist, endlich wieder ins Hauptthema zurückleitet, verläugnen sich in keiner Arie dieser Oper völlig, und hierin ist ein Fortschritt gegen die früheren unverkennbar, in denen eine gewisse Unbeholfenheit, welche den Zwang der überlieferten Form nicht zu überwinden weiß, grade in dieser Hinsicht wahrzunehmen ist.
Dem Ramiro steht wie der Anlage des Textbuches so auch der musikalischen Ausbildung nach Arminda am nächsten17. Sie ist als ein stolzes, hochfahrendes, leidenschaftliches Mädchen, die indem sie den treuen Liebhaber empörend [371] mißhandelt und einem anderen nachläuft, dem sie die Treulosigkeit, welche sie selbst begeht, aufs heftigste vorwirft, nicht komisch, kaum lächerlich, sondern widerwärtig wird. Die musikalische Charakteristik hat in die erste Arie (n. 7) hauptsächlich dadurch ein komisches Element gebracht, daß sie die Heftigkeit als Hastigkeit auffaßt; allerdings wird die adliche Dame dadurch der Soubrette näher gebracht, allein der Text stellt sie gradezu gemein dar und hat es dem Componisten dadurch unmöglich gemacht, dem eingebildeten Stolz des vornehmen Fräuleins die komische Seite abzugewinnen18. Die zweite Arie (n. 13), in welcher sie dem Contino mit der Rache für seine Untreue droht, ist durchaus pathetisch gehalten, und zwar ist in der Musik, während die Ausdrücke des Textes fast roh sind, ein karikirter Ausdruck des Pathetischen, der an Parodie streift, wie auch die Form und Behandlung der Arie der Weise der Opera seria nahe steht, so daß bei angemessenem Vortrag diese Arie allerdings damals eine komische Wirkung machen konnte, während heute mehr das Altmodische hervortritt. Daß diese Partie von aller Bravur frei geblieben [372] ist, die man nach dem Zuschnitt dieser Arien erwarten möchte, war wohl in der Eigenthümlichkeit der Sängerin begründet, an welche überhaupt keine besonderen Ansprüche weder hinsichtlich des Umfangs noch der Ausbildung der Stimme gemacht werden, und die wohl ohne Zweifel eine Seconda donna war.
Eigenthümlich ist die Rolle der Sandrina. Komisch ist sie weder ursprünglich noch wird sie es durch die Situationen. Sie ist eine unglücklich Liebende, von tiefem und seinem Gefühl, gekränkt und betrogen, durch widrige Schicksale zur Verstellung gezwungen; die Verlegenheiten, in welche sie durch die Verkleidung geräth, sind ebenfalls nicht lächerlich, sondern peinlich, und nehmen Theilnahme und Mitleid in Anspruch. Man liebte es damals, in dieOpera buffa Personen und Situationen einzuführen, welche an sich geeignet waren ein tragisches Interesse zu erregen, ohne daß man darum besorgt war, diese verschiedenartigen Elemente mit einander in Einklang zu bringen19. So tritt die Hauptscene der Sandrina am Ende des zweiten Acts vollständig aus dem eigentlichen Bereich der Opera buffa heraus. Sie ist im öden finstern Wald allein zurückgelassen und weiß sich in ihrer Noth keinen Rath, ihr Rufen um Hülfe,[373] ihre Angst und Verzweiflung spricht sie in einer Arie (n. 21) aus, welche aus einem einzigen in unruhiger Bewegung forteilenden Satz (Allegro agitato) besteht. Eine charakteristische Violinfigur
deren unruhiger Charakter durch eine Begleitung in synkopirten Noten und das durch die Bässe und Blasinstrumente hervorgehobene forte des vorletzten Viertels stark bezeichnet ist, geht durch die ganze Arie in wechselnden Modulationen hindurch; die Singstimme wirst einzelne rhythmisch scharf betonte Ausrufe dazwischen, einigemal ermannt sie sich zu einer scharf accentuirten melodischen Phrase, die dann die unruhige Begleitung des Orchesters für einen Augenblick zurückdrängt, bis diese ihr Treiben wieder beginnt. Das treffliche Musikstück ist der wahrste Ausdruck der athemlosen Angst eines zarten furchtsamen Mädchens – keiner Heroin –, das sich einer unbestimmten Gefahr gegenüber hülflos allein gelassen sieht. Die Arie geht unmittelbar über in ein ausdrucksvolles begleitetes Recitativ, in welchem Sandrina ruhiger geworden sich umsieht und ihrer verlassenen Lage sich vergewissert. An dieses schließt sich unmittelbar die Cavatine (n. 22) an:
Ah dal pianto, dal singhiozzo
respirar io posso appena,
non ho voce, non ho lena,
l'alma in sen mancando và.
Es ist keine leichte Aufgabe, nachdem dieselbe Situation und Gemüthsstimmung schon so lange festgehalten ist, ihr nun noch einen neuen und gesteigerten Ausdruck zu geben, und sie ist bewundernswürdig gelöst. Es ist wiederum ein fast ohne Unterbrechung rastlos fortlaufendes Allegro agitato (6/8). Die Singstimme bewegt sich dem Texte gemäß fast immer in[374] abgebrochenen, durch Pausen getrennten Noten, und erhebt sich selten in einem gehaltenen Ton, in einer melodiösen Phrase zu einer größeren Kraftanstrengung. Das Orchester unterhält eine fortgehende Bewegung; anfangs tritt die erste Geige mit einer eigenthümlichen zarten Figur hervor, nachher übernehmen eine Oboe und ein Fagot, die unter sich und mit der Singstimme in Wechselgespräch treten, die Hauptrolle, während die begleitenden Figuren einen bewegteren Charakter annehmen. Das Ganze ist ein einziger ruhig fortgesponnener Faden; nichts Fremdes kommt hinein, alles ist aus einem Grundgedanken wie von selbst hervorgequollen, liebliche Melodien, reich wechselnde Harmonie, über das Ganze ein unnachahmlicher Zauber von Schönheit und Anmuth ausgegossen. Wenn in der vorhergehenden Arie die Kraft der aufgeregten Leidenschaft ihren Ausdruck fand, so hier die Resignation; bewundernswürdig aber ist die Einheit beider, es sind die Aeußerungen einer und derselben Natur, die nicht groß und stark, sondern zart und liebenswürdig, sein und edel ist. Mit richtigem Tact hat Mozart, indem er die Leidenschaft treu und wahr wiedergab, aber in ihrem Ausdruck mäßigte, der Sandrina den Charakter gegeben, welchen sie als die Heldin einer komischen Oper in dieser Umgebung bewahren mußte, wenn das Ganze Einheit im Ton und Charakter erhalten sollte. Und wiederum hat er ihr die Würde und seine Anmuth auch da gewahrt, wo die Situation sie als die Gärtnerin erscheinen läßt, in welche sie sich verkleidet hat. Den Mittelpunkt bildet gewissermaßen die Cavatine (n. 11), in welcher Sandrina, allein, sich selbst überlassen, das Schicksal ihrer unglücklichen Liebe beklagt:
Geme la tortorella
lungi dalla compagna,
[375] del suo destin si lagna
e par, che in sua favella
vogli destar pietà.
Io son la tortorella u.s.w.
