Ein alter französischer Kupferstich aus dem Jahre 1781, der Gluck nach einer vom Bildhauer Houdon verfertigten Büste darstellt, trägt die Unterschrift: »Il préféra les Muses aux Sirènes.« Dies Wort ist bezeichnend für den Reformator der Oper, den Mann mit dem ernsten bewußten Geist und dem festen, auf ein einiges Ziel gerichteten Wollen. Was fragte er nach den lockenden Stimmen des Lebens, der stolze Meister, der, nur den Einflüsterungen seines Ideals gehorchend, als echter Künstler seinen Beruf darin erkannte, ein Verkündiger der ewigen Wahrheit und Schönheit zu sein? Unter den Propheten der Wahrheit in der Kunst steht Gluck in der That in erster Reihe, und den Kampf gegen den schönen Schein und das leere Sinnenwesen, gegen Formalismus und Virtuosenthum hat er in der Musik zuerst und mit Glück geführt. Erst durch ihn ist die dramatische Tonkunst zur Einfachheit und Natur zurückgekehrt, hat sie sich charakter- und einheitvoller gestaltet und den Ausdruck erhabener Größe in Schmerz und Leidenschaft gelernt. Erst durch ihn ward die Opernbühne, die sich zufolge der Herrschaft der Gesangsvirtuosen in einen Concertsaal verwandelt hatte, ihrer eigentlichen Bestimmung wiedergegeben und die Aufgabe in's Auge[189] gefaßt, auf derselben neben der Ton- auch der Dichtkunst zu ihrem Rechte zu verhelfen. Es hat ohne Frage, vom rein musikalischen Standpunkt aus betrachtet, größere Musiker gegeben als ihn, und der Poet, der Dramatiker in ihm hielt entschieden dem Tonkünstler die Wagschale. Aber das gerade befähigte ihn zur Lösung seiner specifischen Aufgabe ebenso sehr, als daß neben der productiven Kraft eine reflective in ihm thätig war. Ein naiv schaffender Genius wie der Haydn's und Mozart's wird nie zu reformatorischen Thaten geschickt sein, und ein Kunstwerk wie dasjenige Gluck's hinwiederum wird nicht ohne Reflexion geboren. Als einheitliches Kunstwerk aber dachte Gluck zum ersten Male die Oper, und daß er das Gedachte auch zu verwirklichen und das von Italienern und Franzosen stofflich Errungene im Dienste einer höheren Idee zu verwenden, daß er das im Keim Vorhandene zur Blüte zu entwickeln verstand, das bedingt seine unsterbliche Größe und Bedeutung. Wir verehren in ihm den Begründer einer wirklichen dramatischen Kunst.
In Weidenwang, einem Dorfe bei Neumarkt in der Oberpfalz, hatte Christoph Willibald Gluck seine Heimat. Hier ward er am 2. Juli 1714 seinen Eltern, Alexander und Anna Walburga Gluck, als erstes Kind geboren. Sein Vater, der in früheren Jahren Leibjäger des berühmten Prinzen Eugen von Savoyen gewesen, war daselbst als Förster angestellt, siedelte aber, Bayern verlassend, bereits 1717 als Waldbereiter des Grafen Kaunitz nach Neuschloß bei Böhmisch-Leipa über. Wiederholt wechselte er seitdem seine Stellung und trat, zunächst zum Forstmeister des Grafen Kinsky in Kamnitz avancirt (1722), weiter in gleicher Eigenschaft beim Fürsten Lobkowitz in Eisenberg (1724) und endlich bei der Großherzogin von Toscana in Reichstadt in Dienste.[190] So hatte mit ihm und den Seinen auch der Knabe Christoph bald da, bald dort seinen Wohnsitz. Im Walde wuchs er auf, unter der Hut eines strengen, tyrannischen Vaters. Um sich frühzeitig hart zu gewöhnen, mußte er den Letzteren, wenn er in den Forst ritt, mit seinem Bruder Anton häufig, selbst im strengsten Winter, barfuß begleiten und ihm Jagd- und Meßgeräthe nachtragen. Wol möglich, daß der rauhe Forstmann dem seit nahezu hundert Jahren in der Familie erblichen Wald- und Waidmannsgewerbe auch seinen ältesten Sohn zu erziehen gedachte; doch nahm ihn alsbald die Tonkunst völlig in Bann – kein Wunder, da in Böhmen von Alters her die Musik förmlich in der Luft liegt! Zugleich mit der in Kamnitz und Eisenberg empfangenen ersten Schulbildung eignete sich sein lebhafter, feuriger Geist auch die musikalischen Elemente an. Es währte nicht lang, so sang er ziemlich gut vom Blatt, spielte auch Violine und Violoncello geschmackvoll und mit Fertigkeit. Als er dann 1726 für sechs Jahre das Jesuiten-Gymnasium in Kommotau bezog, setzte er neben den wissenschaftlichen auch die musikalischen Studien fort. Clavier- und Orgelunterricht trat jetzt zu dem früheren hinzu, und zur Ausübung seiner Künste bot der Musikchor der Ignatiuskirche ihm willkommene Gelegenheit. Bald auch mußte die mit Liebe gepflegte Kunst ihm schon Brod und Lebensunterhalt gewähren. Nachdem er 1732 behufs weiterer Ausbildung nach Prag übergesiedelt war, flossen die Beiträge vom Elternhause immer spärlicher; denn für eine zahlreiche Familie hatte der Vater, dem nach Christoph noch sechs Kinder geschenkt worden waren, zu sorgen. So mußte sich der Aelteste eben selber weiter helfen. Und er that es behende. Er ertheilte Unterricht im Gesang und Violoncellospiel ersang und erspielte sich in verschiedenen Kirchen, namentlich in der[191] Teinkirche unter Leitung Czernohorsky's, eine »monatliche Bestallung« und zog an Ferientagen als fahrender Musikant auf Dörfern und Flecken umher, für seine Leistungen zwar statt klingender Münze nur mit Eiern belohnt, aber auch diese als Tauschobject gegen das nöthige Brod praktisch verwerthend. Reichlicher gestaltete sich sein Erwerb, als er sich weiterhin mit seinem Violoncello, seinem Lieblingsinstrument, concertirend auch in die größeren Städte wagte. Namentlich wandte ihm nun der böhmische Adel, der die Musikpflege im Lande auf das Thätigste förderte, und zwar vorzugsweise das fürstlich Lobkowitz'sche Haus seine Gunst und Unterstützung zu. In diesem letzteren, dem schon viele seiner Vorfahren als Förster und Jäger gedient hatten, fand er am Ende nach seiner im Jahre 1736 erfolgten Uebersiedlung nach Wien selbst Aufnahme und Unterhalt, ja sogar Unterweisung in den Anfangsgründen der Composition. Hatte er demnach nicht recht, wenn er die Böhmen seine Wohlthäter, ihr Land sein eigentliches Vaterland nannte?
Eine neue Welt ging ihm in Wien auf. Mit Entzücken lauschte er den Schöpfungen Caldara's, Fux', der Gebrüder Conti, Giuseppe Porsile's und anderer Berühmtheiten, und die heiße Begierde, sich in Italien zum Meister zu bilden, um einst wie Jene Großes zu vollbringen, ward in ihm rege, dem bis vor Kurzem noch jegliche Ahnung einer ruhmreichen Zukunft fremd geblieben war. Da hörte ihn der lombardische Fürst Melzi singen und spielen und fand so lebhaftes Wohlgefallen an ihm, daß er ihn zu seinem Kammermusikus ernannte. In seine südliche Heimat entführte er alsbald seinen Schützling und übergab ihn in Mailand dem als Tonsetzer und Lehrer hochangesehenen Sammartini zur Vervollständigung seiner künstlerischen Ausbildung.[192] Wer war glücklicher als der junge Künstler, der nun an der Quelle schöpfen durfte? Vier Jahre lang betrieb er seine compositorischen Studien mit allem Eifer. Dann fühlte er sich fähig, als Operncomponist die Arena zu betreten und mit den berühmtesten italienischen Maestri um die Wette um die Palme zu werben. Willkommen genug kam ihm die Aufforderung, für das Hoftheater in Mailand eine große Oper zu schreiben, und mit dem auf einen Text von Metastasio – dem gefeiertsten und fruchtbarsten der damaligen Librettisten – gesetzten »Artaserse« trat der 28jährige nun zum ersten Mal heraus an die Oeffentlichkeit. Der allgemeine Beifall, den seine Erstlingsarbeit fand, begründete des Componisten Ruf. Andere Bühnen bewarben sich um seine Werke; bald begehrte man ihn in dieser, bald in jener Stadt zu haben. So schrieb er für Mailand in den nächstfolgenden Jahren die Opern: »Demofoonte« (1742), »Siface« (1743) und »Fedra« (1744) und brachte daneben noch »Demetrio« unter dem Titel »Cleonice« und »Ipermenestra« in Venedig (1742), »Artamene« in Cremona (1743) und »Alessandro nell' Indie« unter dem Titel »Poro« (1745) in Turin zur Aufführung. Schon ward der »giovine Tedesco«, der binnen fünf Jahren acht beifällig aufgenommene große dramatische Werke geschaffen hatte, den ersten Künstlern Italiens beigezählt, und sein Ruhm verbreitete sich so weit, daß Lord Middlessex in London ihn als Componisten für das Haymarket-Theater empfahl und die dortige Direction ihn dahin berief.
In Gemeinschaft mit seinem Gönner, dem Fürsten Lobkowitz, begab sich Gluck nun im Jahre 1745 von Turin aus über Paris nach London. Doch die Oper »La caduta de' Giganti« (»der Sturz der Giganten«), mit der er sich daselbst am 7. Januar 1746 einführte[193] – sie wurde zu Ehren des Herzogs von Cumberland und seines Sieges über die Aufständischen gegeben – hatte geringen Erfolg. Viel größeren Beifall als Gluck's unzulänglich vorgetragene Gesänge ernteten – so berichtet Burney1 – die neuen Tänze. Selbst Händel soll zuerst geringschätzig geäußert haben: »Mein Koch Waltz versteht eben so viel vom Contrapunkt als er.« Als dann jedoch sein Landsmann, verstimmt über den Mißerfolg, zu ihm kam und ihm seine Partitur vorlegte, sagte er begütigend: »Ihr habt Euch mit der Oper zu viel Mühe gegeben; das ist aber hier nicht wol angebracht. Für die Engländer müßt Ihr auf irgend etwas Schlagendes und so recht auf das Trommelfell Wirkendes sinnen.« In Folge dieses Rathes setzte Gluck dann den Chören seiner Oper Posaunen zu und erzielte damit gesteigerten Beifall. Dessenungeachtet verstummte das Werk nach fünf äußerst mangelhaften Vorstellungen. Besser gefiel der für Cremona geschriebene und nun am 4. März in London wieder aufgenommene »Artamene«. Er brachte es wenigstens zu zehn Wiederholungen; wogegen ein bei Gluck bestelltes »Pasticcio« (so nannte man eine Art dramatischen Potpourris) »Piramo e Tisbe« spurlos vorüberging. Gerade diese letztere Erfahrung wurde indessen von Wichtigkeit für ihn. Er hatte durch eine Auswahl und Zusammenstellung der in Italien beliebtesten Stücke seiner früheren Opern zu wirken geglaubt und nahm nun mit Verwunderung wahr, daß dieselben, aus dem ursprünglichen Zusammenhang heraus gerissen, anderen Worten, einer anderen Handlung angepaßt, ihrer ehemaligen Wirkung gänzlich beraubt blieben. Eine Ahnung von den dramatischen Bedingungen seiner Kunst, von dem Verhältniß der Poesie zur Musik ging ihm jetzt zum[194] ersten Male auf. Dazu kamen die neuen hohen Vorbilder, die ihm mit Rameau in Paris, mit Händel in London nahe getreten waren.
Nach dem Muster der Italiener hatte er bisher geschaffen, wie Jene die sinnliche Schönheit des Gesanges zum ausschließlichen Mittel- und Zielpunkt seines Kunstwerkes gemacht. Das ursprüngliche Ziel der Oper: die Wiederherstellung des antiken Dramas, war bald in den Hintergrund getreten. Die Beziehung zwischen Ton- und Dichtkunst hatte sich gelockert und die zu höchster Vollkommenheit gelangte Gesangstechnik vornehmlich durch den Einfluß der neapolitanischen Schule die Oberhand gewonnen. Dem Träger der Oper: dem Sänger, der seine absolutistische Herrschaft behauptete, hatte nun ebenso Gluck, wie alle welschen Componisten und Librettodichter gedient und dessen Virtuosität nach Vorschrift zur Geltung zu bringen sich bemüht. Hatte sich auch hin und wieder ein seine deutsche Herkunft charakterisirendes Streben nach größerer Ausdruckswahrheit bemerkbar gemacht, im Ganzen kam er doch, wie die uns überkommenen Bruchstücke seiner Opern bekunden – die Mehrzahl der Partituren ging verloren – nicht über die übliche Opernschablone und den in Italien eingerissenen Formalismus hinaus. Zwar erzählt Gluck's Biograph, Anton Schmid – dessen verdienstvolles Werk2 wie für alle späteren Gluck-Studien größeren oder geringeren Umfangs (darunter auch Marx' »Gluck und die Oper«3, so auch für die gegenwärtige Skizze Quelle und Grundlage bildet –, der junge Meister sei schon bei seiner ersten Mailänder Oper von der herkömmlichen Bahn »so viel als möglich« abgewichen, um sich »dem[195] musikalischen Ausdruck mehr anzunähern«. Nichtsdestoweniger beharren die uns bekannt gewordenen Arien aus dem wenig später entstandenen »Artamene« noch in der alten stereotypen Form. Etwas knapper, auch in der Coloratur schlichter gehalten, entfernen sie sich doch keineswegs weit von der gewohnten Breite; der zweitheilige Zuschnitt, dasda capo, das ist die Wiederholung des ersten Themas, fehlen nirgend, wenn auch die einleitenden Ritornelle sich minder langathmig darstellen und eine gesteigerte Rücksichtnahme auf den Text zu erkennen ist. Wie sollte auch dem jungen Künstler, der aus den hemmenden Schranken einer dienstbaren Stellung den ersten selbständigen Schritt in die Oeffentlichkeit that, der gar keine andere Weise als die italienische, die er allenthalben vorfand, kannte, der Gedanke kommen als Reformator aufzutreten? Nicht wie seine von den Verhältnissen begünstigteren Kunstgenossen Bach, Mozart, Beethoven, die in frühster Jugend schon das Erbe ihrer Väter antraten, genoß er den Vortheil, gleichsam in Musik geboren und auferzogen zu werden. Erst spät in regelrechte künstlerische Zucht gelangt und spät ihr entwachsen, ohnedies nicht mit sonderlicher Leichtigkeit producirend, lag ihm die Sorge um seine Zukunft wol näher als derlei kühne Pläne, die erst als Frucht seiner späteren Erkenntniß reifen konnten.
Nach einer wesentlich anderen Richtung hin als auf italischem Boden hatte sich die Oper in Frankreich entwickelt. Dem Geist der französischen Nation und Sprache gemäß, erfuhren daselbst die italienischen Formen frühzeitig eine Umbildung, obgleich es auch hier ein geborener Italiener: Lully (1633–1687), war, dem man die Begründung der großen Oper dankte. Ein Anderer, Cambert, zwar hatte zu einer Dichtung des Abbé Perrin schon vor ihm die erste französische Oper geschrieben;[196] aber erst Lully, der Freund Molière's und Bundesgenosse des Dichters Quinault, stellte die Grundlagen der nationalen Oper fest, wurde der Stifter der noch jetzt bestehenden Académie royale de musique. Der ursprüngliche Pomp- und Festcharakter dieser musikalischen Unterhaltungen, wie er dem Hofe des prachtliebenden vierzehnten Ludwig entsprach, verblieb ihnen dauernd; scenische Effecte, glanz- und wechselreiche Costüme, Decorationen, Aufzüge und Ballets waren und blieben wichtige Bestandtheile der großen Oper. Im Gegensatz zum welschen Musikdrama, bei dem das musikalische, das gesangliche Element, das bestimmende war, behielt hier das dramatische größere Geltung. Während dort das Recitativ – das, im Gegensatz zur Arie, dem Ruhepunkt der Empfindung, den Fortgang der Handlung bezeichnet – mehr nebensächlich behandelt ist, um der Arie die ausschließliche Theilnahme zuzuwenden, überwiegt hier ein theils psalmodirendes, theils pathetisch accentuirtes Recitativ; eine energisch rhythmisirte Declamation beherrscht den Gesang, Arien und Chöre erscheinen in nappester Gestalt.
