§. 6.

[55] Wenn nun der Schüler auch dieses recht verstehet: so mag er die im ersten Abschnitte des ersten Hauptstücks §. 14. eingerückte Musikleiter oder A, b, c, unter beständiger Beobachtung der folgenden Regeln abzuspielen den Anfang machen.

Erstens, muß die Geige nicht zu hoch aber auch nicht zu nieder gehalten werden. Das Mittel ist das Beste. Man halte demnach die Schnecke der Violin dem Mund, oder höchstens den Augen gleich: man lasse sie aber auch nicht tiefer sinken, als so, daß die Schnecke der Brust gleich komme. Hierzu trägt vieles bey, wenn man die Noten, so man abspielen will, nicht zu nieder hinleget; sondern etwas erhöhet vor das Angesicht bringet, damit man sich nicht niederbiegen, sondern vielmehr den Leib gerad halten muß.

Zweytens, bringe man den Bogen mehr gerad als nach der Seite aus die Violin: denn hierdurch erhält man mehr Stärke, und biegt dem Fehler vor, den einige haben, welche so sehr mit dem Bogen nach der Seite kommen, daß sie, wenn sie ein wenig nachdrücken, mehr mit dem Holze als mit den Pferdhaaren geigen.

Drittens, muß der Strich nicht mit dem ganzen Arme geführt werden. Man bewege das Achselglied wenig, den Ellenbogen stärker, das Glied der Hand aber natürlich, und ungezwungen. Ich sage: das Glied der Hand soll man natürlich bewegen. Ich verstehe hierdurch: ohne lächerliche und unnatürliche Krümmungen zu machen; ohne es gar zu sehr auswärts zu biegen, oder etwa gar steif zu halten: sondern man lasse die Hand sinken, wenn man den Bogen abwärts ziehet; bey dem Hinaufstriche aber biege man die Hand natürlich und ungezwungen, auch nicht mehr und nicht weniger, als es der Gang des Bogens erforderet. Uebrigens merke man sich, daß die Hand bey der Mäßigung des Tones das meiste thun muß.

[55] Viertens, muß man sich gleich anfangs an einen langen Strich gewöhnen. Man muß nicht mit der Spitze des Bogens oder mit gewissen schnellen Strichen fortgeigen, und etwa kaum die Seyten berühren; sondern allezeit ernsthaft spielen.

Fünftens, muß der Schüler mit dem Bogen nicht bald hinauf an das Griffbrett, bald aber herunter an den Sattel oder gar nach der Queer geigen; sondern allezeit an einem von dem Sattel nicht zu weit entfernten Orte bleiben, und allda den guten Ton aus der Violin heraus zu bringen suchen.

Sechstens, müssen die Finger auf den Seyten nicht nach der Länge hingeleget; sondern die Glieder derselben erhöhet, die vordersten Theile der Finger aber stark niedergedrücket werden. Sind die Seyten nicht wohl niedergedrücket: so klingen sie nicht rein.

Man lasse Siebendens ieden Finger, wenn man ihn von der Seyte aufhebt, über der Seyte, oder, so zu reden, über seinem Tone stehen. Man nehme sich wohl in acht, daß man einen oder mehrere Finger nicht etwa in die Höhe ausstrecke, oder beym Aufheben der Finger immer mit der Hand zusammen rücke, und den kleinen oder auch wohl gar die andern Finger unter den Griff oder Hals der Geige stecke. Man halte vielmehr die Hand allezeit in einer förmlichen Gleichheit, und ieden Finger über seinem Tone: um hierdurch sowohl die Geschwindigkeit im Spielen, als auch die Sicherheit im Greifen, und folglich die Reinigkeit der Töne zu befördern.

Es muß Achtens die Geige unbeweglich gehalten werden. Dadurch verstehe ich: daß man die Violin nicht immer mit iedem Striche hin und her drehen, und sich dadurch bey den Zuschauern zum Gelächter machen solle. Ein vernünftiger Lehrmeister muß gleich anfangs auf alle dergleichen Fehler sehen, und allezeit die ganze Stellung des Anfängers wohl beobachten, damit er ihm auch nicht den kleinesten Fehler nachsiehet: denn nach und nach wird eine eiserne Gewohnheit daraus, die nicht mehr abzuziehen ist. Es giebt eine Menge solcher Unarten. Die gewöhnlichsten derselben sind das Bewegen der Violin; das hin und her Drehen des Leibes oder Kopfes; die Krümmung des Mundes oder das Rümpfen der Nase, sonderbar wenn etwas ein wenig schwer zu spielen ist, das Zischen, Pfeifen oder gar zu vernehmliche Schnauben mit dem Athem aus dem Munde, Halse oder Nase bey Abspielung einer oder der andern beschwerlichen Note; die gezwungenen und unnatürlichen Verdrehungen der rechten und linken Hand, sonderheitlich des Ellenbogens; und endlich die gewaltige Bewegung des[56] ganzen Leibes, wodurch sich auch oft der Chor, oder das Zimmer wo man spielet erschüttert, und die Zuhörer bey dem Anblicke eines so mühsamen Holzhauers entweder zum Gelächter oder zum Mitleiden bewogen werden.

Quelle:
Leopold Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule. Wien (1922), S. 55-57.
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