192. Musikdirector F.W. Jähns in Berlin.

[359] Wien 29. April 1782.

Liebste, beste Freundin!

Diesen Namen werden Sie mir ja doch noch wohl erlauben daß ich Ihnen geben darf? So sehr werden Sie mich ja doch nicht hassen, daß ich nicht mehr Ihr Freund sein darf und Sie nicht – mehr meine Freundin sein werden? Und – wenn Sie es auch nicht mehr sein wollen, so können Sie es mir doch nicht verbieten gut für Sie, meine Freundin, zu denken, wie ich es nun schon gewohnt bin. Ueberlegen Sie wohl was Sie heut zu mir gesagt haben. Sie haben mir (ungeachtet allen meinen Bitten) dreimal den Korb gegeben und mir gerade ins Gesicht gesagt, daß Sie mit mir nichts mehr zu thun haben wollten. Ich, dem es nicht so gleichgültig ist[359] wie Ihnen, den geliebten Gegenstand zu verlieren, bin nicht so hitzig, unüberlegt und unvernünftig den Korb anzunehmen. Zu diesem Schritte liebe ich Sie zu sehr. Ich bitte Sie also noch einmal die Ursache dieses ganzen Verdrusses wohl zu überlegen und zu bedenken, welche war, daß ich mich darüber aufgehalten, daß Sie so unverschämt unüberlegt waren Ihren Schwestern, NB. in meiner Gegenwart zu sagen, daß Sie sich von einem Chapeau haben die Waden messen lassen.76 Das thut kein Frauenzimmer, welches auf Ehre hält. Die Maxime in der Compagnie mitzumachen ist ganz gut. Dabei muß man aber viele Nebensachen betrachten; ob es lauter gute Freunde und Bekannte beisammen sind? ob ich ein Kind oder schon ein Mädchen zum Heirathen bin? besonders aber ob ich eine versprochene Braut bin? hauptsächlich aber, ob lauter Leute meines Gleichen oder Niedrigere als ich, besonders aber Vornehmere als ich dabei sind? – Wenn es sich wirklich die Baronin [Waldstädten] selbst hat thun lassen, so ist es ganz was anderes, weil sie schon eine übertragene Frau (die unmöglich mehr reizen kann) ist – und überhaupt eine Liebhaberin vom etcaetera ist. Ich hoffe nicht, liebste Freundin, daß Sie jemals so ein Leben führen wollten wie sie, wenn Sie auch nicht meine Frau sein wollen. Wenn Sie schon dem Triebe mitzumachen – obwohl das Mitmachen einer Mannsperson nicht allzeit gut steht, desto weniger einem Frauenzimmer, – konnten Sie aber unmöglich widerstehen, so hätten Sie in Gottes Namen das Band genommen und sich selbst die Waden gemessen (sowie es noch alle Frauenzimmer von Ehre in meiner Gegenwart in dergleichen Fällen gethan haben), und sich nicht von einem Chapeau (ich, – ich – würde es niemalen im Beisein Anderer Ihnen gethan haben), ich würde Ihnen selbst das Band gereicht haben, desto weniger also von einem Fremden, der mich gar nichts angeht. – Doch das ist vorbei[360] und ein kleines Geständniß Ihrer dortmaligen, etwas unüberlegten Aufführung würde Alles wieder gut gemacht haben und – wenn Sie es nicht übel nehmen, liebste Freundin – noch gut machen. Daraus sehen Sie, wie sehr ich Sie liebe. Ich brause nicht auf wie Sie – ich denke – ich überlege und ich fühle. Fühlen Sie, haben Sie Gefühl, so weiß ich gewiß, daß ich heute noch ruhig werde sagen können: die Constanze ist die tugendhafte, ehrliebende, vernünftige und getreue Geliebte des rechtschaffenen und für Sie wohldenkenden Mozart.

76

Jahn III, 151: »Es war das eine Aufgabe beim Pfänderspiel, die allerdings für den freieren und in mancher Hinsicht frivolen Ton des geselligen Verkehrs jener Zeit Zeugniß ablegt, aber mit dem Maßstab der socialen Sitte und nicht der Sittlichkeit gemessen werden muß.« Die Baronin Waldstädten, die es ebenfalls hatte thun lassen, stand ohnehin nicht im besten Rufe.

Quelle:
Mozarts Briefe. Nach den Originalen herausgegeben von Ludwig Nohl. Salzburg 1865, S. 359-361.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mozarts Briefe
Mozarts Briefe