Auf den von Lully gelegten Grundlagen einer französisch-nationalen Oper baute dann sein Nachfolger, der gelehrte Rameau (1683–1764), der sich schon als Organist und Instrumentalcomponist, wie hauptsächlich als Begründer einer Theorie der Harmonie berühmt gemacht hatte, weiter. Seine Behandlung der Harmonie und des Orchesters insbesondere zeigt nicht allein seinem Vorgänger sondern auch der italienischen Oper gegenüber einen wahrnehmbaren Fortschritt. Wie vor ihm Lully, der ihm nach Rousseau's Ansicht an Esprit und künstlerischem Tact weit überlegen war, an dramatischer Ausdruckskraft aber nachstand, so beherrschte nun er seiner Zeit die französische Gesangsbühne. Seine Opern[197] – er schrieb 22, deren meisterlichste, »Castor und Pollux«, sich später selbst neben Gluck's Werken in der großen Oper noch behauptete – waren in Paris allgemein beliebt und gefeiert. Wie begreiflich, daß sich auch Gluck's Interesse der neuen Erscheinung zuwandte und die Bekanntschaft mit derselben fruchtbringend für ihn wurde! Nicht minder erwuchs ihm in England durch Händel und seine Oratorien hohe und nachhaltige Anregung, ja, die persönliche Begegnung mit dem großen Meister war der beste Gewinn, den er von der englischen Reise davon trug. Die Wahrheit und Gewalt seines musikalischen Ausdrucks, die unvergleichliche Kunst seiner Chor- und Massenbehandlung boten ihm zum Studium reichen Stoff, und er selbst sprach es noch in späten Tagen aus, wie viel er Händel's Vorbild verdanke. Hatte er doch das Bild des mächtigen Tonheros neben seinem Bette hängen, um, wie er sagte, gleich beim Erwachen den hehren Genius zu begrüßen, den er sein Lebenlang als Muster studirte. Und war er ihm nicht auch in der italienischen Oper ruhmvoll vorangeschritten, bevor er seine eigenste Sendung als Oratoriencomponist erfüllt?
So ward durch die in Paris und London empfangenen Eindrücke der erste Keim zu Gluck's reformatorischem Werk gelegt, der, wenn auch zunächst langsam und verborgen treibend, doch endlich in Größe und Herrlichkeit aufgehen sollte.
Für's Erste schuf Gluck in der bisherigen Weise weiter, sich der Eigenthümlichkeit seiner Begabung selbst noch nicht vollbewußt. Nach Italien jedoch kehrte er nicht zurück. Es zog ihn gegen Ende 1746 nach Deutschland. In Hamburg, wo Händel seine Laufbahn als Operncomponist begonnen, bot sich ihm bei der von Mingotti geleiteten italienischen Operngesellschaft eine[198] Stelle als Capellmeister dar. Nicht lange aber ließ er sich durch dieselbe fesseln. Er componirte für Mingotti, der (laut Marx) auch in Dresden eine zweite italienische Oper dirigirte, am 20. Juni 1747, gelegentlich der Vermählung einer Tochter August III. mit dem Kurfürsten von Bayern, ein Festspiel: »Le nozze d'Ercole e d'Ebe«. Dann nöthigte ihn eine ihm durch den Tod seines Vaters zugefallene Erbschaft, eine Schenke unweit Johnsdorf bei Georgenthal, deren Verkauf er betreiben wollte, zu einem Aufenthalt in Böhmen. Mit Anfang des Jahres 1748 finden wir ihn in Wien, woselbst er hinfort, kurze, durch Kunstreisen bedingte Unterbrechungen abgerechnet, bleibend seinen Wohnsitz aufschlug.
Konnte er eine geeignetere Stelle für sein Wirken wählen? In Wien – »Italien in Deutschland«, wie Marx es bezeichnend genannt – hatte die welsche Oper frühzeitig Aufnahme und Pflege gefunden. Den ersten Anfängen unter Kaiser Ferdinand III. waren seit dem Regierungsantritt Leopold's I. (1657) schon bedeutsame musikalisch-dramatische Vorstellungen gefolgt. Ueberhaupt begünstigte der Letztere, der selbst ein eifriger Componist und Clavierspieler war, das Gedeihen der Musik auf alle Weise, und ihre weitere Verbreitung in Wien war, nächst der natürlichen Beanlagung seines Volkes, sein Verdienst. Das Begonnene führten seine Nachfolger Joseph I. und Karl VI. weiter, ja der Letztgenannte erhob die Oper zu einer Vollkommenheit und Pracht, wie sie gleicherweise weder früher noch später erreicht wurde. Die Capelle mit Fux und Caldara an der Spitze, Vittoria Tesi-Tramontini als erster Stern unter dem Sängerpersonal, dazu, außer allem Reichthum an Decorationen u.s.w., Apostolo Zeno und Metastasio als Hof- und Theaterdichter – man konnte in der[199] Kaiserstadt an der Donau getrost die ersten Bühnen Italiens in die Schranken fordern.
Von den einst bei seinem ersten Wiener Aufenthalt bewunderten Größen fand Gluck gegenwärtig nur noch wenige vor. Maria Theresia, die mittlerweile ihres Vaters Thron bestiegen hatte, schenkte, gleich ihrem Gemahl Franz I., dem deutschen Schau- und Singspiel, dem sie im Burgtheater eine eigene Stätte erbaute, gesteigerte Theilnahme, indeß sie daneben, wenngleich in minder kostspieliger Weise, auch die italienische Oper fortbestehen ließ. Die Musikliebe ihrer Vorfahren hatte sich auch auf sie vererbt. Mit Recht durfte man darum auch ihren Geburtstag mit einem neuen Werke Gluck's feiern, das, von Metastasio gedichtet, unter dem Titel: »La Semiramide riconnosciuta« am 14. Mai 1748 in Scene ging. Nicht nur der Aufführung, auch der Probe schon hatte der gesammte Hof beigewohnt; man hatte an die Arbeit des durch seine Erfolge in Italien allbekannten, von früher her ohnedies in gutem Andenken stehenden Tonsetzers keine geringen Erwartungen geknüpft. Nun lohnte derselben der glänzendste Empfang, und sie gelangte zu zahlreichen Wiederholungen.
Gluck's Stellung in Wien war damit gesichert. Dem gefeierten Componisten, der als trefflicher Sänger, Geiger und Violoncellist nicht minder als durch seine geselligen Gaben und muntere Laune überall willkommen war, öffneten sich bereitwillig alle Thüren. Nur an eine Thür klopfte er vergebens. Als Gast und Freund hatte man ihn im Hause eines reichen Kaufherrn, Pergin, bereitwillig aufgenommen; als er aber um die Hand seiner Tochter Marianne warb, die seine Neigung gewann, wie auch sie ihr Herz an ihn verloren hatte, wies ihn der Vater schnöde zurück. Das Los, das ihr der Musiker zu bieten vermochte, schien dem geldstolzen[200] Mann nicht glänzend genug. Was half es, daß sich die Liebenden ewige Treue gelobten, Gluck verlebte seinen eigenen Worten zufolge, »das glücklichste und zugleich unglücklichste Jahr seines Lebens.« Aber er vertraute auf die Zukunft, und diese Hoffnung trog ihn nicht.
Im selben Jahre (1749) noch riefen ihn Einladungen nach Copenhagen und nach Rom. Am ersteren Orte galt es, die Geburt eines Thronerben nach damaligem Hofgebrauch durch Composition eines dramatisch-musikalischen Festspiels zu verherrlichen. Er brachte zu diesem Zweck die Serenade »Tetide« (oder »La contesa dei numi«) am 9. April persönlich zur Aufführung. Die Reise nach Rom legte er, wie man erzählt – sei es aus haushälterischen Gründen oder um den Umständlichkeiten des Paßwesens zu entgehen – in eine Capuzinerkulte gehüllt zurück. Das für das Argentina-Theater geschriebene Musikdrama »Telemacco« trug ihm die gewohnte Beifallsernte ein. Marx, dem die Partitur desselben bekannt wurde, erblickt in ihr einen merkwürdigen Vorversuch für des Künstlers spätere Opernreformation. Die energischere Gliederung des Ganzen, die häufigere Anwendung des begleiteten Recitativs u. A. sieht er als Zeichen dessen an. Gluck selbst legte ohne Zweifel auf die Arbeit Werth, da er sie zu bedeutenden Theilen in spätere, seiner reifsten Zeit angehörende Werke herübernahm. Beide »Iphigenien« und »Armida« wurden um mehrere ihrer schönsten Arien aus dieser Oper bereichert, welche als interessanter Beleg dessen dienen, daß Gluck schon lange Zeit vor »Orpheus« und »Alceste« dramatisch wahre Musik geschrieben hat.
Inzwischen hatten die Verhältnisse in Wien eine für ihn günstigere Wendung genommen. Der Vater seiner geliebten Marianne starb zu Anfang des Jahres 1750,[201] und seiner Verbindung mit ihr stand nun, da er der Zustimmung der Mutter längst gewiß war, nichts mehr im Wege. Gluck eilte nach Wien zurück, und am 15. September schlossen sie den Bund für's Leben. Nicht nur den Ruhm, auch die Liebe fesselte er fortan an seine Seite. Die treueste, theilnahmvollste Gefährtin ward ihm in seiner Gattin bescheert; wohin er auch ging, sie theilte seine Wege. Ihr eheliches Glück blieb wolkenlos. Blieben ihnen auch Elternfreuden versagt, so bot sich ihnen späterhin auch dafür durch eine Nichte des Meisters Ersatz, die sie an Kindesstatt annahmen. Ihr Haus war ein Sammelplatz vornehmer Geister. Männer der Kunst und Wissenschaft, Einheimische und Fremde von Bedeutung fanden sich als gern gesehene Gäste bei ihnen ein. Die reichen Mittel, welche Gluck's Frau ihm zugebracht, gestatteten ihm, zwanglos derlei gesellige Beziehungen zu pflegen. Dabei war er fortwährend bestrebt, was seiner ersten Erziehung gemangelt hatte, durch eigenes ernstes Studium zu ersetzen. Von Natur der Literatur und zumal der Poesie mit nicht geringerer Vorliebe als der Musik zugeneigt, vertiefte er sich nun rastlos in die Erstere, während er zugleich seine Kenntnisse in der lateinischen und französischen Sprache zu mehren bemüht war. So erwarb er sich ein Maß allgemeiner Bildung, wie es wol bei keinem Musiker seiner Zeit sonst anzutreffen war. Dabei hörte er nicht auf, rüstig in seiner Kunst weiter zu schaffen.
Neapel empfing 1751 eine neue Oper von ihm: »La clemenza di Tito«. Fast wäre die Darstellung derselben an der stolzen Haltung des deutschen Tonkünstlers gescheitert. Der berühmte Sopranist Cafarelli hatte darin eine Rolle übernommen. Als aber der Componist ihm den erwarteten ersten Besuch[202] schuldig blieb, war der von seinen Landsleuten Vergötterte schwer beleidigt. Endlich entschloß er sich doch, den ersten Schritt zu ihrer gegenseitigen Bekanntschaft zu thun; die Spannung hob sich und sie befreundeten sich bald. Mit dem Componisten vereint feierte der Sänger nun neue Triumphe. Gegen die nachmals berühmt gewordene Arie »Se mai senti spirarti sul volto« (sie fand später als Schlußarie im zweiten Act der »Iphigenie in Tauris« ihren Platz) zwar hatten sich sämmtliche neapolitanische Maestri einmüthig verschworen; weil, wie sie behaupteten, die Regeln des Satzes darin verletzt seien. Als sie jedoch die fragliche Partitur ihrem Haupt und Meister Durante als Schiedsrichter vorlegten, wies dieser die Vorwitzigen mit den Worten zurück: »Ich mag nicht entscheiden, ob diese Stelle den Regeln der Composition so ganz gemäß sei; allein das kann ich Ihnen sagen, daß wir Alle, bei mir angefangen, uns höchlichst dessen rühmen dürften, eine solche Stelle gedacht und geschrieben zu haben!«
Eben diese in ganz Italien Aufsehen erregende Arie hatte auch den Prinzen Joseph Friedrich von Sachsen-Hildburghausen, einen Liebling Maria Theresia's und leidenschaftlichen Musikfreund, auf Gluck's Bekanntschaft begierig gemacht. Nach seiner Rückkehr nach Wien ward er ihm vorgestellt, und bald wurde der weltkundige und gebildete, mit angenehmen Umgangsformen begabte Künstler der Hausfreund des Prinzen, der an dessen musikalischen Bestrebungen den thätigsten Antheil nahm. Bei den von der prinzlichen Hauscapelle vor geladenen Gästen gegebenen Academien stellte sich Gluck mit seiner Violine gewöhnlich selbst an die Spitze, und viele der von ihm in jener Zeit geschriebenen Symphonien und Arien brachte er dort zur Aufführung. Für ein glänzendes Fest, das der Prinz im September 1754 der kaiserlichen[203] Familie in seinem Lustschloß Schloßhof veranstaltete, componirte der ihm befreundete Meister auch Metastasio's Festspiel »Le Chinesi« und ein Ballet »L'orfano della China«. Gluck's »göttliche Musik« – so nennt sie Dittersdorf, der bekannte Autor von »Doctor und Apotheker« – gewann das Wohlgefallen der kaiserlichen Gäste in so hohem Grade, daß sie im Laufe des Winters auf dem Hoftheater mehrmals wiederholt werden mußte. Seit Kurzem war der weit berühmte Tonmeister ja auch als Capellmeister an der Hofoper mit einem Gehalt von jährlich 2000 Gulden angestellt. Die Berufung seines Gönners, des Grafen Durazzo, an die Oberleitung des Hoftheaters im Juni 1754 hatte auch diejenige Gluck's nach sich gezogen. Somit begann für den Letzteren eine vielseitige Thätigkeit. Zu seinen dramatischen Arbeiten kam jetzt noch die Beschäftigung mit Kammercompositionen sowie Melodramen und Symphonien, die er in bedeutender Anzahl für die häuslichen Feste der Kaiserfamilie schrieb; obschon er, wie sein Biograph Schmid sagt, »zu letzterer Tongattung keine sonderliche Neigung fühlte; denn die Musik übte nur dann die entschiedenste Wirkung auf sein Gemüth aus, wenn sie einer Wortdichtung und einer dramatischen Handlung angepaßt war.« Werke von Belang sind uns nicht in diesen Symphonien verloren gegangen, in denen wir uns selbstverständlich nicht Repräsentanten jener höchstentwickelten Instrumentalform vorzustellen haben, die wir gegenwärtig unter diesem Namen begreifen und die erst von Haydn's Hand ihre Ausbildung empfing. Gluck's Bestimmung wies ihn nicht zur reinen instrumentalen Kunst. Er war seinem ganzen Naturell nach ein Dramatiker, kein absoluter Musiker, was freilich nicht ausschließt, daß als sich seinen Tönen später große tragische Stoffe verbanden, sich auch sein Instrumentalsatz in neuer Weise belebte und[204] sein Orchester eine eindringliche charaktervolle Sprache redete. Ein Blick auf seine Alcesten- und Iphigenien-Ouverturen – die ersten wirklichen Orchesterprologe, die auf das zu schauende Tondrama und seinen tragischen Inhalt vorbereiten4 – auf viele seiner Zwischenspiele und Tänze u.s.w. belehrt darüber zur Genüge.
