In der Sammlung K. Zulehners in Mainz befand sich eine Messe in C-dur, welche den Namen Mozarts trug und von ihm als die sogenannte Krönungsmesse bezeichnet wird. Eine Abschrift derselben erhielt ich durch Hrn. Schott in Mainz, auf welche der nachfolgende Bericht sich gründet.
Diese Messe bietet nämlich eine ungemein überraschende Erscheinung dar: alle Sätze mit Ausnahme des Credo sind übereinstimmend mit ganzen Sätzen oder kleineren Stücken aus Così fan tutte, nur daß Tonart und Instrumentation geändert, mitunter eine Stimme zugesetzt oder weggelassen ist, und zwar in folgender Weise.
Das Kyrie ist das Terzett (10) Soave sía il vento, in C-dur transponirt, ohne andere Blasinstrumente als zwei Flöten, und durch Hinzufügen einer Tenorstimme, welche ohne selbständigen Charakter nur zur Ausfüllung der Harmonie dient, zu einem vierstimmigen Chor gemacht.
Christe eleison ist der erste Satz des Duetts (4)Ah guarda sorella, in G-dur transponirt, für Sopran und Tenor, mit 2 Oboen und zwei Hörnern, hie und da verkürzt, auch ist das Ritornell an den Schluß gesetzt.
Im Anfang des Gloria sind neben wenigen sehr unbedeutenden Takten eigner Erfindung die Motive aus dem ersten Chor des zweiten Finale (S. 230) angewendet; darauf folgen bei dem Gratias agimus die ersten 70 Takte der Arie (11) Smanie implacabili als Sopransolo in F-dur. Das Qui tollis sind 7 nicht entlehnte Takte, allein bei Miserere treten vier Takte aus dem ersten Finale (S. 115) Ed il polso, nach Wiederholung des originalen Qui tollis wird bei Suscipe aus dem ersten Finale (S. 115) Ah se tarda fortgefahren bis zum Schlusse dieses Satzes. Quoniam tu solus bis zum Schluß des Gloria ist das Terzett (3) Una bella serenata, unverändert bis auf die in den Tuttistellen zugesetzte vierte Stimme; das Schlußritornell ist fortgeblieben. [767] Im Gloria sind von Blasinstrumenten Flöten, Oboen, Hörner, Trompeten mit Pauken in gewöhnlicher Abwechslung gebraucht.
Sanctus und Osanna ist das um 6 Takte verkürzte, in C-dur transponirte Andante des ersten Finale (S. 124) Dove son, nur daß dem Texte nach die Stimmen etwas anders eingerichtet sind.
Benedictus ist das Duett mit Chor (21) Secondate, in F-dur transponirt, und von Saiteninstrumenten mit Flöten und Oboen begleitet, der Chor fällt mitOsanna ein.
Agnus Dei beginnt mit 11 eigenthümlichen Takten, dann folgt aus dem zweiten Finale (S. 260) Idol mio, wobei die Partie der Despina fortgeblieben ist.
Dona nobis ist das Schlußensemble der Oper.
Zulehner war, wie ich aus einem an G. Weber gerichteten Brief entnehmen konnte, der Meinung, die Messe sei von Mozart vor der Oper geschrieben und er habe für diese seine Messe geplündert, und aus solchem Gerede mögen Beschuldigungen wie die von Thibaut (üb. Reinheit der Tonkunst S. 11 vgl. I S. 489 F. 494) entstanden sein. Daß umgekehrt die Messe aus der Oper von irgend einem Kirchenmusikanten zusammengeflickt ist beweisen die nicht der Oper angehörigen Stellen und die Art wie das entlehnte Gut verbraucht ist; auch hat keiner der Musiker dem ich die Messe gezeigt habe daran gezweifelt. Daß man weltliche, auch Opernmusik ohne Weiteres in die Kirche übertrug war nicht unerhört1, und so sehr eine Accommodation wie sie hier vorliegt das Gefühl empört, so versichern mich doch ältere Musiker, daß in ihrer Jugendzeit ganz ähnliche Messen aus Figaro und Don Giovanni im Gebrauche waren.
Aehnliches mußte sich Mozarts Musik auch sonst gefallen lassen. Durch welche Gewaltthätigkeiten die Cantaten zu Stande gebracht sind ist bereits bemerkt worden (I S. 688f. vgl. II S. 548, III S. 410ff.).
Wie man in Paris mit Don Giovanni und der Zauberflöte umgegangen ist haben wir gesehen (S. 322. 677ff.); [768] in Dresden, wo Figaro, Don Giovanni, Titus nicht gegeben wurden, verfaßte man 1784 ein neues, ziemlich fades LibrettoGli amanti folletti, das mit einer Auswahl einzelner Nummern aus diesen drei Opern ausgestattet wurde; dazu hieß es dann: la musica è del Sign. W. A. Mozart.
Ungleich großartiger war freilich das Unternehmen Seyfrieds, der im Jahre 1823 zu einem Melodram Ahasverus Orchestermusik, Sologesänge und Chöre aus Mozarts zwei- und vierhändigen Klaviersonaten, aus Quintett- und Quartettsätzen arrangirte. Und dies Attentat wurde in Wien als »ein wahres Nationalfest,« als »eine Huldigungsfeier des verklärten Heroen« gepriesen (A. M. Z. XXV S. 365f. vgl. 504f.)2. Als Gegenstück dazu mag das Arrangement der Ouverture zur Zauberflöte für vier Männerstimmen gelten (A. M. Z. XXXVI S. 462) – und das sollte doch nur ein Scherz sein.
1 Nach dem Berichte eines Augenzeugen (mus. Real Ztg. 1788 S. 177) bestanden die Tonstücke eines Jahrganges Kirchenmusik vom Jahr 1755, die man in einem fränkischen Fürstenthum noch im Jahr 1788 wiederholte, lediglich in einer Sammlung italiänischer Opernarien, unter welche deutsche geistliche Texte gelegt wurden.
2 Seyfried hat auch die Klavierphantasien in C-moll und F-moll für Orchester arrangirt, was wie die meisten ähnlichen Unternehmungen eine stärkere Wirkung statt der rechten hervorbringt.