3.

Der Text zu der Entführung aus dem Serail, wie er von Bretzner1 1781 für André2 geschrieben war, hat ganz die Einrichtung eines eigentlichen Singspiels; alles wirklich dramatische Interesse ruht auf dem gesprochenen Dialog- und die Singstücke sind mit einer einzigen gleich zu erwähnenden Ausnahme nur eingelegt und ihrem ganzen Zuschnitt nach auf eine mäßige Ausführung berechnet. Mozart, den wir schon beim Idomeneo mit aufmerksamer und scharfer Kritik an der Redaction des Textes Theil nehmen sahen, übernahm es [79] auch hier Stephanie anzugeben, wo und wie im Interesse des Componisten Veränderungen vorgenommen werden müßten, und überließ ihm nur die Fassung der Worte, mit denen er es, wenn nur die Situation im Wesentlichen getroffen war, bei Stephanie freilich so genau nicht nehmen durfte. Zwei Rücksichten waren dabei zu beobachten: theils daß das musikalische Element in sein volles Recht eingesetzt würde und die Momente der Handlung, in welchen die gehobene lyrische Stimmung ihren naturgemäßen Ausdruck durch die Musik erhält, demgemäß behandelt würden, theils daß die Individualität der Darsteller die gebührende Rücksicht fände. Glücklicherweise widersprachen sich diese Aufgaben diesmal nicht in der Art, wie es sonst nur zu oft der Fall war. Die Cavalieri war freilich vorherrschend Bravursängerin und weder ihre äußere Erscheinung noch ihr Spiel konnte gute Wirkung machen, aber Adamberger und Fischer waren als Sänger und Schauspieler so wie sie Mozart sich wünschen mochte, namentlich der letzte ein genialer Künstler von außerordentlicher Begabung. Für ihn mußte die Rolle des Osmin erst geschaffen werden und sie darf als ein Beweis gelten, wie günstig der Einfluß sein kann, welchen die geniale Persönlichkeit eines darstellenden Künstlers auf den schaffenden auszuüben vermag. Mozart theilte, als er in der Arbeit begriffen war, seinem Vater den Text nebst den dazu bereits gemachten Aenderungen mit und sprach sich darüber näher gegen ihn aus (26. Sept. 1781).

»Die Oper hat mit einem Monolog angefangen, und da bat ich Herrn Stephanie eine kleine Ariette daraus zu machen, und daß, anstatt nach dem Liedchen des Osmin die Zwey zusammen schwatzen, ein Duo daraus würde. – Da wir die Rolle des Osmin Hrn. Fischer zugedacht haben, welcher gewiß eine vortreffliche Baßstimme hat, – obwohl der [80] Erzbischof zu mir gesagt, er singe zu tief für einen Bassisten, und ich ihm aber betheuert, er würde nächstens höher singen – so muß man so einen benutzen, besonders da er das hiesige Publicum ganz für sich hat. – Dieser Osmin hat aber im Original-Büchel das einzige Liedchen zu singen, und sonst nichts, außer in dem Terzett und Finale. Dieser hat also im ersten Acte eine Aria bekommen, und wird auch im zweyten Acte noch eine haben. Die Aria habe ich dem Hrn. Stephanie ganz angegeben – und die Hauptsache der Musik davon war schon ganz fertig, ehe Stephanie ein Wort davon wußte. – Sie haben nur den Anfang davon, und das Ende, welches von guter Wirkung seyn muß.« Durch diese Aenderung war vor allen die erste Scene gewonnen, die so wie wir sie nun alle kennen von unübertrefflicher dramatischer Wirkung ist so daß ihr in deutscher Opernmusik nicht viel Aehnliches an die Seite gestellt werden kann3; und die Arie Osmins rief die erste deutsche komische Arie ins Leben, die eine große genannt zu werden verdient. Im zweiten Act wurde wiederum aus dem Dialog zwischen Blondchen und Osmin ein Duett; dagegen ließ man ein Duett zwischen Blondchen und Constanze mit richtigem Takt fort4. Dafür hat Constanze die große Bravurarie »Martern aller Arten« erhalten, welche allerdings nur eine Concession an die Sängerin ist; denn die Wiederholung der Scene, in welcher sie dem Sultan und seinen Anträgen Trotz bietet, ist in jeder Hinsicht überflüssig. [81] Ganz angemessen ist aber die neu eingelegte zweite Arie Blondchens, in welcher diese ihre Freude über die bevorstehende Rettung ausspricht; so daß nun jenes ursprüngliche Duett gewissermaßen in diese beiden Arien zerlegt ist.

Die Hauptänderung beabsichtigte Mozart mit dem Schluß des zweiten Actes vorzunehmen. In dem Bretzneischen Text ist die eigentliche Entführungsscene als ein großer Ensemblesatz behandelt, mit welchem der dritte Aufzug anfängt. Ein lang ausgeführtes Duett zwischen den auf der Lauer stehenden Belmont und Pedrillo, in welches die Romanze des letzteren eingelegt ist, beginnt, dann erscheint zuerst Constanze und wird von Belmont entführt; nachdem Pedrillo zu Blondchen ins Fenster gestiegen ist, kommt Osmin noch schlaftrunken aus dem Hause, bemerkt aber doch die Fliehenden, welche darauf alle vier von der Wache eingeholt und zurückgebracht werden; sie flehen um Mitleid, versuchen sich durch Bestechung zu befreien – vergebens, Osmin wüthet: alle sind in der höchsten Aufregung. Mozart erkannte mit richtigem Blick daß diese Scene, in welcher die Handlung durch eine Reihe rasch wechselnder, verschiedenartiger Situationen das Interesse am lebhaftesten spannt, welche zu charakteristischer Darstellung sämmtlicher Personen – die Scenen mit Osmin sind durch mancherlei komische Einfälle drastisch belebt – willkommene Gelegenheit bietet, und zur Entfaltung aller Mittel Veranlassung giebt – die Wache gab einen Chor ab –, daß diese Scene den Culminationspunkt der Oper bilde und wollte daher »dieses charmante Quintett oder vielmehr Finale lieber zum Schluß des zweiten Actes haben.« Ebenso richtig sah er ein daß durch diese Versetzung andere bedeutende Veränderungen nothwendig bedingt wurden. Der zweite Aufzug konnte leicht zusammengezogen werden, indem man die Zusammenkunft der Liebenden, mit welcher derselbe schloß, aufgab. [82] Schwieriger war die Umgestaltung des dritten Actes, für den nun nichts mehr übrig geblieben war als die Auflösung des Knotens durch den verzeihenden Sultan; um demselben Inhalt und Interesse zu geben, mußte allerdings »eine ganz neue Intrigue vorgenommen werden.« An der Schwierigkeit eine solche zu finden scheint diese Umarbeitung gescheitert zu sein, es blieb schließlich doch bei der ursprünglichen Anordnung. Aber an die Stelle des unbedeutenden Schlußgesanges zum zweiten Act bei Bretzner5 trat ein ausgeführtes Quartett, welches das Wiedersehen der Liebenden in den verschiedenen Momenten der Freude und Eifersucht, der Entzweiung und Versöhnung musikalisch ausspricht, welche dort nur im Dialog zur Geltung kamen. Demselben geht noch eine Arie Belmonts vorher, welche seine Gefühle vor dem nahen Wiedersehen ausdrückt; sie ist der Situation angemessen, bildet eine zweckmäßige Vorbereitung auf das Quartett und thut auch dem Sänger Genüge, da sonst Belmonte in diesem Act, der [83] alle anderen Personen in den Vordergrund bringt, außer dem Ensemble gar nichts zu singen hätte. So wie Mozart diese beiden Stücke, namentlich das Quartett, musikalisch gestaltet hat, wird man kaum mehr bedauern daß die Umarbeitung nicht zu Stande gekommen ist; was auch an ihre Stelle getreten sein könnte, missen möchte man sie jetzt doch nicht mehr.

Allerdings blieb jener Ensemblesatz zu Anfang des dritten Acts nun ganz fort, denn Mozart sah sehr wohl ein daß er an diesem Platz die ganze Oper aus den Fugen bringen und den Schwerpunkt an eine Stelle legen würde, wohin er nicht gehörte6. Die Entführungsscene wurde ganz dem Dialog zugetheilt, nur die Romanze Pedrillos blieb; außerdem wurde eine Arie Belmonts und Osmins eingefügt: beide sind für diese beiden Hauptpersonen charakteristisch. Das darauf folgende Duett Belmonts und Constanzes ist nur den Worten, nicht der Bedeutung der Situation nach geändert; die Schlußkatastrophe fand man für gut zu modificiren. Bei Bretzner erkennt Bassa Selim, der ein Renegat ist, in Belmont seinen Sohn, wodurch sich denn Alles auflöst, bei Stephanie verzeiht er aus übermäßiger Großmuth und Edelsinn, die wie ein Recensent sagte, damals in Wien Mode waren7, seinem Feinde. Die Dankarie der Constanze zum Schluß ist [84] mit Recht fortgeblieben, an ihre Stelle aber nach damaliger Sitte ein Vaudeville gesetzt, in welchem alle der Reihe nach erklären: »Wer solche Huld vergessen kann, den seh man mit Verachtung an!«

Mozarts Vater hatte gegen das Textbuch und die damit vorgenommenen Aenderungen mancherlei kritische Bedenken geäußert, auf welche der Sohn ihm folgende merkwürdige Antwort ertheilte (13. Oct. 1781). »Nun wegen dem Text von der Opera. – Was des Stephanie seine Arbeit anbelangt, so haben Sie freylich Recht, doch ist die Poesie dem Charakter des dummen, groben und boshaften Osmin ganz angemessen. Und ich weiß wohl, daß die Versart darin nicht die beste ist; doch ist sie so passend mit meinen musikalischen Gedanken (die schon vorher in meinem Kopfe herum spazierten) übereingekommen, daß sie mir nothwendig gefallen mußte; und ich wollte wetten, daß man bey dessen Aufführung nichts vermissen wird. Was die in dem Stücke selbst sich befindende Poesie betrifft, so könnte ich sie wirklich nicht verachten. – Die Aria von Belmont: O wie ängstlich könnte fast für die Musik nicht besser geschrieben seyn. – Das Hui und Kummer ruht in meinem Schooß (denn der Kummer kann nicht ruhen) ausgenommen8, ist die Aria auch nicht[85] schlecht, besonders der erste Theil; und ich weiß nicht, – bey einer Opera muß schlechterdings die Poesie der Musik gehorsame Tochter seyn. – Warum gefallen denn die welschen komischen Opern überall, mit alle dem Elend, was das Buch anbelangt? sogar in Paris, wovon ich selbst ein Zeuge ware – Weil da ganz die Musik herrscht und man darüber Alles vergißt. Um so mehr muß ja eine Opera gefallen, wo der Plan des Stückes gut ausgearbeitet, die Wörter aber nur bloß für die Musik geschrieben sind, und nicht hier und dort, einem elenden Reime zu gefallen (die doch, bey Gott, zum Werthe einer theatralischen Vorstellung, es mag seyn was es wolle, gar nichts beytragen, wohl aber eher Schaden bringen) Worte setzen oder ganze Strophen, die des Componisten seine ganze Idee verderben9. – Verse sind wohl für die Musik das Unentbehrlichste, aber Reime – des Reimens wegen das Schädlichste; die Herren, die so pedantisch zu Werke gehen, werden immer mit sammt der Musik zu Grunde gehen. Da ist es am besten, wenn ein guter Componist, der das Theater versteht und selbst Etwas anzugeben im Stande ist, und ein gescheidter Poet, als ein wahrer Phönix, zusammen kommen – dann darf Einem vor dem Beyfalle der Unwissenden auch nicht bange seyn10. – Die Poeten kommen mir [86] fast vor, wie die Trompeter mit ihren Handwerkspossen; wenn wir Componisten immer so getreu unsern Regeln (die damals, als man noch nichts besseres wußte, ganz gut waren) folgen wollten, so würden wir eben so untaugliche Musik, als sie untaugliche Bücheln verfertigen«11.