Es ist der einfache Ausdruck eines innigen, weichen Gefühls, das schmerzlich verwundet ist, aber weder im Schmerz sich ganz verliert, noch die Kraft besitzt ihm sich zu entreißen, durch die zarteste weibliche Anmuth verschönt; grade dies drückt die Musik aus, oder richtiger diesen Charakter hat die Musik geschaffen20. Man kann daher begreifen, daß sie, wo [376] sie das Gärtnermädchen spielen muß, auch dies mit gefälliger Heiterkeit thut, ohne zu der eigentlichen Soubrette herabzusinken. Von dieser Art ist die Arie n. 4, in welcher sie gegen Ramiro, der über die Treulosigkeit der Frauen klagt, diese gegen die Männer in Schutz nimmt. Sie ist in der Form eines Rondo mit einer lebhaften Coda (6/8), munter und graziös, ohne sich eben sehr auszuzeichnen. Charakteristischer ist die Arie (n. 16), in welcher sie den Podesta, welcher ihr Vorwürfe macht und mit ihr schmollt, durch Schmeicheleien zu begütigen sucht ohne ihm gradezu die Unwahrheit zu sagen, daß sie ihn liebe; hier entfaltet sie eine gewisse Koketterie und trägt wiederum ihren Kummer über seine Vorwürfe etwas stark auf, so daß diese Arie sich dem Buffocharakter nähert; allein auch hier macht sich jene mäßigende Feinheit und Anmuth geltend, welche diese Partie von der der Serpetta wesentlich unterscheidet21.
Beide Seiten, die komische und pathetische, sind gemischt im Contino Belfiore. Durch den Mordversuch an Violante erscheint er als ein leidenschaftlicher Mensch; daß er in seiner Neigung zwischen Arminda und Violante schwankt macht ihn auch nicht zu einer komischen Person, und in der That drückt [377] er seine Neigung so aus, daß man sie für aufrichtig halten muß. So ist die Arie (n. 6), in welcher er seine hingebende Bewunderung der Schönheit Armindas ausspricht, nicht allein einfach und innig, sondern männlich und man möchte sagen vornehm gehalten. Und die Arie (n. 15), in welcher er der Sandrina, die er als Violante wiedererkannt hatte, seine Liebe ausspricht, ist außerordentlich schön im Ausdruck eines innigen Gefühls. Daß sie zum Schluß in den Buffocharakter übergeht ist hier durch die Situation gerechtfertigt. In seiner Verzückung hat er nicht bemerkt daß Sandrina bei Seite gegangen und der Podesta an ihre Stelle getreten ist; als er nun nach Sandrinas Hand faßt um sie zu küssen, ergreift er die Hand des Podesta: seine Verwirrung und sein Aerger mußte sich komisch äußern und so schließt denn die zärtlich begonnene Arie mit einem Allegro im echten Buffocharakter. Auch die Situationen, in denen er sich zwischen den beiden Geliebten, zwischen den eifersüchtigen Liebhabern und der Sandrina gegenüber befindet, die sich bald als Violante zu erkennen giebt bald wieder verläugnet, sind komisch und werfen ihren Reflex auf ihn zurück. Allein wenn er anfangs als ein eitler, adelsstolzer Geck auftritt, so ist dieser Charakterzug nicht nur von keiner Bedeutung für die Handlung, sondern er ist störend und tritt daher auch später nie wieder hervor. Er hat Veranlassung gegeben zu einer großen Arie im Buffocharakter (n. 8), in welcher Belfiore seinen Ahnenkram mit gleicher Würde und Redseligkeit auspackt, die Mozart sehr ergötzlich ausgeführt hat; aber weil sie nur wie ein prahlender Lappen aufgesetzt ist, um dem Sänger oder dem Publicum gefällig zu sein, ist es eine Buffoarie wie andere, ohne den lebendigen Charakter einer bestimmten Individualität. Noch unglücklicher ist der Einfall, den Contino und nachher gar auch Sandrina im Wahnsinn irre reden zu [378] lassen. Der Unsinn den sie schwatzen, der Contrast ihres Benehmens zu ihrer Lage könnte vielleicht, wenn es mit mehr Geschick und Feinheit behandelt wäre in der Weise lächerlich werden, wie das analoge Benehmen eines Betrunkenen; allein die Vorstellung von dem entsetzlichen Unglück des Wahnsinnigen läßt ja die Wirkung des Lächerlichen gar nicht eintreten. Dazu kommt nun daß der Wahnsinn durch Musik nur darstellbar ist insofern er das Mitgefühl in Anspruch nimmt; das Widersinnige aber, das auf den Verstand wirkt und zum Lachen reizt, ist musikalisch nicht wiederzugeben, und nur in seltenen Fällen wird es möglich sein durch die Musik eine analoge Wirkung hervorzubringen. So wenn im zweiten Finale Sandrina und Belfiore, umgeben von erbitterten Feinden, sich plötzlich einbilden arkadische Schäfer zu sein und Schäferlieder singen, so ist es dadurch daß sich eine bestimmte Form für das Pastorale ausgebildet hatte möglich geworden, indem man diese anwandte, einen Contrast gegen die übrige Musik hervorzubringen, der die Vorstellung des Verrückten wenn auch nicht hervorrief, so doch unterstützte22. Allein wenn sie nachher mythologischen Unsinn schwatzen: Io son Medusa orribile! Io son Alcide intrepido! so hat die Musik dafür keinen charakteristischen Ausdruck mehr. Bezeichnend ist für diese Betrachtung das Terzett (n. 24). Belfiore, der sich für Mercur und Nardo für Venus hält, überhäuft ihn mit Zärtlichkeiten, Sandrina, die in ihm ihren Geliebten sieht, setzt ihm ebenso zu. Um ihnen zu entgehen deutet Nardo – hier fängt das Terzett an – gen Himmel und erzählt ihnen mit zunehmender [379] Lebhaftigkeit wie Sonne und Mond sich zanken, die Sterne in Liebesabenteuer gerathen und alle mit einander Streit anfangen; als er die beiden Verrückten mit aller Aufmerksamkeit in die Höhe gaffen sieht, macht er sich davon; sie setzen ihre Beobachtungen fort, sprechen ihren lebhaften Antheil an dem eingebildeten Kampf aus und gehen so endlich ab. Das Terzett ist munter, lebhaft und hat lebendig dargestellt gewiß einen sehr komischen Eindruck gemacht, wenn man sich über die Rohheit hinwegsetzte, die in dem Verspotten der Unglücklichen liegt, wobei auch Nardo ganz aus seinem Charakter heraustritt. Aber liegt hier etwa die komische Wirkung in dem Umstande, in welchen der Dichter sie hat hineinlegen wollen? Gewiß nicht. Wenn Nardo irgend eine andere Geschichte erzählte, und dadurch ihre Aufmerksamkeit fesselte und von sich ablenkte, wenn die beiden, nachdem er ihnen entkommen, lebhaft aneinander geriethen, so würde die Wirkung dieselbe sein, die nur auf der Lebendigkeit und Laune beruht, mit welcher der Componist die Grundzüge der Situation dargestellt hat, wodurch er den Unsinn überhören macht, den der Dichter die Leute schwatzen läßt. Hier war nun doch eine Situation gegeben, welche der Componist umschaffen konnte; dagegen war dies unmöglich in der Scene, in welcher Belfiore vor unsern Augen den Verstand verliert (n. 19). Dies geschieht in einem begleiteten Recitativ. Anfangs, wo widerstrebende Gefühle auszudrücken sind, welche ihn bestürmen, ist die Musik ganz am Platz; später, wo er glaubt todt und im Elysium zu sein, ist Mozart nichts übrig geblieben als sich den Einzelnheiten seiner Phantasien anzuschließen, denen fast durchgängig eine unheimlich murmelnde Figur der zweiten Violine als Grundlage dient. Daß er trotzdem daraus einen musikalisch zusammenhängenden, abgerundeten Satz geschaffen hat, werden ihm nicht Viele nachthun; aber der specifische [380] Ausdruck dieser Irrereden ist er nicht, kann es nicht sein, und es ließe sich eine Situation und Textworte erdenken, für welche die Musik ein ebenso passender Ausdruck wäre23. Einen starken Contrast dazu macht dann die Arie, in welcher er, wieder zur Besinnung gekommen, seine Freude ausspricht, daß er noch lebe. Sie ist imTempo di Menuetto24, lebhaft, von einem sinnlich aufgeregten Charakter, recht wie Tanzmusik, und macht nach dem was vorangegangen ist, gewiß keinen komischen Eindruck, obgleich die zu Grunde liegende Auffassung psychologisch wohl begründet sein mag.