Zur Abwechslung machte gegen Ende des Jahres 1754 wieder einmal Rom seine Forderungen an den Tondichter geltend. Wie immer fand er sich persönlich zur Aufführung seiner Opern »Il trionfo di Camillo« und »Antigono« ein. Aber auch hier waren ihm, wie früher in Neapel, Neider und Feinde erstanden; sie warteten nur darauf, seinen wohlbegründeten Ruhm zu untergraben. Gleichwol bot ihm Cardinal Albani, der kaiserliche Gesandte am päpstlichen Hofe, vergebens seine Hülfe an, um die Cabale unschädlich zu machen. Voll des ihm eigenen Selbstgefühls lehnte Gluck sie dankend ab. Nicht durch fremde Kraft, durch seine eigene, durch die Macht seiner Kunst wollte er siegen. Und so geschah es in Wirklichkeit. Als »Ritter von Gluck« kehrte er in die Heimat zurück. Der Papst hatte ihm in Anerkennung seiner Verdienste den mit dem Adel verbundenen Orden vom goldenen Sporn verliehen.
Die Arbeiten der nächsten Jahre waren ausschließlich Wien und dem kaiserlichen Hofe gewidmet. Hier folgten sich in bunter Reihe die Opern »La danza«, »L'innocenza giustificata« (1755), »Il rè Pastore« (1756), die Serenade »Tetide« (1760), die zur Vermählungsfeier des Erzherzogs Joseph (des nachmaligen[205] Kaisers) mit Isabella von Bourbon, prachtvoll ausgestattet, im großen Redoutensaale dargestellt wurde, und das Ballet »Don Juan, oder das steinerne Gastmahl« (1761), welch letzterem die gleiche Fabel wie Mozart's Oper zu Grunde liegt. Das Alles waren Werke im gewohnten italienischen Stil. Dazwischen aber fielen auch Arbeiten im französischen Genre, welcher neuerlich auf Wunsch des nach Abwechslung verlangenden Hofes in Wien gepflegt ward. Die großen französischen Opern ließ man bei Seite; zu leichter Unterhaltung taugten die kleinen Operetten besser. Um diese oder die nöthigen Texte zur Bearbeitung durch Wiener Musiker, sowie die erforderlichen Schauspieler und Tänzer für die französische Bühne der österreichischen Residenz zu erhalten, trat Graf Durazzo mit Favart in Paris in Verbindung. Die musikalische Herstellung oder Umarbeitung solcher Unterhaltungsstücke, die theils in den kaiserlichen Lustschlössern zu Schönbrunn und Laxenburg, theils in der Favorite und in den Sälen der Hofburg, nur in Gegenwart der kaiserlichen Familie und des eingeladenen Adels aufgeführt wurden, mußte Gluck in die Hand nehmen. Die Operetten »Les amours champêtres« (1755), »Le Chinois poli en France«, »Déguisement pastoral« (1756), »L'île de Merlin«, »La fausse esclave« (1758), »La Cythère assiegée« (1759), »L'ivrogne corrigé« (1760), »Le cadi dupé« (1761), »Le diable à quatre (?)«, L'arbre enchanté« und »On ne s'avise jamais de tout« (1762) hat er theils vollständig, theils zu überwiegenden Theilen in Musik gesetzt. Er that dies mit so seinem Geschick und wußte den französischen Ton so glücklich zu treffen, daß Favart, dem er zwei seiner Operetten sandte, nach Seiten des »Ausdrucks, des Geschmacks, der Harmonie und selbst der französischen Prosodie nichts zu wünschen« fand.[206]
Der »Cadi dupé« wurde unter dem Titel »Der betrogene Cadi« auch in's Deutsche übersetzt und 1783 häufig in Berlin gegeben. Nach langem Schlummer kam er in neuester Zeit und zwar anläßlich der Hamburger Theater-Jubelfeier und sodann in Leipzig wiederum an's Licht und gab uns Gelegenheit, den großen Tragöden auch in der heiteren Maske kennen zu lernen. Auch da wirkt er mit einfachen Mitteln; die Charaktere sind lebendig gezeichnet, und einzelne Züge deuten auf den Opernreformator hin, dessen epochemachende Wandlung sich zu jener Zeit bereits vorbereitete. Befördert wurde diese Wandlung jedenfalls durch jene französischen Arbeiten, die, so bescheiden sie sich unter der Bezeichnung »Airs nouveaux« mit ihrer schlichten Clavierbegleitung geben5, doch das Streben nach dramatischer Wahrheit und Charakteristik, nach schärferer Declamation nachdrücklicher hervortreten lassen als im Ganzen seine großen italienischen Opern.
Ganz auf hergebrachtem italienischen Standpunkt stand namentlich die Oper »Il trionfo di Clelia«, die er zur Einweihung des neu erbauten Opernhauses in Bologna 1762 schuf. Er führte die aus Wien mitgebrachten Skizzen, wie dies in Italien Sitte war, erst an Ort und Stelle und nach erfolgter Bekanntschaft mit dem Sängerpersonal aus, da Kunst und Stimmumfang jedes Einzelnen bei den Coloraturen auf das Genaueste berücksichtigt zu werden pflegten. Binnen zehn Tagen war der erste Act, der sich allerdings wie das Ganze nur aus einer Folge brillanter Concertstücke zusammensetzte, vollendet. Dabei arbeitete er nur Vormittags und Abends, während der Nachmittagsstunden[207] niemals. Nach dem Essen machte er meist Besuche oder verweilte bis zur Abendmahlzeit in einem Kaffeehaus. Einer seiner ersten Besuche galt dem großen Sänger Farinelli, dem einstigen Widersacher Händel's, der hier die Tage seines Alters und die erworbenen Schätze in behaglicher Ruhe genoß. Mit fürstlichem Aufwande sahen Gluck und sein Reisebegleiter Dittersdorf sich wiederholt von ihm bewirthet. Auch die Bekanntschaft mit dem gelehrten Padre Martini, dem »Padre di tutti i maestri«, wie ihn die Musiker nannten, erneute er, und dieser nahm in väterlicher Weise die ihm von Gluck bezeigte Ehrfurcht auf.
Nach siebzehn großen Proben kam endlich die Oper zur Aufführung. Sie gefiel ungemein, so wenig ihr Schöpfer, der das vollkommene Ensemble seines Wiener Orchesters gewöhnt war, sich mit der Wiedergabe derselben zufrieden erklärte. Freilich, er war schwer zu befriedigen, der ungeduldige Mann, der an sein und Anderer Können stets den strengsten Maßstab legte und keinerlei Pflichtversäumniß ungestraft hingehen ließ. Wie Händel war auch er im Orchester gefürchtet, und in Wahrheit konnte er sagen, er habe seine Brigade niemals wiederspenstig gefunden. Wer ihn sah, den großen starkgebauten, elegant gekleideten Meister, mit der imposanten Haltung und den blitzenden Augen, der zweifelte wol kaum, daß es ihm mit Allem, was er unternahm, Ernst sei.
Von Interesse ist die Schilderung, die ein Zeitgenosse, der damals berühmte Contrabassist Kämpfer6, von dem gestrengen Orchesterführer entwirft. Sie lautet: »So ein gutmüthiger, lieber Mann der Herr von Gluck in jedem andern Lebensverhältniß ist, so macht er doch[208] sobald er auf dem Platze als Director steht, den wahren Tyrannen, der durch den geringsten Schein von Fehler in Harnisch und bis zu den stärksten Aeußerungen der Hitze gebracht wird. Zwanzig, dreißig Male reichen nicht hin, daß er die geübtesten Spieler der Capelle, unter denen gewiß Virtuosen sind, die Passagen wiederholen läßt, bis sie die von ihm bezweckte Wirkung des Ensemble hervorbringen. Er brusquirt sie alsdann so sehr, daß sie ihm schon oft den Gehorsam aufgekündigt und nur durch Zureden des Kaisers: ›Ihr wißt ja, er ist nun einmal so. Er meint es nicht so arg!‹ – haben bewogen werden können, unter ihm zu spielen.« Auch müssen sie immer doppelt bezahlt werden, und diejenigen, die z.B. für ihr Spielen sonst einen Ducaten erhielten, bekommen wenn Gluck dirigirt deren zwei. Kein Fortissimo kann ihm an gewissen Stellen stark und kein Pianissimo schwach genug sein. Dabei ist es ganz originell, wie jede Stelle des Affects, des wilden, sanften, traurigen, sich am Clavier in allen seinen Mienen und Geberden malt. Er lebt und stirbt mit seinen Helden, wüthet mit dem Achill, weint mit der Iphigenia, und in der Sterbe-Arie der Alceste bei der Stelle: »Manco ... moro ... e in tanto affanno non ho pianto« – sinkt er ordentlich zurück und wird mit ihr beinahe zur Leiche.« – »Mehr Blech! mehr Blech!« erzählt Reichardt, schrie er einmal inmitten einer Opernaufführung den Trompeten zu, deren Forte bei Darstellung eines kriegerischen Gefechtes nach seiner Ansicht zu wünschen übrig ließ. Und als ein anderes Mal ein Contrabassist seine eigenen Wege ging und seines Winkes nicht achtete, kroch er unter den Pulten hinweg zu ihm hin und kniff ihn so heftig in die Waden, daß jener laut aufschrie und sein Instrument mit dröhnendem Gepolter hinwarf. Selbst seine Nichte,[209] eine vortreffliche Sängerin, an der er mit ganzer Seele hing, unterbrach der empfindliche Tonkünstler am Clavier nicht selten plötzlich mitten im reizendsten Vortrage, sogar in Gegenwart des Hofes, ziemlich rauh durch ein: »Halt! das war falsch! noch einmal!« Und doch galt dies manchmal nur einer seinen Schattirung, die im Laufe des Stückes gewiß Niemand außer Gluck bemerkt hatte oder bemerkt haben konnte. Die Pariser Sängerinnen vollends, die siegesgewiß ein »Bravo« von seinen Lippen zu hören erwarteten, brachte er mit seinem kalten »Mademoiselle, il faut bien recommencer!« zur Verzweiflung, und nur seine Versicherung, sich, dafern sie nicht singen wollten, bei der Königin zu verabschieden und sofort nach Wien zurückzukehren, ließ sie gute Miene zum bösen Spiel machen und sich seinen Anforderungen fügen.
Mit dieser Unbeugsamkeit des Charakters ging bei ihm Geistesgegenwart und Muth Hand in Hand. Als er einst in Wien eine seiner Opern am Flügel leitete, wurde am Ende des ersten Ballets eine Coulisse vom Feuer ergriffen. Es entstand ein großer Tumult; Tänzer und Zuschauer suchten sich zu retten. Indessen ward der Brand schnell gelöscht und die Fortsetzung der Vorstellung mit Beginn des zweiten Actes befohlen. Dem widersetzte sich Gluck energisch, da sich der Lärm noch nicht völlig gelegt hatte; er verlangte, das Ballet solle noch einmal gegeben werden. Aber die Tänzer waren bereits umgekleidet und die Tänzerinnen zitterten noch vor Schrecken. Da stieg Gluck auf einen Stuhl und rief in Gegenwart des Hofes laut über die Bühne hin: »Entweder das Ballet wird noch einmal getanzt, oder die Oper ist für heute zu Ende.« – Man mußte wohl oder übel das Ballet wiederum beginnen lassen und die Oper wurde unter lautem Beifall zu Ende gespielt.[210]
In seinem Werke, seinem Berufe ging der Meister sich selbst vergessend auf; was Wunder, daß er auch von Anderen Hingebung und Berufstreue, Achtung vor dem Genius forderte? Und eben jetzt sollte sich sein Genius in seiner Macht bezeugen.
Ein wachsendes Unbefriedigtsein gegenüber der italienischen Weise, in der er von Jugend auf gesungen, bemächtigte sich des jetzt 48 jährigen Künstlers. Nicht wie der verwelschte Hasse konnte er, sich seines Deutschthums gänzlich begebend, dauernd in den Bahnen eines fremden Volkes wandeln. Er war zu deutsch, zu ernst und tief geartet, um an der sinnlichen Klangschönheit bleibend Genüge zu finden, um nicht dem Drang nach Wahrheit, nach natürlicher Darstellung der Empfindung und Leidenschaft immer rückhaltloser Gehör zu geben. Dabei kam ihm sein künstlerisches Naturell zu Hülfe. Sinnliche Anmuth wie formelle Vollendung waren nicht die starken Seiten seiner Begabung. Gerade hierin stand er den Italienern gegenüber fraglos im Nachtheil. Auch seiner Coloratur fehlt die spielende Grazie, wie sie Jenen und unserem Mozart von der Natur gleichsam in den Schos geworfen ward. Gluck's Größe lag anderswo. Und mußte ihm nicht bei der steten Arbeit an Erweiterung seiner Bildung, wie durch seine fortgesetzte künstlerische Erfahrung die Erkenntniß seiner eigensten, naturgemäßesten Richtung und Begabung aufgehen? Mochten ihm nicht wol auch die Bestrebungen für Hebung des deutschen Schauspiels in Wien die Augen über Absicht und Wirkungsfähigkeit der Scene geöffnet haben? Genug, Metastasio's Libretti, mochten sie immerhin noch die besten der vorhandenen sein, genügten ihm nicht länger. Nur in vereinzelten Theilen hatten dieselben seine tondichterische Begeisterung wecken können, hatten sie seinem Streben nach dramatischem Ausdruck[211] und tieferer Erfassung des Gegenstandes Gelegenheit gegeben, sich zu bethätigen. Es verlangte ihn nach einer höheren poetischen Grundlage für sein Schaffen. Den Dichter, den er suchte, fand er in Raniero di Calzabigi aus Livorno, einem Manne von philosophischästhetischer Bildung, der sich durch eine neue Ausgabe der dramatischen Werke Metastasio's (in Frankreich) und eine derselben beigegebene geistreiche Einleitung rühmlichst bekannt gemacht hatte und als Rath bei der niederländischen Rechnungskammer in Wien lebte. Dieser, der die Ansichten über die Mängel der italienischen Oper theilte, welche der ihm befreundete Componist schon früher (1760) gegen ihn ausgesprochen hatte, ging auf seine Idee eines einheitlicher zu gestaltenden Musikdramas bereitwillig ein und reichte ihm zur Verwirklichung derselben durch seine Dichtung »Orpheus« die Hand.
Recht dramatisch war allerdings der Stoff keineswegs; er war vielmehr lyrischer Natur, und die Einführung des Amor gab ihm eine bedenkliche allegorische Beimischung. Aber er bot trotz geringer Handlung zwei unser Mitgefühl lebendig erregende Charaktere, ergreifende Situationen und als Verherrlichung der Musik und der Liebe einen echt musikalischen Gehalt. Auf dieser ihm vom Dichter dargereichten, überaus günstigen Unterlage baute der Componist eine Tonschöpfung auf, die in ihrer keuschen Schönheit und Noblesse, ihrer stilvollen Wahrheit und Einfachheit, mit allen Zügen künstlerischer Größe ausgestattet, als eine völlig neue Erscheinung zwischen die bisher auf der Gesangsbühne geschauten musikalisch-dramatischen Gebilde trat. Er brach nicht mit den gewohnten Opernformen; er gestaltete sie nur den Bedingungen gemäß um, welche sich aus dem poetischen Inhalt ergaben. Die Arie wird ihrer alten Schablone ledig, freier und mannigfaltiger gestaltet[212] sie sich; ihr weitschweifiger Mechanismus rückt zusammen, die sonst üppig wuchernde Coloratur wird auf das bescheidenste Maß beschränkt. Weit über seine bisherige Bedeutung emporgehoben erscheint das Recitativ, das statt als dürftiges Secco nun meist begleitet auftritt und in seiner wechselvollen charakteristischen Behandlung ein wesentlich mitwirkender Theil des Ganzen: der Träger des specifisch Dramatischen wird. Ganz neue Wirkungen erzielt Gluck ferner durch Einführung des Chors, dem durch Betheiligung an der Handlung ein dramatisches Interesse verliehen wird, während das Ganze dadurch erhöhte Lebendigkeit und Mannigfaltigkeit gewinnt. Welch wichtigen Fortschritt bezeichnet nicht minder die Ausbildung des Orchesters! Ihrer individuellen Natur entsprechend, werden zum ersten Mal die Instrumente behandelt und ebenso wie die sich reicher gestaltende Harmonie als Mittel zur dramatischen Charakteristik verwandt. Man höre nur beispielsweise die ätherische, den Gedanken eines ewigen Friedens so schön versinnlichende Musik im Elysium, die Berlioz für ein Wunderwerk erklärt und in der auch Rousseau Maß und Keuschheit in so vollkommener Weise ausgeprägt fand! Auch Tanz und scenischer Schmuck werden nicht als eitles Schaugepränge, sondern nur als durch die Situation motivirt, herbeigerufen. Das Gesetz der Einheit waltet über dem Ganzen.