[87] »Nun habe ich Ihnen, dünkt mich, genug albernes Zeug daher geschwäzt« – mit dieser Aeußerung schließt Mozart den interessanten Brief, wie er sie gern gebrauchte, wenn ihn der Eifer zu ausführlichen Auslassungen über allgemeine ästhetische Fragen hinriß, über die er sonst nicht gern viel sprach. Ungemein charakteristisch ist was er über die Stellung der Musik zur Poesie in der Oper sagt. Ganz im Gegensatz zu Gluck, der die Musik der Poesie untergeordnet wissen will, verlangt Mozart daß die Poesie der Musik gehorsame Tochter sein solle. In dem Sinne, in welchem es wie der Zusammenhang lehrt gemeint ist, hat er vollkommen Recht. Er verlangt daß der Plan eines Stückes gut gearbeitet sei d.h. daß die Handlung Interesse darbiete, in den einzelnen Momenten ihres Fortschreitens durch die naturgemäße Entwickelung der gegebenen Charaktere motivirt sei, und in diesem folgerichtigen Verlauf Situationen herbeiführe, welche für den musikalischen Ausdruck geeignet sind. Ferner verlangt er daß die Worte bloß für die Musik geschrieben seien d.h. daß die dichterische Fassung der Stimmungen und Gefühle, welche musikalisch ausgedrückt werden sollen, den Componisten anrege, ihn trage und hebe, aber ihn in keiner Weise beschränke und fessele, vielmehr ihm volle Freiheit lasse. Wenn er diese Aeußerung zunächst auch der Beschränktheit unfähiger Dichter gegenüber macht, welche von gewissen handwerksmäßigen Regeln und Kunstgriffen sich nicht losmachen konnten, so geht doch aus dem was er kurz vorher sagt deutlich hervor daß hier etwas Tieferes zu Grunde lag. Die Arie Osmins hatte er Stephanie [88] angegeben und die Musik war der Hauptsache nach schon fertig, ehe dieser ein Wort von der Arie wußte; die Worte, welche dieser machte, paßten dann so vortrefflich zu den musikalischen Gedanken, die schon vorher in Mozarts Kopfe herumspazierten, daß einzelne Mängel des sprachlichen Ausdrucks ihn nicht sehr stören konnten. Man sieht also, die Situation, die lebendige Vorstellung vom Charakter der handelnden Person war der eigentliche Ausgangspunkt, der Impuls für die musikalische Conception, nicht die bestimmte Fassung durch das Wort des Dichters12. Daß in dieser ebenfalls ein wesentliches Moment für die Gestaltung der musikalischen Idee liegt, daß der treffende Ausdruck, der Klang und Rhythmus der Sprache auf den Componisten mächtigen Einfluß ausüben ist klar, allein der Keim für die musikalische Schöpfung liegt nicht hierin, sondern tiefer, in denselben Momenten, aus welchen die Schöpfung des Dichters entspringt. Damit die dichterische Gestaltung in der Ausführung des Einzelnen ihrem Zweck entspreche – denn die Dichtung einer Oper hat den bestimmten Zweck, dem musikalischen Ausdruck eine entsprechende Grundlage und Stütze zu geben, ist [89] daher nicht absolut selbständig wie das Drama13 und muß ihre eigenthümlichen Normen anerkennen und zur Geltung bringen14 – verlangte Mozart das Zusammenwirken des Musikers und des Dichters. Der Musiker müsse selbst »etwas anzugeben« im Stande sein, dem Dichter seine Intentionen und die im Wesen seiner Kunst begründeten Bedingungen, auf welchen ihre Verwirklichung beruht, in der Weise klar und lebendig zu machen wissen daß er ihn seinerseits zur Production anrege; der Poet solle »gescheidt«, fähig und gebildet genug sein um auf die Intentionen des Musikers einzugehen, und Dichter genug um auch unter diesem Einfluß selbständig poetisch thätig zu sein. Auch hier hat Mozart das Richtige gesehen, ein Zusammenwirken dieser Art ist die sicherste Bürgschaft[90] für eine wahrhaft befriedigende Oper; leider hat er auch darin Recht, daß ein solches Zusammenwirken ein »wahrer Phönix« sei15. Endlich vindicirt er in der Oper der Musik, wo sie zum Ausdruck der Stimmung verwandt wild, entschieden die Herrschaft. Er beruft sich auf das Factum daß gute Musik die elendesten Texte vergessen lasse, – ein Fall, wo das Umgekehrte Statt fand, dürfte kaum anzuführen sein –; es folgt aber auch unwidersprechlich aus dem Wesen und der Natur der Musik. Schon dadurch daß sie unmittelbar, und mächtiger als jede andere Kunst, die Sinne ergreift und ganz in Anspruch nimmt macht sie den Ein druck, welchen die poetische Darstellung durch die Sprache hervorbringen kann, für den Augenblick zurücktreten16; sie wirkt ferner durch den Sinn des Gehörs in einer, wie es scheint noch nicht aufgeklärten Weise unmittelbar auf die Phantasie und das Gefühl mit einer erregenden Kraft ein, welche ebenfalls die der Poesie [91] momentan überflügelt. Das Moment aber, welches die musikalische Darstellung von der Dichtkunst entlehnen muß, die Fähigkeit eine scharf begränzte Vorstellung hervorzurufen, welche mit dem Gefühl, das die Musik erregt, eins wird und demselben eine bestimmte Bedeutung giebt, welche die Musik nicht besitzt, weil sie sich nicht in dieser Weise an den Verstand wendet17, dieses Moment, das in dem begleitenden Wort enthalten ist18, kann hier, wie wichtig und bedeutsam es auch ist, doch nur in zweiter Reihe stehen19.

Nach allen mit dem Buche vorgenommenen Veränderungen20 [92] war dasselbe zwar kein ausgezeichneter, aber doch ein im Wesentlichen befriedigender und brauchbarer Operntext geworden, den in der Litteratur der deutschen komischen Oper noch jetzt nicht so gar viele übertreffen werden. Die Handlung ist freilich nicht lebhaft spannend, aber sie hat einen angemessenen Verlauf und bietet ungezwungen eine Reihe musikalischer Situationen dar, welche in einem natürlichen Zusammenhang sich entwickeln21. Es war, wie wir sahen, wesentlich Mozarts Verdienst, die Bedeutung dieser Situationen [93] für die musikalische Darstellung erkannt und durch seinen bestimmenden Einfluß auf den Dichter die Anwendung jener großen und bedeutenden musikalischen Formen möglich gemacht zu haben, welche die Entführung von allen früheren Operetten und Singspielen charakteristisch unterscheidet. Allerdings wurde die dafür unerläßliche Voraussetzung jetzt zum erstenmal in Wien durch vorzügliche Sänger und Sängerinnen erfüllt. Seitdem Hiller die deutsche Oper ins Leben rief, war die künstlerische Entwickelung derselben durch die unzulänglichen Kräfte des singenden Personals fortwährend gehemmt worden22. Nur die italiänische Oper [94] wurde von den Höfen unterstützt, die deutsche Operette blieb überall den Privatunternehmern überlassen, welche keine Mittel besaßen Sänger und Sängerinnen von künstlerischer Ausbildung zu gewinnen, wie es denn auch kein Sänger von Ruf mit seiner Würde verträglich gehalten hätte, in deutschen Singspielen aufzutreten. Diese blieben daher in den Händen der Schauspieler, welche selten auch nur mäßige Stimmittel, noch seltener mehr als dilettantische Ausbildung hatten, aber gern in Operetten mitwirkten, weil sie dafür besonders honorirt wurden23 und auf besonderen Beifall rechnen konnten. Denn sehr bald verbreitete sich, zuerst in Norddeutschland, und dann von da aus weiter, die ausgesprochene Vorliebe des Publicums für das Singspiel24, deren man nun eine Menge [95] dichtete und componirte; dazu wurden aus dem Italiänischen und Französischen komische Opern mit Eifer theils zu der beibehaltenen Musik übersetzt, theils bearbeitet und neu componirt25. Die leichte Art mit der diese Operetten behandelt wurden forderte den Dilettantismus vielfach heraus sich dichtend und componirend um das leicht befriedigte Publicum verdient zu machen26, und so wild es begreiflich, daß ernste Männer die Vorliebe für die deutsche Oper ungünstig ansahen, weil sie ebensowohl für das deutsche Schauspiel, dessen würdige und freie Entwickelung nicht ohne. große Anstrengung errungen war27, als für die kunstgemäße [96] Oper Nachtheil von diesem dilettantischen Treiben befürchteten28.

[97] Wenn Mozart nun die ihm dargebotenen Bedingungen benutzte um für die musikalische Darstellung größere und breitere Formen zur Anwendung zu bringen, so beschränkte sich seine Leistung nicht etwa auf das äußerliche Hinübernehmen bestimmter in der italiänischen Oper fertig ausgebildeter Formen, welche in der deutschen theils aus Noth, theils aus einem beschränkten Princip29 zurückgedrängt waren. Nicht darauf kam es ihm an die Arie an die Stelle des Liedes zu setzen, sondern der musikalischen Gestaltung ihr volles Recht und die ungeschmälerte Freiheit zu geben, Norm und Maaß der Ausführung allein in den künstlerischen Bedingungen der dramatischen Situation und der Natur des musikalischen Ausdrucks zu finden. Die Herrschaft über die musikalischen Formen, welche er sich, heimisch in der italiänischen, französischen und deutschen Oper, in der Kirchen- und Instrumentalmusik, vollständig erworben hatte, gab ihm die Freiheit überall das Rechte zu geben, die günstigen Verhältnisse in Wien die Möglichkeit sie zu nutzen. Und sowie er diese mit jugendlicher Lebhaftigkeit ergriff, so fühlte er sich zugleich in einem höheren Sinne frei, da es galt eine deutsche Oper zu componiren. Haben wir es als ein Zeugniß seiner außerordentlichen künstlerischen Begabung und Bildung bewundern müssen, daß er sich in den Charakter und die Ausdrucksweise einer fremden Nation hineinzuversetzen vermochte ohne seiner Natur Zwang anzuthun und unwahr zu werden, so war hier nicht erst eine Vermittelung vonnöthen. Er war ein Deutscher, er empfand und fühlte deutsch, und diesem natürlichen Gefühl den unmittelbaren [98] Ausdruck durch die Kunst zu geben, über welche er unumschränkt gebot, war seine willkommene Aufgabe. Es bedurfte für ihn keiner ungewöhnlichen Form, keiner besonderen Charakteristik, um die Musik zu einer deutschen zu stempeln, sondern nur der vollen Freiheit sich selbst zu geben. Zum erstenmal haben in der Entführung deutsche Empfindung, deutsches Gefühl, deutsches Gemüth aus einer echten Künstlerseele durch vollkommne Beherrschung aller künstlerischen Mittel ihren Ausdruck gefunden; man begreift daß vor der reichen Fülle und lebendigen Wahrheit einer solchen Erscheinung alles zurücktreten mußte, was sein Heil in Formen suchte, die aus der Fremde entlehnt und nach äußerlichen Bedingungen gemodelt waren.

Nirgend30 spricht sich diese echt deutsche und echt Mozartsche [99] Weise entschiedener aus als in der Partie des Belmont. Man vergegenwärtige sich nur den Contrast zwischen den Castraten der opera seria oder den komischen Liebhabern der opera buffa und diesem Belmont, welcher die Liebe eines Mannes in ihrer ganzen Kraft und Innigkeit voll und rein ausspricht. Seine Liebe ist keine wild gährende oder rasch auflodernde Leidenschaft, sie ist eine durch Leiden geläuterte, mit der Treue eines sittlichen Charakters festgehaltene Empfindung und erfaßt die innersten Tiefen seines Herzens. Auch in der lebhaften Erregung bildet eine männliche Haltung den Grundton; die wohlthuende Wärme eines in sich befestigten Gemüthes durchdringt und adelt jede Gefühlsäußerung. Darin daß Gemüth und Charakter – das Dauernde und Bleibende im Gegensatz der Leidenschaft als des Momentanen gefaßt31 – entschieden das Grundelement der musikalischen Auffassung und Darstellung bilden, tritt uns ein echt deutsches und künstlerisch bedeutendes Moment entgegen. Es ist viel leichter, die Aufregung der Leidenschaft in einzelnen Zügen zu fixiren und charakteristisch darzustellen als Gemüth und Charakter in ihrer Totalität in jeder einzelnen Aeußerung klar hervortreten zu lassen, und die das musikalische Drama wesentlich bewegende Kraft, die Liebe, von dieser Seite auffassen hieß der musikalischen Darstellung ein neues Gebiet erschließen, gleich bedeutend für die nationale Empfindung und die künstlerische Gestaltung. Denn es war nicht Zufall daß die Tenorstimme, – welche für den Ausdruck der Liebe[100] und Zärtlichkeit wie der Mann sie empfindet vorzugsweise geeignet ist, – nachdem sie in der italiänischen Oper, wo die Liebe nur in unnatürlichen Formen sich äußerte, ihrem eigentlichen Gebiet so gut wie ganz entzogen war, durch Mozart in ihr volles Recht eingesetzt wurde: es spricht sich darin das nationale Gefühl ebenso bestimmt aus als der sichere Blick für die wahre Bedeutung der künstlerischen Mittel32; wie denn auch Belmont für die deutsche Oper ein typisches Vorbild geworden ist.

