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[84] Original: in Privatbesitz
Faksimile der ersten 13 Zeilen: M.B.M., Heft 9, S. 268.
An den Abbé Maximilian Stadler1
Salzburg, am ...
Hochgeschätzter und noch mehr geliebter Freund,
seit dem Tode meines Gatten Mozart habe ich nur die Meisterwerke, die zwey Kyrie2, welche Sie, mein Freund, so großmütig waren, die Stimmen, die in der Partitur nicht von Mozart ausgeschrieben [sind], zu ersetzen, und wo Sie sagten, daß unter dieses Meisterwerk allenfalls der teutsche Text aus Mendelsohns Übersetzung des 92. Psalms: Lieblich ists, dem Ewigen danken, Höchster, deinen Nahmen singen ... usw. usw. Diese Chöre behielt ich bis jetzt für mein Eigenthum und hielt sie für meinen größten Schatz. Nun[84] aber der Zeitpunkt gekommen ist, wo ich glaube, meinen Söhnen ein Capethal dadurch zu verschaffen, zaudere ich nicht und bin erbötig, sie herzugeben, und wende mich desweg an Sie, mein geliebter Freund, indem ich Sie bitte, auf welche Art ich es unternehmen soll, und kann, um meinen Endzweck zu erreichen. Ist Hr. Haslinger3 der Mann dazu? Oder hätten Sie einen bessern Plan? Was sollte ich dafür verlangen? Oder sollte ich mich nach England wenden? Ich bitte Sie, mir zu rathen, und nur Ihrem Rathe werde ich folgen, indem ich überzeugt bin, daß Sie väterlich für die Mozartschen Söhne sorgen werden. Gott gebe, daß Sie in der guten Laune sind, mir recht bald darüber zu antworten. Wie glücklich werden Sie dadurch die Mutter der zwey Söhne Ihres Freundes Mozart machen, die ewig verbleiben wird
Ihre dankbare
Constanza v. Nissen.
1 Maximilian Stadler (1748–1833), ein Nieder-Österreicher, Jesuit, befreundet mit Joseph Haydn und Mozart, Kirchenkomponist (Oratorium: Das befreite Jerusalem), bekannt durch seine Beiträge zum Streit über Mozarts Requiem.
2 Gemeint ist: (Köchel Nr. 323 u. Anh. 118) Regina Coeli; zuerst erschienen bei A. Diabelli & Co. in Wien.
3 Tobias Haslinger (1787–1842), seit 1826 Besitzer der Steiner'schen Musikalienhandlung in Wien.