Mit allem Fleiß und Benutzung aller Bühnenkräfte war die Oper einstudirt worden. Gluck selbst leitete den Gesang und das Orchester, der Dichter das Spiel der Darstellenden; auch Maschinerie und Ballet lagen in den besten Händen. Der treffliche Altist Guadagni sang den Orpheus, Signora Bianchi die Eurydice. Den Anordnungen des Meisters getreu, vergaßen sie Alle ihr Virtuosenthum, um einmüthig in dem Geist des[213] Kunstwerkes aufzugehen. Nichtsdestoweniger schien die Wirkung desselben Calzabigi, ob seiner Neuheit, derart bedenklich, daß er sich zuvor Metastasio's Neutralität versicherte. Er gewann ihm, dem Vertreter der alten Richtung, das Zugeständniß ab, sich nicht gegen den neuen Versuch zu erklären, obwol er mit demselben keineswegs einverstanden war. Von Seiten seiner Anhänger, der Italiener und ihrer Bannerträger, erstand allerdings dem »Orfeo« Opposition, der am 5. October 1762 im Hofburgtheater unter Theilnahme des Hofes seine erste Darstellung erlebte. Doch mochten immer Gluck's Widersacher die Feindseligkeiten so weit treiben, daß sie ihm die Autorschaft verschiedener besonders melodischer Gesänge, wie »Che farò senza Euridice« (»Ach ich habe sie verloren«), streitig machten und sie dem Sänger Guadagni zuschrieben – vor dem großen und nachhaltigen Erfolge des Werkes mußten sie bald verstummen. Auf nahezu allen Bühnen Europas hielt der »Orpheus« seinen Einzug. In Frankfurt am Main half er die Krönung des Erzherzogs Joseph zum römischen König feiern, und wie in Wien, wo er in italienischer sowol, als später in deutscher oder französischer Sprache aufgeführt, ein Lieblingsstück des Publicums wurde, fand er auch in Italien großen Anklang. Soll er doch allein bei einer Aufführung, die Gluck 1771 dirigirte, der Theaterdirection von Bologna nicht weniger als 80000 Ducaten eingetragen haben. Für die Pariser Academie unterwarf ihn der Tondichter selber im Jahre 1774 einer Umarbeitung, bei der er die Titelrolle in eine Tenorpartie (für Legros) umwandelte und die Partitur um mehrere Nummern vermehrte, sodaß dieselbe in doppelter Gestalt vorliegt. Umfängliche Umänderungen pflegte Gluck ohnehin häufig noch während der Proben und nach den ersten Aufführungen seiner[214] Opern vorzunehmen. Da er aber die Letzteren mit ungewöhnlicher Nachlässigkeit niederschrieb und den schönsten derselben nach Berlioz Worten »nicht einmal die Sorgfalt eines guten Copisten widmete«, auch bei ihrer Veröffentlichung sich fast nie zu einer Durchsicht des Stiches verstand, so wurden die verschiedenen Ausgaben durch eine Fülle von Schreib-und Druckfehlern entstellt. Bei ihren sich vielfach widersprechenden Lesarten wäre uns die authentische Fassung der Partituren voraussichtlich bald völlig verloren gegangen, hätte nicht, durch Berlioz angeregt, eine Pariserin, Fräulein Fanny Pelletan, in Gemeinschaft mit ihrem Lehrer Damcke eine mit größter Gewissenhaftigkeit verfaßte Ausgabeveranstaltet7, welcher die letzte, auf Gluck selbst zurückführende Bearbeitung zu Grunde gelegt wurde. Bei einer Französin haben wir uns demnach zu bedanken, wenn wir die gewaltigen dramatischen Gebilde des deutschen Meisters nun in unverkümmerter Gestalt genießen dürfen.
Auch nach der Meisterthat seines »Orpheus« wandte Gluck seiner alten Lehrmeisterin, der italienischen Schule, noch nicht dauernd den Rücken. Er machte ihr auch fernerhin noch Concessionen, kehrte des Oefteren noch zu ihr und Metastasio zurück. Die im December 1763 aufgeführte Oper »Ezio«, sowie die Festspiele »Il parnasso confuso« und »La corona« sind Beweise dessen. Gluck schrieb die letzteren Beiden, obschon er den Capellmeisterstab im Hoftheater gegen Ende 1764 bereits niedergelegt hatte, im Auftrag des Hofes. Sie waren für Festlichkeiten in der kaiserlichen Familie und zwar zur Darstellung durch vier Erzherzoginnen bestimmt, welche sämmtlich, ebenso wie einst ihre Mutter Maria[215] Theresia, vortreffliche Sängerinnen waren, während Erzherzog Leopold die Clavierbegleitung übernahm. Doch nur das erste Stück kam zur Vermählung des römischen Königs Joseph II. (am 23. Januar 1765) in Schönbrunn zur Aufführung; das andere, das den Namenstag des Kaisers Franz feiern sollte, blieb zufolge des plötzlichen Todes dessen, dem die Huldigung gelten sollte, zu ewigem Schweigen verurtheilt.
Noch eine französische komische Oper: »La rencontre imprévue«, fällt in diese Zeit (Januar 1764). Die Kritik des »Wiener Diariums« rühmte ihr nach, daß der Tonsetzer sich darin »selbst übertroffen« habe und der Beifall, den sie bei den Kennern gefunden, außerordentlich und allgemein sei. Sie wurde trotz ihres einfältigen Textes sowol 1790 in Paris, als in deutscher Bearbeitung unter dem Titel: »Die unvermuthete Zusammenkunft, oder die Pilgrime von Mekka« auch in Berlin und Wien gegeben. Ein Versuch, an letztgenannter Stelle 1807 wiederum zu ihr zurück zu greifen, scheiterte jedoch. Mozart's sonniger Genius war inzwischen gekommen und hatte in der heiteren Oper einen neuen Ton angeschlagen. Mit seiner lächelnden Grazie und bestrickenden Beredtsamkeit konnte der ernste gemessene Gluck nicht wetteifern. Nur wo er Schwung und Pathos zu entfalten vermochte, war er in seinem Element. Sein Schauplatz war die große tragische Oper, und hier blieb selbst Mozart's universale Meisterschaft, so viel sie von ihm erlernte, hinter ihm zurück.
Tragischen Boden beschritt Gluck wiederum mit seiner Oper »Alceste«, die das Ergebniß einer abermaligen Verbindung mit Calzabigi, dem Dichter des »Orpheus« war. Gegenüber dem früheren, überwiegend lyrischen Gedicht bezeichnete das gegenwärtige, dem Euripides' Tragödie zu Grunde gelegt war, in dramatischer Beziehung[216] einen entschiedenen Fortschritt; obgleich sich auch hier die Handlung auf nur eine Person: die Titelheldin, beschränkt und selbst diese letztere vom zweiten Acte an mehr leidend als handelnd auftritt. Mehr auf seelische als auf äußere Vorgänge gründet sich das Ganze. Dabei reihen sich die Scenen des Schmerzes und der Verzweiflung in fast ununterbrochener Folge aneinander und stellten dem Componisten durch Mangel an Abwechslung und Gegensätzen die schwierigste, sein ganzes Erfindungsvermögen in Anspruch nehmende Aufgabe. Aber die innere Kraft und Größe des Gegenstandes berührte in Gluck verwandte Saiten. Mit der ihm eigenen Kühnheit des Griffs, der Macht und Hoheit seiner Auffassung erfaßte er das ihm vom Dichter Dargebotene und hob es weit über seinen eigentlichen Werth empor, indem er ihm den eigenen Geist und Genius einhauchte. So schuf er in Alceste eine Gestalt, wie sie hehrer und voll sittlicherer Größe die dramatische Tonkunst nicht aufzuweisen hat, und erzielte zumal im ersten Act der Oper Wirkungen, welche nicht nur ihrer Zeit völlig neu erscheinen mußten, sondern zu allen Zeiten erhaben und bewundernswerth bleiben. Eine Scene wie die gewaltige Tempelscene, wo kannte man sie bis dahin und wo müßte sie nicht noch heute die ungeschmälerte Macht tiefsten Eindruckes üben? Von dem ganz in antike Farben getauchten religiösen Marsch, dem großen Recitativ des Oberpriesters (»Ja die Gottheit voll Huld«), der über ernsten Posaunenaccorden eintönig erklingenden Orakelstimme, dem Chor der Fliehenden und Alceste's Recitativ »Wo bin ich« bis zu ihren unsterblichen Arie: »Ihr Götter ew'ger Nacht«, welch ungeheuere überwältigende Steigerung! In dem letztgenannten wunderbaren Gesang erkennt Berlioz8[217] »die vollendetste Offenbarung von Gluck's Geistesgaben, welche man in solchem Grade vielleicht nie bei ein und demselben Musiker wieder vereint antreffen wird: hinreißende Eingebungen, hoher Verstand, Großartigkeit des Stils, Reichthum an Gedanken, tiefe Kenntniß in der Kunst dramatisch wirksamer Orchesterbehandlung, eindringliche Melodiekraft, stets richtiger, zugleich natürlicher und tonmalerischer Ausdruck, scheinbare Ungebundenheit, die aber in der That ein höherer Grad weiser Anordnung ist, Einfachheit der Harmonie, Klarheit der Zeichnung und vor allem jene unermeßliche Kraft, welche die Einbildung derjenigen erschrecken macht, die fähig sind, sie zu würdigen.«
Erstaunlich gesteigert erscheint die Ausdrucksfähigkeit des Recitativs, wie bei den erwähnten Stellen, so auch als Admet Alceste das Geheimniß ihres Gelübdes entreißt, oder bei Alceste's Erscheinen an der Pforte des Tartarus. Voll ergreifender Schönheit und Wahrheit sind beispielsweise auch die Arien Admet's: »O Himmel, ohne dich kann ich nicht leben«, Alceste's »Töchter ew'ger Nacht« und des Thanatos im zweiten und dritten Act. Unversiegbar ist des Tondichters Beredtsamkeit, wenn er das menschliche Herz reden läßt; so viel schmerzbewegte Scenen er schon geschildert, immer noch findet er neue Töne.
Einen eigenthümlichen Effect erreicht er in den Chören der Höllengeister, die er von Männerstimmen unisono ausführen läßt; ähnlich wie die von Posaunenklängen getragene Orakelstimme fast nur auf eine und dieselbe Note gesetzt ist. Die Letztere hat bei den Antworten der Comthurstatue im »Don Juan« gleicherweise Pathe gestanden wie beim Priestermarsch der »Zauberflöte« der vorerwähnte Opfermarsch. Wie schlicht aber ist derselbe instrumentirt! Streichquartett und zwei Flöten[218] genügten dem Meister zur Darstellung dieser stilvollen Composition. Mit solch bescheidenen Mitteln erzielt er seine Wirkungen! Je nach Wichtigkeit der Situation, nach Stärke der auszudrückenden Empfindung bedient er sich der Instrumentalmasse. Eine gewisse Enthaltsamkeit zeichnet seine orchestrale Sprache aus. Im Allgemeinen hat sie wenig Glanz, was Berlioz auf die beständige Anwendung der hohen, durchdringenden Instrumente in der Mittellage, wie auf den geringen Gebrauch der Violoncelli und die Nichtbenutzung der tiefen Töne von Clarinette, Horn und Posaune zurückführt. Trompeten und Pauken blieben, obschon er die Ouverture reicher und stärker als seine übrigen instrumentirte, in der »Alceste« – mit Ausnahme zweier den Herold auf der Bühne begleitenden Trompeten – ganz außer Wirksamkeit. Auch die kleine Flöte blieb aus dem feierlichen Rahmen der Oper ausgewiesen. Gleichwol war Gluck der Erste, der die große Trommel (im Schlußchor der Iphigenia in Aulis), die Becken, den Triangel und das Tambourin (im ersten Act der taurischen Iphigenia) in Frankreich einführte. Einen eigenartigen Orchestereffect ersann er, um den Ruf des Charon, des alten Steuermannsdes Styx, in der »Alceste« möglichst bizarr und düster darzustellen. Er ließ die beiden Hörner, welche die vorgeschriebenen Noten zu blasen hatten, die Oeffnungen dicht an einander halten, so daß sie sich gegenseitig als Dämpfer dienten. Doch erst der Aufführung der »Alceste« in Frankreich kam dies Effectmittel, nach dem Gluck lange vergeblich gesucht hatte, zu Gute; wie er sich ohnehin für Paris einer umfänglichen Umarbeitung seiner Oper unterzog. Auch der Herakles des Euripideischen Originals, den Calzabigi's Gedicht ausgelassen hatte, kam durch den französischen Uebersetzer du Rollet wieder zu seinem Recht, und statt des Gottes Apoll übernimmt nun er die[219] Lösung. In eben dieser Gestalt ward die Oper dann auf den deutschen Bühnen heimisch, obgleich – dafern Berlioz uns recht berichtet – diese letztere Aenderung erst nach Gluck's Abreise aus Paris und mit seiner ungern gegebenen Zustimmung erfolgte.
Am 16. December 1767 begrüßten die Wiener im Burgtheater »Alceste« zum ersten Male. Aber so Vollendetes die Vertreter der Hauptpartien: die Bernasconi als Alceste und der Tenorist Tibaldi als Admet, leisteten und sich mit der Größe ihrer Aufgaben gewachsen zeigten, zunächst war – wie schon beim Orpheus, der doch noch halb auf italienischem Boden stand – die Meinung über die neue Oper getheilt. Der für den Aufschwung des deutschen Schauspiels thätige Sonnenfels9 schrieb nach der ersten Vorstellung: »Ich befinde mich in dem Lande der Wunderwerke. Ein ernsthaftes Singspiel ohne Castraten, eine Musik ohne Solfeggien, oder, wie ich es lieber nennen möchte, ohne Gurgelei, ein welsches Gedicht ohne Schwulst und Flatterwitz! Mit diesem dreifachen Wunderwerke ist die Schaubühne nächst der Burg wieder eröffnet worden!« Andere hingegen spöttelten: »Gewiß ist es erbaulich, sich neun Tage lang ohne Schauspiel zu langweilen und am zehnten eine Seelenmesse hören zu müssen!« Oder: »Ich glaube gar, hier ist es auf Thränen abgesehen! Doch möglich daß ich welche vergieße – aus langer Weile!« – »Eine vortreffliche Ergötzung für seine zwei Gulden: eine Närrin, die für ihren Mann stirbt!« Diese und andere Witzeleien wurden im »adeligen Parterre« laut. Bald indeß erwarb sich das tiefernste erhabene Werk so zahlreiche Freunde, daß man zwei Jahre lang in Wien keine andere Oper zu hören und zu sehen verlangte.[220]
Hatte man den »Orpheus«, der zum guten Theil noch in Welschland seine Heimat hatte, wie es scheint noch nicht als den Anfang einer Reformation betrachtet, so bekannte sich »Alceste«, die bewußter und consequenter als er das vorgesteckte Ziel anstrebt, ausdrücklich als den ersten Versuch einer neuen Richtung. In der Zueignungsschrift an den Großherzog Leopold von Toscana, mit der Gluck die Veröffentlichung der Partitur (1769) begleitete, gab er die Grundsätze, die ihn beim Schaffen geleitet hatten, offen und deutlich vor aller Welt kund. Das epochemachende, in italienischer Sprache abgefaßte Document lautet in von d. Verf. gegebener deutscher Uebersetzung:
»Als ich es unternahm die Oper »Alceste« in Musik zu setzen, war es meine Absicht, alle die Mißbräuche zu vermeiden, welche übel angebrachte Eitelkeit der Sänger und allzugroße Nachgiebigkeit der Componisten in die italienische Oper eingeführt und damit das prächtigste und schönste Schauspiel zum langweiligsten und lächerlichsten herabgewürdigt haben. Ich bestrebte mich daher, die Musik auf ihre wahre Bestimmung zurückzuführen: nämlich der Poesie für den Ausdruck und die Situationen des Gegenstandes zu dienen, ohne die Handlung zu unterbrechen, oder sie durch unnütze, überflüssige Verzierungen abzuschwächen. Ich meinte, die Musik müsse für die Dichtung das sein, was für eine correcte, wohl angelegte Zeichnung die Lebendigkeit der Farben und der wohl vertheilte Contrast von Licht und Schatten sind, welche dazu dienen, die Gestalten zu beleben, ohne ihre Umrisse zu schädigen. Demnach habe ich den Darsteller weder im Feuer des Dialogs durch ein langweiliges Zwischenspiel unterbrechen, noch ihn mitten im Worte auf einem günstigen Vocal festhalten wollen, damit er entweder in einer langen Passage mit der Beweglichkeit[221] seiner schönen Stimme glänze oder abwarte, daß das Orchester ihm Zeit lasse, zu einer Cadenz Athem zu schöpfen. Ich glaubte nicht, über den zweiten Theil einer Arie, der vielleicht gerade der leidenschaftlichste und wichtigste ist, rasch hinweggehen zu sollen, um regelmäßig vier Mal die Worte des ersten zu wiederholen, oder die Arie da schließen lassen zu dürfen, wo vielleicht der Sinn nicht schließt, nur um dem Sänger zu gestatten, daß er seine Fertigkeit im Variiren einer Passage zeigen könne. Genug, ich versuchte alle jene Mißbräuche zu verbannen, gegen welche der gesunde Menschenverstand und die Vernunft sich seit Langem vergeblich auflehnen.