Stimmung und Charakter Belmonts ist in seiner ersten kleinen Cavatine (1) schon mit festen Strichen gezeichnet; die unruhige Spannung, in welcher er sich befindet, ist durch den Ausdruck der innigen, ihrer selbst gewissen Neigung, nicht sowohl gemäßigt als vielmehr eigenthümlich charakterisirt. Aber dieses kleine Musikstück, das nur eine Meisterhand so leicht und sicher hinwerfen konnte, erhält seine wahre Bedeutung [101] erst durch den Zusammenhang, in den es mit der Ouverture gesetzt ist. Von dieser weiß Mozart seinem Vater außer daß sie kurz ist nur zu sagen (26. Sept. 1781): »sie wechselt immer mit forte und piano ab, wo beim forte allezeit die türkische Musik einfällt, modulirt so durch die Töne fort, und ich glaube, man wird dabey nicht schlafen können, und sollte man eine ganze Nacht nicht geschlafen haben.« Wie gewöhnlich, wenn er von seinen Compositionen spricht, deutet er nur auf das hin, was die Anwendung der Mittel und die äußere Wirkung anlangt, was in der Musik selbst liegt sucht er nicht durch Worte zu bezeichnen. Der rasche ununterbrochene Wechsel der Modulationen, besonders das unvermittelte Nebeneinandertreten von Dur und Moll, die scharfen Gegensätze von forte und piano, die durch das starke Reizmittel der Schlaginstrumente noch gehoben werden, bringen allerdings eine lebhafte und nicht nachlassende Spannung hervor. Allein damit ist es nicht genug: der Charakter dieser Ouverture ist so eigenthümlich phantastisch, daß nach wenigen Takten der Zuhörer sich in einer mährchenhaften Stimmung befindet. Die verschiedensten Empfindungen, heitere und schmerzliche, werden in unermüdlichem Wechsel leicht angeschlagen, ohne je festgehalten zu werden, der Ton des Ganzen ist so heiter und frisch, daß der Hörer sich willenlos dem bunten Spiel überläßt; und durch die fremdartige Klangfarbe wird die Vorstellung von einer ungewohnten Welt, in der wir uns befinden, noch lebhafter erregt. Da unterbricht ein langsamer Satz, welcher das sehnsüchtigste Verlangen auf die innigste und zarteste Weise ausspricht, das rührige Treiben: in ihm ist rein und einfach das Gefühl der Menschenbrust ausgedrückt. Ehe es noch verhallt ist sind wir schon wieder in das rege phantastische Weben hineingezogen, das rasch vorüberrauschend in einen sehnsüchtigen Ruf verklingt, an den sich nun Belmonts [102] Cavatine Hier soll ich dich denn sehen, Constanze! unmittelbar anschließt. Sie ist eben jener Mittelsatz der Ouverture, der aber dort in der Moll- hier in der Durtonart erscheint. Dieser Wechsel und zugleich die verschiedenen Nuancen in der Behandlung für die Singstimme und das Orchester geben dem reizenden kleinen Satz einen so verschiedenen Ausdruck, wie wenn man dieselbe Gegend im Mondschein und im klaren Morgenlicht sieht. So sind wir denn durch die Ouverture in unserer Stimmung frei gemacht um das Kunstwerk als solches auf uns wirken zu lassen, vorbereitet auf das, was uns nicht allein zunächst beschäftigen soll, sondern den Kernpunkt des Ganzen bildet, und das erste Gesangstück setzt der Ouverture die Krone auf, indem es uns mit einem Schlag in das Gefühlsleben versetzt, aus dem die Handlung hervorgeht33. Bedeutender noch durch die Steigerung und Ausführung im Ausdruck der Empfindung ist die zweite Arie Belmonts (4). Für jene erste Cavatine war schon durch ihre Stelle in der Exposition der Handlung ein knappes Maaß in jeder Hinsicht vorgeschrieben; hier ist die Situation bestimmter entwickelt: Belmont weiß daß Constanze dort ist, daß er sie bald sehen wird, diese Gewißheit preßt alle Empfindungen, welche die Erinnerung an eine schmerzenreiche Vergangenheit, die Aussicht in eine gefahrvolle Zukunft in ihm erregen muß, in das eine Gefühl des Wiedersehens zusammen. Mozart war von dieser Arie – er meinte ja, sie könne für die Musik fast nicht besser geschrieben werden – so ergriffen, daß er sie sowie er das Buch erhalten hatte niederschrieb. [103] »Dies ist die Favoritarie von Allen die sie gehört haben – auch von mir« schrieb er seinem Vater (26. Sept. 1781) »und ist ganz für die Stimme des Adamberger geschrieben. O wie ängstlich, o wie feurig! wissen Sie, wie es ausgedrückt ist – auch ist das klopfende Herz schon angezeigt – die Violinen in Octaven. Man sieht das Zittern, Wanken, man sieht, wie sich die schwellende Brust hebt, welches durch ein Crescendo exprimirt ist; man hört das Lispeln und Seufzen, welches durch die ersten Violinen mit Sordinen und einer Flaute mit im Unisono ausgedrückt ist.« Man würde Mozart Unrecht thun, wenn man die Tonmalerei, auf welche er hier aufmerksam macht, für das Wesentliche, den Ausdruck und Charakter dieser Arie Bestimmende ansehen wollte; sie tritt vielmehr nur als ein untergeordnetes, aber natürlich herbeigeführtes und wirksam benutztes Element der ganzen aus dem Innersten heraus musikalisch empfundenen Conception auf. Ruhiger gehalten sind die beiden andern Arien Belmonts, im zweiten Act vor dem Wiedersehen mit Constanze (15)34 und zu Anfang des dritten vor [104] der Entführung (17)35; männliche Gefaßtheit bei warmer und tiefer Empfindung giebt ihnen ihr eigenthümliches Gepräge. In der musikalischen Gestaltung tritt dies in der breit angelegten, ausdrucksvollen Cantilene hervor, die durchaus vorherrscht und eine große, klangvolle Tenorstimme in ihrer besten Lage im getragenen Gesange sich entfalten läßt ohne die Rücksicht auf die Kunst des Sängers ganz aus den Augen [105] zu setzen36. Bemerkenswerth ist der Charakter der Melodienbildung, die hier wie in der ganzen Oper von der in den italiänischen Opern Mozarts vorherrschenden merklich abweicht und sich der in seinen Instrumentalcompositionen üblichen nähert, weil dort so wenig als hier ein Einfluß italiänischer Formen sich geltend machte. Doch ist in der Entführung dieser nationale Charakter der Melodie noch nicht so bestimmt ausgeprägt wie in der Zauberflöte, so wie auch in der ganzen Anlage der Arien noch die italiänische Form kenntlicher geblieben ist37.

Constanze ist, was die musikalische Charakteristik anlangt, bei weitem nicht so gut bedacht worden als Belmont. »Die Aria von der Constanze« [6] schreibt Mozart seinem Vater (26. Sept. 1781) »habe ich ein wenig der geläufigen Gurgel der Mlle. Cavalieri aufgeopfert. Trennung war mein banges Loos und nun schwimmt mein Aug' in Thränen habe ich, soviel es eine welsche Bravuraria [106] zuläßt, auszudrücken gesucht«38. Wir werden gern bezeugen daß ihm dies gelungen sei, und daß die Arie abgesehen von den eingelegten Bravurpassagen nicht allein musikalisch schön, sondern auch der Stimmung angemessen ist, wenn sie gleich der individuellen Charakteristik entbehrt39. Aber in der großen Bravurarie des zweiten Acts (11) ist der geläufigen Gurgel der Mlle. Cavalieri Alles geopfert und Gluck hätte, als er die Oper hörte, hier wohl mit Recht Musik riechen können40. Sie ist, wie wir sahen, nicht blos ohne Interesse für die Handlung, sondern eigentlich gegen dieselbe eingeschoben, und das mochte zu der weiteren Consequenz verleiten sie nun auch ganz als ein Einlagestück zu behandeln. Es ist der Ausdehnung und der Schwierigkeit der Aufgaben nach eine der größten Bravurarien, von vier obligaten Instrumenten – Flöte, Oboe, Violine und Violoncell – begleitet, wodurch das Interesse der musikalischen Gestaltung, die Schwierigkeit der Ausführung und die räumliche Ausdehnung bedeutend zugenommen [107] haben41. Als Concertstück betrachtet ist sie durch die kunstvolle Anlage und Durchführung eines Plans, der die fünf obligaten Stimmen als integrirende Theile des Ganzen in den verschiedensten Combinationen auf eine der Klangwirkung und dem musikalischen Interesse entsprechende Weise zu beschäftigen gestattet, sehr bedeutend und, obgleich der Schimmer des eigentlich Virtuosenhaften hie und da abgeblaßt ist, noch heute interessant. Aber sie gehört nicht in die Entführung. Nicht, als ob sie ganz und gar des charakteristischen Ausdrucks entbehrte; vielmehr ist Situation und Charakter heroisch aufgefaßt, dieser Heroismus aber in so starken Zügen ausgedrückt daß die Arie auch dadurch aus dem Ton fällt, welcher in der Entführung festgehalten ist, und namentlich dem Charakter der Constanze nicht entspricht42. Die [108] Constanze, welche Mozart sich eigentlich gedacht hat, finden wir ganz und gar in der zweiten Arie (10). Die schwärmerische Sehnsucht des um den ihr entrissenen Geliebten trauernden Mädchens ist hier mit aller Innigkeit und Wahrheit ausgedrückt, hier spricht sich die Constanze Belmonts, wie ihn Mozart aufgefaßt hat, rein und ungetrübt aus; wie dem Manne die feste Haltung und Zuversicht, so ist dem Mädchen das träumerische, resignirende Versinken in die Erinnerung an ein entschwundenes Glück das Naturgemäße, und diesem mädchenhaften Gefühl hat Mozart den schönsten Ausdruck zu geben gewußt. Dieser weibliche Grundton der Stimmung ist es, welcher dieser Arie eine gewisse Verwandtschaft mit denen der Ilia im Idomeneo (II S. 464ff.) giebt, doch ist dieselbe bei aller Lieblichkeit ungleich dunkler gefärbt, was die Situation bedingt, und greift tiefer in das Gemüth ein. Wie immer zeigt sich auch hier im Vergleich mit den anderen Arien daß da, wo aus dem innersten Kern einer individuellen Situation heraus geschaffen wird, die einzelnen Elemente der musikalischen Gestaltung bedeutender, die formale Durchbildung freier und lebendiger wird43. Von ganz eigenthümlicher Wirkung ist hier auch das Colorit der Instrumentation, namentlich durch die Anwendung der Blasinstrumente, welche einen wunderbaren zarten Schimmer über das Ganze verbreiten44.

[109] Das Duett (20), in welchem beide zusammentreten, hat einen von den gewöhnlichen Liebesduetten abweichenden Charakter durch die eigenthümliche Situation erhalten. In dem Augenblick wo sie zur Hinrichtung abgeführt werden sollen fühlt jeder nur den Schmerz, die Veranlassung zum Tode des andern geworden zu sein, und indem sie sich gegenseitig zu trösten und zu beruhigen suchen, erhebt die Gewißheit ihrer Liebe, welche der Tod besiegeln aber nicht enden wird, sie zu der Höhe einer schwärmerischen Begeisterung. Diese Empfindung ist in dem ersten ruhiger gehaltenen Satz ganz vortrefflich ausgedrückt, innig und klar und mit einer sehr wohl verstandenen Verschmelzung der schmerzlichen Erregung und des liebevollen Trostes; dagegen hält der zweite bewegtere Satz sich nicht auf gleicher Höhe. Nicht nur sind durch einige Passagen und den zu sehr gedehnten Schluß dem augenblicklichen Effect Concessionen gemacht, sondern der Ausdruck steigert sich im Ganzen nicht zu dem Schwung einer begeisterten Verklärung, auf den die Situation hinweist.

Diesen beiden edlen Gestalten steht im schärfsten Contrast Osmin gegenüber, der (wie wir sehen) ganz und gar Mozarts Schöpfung ist und sicherlich eine der originellsten Gestalten, welche die dramatische Musik hervorgebracht hat. Gleich die Art und Weise, mit der er eingeführt wird, ist meisterlich. Nachdem Belmont seine die edelste Liebe und [110] Treue athmende Cavatine gesungen hat, kommt Osmin aus dem Hause um Feigen zu pflücken; er singt sich behaglich ein Lied dazu, es ist auch ein Liebeslied, aber die ängstlichste Eifersucht hat es eingegeben. So tritt nicht allein der Contrast gegen Belmont, sondern auch die Gegensätze seines eigenen Wesens, zutäppische Lüsternheit und furchtsame Eifersucht, gleich deutlich hervor, und die Musik hat auf die genialste Weise in dem einfachen Lied den ganzen Charakter anschaulich gemacht. Der heiteren Klarheit in Belmonts Cavatine gegenüber macht schon die düstere Molltonart eine eigenthümliche Wirkung45, die nicht etwa einen sehnsüchtigen sondern vielmehr einen wilden, trüben Ausdruck hat, wie man ihn in so manchen Volksliedern findet, denen überhaupt dies Lied glücklich nachgebildet ist. Dazu hat die Bewegung ungeachtet des markirten Rhythmus etwas Schwerfälliges, und Mozart hat es verstanden dem Ganzen den Charakter nicht des Großen, aber des Colossalen zu geben, daß man unwillkührlich an das mastige Auftreten der Elephantenkälber erinnert wird. Besonders tritt dies hervor, wenn Osmin mit wohlgefälligem Brummen die letzten Worte in der tieferen Octave wiederholt um dann um so nachdrücklicher in das, man möchte sagen brutale Trallalera! auszubrechen. Es ist ein so ungeschlachtes Recken und Dehnen, und der wilde Gesell läßt es sich so wohl darin sein, daß man nicht einen Augenblick im Zweifel sein kann, wie unliebenswürdig er sich zeigen wird, wenn ihm Jemand in die Quere kommt. Das zeigt sich denn auch sofort. Da er auf Belmonts wiederholte Anfragen eine Zeit lang gar nicht antwortet, so unterbricht ihn dieser – gleichsam unwillkührlich mit derselben Melodie des[111] Liedes, das ihn so ärgert –, und nun behauptet Osmin durch impertinente Gleichgültigkeit, angenommene Grandezza und unverschämte Grobheit, welche ihm die Zunge gehörig löst, dem in allem Ernst aufgebrachten Belmont gegenüber das Uebergewicht, welches rücksichtslose Gemeinheit zu verleihen pflegt46. Als er schon im besten Zug ist, kommt ihm noch Pedrillo in den Wurf und dieser bekommt den aufs höchste gesteigerten Ausbruch seiner Brutalität zu hören, in jener Arie, welche Mozart angegeben hatte (3). Hier wirst Osmin sich in die Brust und sucht ihm mit allem Nachdruck seine Würde und seine Klugheit eindringlich zu machen. Höchst charakteristisch ist der Wechsel des Gravitätischen, das durch den Rhythmus, die gewichtigen Intervalle, die dissonirenden Vorhalte in der Begleitung ausgedrückt wird, mit der ungeduldigen Hast, wenn er sich erzürnt; ganz individuell Osminsch aber ist das Behagen, mit dem er sich in dem Gedanken: Ich hab' auch Verstand! förmlich wiegt47. Dabei redet er sich selbst immer mehr in Wuth, wie Keulenschläge fallen die Drohungen, die er in einem Athemzug ausstößt, dem armen [112] Pedrillo auf das Haupt48; endlich schließt er triumphirend, man denkt, er ist fertig. Aber er hat nur einen Augenblick[113] Luft geschöpft um einen neuen Anlauf zu einer wahren Hetzjagd zu nehmen, in der er seinem Gegner das Garaus macht. Mozart schreibt über den Schluß dieser Arie seinem Vater (26. Sept. 1781): »Das Drum beim Barte des Propheten ist zwar im nämlichen Tempo, aber mit geschwinden Noten, und da sein Zorn immer wächst, so muß, da man glaubt, die Aria sey schon zu Ende, das Allegro assai ganz in einem andern Zeitmaaße und anderm Tone eben den besten Effect machen. Denn ein Mensch, der sich in einem so heftigen Zorn befindet, überschreitet ja alle Ordnung, Maaß und Ziel, er kennt sich nicht – und so muß sich auch die Musik nicht mehr kennen. Weil aber« – fährt er fort und spricht in einfachen Worten aus, worin der eigentliche Zauber seiner und aller wahren Kunst liegt – »weil aber die Leidenschaften, heftig oder nicht, niemals bis zum Ekel ausgedrückt seyn müssen, und die Musik, auch in der schaudervollsten Lage, das Ohr niemals beleidigen, sondern doch dabey vergnügen, folglich allezeit Musik bleiben muß, so habe ich keinen fremden Ton zum F (dem Tone der Arie), sondern einen befreundeten, aber nicht den nächsten D-minore, sondern den weiteren A-minore dazu gewählt.« In der That ist die Wirkung der Molltonart, – die man nun mit der zugehörigen Dominante allein, und zum Schluß in elf Takten nur die Scala, zu hören bekommt – außerordentlich49; sie giebt dem Ganzen[114] wiederum einen wilden, fanatischen, man mochte sagen barbarischen Charakter, der auch hier durch den scharf markirten, aber eintönigen Rhythmus noch stärker hervortritt. Und wie wird dies Alles noch durch die Instrumentation gehoben! »Der Zorn des Osmin« schreibt Mozart »wird dadurch in das Komische gebracht, weil die türkische Musik dabey angebracht ist.« Allerdings thut sie hier noch ganz andere Dienste als bloß Local und Costum zu charakterisiren50; das Schrillen der Pickelflöte, die Schläge von Trommel und Becken, das Klingeln des Triangels erhöhen den Ausdruck des Fanatismus nicht allein, sie geben ihm ein ganz anderes Colorit51; [115] das Betäubende dieser Instrumente, die Athemlosigkeit der Bewegung, die Monotonie des Rhythmus machen den Eindruck, daß man schwindlich werden müßte, wenn das noch eine Weile so fort ginge. Allein Mozart macht uns nicht schwindlich, er gebraucht die stärksten Mittel der Charakteristik, aber nicht bis zu dem Grade daß sie peinlich werden; seine Musik bleibt eben Musik. Die größte Bewunderung verdient auch hier die Kunst, mit welcher er es verstanden hat, die Grundzüge des wilden Fanatismus und der brutalen Rohheit musikalisch so auszudrücken, daß sie vollkommen wahr, aber mit soviel Humor und Heiterkeit aufgefaßt erscheinen, daß die Totalwirkung eine entschieden komische ist.

