XIV.

1844.

Von Weimar bis Paris.

(Koncert-Reisen 1839/40–1847. Fortsetzung.)

Koncerte in Thüringen. Dresden. Naumann-, C.M.v. Weber-Denkmal. Pantaleoni. Fortsetzung der Koncertreisen. Hannover. Letztes öffentliches Auftreten in Paris.


Von Weimar aus machte Liszt Ausflüge nach Jena, Rudolstadt, Erfurt, Gotha, an welchen Orten er Koncerte für wohlthätige Zwecke gab. In Weimar hatte er gleichfalls auf jeden äußeren Vortheil verzichtet.

Nun folgte er einer Einladung nach Dresden, um am 21. Februar in einem von der königl. Kapelle veranstalteten Koncert zum Besten eines Naumann-Denkmals mitzuwirken. Diese Koncert, im Theater gegeben, wurde in der sächsischen Residenz durch des Künstlers Theilnahme (er trug neben anderen Klavierstücken Weber's Klavierkoncert opus 79 mit Orchester vor) zu einem außerordentlichen, auch nach finanzieller Seite,1 wodurch es möglich ward, das Denkmal, zu dem der Grundstein schon seit Jahren gelegt war, zur Vollendung zu führen. Es sollte aus einer Kapelle und einem Schulhaus für die Blasewitzer Dorfjugend – das kleine durch Dichtermund populär gewordene Blasewitz2 bei Dresden war des Oratorium-Komponisten Geburtsort – bestehen. – Auch an dem zu jener Zeit angeregten C.M.v. Weber-Monument hatte der Künstler in Rath und That nicht den kleinsten Antheil.[228]

In Dresden gab er noch zwei Koncerte, das eine für sich (mit Beethoven's Es dur-Koncert), das andere für den Sänger Pantaleoni – ein Name, der während jener Jahre, namentlich bei Liszt's Besuchen in Thüringen und Sachsen, wie eine feststehende Figur in seiner Nähe auftauchte und die Vermuthung veranlaßt, daß dieser Sänger von hervorragender Bedeutung gewesen sei oder auch, daß er in engerer Beziehung zu dem großen Künstler gestanden habe. Beides würde nicht zutreffen, obwohl da wie dort ein Faden Wahrheit sich einmengt. Pantaleoni war keineswegs ein hervorragender Künstler. Die Natur aber hatte ihm eine phänomenale Falsettstimme verliehen. Die Schnelligkeit seiner Koloratur innerhalb dieses Stimmregisters grenzte an's unglaubliche und verschaffte ihm einen Platz im Koncertsaal. Man ging ihn zu hören der Kuriosität wegen, ungefähr so, wie man in gegenwärtiger Zeit nach anderer Seite hin in Mirzwinski's Kraftorgan eine außergewöhnliche Naturerscheinung bewundert. Italiener von Geburt (dabei der deutschen Sprache unkundig) und ein lustiger Vogel von Natur, tollen Einfällen ohne Bosheit ergeben, war er daneben ein schlechter Haushalter. In dieser Eigenschaft entriß ihn Liszt, ohne ihn noch zu kennen, einer unangenehmen Lage.

Nun traf es sich, daß Pantaleoni häufig in ähnlichen Situationen gerade in der Stadt sich befand, in welcher Liszt koncertirte. Wie in stillschweigendem Übereinkommen, half ihm dieser wieder und wieder. Nur einmal gab er ihm ernstlich den Laufpaß. Es war in Odessa. Pantaleoni, sehr herunter gekommen, begegnete ihm auf dem Weg dahin. Liszt vermuthete, daß des Sängers Ziel nun auch Odessa sei. Das zu vermeiden, füllte er seine Börse und nahm ihm das Wort ab, dort nicht einzutreffen, so lange er daselbst weile. Der Sänger, den Champagnerfreuden leidenschaftlich ergeben, befand sich nach wenigen Tagen wieder aller Mittel bar. Auf nach Odessa! Noch ehe Liszt hier ankam, hatte Pantaleoni sich im »Hôtel Richelieu« niedergelassen, in dem jener zu wohnen gedachte. Mit leeren Taschen saß er beim Diner, unterhielt die Gäste, ließ Champagner bringen, trank mit ihnen auf das Wohl des großen, zu erwartenden Künstlers. Mit glühenden Farben malte er dessen Großmuth und verschwenderische Güte gegen Hilfsbedürftige, erzählte Anekdoten, sich selbst aber nannte er seinen besten Freund. »Und glauben Sie, meine Herrn,« sagte er endlich geheimnisvoll, als alle in höchster Spannung[229] seinen Worten lauschten – »glauben Sie, daß dieser herrliche Mensch zeitweise an fixen Ideen leidet und wie vom Dämon besessen sich geberdet, am meisten mir gegenüber, seinem besten Freund? In solchen Momenten kennt er mich nicht, ballt die Fäuste, zetert und rast. Ich wette – Sie können es erleben, meine Herrn; – käme er in diesem Augenblick und sähe mich unerwartet, er würde mit dem Fuße stampfen und ausrufen: Sapperment, Pantaleoni, was machen Sie hier!«