Ich bin der Meinung, daß die Ouverture die Zuhörer auf die darzustellende Handlung vorbereiten und gleichsam deren Inhaltsangabe bilden soll, daß die Verwendung der Instrumente je durch das Maß des Interesses und der Leidenschaft bedingt werde, und daß zwischen Arie und Recitativ kein zu großer Einschnitt im Dialog zu lassen sei, damit er nicht die Periode widersinnig verstümmele oder die Kraft und Wärme der Handlung zur Unzeit unterbreche.
Ferner glaubte ich, mich mit allen Kräften einer schönen Einfachheit befleißigen zu sollen; darum vermied ich es, auf Kosten der Klarheit mit Schwierigkeiten zu prunken. Ich habe nie auf irgend eine Neuerung Werth gelegt, dafern sie nicht durch Situation und Ausdruck auf natürliche Weise herbeigeführt war, und es giebt keine Regel, die ich nicht zu Gunsten der Wirkung gern opfern zu müssen geglaubt hätte.
Dies sind meine Grundsätze. Zum Glück ward meiner Absicht in wunderbarer Weise durch das Textbuch entsprochen, in welchem der berühmte Verfasser, indem er einen neuen dramatischen Plan ausführte, alle[222] blütenreichen Schilderungen, überflüssigen Gleichnisse und sentenziösen, kalten Sittensprüche durch die Sprache des Herzens, kraftvolle Leidenschaften, interessante Situationen und ein wechselreiches Schauspiel ersetzte. Der Erfolg hat meine Ansichten gerechtfertigt, und die allgemeine Billigung einer so aufgeklärten Stadt bekundet es deutlich, daß Einfachheit, Wahrheit und Natürlichkeit die großen Grundbedingungen des Schönen in allen Schöpfungen der Kunst sind.
Trotz alledem, ungeachtet der wiederholten Aufforderung der geachtetsten Personen, mich zur Veröffentlichung dieser meiner Oper durch den Druck zu entschließen, bin ich mir des ganzen Wagnisses meines Unternehmens bewußt, gegen so tief gewurzelte Vorurtheile anzukämpfen; und sehe mich genöthigt, mich mit dem mächtigen Schutz Euerer Königlichen Hoheit zu waffnen, indem ich um die Gunst bitte, Dero erhabenen Namen, welcher die Stimmen des erleuchteten Europa in sich vereinigt, diesem meinem Werke voransetzen zu dürfen. Der große Beschützer der schönen Künste, welcher über eine Nation herrscht, die den Ruhm hat, die Wiedererstehung derselben aus allgemeiner Unterdrückung herbeigeführt zu haben und von jeder derselben die größten Muster in einer Stadt aufzustellen, welche stets zuerst das Joch gemeiner Vorurtheile abwarf, um sich den Weg zur Vollendung zu bahnen: er allein kann die Reform dieses edlen Schauspiels unternehmen, an dem sämmtliche schöne Künste so großen Antheil haben. Gelingt dies, so wird mir der Ruhm, den ersten Anstoß dazu gegeben zu haben, sowie dieses öffentliche Zeugniß von Dero hoher Protection verbleiben, mit dem ich die Ehre habe, mich in tiefster Ehrfurcht zu nennen
Ew. Königl. Hoheit unterthänigst ergebenen Diener
Christoph Gluck.«
[223]
Da haben wir sein künstlerisches Glaubensbekenntniß! Und demselben getreu schuf er weiter. Das Jahr 1769 noch brachte ein neues Werk von ihm an die Oeffentlichkeit: die Oper »Paride ed Elena«. Nach den gleichen Principien wie »Orpheus« und »Alceste« geschaffen, wie diese und seine späteren großen Tragödien zu seinen Reformationsopern zählend, ist sie doch die mindest gekannte und geschätzte unter denselben geblieben. Von der Bühne ist sie längst verschwunden, während ihre älteren und jüngeren Geschwister im Repertoire der besseren Theater noch immer den Ehrenplatz behaupten, wenn sie auch nur als seltene Gäste willkommen geheißen werden. Der Stoff: die Entführung der Helena, bot dem Componisten weniger Gelegenheit, sein Genie zu bewähren. Wurde auch – worauf er in seiner Widmung hinweist – der Gegensatz der Persönlichkeiten und Volksstämme von seiner charakterisirenden Kunst ausgebeutet, ein tieferes dramatisches Interesse ließ schon der verkleidete Amor nicht aufkommen. Ein Fortschritt über die früheren Opern giebt sich allerdings nicht nur durch die festere musikalische Gliederung kund – so kehren Ouverturen-Motive hier zum ersten Mal im Verlauf der Oper wieder – er bezeugt sich auch dadurch, daß hier zuerst in einer Oper eine wirkliche Entwickelung der Charaktere versucht wird. Gleichwol, und so Reizvolles auch die warm empfundenen Liebesscenen, die Ensembles, Chöre und Ballets enthalten – an das großartige Gefüge der »Alceste« reicht »Paris« nimmer hinan. Nicht des Componisten, des Dichters, Calzabigi's, Schuld war es, wenn der Erstere hier nicht wie dort aus voller Tiefe schöpfen, wenn er, im Vergleich zu seinen übrigen Reformopern, hier weniger ein dramatisches Ganze, als einzelnes Schöne hervorbrachte, so daß er Manches dar aus zum Schmuck späterer Schöpfungen[224] verwerthete! Gluck selbst schien zu fürchten, daß das neue Werk im Vergleich zu dem ihm vorangegangenen den Kürzeren ziehen werde. »Hier«, sagt er vom »Paris« in Bezug auf »Alceste«, gleichsam entschuldigend, »wird man sicher ebensowenig die gleiche Kraft, die gleiche Energie in der Musik erwarten, als man von einem mit vollem Licht gemalten Bilde die gleiche Kraft des Helldunkels und die gleichen scharfen Gegensätze fordern würde, welche der Maler bei einem Gegenstande anwenden kann, der ihn zur Wahl eines gedämpften Lichtes veranlaßte.«
Auch dieser Oper gab er bei Herausgabe der Partitur (1770) ein ausführlicheres Widmungswort – es ist an den Herzog von Braganza gerichtet – auf den Weg. Und auch hier wiederum machte er den künstlerischen Ideen und Plänen, die ihm am Herzen lagen, Luft, während er zugleich einer gewissen Empfindlichkeit gegen Publicum, Kritik und Kunstgenossen das Wort läßt. So beginnt er denn auch:
»Weniger nach einem Beschützer als nach einem Richter verlangt mich, indem ich Ew. Hoheit diese meine neue Arbeit widme. Ein gegen die Vorurtheile der Gewohnheit geschützter Geist, hinreichende Kenntniß der erhabenen Grundlehren der Kunst, ein gleicherweise an hohen Vorbildern als an den unwandelbaren Grundlagen des Schönen und Wahren gebildeter Geschmack: das sind die Eigenschaften, die ich bei meinem Mäcen suche und in Ew. Hoheit vereinigt finde. Bei Herausgabe meiner »Alceste« leitete mich kein anderer Beweggrund als die Hoffnung, Nachfolger auf der nun eröffneten Bahn zu finden, welche, durch den Beifall eines aufgeklärten Publicums angeeifert, den Muth haben würden, die in das italienische Schauspiel eingeführten Mißbräuche abzuschaffen und dasselbe möglichst der Vollendung zuzuführen. Ich[225] beklage, dies bisher vergeblich angestrebt zu haben. Die Feinschmecker und Ueberklugen ohne Zahl, die das größte Hemmniß für den Fortschritt der Künste bilden, sind gegen eine Methode losgebrochen, welche, wenn sie Boden gewinnt, alle ihre Ansprüche auf Urtheil und Leistungsfähigkeit mit einem Mal vernichtet. Man hat geglaubt, nach ungeschickten, schlecht geleiteten und noch schlechter ausgeführten Proben ein Urtheil über »Alceste« abgeben zu können. Im Zimmer hat man die Wirkung berechnet, die sie im Theater hervorbringen könnte, mit ganz derselben Weisheit, mit der man einst in einer Stadt Griechenlands aus einer Entfernung von wenig Fuß über Statuen urtheilen wollte, die auf hohe Säulen zu stehen kommen sollten. Ein empfindliches Ohr hat vielleicht eine Cantilene zu rauh, eine Passage zu gewaltsam gefunden, ohne zu bedenken, daß gerade der schärfste Ausdruck hier am Platze war und den schönsten Gegensatz gewährte. Ein Ueberweiser benutzt eine absichtliche Nachlässigkeit oder vielleicht einen Druckfehler, um sie als unverzeihliche Sünde gegen die Mysterien der Harmonie zu verurtheilen, und einmüthig sitzt man dann über diese barbarische und überspannte Musik zu Gericht. Es ist wahr, man urtheilt mit dem gleichen Verständniß auch über andere Partituren, ja man urtheilt über sie fast mit der Sicherheit der Unfehlbarkeit. Je mehr man nach Wahrheit und Vollendung strebt, umsomehr sind Bestimmtheit und Genauigkeit von Nöthen. Unmerkbar fast sind die Züge, die Raphael von der Schar der Dutzendmaler unterscheiden; irgend eine Veränderung des Umrisses, welche die Aehnlichkeit einer Caricatur nicht zerstört, entstellt einen schönen Frauenkopf vollständig. Nur einer geringen Veränderung in der Weise des Ausdruckes bedarf es, um meine Arie im »Orpheus« »Che farò senza Euridice« (»Ach, ich habe sie verloren«)[226] in einen Marionetten-Tanz zu verwandeln. Eine mehr oder weniger gehaltene Note, eine vernachlässigte Verstärkung des Tempos oder der Stimme, ein Vorschlag am unrechten Ort, ein Triller, eine Passage, der kleinste Lauf können eine ganze Scene in einer solchen Oper verderben, während sie eine Oper gewöhnlicher Art nicht nur nicht schädigen, sondern verschönern. Darum ist die Gegenwart des Componisten bei der Ausführung derartiger Musik gewissermaßen ebenso nothwendig wie die Gegenwart der Sonne in den Werken der Natur. Er ist die Seele und das Leben derselben, und ohne ihn bleibt Alles in Verwirrung und Finsterniß. Doch man muß auf derlei Hindernisse gefaßt sein, so lange man auf dieser Welt und unter Menschen lebt, die sich, weil sie ein Paar Augen und Ohren, gleichviel was für welche, haben, berechtigt glauben, über die Kunst zu urtheilen. Die Manie, gerade von den Dingen sprechen zu wollen, die sie am wenigsten verstehen, ist zum Unglück ein nur zu gewöhnlicher Fehler der Menschen. Ja, einer der größten Philosophen dieses Jahrhunderts hat sich unlängst damit befaßt, über Musik zu schreiben und seine Orakelsprüche unter dem Titel: »Sogni di ciechi e fole di romanzi«10 zu Tage zu fördern.«
Nachdem sich Gluck weiterhin noch über den Stoff seines »Paris« verbreitet, schließt er folgendermaßen:
»Wenn man die Wahrheit sucht, muß man dem Gegenstande gerecht zu werden streben, den man unter den Händen hat; die größten Schönheiten der Melodie und der Harmonie werden zu Fehlern und Unvollkommenheiten, wenn sie nicht am rechten Orte sind. Ich hoffe, in Bezug auf die Absicht, die gewünschte Umwandlung in den Componisten hervorzubringen, von meinem[227] »Paris« keinen besseren Erfolg als von »Alceste«; vielmehr sehe ich hier immer größere Hindernisse voraus; gleichwol werde ich mich dadurch nicht von neuen Versuchen zum Besten meines guten Zweckes zurückhalten lassen. Erlange ich nur die Zustimmung Ew. Hoheit, so werde ich befriedigt ausrufen: Tolle Syparium; sufficit mihi unus Plato pro cuncto Populo!11
Und er hielt Wort. Weiter ging er, der Mann der That, auf dem begonnenen Wege. Er streute nebenhin noch einige leichte Gaben aus, gelegentliche Spenden, wie sie der Hofdienst forderte. Die musikalischen Feierlichkeiten bei Vermählung der Erzherzogin Amalia mit dem Infanten Joseph wurden mit den Festspielen: »Le feste d'Apollo«, »Bauci e Filemone« und »Aristeo«, die er in Parma 1769 persönlich leitete, auf Gluck's Kosten bestritten. Ein so emsiger Drang nach künstlerischer Bethätigung war in ihm mächtig, daß er sich keine sich ihm darbietende Gelegenheit versagen zu können schien. Wie hätte er sich sonst bei seinem unbeugsamen Willen und idealen Streben zu zeitweisen Concessionen, wie sie freilich seine Stellung und seine Beziehungen zum Hofe mit sich brachten, verstanden? Er war der Liebling des Hofes, wie er der Günstling des allmächtigen Kaunitz, der Freund der Dichter und Gelehrten und Künstler war. Sein Haus, in dessen Frieden er sich aus dem lauten Bühnengetreibe eine Zeit lang ganz zurückzog, war der Vereinigungspunkt der Gebildeten; alle durchreisenden Fremden von Rang und Bedeutung suchten Zutritt zu ihm. Um diese Zeit besuchte ihn Burney, der englische Musikhistoriker und Biograph Händel's, der ihn einen »Dichter, Maler und Musiker zugleich«, einen »Michel[228] Angelo in der Musik« nennt. Inzwischen aber feierte er nicht. Klopstock's Muse, in der er einen neuen Aufschwung der vaterländischen Dichtkunst freudig begrüßte, zog ihn an. Er setzte eine Reihe seiner Oden und einzelne Scenen der »Hermannsschlacht« im declamatorischen Stil in Musik, dabei, wie Herder sagt, »allenthalben auf Fittigen der Empfindung des Dichters schwebend.« Durch Händel's »Alexanderfest«, das er in Wien hörte, angeregt, beschäftigte ihn auch die Dramatisirung der demselben zu Grunde liegenden Dryden'schen Ode. Doch gab er sie wieder auf. Auf Größeres bereitete er sich vor. Es drängte ihn, das begonnene Reformationswerk fortzuführen und zu vollenden. So günstig man auch in Wien seine großen, auf völlig neuen Voraussetzungen beruhenden Schöpfungen aufgenommen, die, mit ihrem geistigen Gehalt und erhöhten allgemein menschlichen Empfindungsausdruck, statt der bisher üblichen, müßigen Augen- und Ohrenlust ein sich an das Mitgefühl des Hörers wendendes ernstes Kunstwerk darboten: in nächster Nähe des Meisters wurde doch auch fort und fort noch Widerspruch laut, und seinen Wiener Anhängern stand eine Gegenpartei mit Hasse und Metastasio an der Spitze gegenüber. Nicht so schnell auch, als er wol gehofft, fanden seine neuen Opern anderwärts Verbreitung. Insbesondere verhielt sich die norddeutsche Kritik, Agricola, Kirnberger, Forkel, gegen ihn feindlich; ja der Berliner Nicolai sprach nicht nur Gluck's »zweckwidriger« Musik die Wirkung, sondern ihm selbst allen »merklichen Einfluß auf den musikalischen Geschmack« in Wien dreist ab. Vermuthlich schon im Voraus gegen den kühnen Neuerer gestimmt, ließ Friedrich der Große sich von italienischen Sängern einige Arien aus »Orpheus« und »Alceste« im Concert vortragen. Ohne Ahnung oder Berücksichtigung dessen, daß Gluck's Opern einzig und[229] allein auf der Bühne ihre wahre Macht zu bekunden vermögen, war er darauf schnell mit dem Urtheil fertig, daß ihr Schöpfer »keinen Gesang habe und nichts vom großen Opern-Genre verstehe.« Von einer vollständigen scenischen Aufführung derselben wollte er nichts hören.