Wir lernen diesen ungeschlachten Gesellen noch in verschiedenen Situationen kennen: in allen bleibt er sich gleich. Die zweite große Arie (19) ist gewissermaßen das Gegenstück zu dieser; er triumphirt, er ist außer sich vor Freude daß es endlich zum Halszuschnüren kommt, aber es bleibt derselbe wilde Grimm, und trotz aller Lustigkeit die plumpe Trägheit; bei allem Jubeln und Springen ist es ihm doch die Hauptsache daß er nun Ruhe hat, daß er sich behaglich strecken und dehnen kann, was denn auch auf dem lang ausgehaltenen A und D, zu dem er die Scala gemächlich hinabsteigt, nach Herzenslust geschieht52. Vor allem charakteristisch aber ist hier der Mittelsatz53: Schleicht nur säuberlich und leise [116] ihr verdammten Haremsmäuse! Es ist, als sähe man eine wilde Bestie, wie sie bald mit Gähnen sich reckt bald wieder aufspringt: das grimmige Behagen und die wollüstige Faulheit sind in der Folge von Octavensprüngen mit den dissonirenden Vorhalten in der Begleitung wunderbar charakterisirt, sowie die Triolenpassage, welche vom Orchester im Unisono unterstützt wird, als gäbe es für so etwas keine Harmonie, eine unsägliche Brutalität der Freude ausdrückt, die nur noch durch den schrillen Jubel am Schluß überboten wird54. Als wahrer Poltron zeigt er sich aber im Duett mit Blondchen (9), die ihn durch ihre schnippische Impertinenz vollständig unterm Pantoffel hat; er sucht sich zwar in die Brust zu werfen, indem er in die tiefste Tiefe seines Basses hinabsteigt, allein sie schlägt durch Persiflage den plumpen Gesellen ganz aus dem Felde. Das Klagelied, welches er darauf anstimmt: Ihr Engländer seid ihr nicht Thoren, ihr laßt euren Weibern den Willen! ist das Gegenstück zu seinem Liebeslied und klärt völlig über dasselbe auf. Hier ist nichts von dem ungestüm Leidenschaftlichen, das dort in Lüsternheit und Eifersucht zum Vorschein kam, sondern nur klägliches Jammern einer Sklavenseele, die sich vor dem risoluten Frauenzimmer ebenso fürchtet, wie vor seinem Herrn und Gebieter. Auf die artigste Weise und mit den einfachsten musikalischen Mitteln ist im letzten Satze charakterisirt, wie Osmin auch den Schein der Ueberlegenheit aufgiebt und auf allen [117] Punkten sich zurückzieht. Von einer anderen Seite wird er uns wieder in dem Duett (14) vorgeführt, in welchem Pedrillo ihn zum Trinken verleitet55. Seine Bedenken sind bald überwunden, und nun thut er es dem Pedrillo zuvor. Daß die Persönlichkeit des Sängers Veranlassung bot auch hier Osmin musikalisch als Hauptperson hervortreten zu lassen kam nur der Situation zu Hülfe; man braucht nur zu hören, mit welch triumphirendem Uebermuth er nach Pedrillo das Hauptmotiv vorträgt, um gewiß zu sein, wo die Wirkung des Weins am lebhaftesten empfunden wird56, und auch wo die rasch geschlossene entente cordiale sich im Unisono ausspricht behält Osmin noch mit der tiefen Octave die Oberhand. Aber auch hier hält Mozart Maaß, weiter als bis zu einem heiteren Scherz läßt er es musikalisch nicht kommen, die Trunkenheit und das Einschlafen Osmins zog er nicht in den Bereich seiner Darstellung. Am wenigsten scharf charakterisirt ist Osmin in dem Terzett (7), von welchem Mozart seinem Vater folgenden [118] Bericht giebt (26. Sept. 1781). »Nun das Terzett, nämlich der Schluß vom ersten Act. Pedrillo hat seinen Herrn für einen Baumeister ausgegeben, damit er Gelegenheit habe mit seiner Constanze im Garten zusammenzukommen. Der Bassa hat ihn in seine Dienste genommen, Osmin als Aufseher, und der davon nichts weiß, ist als ein grober Flegel und Erzfeind von allen Fremden impertinent und will sie nicht in den Garten lassen. Das Erste, was ich angezeigt, ist sehr kurz57, und weil der Text dazu Anlaß gegeben, so habe ich es so ziemlich gut dreistimmig geschrieben; dann fängt aber gleich das Major pianissimo an, welches sehr geschwind gehen muß, und der Schluß wird recht viel Lärmen machen, und das ist ja Alles, was zu einem Schlusse von einem Acte gehört: je mehr Lärmen, je besser, – je kürzer, je besser, – damit die Leute zum Klatschen nicht kalt werden.« Man sieht, es war ihm diesmal mehr um den lebendigen Ausdruck der Situation als um detaillirte Charakteristik zu thun, und hier wo es sich einfach drum handelt den Einlaß zu erzwingen, den Osmin verwehrt, sind alle drei Personen in ihrem Schelten und Drängen einander wesentlich gleich, auch Belmont wird von der allgemeinen Hast ergriffen. Daher ist die »ziemlich gute« dreistimmige Schreibart, welche durch die selbständige, meist imitatorische Stimmführung eine fortdauernde, lebhafte Regsamkeit hervorruft, ganz am Platz und durch die dramatische Situation indicirt, wenn sie gleich durch die strengere Form die individuelle Charakteristik beschränkt.

Auf eine ergötzliche Art tritt Osmin zuletzt noch im Schlußgesang hervor. Während Alle anderen in der damals beliebten [119] Form des Rundgesanges ihren Dank aussprechen, versucht er es vergebens sich in demselben Gleis zu halten, der Rundgesang bleibt ihm in der Kehle stecken, und unwillkührlich macht sich sein Ingrimm Luft: die Parforcejagd vom ersten Act mit der obligaten Janitscharenmusik rauscht noch einmal an unseren Ohren vorüber58.

Wenn man in der Partie des Osmin auch einzelne Elemente gewahrt, welche der ausgeprägten Form des italiänischen Baßbuffo entnommen sind, so hat Mozart dieselben doch in so eigenthümlicher Weise ausgebildet und mit seiner eigenen Schöpfung verwebt, daß man in dieser Aneignung den [120] selbständigen Künstler am besten erkennt. Was aber die Partie des Osmin vor allen auszeichnet, die durchgeführte Charakteristik einer ganz bestimmten Individualität aus dem Grunde ihres eigenthümlichen Wesens heraus, das hebt sie weit über die gewöhnlichen Buffopartien hinaus, welche meistens einzelne komische Züge einer übrigens charakterlosen Person aufheften. Wir sahen schon daß Mozart allein diese in ihrer Art grandiose Figur geschaffen hat, die für seine eminente Begabung zu dramatischer Gestaltung das glänzendste Zeugniß ablegt.

Bei weitem nicht so scharf und bedeutend charakterisirt sind Blondchen und Pedrillo, die auch an der Handlung nur als Nebenpersonen betheiligt sind: Blondchen, die in dem Duett mit Osmin zu ihrem Vortheil bedacht ist, hat außerdem noch zwei Arien, von denen die erste (8) noch etwas an das absichtliche Zurückschieben der seconda donna erinnert und in keiner Weise hervortritt59. Sehr viel eigenthümlicher und frischer ist die zweite Arie (12), in welcher eine herzliche Freude auf eine so lebhafte und, ohne daß die Sphäre einer gutmüthigen Soubrette überschritten würde, so liebenswürdige Weise ausgedrückt ist, daß man bei munterem natürlichem Vortrag unwillkührlich in die gute Stimmung hineingezogen wird. Unverkennbar kommt hier ein deutsches Element zur[121] Geltung – wie man denn auch an die Zauberflöte erinnert wird –, und wir finden hier die ersten Linien für die naiven Mädchenrollen der deutschen Oper gezogen60.

Die Arie des Pedrillo (15) hat Mozart, vielleicht durch den Anfang Frisch zum Kampfe! verleitet, etwas zu heroisch und soldatenhaft gehalten, und wenn auch hie und da die Bedientennatur in der Begleitung angedeutet ist, so ist das Ganze doch für diese Person zu kräftig und glänzend61. Dagegen ist die Romanze, welche er im dritten Aufzug zur Cither singt (18), ein Kleinod der feinsten Charakteristik. [122] Den Pedrillo geht diese zwar nichts an, denn er singt die Romanze nicht aus seiner persönlichen Empfindung, sondern als ein eingelerntes Lied; aber der durchaus fremdartige Charakter dieser originellen Harmonien und Rhythmen, die Mischung von kühnem ritterlichen Aufschwung und klagendem Zusammensinken ist so phantastisch, so mährchenhaft, daß wir selbst im Mohrenland zu sein glauben und uns gern überreden lassen, das sei echt maurische Musik. Wir haben es aber blos mit Mozarts Musik zu thun, der aus sich herausschuf, was der Situation musikalisch entsprach und sich nicht erst auf philologische Studien nach maurischen Volksmelodien einließ. Ebenso sind auch die beiden Chöre (5. 21) nicht blos durch die türkische Musik als Janitscharenchöre – so bezeichnet Mozart sie in der Partitur62 – charakterisirt, sondern durch eigenthümliche Rhythmen und Harmonien, welche ihnen ein fremdartiges und volksthümliches Wesen geben, ohne daß grade darauf Bedacht genommen wäre, ob es auch wirklich echt türkisch sei63.

Wir haben schon zu bemerken Gelegenheit gehabt, wie die Ensemblesätze aus einer bedeutenden Situation hervorgehen und daher auch für die Charakteristik der musikalischen Darstellung wesentlich sind; ganz besonders gilt dies von dem schon besprochenen Quartett (16), welches den Schluß des zweiten Aufzugs bildet. Belmont und Constanze sehen sich im Garten des Bassa zum erstenmal wieder, auch Pedrillo [123] und Blondchen finden sich hier; die Zusammenkunft der Liebenden ist um so bedeutsamer, als sie zugleich die Vorbereitung für die nahe Flucht derselben sein soll. Die Grundstimmung ist dadurch gegeben, sie ist in ungewöhnlicher Weise gehoben und allen gemeinsam; allein theils führt die eigenthümliche Situation mancherlei Schwankungen des Gefühls herbei, theils sind auch die auftretenden Individuen sehr verschiedener Natur: diese Mannigfaltigkeit zu einem künstlerischen Ganzen zu verbinden ist also die Aufgabe des Componisten. Sehr glücklich kommt die scenische Einrichtung hier dem Bedürfniß einer bestimmten Gliederung entgegen. Die beiden Liebespaare gehen in traulichem Gespräch im Garten hin und her, sie können daher getrennt, nach einander oder auch zusammen gehört werden, wie es die Situation und die musikalische Gruppirung verlangt. Anfangs gestaltet sich die Sache einfach. Die Hauptpersonen, Constanze und Belmont, sprechen ihre Empfindungen in einem kurzen, duettartigen Satz aus, der jenen edlen, herzlichen Charakter trägt, den Mozart für die Liebenden ausgeprägt hat; während sie sich abwenden, treten Pedrillo und Blondchen vor, welche in der Verabredung zur Flucht begriffen sind, dem gemäß ist in der Musik der Ton einer leichten, heiteren Unterhaltung angeschlagen. Aber auch sie sind mit ihren Gedanken bei der bevorstehenden glücklichen Wendung ihres Geschickes und da Belmont und Constanze sich nähern, so vereinigen sich ganz natürlich Alle in dem Ausdruck dieses freudigen Gefühls, das Alle gleichmäßig durchdringt64 und daher das Hauptmotiv, mit welchem das Quartett begann, bedeutsam gesteigert [124] nun zur vollen Geltung bringt65. Allein jetzt trübt sich die Stimmung; Belmont kann eine Regung der Eifersucht nicht unterdrücken, beklommen und verlegen sucht er Constanze, die ihn gar nicht versteht, seine Zweifel auszudrücken; auch Pedrillo äußert sich gegen Blondchen in ähnlicher Art, die ihn freilich besser versteht, darüber kommt Belmont mit Constanze zurück66. Nun sprechen sich beide Männer aus, zugleich, jeder in seiner Art, Belmont frei und edel, Pedrillo mit schwatzhafter Hast, Constanze bricht in Thränen aus, Blondchen giebt Pedrillo als Antwort eine Ohrfeige; die Frauen beklagen sich, die Männer gestehen daß sie zu weit gegangen waren. Nachdem diese sich kreuzenden Empfindungen in raschem Wechsel lebhaft ausgesprochen sind, sammeln sich die [125] Liebenden aus dieser Verwirrung, besinnen sich auf ihre wahre, echte Empfindung und bereiten so die Versöhnung vor67. Der kurze Ensemblesatz, in welchem Mozart diese innere Läuterung vollzieht (Andante 6/8), ist einer jener Mozartschen Sätze, von denen ein Freund zu sagen pflegt, der liebe Gott hätte sie nicht anders machen können; die reinste Schönheit und ein wahrhaft seliges Genügen durchdringen diese einfachen und anspruchslosen Töne in der wunderbarsten Weise68. Aber die Versöhnung ist noch nicht ausgesprochen; [126] die Männer bitten zwar um Verzeihung, allein die Frauen lassen sie erst noch ihr Unrecht fühlen, und hier ist es Blondchen, die von Rechtswegen die Ueberlegenheit ihrer geläufigen Zunge geltend macht, während die Männer immer dringender werden, bis endlich der Friede geschlossen ist. Auch dieser Satz, in dem die individuelle Charakteristik der einzelnen Personen meisterhaft behandelt ist, wirkt durch den Gegensatz zum vorhergehenden erst in der rechten Weise; namentlich weist das seine Maaßhalten im Ausdruck des Komischen, das dem innigen Gefühl der gekränkten Liebe gegenüber wie ein heiterer Sonnenblick über eine ernste Landschaft streift, auf jene tiefe gemüthliche Stimmung zurück, sowie dagegen die heitere Lösung dadurch vorbereitet wird69. Nachdem die Verzeihung ausgesprochen ist, löscht die Empfindung der vollen Befriedigung jede Spur vergangener Leiden aus. Nach so vielfach wechselnder Anspannung war auch musikalisch eine völlige Abspannung Bedürfniß; der letzte Satz ist daher mit Recht der Stimmung gemäß feurig und glänzend, aber sehr einfach gehalten; er geht fast gar nicht aus der Haupttonart heraus, mehrfache canonische, sehr leichte Eintritte der Singstimmen, rauschende Instrumentation [127] und ein ungemein wirksames Crescendo zum Schluß geben ihm eine unausgesetzt treibende und belebende Kraft.