Ein echter Buffo ist der Podesta, stolz, verliebt, wichtig thuend mit seiner Amtswürde, leicht aufgeregt, leicht in Verlegenheit gesetzt, dabei im Grunde gutmüthig, der echte Typus eines komischen Alten; daß man diese Rolle einem Tenor und nicht einem Baß gab, hatte vielleicht seinen Grund in Bühnenverhältnissen, obgleich diese Verwendung des Tenors[381] damals allerdings nicht ungewöhnlich war25. Seine musikalische Ausstattung ist ebenfalls die eines Buffo in hergebrachter Weise. Die erste Arie (n. 3) der deutschen Bearbeitung ist ein zu Gunsten des Sängers eingelegtes beliebtes Stück, in welcher die Wirkungen verschiedener Instrumente geschildert werden, die dann wie gerufen im Orchester sich hören lassen und eine concertirende Begleitung bilden. Das ist geschickt und angemessen gemacht, das Ganze munter und artig, und gewiß hat die Arie, als die Haupteffecte frisch und beliebt waren, großen Beifall gefunden, obgleich sie mit der Situation so wenig als mit dem Charakter des Podesta etwas zu schaffen hat26. Die beiden anderen Arien (n. 17. 25) sind ganz in der Weise der Buffoarien gehalten, lebhaft, rasch gesprochen,[382] die prätendirte Würde und Zorn, Aerger, Verlegenheit immer mit einander im Streit.
Auch die Diener sind nach hergebrachter Weise komische Personen. Serpetta, die Zofe, ist im Gegensatz zu Sandrina nicht sehr sein gehalten; in ihrer Hoffnung auf den Podesta getäuscht ist sie neidisch und boshaft gegen Jedermann und namentlich gegen ihren Liebhaber Nardo. Außer einem Liedchen (n. 9), von dem jeder von ihnen einen Vers singt, und das sehr zierlich und hübsch ist, hat sie zwei Arien zu singen (n. 10. 20) von entschieden soubrettenartigem Charakter, munter und gefällig, auch nicht ohne Anmuth, doch haben sie nicht die geistreiche Feinheit, welche später Mozart den Soubretten zu geben wußte27.
Nardo ist vom Dichter nicht gut angelegt. Als treuer anhänglicher Diener der Violante zeigt er Gemüth, wozu die Rolle eines einfältigen Liebhabers, der sich von Serpetta mißhandeln läßt und ihr doch immer wieder nachläuft, nicht recht passen will. Von seinen Arien hat die erste (n. 5) einen gemüthlich-komischen Anstrich, ohne sich eben auszuzeichnen; die Anfangsworte a forza di martelli il ferro si riduce haben die Begleitungsfigur hervorgerufen, welche in ihrer [383] Durchführung der Arie ihren, besonders rhythmisch, eigenthümlichen Charakter giebt. Die zweite (n. 14) ist in Rondoform; dadurch daß er durch Complimente in verschiedenen Sprachen und Manieren Serpettas Gunst zu gewinnen sucht, werden abwechselnde Zwischensätze zu dem Hauptthema gewonnen. Dieses ist recht hübsch, die anderen Späße sind veraltet.
Höher gesteigert ist sowohl die Charakteristik als die musikalische Darstellung überhaupt in den Ensemblesätzen. Gleich die Einleitung28, obwohl sie was das Ensemble betrifft in leichter Weise behandelt ist, giebt davon einen schönen Beweis. Sandrina, Serpetta, Ramiro, der Podesta und Nardo sind im Garten versammelt um die Gäste zu erwarten und drücken in einem fröhlichen chorartig gehaltenen Satz die festlich-heitere Stimmung aus, welche sich für eine glänzende Hochzeitsfeier schickt und die zugleich im Allgemeinen den Zuhörer in die Stimmung versetzen soll, welche der Opera buffa zu Grunde liegt. Dann sprechen sich die einzelnen Personen aus und zwar, da noch kein Conflict stattgefunden hat, für sich, um jeder seine Sinnesart, seine Situation im Allgemeinen, und damit die Elemente der Handlung anzudeuten, so daß der Satz, der dann wieder alle zum Chor vereinigt, in Wahrheit eine Einleitung zu der ganzen Oper ist. Die Ausführung ist vortrefflich gelungen. Der Chor ist einfach, aber ausdrucksvoll, besonders durch die lebhafte, glänzende und zierliche Begleitung, und hinreichend ausgeführt um die [384] festliche Stimmung auszusprechen und hervorzurufen. Die Soli der einzelnen Personen gehen in demselben Tempo ununterbrochen fort. Es kam darauf an jede bestimmt zu individualisiren, ohne daß der Satz in unzusammenhängende, einander widerstrebende Elemente zerfiele; das Temperament gab die in dem Chor bestimmt ausgedrückte Stimmung ab, welche die Grundlage für die einzelnen Erscheinungen bildet und ihre Darstellung bedingt. Und hier tritt die Eigenschaft, welche Mozart als dramatischen Componisten groß macht, daß er stets ein Ganzes schafft, schon unverkennbar hervor. Er vermag es, den Charakter eines Individuums wie einer Situation so tief in ihrem Grunde zu erfassen daß alle einzelnen Aeußerungen und Erscheinungen derselben mit einer inneren Nothwendigkeit aus demselben hervorgehen und durch die Natur desselben bedingt erscheinen; er hat zugleich ein so lebhaftes Gefühl, eine so reiche Productionskraft für die Mannigfaltigkeit der einzelnen Züge, in welchen die Individualität zu Tage tritt, daß es ihm nie an dem Ausdruck fehlt der für den gegebenen Moment der bezeichnende ist. Indem beides sich vereinigt und durchdringt, wird das wahrhaft Charakteristische hervorgebracht, welches die reichste Fülle des Einzelnen als sich gegenseitig bedingend, aus einem Grunde nach nothwendigen Gesetzen erwachsen und daher als wahrhaft lebendig darstellt. Es ist nichts wesentlich Verschiedenes, sondern vielmehr dasselbe nach einer anderen Richtung gewendet, wenn man sagt, er habe ein so lebhaftes Gefühl für das Schöne besessen, daß er was er immer darstellte, dieses zum Schönen zu erheben verstanden habe. Denn das Maaß, auf dem die Harmonie beruhet, welche, man sehe nun auf das Verhältniß der Formen zu einander oder der Form zum Inhalt, das Wesen der Schönheit ausmacht, ist nicht ein einseitig beschränkendes, willkührlich beengendes, sondern es ist [385] eben jenes von innen heraus mit Nothwendigkeit bildende Gesetz. Setzen wir hinzu, daß Mozarts künstlerische Natur eine so durchaus musikalische war, daß er nur mit den Organen der Musik auffaßte, nur den Gesetzen derselben gemäß schuf und bildete29: so sind damit die Grundzüge des wahren Künstlers im höchsten Sinne gegeben. Und diese sind auch in der leichten Composition, von der wir hier ausgingen, nicht zu verkennen. Der schwärmerische Ramiro, der verliebte Podesta, die auch in ihrer Trauer anmuthige Sandrina, der gutmüthige Nardo, die aufgeregt lauernde Serpetta sind jeder vortrefflich charakterisirt, ohne daß die Einheit des Tons verletzt wird30; die Exposition, welche durch den Text gegeben wird, ist für die musikalische Darstellung aufs bestimmteste dargelegt.