Enttäuscht durch solche Erfahrungen, klaren Blickes erkennend, daß Deutschland und Italien mit ihrem italienischen Opernabsolutismus ihm nicht einen genügend vorbereiteten Boden für Verwirklichung seiner Ideen darboten, richtete Gluck sein Augenmerk auf Frankreich. Lully's und Rameau's Oper, die dort die Bühne beherrschte, war mit ihrer Richtung auf das Dramatische, auf charakteristischen Ausdruck seinem Ideal verwandter; hatte sie doch selbst an der Entstehung desselben ohne Frage Antheil gehabt. Der schon durch Corneille und Racine allgemeiner gebildete Sinn für. Dramatik, die französische entwickeltere Schauspielkunst, der Ausschluß der Castraten von der Bühne, mit deren Verwendung sich seine Forderung dramatischer Wahrheit und scenischer Wirksamkeit je länger je weniger vertrug, stellten ihm auf der PariserAcadémie royale ein gedeihlicheres Wirken in Aussicht. In diesen seinen Ansichten wurde Gluck durch einen für Poesie und Musik lebhaft begeisterten Franzosen, Bailly du Rollet, der sich als Attaché der französischen Gesandtschaft in Wien aufhielt und ihn schon von Rom her kannte, nachdrücklich bestärkt. Mit Scharfsinn und Eifer auf die Ideen des Tonsetzers eingehend, schlug er ihm als geeignetes tragisches Gedicht Racine's »Iphigénie en Aulide« vor, an dessen Bearbeitung er mit seiner Zustimmung sofort Hand anlegte. Mit dem ihm eigenen Feuer ging auch der Componist an's Werk. Bald stand es vollendet vor seinem Geiste. Einige Scenen, die bereits auf das Papier gebracht worden waren, wurden in Gegenwart[230] des Dichters und mehrerer Kunstfreunde bei Hofe vorgetragen und ernteten großen Beifall.
Um Gluck nun den ersehnten Weg zur Pariser großen Oper zu bahnen, erließ du Rollet an einen der Directoren der Letzteren, d'Auvergne, im August 1772 ein Schreiben, darin er Gluck's Wunsch, die »Iphigenie« in Paris zur Aufführung zu bringen, mittheilt und nicht allein des Meisters Leistungen und Grundsätze rühmend hervorhebt, sondern zugleich klug betont, daß derselbe die französische Sprache und Musik der italienischen vorziehe und daß seine Composition von Racine's Dichtung »dem Geschmack der Franzosen völlig angemessen sei und nichts enthalte, was ihr Ohr fremdartig berühren könne.«
D'Auvergne beantwortete den Brief nur dadurch, daß er ihn im Octoberheft des »Mercure de France« abdrucken ließ. Damit war wenigstens die öffentliche Aufmerksamkeit auf Gluck und sein Werk gelenkt. Der Letztere selbst führte nun dadurch die Angelegenheit weiter, daß er seinerseits ein Schreiben an den Redacteur des »Mercure« richtete, das im Februarheft der Zeitschrift (1773) Aufnahme fand und u. A. die charakteristischen Worte enthält: »Wie groß auch das Talent des Componisten sei, er wird immer nur mittelmäßige Musik schaffen, wenn der Dichter in ihm nicht jene Begeisterung zu wecken vermag, ohne die alle Gebilde der Kunst matt und leblos erscheinen. Nachahmung der Natur ist das anerkannte Ziel, dem sie alle nachstreben müssen.« Bescheiden weist er hierbei einen Theil des ihm zugesprochenen Verdienstes dem Dichter zu, der ihn erst »in den Stand gesetzt habe, die Quellen seiner Kunst aufzudecken«, und wiederholt den Wunsch einer Pariser Aufführung seiner Oper. Indessen sandte du Rollet auf d'Auvergne's Begehr diesem den ersten Act der[231] »Iphigenie« ein und empfing nach erfolgter Durchsicht die Antwort: nur wenn Gluck sich verpflichte, für die Pariser Academie sechs derartige Opern zu liefern, könne er die Aufführung der »Iphigenie« betreiben – denn ein Werk wie sie schlüge alle bisherigen französischen Opern nieder.
Man mußte sich endlich nach einem anderen Beistand umsehen, und Gluck fand ihn in seiner ehemaligen Schülerin, der Dauphine Marie Antoinette. Die Kaiserin Maria Theresia und Joseph wurden seine Fürsprecher, und alsbald erging der bezügliche Befehl an die Directoren der Academie, und der deutsche Meister ward eingeladen nach Paris zu kommen und die Inscenirung seiner »Iphigenie« zu leiten.
Im Spätsommer 1773 traf Gluck mit Gattin und Nichte in der französischen Hauptstadt ein. Auch hier stieß er auf Hindernisse aller Art, zu deren Ueberwindung es der ganzen Energie seiner Natur bedurfte. In Parteiungen war auch hier die Schar der Musikfreunde und -Kenner gespaltet. Seit im Jahre 1752 eine Gesellschaft italienischer Buffo-Sänger nach Paris gekommen war und sich mit Pergolese's »Serva padrona« und anderen komischen Opern schnell ein Publicum gewonnen hatte, waren deren Anhänger unter dem Namen »Buffonisten« zu den Anhängern der französischen Nationaloper, den »Antibuffonisten«, in Gegensatz getreten. Der Streit entbrannte mit Heftigkeit und ward allabendlich im Opernsaale fortgesetzt. So weit trieb man sogar die Demonstration, daß sich das Parterre in zwei Theile theilte. Unter der Loge der Königin (au coin de la reine) hatte die italienische Partei ihren Platz, während die Fahnenträger Lully's und Rameau's unter der Loge des Königs (au coin du roi) Posto faßten. Schriftsteller mischten sich in den Kampf. Neben Grimm und Diderot trat auch Jean Jaques Rousseau auf die[232] Seite der Italiener. Höchste Entrüstung erregte er unter den Nationalen, als er nicht allein die Mängel der französischen Operschonungslos aufdeckte, sondern in seiner »Lettre sur la musique francaise« den Ausspruch wagte, daß die französische Sprache für Musik gänzlich untauglich sei.
Inzwischen hatte die Opera buffa, auch nachdem die sie vertretende italienische Gesellschaft auf Veranlassung ihrer Gegner Paris meiden mußte, eine heilsame Anregung hinterlassen. Eine neue Schule war erstanden, welche die Vorzüge des italienischen Gesangs mit den Forderungen des nationalen Geschmacks in Einklang zu bringen strebte. Monsigny, Philidor und vornehmlich der Belgier Gretry (1741–1813) hatten die französische komische Oper, die echte musikalisch-dramatische Repräsentantin des Nationalcharakters der Franzosen, ausgebildet. Einer ähnlichen Vervollkommnung harrte bisher noch die große Oper. Sie sollte ihr durch Gluck, der, von der italienischen Schule her kommend, dem dramatischen Gesang Freiheit und Schönheit, der Ausdruckswahrheit Idealität zu verleihen verstand, zu Theil werden. In »Iphigenie« erscheint die Aufgabe gelöst. Zugleich vergegenwärtigt sie einen entschiedenen Fortschritt über die ihr vorausgegangenen Opern des Künstlers. Hier haben wir Charaktere und Leidenschaften, Handlung und dramatische Conflicte, und mit der lebendigeren dramatischen Haltung hängt auch die reichere musikalische Gliederung des Ganzen, die weitere Entwickelung von Ensemblesätzen zusammen. Dem nationalen Geschmack der Franzosen, für deren Bühne das Werk bestimmt war, ist selbstredend bei aller Selbständigkeit im Einzelnen, sowol durch breitere Ausdehnung des Ballets als durch declamatorische Behandlung der Sprache, durch scharfe Rhythmisirung und Accentuirung Rechnung getragen. In der Richtung auf den charakteristischen[233] Ausdruck begegnet er sich ohnehin mit den Franzosen und verhilft demselben namentlich im Recitativ zu seinem Rechte, das in der durch ihn erfahrenen großartigen Ausbildung nun an Stelle der in der französischen Oper gewohnten »Psalmodien« tritt. In ihrer schlichten, hohen, poesieerfüllten Wahrheit spiegelt Gluck's Musik, trotz Racine's Französirung der Euripideischen Tragödie, wie der Philologe Otto Jahn sagt12, den idealen Geist der antiken Kunst, der dem französischen Dichter fern lag, wieder; auch hier läßt er seinen poetischen Bundesgenossen weit hinter dem Fluge seines Genius zurück.
Hinein zwischen die streitenden Parteien, deren jede ihn als Gegner und fremden Eindringling betrachtete, trat nun der deutsche Tonkünstler mit seinem Werke. Nur von der Einen, Mächtigen, die ihn gerufen, behütet und vertreten, durfte er sich auf Widerstand von allen Seiten gefaßt machen. Und gleich beim Einstudiren der »Iphigenie« zeigten sich Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Am empfindlichsten war ihm die »barbarische Beschaffenheit« des französischen Gesanges, die gänzlich ungenügende Bildung der Sänger und Sängerinnen. Mit unsäglicher Mühe mußte er Solisten, Choristen und sogar Instrumentalisten erst allmälig zur Höhe ihrer Aufgabe emporziehen. Er allein konnte ja Alles erklären und beleben, Allem Wärme und Licht ertheilen. Denn gerade bei Gluck's Werken, sagt Berlioz, »unterscheidet sich nichts mehr von der vom Componisten geträumten Darstellung als eine gewisse treue, aber flache Aufführung, welche sich blos auf die Wiedergabe der vorgeschriebenen Noten beschränkt. Einer unbedingten Treue im Gesang, im Rhythmus, in den Accenten, kurz in Allem, muß sich außerdem eine gewisse Weise des[234] Melodienvortrags, eine sorgsame Vertheilung der Schattirungen, eine Betonung der Worte zugesellen, derart, daß ohne diese Eigenschaften die göttliche Blüte des Ausdrucks, welcher diese Schöpfungen so ergreifend macht, Farbe und Geruch einbüßt und das Werk selbst erstirbt. – Ich habe einer Vorstellung der »Iphigenie in Tauris« in Prag beigewohnt, von welcher ich die Cholera bekommen hätte, wenn ich nicht zuletzt herzlich darüber hätte lachen müssen. Die Ausstattung war des Uebrigen würdig. Das Schiff, welches am Schlusse Orest und seine Schwester besteigen, um nach Griechenland zurückzukehren, war mit einer dreifachen Kanonenreihe besetzt. – Wahrlich, Gluck hatte recht, wenn er seine Gegenwart bei den Proben seiner Opern für ebenso unerläßlich hielt, als die Sonne es für die Schöpfung ist. Aber er hatte auch viel auszustehen. Die Dolmetscher seiner Werke stellten seine Geduld auf harte Proben, sodaß er einmal in bitterem Scherze meinte, daß, wenn er für die Composition einer Oper 20 Livres verlange, er für das Einstudiren 20000 fordern dürfe. Sogar mit dem Ballet und dessen Hauptvertreter, dem berühmten Vestris, gab es Kämpfe. Er, »le dieu (oder wie er sich nannte le »diou«) de la danse« wollte seiner Kunst einen hervorragenderen Antheil an der Oper angewiesen sehen. Der Stellen, wo ihre Mitwirkung dramatisch zulässig war, schienen ihm zu wenige, obwol Gluck das Mögliche gethan hatte. »So tanzt im Himmel, wenn Ihr der Gott des Tanzes seid, nur nicht in meiner Oper!« herrschte ihn der Componist am Ende an, als er noch immer keine Ruhe geben wollte. Dann begehrte er allen Ernstes, die »Iphigenie« mit einer Chaconne zu schließen. »Einer Chaconne?« rief entrüstet der Meister, »haben die Griechen Chaconne getanzt?« »Nein, es ist wahr!« lautete die[235] Antwort; »aber meiner Treu, desto schlimmer für sie!« – Schließlich wagt er es gar, zu behaupten, daß man nach Gluck's Balletmusik nicht tanzen könne. Er muß auf Marie Antoinette's Befehl den Ritter Gluck um Verzeihung bitten. Aber kaum erblickt dieser, der groß und stark war, den kleinen Mann, als er ihn unter den Armen faßt und, eine Ballet-Melodie aus »Iphigenie« trällernd, wol oder übel dazu im Zimmer umher springen läßt. »Sehen Sie wol«, spottet er endlich, nachdem er ihn athemlos auf einen Stuhl fallen ließ, »sehen Sie wol, daß meine Ballet-Musik tanzbar ist?«
Endlich wurde der 13. Februar 1774 zur ersten Aufführung der »Iphigenie in Aulis« festgesetzt. Der Tag kam heran; da meldet sich Legros, der erste Sänger, krank; seine Rolle soll von einem Andern gesungen werden. Gluck, der mit Recht die allzeitig geschäftige Cabale dahinter vermuthet, fordert den Aufschub der Vorstellung. Das sei unmöglich, erwidert die Direction, da das Stück bereits bei Hofe und öffentlich angekündigt und eine Verschiebung unter derartigen Umständen ohne Beispiel sei. Nichtsdestoweniger erklärt Gluck in seiner unerschütterlichen Weise, lieber werfe er seine Partitur in's Feuer als daß er in eine verstümmelte Vorstellung willige. Was blieb übrig? Man meldet seine Weigerung bei Hofe, und die Aufführung wird aufgeschoben.