Dies war der erste wahrhaft dramatische große Ensemblesatz einer deutschen Oper, in ihm finden wir das concentrirt was Mozart in seiner Entführung für die deutsche Oper durch die That errungen hat: völlig freie Verwendung aller Mittel des Gesanges und Orchesters70 für den musikalischen Ausdruck der Empfindung, ohne Beschränkung bindender Normen als der im Wesen der Musik und der dramatischen Charakteristik begründeten Gesetze.

Fußnoten

1 Belmont und Constanze oder Die Entführung aus dem Serail. Eine Operette in drey Akten von C.F. Bretzner. Leipz. 1781.


2 Joh. André, geb. in Offenbach 1741, ist als Göthes Freund und Genosse während seines Aufenthalts in Frankfurt in den Jahren 1772 bis 1776 aus Wahrheit und Dichtung (B. XVI Werke XVIII S. 220ff.) bekannt. Er hatte zuerst als Dilettant die Oper Der Töpfer componirt, welche 1773 mit großem Beifall in Frankfurt gegeben wurde (Göthe Briefw. mit Jacobi S. 8); dann folgten Erwin und Elmire und Claudina von Villabella. Im Jahr 1777 wurde er Kapellmeister bei der Döbbelinschen Gesellschaft in Berlin und schrieb für dieselbe eine Reihe von Operetten; 1784 ging er nach Offenbach zurück und starb dort 1799.


3 Den Text dieser Scene auf einem besonderen Blatt sauber von Mozarts Hand ins Reine geschrieben sah ich bei meinem Freunde Director Fr. Hauser in München.


4 Es war ungeschickt eingeführt – Blonde fordert Constanze auf um sich die Grillen zu vertreiben, ihr Lieblingsstück, einen Rundgesang an die Hoffnung mit ihr anzustimmen – und drückte den Gegensatz der beiden Charaktere gar zu absichtlich aus.


5 Zur Vergleichung theile ich denselben mit:


Pedrillo.


Mit Pauken und Trompeten,

Und Tapferkeit und Stärke

Gehn Helden rasch zu Werke,

Und tragen Sieg davon.


Blonde.


Auch schwacher Mädchen Herzen

Kann Heldenmuth beleben;

Trotz Zagen, Angst und Beben

Ist endlich Sieg ihr Lohn.


Belmonte.


Für dich, mein theures Leben,

Sollt' ich nicht Alles wagen?

Selbst Fesseln für dich tragen

War schon ein süßer Lohn.


Konstanze.


Was acht' ich die Gefahren!

In dir nur sind ich Freuden.

Den Tod für dich zu leiden

Wär' für mich süßer Lohn.


Alle zugleich.


Wie bebt das Herz vor Freuden!

Ha! mit der Liebe Flügeln

Eil' ich durch Meer und Fluthen,

Geliebte (Geliebter), schon davon.


6 Angefangen hatte Mozart diesen Satz bereits. Der größte Theil des Duetts zwischen Belmont und Pedrillo von der Romanze ist von ihm in seiner gewohnten Weise skizzirt, Singstimmen und Baß sind vollständig ausgeschrieben, die Begleitung hie und da angedeutet. Mitten darin bricht es ab; und Mozart hat es offenbar liegen gelassen, als er sich überzeugt hatte, daß die ganze Scene anders behandelt werden müsse. Jul. André hat die interessante Reliquie kürzlich herausgegeben: Duett »Welch ängstliches Beben« zur Oper Die Entführung aus dem Serail von Mozart. Offenbach André.


7 Cramer Magazin der Musik II S. 1057.


8 In der Arie der Constanze (6) heißt es


Doch im Hui schwand meine Freude,

Trennung war mein banges Loos;

Und nun schwimmt mein Aug' in Thränen,

Kummer ruht in meinem Schooß.


Darüber hatte Mozart seinem Vater schon vorher geschrieben (26. Sept. 1781): »Das Hui habe ich in schnell verändert, also: Doch wie schnell schwand meine Freude. Ich weiß nicht, was sich unsere deutschen Dichter denken; wenn sie schon das Theater nicht verstehen, was die Oper anbelangt, so sollten sie doch wenigstens die Leute nicht reden lassen, als wenn Schweine vor ihnen stünden.«


9 Bretzners Text ist nicht durchweg und gleichmäßig gereimt, was dem Vater Anstoß gegeben hat. – Reichardt sagt in seinem Brief über die musikalische Poesie (Anhang seiner kleinen Schrift über die deutsche comische Oper. Leipz. 1774), der manche treffende Bemerkung enthält (S. 115): »Auch lege sich der musikalische Dichter nicht allezeit den Zwang der Reime auf; er wird dadurch unendlich in der Beobachtung der nothwendigen Eigenschaft der guten musikalischen Poesie gewinnen, und meiner Meinung nach wird das Singestück nichts dadurch verlieren: denn durch das Dehnen der Worte im Gesange geschieht es sehr oft, besonders, wenn die gereimte Zeile nicht gleich darauf folgt, daß der Reim nicht gehört wird.«


10 Der Vater hatte in der Besorgniß, Wolfgang möge zu wenig auf das große Publicum Rücksicht nehmen, ihn ermahnt doch ja nicht zu ernsthaft zu schreiben und ihn daran erinnert, daß in München manche seineOpera seria gar zu ausschließend seriös gefunden hatten. Darauf antwortet er (16. Juni 1781): »Glauben Sie, ich werde eine Opera comique auch so schreiben wie eine Opera seria? So wenig Tändelndes in einerOpera seria seyn soll und so viel Gelehrtes und Vernünftiges, so wenig Gelehrtes muß in einer Opera buffa seyn und um desto mehr Tändelndes und Lustiges. Daß man in einer Opera seria auch komische Musik haben will, dafür kann ich nicht; hier unterscheidet man aber in dieser Sache sehr gut. Ich finde halt, daß in der Musik der Hanswurst noch nicht ausgerottet ist, und in diesem Falle haben die Franzosen Recht.«


11 Man muß sich hiebei an die fest ausgebildete Praxis der italiänischen Operntexte erinnern, deren Nachbildung als die wesentliche Aufgabe des deutschen Operndichters galt. Die ihrer Zeit hoch gehaltene Schrift Krauses Von der musikalischen Poesie (Berlin 1752) ist in diesem Sinne abgefaßt, Hiller (über Metastasio 1786 S. 6f.) verwies die deutschen Operndichter auf Metastasio; selbst Göthe suchte, wenn gleich auf sehr verschiedene Weise, den italiänischen Typus im deutschen Singspiel nachzubilden. Aehnliche Ansichten, wie Mozart sie äußert, sind bei Gelegenheit der Entführung ausführlich entwickelt in Cramers Magazin der Musik II S. 1061ff. Schon Reichardt sagte (a.a.O. S. 112f.): »Hauptsächlich ist mein Rath für den musikalischen Dichter dieser, daß er sich nicht an die gewöhnlichen Formen der Singstücke binde; er wähle ein Sujet, welches eine für das Herz interessante Handlung hat und dieses behandle er nach der Art der guten dramatischen Dichter. In der Versification erlaube er sich alle Arten der Sylbenmaaße und wähle zu jeder Stelle, zu jeder Scene das Sylbenmaaß, von dem er glaubt, daß es zu dem Ausdruck der Empfindung am geschicktesten sey. Nunmehr aber überlasse er es dem verständigen und empfindungsvollen Componisten seine Verse zu Recitativen, Ariosen, Arien, Duetten und Chören abzutheilen. Hierzu ist dieser am geschicktesten; und wenn der Dichter seine handelnden Personen jederzeit die wahre Sprache der Natur hat reden lassen, und sich der Musikus recht in die Situationen jener zu versetzen weiß, so wird ihm dies jederzeit gelingen und leicht werden. Es ist dieses auch der einzige Weg, den Componisten auf neue Spuren zu bringen; der einzige Weg für uns eine eigene Musik zu bekommen.«


12 Darin liegt hauptsächlich das Mißverständniß Glucks daß er den Componisten von der bestimmten Ausführung des Dichters durch das Wort abhängig machen wollte; und daß er dieses Mißverständniß zum Princip machte hat dem, was er richtig fühlte, in der Ausführung Schaden gethan. Es war sicherlich nur ein Mißverständniß von ihm, denn wenn er auch paradox genug sagte daß er beim Componiren vor allen Dingen den Musiker zu vergessen suche, oder wenn er den Fehler einer Composition darin fand daß sie nach Musik rieche, so meinte er offenbar den überlieferten Handwerks- und Formelkram, in welchem die Meisten das Wesen der Kunst setzten; er wollte den Musiker von diesen Fesseln befreien – wie Mozart dies ebenfalls in Anspruch nimmt – um ihn zum Dichter zu machen. Allein hier trat jenes Mißverständniß ein, er überantwortete den Musiker dem Dichter und machte ihn zum Uebersetzer. Vgl. II S. 226ff.


13 Vgl. Hanslik Vom Musikalisch-Schönen S. 27ff.


14 Die Architectur bedarf für ihre höchsten Leistungen des Schmuckes, welchen Sculptur und Malerei ihr bieten; daß bei einem solchen Zusammenwirken auf einen Zweck hin jede Kunst der anderen nachgeben und entgegenkommen müsse, ist nie Jemand zweifelhaft gewesen. Die architectonische Anlage muß dar auf berechnet sein, der Sculptur und Malerei Raum und Stätte zu schaffen, wo sie wirken können, diese müssen den durch die Baulichkeit gebotenen Raum als die nothwendige Bedingung ihrer Conceptionen ansehen; das Giebelfeld, die Metope, das Deckengewölbe, die Lunette sind nicht frei gewählte Begrenzungen der Composition, sondern durch die Nothwendigkeit gebotene. Der Bildhauer modificirt seinen Stil um seine Gebilde mit dem Charakter der Architectur in Einklang zu bringen, der Maler weiß selbst wo ihm die Flächen großer Wände eine Selbständigkeit geben, die ihn weit über die eigentliche Ornamentik hinaushebt, durch Composition und Farbenton die Beziehung auf das Ganze hervortreten zu lassen. Unzweifelhaft ist die Architectur mit ihren strengen Besetzen und festen Formen maaßgebend; allein wer könnte den Gedanken fassen, daß Phidias in den Sculpturen des Parthenon, Rafael in den Loggien des Vatican dem Architecten unterthan, seine Freiheit und Selbständigkeit in künstlerischer Erfindung und Darstellung aufgegeben habe? Das Verhältniß der Poesie und Musik in der Oper ist kein anderes.


15 Bis auf einen gewissen Grad ist ein solches Zusammenwirken durch die Nothwendigkeit in den meisten Fällen herbeigeführt, es reducirt sich aber in der Regel auf ein unwilliges Zugeständniß von der einen oder anderen Seite. Dasselbe Bedürfniß hat in neuerer Zeit wiederholt Componisten zu dem Versuch veranlaßt sich ihre Operntexte selbst zu machen. Bei einiger Theaterpraxis und mäßiger Bildung ist das nicht so gar schwer in einer Zeit, wo die Sprache für den Dichter denkt und dichtet. Aber es liegt in der Natur des Menschen und der Kunst daß auf diesem Wege das höchste Ziel nicht erreicht werden kann. E.T.A. Hoffmann, von dem man es vielleicht am ehesten hätte erwarten können, hat sich nie zu seinen Opern den Text selbst gedichtet und läßt in den Serapionsbrüdern (ges. Schr. I S. 98ff.) den Componisten Theodor sich darüber aussprechen, weshalb es unmöglich sei, »daß irgend einer allein ein Werk schaffe gleich vortrefflich in Wort und Ton.«


16 Auch wenn man die Poesie mit den bildenden Künsten in Vereinigung bringt, wiederholt sich dieselbe Erfahrung; eine poetische Erklärung dem Kunstwerke gegenüber steht gegen die unmittelbare Wirkung, welche dieses auf die Sinne macht, sehr zurück.


17 Auch die Gattung der Musik, welche vorzugsweise den Verstand beschäftigt, wie man sagt, wie die streng contrapunktische, thut dies nicht in der Weise daß sie den Hörer veranlaßt, eine in bestimmte Vorstellungen gefaßte Bedeutung der Composition zu ermitteln, sondern sie erregt vielmehr in ihm das Bedürfniß, die künstlerische Form als solche, und die Gesetze auf denen diese beruht, klar aufzufassen. Vgl. Hanslik Vom Musikal. Schönen S. 78f.