Es schmetterte das Posthorn. Liszt hielt vor dem Hôtel. Alles stürzte hinaus, den weltberühmten Mann zu sehen. Unter ihnen der Sänger, aber im Hintergrund. Niemand dachte an ihn: man sah nur den vornehmen Mann mit dem merkwürdigen blassen Gesicht und den durchgeistigten Zügen, der in gewinnendster Weise den Begrüßenden dankte. Da plötzlich zuckte es in den eben noch so heiter leuchtenden Mienen, die Ader der Stirn schwoll zornig und mit dem Fuße stampfend rief er aus: »Sapperment, Pantaleoni –, was machen Sie hier!« Bestürzt stob alles aus einander und dieser verkroch sich; in solchen Momenten war mit Liszt nicht zu spaßen. Er bezahlte des Sängers Schulden, der sich jedoch nicht mehr vor ihm blicken lassen durfte. Odessa brauchte geraume Zeit, bis es seinen Glauben an die fixen Ideen des Künstlers aufgab.

Nur einmal noch begegnete Liszt dem Falsettisten. Es war in kalter Jahreszeit an den Ufern des Pontus. Eben aus einem Spital entlassen, frierend im leichten Rock, ohne einen Deut zur Überfahrt, bot Pantaleoni ein Bild des Jammers dar. Liszt gab ihm seine eigene Reisedecke und sorgte für einen guten Passagierplatz für ihn. –

Der Name Pantaleoni aber bleibt, wenn auch nur als Passant und ganz untergeordnet, an des Virtuosen Wanderfersen hängen –: der Typus einer unzähligen Menge fahrender. Schülergestalten und Glücksritter, die während des langen Lebens des Künstlers, wo er auch weilte, seine Güte für ihre Zwecke benutzten. Er nannte sie »arme Schelme«, gab ihnen Geld, Wäsche, Bücher. Für andere in seiner Umgebung und für solche, die nur geregelte Verhältnisse kannten, war das ein unverständlicher, auch oft getadelter Zug an dem Meister. »Sie haben Talent«, pflegte er bei solcher Veranlassung von diesen Leuten zu sagen, »sie können sich bessern – Andere sorgen hinreichend, daß sie nicht in anständige[230] Gesellschaft kommen – man darf den Menschen nicht sinken lassen – helfen wir, soweit wir können.« Oder auch, er entgegnete mit demuthsvoller Kopfneigung die wenigen inhaltsschweren Worte: »Wir sind Christen«. Niemand konnte ihn von seinen Wohlthaten abhalten.

Zur Unterstützung Pantaleoni's fügte Liszt – es war zur Zeit der ersten Begegnung mit ihm – einer Melodie des Sängers die Klavierbegleitung hinzu. Das Lied wurde alsbald unter folgendem Titel gedruckt3:


Barcarole venetienne de Pantaleoni

avec accompagnement de Pianoforte par Fr. Liszt.


Auch dem Klavier übertragen bleibt diese Barcarole ein Gedenkblatt an Liszt's Pantaleoni-Beziehungen. –

Die Tage, welche der Künstler 1844 in Dresden verbrachte, wurden noch nach anderer als nach Seite seines öffentlichen Lebens denkwürdig: es fand hier die erste nähere Begegnung mit Richard Wagner statt, worauf wir bei Besprechung der Weimar-Periode zurückkommen werden. –

Von Dresden aus folgte der Virtuos Einladungen nach Bautzen, Bernburg (5. März) – wo er zur herzoglichen Tafel geladen war –, sodann ließ er sich in Stettin (7. und 8. März) hören, wohnte am 9. März in Berlin einem Koncert zum Jahresfest des Männergesang-Vereins, dessen Ehren-Direktor er war, als Zuhörer bei, worauf der Verein ihm mit einer Serenade huldigte, koncertirte dann weiter in Braunschweig (13. März), Hannover (28. und 31. März), wo er auf das Liebenswürdigste von dem Kronprinzen, dem späteren unglücklichen letzten König der hannoverschen Lande, ausgezeichnet wurde und auch die Hannoveraner selbst Enthusiasmus und Verständnis ihm entgegentrugen. [231] Liszt soll sie »das beste Publikum Norddeutschlands« genannt haben.4

Am 16. April endlich trat er in Paris in dem großen italienischen Theater auf. »Wer Paris kennt«, schrieb ein Koncertreferent von dort, »weiß auch, was das sagen will: 1) ein Koncert Mitte April, d.h. wenn alles müde ist von Musik, 2) im italienischen Theater, der glattesten Stelle auf dieser Spiegelfläche, und endlich 3) allein!«

Diesem Koncert gebührt ein besonderer Denkstein in der Geschichte des Klavierspiels. Denn es bedeutet für Paris, für Frankreich, für die gesammte musikalische Welt den vollständigen Sieg Liszt's über alle gegnerischen Meinungen, über jede Opposition, die ihm seine Superiorität als Pianist streitig machte. Mit welchen Schwierigkeiten, sachlichen und künstlichen, er auch während seines früheren Auftretens in Paris zu kämpfen hatte, diesmal waren sie verdoppelt, verzehnfacht. Man hatte Thalberg, der in Paris war, von neuem auf das Schild erhoben, die Presse für ihn gewonnen und alles aufgeboten, um dem erwarteten Künstler eine offenkundige Niederlage zu bereiten. Die Flamme dieser gegnerischen Agitation blies und schürte eine in jüngerer Zeit ihm entstandene mächtige Feindin: die Gräfin d'Agoult. Wenige Mittel ließ sie unversucht, um über ihn triumphiren zu können. Aber wie der Einfluß seiner sachlichen Antipoden, wurden auch ihre künstlichen Machinationen vernichtet von der Allgewalt seines Genies. Die gesammte Presse – »Charivari« und »Satan« ausgenommen – erkannte ihn an. Selbst Heine widmete ihm schöne Worte, doch, wie man sagt, – ohne ihn gehört zu haben. Man erzählte sich, daß Freunde Liszt's seine Feder ihm zu gewinnen suchten, worauf er erwidert habe: »Gut, ich will ihn loben, aber nur nicht hören«. Doch schrieb er: »Der geadelte, dennoch edle Liszt« etc.5

Von einer Rivalität mit Thalberg konnte keine Rede mehr sein; in ihrer Nichtigkeit verstummte diese von selbst. Die Souveränetät aber, die er sich errungen, vermochte Niemand mehr zu schmälern; sie blieb unangetastet zu jeder Zeit.[232]

Der Künstler gab noch ein zweites Koncert am 25. April mit lediglich Kompositionen und Transskriptionen von sich.6 Bei beiden war der Andrang so groß, daß das Parterre bis zu der letzten Coulisse der Bühne mit dem gewähltesten Publikum besetzt war und sogar jeder Raum hinter den Coulissen und die Bogengänge benutzt werden mußten.7 – In mehreren anderen Koncerten wirkte er noch mit: zu Gunsten der »Association des Artistes musiciens«, des »Deutschen Hilfsvereins«, der Wittwe Berton (?) u.a.

Bald nach dem Schluß seiner Koncerte verließ der Künstler Paris. Sein europäischer Triumphzug setzte sich fort durch Frankreich, Spanien, Portugal. In Paris aber hatte sein Auftreten als Virtuos seinen Abschluß gefunden.

Fußnoten

1 Der Reinertrag belief sich nach Angabe der Presse auf 1350 Thaler.


2 »Potz Blitz –

Das ist ja die Gustel von Blasewitz!«

(Schiller, »Wallensteins Lager«).


3 Gegen die Mitte der 70er Jahre suchte Pantaleoni, bejahrt, dabei ein noch immer lachendes lebemännisches Gesicht, die Verfasserin auf. Er holte sich einen Reisebeitrag in Form einer Subskription auf ein Lied, die Melodie von ihm, die Klavierbegleitung von Liszt. Das mir vorgelegte Manuskript in Liszt's Handschrift war ächt. Ob das Lied gedruckt wurde, blieb mir unbekannt. Indeß vermuthe ich, daß es das Manuskript obigen Liedes war, welches 1842 bei J. Schuberth & Co. in Hamburg, auch bei C.F. Meser in Dresden erschienen ist.


4 Kirchhoff's Bericht aus Hannover: »N. Zeitschrift f.M.« 1844, XX. Bd., S. 139.


5 H. Heine's Sämmtliche Werke: »Musikalische Saison von 1844«.


6 Programm: Wilhelm Tell-Ouvertüre, Tarantelle (Rossini), Ständchen (Schubert), Valse infernale, Robert-, Niobé-Fantaisie, Tscherkessen-Marsch (Glinka), Ungar. Sturm-Marsch. In seinem Koncerte am 16. April trug er vor: Don Juan-Fant., Erlkönig, Chromatischen Galop etc. etc.


7 Der Ertrag dieser Koncerte soll je 12000 Francs gewesen sein.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1887.
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