Die späteren Ensemblesätze greifen unmittelbar in die Handlung ein. Das schon erwähnte Terzett (n. 24) – das übrigens, weil die drei Stimmen nicht zusammengehen, kein [386] eigentliches Terzett, sondern vielmehr eine Arie mit unmittelbar anschließendem Duett, eine komische Scene ist – ist lebhaft und munter und entspricht dem allgemeinen Charakter der Situation sehr gut, da die individuelle Charakteristik, wie wir bereits sahen, durch musikalische Mittel nicht wiederzugeben ist. Bedeutender in jeder Hinsicht ist das Duett (n. 27) zwischen Sandrina und Belfiore am Schluß des dritten Acts. Beide erwachen im Garten aus einem erquickenden Schlummer von ihrem Wahnsinn geheilt; Belfiore sucht sich Sandrina zu nähern, die sich nun als Violante zu erkennen giebt, seine Liebeserklärungen verschmäht, ihn an Arminda verweist und erklärt sie werde den Podesta heirathen. Allein, obgleich sie seine Betheuerungen zurückweist, ihn gehen heißt, selbst gehen will, so können doch beide steh zur Trennung nicht entschließen, sie kehren mehrmals wieder um, und sinken einander zuletzt unwillkührlich in die Arme und vergessen Alles im Gefühl der neubelebten Neigung. Wie wenig auch der Dichter gethan hat diese Situation sein und geistreich auszuführen, so hat der Componist doch ein vortreffliches Charakterstück daraus zu machen gewußt. Es ist eine ausgeführte Scene, die mit einem langen begleiteten Recitativ beginnt, welches in ein effectvolles ausgeführtes Adagio übergeht, in welchem Liebesbetheuerungen und Vorwürfe ausgetauscht werden. In einem Andantino (3/8) von leichterer Bewegung wird das abwechselnde sich Entfernen und Nähern höchst anmuthig ausgesprochen31, bis zuletzt im Allegro die Freude der wieder Vereinigten lebhaft ausströmt in einer Weise, die auch den Sängern Gelegenheit giebt sich zu zeigen. Bewundernswürdig [387] ist die Haltung des Ganzen, wie der innige und wahre Ausdruck des Gefühls durch die Furchtsamkeit des Contino und die Koketterie der Sandrina eine Temperatur erhält, die der Darstellung den Charakter der Opera buffa giebt, so daß weder die komischen Motive karikirt und unnatürlich erscheinen, noch das Pathetische in voller Stärke wirkt, sondern beide Momente aufs glücklichste verschmolzen sind. Daß die völlige Entwickelung der Handlung dann nicht in einem Finale vor sich geht, sondern im recitativischen Dialog möglich rasch abgethan und die Oper mit einem kurzen, lebhaften chorartigen Ensemblesatz (n. 28) abgeschlossen wird, mag wohl den Hauptsängern zu Liebe geschehen sein, denen die Wirkung des großen Duetts nicht geschwächt werden sollte32.
Die beiden Finales (n. 12 und 22), welche den ersten und zweiten Act beschließen sind Meisterstücke. Sie sind gewissermaßen die Probe für die Anlage der einzelnen Charaktere, welche hier, wo sie nebeneinander sich bewegen, auf einander wirkend dargestellt werden, in ihrer Eigenthümlichkeit sich als lebensfähig bewähren müssen. Auch hier ist am meisten nicht die Lebhaftigkeit mit welcher die Handlung musikalisch fortschreitet, oder der treffende Ausdruck des Einzelnen zu bewundern, sondern die Fähigkeit die Situation in einer Weise aufzufassen, daß das Einzelne unbeschadet der freien Entfaltung lebendiger Individualität steh dem Ganzen unterordnet. Die Gesetze, nach welchen ein musikalisches Kunstwerk gebildet wird, erfordern es, daß bald einzelne bedeutende Momente der Handlung oder der Personen durch bestimmt hervortretende Motive charakterisirt, bald der Grundton der [388] gesammten Situation in ein Motiv zusammengefaßt werde, das zum leitenden Faden dient, selbst verschiedener Modificationen fähig und zugleich geeignet ist, für mannigfache Motive den Ausgangspunkt zu bilden. Die Durchführung und Verarbeitung der einzelnen Elemente, ihre Combination zu einem zusammenhängenden Ganzen ist die Aufgabe des Musikers; die größte Schwierigkeit besteht darin, daß die Gesetze der musikalischen Composition und der dramatischen Charakteristik unbewußt zusammenwirken müssen, so daß das musikalische Kunstwerk nicht allein indem, sondern eben dadurch daß es musikalisch vollendet ist, der wahrste Ausdruck der dramatischen Handlung wird. Die wesentlichste Bedingung um dieses zu erreichen ist, die technische Meisterschaft vorausgesetzt, auch hier die Fähigkeit das Ganze aufzufassen und die einzelnen Momente als solche, die das Ganze bilden. Wenn ein Ganzes entstehen soll, so muß jeder Einzelne von seiner absoluten Selbständigkeit etwas opfern, sich dem Ganzen unterordnen, ohne darum sich selbst aufzugeben: so auch im Kunstwerk. Der Meister bewährt sich in der Tiefe mit welcher er das Ganze erfaßt, in der Feinheit mit welcher er die Ansprüche des Einzelnen auf Selbständigkeit abmißt, in der Kraft und Wahrheit mit welcher er seinen Gestalten Leben verleiht. In allen diesen Beziehungen bewährt sich hier schon Mozarts Genie. Wo wenige Personen auftreten, wo sie mehr neben einander gestellt sind, ist die Charakteristik der einzelnen schärfer, mehr im Detail ausgeführt; je verwickelter die Handlung, je complicirter die Beziehungen der Personen zu einander werden, um so mehr ist auch die musikalische Behandlung gewissermaßen gruppenweise, und die Kunst Mozarts in der Anordnung, daß man wie durch einen architektonischen Aufriß fortwährend über das Verhältniß der Einzelnen orientirt ist, tritt glänzend hervor. Es ist ebenso bewundernswürdig, [389] wie sprechend die einzelnen Motive, als wie vielfacher Nüancirung sie fähig sind, so daß man überrascht wird, wie dasselbe schon mehrfach gebrauchte Motiv in einer neuen Combination wiederum so wirksam erscheint, als sei es hier erst an seinem wahren Platz. Dazu kommt endlich die Geschicklichkeit zu spannen und zu steigern durch das richtige Verhältniß, in welches die größeren Glieder zum Ganzen gesetzt werden. Die Vereinigung größerer Mittel sowohl als die durch das concentrirte Interesse der Handlung gesteigerte geistige Bedeutung dieser Sätze verlangte natürlich auch eine großartigere künstlerische Darstellung. Den ersten Platz nimmt dabei die Behandlung der Singstimmen ein. Hier zeigt sich nun eine völlige Meisterschaft auch in den vierstimmigen Sätzen; die einzelnen Stimmen bewegen sich frei, selbständig und charakteristisch; wo sie harmonisch zusammengehen, wo sie in Gruppen einander gegenüberstehen, ist mit seinem Tact angeordnet, und die verschiedenartigen Mittel der Kunst den polyphonen Gesang zu beleben sind mit Gewandtheit und mit richtiger Einsicht in das Wesen dieser Kunstgattung angewendet.
Die Formen der Opera buffa sind mit Sicherheit und Freiheit behandelt; es ist schon berührt, daß die verschiedenen Formen der Arie, wie sie sich in derOpera buffa entwickelt haben, auch hier angewendet sind. Auch die Weise der Darstellung und Charakteristik wie sie sich auf diesem Gebiet ausgebildet hat ist, wie das nicht anders zu erwarten stand, hier in allen wesentlichen Zügen beibehalten. Es ist ganz begreiflich bei einem jungen Menschen, der noch wenig Gelegenheit gehabt hatte, selbständig das Leben kennen zu lernen, daß besonders für das eigentlich Komische mehr die hergebrachte Weise mit Geschick gehandhabt als in origineller Weise ausgebildet erscheint. Die Anwendung des parlando während [390] das Orchester ein Motiv durchführt, das Wiederholen einer kurzen Phrase in immer zunehmender Steigerung, die komischen Effecte durch rasches Sprechen, plötzliches Abbrechen, starke Contraste nebeneinander gestellter sehr verschiedener Motive u. dgl. m. sind die allgemein angewandten Mittel. Ohne zu läugnen, daß sich manche einzelne Züge von eigenthümlicher Erfindung beobachten lassen, so zeigt sich doch Mozarts künstlerische Eigenthümlichkeit hauptsächlich darin, daß er die komischen Figuren nicht zu völligen Karikaturen macht, sondern die einzelnen Züge soweit mäßigt, daß sie weder häßlich noch unwahr sind, ohne darum aufzuhören komisch zu sein. Diese Kraft Mozarts Alles zu veredeln zeigt sich freilich noch auffallender überall da, wo Gefühl, eine ernstere Seelenstimmung, oder Anmuth und Grazie darzustellen ist; dann erhebt er seine Charaktere regelmäßig in eine höhere Sphäre als in welche der Dichter sie verwiesen hat. Indem er die Zufälligkeiten abstreift, welche in dem unzureichenden Können des Dichters begründet waren, faßt er den Kern der Situation oder der Person auf, und bildet aus diesem den Bedingungen der gesammten Handlung gemäß kraft seiner überlegenen künstlerischen Natur die Vorstellung einer bestimmt ausgeprägten Individualität in ihren einzelnen Zügen aus.
Die Kraft der Erfindung, welche steh hierin zeigt, bewährt sich noch augenfälliger in den Einzelheiten der musikalischen Gestaltung. Bei den früheren Opern war es überwiegend die Geschicklichkeit in der Handhabung der überlieferten Form, neben welcher einzelne Züge eigenthümlicher Erfindung hervorragten, die große Anerkennung verdiente; hier, wo der jugendliche Meister sich durch die Form nicht in gleicher Weise beschränkt fühlte, macht sich seine Erfindung in der bedeutendsten Weise geltend. Auch wer mit der Vorstellung, [391] welche er sich aus den späteren reisen Werken Mozarts gebildet hat, an diese Oper herantritt, wird überrascht durch den Reichthum schöner und charakteristischer Melodien, mit welchen dasselbe ausgestattet ist. Und zwar unterscheiden sich dieselben in Bau und Charakter wesentlich von den Melodien seiner früheren ernsten Opern. Sie sind meistens nicht so breit in der Anlage, aber durch die Gliederung der einzelnen Elemente, sowohl dem rhythmischen als dem melodiösen Verhältniß nach, zu einer geschlossenen Melodie in einer Weise abgerundet, wie es dort selten der Fall ist. Nicht anders verhält es sich mit den verschiedenen Melodien, welche zu einem größeren Ganzen gehören; sie sind nicht bloß geschickt zusammengestellt, sondern innerlich als zusammengehörige miteinander verbunden und ineinander gearbeitet. Dies setzt voraus, daß sie – wenigstens der Mehrzahl nach – in dem Sinne Motive sind, daß sie einer Ausbildung nach verschiedener Richtung fähig sind, theils um durch mannigfache Modificirung den verschiedensten Nuancen des Ausdrucks zu entsprechen, theils der Verarbeitung und der Verschmelzung mit anderen Elementen zu einem gegliederten Ganzen fähig zu sein. Diese Fruchtbarkeit der Motive tritt natürlich da am meisten hervor, wo mit der Verwickelung der Handlung auch die Beziehungen der musikalischen Elemente zu einander lebhafter und complicirter werden; und es ist bewundernswürdig, wie Mozart hier schon die Motive in ihrer anfänglichen Gestaltung charakteristisch und zugleich der mannigfachsten Ausbildung fähig zu erfinden vermag. Als Beispiel führe ich ein Motiv aus dem vorletztenAllegro des ersten Finale (S. 90 Kl. A.) an
[392] welches einen Jeden an ein fast gleiches aus dem ersten Finale des Figaro erinnern wird. Vergleicht man aber was an beiden Orten aus dem einfachen Motiv gemacht ist, so wird man wohl sehen, daß darin die eigentlich erfinderische Kraft sich zeigt, nicht in der Combination der Noten zu dem Motiv. Auch hier ist der Wechsel in der harmonischen Behandlung, [393] in der Verbindung mit anderen Motiven, in der Steigerung durch Imitation mehrerer Stimmen sehr schön und läßt nichts zu wünschen übrig33. Endlich darf man den Melodien dieser Oper mit allem Recht nachrühmen, daß sie, wie die ganze geistige Auffassung, durch Adel und Feinheit hoch über dem Gewöhnlichen sich erheben, die Anmuth und Frische, [394] kurz die Schönheit derselben ist schon die eigenthümlich Mozartsche.
Auf einem ganz andern Standpunkt als in derOpera seria steht hier auch schon die Behandlung des Orchesters. Es ist nicht allein in der Hinsicht freier und selbständiger behandelt, daß die Instrumente ihrer Eigenthümlichkeit gemäß hervortreten und daß die Wirkungen der verschiedenen Klangfarben als ein Mittel der Charakteristik sein und geschickt benutzt sind34, sondern die ganze Stellung des Orchesters in dem musikalischen Kunstwerk ist eine andere geworden. Es übernimmt nicht mehr die Rolle der Begleitung in dem Sinne allein, daß es die Singstimme trägt und hält und die Lücken ausfüllt, welche nöthig sind, damit der Sänger sich erhole; sondern es nimmt eine selbständige Stellung ein, welche durch seine Beziehung zum Ganzen bestimmt wird. Wenn es gleich [395] in der Natur der Oper begründet ist, daß die Singenden durchgehends die Hauptrolle übernehmen und die Fälle, wo das Orchester vor ihnen in den Vordergrund tritt, nur Ausnahmen sind, so ist doch die Instrumentalpartie auch dann, wenn sie dem Gesang untergeordnet ist, nicht mehr allein des Gesanges wegen da, sondern sie wirkt mit ihm für das Ganze, sie übernimmt es das, was der Gesang allein nicht vollständig darstellen kann, zu ergänzen, im Detail auszuführen; ihre Bethätigung der Art und dem Grade nach wird nicht durch das Bedürfniß des Sängers, sondern durch die Bedingungen eines künstlerischen Ganzen bestimmt. Diese Selbständigkeit des Orchesters dem Gesang gegenüber hat eine ganz veränderte Organisation des Orchesters zur Folge, es muß ebenfalls in seinen einzelnen Elementen selbständig werden, damit jedes an seinem Ort und zu seinem Theil zum Ganzen mitzuwirken im Stande sei. Dazu gehört auch die schon berührte Benutzung der einzelnen Instrumente nach ihrer verschiedenen Klangfarbe – ein äußerliches Moment bei der Behandlung des Orchesters, das sich in der modernen Instrumentation einseitig geltend macht –; allein wichtiger ist die Selbständigkeit der Instrumente in ihrer Theilnahme an der musikalischen Gestaltung und Ausbildung der Sätze, was mit der Bezeichnung guter Stimmführung beiweitem nicht erschöpft ist. Will man sich dies an etwas Einzelnem klar machen, so betrachte man die Behandlung der Bässe. Während sie früher meistens nur als das Substrat der Melodie erscheinen, die eines solchen nicht entbehren mag, oft schwerfällig und ohne Bedeutung für sich, so erscheinen sie hier, ohne ihren Charakter als Grundlage der harmonischen Belebung aufzugeben, in einer selbständigen Bewegung, welche als die Wirkung einer ihnen innewohnenden Lebenskraft erscheint, so daß sie nun nicht mehr die übrige Masse bloß zu tragen sondern in [396] Bewegung zu setzen und zu ihrer Gestaltung den Impuls zu geben vermögen. Und in diesem Sinne ist selbständiges Leben und Bewegen in gegenseitiger Wechselwirkung in das gesammte Orchester gebracht.
Neben so bedeutenden Vorzügen, welche dieser Oper nicht allein unter den gleichzeitigen einen ausgezeichneten Platz anweisen, sondern ihr für alle Zeiten einen bleibenden Werth sichern, macht sich aber auch ein Mangel geltend, der theils in der Richtung des Zeitgeschmacks, theils auch wohl in dem jugendlichen Alter des Componisten seinen Grund hat. Dies ist die zu große Länge der meisten Musikstücke, und namentlich der Arien; denn in den Ensemblesätzen treibt schon die fortschreitende Handlung zu größerer Gedrängtheit, obgleich auch im zweiten Finale der letzte Satz zu lang gedehnt ist. Hier verräth sich theils noch der Einfluß der breiten, gedehnten Formen derOpera seria, theils das Gefallen des Publicums am bloßen Hören der Musik, ebenso sehr aber auch, daß Mozart die sichere Selbstkritik noch nicht zu üben verstand, welche alles Ueberflüssige, auch wenn es an sich gelungen ist, dem Ganzen opfert, und daß er die völlige Reise noch nicht erlangt hatte, welche sich nicht allein in der Anmuth und Schönheit kund giebt, sondern namentlich auch darin, daß, ebenso wie alle Triebe und Kräfte bei dem zur Vollendung zu bringenden Werk in gleichmäßiger Anstrengung thätig sind, so auch Alles, was nicht zu dessen Vollendung nothwendig ist, ganz ausgeschieden werde.
Es ist unter diesen Umständen erklärlich, daß die Oper in München, wo sie von den Künstlern, für welche sie geschrieben war, und in reicher Ausstattung gegeben wurde, im Jahre 1775, wo der Geschmack des Publicums noch ganz unter dem traditionellen Einfluß Italiens stand, ganz außerordentlich gefiel, da sie selbst mit den vortrefflichsten gleichzeitigen komischen [397] Opern verglichen, ein entschiedenes Uebergewicht behauptet durch Reichthum und Schönheit eigenthümlicher Melodien, gegenüber dem Abhetzen hergebrachter Formeln, durch Feinheit der Charakteristik, durch glänzendere Benutzung des Orchesters und die sorgfältigere Ausführung des Einzelnen, so daß man zu großer Verwunderung alle Arien schön, keine als Lückenbüßer behandelt fand. Dagegen läßt es sich eben sowohl begreifen, daß sie in Frankfurt im Jahr 1789, wie uns berichtet wird, gar nicht ansprach35. Dazu mochte die ungeschickte deutsche Bearbeitung, vielleicht auch die Ausführung – denn man hatte dort keine Sänger und Sängerinnen wie in München – das Ihrige beitragen; die Hauptsache [398] war gewiß die Veränderung, welche seit der Zeit im Geschmack des Publikums vor sich gegangen war, nicht zum geringsten Theil durch Mozarts Einfluß, und daß man damals die Entführung, Figaro, Don Giovanni auch in der Gärtnerin finden wollte36.
1 Anfossi hatte in Rom mit seiner Incognita perseguitata im Jahr 1773 außerordentliches Glück gemacht und wurde von Piccinis Gegnern diesem gegenüber in einer Weise begünstigt, daß dessen Oper im Jahr 1774 ausgepfiffen wurde, während AnfossisFinta giardiniera den größten Beifall fand. – Bei Fétis wird übrigens auch unter Piccinis Opern eineFinta giardiniera angeführt.
2 Sonnleithner, der für seinen Aufsatz über diese Oper (Cäcilia XXV S. 65ff.) den italiänischen Text nicht benutzen, daher auch den Gang der Handlung nicht überall richtig errathen konnte, hat später das für die Aufführung der Anfossischen Oper in Wien 1775 gedruckte Buch erhalten und es mir gütigst mitgetheilt.
3 Das Personenverzeichniß lautet:
Don Anchise Podestà di Lagonero,
amante di Sandrina.Tenore
La Marchese Violante Onesti, amante del
Contino Belfiore, creduta morta, sotto
nome di Sandrina in abito da giardi-
niera.Soprano
Il Contino Belfiore, primo amante di Vio-
lante ed ora di Arminda.Tenore
Arminda, gentildonna Milanese, prima
amante del Cav. Ramiro ed ora prome-
ssa sposa al Contino Belfiore.Soprano
Il Cavaliere Ramiro, amante di Arminda
dalla stessa abbandonato.Soprano
Serpetta, Cameriera del Podestà innamo-
rata del medesimo.Soprano
Roberto, Servo di Violante, che si finge suo
cugino sotto nome di Nardo in abito di
Nardo in abito di giardiniero, amante
di Serpetta, da lei non corrisposto.Basso
4 André Verz. 36. Es sind zwei Bände von zusammen 326 Seiten. Eine Abschrift der italiänischen Partitur ist nicht bekannt, daher sind die Recitative des ersten Acts nicht mehr vorhanden.
5 Davon zu unterscheiden sind manche Kürzungen sowohl in den Recitativen als in einigen Arien (n. 13. 17. 19. 25), welche zum Behuf der ersten Aufführung in München gemacht und durch derbe Röthelstriche und Verklebungen bezeichnet sind, für welche auch der Dialog einer Scene in abgekürzter Form von Mozart neu componirt ist. In die deutsche Bearbeitung sind die abgekürzten Arien aufgenommen, eine Arie aber (n. 20), welcher mit Röthel »bleibt aus« beigeschrieben ist, ist dort nicht weggelassen.
6 Die deutschen Stichwörter – denn an die Stelle des Seccorecitativs trat gesprochener Dialog – sind von einer dritten Hand eingetragen.
7 Im Theaterkalender auf das Jahr 1790 S. 93 ist unter den vom November 1788 bis dahin 1789 in Frankfurt neu einstudirten Stücken aufgeführt Das verstellte Gärtner-Mädchen, Oper aus dem Italiänischen, Musik von Mozart.
8 Es ist charakteristisch daß in allen Jahrgängen dieses Theaterkalenders von 1779 bis 1791, wo Mozart schon als Componist des Figaro und Don Juan genannt wird, er stets aufgeführt wird: »Mozard.... Kapellmeister in Salzburg« worauf die Angabe der Opern folgt. Es ist möglich daß diese Artikel zu dem S. 11 berührten Irrthum Gerbers mit Veranlassung gegeben haben. Dagegen erscheint in demselben Theaterkalender seit dem Jahr 1797 unter den lebenden Tonkünstlern »Leopold Mozart, Kapellmeister in Salzburg, Vater des verstorbenen Mozart.«
9 Eine derselben, welche Sonnleithner benutzt hat, befindet sich im Archiv der k.k. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, eine zweite, ehemals im Besitz von Heckel in Mannheim, habe ich ebenfalls in Händen gehabt.
10 Die Gärtnerin aus Liebe, Oper in drei Aufzügen von W.A. Mozart, in vollständigem Clavierauszug. Mannheim, K.F. Heckel. [1829]. – Ich finde auch einen alten, wahrscheinlich unvollständigen Klavierauszug erwähnt, der in Leipzig erschienen sein soll, habe denselben aber nicht zu Gesicht bekommen.
11 Sie gehört Hrn. Director Franz Hauser in München, der mir mit gewohnter Güte ihren Gebrauch verstattet hat.
12 Es sind folgende Personen:
Gouverneur Podestà
Röschen-JulianeSandrina-Violante
GrafContino
AgneseArminda
GrimaldiRamiro
FriederikeSerpetta
PhilippNardo.
13 Diese Uebersetzung ist in mancher Hinsicht besser als die andere, obgleich auch sie noch viel zu wünschen läßt. Uebrigens ist sie offenbar nach dem italiänischen Original gemacht und nicht bloß eine Verbesserung der alten Uebersetzung.
14 Wenn Jemand vermuthen möchte, jene oben er wähnten Abschriften seien im ersten Act unvollständig, so wird das dadurch widerlegt, daß sie in den beiden letzten Acten mit der Originalpartitur übereinstimmen, man also auch für den ersten Act dasselbe vorauszusetzen berechtigt ist. Für die Finales ließe sich etwa annehmen, daß die Blasinstrumente auf Beiblättern geschrieben gewesen und diese dann verloren gegangen wären – was nicht selten geschehen ist – allein dies würde doch keine Anwendung auf andere Nummern leiden, wo sogar mehrere Systeme unbeschrieben geblieben sind.
15 Es wäre sehr zu wünschen daß durch weitere Nachforschungen z.B. in Theaterarchiven womöglich das vollständige Material ermittelt würde, um diese Fragen zu sicherer Entscheidung zu bringen.
16 Es ist leider nicht gelungen, trotz der sorgfältigen Nachforschungen, welche Kapellmeister Lachner und Professor Maier im Theaterarchiv wie in der königl. Bibliothek angestellt haben, über die Aufführung in München etwas Näheres zu ermitteln, namentlich auch nicht die Besetzung der Rollen in Erfahrung zu bringen, da nicht einmal ein Textbuch aus damaliger Zeit aufzutreiben war.
17 Siccome l'amore è il regno delle donne, sagt der Impresario bei Arteaga (riv. del teatro c. 15 III p. 147. Th. II S. 416), e l'anima del teatro così v' avvisarete di fare, che il primo uomo sia innamorato della prima donna e il secondo della seconda.
18 Der Text lautet:
Si promette facilmente
dagl' amanti d'oggidì;
e la semplice zitella
se lo crede poverella
e si fida a dir di sì;
io però non fò così.
Patti chiari e patti schietti,
pria di dirvi sì o nò.
Voi sarete l'dol mio,
il mio ben, la mia speranza,
ma se mai, com' è l'usanza,
mi mancaste, m'ingannaste,
io le mani adoprerò.
19 Arteaga läßt den Impresario zum Dichter der komischen Oper sagen (riv. del teatro 15 III p. 143 Th. II S. 412f.): Non vorrei che il dramma fosse intieramente serio, perchè vi vorebbono troppe spese, nè tampoco buffo del tutto, perchè si confonderebbe colle opere dozzinali. Vorrei che fosse di mezzo carattere (lo che in sostanza vuol dire, che non abbia alcuno), che facesse piangere e ridere allo stesso tempo, che il giocoso entrasse in una lega, che mai non ha avuta col patetico, che ad un' aria appassionata tenesse dietro una di trambusto, e che aprisse campo di sua abilità alla virtuosa Pelosini, che spicca nel tenero, e virtuoso Guaccharelli, che sostiene la parte di buffo per eccellenza.
20 Sonnleithner hat nicht versäumt auf den artigen Einfall hinzuweisen, daß die Singstimme nicht mit dem Anfang des Themas eintritt, sondern hinterher, wie aufgeweckt aus ihrem Nachsinnen:
Nissen führt (Anhang S. 74) aus einem mir unbekannten Bericht über diese Oper an: »Vorzüglich lieblich ist die Romanze aus C-dur mit obligater Flöte, die auch hie und da zu einem beliebten Volksliedchen geworden ist.« Es kann kaum eine andere Nummer dieser Oper gemeint sein, allein leider ist in beiden Partituren keine Flöte dabei; auch eignet sich diese Cavatine, so anmuthig sie ist, doch kaum zum Volksliedchen.
21 Die Partie ist auf eine Darstellerin berechnet, welche nicht nur durch ein zierliches Aeußere und gewandtes Spiel gefallen, sondern auch als Sängerin etwas leisten konnte; sie geht wiederholt bis
, und wenn auch eigentliche Bravurpassagen nicht vorkommen, so ist sie doch keineswegs ohne alle Coloratur, die aber den oben bezeichneten Grundcharakter nicht beeinträchtigt.
22 Mozart hat daher hier das pastorale Wesen durch Rhythmus, Instrumentation u.s.w. so scharf als möglich charakterisirt, und da wo Belfiore die Cither des Orpheus zu hören glaubt, auch diese durch das Pizzicato nachgeahmt.
23 Bei der deutschen Bearbeitung sollte dieser Satz ausfallen. Mozart hat das Recitativ bis hieher auf einem besonderen Blatt deutsch umgeschrieben, und in der Partitur noch dazu gesetzt: »bis hieher. ǁ bleibt aus und folgt die Arie.« Indeß ist die Uebersetzung darunter gesetzt und so ist denn die ganze Stelle in die deutsche Partitur und den Klavierauszug mit übergegangen.
24 Daß die ersten Tacte derselben
sowohl an das Menuett-Trio der D-dur Symphonie (n. 5), als an ein Paar Tacte im ersten Allegro der Es-dur Symphonie erinnern, hat Sonnleithner nicht unbemerkt gelassen.
25 Arteaga (riv. d. teatro c. 15 III p. 147. Th. II S. 415) läßt seinen Impresario sagen: Al tenore darete un carattere sestenuto di padre, di vecchio, di geloso, di mercante Olandese o di qual più vi aggradi. Se colui che fa la parte del padre ha quindici o vent' anni meno del figliuolo poco mi cale.
26 Im italiänischen Text steht hier eine Arie, welche der Podesta an Sandrina richtet:
Dentro nel petto io sento
amore, tenerezza,
respiro sol per te.
Che gioja, che contento,
manco per allegrezza,
più bel piacer non v'è.
Ma, o dio, che all' improvviso
si cangia il mio diletto,
comincio a dubitar.
Ascolta due paroli:
non curi tant' affetto?
mi fai già lacrimar!
Perchè si gran fracasso,
tant' ira, tanto sdegno?
Tu voi ch' io vada a spasso
per farmi disperar.
Ah senti ... aspetta, aspetta,
mia cara, non partir.
Daß Mozart diese componirt hat, beweist ein Brief Leop. Mozarts (2. Dec. 1780), in welchem er sagt, er habe die Arie Dentro il mio petto io sento aus derOpera buffa für Schikaneder ausschreiben lassen. Es wurde also für die deutsche Bearbeitung wohl eine neue Arie gemacht.
27 Die Sängerin in München scheint nicht bedeutend gewesen zu sein; die erste Arie ist mit einigen leichten Passagen versehen; die zweite Arie wurde fortgelassen, wie aus einer beigeschriebenen Bemerkung erhellt.
28 Sie schließt sich unmittelbar an die Ouverture an, so daß sie namentlich in dem lebhaft bewegten Chor den sonst üblichen dritten Satz derselben vertritt, aber durch ihre Anlage und Ausführung schon zur vollkommenen Selbständigkeit entwickelt ist. Die Ouverture selbst besteht aus einem Allegro molto, das den Motiven wie ihrer Ausführung nach freilich noch knapp gehalten, aber recht frisch und heiter seinem Ausdruck nach ist, und aus einem Andante grazioso, das eher etwas gedehnt ist.
29 Sehr charakteristisch ist der von Rochlitz (A. M. Z. I S. 147) berichtete Zug: »Wenn Mozart etwa mit seiner Frau durch schöne Gegenden reiste, sah er aufmerksam und stumm in die ihn umgebende Welt hinaus; sein gewöhnlich mehr in sich gezogenes und düsteres als munteres und freies Gesicht heiterte sich nach und nach auf, und endlich fing er an zu singen oder vielmehr zu brummen, bis er endlich ausbrach: Wenn ich das Thema auf dem Papier hätte! Und wenn sie ihm etwa sagte, daß das wohl zu machen sei, so fuhr er fort: Ja mit der Ausführung – versteht sich! Es ist ein albern Ding, daß wir unsere Arbeiten auf der Stube aushecken müssen!« So regt die Natur unmittelbar den Maler zur malerischen, den Dichter zur poetischen, den Musiker zur musikalischen Production an. Es ist bekannt, wie anregend der Aufenthalt in freier Natur auf Beethoven wirkte.
30 Es ist beachtenswerth, wie in der Begleitung, nachdem sie verschiedene neue Motive gebracht hat, welche die einzelnen Personen charakterisiren, die Motive des ersten Chors in harmonischer Umgestaltung wieder hineinspielen und die Wiederaufnahme des Chors vorbereiten.
31 Sehr artig sind zu den Worten Cont. Lei mi chiama? Sandr. Signor nò. – Lei ritorna? Cont Oibò, oibò! in den Zwischenspielen die sehnsüchtig rufenden Oboen angebracht.
32 Ueberhaupt wurde der dritte Act gewöhnlich kurz, und häufig auch nachlässig behandelt, weil das Publicum, wenn das Ballet zu Ende war, meistens für den letzten Act der Oper kein lebhaftes Interesse mehr hatte.
33 Aehnliche Anklänge kommen auch sonst wohl vor, z.B. im ersten Finale (S. 84 Kl. A.):
oder im zweiten Finale (S. 154 Kl. A.):
wo Jedem gleich die verwandten Tacte aus dem Figaro einfallen werden; nur ist hier die Aehnlichkeit noch mehr äußerlich und die Anwendung noch abweichender.
34 So ist – um von der komischen Arie des Podesta (n. 3) abzusehen, deren Wirkung auf dem Contrast der Klangfarben beruht – z.B. in der Cavatine Sandrinas (n. 22) die Wirkung der Oboe und des Fagotts auf die Individualität der Instrumente sehr schön berechnet, besonders im Gegensatz gegen die Violinfigur; in der Arie Ramiros (n. 18) ist das Fagott eigenthümlich angewendet; im ersten Finale (S. 95) tritt ein Oboensolo höchst überraschend ein. Auch die Hörner sind, oft nur in wenigen Tönen, mit der genauesten Berechnung ihrer eigenthümlichen Klangfarbe benutzt. Zweimal (n. 13. 26) sind auch vier Hörner, beidemal in einer Molltonart, bei leidenschaftlicher Bewegung, angewendet. Auf die Eigenthümlichkeit daß die Bratschen häufig sich mit den Blasinstrumenten vereinigen hat Sonnleithner mit Recht aufmerksam gemacht, es ist gewissermaßen eine Vorbereitung auf die später eingeführte Weise die Blasinstrumente als selbständigen Körper den Saiteninstrumenten gegenüberzustellen, nachdem sie so verstärkt und zusammengesetzt waren, daß sie für sich auftreten konnten. Doch ist diese Verwendung der Bratschen auch später noch wirksam befunden worden. Dies sind einzelne Züge, eine aufmerksame Betrachtung der Partitur wird zeigen, daß der Charakter der Orchesterbehandlung sich, auch wenn man sie vermehren wollte, dadurch nicht erschöpfen läßt.
35 Nissen, der dies berichtet, fügt folgendes Urtheil hinzu (S. 289): »Das Stück ist gewissermaßen abgeschmackt und langweilig und Mozarts Satz ist fast immer schwer und künstlich, indem er sich über die Fassungskraft gewöhnlicher Dilettanten hinweg zu schwingen scheint, so majestätisch und launig er auch in einzelnen Stellen und so voll starker Harmonien auch das Ganze ist. Diese Musik ist mehr für den Kenner, der ihre Feinheiten zu entwickeln versteht, und weniger für den Dilettanten, der sich bloß von seinen natürlichen Gefühlen leiten läßt und bloß nach dem ersten unmittelbaren Eindruck entscheidet.« Dies ist offenbar ein gleichzeitiges Urtheil, das Nissen nach seiner Gewohnheit, ohne die Quelle zu nennen (die ich auch nicht aufgefunden habe) abgeschrieben hat, und stimmt ganz mit dem überein, was damals gewöhnlich über Mozart gesagt wurde. Ein anderes Urtheil, welches er (Anhang S. 74) ebenfalls ohne Angabe der Quelle anführt, scheint aus späterer Zeit zu sein und verräth nicht eben große Kunde. Es lautet: »Die für Kaiser Joseph II [!] 1774 geschriebene Oper – übertrifft die vorigen bei Weitem und es ist ihr Originalität und Regelmäßigkeit nicht abzusprechen, wodurch sie manche italiänische Oper weit hinter sich laßt. Hier entwickelt sich Mozarts Talent schon mehr als im Vorigen und der Stil zeichnet sich durch eine ganz besondere Weichheit und auffallende Zärtlichkeit aus. Manche wollen behaupten, es habe irgend eine arcadische [!] Oper von Piccini oder Guglielmi ihm hierbei zum Modell gedient [!]. Man kennt sie unter dem deutschen Namen Die schöne Gärtnerin oder Die Gärtnerin aus Liebe.«
36 In dieser Hinsicht würde man vielleicht jetzt billiger urtheilen, allein trotz der vielen unvergleichlichen Schönheiten kann die Oper nicht wohl wieder auf die Bühne gebracht werden. Abgesehen vom Sujet und der Rollenvertheilung würde auch die Länge der einzelnen Musikstücke ein Hinderniß abgeben, und diese ist von der Art, daß sie durch Streichen nicht zu beseitigen ist.
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