18 In der Oper ist dabei nicht außer Augen zu setzen, daß die äußere Darstellung so wie die Mimik keinen geringen Antheil an dieser Charakteristik haben, so daß ja wohl auch die Zuhörer einer Oper mit Interesse und Befriedigung folgen, deren Sprache sie nicht verstehen; ein Beweis, daß Handlung und Situation hier noch wesentlicher sind als die sprachliche Darstellung des Einzelnen.


19 Man hat wohl gesagt daß ein Text um musikalisch zu sein nicht poetisch sein, sondern nur gewisse äußere Formen des poetischen Vortrags haben dürfe. Daß dies Paradoxon falsch sei ist leicht einzusehen. Alle wesentlichen Bedingungen des poetischen Vortrags sind auch die des musikalischen und ein principieller Widerstreit derselben ist undenkbar. Aber die Mittel des Vortrags, über welche der Dichter verfügt, sind mannigfach und verschiedenartig, und nicht alle sind an jedem Ort wohl angebracht; wenn der Dichter seiner Kunst Herr und sich dessen klar bewußt ist, was er erreichen will, so wird er auch die rechten Mittel anzuwenden wissen um der musikalischen Darstellung gerecht zu werden. Lessing, der in der Fortsetzung seines Laokoon auch das Verhältniß der Musik zur Poesie in Betracht ziehen wollte, hat hier übertreffende Bemerkungen gemacht (Werke XI S. 153f.).


20 Bretzner war mit denselben sehr unzufrieden. Er ließ folgende »Nachricht« in die Berliner Litt. u. Theat. Zeitung (1783 II S. 398ff.) einrücken: »Es hat einem Ungenannten in Wien beliebt, meine Oper: Belmont und Constanze oder die Entführung aus dem Serail fürs K.K. Nationaltheater umzuarbeiten und das Stück unter dieser veränderten Gestatt drucken zu lassen. Da die Veränderungen im Dialog nicht beträchtlich sind, so übergehe ich solches gänzlich: allein der Umarbeiter hat zugleich eine Menge Gesänge eingeschoben, in welchen gar herzbrechende und erbauliche Verslein vorkommen. Ich möchte den Verbesserer nicht gern um den Ruhm seiner Arbeit bringen, daher sehe ich mich genöthigt, die von ihm eingeschobenen Gesange nach der Wiener Ausgabe und Mozarts Komposizion zu specificiren.« Nachdem dies geschehen und »eine Probe von des Verbesserers Arbeit aus dem Quartett« mitgetheilt worden ist, ruft Bretzner zum Schluß aus: »Das heiß ich verbessern!«


21 Die Handlung ist allgemein bekannt. Constanze, die Geliebte Belmonts, ist in die Gewalt des Bassa Selim gerathen, der sie in seinem Serail hält und vergebens um ihre Liebe wirbt. Durch Pedrillo, Belmonts ehemaligen Diener, welcher eben falls in die Hände des Bassa gefallen und von ihm zum Aufseher seiner Gärten gemacht ist, hat Belmont erfahren, wo Constanze sich befindet und ist zu ihrer Befreiung herbeigeeilt. Da er den Pedrillo aufsucht, stößt er auf Osmin, den Aufseher des Landhauses, in welchem die Handlung vor sich geht, und wird von diesem ebenso wie Pedrillo – den Osmin um so mehr haßt, da er in Blondchen verliebt ist, die wie er wohl weiß sich mit Pedrillo versteht – hart abgewiesen. Indessen gelingt es Pedrillo dem Bassa seinen Herrn als einen geschickten Baumeister zu empfehlen, so daß er ihn in seine Dienste nimmt und Osmin beide zu seinem Verdruß ins Landhaus aufnehmen muß. – Im zweiten Act sehen wir zunächst Blondchen mit Osmin und seiner gewalthaberischen Eifersucht kurzen Proceß machen, darauf Constanze von Neuem dem Bassa gegenüber ihre Treue bewähren. Hierauf macht Pedrillo den Osmin, indem er ihn zum Trinken verleitet, durch einen Schlaftrunk unschädlich; die so gewonnene Freiheit wird zu einer Zusammenkunft der Liebenden benutzt, in welcher die Flucht für die nächste Nacht verabredet wird. – Im dritten Act soll diese bewerkstelligt werden. Pedrillo giebt das Zeichen, Belmont entkommt mit Constanze; als Pedrillo Blondchen entführen will, kommt Osmin noch schlaftrunken dazu; zwar entwischen sie ihm, allein er läßt ihnen nachsetzen. Beide Liebespaare werden eingeholt und vor den Bassa geführt, der sie zu tödten befiehlt, aber endlich durch ihre aufopfernde Liebe und Treue gerührt ihnen verzeiht und sie ziehen läßt.


22 Vgl. I S. 124ff. »Man bedenke«, sagt Reichardt (üb. d. com. Oper S. 14f.) »wie sehr Hiller durch den elenden Zustand unserer Singetheater eingeschränkt wurde. Er wußte es ja, und was ich an ihm bewundere, er hat es nie aus den Augen gelassen, daß er nicht für Sänger, sondern für Schauspieler schrieb, die es sich sonst kaum hatten einfallen lassen beim Weine zu singen.« Das war seit Hiller anfing nicht viel besser geworden. Reichardt macht eine abschreckende Beschreibung von der deutschen Oper in Berlin im Jahr 1774, wo er in einer Hillerschen Oper »den Gesang jener großmäulichten, jener kreuschenden Sängerin und die Nachtwächterstimme des Liebhabers« hören mußte, und das vor einem Publicum, das »überall den Ruf des feinsten Geschmacks« hatte (Briefe eines aufmerks. Reisenden I S. 147); nicht besser fand er es in Leipzig (ebend. II S. 94f.), und damit stimmt auch Burneys Bericht (Reise III S. 46f.) vollkommen überein. Von einer Aufführung der treuen Köhler von Wolf in Dresden 1776 sagt Müller (Abschied S. 173): »Da unter den Darstellern nur zwei Personen musikalisch waren, so kann man sich vorstellen, wie diese Oper aufgenommen wurde.« Daß man 1778 in Mannheim keine Sänger und Sängerinnen habe um eine Oper aufzuführen, machte Mozart selbst dem Freih. v. Dalberg bemerklich (II S. 332).


23 »Koch kosten besonders die Operetten, Berlins Lieblingsstücke, viel Geld« schrieb Ramler 1772 an Knebel (litt. Nachl. II S. 36). Er zahlte den Schauspielern für Hauptrollen in einer Operette bei der ersten Vorstellung 1 Louisdor, bei der zweiten 1 Ducaten, bei jeder folgenden 2 Gulden (L. Schneider Geschichte der Oper in Berlin S. 50).


24 »Die komischen Opern verdrängen uns alle Tragödien und regelmäßigen Komödien« klagte Ramler schon 1771 (Knebel litt. Nachl. II S. 33). Vgl. Müller Abschied S. 166. Es war eine seltene Ausnahme daß sich aus Cassel berichten ließ (Berlin. Litt. u. Theat. Zeitg. 1783 II S. 409): »Sie wissen wie sehr man klagt, daß die aus dem Französischen übersetzten Operetten die guten Schauspiele überall verdrängen; hier ist es grade umgekehrt gewesen. Originalstücke, zumal von der ernsthaften Gattung, haben den größten Zulauf gehabt. Singspiele hingegen waren nicht beliebt, und unter diesen doch noch die nicht übersetzten am mehrsten.« In Berlin wurden in den Jahren 1781 bis 1783 je 117, 141, 151 Opernvorstellungen gegeben (L. Schneider a.a.O. S. 50).


25 Um eine ungefähre Vorstellung von der Menge der Operetten zu geben, welche jene Zeit hervorbrachte, kann die Angabe genügen daß in den Jahren von 1765–1785 Hiller 13, Neefe 10, Wolf 18, Holly 13, André 22 Operetten componirten; ihnen schloß sich eine ganze Reihe weniger productiver Componisten an, und dazu kamen noch die zahlreichen Uebersetzungen. Wie das deutsche Opernrepertoire jener Zeit beschaffen war lehrt die Uebersicht der in Berlin 1771–1787 aufgeführten Operetten, welche L. Schneider (Gesch. der Oper in Berlin S. 50f.) mittheilt.


26 Reichardt bemerkt daß »wirklich ein Theil unserer Operncomponisten Liebhaber sind; wenigstens können sie sich mit gutem Gewissen nicht anders nennen« (üb. d. com. Oper S. 20).


27 »Ich liebe auch die Operetten nicht« schreibt Boie 1771 an Knebel (litt. Nachl. II S. 108). »Der Geschmack, den unser Publikum daran zu finden beginnt, droht auch die Hoffnung zur wahren Komödie zu ersticken, die uns noch gänzlich fehlt.« Der Schauspieler Müller erkundigte sich auf seiner dramatischen Rundreise im Jahr 1776 bei competenten Richtern auch nach der Zulässigkeit der deutschen Operetten; die verschiedenen Ansichten welche er erfuhr sind charakteristisch genug. Lessing – der die Verbindung der Poesie und Musik für die vollkommenste hielt, »so daß die Natur selbst sie nicht sowohl zur Verbindung als vielmehr zu einer und ebenderselben Kunst bestimmt zu haben scheine« und bei der Würdigung der Oper das Wesentliche und Zufällige wohl zu scheiden wußte (Werke XI S. 152ff.) – war gegen die Singspiele: »sie sind das Verderben unserer Bühne; ein solches Werk ist leicht geschrieben, jede Komödie giebt dem Verfasser Stoff dazu, er schaltet Gesange ein, so ist das Stück fertig; unsere neu entstehenden Theaterdichter finden diese kleine Mühe freilich leichter als ein gutes Charakterstück zu schreiben« (Müller Abschied S. 140). Heftiger noch als Lessing eiferte Gleim gegen die deutsche Oper (Müller Abschied S. 146) und gab ihm ein Epigramm mit (S. 157) gegen die »Hexe,


die, schlau wie Schlang' und Krokodill,

sich schleicht in aller Menschen Herzen

und drinnen sitzt, als wie ein Huhn

auf seinem Nest, und lehrt: nur kleine Thaten thun

und über große Thaten scherzen!«


Darüber lächelte Weiße, dem Müller es mittheilte, mit Recht und erklärte sich, wie es von dem Begründer der deutschen Oper zu erwarten war, für dieselbe (Müller Abschied S. 163); obgleich er nach seiner bescheidenen Art wohl einsah, daß Operetten keine Werke der dramatischen Kunst wären und nicht hoffte den Kunstsinn seiner Nation durch sie zu erhöhen, wiewohl er auch nicht ihn zu verderben fürchtete, sondern die Deutschen zum gesellschaftlichen Gesange anzuleiten und dadurch das allgemeine und das gesellschaftliche Vergnügen zu befördern wünschte (Weiße Selbstbiographie S. 103f.). Lebhafter äußerte sich Wieland, der deutsche Gesang müsse die vaterländische Bühne erst in Ansehen setzen; komische und ernsthafte deutsche Singspiele fehlten noch, aber es würden sich schon Dichter hervorthun um diesem Mangel abzuhelfen (Müller Abschied S. 188). Er konnte sich nicht allein auf seine Alceste und deren Erfolge berufen, er hatte seine Ansichten über die Ausbildung des deutschen Singspiels mit lebhafter Anerkennung der Verdienste Schweitzers ausführlich entwickelt (Werke XLV S. 95ff.) und besaß wirklich lebhaftes Gefühl und Interesse für Musik. Eine vorsichtige Zurückhaltung beobachtete Gotter, der durch mehrere beliebte Operntexte sich thätig betheiligt hatte, er wollte nicht Parthei nehmen, meinte aber, Abwechslung lei die Würze des Vergnügens (Müller Abschied S. 183f.). – Den Kaiser interessirten diese Berichte und sie scheinen seinen Entschluß veranlaßt oder doch gereist zu haben (Müller Abschied S. 227).


28 Selbst Reichardt erklärt sich gegen die Operette und meinte, da sie einmal da sei, solle man wenigstens sie zu verbessern und so nutzbar als möglich zu machen suchen (Briefe eines aufmerks. Reisenden I S. 141ff. üb. die com. Oper S. 6). Vgl. mus. Kunstmag. I S. 161ff. Geist des mus. Kunstmag. S. 94ff.


29 Hiller wandte die eigentliche ausgeführte Arie für Personen vornehmen, das Lied für Personen niederen Standes an, und er sowohl (wöchentl. Nachr. I S. 256. Lebensbeschreibungen I S. 312) als Reichardt (üb. die com. Oper S. 8) glaubten in dem Standesunterschied eine bestimmende Norm gefunden zu haben (vgl. II S. 409).


30 Die Originalpartitur der Entführung schenkte Mozart, wie ich von Al. Fuchs erfuhr, seiner Schwägerin, Mad. Hofer, nachdem sie ihm eines Abends ganz besonders zu Dank gesungen hatte; nach ihrem Tode kam sie in den Besitz ihres zweiten Mannes, des Bassisten Seb. Meyer, von welchem Heinr. Beer in Berlin sie erwarb. Jetzt ist sie Eigenthum des Hrn. Paul Mendelssohn-Bartholdy in Berlin, welcher mir ihre Benutzung freundlich gestattete. Bei irgend einer Veranlassung war vorher die Arie der Constanze (12) Traurigkeit ward mir zum Loos mit dem Recitativ bis auf die letzte Seite (14 Takte), herausgenommen und ist durch eine Abschrift ergänzt; das Original kam in Andrés Besitz (André Verz. 57). »Es fehlen hie und da« schreibt er dem Vater, da er ihm seine Partitur schickt (20. Juli 1782) »die Trompeten und Pauken, Flauten, Clarinett, türkische Musik, weil ich kein Papier von soviel Linien bekommen konnte; die sind auf ein extra Papier geschrieben, der Copist wird sie vermuthlich verloren haben, denn er konnte sie nicht finden.« Allein am Schluß des Briefes heißt es: »Den Augenblick schickt mir der Copist auch die übrigen Stimmen.« Von diesen Beiblättern ist aber nur ein Theil in Andrés Sammlung erhalten. Ferner schreibt er dem Vater: »Sie werden viel Ausgestrichenes darin finden, das ist, weil ich gewußt habe, daß hier gleich die Partitur copirt wird; mithin ließ ich meinen Gedanken freyen Lauf, und bevor ich es zum Schreiben gab, machte ich erst hie und da meine Veränderungen und Abkürzungen.« In der That sind diese umfangreicher und bedeutender als in den meisten Mozartschen Partituren. Gedruckt ist die Partitur in Bonn bei Simrock; aber leider nach einer sehr fehlerhaften Abschrift, so daß die wesentlichen und vollends die geringeren Abweichungen vom Original zu zahlreich sind um sie anzuführen.