Nie hatte man in Paris ein Werk mit größerer Ungeduld erwartet. »Seit mehr als vierzehn Tagen«, schreibt Grimm13, »denkt und träumt man nichts als von der neuen Musik. Sie ist der Brennpunkt aller Streitigkeiten und Erörterungen in den Pariser Kreisen, ja es[236] scheint lächerlich, für etwas Anderes Theilnahme zu äußern.« Der Erfolg der ersten Aufführung am 19. April war getheilt; Vieles wurde mit rauschendem Beifall, Anderes kalt hingenommen. Gleichwol berichtet Marie Antoinette an ihre Schwester Marie Christine: »Endlich ein großer Triumph. Am 19. hatten wir die erste Vorstellung der »Iphigenie« von Gluck. Ich war von derselben hingerissen. Man kann nicht mehr von etwas Anderem reden; es herrscht in allen Köpfen in Folge dieses Ereignisses eine Gährung, die so außerordentlich ist, als Sie sich nur vorstellen können. Es ist unglaublich, man entzweit, man bekämpft sich, als ob es sich um eine religiöse Angelegenheit handelte. Es giebt am Hofe, obgleich ich mich öffentlich zu Gunsten dieses genialen Werkes ausgesprochen habe, Parteien und Auseinandersetzungen von einer besonderen Lebhaftigkeit; in der Stadt geht es, wie es scheint, noch ärger zu« u.s.w. Erst bei der zweiten Aufführung war Gluck's Sieg entschieden. Der zu erwartende Widerspruch der allem Fortschritt abholden Anhänger Lully's und Rameau's, wie der Italiener andererseits, blieb natürlich nicht aus, obwol der Standpunkt Beider jetzt bereits thatsächlich ein durch Gluck überwundener war. Hüben und drüben währte der Streit fort – nur Rousseau bekannte sich als besiegt; er widerrief sein einstiges Wort von dem unmusikalischen Wesen der französischen Sprache und zählte fortan zu Gluck's aufrichtigsten Bewunderern. Die Melodie, sagt er von ihm, strömt ihm aus allen Poren. Die gegnerischen Aeußerungen, die im Uebrigen gegen die Sache des deutschen Meisters laut wurden, waren seinen Erfolgen nur günstig, insofern sie das Interesse an ihm lebendig erhielten. Dazu erstanden ihm mehrere eifrige journalistische Vertreter, die, wie Abbé Arnaud, bereitwillig für ihn in's Feuer gingen. »O über die eitlen Bemühungen!« ruft Letzterer[237] prophetisch aus. »Häuft nur, Ihr geistreichen Leute, Eure Bemerkungen, baut Theorien, gebt Gesetze; ein Mann von Genie wird kommen, wie ein brausender Strom Eure Dämme überschwemmen, mit sich fortreißen und alle Gesetze und Gesetzgeber auf immer zerstreuen!«
Nicht mit Unrecht hatten die Directoren der Academie erklärt, nur wenn Gluck sechs Opern schreiben wolle lasse sich auf ein erwünschtes Ergebniß rechnen. Um den Erfolg des Autors dauernd sicher zu stellen, erwies es sich räthlich, der »Iphigenie« noch weitere Werke seiner Feder nachzuschicken. Mit Entzücken hörten die Pariser am 2. August desselben Jahres den für die große Oper eigens umgearbeiteten »Orpheus«, in dem die Hauptdarsteller der »Iphigenie«, Mlle. Arnould und Legros, neue Triumphe feierten. Auch die Operette »L'arbre enchanté« wurde wieder hervorgesucht und gelegentlich eines Erzherzog Maximilian zu Ehren gegebenen Hoffestes in Versailles am 27. Februar 1775 an's Licht gebracht. Dabei sorgte man durch Wiederholungen, daß »Iphigenie« nicht in Vergessenheit gerieth; hatten doch die ersten vierzehn Vorstellungen einen Ertrag von 70818 Livres für die Direction ergeben. Gluck selbst empfing für die Oper wie für jede folgende ein Honorar von 20000 Livres. Außerdem war ihm bei Aufführung von drei Opern eine lebenslängliche Pension von 1000 Livres zugesichert, die sich bei weiteren Werken entsprechend steigern sollte.
Sein Ansehen war mittlerweile derart gestiegen, daß man kaum einen andern Musiker neben ihm zu nennen wagte. War doch neuerdings selbst Voltaire, das Orakel der Franzosen, für ihn eingetreten. Begeisterung für seine Musik, Verehrung für seine Person wurden ihm immer rückhaltloser dargebracht. Man drängte sich sogar – ein bei der Pariser Oper beispielloser Fall – in solchen Scharen zu den Proben seiner Opern, daß Tausende zurückgewiesen[238] werden mußten. Fürsten und Vornehme beeiferten sich, um ihm, wenn er den Tactstock niederlegte, Ueberrock oder Perrücke zu reichen; denn der 60jährige Künstler pflegte sich's während der Probe möglichst bequem zu machen und nur eine leichte Kopfbedeckung zu tragen. In der auszeichnenden Weise, mit der sie ihm begegnete, ging Marie Antoinette, deren Gast (laut dem Tagebuch der Prinzessin von Lamballe14 Gluck in Paris war, Allen voran. Sie sah ihn häufig bei sich und ließ sich selbst während ihrer Toilette, bei der er stets Zutritt hatte, gern von ihm aufwarten. Seine Gesellschaft war allseitig begehrt, und als geehrt und bevorzugt galten die, welche sich derselben erfreuen durften. So wußte ihn besonders Gräfin Genlis, die geistreiche Schriftstellerin, zu fesseln. Allwöchentlich machte er mit Monsigny und anderen Tonkünstlern zwei- bis dreimal bei ihr Musik. »Ohne Stimme und ohne Fingerfertigkeit«, sagt sie, »war er doch hinreißend, wenn er seine schönen Arien am Clavier sang.« Auch lehrte er ihr dieselben singen und seine Ouverturen auf der Harfe spielen. Er war, so launig und humoristisch er sein konnte und so lebhaft und feurig sein Naturell war, selbst seinen Freunden gegenüber förmlichen, höfischen Wesens; sobald er aber am Flügel saß, war er ganz Musiker. Mit Vorliebe sprach er von Musik, zumal von der eigenen. Noch als 71jähriger Greis gerieth er bis zum Weinen in Leidenschaft und Feuer, als die Rede auf seine Opern kam; war er doch auch bei der Arbeit so ganz von seinem Gegenstand erfüllt, daß er Schlafen und Essen vergaß und des Nachts aus dem Bette, beim Speisen von der Tafel aufstand, um seine Gedanken niederzuschreiben.[239] Wie sein und geistvoll er über das Wesen der Ton- und Dichtkunst nachgedacht und von jedem poetischen Motiv seiner Opern im Einzelnsten Rechenschaft zu geben verstand, darüber belehren uns die interessanten Aufzeichnungen von Aeußerungen des Meisters, die Corancy veröffentlichte.15 So spielte er einmal die berühmte Scene des Orestes aus der taurischen Iphigenie »Le calme rentre dans mon coeur«. Einer der Anwesenden bemerkte dem Componisten, daß die unruhig fortarbeitenden Bässe mit diesem Text in Widerspruch ständen. »Orest ist ruhig«, meinte er, »wie er selbst auch sagt.« »Er lügt, er lügt«, rief Gluck mit Lebhaftigkeit aus. »Er hat seine Mutter ermordet!« Durch Corancy hören wir auch Gluck sich über seine Schaffensweise aussprechen: »Ehe ich arbeite, suche ich vor allen Dingen zu vergessen, daß ich Musiker bin. Ich vergesse mich selber, um nur meine Personen zu sehen. – Zuerst gehe ich jeden Act einzeln durch, sodann das ganze Stück. Den Plan der Composition entwerfe ich immer, wenn ich mitten im Parterre sitze. Bin ich einmal mit der Composition des Ganzen und mit der Charakteristik der Hauptpersonen im Reinen, so betrachte ich die Oper als fertig, obgleich ich noch keine Note niedergeschrieben habe. Diese Vorbereitung kostet mich aber auch gewöhnlich ein ganzes Jahr und zieht mir nicht selten eine schwere Krankheit zu.«
Die Vorbereitung neuer Thaten führte den Künstler, den Maria Theresia inzwischen (im October 1774) zu ihrem Kammer-Compositeur ernannt hatte, im Frühjahr 1775 nach Wien zurück. Auf der Reise dahin, in Straßburg, lernte er seinen Lieblingsdichter Klopstock kennen und befreundete sich mit ihm. Von Wien aus sandte er eine neu aufgeputzte ältere Operette »La[240] Cythère assiégée«, den Parisern ein. Sie konnte nach den vorausgegangenen großen Werken nicht gefallen. Selbst sein Freund Arnaud mußte eingestehen, daß »Herkules sich besser auf die Keule als auf Omphale's Spinnrocken verstehe.« Nun mußte Gluck auf bessere Erfolge bedacht sein. Zwei Aufträge von der Pariser Academie hatte er mit in die deutsche Heimat genommen: er sollte zwei alte Operngedichte Quinault's, »Roland« und »Armide«, in Musik setzen. Eben war er mit der Arbeit daran, sowie mit einer Umgestaltung der »Alceste« für Frankreich beschäftigt, da erfuhr er, daß gleichzeitig mit ihm auch Piccini den Auftrag zur Composition des »Roland« erhalten hatte. Die welsche Partei war beflissen, ihm mit dem angesehensten derzeitigen italienischen Operncomponisten einen Rivalen aufzustellen, der, um Marie Antoinette und ihrem Schützling Widerpart zu leisten, durch die Geliebte des Königs, Gräfin du Barry, schon früher hierzu ausersehen war. Bitter beschwerte sich Gluck, der die Anfänge seines »Roland« sofort verbrannte, in einem Briefe an du Rollet über die ihm angethane Beleidigung, indem er sich zugleich zu einem Angriff auf seinen Gegner herbeiließ. Die Veröffentlichung dieses Schreibens in der »Année litteraire« vom Jahre 1776 gab das Signal zum Ausbruch eines Kampfes, wie er mit ähnlicher Leidenschaft wol nie in künstlerischen Fragen entbrannte. Als »Gluckisten« und »Piccinisten« standen sich jetzt die Parteien gegenüber, und nicht nur die Kritiker derselben bekriegten sich in Epigrammen, Journalartikeln und Flugschriften in heftigster Weise, auch das Publicum, die höchsten Kreise französischer Literatur und Gesellschaft, die königliche Familie selbst sah sich hinein gezogen in das fanatische Treiben. Im Lager der Gluckisten führten Arnaud und[241] Suard, der Anonymus von Vaugirard16, die ersten Stimmen; auch mischte Gluck selber sich mehrfach in die journalistische Polemik. Die Gegner hatten in Marmontel und Laharpe ihre vornehmsten Vertreter.
Erst im December 1776 langte Piccini in Paris an; Gluck war bereits im Februar dort wieder eingetroffen. Am 23. April dirigirte er seine »Alceste«. Sie fiel durch und wurde ausgezischt. In Verzweiflung stürzte der Meister aus dem Opernhause und warf sich, Thränen in den Augen, einem ihm begegnenden Freunde mit den Worten in die Arme: »Alceste est tombée!« »Oui«, lautete die Antwort, »mais elle est tombée du ciel!«17 Zu Corancy äußerte er dann mit dem ihm eigenen Vollgefühl für den Werth seiner Schöpfungen: »Alceste gefällt vielleicht jetzt in ihrer Neuheit nicht. Es war für sie noch nicht der rechte Zeitpunkt gekommen; ich behaupte aber, daß sie in zweihundert Jahren, wenn die französische Sprache sich nicht etwa verändert hat, gefallen werde: denn ich bin überzeugt, daß sie mit allen Grundgesetzen der Natur übereinstimmt, die keiner Mode unterworfen sind.« Wie in Wien so gewann sich die Oper in der That auch in Paris bald ihr Publicum, wenn gleich »Iphigenie« und »Orpheus« in der Gunst der Franzosen dauernd den höheren Platz behaupteten. Ein Jahr darauf warb auch »Armida« um den Preis.
»Vraiment, Madame, ce sera superbe!« hatte Gluck der Königin Marie Antoinette erwidert, als sie ihn einst in ihrer theilnehmenden Weise nach seiner Arbeit an »Armida« fragte. Gedachte er doch auch mit ihr, wie[242] die Prinzessin Lamballe erzählt, der Schönheit seiner hohen Gönnerin eine Huldigung darzubringen. »Ich habe«, schreibt er in dem vorerwähnten Briefe an du Rollet, »das Wenige, was mir von Kraft noch übrig blieb, verwendet, um »Armida« zu vollenden. Ich habe gestrebt, hier mehr Maler und Dichter denn Musiker zu sein. Ich gestehe, daß ich mit dieser Oper gern meine Laufbahn beschließen werde. Freilich wird das Publicum mindestens eben so viel Zeit brauchen, sie zu verstehen, als es bedurfte, um »Alceste« zu begreifen. Es ist eine Art Feinheit in der »Armida«, die man in »Alceste« nicht findet: denn es ist mir gelungen, die Personen so sprechen zu lassen, daß man an ihrer Ausdrucksweise sogleich erkennt, ob Armida oder eine andere spricht.«
Auf völlig verändertem Stoffgebiet bewegt sich Gluck in der »Armida«. Vom classischen Alterthum, dem Gegenstand und Charaktere seiner anderen Opern entnommen sind, ging er hier in das Bereich mittelalterlicher Romantik, zu Tasso's »befreitem Jerusalem« über. Doch heimischer als in der romantischen Atmosphäre ist sein Genius in der classischen Welt. Für das Phantastische, Zauberhafte ist seine Weise zu pathetisch feierlich, für den Ausdruck sinnlichen Liebesspiels zu keusch und gemessen; obwol er selber meinte, wenn er der ewigen Seligkeit verlustig gehe, so müsse es wegen der sinnlichen Glut dieser Liebesscene sein. Auf einen vertieften Hintergrund, von dem das Originalgedicht keine Ahnung hatte, aber hob er den Charakter seiner Heldin empor. Nicht das liebende Weib, sondern die zaubermächtige Herrscherin, die mit übernatürlichen Kräften ausgestattete Gebieterin der Dämonen sehen wir vor uns im Kampf mit der Leidenschaft, die in Selbstvernichtung endet. Die dämonische Größe dieser Gestalt ist Gluck's Werk und[243] das, was seiner Natur im vorliegenden Stoff ferner lag. Sie bringt, als Mittelpunkt und Halt des Ganzen, auch den Hörer über dessen loses, nicht eben organisches Gefüge, wie über die leeren Ausstattungseffecte, mit denen es sich befaßt, hinweg. In so wechselnde Beleuchtung die Gestalt Armidens auch gerückt erscheint (man vergegenwärtige sich nur die Scene mit dem Dolch, die Beschwörungs-, die Liebes- und die letzte Verzweiflungsscene!), ihre plastischen Umrisse bezeugen, daß der »Bildhauer in der Musik« sie gebildet.
Der Erfolg, dessen Gluck bei seinem neuen Werk so sicher zu sein glaubte, erfüllte sich für's Erste nicht. Bei seiner ersten Aufführung am 23. September 1777 nahmen es die Pariser, mit Ausnahme eines Chors im ersten Act, der Scene des Hasses im dritten, einiger Arien im vierten und der Liebesscene im fünften, äußerst lau auf. Schon daß er nach dem von Lully behandelten Sujet gegriffen, ward ihm zum Vorwurf gemacht. Heftige Angriffe und Entgegnungen wechselten auf's Neue in der Presse ab. Erst allmälig machte »Armida« Fortschritte in der Gunst des Publicums.
Nunmehr sollte auch Piccini's erste öffentliche Lebensäußerung: seine Oper »Roland«, an die Reihe kommen. Sie hatte ihm schwere Mühe gekostet. Dem der französischen Sprache ganz Unkundigen mußte Marmontel, sein Dichter, das täglich in Musik umzusetzende Textpensum durch umständlichste Bezeichnung des Wortsinns, der Accente u. dergl. erst mundrecht machen. Darüber war nahezu ein Jahr vergangen – eine lange Zeit für den italischen Maestro, dem die Töne zu den Lauten seiner Muttersprache so leicht und natürlich von den Lippen flossen, daß er selber gegen Gluck aussprach, seine hundert und mehr Opern hätten nur einen geringen Mühe aufwand erfordert. Zu dem Erfolg der ungewohnten[244] beschwerlichen Arbeit aber hatte er selbst kein Zutrauen. Ohnehin sah sich der friedliebende, bequeme Mann, der sich in Paris so unbehaglich wie möglich fühlte, ungern zum Mittelpunkt eines leidenschaftlichen Parteikampfes gemacht. Er verkehrte freundlich mit Gluck, der seinerseits auch ihm gegenüber seine gewohnte Gerechtigkeit bewahrte und das eigene hohe Ansehen, das er genoß, bei Leitung der Proben des »Roland« zu Gunsten seines Gegners geltend machte. Verzagt und verzweifelt wohnte Piccini den stürmisch und lärmend verlaufenden Proben bei. »Tutto va male!« wiederholte er immer wieder mit kummervoll gen Himmel gerichtetem Blick und nahm den Trost und Zuspruch seiner Freunde ohne Unterlaß in Anspruch. Ihm selbst am unerwartetsten jedoch fand sein Werk bei der ersten Aufführung im Januar 1778 großen Beifall, den er Gluck's sieggewohnter Führerschaft in erster Linie zu danken hatte.