31 Bekanntlich bezeichnen die Alten diesen Gegensatz durch Ethos und Pathos.


32 Daß Adamberger durch eine schöne echte Tenorstimme – nur in der Höhe fielen einige Nasentöne auf (Meyer, Schröders Biogr. I S. 368) – und vortreffliche Schule sich auszeichnete beweisen auch die übrigen Arien, welche Mozart für ihn componirte. Dies sind die schöne Arie Per pietà non ricercate (Concertarie n. 8); ferner die 1785 für das Oratorium Davidde penitente geschriebene Arie (6) A te fra tanti affanni, auf welche wir noch zurückkommen werden; und eine große Arie aus dem Jahr 1783 (André Verz. 82), welche zu den schönsten gehört. Ein treuer Liebhaber findet sich beim Erwachen eingekerkert, und spricht in einem bewegten Recitativ: Misero! o sogno! seine Ueberraschung und seinen Zorn aus. Im AndanteAura che intorno spiri wenden sich seine Gefühle der Geliebten zu, um derenwillen er leidet: eine einfache herrliche Cantilene, voll warmen und innigen Gefühls; das Allegro, in welchem das Entsetzen über seine Lage sich ausspricht, drückt nicht sowohl wilde Aufgeregtheit als tiefen Schmerz und Entrüstung aus. Das Ganze ist einfach gehalten, ohne Bravur und von einer edlen männlichen Würde durchdrungen, welche Adambergers Gesang vorzugsweise eigen gewesen zu sein scheint. Daß es der musikalischen Behandlung an interessantem Detail nicht fehlt bedarf keiner Erwähnung; auch die Blasinstrumente – Flöten, Fagotts und Hörner – sind zu einem eigenthümlichen Colorit verwandt.


33 Es bedarf kaum der Bemerkung, daß aus der alten Form der Ouverture in drei Sätzen hier durch die geistreichste Anwendung etwas völlig Neues geworden ist, so daß man an jene conventionelle Form als solche garnicht einmal erinnert wird.


34 Diese Arie hat durch Mozart bedeutende Abkürzungen erfahren. Ursprünglich folgte im Adagio, nachdem das Thema zum zweitenmal eingetreten war (S. 216, Takt 7) ein neuer Mittelsatz, der nach Es-dur überleitete und im siebzehnten Takt in D-moll schloß, worauf das erste Thema wiederkehrte. Auch das Allegro ist abgekürzt worden; nach S. 219 Takt 14 folgte eine Phrase von 12 Takten, welche mit zum Theil variirten Figuren der Singstimme wiederholt wird, an welche noch 8 Takte sich anschließen, bis der Schluß erfolgt wie er jetzt verliegt. Die oben angeführte Aeußerung Mozarts läßt keinen Zweifel darüber zu, daß er mit Absicht diese Abkürzungen vornahm, auch that er daran gewiß Recht. Durch fremde Willkühr aber ist in der gedruckten Partitur dreimal (S. 215, Takt 1; 6 und S. 217, Takt 6) eine Phrase von zwei Takten in einen zusammengezogen, und schändlich ist der Schluß verballhornt, indem S. 220 Takt 14 in den Geigen, welche unisono gehen, statt


3.

vielmehr gedruckt ist


3.

35 Auch diese Arie ist mehrfach verändert worden. Anfänglich sollten nach S. 276 Takt 10 fünf Takte (S. 276 Takt 2–6) wiederholt werden, allein Mozart hat sie nur in der Singstimme geschrieben und gestrichen ehe er die Begleitung ausfüllte. Dann sind die 25 Takte von S. 278 Takt 6 bis S. 279 Takt 14 im Original theils ausgestrichen theils überklebt und durch einen ganz verschiedenen kürzeren Mittelsatz ersetzt, so daß hier in der gedruckten Partitur durch einen sonderbaren Zufall statt der späteren die alte von Mozart verworfene Lesart erhalten ist. Endlich hat der Schluß mehrere Wandlungen erfahren. Nach S. 283 Takt 9 war mit zwei Takten zuerst ein ausführlicher Schluß angefangen, der aber nicht beendet worden ist; sondern es folgen statt dessen die 7 Schlußtakte der gedruckten Partitur. Später sind diese überklebt und ein anderer 17 Takte langer Schluß (der den ursprünglichen Gedanken mit einer brillanten Triolenpassage, zuerst für die Clarinette, dann für die Singstimme, ausführt so daß die letzten 7 Takte dieselben bleiben) ist dafür eingeschaltet.


36 In den ersten Arien sind die Verzierungen sehr mäßig gehalten und widersprechen bei richtigem Vortrag dem Ausdruck des Ganzen nicht; in der letzten Arie aber sind einige eigentliche Bravurpassagen dem Sänger zu Liebe eingelegt. Bemerkenswerth ist auch, daß in mehreren der mit richtigem Takt gestrichenen Stellen Passagenwerk vorkam.


37 Am freiesten ist die Arie 4 behandelt, in welcher die Hauptmotive in verschiedener Art mit einander combinirt und, besonders harmonisch, ausgeführt werden. Der erste Satz der Arie 15 ist in Rondoform angelegt, was in der ersten Bearbeitung, in welcher das Hauptmotiv dreimal mit verschiedenen Verbindungssätzen wiederkehrte, noch mehr als jetzt hervortrat; das angehängte Allegro ist fast wie eine Coda behandelt. Die Gliederung der Arie 17 ist ebenfalls sehr einfach. Den ersten Theil bilden das Thema mit dem imitirten Gegenthema in der Dominantentonart; der freie Mittelsatz schließt sich dem Charakter nach dem Hauptthema an (in der zweiten Redaction mehr dem Gegenthema); darauf wird der erste Theil wiederholt, die Passage ist zwischen das Haupt- und Gegenthema gerückt, das nun in der Haupttonart auftritt und mit einer Coda abschließt.


38 Man kann fast dasselbe sagen von der später noch zu erwähnenden Arie Tra le oscure ombre funeste, welche Mozart 1785 für Mlle. Cavalieri zu dem Oratorium Davidde penitente (8) componirte; im ersten Satz tritt der Ausdruck eines ernst bewegten Gefühls durchaus in den Vordergrund, im zweiten aber die Bravur.


39 Man darf wohl darauf aufmerksam machen, wie Mozart bei den Worten Kummer ruht in meinem Schooße, über welche er mit Recht so empört war, dem Orchester eine ausdrucksvolle kräftige Phrase giebt, welche der Höhepunkt der Arie ist, und den muthigen Charakter, welchen er dem Bassa gegenüber seiner Constanze giebt, recht eigentlich determinirt. Man sieht aus dieser Art über das Wort hinauszugehen wiederum, daß er die musikalische Charakteristik nicht unmittelbar demselben entlehnte.


40 Salieri erzählte daß Gluck bei einer Stelle in seinen Danaiden anstieß, ohne selbst den Grund seines Mißfallens auffinden zu können; nach mehrmaligem Wiederholen derselben rief er dann plötzlich aus: »Nun hab ich es! die Stelle riecht nach Musik!« (Mosel Salieri S. 79.)


41 Die Instrumentaleinleitung, in welcher die obligaten Instrumente sich wie in einem Concert ergehen, ist 60 Takte lang, die Arie selbst – in welcher Allegro und Allegro assai zweimal wechseln – ist der Anlage gemäß breit ausgeführt. Und doch war sie ursprünglich noch länger. Die Bravurpartie S. 153 war von Takt 5 an noch um 11 andere verlängert, in denen die Singstimme mit den Instrumenten concertirt; auch der Schluß war noch weiter ausgedehnt, indem nach S. 175 Takt 7 noch 15 Takte eingeschoben waren. Rochlitz erzählt (A. M. Z. I S. 145) Mozart habe in späteren Jahren eine strenge Recension der Entführung vorgenommen, in welcher er vieles abgeändert, besonders abgekürzt habe. »Ich hörte ihn eine Hauptarie der Constanze nach beiden Recensionen spielen und bedauerte einige weggestrichene Stellen. – Beim Klavier mags wohl so angehen, sagte er, aber nicht auf dem Theater. Als ich dies schrieb, hörte ich mich noch selbst zu gern und konnte das Ende immer nicht finden.« Die oben bezeichneten Abänderungen können damit nicht wohl gemeint sein, sie sind im Wesentlichen nicht bedeutend und gleich anfangs vorgenommen; was die anderen Arien der Constanze anlangt, so finden sich bei diesen in der Originalpartitur keine Aenderungen. Es ist gewiß zu bedauern, daß von dieser epikritischen Arbeit Mozarts gar nichts Näheres bekannt ist.


42 Der ganzen Anlage und namentlich dem stark hervortretenden virtuosenhaften Element gegenüber war diese starke Charakteristik nothwendig, wenn das Ganze nicht farblos werden sollte; allein man kann sich auch hier überzeugen, daß das Heroerheben charakteristischer Züge nicht identisch ist mit der Kraft und Bedeutung einer aus dem Ganzen hervorgehenden Conception.


43 Es ist schon bemerkt worden daß Mozart für diese Arie ein Motiv aus der Zaide in eigenthümlicher Weise benutzte; s. II S. 414ff.


44 Etwas Ungewöhnliches sind die Bassethörner, welche Mozart bei dieser Arie statt der Clarinetten angewendet hat. Die große Bravurarie (11) bekommt durch die Soloinstrumente ihren eigenthümlichen Charakter, denen das übrige Orchester (bei dem auch Trompeten und Pauken nicht fehlen) mehr begleitend gegenübersteht. Die Behandlung des Orchesters in der ersten Arie (9) erinnert am meisten an die Weise des Idomeneo. Uebrigens kann man auch in der Partie des Belmont einen merklich verschiedenen Charakter der Instrumentation wahrnehmen. Die zweite Arie (4) ist sehr sein und zart instrumentirt, die Blasinstrumente treten, obwohl keineswegs concertirend, Solo auf; in den anderen ist ein sehr markiger, kräftiger Ton, der namentlich in der letzten (16) auch glänzend wird.


45 Auch die Instrumentation hat hier einen ganz verschiedenen Charakter. Ich bemerke, daß nach dem Original die Flöte erst im dritten Verse eintritt (S. 33); bis dahin sind 2 Oboen angewendet.


46 Es ist ebenso unterhaltend als belehrend zu sehen, wie hier mit den einfachsten und geläufigsten Mitteln der musikalischen Darstellung eine fortdauernde Steigerung und die lebendigste Charakteristik zu Stande gebracht ist.


47 Auch hier ist die Wirkung ganz außerordentlich, daß Mozart ihn diese ganze Stelle in der tieferen Octave wiederholen läßt, was mit demselben Glück auch in der zweiten Arie Osmins (19) bei den Worten: Denn nun hab ich vor euch Ruh! angebracht ist. Grade dies Mittel ist sehr geeignet den Eindruck des Colossalen hervorzubringen, freilich ohne daß dieses an sich auch ein komisches zu sein brauchte. So läßt Mozart in der schönen ebenfalls für Fischer componirten Arie Non sò d'onde viene welche bereits besprochen ist (II S. 172f.) eine ausdrucksvolle getragene Stelle auch eine Octave tiefer wiederholen, was dort von großartiger Wirkung ist. Allerdings ist dabei auf einen Sänger von solchen Stimmmitteln und solcher Bildung gerechnet, wie sie Fischerbesaß, zu dessen Charakteristik Reichardt sagt (musik. Monatsschr. 1792 S. 67): »Er ist ein vortrefflicher Baßsänger; seine Stimme hat fast die Tiefe des Violoncells und die natürliche Höhe eines Tenors [ihr Umfang war


3.

dabei ist weder seine Tiefe schnarrend noch seine Höhe dünn; die Stimme giebt mit Leichtigkeit, Sicherheit und Annehmlichkeit an. Zum Lobe seiner Singart darf man nur sagen, daß er ein braver Schüler des großen Tenoristen Raaff ist, der in der ganzen europäischen singenden Welt für den ersten Tenoristen galt und immer noch gilt. Auch hat er mehr Fertigkeit und Leichtigkeit in der Kehle als vielleicht noch je ein Baßsänger gehabt hat, und in seiner Action weiß er sich auf dem ernsthaften Theater wie auf dem komischen zu nehmen.«


48 Die drastische Wirkung liegt in der Betonung, welche diese rasch herausgestoßenen Worte dadurch bekommen, daß auf das vom Orchester stark angeschlagene erste Viertel jedes Taktes die Singstimme das zweite hervorhebt, anfangs durch den Quintensprung,


3.

und dann gesteigert im Octavensprung


3.

Der Ausdruck des sich überstürzenden Eifers und des sich steigernden Nachdrucks erhält durch die Eintönigkeit, welche sich lange genug wiederholt um eindringlich zu werden, nicht so lange um zu ermüden, den Charakter einer rechthaberischen Brutalität die hier grade am Ort ist.


49 Schon im ersten Satz ist die Molltonart einigemal mit großem Effect verwandt. So wird der Ingrimm, der sich gleich in den ersten Worten: Solche hergelaufene Laffen! ausdrückt – die Wirkung der Coloratur nach der nachdrücklichen Wiederholung desselben Tons ist unübertrefflich – noch um Vieles gesteigert, als das Motiv in D-moll wieder kehrt. Aber auch ein flüchtiges Berühren der Molltöne bringt mitunter einen Eindruck von lüsterner Wollust, mit der Osmin in seinen wilden Gefühlen schwelgt, der eigensten Art hervor. Etwas Aehnliches ist es, wenn Händel in dem Bacchuschor des Alexanderfestes seine Zecher tief ins Moll versinken läßt. Vielleicht liegt auch die Bemerkung hier nicht zu fern, daß in manchen alten Kunstwerken z.B. den pompejanischen Wandgemälden der schwebenden Satyrn und Bacchanten dem Ausdruck der sinnlichsten Luft auffallende Züge eines wilden Schmerzes beigemischt sind. Ein solches Erfassen der Natur in ihren geheimnißvollen, scheinbar widersprechenden Aeußerungen, und die Fähigkeit sie dem Ganzen harmonisch einzufügen, ist ein Vorrecht großer Künstler.


50 Ihre Wirkung wird nicht wenig dadurch erhöht, daß bis dahin die Instrumentation soweit sie Osmin charakterisirt, sehr einfach und von vorwiegend scharfem Charakter ist; die Oboen (mit Fagotts und Hörnern) herrschen vor, nur in dem Lied läßt sehr bezeichnend beim letzten Verse: Sonderlich beim Mondenscheine eine schmeichlerische Flöte sich vernehmen. Charakteristische Züge fehlen hier trotz der sparsamen Mittel doch nicht z.B. der neckische Eintritt der Oboe bei den Worten Ich hab auch Verstand.


51 Von ganz eigener Wirkung sind dabei die gehaltenen Töne der Oboen und Fagotts mit den Vorschlägen


3.

Ganz ähnlich hat sie Mozart im Figaro im Hochzeitsmarsch angebracht, dem er sowie dem Ballet, ein fremdartiges Colorit geben wollte.


52 Auch hier wird eine wesentliche Steigerung dadurch hervorgebracht, daß Osmin das letztemal erst die Scala in D-dur und nach einem Trugschluß nachB, in D-moll herabsteigt.


53 Sehr angemessen ist für diese Arie die Form des Rondo gewählt. Osmin kommt immer wieder auf denselben Satz: Ha wie will ich triumphiren! zurück, der lebhaft, geräuschvoll, mit einer grellen Lustigkeit ausgedrückt ist, und durch eine Reihe verschiedenartiger Zwischensätze unterbrochen wird, in welchen er seinen Triumph in den mannigfachsten Schattirungen ausdrückt.


54 Mozart hat bei dieser lang ausgeführten Arie die Schlaginstrumente nicht angewendet um ihre Wirkung nicht durch zu häufigen Gebrauch abzustumpfen, wohl aber die Pickelflöte, welche nicht allein in dem Hauptmotiv, das etwas Militärisches, Zapfenstreichartiges hat, charakteristisch wirkt, sondern namentlich zum Schluß dem Jubel Osmins einen außerordentlich grellen und wilden Ausdruck giebt. Sehr eigenthümlich sind die Clarinetten gebraucht, besonders wo sie von den anderen Blasinstrumenten abgesondert in gehaltenen Tönen die Baßstimme unterstützen.


55 Die Aeußerung Mozarts in seinem Brief an den Vater (26. Sept. 1781): »das Saufduett, welches in nichts als in meinem türkischen Zapfenstreich besteht« läßt schließen, daß er hier eine frühere Composition verwendet habe, welche wahrscheinlich für eine bestimmte Gelegenheit geschrieben war, von der mir übrigens nichts bekannt geworden ist. Die türkische Musik im Verein mit Trompeten (ohne Pauken) ist auch hier wieder aufs Trefflichste angewandt um die aufgeregte Weinlaune Osmins zu charakterisiren.


56 Dies Thema ist offenbar ursprünglich so erfunden, wie Osmin es singt; die mit einer klangvollen Stimme verbundene Kehlfertigkeit Fischers brachte es dem weniger beweglichen Tenor gegenüber, der den nüchternen Pedrillo sehr gut charakterisirt, zur doppelten Geltung. Vortrefflich ist gleich Anfangs die Wirkung der durch Pickel- und gewöhnliche Flöte verstärkten Geigen, welche die Melodie ganz leise hervorheben, die von einer einfachen aber bewegten Begleitung getragen wird. Es liegt etwas ganz eigenthümlich sinnlich Verführerisches in diesem melodischen Rieseln und Rauschen, das sich in ganz ähnlicher Weise im Liede des Mohren in der Zauberflöte wiederfindet.


57 Das Ritornell von vier Takten, welches in der Partitur gedruckt ist, hat Mozart nicht geschrieben; es ist zur Bequemlichkeit des Sängers hinzugesetzt, sowie auch der Accord vor Osmins erster Arie.


58 Um sich von der Bedeutung Fischers die richtige Vorstellung zu machen muß man mit dieser durchaus komischen Partie des Osmin die beiden ernsten Arien zusammenstellen, welche Mozart für ihn componirte. Die eine Non sò d'onde viene, im Jahr 1787 geschrieben, als Fischer in Wien zum Besuch war, ist bereits näher erwähnt (II S. 172f.); sie ist breit angelegt und im großartigsten Stil, vollkommen geeignet den ganzen Umfang und Reichthum von Fischers Gesangmitteln im günstigsten Licht zu zeigen. Dies ist viel weniger der Fall bei der anderen, welche auf einen Text von Metastasio (Temistocle A. III sc. 8) Aspri rimorsi atroci im Jahr 1783 componirt ist (André Verz. 83), aber sie ist merkwürdig durch den starken Ausdruck einer düstern, heftig bewegten Stimmung, in welche auch kein heller Lichtstrahl fällt. Auf ein ausdrucksvolles Recitativ folgt ein einziger Satz (Allegro, F-moll) in einer unaufhaltsamen Bewegung, welche durch die fast ununterbrochnen Triolen der Saiteninstrumente den Charakter einer zitternden Unruhe bekommt; die Singstimme tritt durch scharfen Rhythmus und häufige dissonirende Intervalle sehr bedeutsam hervor, obwohl sie meist declamatorisch gehalten ist und eine eigentliche Cantilene gar nicht zum Vorschein kommt; die Blasinstrumente heben die starken Accente, namentlich der harmonischen Behandlung wirksam hervor. So rauscht der ganze Satz wie ein düsteres Nachtstück rasch vorüber und verklingt zuletzt in einem dumpfen Grollen; er steht durch den ungebrochnen Ausdruck einer finsteren Leidenschaft unter den Mozartschen Arien sehr eigenthümlich da und es wäre fast unbegreiflich, daß sie zum Concertgebrauch ausgewählt wurde, wenn nicht Fischer der Sänger gewesen wäre, der er war – ausgezeichnet in jeder Gattung des Vortrags.


59 Bemerkenswerth ist eine Coloratur bis zum


3.

, die als ein Zeugniß für Mlle. Teyber gelten kann. Uebrigens ist die Arie nur vom Saitenquartett begleitet und auch in dieser Hinsicht sehr einfach behandelt, ganz wie die Secondarpartien. In der ersten Anlage war die Arie bedeutend länger, indem nach S. 111 Takt 9 der zweite Theil, welcher S. 109 Takt 19 inA-dur beginnt, nun in D-dur eintrat und wieder ins erste Thema überleitete, worauf es nach 29 eingeschobenen Takten weiter fortging bis zum Schluß.


60 Diese Arie ist nicht allein reicher instrumentirt, sondern auch die Orchesterpartie sein ausgeführt; namentlich ist die Begleitung bei den Worten Ohne Aufschub will ich eilen ungemein lebhaft und zierlich. Auch sie ist von Mozart gekürzt; von S. 188 Takt 2 an hat er mehrere Phrasen in eigenthümlicher Art zusammengezogen.


61 Als Mozart im Jahr 1789 nach Berlin kam, erzählt Rochlitz (A. M. Z. I S. 20ff.), wurde denselben Abend (»19. Mai, auf lautes Begehren« nach dem Journal der Moden 1789 S. 394) die Entführung gegeben. Er ging ins Theater, stellte sich nahe aus Orchester und erregte durch Bemerkungen, welche er vor sich hin sagte, schon die Aufmerksamkeit seiner Umgebung. Als aber in eben dieser Arie bei der Stelle: Nur ein feiger Tropf verzagt


3.

die zweite Violine dis spielte, und er laut rief: »Verflucht, wollt ihr d greifen!« sah sich Alles erstaunt um, man erkannte ihn im Orchester und wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht im Theater, daß Mozart da sei. Darauf soll Mad. B. [Baranius], welche Blondchen gab, nicht wieder aufs Theater haben herausgehen wollen, was der Musikdirector in seiner Verlegenheit Mozart mitgetheilt habe, der sogleich hinter den Coulissen gewesen sei und der Sängerin gesagt habe: »Madam, was treiben Sie für Zeug? Sie haben herrlich gesungen, und damit Sie es ein andermal noch besser machen, will ich die Rolle mit Ihnen einstudiren.«


62 Von dem ersten schreibt er dem Vater (26. Sept. 1781): »Der Janitscharen-Chor ist als solcher Alles was man verlangen kann, kurz und lustig und ganz für die Wiener geschrieben.«


63 Oulibicheff, der hierüber treffende Bemerkungen macht, weist auf die Aehnlichkeit mancher Wendungen – namentlich im Wechsel der verwandten Dur-und Molltonarten – mit russischen Nationalmelodien hin, die Mozart vielleicht beim Fürsten Gallizin habe kennen lernen (II p. 375f.).


64 Kleine Züge charakterisiren den Meister; die Unterredung zwischen Pedrillo und Blondchen bewegt sich in A-dur und schließt in dieser Tonart mit einer leichten Phrase, die dem Charakter dieses Mädchens gemäß die Worte ausdrückt


3.

Sofort nimmt das Orchester dieselbe Phrase mit großem Nachdruck auf, – der ebensowohl in dem frischen Ergreifen der Tonart D-dur als in dem kräftigen Unisono liegt – als sollte uns zugerufen werden: er ist da! und führt ebenso einfach als ausdrucksvoll mit einem Schlage in das Hauptmotiv zurück.


65 Mozart hat diesem Quartett auch Trompeten und Pauken beigegeben, die in der gedruckten Partitur fehlen. Sie sind nur im ersten und letzten Satz beschäftigt; eigenthümlich ist besonders, daß sie in der reizenden Stelle S. 231 Takt 3f., welcher Mozart sotto voce beigeschrieben hat, bei den Worten: Voll Entzücken, Freud' und Wonne, zweimal allein pp mit den Singstimmen gehen (S. 231 Takt 4–7; S. 233 Takt 6 – S. 234 Takt 1).


66 Sehr artig ist es, wie die Oboe das ausplaudert, was die eifersüchtigen Liebhaber auszusprechen sich noch nicht recht getrauen. Wie oft ist dieser Einfall dann benutzt worden!


67 Daß Mozart aus der Situation heraus und nicht auf die Worte componirte zeigt sich hier, wenn irgendwo sonst. Die Frauen läßt Stephanie sagen:


Wenn unsrer Ehre wegen

die Männer Argwohn hegen,

verdächtig auf uns sehn,

das ist nicht auszustehn!


die Männer dagegen:


Sobald sich Weiber kränken,

wenn wir sie untreu denken,

dann sind sie wahrhaft treu,

von allem Vorwurf frei.


Von solchen Trivialitäten ist in Mozarts Musik nichts zu finden; er wußte, was in solcher Lage in dem Herzen wahr und sein empfindender Menschen vorgeht, und dies sprach er in Tönen aus.


68 Ebenso wenig als der eigentliche Zauber solcher Conceptionen in Worten wieder zu geben ist, läßt es sich vollständig nachweisen durch welche Mittel diese Wirkung erreicht wird, doch ist es immer von Interesse dem Meister in die Werkstätte zu sehen. Daß hier außer dem Rhythmus und der harmonischen Behandlung ganz besonders auch die Tonart (A-dur) wirkt ist leicht zu sehen. Theils giebt sie für die Singstimme eine Lage, welche die klarsten und klingendsten Töne geltend macht, was durch die tiefe aber sonore Lage der begleitenden Saiteninstrumente noch sehr gehoben wird, theils macht sie, obgleich die der Haupttonart nächste, durch das was vorherging den überraschenden Eindruck einer neuen und fernliegenden. Denn auf den ersten Satz in D-dur folgte einer in G-moll, der sich aber den nach der anderen Seite liegenden Durtonarten zuwendet, und dann entschieden nach Es-dur, B-moll, F-dur führt; zwar wird daraufD-moll berührt, aber nur um durch C-moll und B-dur wieder in G-moll zu schließen, worauf ein rascher Uebergang nach E-dur führt. Nach diesem unruhigen Wechsel entlegener Tonarten ist der Eintritt vonA-dur außerordentlich beruhigend, und daß in dem ganzen Satz diese Tonart festgehalten wird giebt ihm einen besonderen, wohlthuenden Reiz.


69 Dieser Satz ist immer als ein Muster dramatischer Charakteristik durch die meisterhafte selbständige Stimmführung betrachtet worden. Von der besten Wirkung ist es daß Blondchen fortwährend in Triolen (12/8 gegen 4/4) gegen die ruhig fortgeführten Melodien der Uebrigen ansingt; ein Einfall, der auch Nachahmer gefunden hat. So ist z.B. im Freischütz die Partie des Aennchen im Mittelsatz des Terzetts offenbar der Blondchens nachgebildet.


70 Auf die meisterhafte Behandlung des Orchesters in der Entführung ist wiederholt hingedeutet worden, es bedarf kaum der Erinnerung, daß Mozart sich alle Vortheile zu Nutze machte, welche das vortreffliche Wiener Orchester ihm darbot; namentlich sind die Blasinstrumente reichlich und glänzend angewandt. Im Verhältniß zum Idomeneo ist die Instrumentation nicht sowohl sparsamer, – denn die rechten Mittel sind immer mit voller Hand verwendet – als durchsichtiger; die Neigung die verschiedenen Instrumente selbständig zu beschäftigen, Nebenmotive geltend zu machen u.s.w. ist beschränkt, das Detail ist der Bühnenwirkung wegen leichter behandelt.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 4, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1859, S. 1.
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Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

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»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

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