So großmüthig erwies sich der herrliche deutsche Meister seinem kleinmüthigen italienischen Rivalen gegenüber! Groß und edel, wie seine Werke, so war er selbst. Bereitwillig leistete er seinen Kunstgenossen Beistand; Salieri und Méhul half er Laufbahn und Ruhm begründen; Wohlthaten ohne Zahl übten er und seine Frau in der Stille bis an's Ende. Der Name, die Glücksgüter, die er sich erworben, sollten auch seinen Mitmenschen zu Gute kommen. Und der Himmel hatte seine Arbeit auch mit äußerem Erfolg reich gesegnet. Zu den 2000 Gulden, die er als k.k. Hofcompositeur alljährlich bezog, hatte der König von Frankreich ein jährliches Einkommen von 3000 Livres gefügt. Dazu der reiche Ertrag seiner Opern und das Vermögen seiner Frau; genug, er erfreute sich des behaglichsten Wohlstandes. Die Erbin desselben, seine talentvolle geliebte Nichte und Adoptivtochter Marianne, freilich ward ihm leider durch den Tod entrissen.[245] Als er in Paris die Aufführung seiner »Alceste« vorbereitete, starb sie in erster Jugendblüte daheim in Wien, wo er sie leidend zurückgelassen hatte. Schwer trug er an ihrem Verlust, die er in einem Brief an Wieland seine einzige Hoffnung, seinen Trost und die Seele seiner Arbeiten nennt und deren Gedächtniß er in einer Tonschöpfung, für welche er sich Wieland zum Dichter ausersehen hatte, zu feiern gedachte. Sein Plan blieb unausgeführt. Wieland entgegnete ihm: »Ich habe Augenblicke, wo ich eifrig wünsche, ein lyrisches Werk hervorbringen zu können, das werth wäre, von Gluck Leben und Unsterblichkeit zu empfangen. Zuweilen ist mir auch, als könnte ich es. Aber dies ist nur ein vorübergehendes Gefühl, nicht Stimme des Genius. – Ja, wenn ich neben Ihnen, unter Ihren Augen, von Ihrem Feuer erwärmt, von Ihrer Allgewalt über alle Kräfte der Musik ergriffen, arbeiten könnte!« So dachte Wieland von Gluck, der uns, wie er an anderer Stelle18 sagt, »gezeigt hat, was die Musik thun könnte, wenn in diesen unseren Tagen irgendwo in Europa ein Athen wäre, und in diesem Athen ein Perikles aufträte, der für das Singspiel thun wollte, was jener für die Tragödien des Sophokles und Euripides that.« Auch Herder spricht in Bezug auf Gluck aus: »Der Fortgang des Jahrhunderts wird uns auf einen Mann führen, der – diesen Trödlerkram werthloser Töne verachtend – die Nothwendigkeit einer innigen Verknüpfung rein menschlicher Empfindungen und der Fabel selbst mit seinen Tönen einsah. Von jener Herrscherhöhe, auf welcher sich der gemeine Musikus brüstet, daß die Poesie seiner Kunst diene, stieg er hinab und ließ, so weit es der Geschmack[246] der Nation, für die er in Tönen dichtete, zuließ, den Worten, der Empfindung, der Handlung selbst seine Töne nur dienen. Er hat Nacheiferer, und vielleicht eifert ihm bald Jemand vor: daß er nämlich die ganze Bude des zerschnittenen und zerfetzten Opern-Klingklangs umwirft und ein Odeum aufrichtet, ein zusammenhangend lyrisches Gebäude, in welchem Poesie, Musik, Action, Decoration Eins sind.«19 Konnten solche Stimmen dem Meister nicht dafür Ersatz gewähren, daß seine Werke, dem raschen Erfolg in Frankreich gegenüber, in Deutschland – Wien ausgenommen – zuvörderst geringe Anerkennung fanden und die kleinen Geister sich eifernd an ihn, den großen, heranwagten?
Nach Wien hatte sich Gluck zurückgezogen, um für Vollendung eines neuen Werkes die nöthige Ruhe zu gewinnen. Er brachte am 30. November 1778, von seiner Gattin begleitet, die fertige Partitur der »Iphigenie in Tauris« nach Paris und widmete sich alsbald den beginnenden Proben. Als Text hatte ihm Guillard's Bearbeitung einer Dichtung von Guimond de la Touche gedient, welcher wiederum des Euripides Tragödie zu Grunde lag, und derselbe überbot an Einfachheit, Schlagfertigkeit und musikalischer Verwendbarkeit sämmtliche früher von Gluck benutzten Operntexte. Aus ihm gestaltete nun der Meister sein meisterlichstes Werk. Diesmal verstummten gleich beim ersten öffentlichen Erscheinen der hehren Schöpfung – es war am 18. Mai 1779 – Dank deren Uebermacht, Widerspruch und Cabale. Man war entzückt, hingerissen von dieser »heiligen Musik«, wie Herder sie nannte. Selbst Grimm, der bereitwillige Wortführer der Piccinisten, konnte nicht umhin zu bekennen: »Ich weiß nicht, ob das Musik ist. Vielleicht[247] aber ist es etwas noch weit Besseres. Ich vergesse, daß ich in der Oper bin, und glaube mich in einer griechischen Tragödie.« Gluck hatte sich in Wahrheit, wenn nicht schon in seinen früheren Musikdramen, so entschieden mit diesem an die Seite der griechischen Tragiker gestellt. Der Geist der Antike war durch ihn wieder auferweckt worden in all seiner schlichten Größe und Wahrhaftigkeit, und was man einst bei Schöpfung der Oper gewollt, das war nun nach zwei Jahrhunderten zu herrlicher Erfüllung gekommen.
Die Reformation der Oper in seinem Sinne sah Gluck nun vollendet; seine Arbeit war vollbracht, nun begehrte er nach Ruhe. Ein kleineres Werk »Echo et Narcisse« noch gab er am 21. September 1779 den Parisern; es ging ohne sonderliche Wirkung vorüber. Aus dem unruhvollen Treiben der Seinestadt zog es ihn jetzt nach seinem lieben Wien zurück. Er ließ Gluckisten und Piccinisten ihre Kämpfe weiter fechten und sah aus der Ferne dem traurigen Schiffbruch zu, den Piccini mit seiner »Iphigenie in Tauris« (im Januar 1781) litt, während seine eigene gleichnamige Oper am 2. April 1782 ihre 151 ste Vorstellung erlebte und allein an diesem Abend einen Ertrag von 15125 Livres ergab. Sie blieb die Lieblingsoper der Franzosen, und ihrer Königin Marie Antoinette, seiner edlen Gönnerin, widmete Gluck die Partitur. Auch in Deutschland, wo Wien sie am 23. October 1781, Berlin am 24. Februar 1795 zum ersten Male sah, hat sich die taurische Iphigenie immer in besonderer Gunst erhalten.
Die Hoffnung der Pariser, noch mit einem Werke Gluck's beschenkt zu werden, erwies sich als eitel. Er lehnte die ihm angetragene Ausführung der Oper »Die Danaiden« ab und brachte statt seiner Salieri dafür in Vorschlag, der unter seiner Leitung die Composition vollendete.[248] Mit besonderer Liebe beschäftigte er sich noch in seinen letzten Jahren mit einem schon früher begonnenen Werke: Klopstock's »Hermannsschlacht«, die er als seine höchste Aufgabe ansah und mit der er, wie er dem Dichter schrieb, seine musikalischen Arbeiten zu beschließen gedachte. Einzelne Gesänge daraus, die »fast ganz declamatorisch, selten nur melodisch« gehalten waren, trug er dem ihn besuchenden Berliner Capellmeister Reichardt im Sommer 1783 mit schwacher rauher Stimme am Clavier vor. Dazwischen ahmte er mehrmals den Klang der Hörner und den Ruf der Fechtenden hinter ihren Schilden nach. Dann unterbrach er sich, um zu bemerken, daß er zu dem Gesange noch ein eigenes Instrument erfinden müsse. Er verjüngte sich völlig in der Begeisterung, und die Thränen liefen ihm über die Wangen herab. Alle Gesänge fast, selbst die Hauptchöre waren im Geiste fertig, aber er brachte sie bei seiner Schreibscheu und der Gewohnheit, Alles im Kopfe erst auszugestalten, nicht auf das Papier. Hauptgedanken zwar soll er notirt haben, aber in so flüchtigen Zügen, daß Niemand als er selbst sie entziffern konnte. Als ihn im Jahre 1784 ein wiederholter Schlaganfall traf, der ihn schon beim ersten Mal des Gebrauches des rechten Armes und Beines beraubte, mußte, obwol ihn Mineralbäder und eine sorglichst geregelte Lebensweise ziemlich wieder herstellten, jegliche Arbeit ruhen. Nach seinem Tode wurden die Aufzeichnungen nicht aufgefunden. Seine Lieblingsschöpfung nahm er mit sich in's Grab; denn als er in seinen letzten Tagen Salieri Einiges daraus zu dictiren versuchte, hinderte die Besorgniß seiner treuen, ihn immerdar mit ihrer Liebe behütenden Gattin und der Einspruch des Arztes die Ausführung dessen.
Kurz vor seinem Tode übergab Gluck Salieri eine Kirchencomposition, ein De profundis (Marx setzt es in[249] die Zeit nach der taurischen Iphigenie), um es der Sammlung des Kaisers einzuverleiben. Es ist außer dem 8. Psalm: »Domine Dominus noster« (der zwischen 1753 und 1757 in einem Hofconcert zur Aufführung gelangte) das einzige Werk im Kirchenstil, das er überhaupt geschrieben. Es athmet christliche Frömmigkeit und Andacht; ein polyphones Meisterstück ist es nicht, wie die Contrapunktik nie Gluck's starke Seite war. »Einer kann nicht Alles«, pflegte er zu sagen, »und ist er vernünftig, so will er nichts, als was er kann.«
Auch das Interesse an Anderer Kunst blieb bis zuletzt in ihm lebendig. So trat auch Mozart's aufgehender Stern noch in seine Lebenskreise. Als die »Entführung« in Wien so glücklich durchschlug und man viel von ihr sprach, wurde eigens auf Gluck's Wunsch eine Wiederholung angesetzt. Der ältere Meister bezeigte dem jüngeren, der nach ihm im Gebiete der Oper den Herrscherstab schwang, seine ehrende Theilnahme und lud ihn in sein gastliches Haus. Noch vier Tage vor seinem Tode erbat sich Salieri, der keine seiner Arbeiten ohne Gluck's Billigung aus der Hand legte, für Composition einer Cantate »Das jüngste Gericht«20, die ihn beschäftigte, seinen Rath. Er war in Zweifel, ob er die Partie des Christus für hohen Tenor setzen solle. Halb ernsthaft, halb im Scherze erwiderte ihm der alte Freund: »In kurzer Zeit werde ich Ihnen aus der anderen Welt mit Sicherheit melden können, in welchem Tone der Heiland spricht!«
Und früher, als er wol dachte, kam das Ende. Am 15. November 1787 bewirthete er in seinem Hause »auf[250] der alten Wieden« zwei aus Paris angekommene Freunde. Um die ihm nach dem Speisen ärztlich verordnete tägliche Spazierfahrt zu machen, verließ er, nachdem er in Abwesenheit seiner Frau hastig ein Glas Liqueur, der ihm streng verboten war, getrunken, die Gäste, die er in einer halben Stunde wiederzusehen meinte. Sie sollten im Garten seine und seiner Gemahlin baldige Rückkunft erwarten. Kaum eine Viertelstunde aber sind Beide gefahren, da trifft ihn ein dritter Schlaganfall. Noch ehe sie das Haus erreichen, ist ihm schon die Besinnung geschwunden. Wenige Stunden noch und der letzte Athemzug ist ihm entflohen.
Verehrer und Freunde ohne Zahl folgten ihm am 17. November auf seinem letzten Wege. Auf dem Matzleinsdorfer Friedhof fand er sein Grab. Es wurde durch eine einfache Tafel mit der Inschrift bezeichnet:
Hier ruht
ein rechtschaffener deutscher Mann. Ein eifriger Christ. Ein treuer Gatte.
Christoph Ritter Gluck,
der erhabenen Tonkunst großer Meister.
Er starb am 15. November 1787.
Ein größeres Grabdenkmal, ein granitner Obelisk mit Gluck's in Erz gegossenem Medaillon, wurde ihm im Jahre 1846 errichtet. Im Würfel des Obelisken fügte man den alten Denkstein ein. Die treue Gattin schläft an des Meisters Seite.
Nicht minder als in Deutschland betrauerte man in Frankreich den Hingang des großen Mannes. Seine Büste hatte man bereits 1778 neben denen Quinault's, Lully's und Rameau's in der großen Oper aufgestellt. Jetzt stellte Piccini, Gluck's einstiger Nebenbuhler, den Antrag zur Veranstaltung einer Subscription, nicht, um[251] ihm ein steinern Denkmal zu errichten, sondern um sein Gedächtniß alljährlich an seinem Todestage durch ein Concert mit Aufführung seiner Compositionen zu feiern; damit, wie er sagte, der Geist und Vortrag seiner Werke späteren Jahrhunderten überliefert und seinen Nachfolgern das Vorbild seiner wahrheitsvollen Kunst bewahrt werde.
Die unmittelbaren Resultate von Gluck's Reform wurden, da dieselbe zugleich die Ausbildung des französischen Opernideals war, naturgemäß deutlicher in Frankreich als bei uns wahrnehmbar. Der wesentliche Charakter der großen Oper in Paris wurde durch ihn bestimmt, und die Besten, die für sie schufen: Méhul, Cherubini, Spontini, wurzelten in seiner Größe. Sie haben die dramatische Ausdrucksfähigkeit der Tonkunst in mannigfacher Weise gesteigert; über ihn hinausgewachsen aber ist keiner von ihnen Allen.
In seinem deutschen Vaterland blieb Gluck, der große Tragiker, ohne directen Nachfolger. Mozart, mit dem sich sein Genius noch berührte, schlug, obgleich er im »Idomeneo« verwandten Zielen zusteuerte, bald andere Wege ein. Seine unspeculative reine Musiknatur suchte in anderer Richtung ihre Aufgaben. Gluck beklagte oft, daß keiner unter den Deutschen von ihm lernen wolle. Gleichwol haben sie Alle, von Mozart angefangen, von ihm gelernt und Vortheil gezogen: die Wahrheit und Natur, die er der Kunst zurückgewonnen, wagte hinfort Keiner, der es redlich mit der Kunst meint, zu verleugnen.
In neuerer Zeit auch kam Einer, der an Gluck anknüpfte, freilich weiter ging als Jener gewollt und geahnt. Gluck hatte zuerst die Nothwendigkeit einer vollkommenen Einheit zwischen Wort- und Tondichtung mit Bewußtsein und als Grundsatz ausgesprochen und diesen Grundsatz durch Thaten von ewiger Gültigkeit beglaubigt.[252] Ein einheitliches Kunstwerk mit geschlossenen Einzelformen, mit Arie, Recitativ, Tanzstück etc., als durch ihn höher entwickelte, für sich selbständige Gestalten, hatte er geschaffen. An eine Beeinträchtigung der Formen seiner Kunst, an Lösung der traditionellen musikalischen Fesseln zu Gunsten des Dramas jedoch hatte er nicht gedacht. Diese letzte Consequenz seines Princips lag seinem Geiste fern. Doch neue Zeiten und neue Geister reisen neue Ideale. Ein Anderer dachte hundert Jahre später da weiter, wo er zu denken aufgehört hatte. Mit Gluck's Werken durch Bearbeitung derselben tief vertraut, baute Richard Wagner auf ihrem starken, durch die Weihe eines Jahrhunderts gefesteten Fundament sein Kunstwerk auf. Was der alte Reformator der Oper wol sagen würde, wenn er, käme er wieder, das neue romantische Musikdrama schaute, das auf dem Grunde seiner classischen Musiktragödie emporwuchs? Wer weiß es? Das Eine nur wissen wir, daß sein eignes Wort einst lautete: »Man muß einzig den Fortschritt der Kunst zum Ziele haben!«[253]
Buchempfehlung
Zwei satirische Erzählungen über menschliche Schwächen.
76 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro