XIV.

Die symphonischen Dichtungen.

Berg-Symphonie. Hunnenschlacht. Mazeppa. Orpheus. Tasso. Hamlet. Héroïde funèbre. Les Préludes. Festklänge. Die Ideale (Kapitel XI). Prometheus (Kapitel X.) Hungaria (Kapitel XII.)


Neben den beiden deutsch- und ungarisch-nationalen Strömungen der Werke Liszt's nimmt sein Gesammtschaffen einen immensen Raum ein, wobei seine symphonischen Schöpfungen bezüglich der Zeit ihrer Entstehung, als auch bezüglich der Ordnung ihrer bahnbrechenden Wirksamkeit, obenan stehen. Mit Ausnahme einiger weniger in die Wagschale fallender Nachzügler gehören sie der Weimarepoche an und sind ihr Schwerpunkt. Sie umfassen zwölf symphonische Dichtungen, zwei Symphonien (Faust- und Dante-Symphonie), zu denen auch die verschiedenen schon genannten Märsche1 hinzutreten. In die Romperiode fallen: »Le Triomphe funèbre du Tasse«, Epilog zur symphonischen Dichtung »Tasso«; »Angelus«, Gebet an den Schutzengel, für Streich-Quartett; »Von der Wiege bis zum Grabe« und der II. »Mephisto-Walzer«.

Die zwölf symphonischen Dichtungen für großes Orchester2 entstanden in den Jahren 1848–1859 so ziemlich[262] in der Reihenfolge, wie die Partiturausgabe sie zusammengestellt hat, reichen aber theilweise in musikalischen wie poetischen Motiven und Skizzen bis in Liszt's Reise- und Virtuosenperiode (Tasso, Les Préludes), seine Jünglings- (Héroïde fnnèbre), ja sogar bis in seine Knabenjahre (Mazeppa) zurück.

Ihr Gemeinsames liegt in ihrer poetischen Richtung, in ihrer Form und ihrem Styl, welche in den Grundzügen ihrer individuellen Eigenart und ihrem musikalisch fortschrittlichen Charakter unsere bisherige Darstellung nachzuweisen versucht hat. In Folge dessen wird sich unsere. Betrachtung derselben vorzugsweise auf deren ideelle und thematische Hauptmomente, als auch auf äußere Daten beschränken und Einzelzüge nur dann in den Vordergrund treten lassen, wenn sie geeignet sind, früheres zu ergänzen oder auch neue Streiflichter zu werfen oder auch noch Unbekanntes bekannt zu geben.

Die erste der symphonischen Dichtungen ist die nach dem gleichlautenden Gedicht Victor Hugo's betitelte:


»Ce qu'on entend sur la montagne«, (Nr. 1)


auch Berg-Symphonie genannt, skizzirt im Winter 1847/48 zu Woronince,3 ausgearbeitet und instrumentirt 1849, erste Aufführung in einem Hofkoncert zu Weimar 1853, übergearbeitet im April 1854, abermalige Bearbeitung im Mai und Juni 1856 verbunden mit einer Probeaufführung, und hierauf ihre Partitur-Veröffentlichung.

Gewuchtig steht sie am Eingang dieser der Instrumentalmusik eine neue Welt erschließenden Werke. V. Hugo's Gedicht – der Partitur als Programm vorgedruckt – zeigt im visionären Helldunkel von Traum und Wachen zwei Gesichte, die ins Unermeßliche sich verlierend den Widerstreit der »die Zeiten, Raum, Form[263] und Zahl« durchziehenden Mächte: Geist und Materie, symbolisirt in zwei Stimmen: »Natur« und »Menschheit«, widerspiegeln. Diesem Gedanken folgte Liszt. Mit dem Dichter lauscht er, einsam auf Bergeshöhe, den Stimmen von den Luftkreisen der Erde emporgetragen. Zu geheimnisvollen Tönen verschmelzen sich Meer und Wind:


14. Die symphonischen Dichtungen.

14. Die symphonischen Dichtungen.

Einzelne Rufe, Weckrufe zum Lobgesang der Schönheit und Harmonie der Schöpfung, dringen dazwischen deutlich vernehmbar aus ihnen hervor.


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Frieden singt die Natur (S. 12):


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14. Die symphonischen Dichtungen.

[264] Harmonisch in sich klingen die Stimmen, die sich ihr verbinden und mit jenem ersten Weckruf, die Bewegung breiter und höher treiben bis Erde, Luft und Meer in sie hineingezogen, anschwellen »im Triumph zu Gott« (S. 25):


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14. Die symphonischen Dichtungen.

»Die Welt, gehüllt in diese Symphonie,

Schwamm, wie in Luft, so in der Harmonie.«


Schrill tritt in sie ein Verzweiflungsschrei menschlichen Elends (S. 30):


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ein Klagen und Weinen, nimmer endende Trauer (S. 32):


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Verworrener Lärm, ein anderer Ruf als der erste, Fluch und Lästerung (S. 33):


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[265] zerreißen die erhabene Stimmung der Natur, aber der Menschenlärm verhallt gegenüber ihrer mächtigen Stimme. Einsam steht die Trauer, in ihrem Innern das düstere Warum? – Allegro mesto – (S. 42):


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und neben ihr waltet ruhig, friedvoll die Natur (S. 44), deren hehre Stimmung in immer lichteren Schwingen nach oben steigt. Da – Allegro agitato assai (S. 53) – bricht der Verzweiflung Sturm und Rasen, der vielstimmige Schmerzenslaut der Menschheit wie eine Windsbraut, ein Orkan, in die erhabene Ruhe –:


»Was war dies Rauschen, endlos widerhallend?

Der Mensch, ach! und die Erde, welche weinten.«


Bis hierher folgte Liszt dem Gedicht, dessen Schluß der Poet in der Atmosphäre geistigen Elends beläßt, indem er mit einer Frage nach dem Warum des Daseins abbricht, ohne Antwort und ohne Versöhnung der Gegensätze.

Anders Liszt's Tondichtung. Eine unsichtbare, aber gewaltige Hand (die in den Aufruhr hineingeschleuderten glissandi der Harfen, S. 69 u.f.) zerreißt die wetternde Wolke der Qualen, Schmerzen und Blasphemien, – klare Durchblicke machen die Luft frei und gleich einem ewigen Liebesgebot erschallt von Posaunen im Tone ausdrucksvoller Beruhigung ein Andante religioso.


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4[266]


Von neuem ertönen in ihrem schneidenden Gegensatz die Stimmen der beiden Mächte – jede vertreten von ihrem Themenkomplex. Jede sucht sich durchzusetzen und doch –: im Hintergrund das soeben vernommene Wort, ringen sie einander zu, durchkreuzen und mengen sie sich, bis sie vor einem Übermächtigen stehen, das in zermalmender Größe spricht (S. 140):


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und in die Stimme der Natur übergeht, die nun ohne Eintreten der anderen Stimme, majestätisch, unter dem Rauschen des Meeres, die Harmonie der Schöpfung weiter singt. Allmählich verhallt sie – noch ein Mal vernehmen wir die Stimme der Trauer und der Zerissenheit, aber sie fließt hinein in die mystische Drei, die in einem dreimalig unveränderten Wiederholen eines viertaktigen harmonischen Gebildes, dem der erste Weckruf einverleibt ist (S. 160), – die dreimalige


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[267] Wiederholung als christliches Symbol der göttlichen Drei-Einheit – in das. Andante religioso führt, dessen Schlußanhang einen verklärenden Strahl auf die Schöpfung wirft. –

Der Idee der »Bergsymphonie« steht die acht Jahre später (1856) entstandene


»Hunnenschlacht« (nach Kaulbach, Nr. 11)


am nächsten. Hier wie dort sind zwei Principe einander gegenüber gestellt – dort: Geist und Materie, hier: Heiden- und Christenthum; bei beiden bildet das christlich-religiöse Element die Spitze. Dabei entwickelt sich die eine wie die andere auf Grundlage mehrerer Haupt- und Nebenthemen, welche erstere die Träger der Principe sind: bei der »Bergsymphonie« die Themen Nr. I–IV, bei der Hunnenschlacht Nr. I–IV. Das Andante religioso dort verweist die Gegensätze auf die göttliche Versöhnung, das Crux fidelis hier feiert den Sieg im Kreuz. Wie im Stoff, stehen sich diese beiden symphonischen Dichtungen in der Behandlung ihrer Themen nahe. Da dieselben Träger von bereits in sich gefesteten Ideen sind, tritt bei ihrer Durchführung eine poetisch-psychologische Umbildung in den Hintergrund, ihr leitmotivischer Charakter dagegen in den Vordergrund. Beide Dichtungen weisen der Tonmalerei einen breiten Spielraum an; doch steht bezüglich der letzteren als solcher die »Hunnenschlacht« dem Kampfgemälde »Hungaria« näher als dem Berggedicht. Bei diesen beiden ist sie realistisch bis zur Greifbarkeit. Bezüglich ihres formellen Auf- und Ausbaues aber weicht die »Hunnenschlacht« von der einen wie der andern ab, indem sie nicht die Form eines ersten Sonatensatzes zu ihrer Voraussetzung hat, sondern die dreitheilige große Liedform mit ihren Seiten- und Übergangssätzen (1. Theil Seite 1–31, Mittelsatz 30–65, Schlußsatz 65-Ende).

Den dichterischen Vorwurf zur »Hunnenschlacht« fand Liszt in dem großen historischen Treppengemälde des Berliner Museums gleichen Namens von W.v. Kaulbach. Es stellt den Kampf auf den katalaunischen Feldern zwischen den Hunnen und Gothen, dem Heiden- und Christenthum dar, mit dem gewaltigen Sieg des letzteren – der Vollziehung der Weltscheide von Licht und Finsternis – knüpft aber an dem Moment der Sage an, nach welchem die Geister der Gefallenen die Luft von der Erde bis zum[268] Himmel füllend, noch drei Tage und Nächte den wüthenden Kampf fortsetzten, ehe sie Ruhe fanden. Der Führer der Gothen, hoch oben im Centrum des Bildes, hält das Christenbanner, das Kreuz, wie segnend über die Massen. Tief bedeutsam koncentrirt sich in seinem Mittelpunkt ein meteorisches Licht, das Strahlen nach allen Richtungen entsendet – der Punkt, welcher die Phantasie des Tondichters zum Schaffen entzündet hat. Über dieses Licht und dessen Wiedergabe in seinem Tonbild äußerte sich Liszt brieflich (1. Mai 1857) gegen Frau Kaulbach:


»Vielleicht trifft sich später eine Gelegenheit in München oder Weimar, wo ich Ihnen das Werk mit vollem Orchester vorführen kann und das meteorische und solarische Licht, welches ich dem Gemälde entnommen und zum Schluß durch die allmähliche Steigerung des katholischen Chorals »Crux fidelis« und der damit sich verschmelzenden meteorischen Funken einheitlich gestaltet habe, austönen lasse. Wie ich es Kaulbach schon in München andeutete, war ich durch die musikalischen Erfordernisse des Stoffes dahinge führt, dem solarischen Licht des Christenthums, personificirt durch den katholischen Choral »Crux fidelis« verhältnis mäßig mehr Platz einzuräumen, als es in dem herrlichen Gemälde der Fall sein durfte, um somit den Abschluß, des Kreuzes Sieg, den ich dabei sowohl als Katholik wie als Musiker nicht entbehren mochte, zu gewinnen und prägnant darzustellen.«


Die Konception der symphonischen »Hunnenschlacht« fällt in die Zeit, welche Liszt in München nach seinem Wagner-Besuch in Zürich – in München im täglich freundschaftlichen Verkehr mit Kaulbach – verbrachte: in die erste Hälfte des Dezembers 1856. Ihre Ausführung (Weimar) in die Monate Januar bis 10. Februar5 1857. Die erste Orchesterprobe war ebendaselbst im Oktober 1857, die erste öffentliche Aufführung in einem Theaterkoncert Sivori's, ebenfalls in Weimar, am 29. Dezember desselben Jahres.

Der Anfang der »Hunnenschlacht« ist dem der »Bergsymphonie« verwandt. Er führt in die Scenerie: ein fernes Meeresrauschen hier, mit Geistern gefüllte, vibrirende Luft dort; beide begleiten, wenn auch nicht kontinuirlich, den Verlauf des betreffenden Weres.

Finster, geisterhaft wälzt sich ein dunkler Streifen am Horizonte hin, der immer breiter und dichter, von der Tiefe zur Höhe,[269]


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von der Höhe zur Tiefe – hinauf, herab sich bewegt. Wilde Signale (S. 4)


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durchschneiden die Luft und finden Gegenrufe. – Eine zweite finstere Masse strebt unter heftigem Schieben und Drängen nach oben; (S. 9)


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neue Zuzüge folgen, unter ihnen die erste Masse (I), – die zusammen die obere Region zu füllen scheinen – es sind die heidnischen Schaaren. Da erbebt unter ihnen die Luft (S. 18) –


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ein anderes Signal wird hörbar – wie ein fliegender Schattenzug zieht es dahin. –


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[270] Wild schreien sie auf die Heiden, als auch schon der Christen Schlachtgesang (die erste Melodiestrophe des Crux fidelis als Strahl des Kreuzes) hehr und gewaltig, in breitem Klingen, weithin schallt (S. 23):


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Heidnische und christliche Massen mischen sich – wild gellend bäumen sich jene gegen diese – Schildschläge dröhnen (S. 40)6: – von allen Seiten trifft der christliche Schlachtruf das Ohr:


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[271] Die Kämpfenden ballen wild sich zu Knäueln ineinander und wüthen bald in den unteren, bald in den oberen Regionen. Da, im Centrum, faßt sich der Kampf wie in einem Punkt zusammen, wir glauben wuchtige Schwertstreiche zu vernehmen (S. 56):


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die unwillkürlich Kaulbach's Attila-Gestalt in unsere Vorstellung zwingen. Bald verstummen sie, die Übergewalt der Gothen tritt immer schärfer hervor, und wuthheulend stürzen die Hunnen in Schaaren zur Tiefe. Klarer wird die Luft, jetzt harmonisch durchwogt von nur christlichen Elementen, unter denen das sanft strahlende Licht des Kreuzes – der Choral – an Intensivität und Ausbreitung zunimmt und die Gothen zu majestätischem Siegesruf trägt (S. 65). Aber plötzlich schweigt derselbe und, gleich einer überirdischen Stimme, intonirt die Orgel mild und feierlich das


Crux fidelis,7 inter omnes

Arbor una nobilis,

Nulla silva talem profert

Fronde, flore, germine

Dulce lignum, dulces clavos,

Dulce pondus sustinet.


14. Die symphonischen Dichtungen.

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Mit dem Eintritt der Orgel, die hier zum ersten Mal ertönt und nun gleichsam die ideelle Führung[272] übernimmt, beginnt der Schlußtheil des Werkes. Eine abermalige Verarbeitung der ausschließlich christlichen Motive verklärt und verherrlicht den Sieg des Christenthums, des Lichts der Wahrheit über die Macht der Finsternis. – Dieser Schlußtheil tritt über den Rahmen der Kaulbach'schen Hunnenschlacht hinaus, wie der Meister in dem oben citirten Brief es aussprach.

Der Malerei dieses Geisterbildes ganz entgegengesetzt ist die des


»Mazeppa« (nach Victor Hugo, Nr. 6) –,


ein anderer Stoff, anderer Hintergrund, anderes Kolorit, aber ebenfalls realistisch inspirirt. – Nach einer früher gemachten Bemerkung (II/1. Band Seite 100) ist der symphonische Mazeppa der Träger einer Idee, zu welcher die Illustration der Qualen des Helden eine sekundäre Stellung einnimmt. So wenigstens ist die allgemeine Annahme. Victor Hugo's Gedicht, welches Liszt seinem Tonpoëm als Programm beigefügt hat, zerfällt in zwei Theile, deren erster die Qualen des auf den Rücken eines wilden Steppenrosses Gebundenen, zum Tode Verurtheilten und die unerwartet günstige Wendung seines Geschicks in jenen dichterischen Phantasmagorien beschreibt, deren Bilder sich mit den brennendsten Farben verschmelzen, wie die Muse des großen Dichters sie vorzugsweise ihr eigen nennt. Der zweite Theil holt aus den Bildern dieser Todeshetze und ihres Ausgangs das Motiv, um den geknechteten, gehetzten und siegenden Künstlergenius zu beleuchten – ein Gedanke, der, so ergreifend und einzig ihn auch der Dichter gefaßt hat, unserem Gefühl, mit dem Mazeppa im Hintergrund, doch immer französisch-forcirt erscheinen will und das Bedauern nicht losläßt, die zwei Gedichte, von denen jedes für sich bestehen könnte, vereint zu sehen. Es hat dieser zweite Theil dem Mazeppa eine Art Glorienschein gegeben, welche die Auffassung zu einer unerquicklichen Verquickung verleitet hat, die Liszt's »Mazeppa« keineswegs zu Gute kommt.

Dieser giebt den ersten Theil des Hugo'schen Gedichtes wieder, die Erzählung, die das mit seiner Bürde dahinsausende Roß mit Bildern der Natur aus den unbevölkerten Steppen umgiebt, bis der mehr von Thieren als von Menschen Gehetzte dem Tode[273] hingegeben scheint, aber Kosaken ihn finden und zu ihrem Hetman erheben, welchen letzteren Moment Liszt durch einen Kosakenmarsch am Schluß seines Symphoniegebildes illustrirt hat. Der andere Theil des Gedichtes dürfte nur in so fern in Beziehung zu ihm stehen, als das Substrat desselben dem Meister dazu diente seine Malerei des Rittes lyrisch zu vertiefen: die Melodie, die sich episodisch wie ein klagender Irisbogen über einzelne Bilder spannt, aber naturgemäß Klagelaute Mazeppa's, nicht Klagelaute des leidenden Genius zum Ausdruck bringt. Es hat sich aber mehr und mehr die Annahme festgesetzt: Liszt's Mazeppa sei von ihm als Sinnbild des Künstlermartyriums, dem endlich die Siegeskrone zutheil wird, gedacht. Dieser Annahme widerspricht der Schluß der Musik, der auf den Kosakenhetman sich bezieht.8 Aus einem Kosakenmarsch läßt sich keine Künstlerkrone flechten, abgesehen davon, daß die Mazeppasage mit dem Verrath im Hintergrund der grausigen Büßung eine Identificirung mit dem Künstlergenius von selbst zurückweist.

Je mehr man dieses Werk betrachtet, nm so klarer tritt hervor, daß hier die musikalische Malerei der Malerei willen da ist, nicht als Mittel zum Zweck, als Gewandung geistiger Qualen und Schmerzen, sondern als Zweck selbst, daß folglich Mazeppa als Mazeppa und nicht als Träger einer wohl hohen, aber ganz außerhalb seiner Natur liegenden Idee aufzufassen ist. Der »Mazeppa« Liszt's erleidet hierdurch keine Einbuße: er ist und bleibt eine dichterisch-kühne Eingebung sonder Gleichen.

Der merkwürdigen Genesis dieses Werkes, das wie aus einem Guß dasteht, geschah bereits mehrfach Erwähnung.9 Von einer kleinen, von ihm als 15jähriger Knabe 1826 komponirten Etüde 1837 zur Grande Etüde »Mazeppa« erhoben, 1841 nochmals revidirt und verbessert, fand sie endlich 1850, zum symphonischen Gebilde erweitert und instrumentirt, ihre letzte formelle Bestimmung.[274]

Die erste Aufführung der symphonischen Dichtung war im April 1854, gelegentlich eines Pensionskoncertes im Hoftheater zu Weimar; dann 1856 in Sondershausen unter Ed. Stein; »und bald darauf in Leipzig ausgezischt und verkritisirt«10 nach einem am 26. Februar 1857 im Gewandhause zum Besten des Orchester-Pensionsfonds unter Mitwirkung von Liszt und Bülow stattgefundenem Koncert.

Liszt's »Mazeppa« schließt sich eng seiner poetischen Vorlage an. Im schnellen Wechsel begleiten Bilder und Scenen, getaucht in sengend-düstre Farben, den rasenden Lauf – eine Schärfe der Charakteristik, eine Dämonik entwickelt sich, die der Victor Hugo's nichts nachgiebt, aber symphonisch, ein Wunder der Kunst genannt werden muß. Die wechselreiche Scenerie hemmt nicht die vollendet einheitliche Gestaltung des Ganzen; aber von dem Wechsel, wohl auch von dem formellen Ursprung des Werkes, mochte es gewissermaßen bedingt sein, daß ihm nicht verschiedene greifbare Themen, wie den andern symphonischen Dichtungen zu Grunde liegen, obwohl zweierlei sich entschieden von einander abhebt: die Tonmalerei und das lyrische Element der Leiden des Verurtheilten, welche letztere eine episodische Melodie aussingt. Diese Mazeppamelodie


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ist das einzige Thema, das sich in verschiedenen Transitionen durch das ganze Werk, bis zum Schluß – dem Kosakenmarsch: der Krönung zum Hetman – hindurchzieht. Edel, von großer Kraft und Ausdrucksfähigkeit, bekundet es in seinen mannigfachen Umbildungen einen Schmerz, der sowohl klagt und ächzt, als auch der wildesten Verzweiflung sich hingiebt. Die Tonmalerei umschließt zwei Aufgaben: die Schilderung des sich immer steigernden Laufes des ungezähmten, von seiner Bürde geängsteten Rosses, und die äußere Scenerie nebst dem grausigen Gefolge, das sich ihm anschloß.[275] Auch nach dieser Seite begrundlagt kein sogenanntes Hauptthema das Werk: der Renner selbst ist das Hauptthema, das Mittel- und Verbindungsglied aller Theile. Nur ein elastisch dekoratives Motiv (S. 20):


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und


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dient zu mannigfachen Wendungen der verschiedenen Abschnitte.

Von dem erklärenden Eingang des Gedichtes:


»Als sie Mazeppa trotz Knirschen und Toben,

Gebunden an allen Gliedern, gehoben

Auf das schnaubende Roß,

Dem glühend die weiten Nüstern dampften,

Deß Hufen den bebenden Boden stampften,

Daß er Funken ergoß – etc. etc.«


war musikalisch abzusehen. Liszt's »Mazeppa« beginnt bei der Stelle des Gedichtes:


»Da gellt ein Schrei,


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[276] und schneller als Pfeile

Fliegt mit dem Mann in rasender Eile

In die Weite das Roß.«


Unser Ohr vernimmt wie aus der Ferne den Hufschlag des letzteren, unsere Vorstellung sieht beide durch Thalesengen und Klüfte fliegen, sieht, wie Mann und Roß nur ein schwärzlicher Punkt am fernen Horizont auftauchen, und begleitet sie durch Schrecken und Graus. Von einer erstaunlichen dichterischen Kraft sind insbesondere zwei Partien der Tonmalerei. Die erste:


»Und hinter ihm Rosse, die schnaubend und rauchend

Galloppiren im Sturm.

Und hoch der abendlich strahlende Bogen.

Der Ocean, der aus den Wolkenwogen

Neue Wolken entrollt!

Die Sonne, eh' ihm die Sinne vergehen,

Sieht er, ein marmornes Rad, sich drehen

Mit Geäder von Gold« –:


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[277] Die zweite Stelle. – Nachdem in des Rosses Traben ein Zug[278] von Raben sein unheimlisch Gekreisch gemischt, erweitert sich das


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Gefolge: es kommen die Raben (S. 37),


»und hoch in Lüften

Der Aar, verscheuchet von Modergrüften,

Es vermehren den Schwarm

Die Eulen, die Geier – –:«


Der Klang der Col legno- Stellen kann täuschend den Flügelschlag der Eulen wiedergeben. Bei der ersten Aufführung des Werkes in Weimar, unter Liszt, war die Wirkung von solcher Naturwahrheit, daß mehrere Zuhörer ihre Blicke plötzlich zur Höhe wandten, vermeinend, Nachtvögel hätten sich dahin verirrt.[279]

Sämmtliche Stimmen obigen Beispiels sind Themen des Mittelsatzes (S. 35–66), dem sich noch Ächzen und Jammern beimischt.


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Sie sind die Mittel zu der sich nun entfaltenden Dämonik, deren Gewalt selbst im Bilde erschreckend wirkt. Die geflügelte Meute wächst – immer größer wird der Leichenzug, der die Lüste durchschnellt und wie ein dunkler Riesenfächer über das fliehende Roß und seine Last sich breitet.


»Und nach dem rasenden Ritt dreier Tage,

Der sie durch Wüsten, Steppen und Hage

Über Eisbrücken trug,

Hinstürzt das Roß bei der Vögel Rufe,

Es löschen die Blitze, die mit dem Hufe

Aus den Steinen es schlug.


Da liegt er niedergeschmettert und glühet

Vom Blute röther als Ahorn blühet,

Wenn der Lenz ihn belaubt;

Der Vögel Wolke kreiset, die graue,

Begierig harret manch' scharfe Klaue,

Zu zerfleischen sein Haupt.«


Ein kurzes Andante, da fast nur aus Seufzern besteht, mit Motiven aus dem Mazeppathema (S. 86–88), schildert die obige Scene.


»Und doch! der sich windet im Staub und ächzet,

Der lebende Leichnam von Raben umkrächzet,

Wird ein Herrscher, ein Held!

Als Herr der Ukraine wird er einst streiten –« etc. etc.


Diesem Hinweis auf die künftige Hetmankrone gab Liszt durch einen höchst charakteristischen und breit ausgeführten glänzenden Kosakenmarsch größeren Raum, als V. Hugo, und machte damit das Zukünftige schon zum Gegenwärtigen in dem richtigen Gefühl: den vorangegangenen aufregenden Scenen den befreienden Gegensatz beizufügen.

Dem Andante folgt ein Übergangssatz mit Fanfaren, worauf der Marsch12 beginnt (S. 94):


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[280] Er wird zu einer lebensvollen Scene, welche den Akt der Krönungsfeierlichkeit mit ukrainischem Lokalton in Rhythmus, Harmonie und Instrumentirung darstellt. Der glanzvolle Wiedereintritt der Mazeppamelodie bezeichnet den Schlußakt. – –

Unter den symphonischen Dichtungen Liszt's befinden sich noch einige andere, an deren Spitze Personennamen stehen, Mazeppa aber zweigt sich in seiner Sage von ihnen ab, indem diese keine geschichtliche Resonanz in sich birgt, während jene Namen tragen, in welchen sich bestimmte Ideen dichterisch personificirt haben und die gleichsam als Geschichtstypen solcher erachtet werden, wie: Prometheus, Orpheus, Hamlet, Tasso. Die titanische Prometheusgestalt ragt an Kraft und Gewalt über die anderen hinaus; eines aber verbindet sie alle – Mazeppa mit inbegriffen –: der Schmerz. Wenn auch unter anderen Voraussetzungen und unter anderer Art und Gestalt, beansprucht er bei diesen Tongedichten den wesentlichsten, um nicht zu sagen, den vornehmsten Theil ihres Inhalts. Sie sind alle Schmerzesbrüder und als solche ergänzen sie sich, wie: Prometheus, der um seiner Menschheitsidee willen physisch Gemarterte und Orpheus, der Harmoniebringer und antike Repräsentant des idealen Schmerzes –; Mazeppa und Tasso, welche beide Leidenswege gehen und die Triumphkrone tragen, nur mit dem Unterschied, daß Tasso historisch die Idee des leidenden und siegenden Genius vertritt, die jenem vindicirt wurde. Hamlet aber, der düstre Melancholiker, dessen nagender Schmerz sich nach Innen kehrt und Selbstzerstörung wird, fand bei Liszt's Muse keinen Genossen; es sei denn, daß man ihm den in Rom komponirten Epilog zur symphonischen Dichtung Tasso: »Le Triomphe funèbre du Tasse«, der eine schmerzliche Ironie gegenüber jenen eitlen Verherrlichungen der im Leben verkannten und mißhandelten Poeten und Künstler nach ihrem Tode ist, zur Seite setze.[281]

Das Symphoniegedicht


»Orpheus« (Nr. 4)


wurde durch Gluck's Oper gleichen Namens angeregt, welche Liszt der Weimaraner Hofkapelle zum Geburtsfeste Marie Paulowna's einstudirte. Während der Proben – so erzählt er selbst13 – schweifte seine Phantasie zu jenem Orpheus, dessen Namen so majestätisch und voll Harmonie über den poetischen Mythen der Griechen schwebt. Hiebei trat eine sich im Louvre befindliche Vase in seine Erinnerung, die den Dichter-Musiker darstellt mit dem mystischen königlichen Reif um die Schläfe, vom sternbesäten Mantel umwallt, die Lippen zu göttlichem Wort geöffnet und mit den schlanken Händen mächtigen Griffes die Lyra schlagend. Entzückt lauscht die Natur – Quelle, Wald, Vogel, Thier und Stein – seinen milden Harmonien, die der Erziehung der Völker geweiht sind.

Man wird Liszt's »Orpheus« kaum anders hören können, als prägnirt mit diesem Bilde, dessen Inhalt folgende Worte des Meisters andeuten: »Orpheus beweint Eurydice, das Symbol des im Übel und im Schmerz untergegangenen Ideals. Es ist ihm vergönnt, sie den Dämonen des Erebus zu entreißen und heraufzubeschwören aus den Finsternissen der Unterwelt, aber nicht, sie für das Leben zu erhalten.« –

Die erste Aufführung des Werkes fand am 16. Februar 1854 statt und ging als Vorspiel14 der Oper Gluck's voraus. – Die Komposition selbst fällt in den Zeitraum von vierzehn Tagen.

Diese Tondichtung ist von kleineren Dimensionen als die meisten der symphonischen Einsatzer Liszt's, ja verhält sich zu ihnen wie ein Lied zum Epos. Dreitheilig, basirt sie auf der Liedform. Der melodische Charakter wiegt vor, selbst der Satz bewegt sich überwiegend im orchestralen Einzelgesang. Die Themen – eigentlich Melodien – bestehen aus zwei Haupt- und zwei Nebenthemen und finden in dem Hornmotiv am Eingang der Dichtung einen Vorklang. Die Harmonien sind edel, durchsichtig, von mysteriösen Reiz und erinnern an die Vorstellung, die der Meister von dem verklärend ethischen Charakter der orphëischen Harmonien als[282] »einem Äther, der das Weltall mit einer Atmosphäre von unsäglich mysteriösem Wohllaut umgiebt,« in sich trug. Dem entsprechend ist die Orchestrirung von großer Zartheit und übersinnlichem Kolorit. Zwei Harfen stehen in ihrem Centrum. Das Ganze gemahnt an jene durchsichtigen Sonettengestaltungen der italienischen Dichter, die indem sie ihren Stoff verklären, ihn zum Verschweben bringen.

Die Einleitung deutet auf Orpheus. Majestätisch rauschen Harfen-Arpeggien über sanftem Hornklang empor und verhallen


14. Die symphonischen Dichtungen.

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in den Lüften. Bewegt und klagend (S. 4) ergehen sich die Instrumente, mit denen sich ein Nebenthema (S. 6) verbindet, dessen harmonisches Profil:


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[283] den scharfen Schnitt antiker Gemmen trägt. Es bewegt sich aufwärts und führt zum Mittelsatz. Der harmonische Gesang gestaltet sich hier zu edel flehendem, bis zum Pathos sich erhebenden Einzelgesang:


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der über dem Äther der Harfen und Streichinstrumente (H.-Arpeggien) in Wonne und Wehe dahinschwebt.

Letzterer geht in das Übersinnliche über (S. 15) – es schweigt aufhorchend die Natur. Des Klagenden Stimme aber erhebt sich zu Gewaltigem, aus dem wir unter dem Anruf: »Eurydice!« eine Beschwörung der Gottheit zu vernehmen glauben. Und es scheint der Erebus sich zu öffnen – mächtig quillt aus der Tiefe ein Basso continuo herauf (S. 31)15,


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[284] über den Harmonien der Schönheit sich aufbauen, aber er vergrollt leise, und mit ihm vergehen die Harmonien.

Die Wiederholung des ersten Theils (S. 34–40) verklärt in freier Wiedergabe den Schmerz nm das entschwundene Ideal. In einem sanften Wechselklang der Streich- und Holzblasinstrumente verglüht mystisch das Orpheus-Lied.


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Auch der


»Tasso« (Nr. 2),

Lamento e trionfo –,


verdankt seine Entstehung einer Theateraufführung zu Weimar. Der hundertjährige Geburtstag Göthe's – am 26. August 1849 – sollte durch eine Darstellung seines »Tasso« festlich begangen werden.[285] Vom Hofe beauftragt, komponirte Liszt zu diesem Zwecke ein symphonisches Vorspiel, das auf die16 »große Antithese des im Leben verkannten, im Tode aber von strahlender Glorie umgebenen Genius« hinweisen sollte. Mit Lamento e Trionfo bezeichnet er dieselbe. Zu ersterem schwebte ihm Byron's ergreifende »Klage Tasso's« (»The lament of Tasso«) im Kerker zu Venedig vor, zum zweiten der Weltruhm, der seinen Werken durch die Jahrhunderte zu Theil ward. Das Verbindungsglied aber bot ihm Tasso's Aufenthalt am Hofe zu Ferrara, wo er liebte und litt. »Diese drei Momente« – sagt der Tondichter – »sind von seinem unvergänglichen Ruhme untrennbar. Um sie musikalisch wiederzugeben, riefen wir zuerst seinen großen Schatten herauf, wie er noch heute an Venedigs Lagunen wandelt; dann erschien uns sein Antlitz stolz und schwermüthig den Festen von Ferrara, wo seine Meisterwerke entstanden, zuschauend, und folgten ihm endlich nach Rom, der ewigen Stadt, die den Märtyrer und Dichter feierte und ihm die Ruhmeskrone gereicht hat.«

Jenen an den Lagunen Venedigs noch wandelnden Schatten sah der Meister in der Melodie:


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zu welcher die dortigen Lagunenschiffer noch heute wie vor drei Jahrhunderten die Anfangsstrophen von Tasso's »Befreitem Jerusalem«:


»Canto l'armi pietose e'l Capitano,

Che'l gran Sepolcro liberò di Cristo!«


singen, und die ihn einst in Venedig (1838) mächtig ergriffen[286] hatte.17 Es genügte ihm die einfache Wiedergabe dieser Melodie voll unheilbarer Trauer und nagenden Schmerzes, um die Seele Tasso's zu schildern. Daß er aber diese »Seele« zum Ausgang und zur Grundlage seiner Dichtung nahm, will eine Intuition des Genies erscheinen, welches hiemit den aufgefundenen und noch lebenden historischen Lokalton vertieft und in der dichterischen Erfassung aller Konsequenzen, dem Werke psychologische Wahrheit und Einheit verleiht, so, daß das Geschick des Dichters wie aus seiner Seele bestimmt, aus ihr herauswächst – eine Art Immanenz, die zu erreichen anders als durch die symphonische Kunst schwer sein dürfte.

In der venetianischen Gondoliere liegen die gesammten kompositorischen Themen und Motive des Werkes. Das königliche, schwermuthsvolle Thema an der Spitze der Einleitung, das für die Folge von vielsagender Bedeutung wird, stammt von dort –,


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der wild zuckende Schmerz, der sturmgleich sich aufbäumt (S. 4),


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kommt von dort –, das ganze Lamento, in dessen Mitte eine Edelperle mit kostbarster instrumentaler Fassung: die ganze Gondoliere, liegt, wurzelt dort –, desgleichen das stolzgehobene, Tasso's Leben am Hofe zu Ferrara einleitende Adagio (S. 17):


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[287] Der Verlauf seines Verweilens an demselben mit seinen bitteren Täuschungen, symbolisirt in einem berückenden Menuett (S. 24) voll trügerischen Lächelns, höfischer Gefallsucht und


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des süßen Giftes, welches die traurige Katastrophe nach sich zog, schlummert ebenfalls in der »Seele« des Dichters, dessen entzündbare Phantasie das holde Gaukelbild für Wahrheit nahm. Und was endlich den pompösen Trionfo anbetrifft, so ergiebt er sich thematisch gleichfalls als eine Konsequenz des bisherigen (S. 48).


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[288] Aufgebaut auf dem sein Leben am ferrarischen Hofe versinnbildlichenden Menuett, der jetzt, seiner Tändeleien und Truggebilde entkleidet, Tasso's siegendem Genius gilt, weist er auf seine Dichterkrönung auf dem Kapitol hin, die, obwohl sie seinem Leben


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keinen Ausgleich mehr bieten konnte, doch sein Geschick – wie der Tonmeister sagt – »mit einem Purpur bekleidete, reiner als der des Alphons.« –

Der »Tasso« zählt nicht zu Liszt's so überaus kühnen und gewaltigen Schöpfungen wie »Prometheus«, »Hunnenschlacht« u.a. Abgesehen davon, daß Tasso's schwankender Charakter keinen solchen[289] Stoff der dichterischen Bearbeitung bot, so lag auch hier die gestellte Aufgabe anders. Als Einleitung zu Göthe's »Tasso« erblickte sie Liszt in einer möglichst scharfen und charakteristischen Zeichnung der zwei großen Gegensätze im Leben des Dichters. Er gab sie in breiten Umrissen und mehr im großen Ganzen als in Einzelheiten wieder –: Linien aufschreienden Schmerzes, zuckender Verzweiflung imLamento, den Lapidarstyl des Pompes und Glanzes im Trionfo. Letzterer ist wie für die Bühne geschaffen.18 Im Lamento aber liegen zwei wunderbare Edelsteine an Feinheit der Arbeit und der Poesie in der Bearbeitung des venetianischen Tasso-Liedes und in dem Menuett. Sie geben in der Melancholie und in dem reizvoll höfischen Lebensbild den wild auflodernden Stellen das nöthige Gegengewicht.

Dem Pomp des Trionfo aber widmete Liszt gegen zwei Jahrzehnte später (1868?) einen »Epilog« – »Le Triomphe funèbre du Tasse« –, mit welchem er, gegenüber dem Glanz des Weltruhms, den ergreifenden Leichenkondukt zur Krönung des großen Dichters in Erinnerung bringt, wie der Abate Pierantonio Serassi ihn schildert und er seinem Nachwort zur Folie dient.19[290]

Auf Grundlage derselben Tasso-Melodie, erhebt sich hier edel und vornehm ein Trauergesang tiefster Leidenstöne, welche sowohl der Klagen um den heimgegangenen Dichterfürsten Ausdruck leihen, als auch das geistige Martyrium mit hineinziehen, mit welchem das Leben Tasso's so reichlich durchtränkt gewesen. Obwohl der ideale Hauch der Überwindung sich über letzteres breitet, so hören wir dennoch in den von ihm erpreßten Klagelauten die Erfahrung des Einen, von der Erfahrung des Andern enthüllt.

Die Anregung zur Konception des »Triomphe funèbre du Tasse« ward Liszt20 in einem Spaziergang nach St. Onofrio auf dem Janiculus – der letzten Lebensstation Tasso's –, wohin ein Freund ihn zur Bewunderung des Sonnenuntergangs geführt. Sie wanderten dieselbe Straße, welche einstmals des großen Dichters letzte war und auf der seine Leiche zur Krönung zurückgeführt wurde. Liszt war sehr bewegt, und noch in derselben Nacht ließ er sich in einem geschlossenen Wagen langsam nochmals nachSt. Onofrio führen. Anderntags sagte er: »Ich bildete mir ein, jener Tasso zu sein, welcher in seinem Sarge lag, und ich habe die Empfindungen notirt, welche er zumeist gehabt haben würde, wenn er das Bewußtsein jenes Vorgangs besessen.« Er komponirte hierauf obigen Epilog. Bei dieser Gelegenheit äußerte er: »Ich habe die traurige Poesie dieses Pfades mitgemacht in der Hoffnung, daß man eines Tages Jenen, welchen man während ihrer Lebenszeit schlecht begegnete, Poeten oder Künstlern, diese blutige Ironie der eitlen Apotheosen erspare. Ruhe den Todten!« –

Soweit wir wissen, hat der tief empfundene »Trauertriumph« nur eine Aufführung erlebt: im März 1877 in der Philharmonic Society zu New-York unter Dr. Damrosch.[291]

Eine der eigenthümlichsten Schöpfungen Liszt's ist sein


»Hamlet« (Nr. 10).


Der Meister übergab ihn der Öffentlichkeit ohne Vorbemerkung und ohne jedes andere Programm als seinen Titel, womit weitere Erklärungen gewissermaßen abgelehnt sind. Er selbst hat ihn nur ein Mal einige Monate vor seinem Tode (Tonkünstler-Versamml. 1886) als Orchesterwerk gehört, wie überhaupt derartige Aufführungen unbekannt geblieben sind. Auch von musikalisch-ästhetischen Analysen liegt nichts vor.21 In Folge dieser mangelnden Andeutungen ist die Frage frei gegeben: ob das »To be or not to be« oder ob die Entwickelung des Wesens Hamlet's, verbunden mit den seinen Geist immer tiefer verstrickenden Vorgängen, wie Shakespeare's Drama sie darstellen, symphonische Interpretation gefunden hat; denn eine Wiedergabe des Dramas wie die des Göthe'schen »Faust« durch die »Faust-Symphonie«, dürfte ebensowohl außerhalb des Stoffes, wie außerhalb der Form eines noch dazu in sich gedrängten Einsatzers – Liszt's »Hamlet« umfaßt nur 50 kleine Partiturseiten – liegen, womit diese dritte Annahme sich von selbst aufhebt. Anders verhält es sich mit den beiden ersten. Die Einleitung mit ihren düstern, schwankenden Themen und deren Durchführung deutet auf die erstere hin, der Verlauf des Ganzen aber giebt der zweiten sichere Anhaltspunkte, ohne aber die erstere aufzuheben. Es reift darum der Schluß zur Gewißheit, daß der Meister beide Momente zusammengefaßt hat: das »Sein oder Nicht sein«, aufgelöst in die brütende, schwankende Grundstimmung, die bei Hamlet in dem Widerstreit von Naturwillen und Gewissen oder, wie der Dichter es ausdrückt:


»So macht Gewissen Feige aus uns allen;

Der angebornen Farbe der Entschließung

Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;« –


ihren Quell hat einerseits, und anderseits die Entwickelung dieses Widerstreits bis zu der Steigerung, die seinen Geist auf die verhängnisvolle Grenzscheide trieb, wo nicht mehr Sein oder[292] Nichtsein, sondern: ob Licht oder Nacht, die Frage ist. Die Vorgänge selbst, die als geheime Motoren seiner Gedanken und Gefühle ihn beeinflußten, verlegte der große Symphoniker in die Vorstellung Hamlet's, so daß beispielsweise die Geisterscheinung seines Vaters, an keine Scene gebunden, sowohl von ihr reproducirt, auch als Phantom einer höchsten Erregung erscheinen kann.

Liszt's »Hamlet«-Schöpfung zerfällt in zwei Theile. Der erste bringt die Grundstimmung des Monologs, motivirt durch das Phantom, das in Hamlet den Entschluß seinen Vater zu rächen, erzeugt hat, ja zur Pflicht macht, zum Ausdruck. Der zweite Theil schildert die Geistesverfassung Hamlet's nach dieser Entschlußfassung, wie sie die IV. Scene des III. Aktes der Tragödie darstellt, wo er als Strafgericht seines ermordeten Vaters vor der eigenen Mutter steht und Polonius das Opfer für »einen Höheren« wird. Diese große Scene schwebt hier im Hintergrund. Als kurzer und kontrastirenden Zwischensatz beider Theile steht holdselig das bezaubernde »Bild Ophelia's«, eine musikalische Abstraktion der I. Scene des III. Aktes. Somit bilden drei Momente des Shakespeare'schen Dramas den Ausgang zur »Hamlet«-Dichtung Liszt's in folgender Ordnung: die V. Scene des I. Aktes (die Erscheinung des Geistes), die I. (Ophelia) und IV. Scene (vor der Königin) des III. Aktes, wobei die Stimmung des Monologs – an der Spitze die schneidende Frage – dem Ganzen die psychologische Basis giebt.

Das Werk ist inhaltlich gedrängt, in seiner Anlage tiefdurchdacht und von außerordentlicher Ökonomie der Mittel. Keine Äußerlichkeit findet Halt, aber mit einer unbeugsamen Logik verfolgt es seine Themen, von denen ein jedes, sei es ein Haupt- oder ein Nebenthema, eine spielende Phase im geistigen Saitenbezug der Seele Hamlet's ist. Seine thematische Arbeit weist eine Summe tiefsinnigster Kombinationen jener intuitiven Psychologie auf, die in die geheimen Schatten der Seele dringt und in ihren Abgründen, wie in den Sternen, liest, und wie sie vor Allem der Gestalten schaffende Dichtergenius sein eigen nennt. – Einer Eigenthümlichkeit dieser Schöpfung, die der reinen Instrumentalmusik wohl bis jetzt fremd geblieben ist, sei noch gedacht. Sie deutet auf Züge einer Ausdrucksform hin, welche der dramatischen Kunst angehört und vorzugsweise durch ihre Darstellung erst zum Dasein gerufen scheint, obwohl sie in ihr wurzelt – ich[293] meine die Mimik. Wer großer Tragöden gedenkt, weiß, daß selbst das vielsagendste Wort, das vollendeste Sprachorgan nicht immer erreichen, erklären, enthüllen kann, was der wortlosen Mimik gelingt. Sie ist die unmittelbarste Reflexion der Seele, des Geistes. Etwas Ähnlichem begegnen wir in Liszt's »Hamlet«. Tiefste Seelenaffekte sind hier zum Ausdruck gebracht, welche an die genannte Form unmittelbarer seelischer Reflexion, an die Mimik gemahnen und instrumental der dramatischen Gebärde gewissermaßen parallel stehen – wenigstens von Liszt so gedacht sind, wie aus der Partitur erhellt. Unsere analytische Skizze wird diesen Punkt deutlich zu machen suchen.

Nach einer auf dem Titelblatt des MS. gegebenen Notiz hat Liszt seinen »Hamlet« im Juni 1858 komponirt. Aus welcher Veranlassung dieses merkwürdige Gebilde entstanden: ob angeregt von einer Bühnenvorstellung? von der Schwierigkeit der Aufgabe als solcher? oder ob Ausdruck einer persönlichen Stimmung? – bleibt vielleicht für immer unerhellt. Doch gewinnt die erstere Vermuthung an Wahrscheinlichkeit durch eine Titelergänzung, die sich ebenfalls auf dem Titelblatt des MS. befindet und »Hamlet« als »Vorspiel zu Shakespeare's Drama« bezeichnet. Die Wahrscheinlichkeit wird durch den Umstand bestärkt, daß zu jener Zeit dieses Werk – die Titelrolle mit Dawison – über die Weimaraner Hofbühne ging.

Mit einem zweimal erklingenden Doppelthema (Oboen und Flöten I, Klarinetten und Fagotte II beginnt) das Werk.


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In ihm liegt der tragische Wurf. Jedes der Themen, das eine: »Sein?«, das andere: »Nichtsein?«, nimmt zwei Wendungen, deren Unentschiedenheit unverkennbar ist. Düster, tragen sie das[294] große Fragezeichen an der Stirn, dem der schwankende dunkle Klang des Solo-Horns, das schwankende Vibrato der Pauke beredten Ausdruck verleiht. Sämmtliche Stimmen bleiben mit der Grundstimmung des Ganzen in Beziehung. Gedanken auf Gedanken entsteigen langsam, schwer der Seele – düster klingt dazwischen das Hornmotiv (jetzt Trompete).


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Da scheint ihr Gang gehemmt von einem Räthsel, vor dem sein brütender Geist gleichsam gebannt steht – ein lockendes Geheimnis, aus dem wir die Worte zu vernehmen


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glauben –: »Sterben – schlafen – träumen.« Die Frage des Anfangs erklingt wieder, aber erregt, ja mächtig ruft sie das Phantom in Hamlet wach, das den tragischen Knoten schürzt. Diese beiden so gegensätzlichen


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Stellen – die eine in ihrem transscendentalen Charakter, aus nur hoch gelegenen reinen Dreiklängen bestehend, die andere in der Malerei des Schaurigen mit dem aus der Tiefe hohl klingenden übermäßigen Dreiklang mit vorgehaltener Terz – sind von ergreifender Wirkung und kommen im Verlauf der Tondichtung nur dies eine Mal vor.[295]

Von dem Moment an, wo die Todesursache seines Vaters Hamlet kund ward und diese Kunde die Grenze der Ahnung übersteigt, ohne doch Gewißheit zu sein, steigert sich sein Seelenzustand – Allegro appassionato ad agitato assai, S. 9 u.f. – zum Verzweiflungsvollen. Das Doppelthema wirst seinen grüblerischen Charakter ab (man vergleiche die Harmonie hier mit dem harmonischen Gewebe desselben am Anfang) – es ist keine Frage mehr: es ist Entsetzen. Diese ganze Stelle wirkt, es läßt sich sagen, psychiatrisch.


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Die Gedanken – nur ein Gedanke: das »Richtsein« – jagen ohne Zügel im wilden Kreislauf dahin (S. 13–16), die taktische Eintheilung von vier Vierteln wird ohne thematische Veränderung zu einer von drei Vierteln, die Accente werden kurzathmig – zum Ersticken. Da entringt sich ein Aufschrei von immenser Gewalt der Beruf, ein neues Thema:


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tritt zu dem Aufschreimotiv, das sekundär wird, und


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führt zu einem zweiten:


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Wie eine wilde Hetzjagd treiben die Themen, bis Hamlet, hoch aufgerichtet, in sich zum Entschluß gelangt. Hamlet als Melancholiker ist keine heroische Natur.


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Und so liegt in diesem Entschluß nicht das stolze Pathos einer solchen, aber, einmal gefaßt, dehnt er in ihm zu einer Größe sich aus, deren Kraft uns mit fortreißt. Auf der Spitze der[296] Aufregung, stockt diese plötzlich –: die holdselige Gestalt Ophelia's zieht wie ein Schattenbild an Hamlet's Seele vorüber – er setzt


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ihm Ironie entgegen.

Hier beginnen die Momente, von denen ich oben sprach, die einer seelischen Mimik gleichen und von da an noch mehrfach, nicht nur als Ironie, auch als Hohn und Wildheit (VII), vorkommen. Alle diese Seelenreflexe haben miteinander gemein, daß der Meister sie wohl mehreren Instrumenten übergab, aber sie unisono oder in Oktavverdoppelungen setzte, wie folgendes Beispiel – die Ironie anscheinend gegen Ophelia – darlegt. »Anscheinend« –


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denn bei genauer Betrachtung der Themen ergiebt sich, daß sie nicht dem Bilde seiner Liebe gilt: ihr Stachel ist gegen das eigene Ich gerichtet und ist, nach Liszt, eine Art Verschanzung vor Allem, das ihn von der so schwer auf ihm ruhenden Pflicht den Vater zu rächen, hätte entfernen können. Das wenigstens liest sich aus der Partitur und läßt sich aus obigem Beispiel schon erkennen: das ironische Motiv, dessen Quartschritt mit der Violoncellostimme geht, wendet sich gegen diese, die eine merkwürdige Umgestaltung des schmerzvollen Fragethemas (II) ist.

Der Ophelia-Satz ist kurz; er besteht aus nur 58 Takten und bildet gleichsam einen Ruhepunkt in den leidenschaftlichen Geistes- und Seelenqualen, die Hamlet gegenüber seiner Mutter durchwühlen und in dem folgenden Theile der Tondichtung[297]Allegro molto agitato – zum Ausdruck gelangen. Der treibende Charakter wird hier zum herrschenden. Von Verzweiflung gepackt, sieht Hamlet's aufgeregtes, vibrirendes Hirn den Geist


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seines Vaters. Wie in der Tragödie des britischen Dichters, taucht hier die Erscheinung vier Mal auf, stets begleitet von dem Verzweiflungsmotiv, das seine Vorbildung in einem Nebenthema des ersten Theils gefunden. Dazwischen schleudert er heftig Worte der


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Anklage, wilden Hohn im Herzen. Die Wogen der Erschütterung stürmen auf und nieder, wobei sie aus ihrer Tiefe den Entschluß (V a) wieder auf die Oberfläche treiben. Auch die große Doppelfrage steht auf, ganz wie am Anfang, der sich (S. 1–7) als Schluß des Ganzen wiederholt, aber jetzt sich zum »funebre« gestaltet, und Hamlet den Polonius für »einen Höhern« hält (vergl. das Ironiemotiv VI).


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22


Düster, leise – möchte man sagen – schleichen die Töne dahin.[298] Aber noch ein Mal treibt es mächtig zur Frage, – die jetzt anders liegt.

So endet das merkwürdige Werk. – –

Noch eine seiner symphonischen Dichtungen, die


»Héroïde funèbre« (Nr. 8),


widmete Liszt dem Schmerz, aber hier dem Schmerz als solchen. Kein weltbekannter Name, welcher Träger desselben wäre, um ihm individuellen Charakter, auch Scenerie zu leihen: der Schmerz, der hier erklingt, geht über alles Persönliche hinaus – eine erhabene Trauerode, deren Gesang über die Grabhügel der Völker und Zeiten weht, aber auch die Thräne in sich trägt und weint, die das getroffene Menschenherz vergießt.

Man hat die Bezeichnung »Héroïde funèbre« mit »Heldenklage« ins Deutsche übertragen. Sicher ist sie eine solche; aber sie ist nicht, wie man anzunehmen pflegt, die Klage eines Helden oder auch der Trauerkondukt (weil in Marschform) für einen solchen. Es sind Funeralien großen, weiten Inhalts, um die es sich handelt, die gleich dem Trauermarsch der heroischen Symphonie Beethoven's, wenn auch durchwoben von persönlichen Gefühlen, doch in ihrem A undO einem großen Ganzen gelten.

Ihre musikalischen und ideellen Keime liegen im Jahre 1830. Dieselben sind Reste der theils Skizze gebliebenen, theils verloren gegangenen Revolutionssymphonie des neunzehnjährigen Jünglings. Zu Anfang seiner Weimarperiode verarbeitete und instrumentirte sie Liszt. Die Julirevolution aber blieb in der Marschform, gleichsam als scenischer Hintergrund stehen, während die Idee, die er in jener Symphonie zu verkörpern gedacht – die Idee einer universellen Sieges-Hymne der Humanität und Freiheit23 –, sich umsetzte in eine Trauerhymne, in der sich der Schmerz des Einzelnen, der Völker und Zeiten hinaufsummt zur Thräne der Menschheit.

Als Hauptreste der »Symphonie révolutionnaire« sind die beiden Hauptthemen mit ihrem ungarischen Anklang (I und II),24[299] sowie die große Fanfare des Trios zu verzeichnen, die mit ihrer Trauerumgebung die gestorbene Hoffnung einer Zeit heraufbeschwört, während sie dort den Triumphruf der Völker bedeuten sollte.

Der Meister gab seiner Dichtung ein längeres, Programm vertretendes, Vorwort mit. Hier sagt er unter anderm: »Auf der Schneide jener Schwelle, welche jedes blutige Ereignis zwischen Vergangenheit und Zukunft stellt, gleichen sich Leiden, Ängste, Jammern und Leichenzüge immer und überall. Immer und überall hört man zu jeder Siegesfanfare eine trübe Begleitung von Röcheln und Stöhnen, Beten und Lästern, und man möchte glauben, daß der Mensch mit Ehren- und Festgewändern sich nur schmücke, um den Trauerflor zu verbergen, mit dem er wie mit einem unsichtbaren Epiderm dicht verwachsen ist.

Dem Bilde düsterer, dabei dramatischer Größe, welches Liszt in der »Héroïde funèbre« entworfen, entspricht ihre Instrumentation. Der Partitur (großes Orchester) sind Glocken, die Begleiterinnen feierlicher Handlungen, sowie der Tamtam mit seinem Schauer erweckenden Schall nebst den übrigen Schlaginstrumenten, einverleibt. Sie ist die einzige der symphonischen Dichtungen, bei welcher der Meister sich der Glocken bedient hat.

Schlaginstrumente gedämpften Klanges leiten sie ein und künden


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ein Bild, dem der ihnen folgende übermächtige Aufschrei der Bläser, der tiefe Ernst der klagenden Fagotte Inhalt und Farbe anweist.


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Die Einleitung enthält die wesentlichen Keime des Ganzen, unter ihnen die erwähnten Schmerzthemen (I und II). Nun hebt die Klage an;


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[300] ihre langgezogenen Töne sind durchschauert von schweren, monotonen Rhythmen. Immer ergreifender, breiter, erheben sich ihre dunkeln Schwingen, unter denen sich Seufzen, Stöhnen, trauerndes Trostwort birgt. Da, in das dunkle Gemurmel der Streicher tönt langsam tiefer Glockenschlag – ein zweites Thema tritt,


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gefolgt von flehenden Stimmen (III), ein, weicht aber den letzteren, die im Verein mit der nun im Posaunenton weithin schallenden Trauerklage (I), die sich steigernde Bewegung in ein von Glocken


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durchzittertes unisono der Streicher (IV) führen, in das sich Weherufe (auf dem Ton Des) der Bläser mischen. Höher schwellen die Wogen der düstren Macht. Unter dem gleichmäßigen Andringen der zermalmenden. Bässe, an denen der Tamtam gleich wilder Brandung an mächtiger Felswand anschlägt, tritt der Anfang des[301] Trauermarsches groß und schwer wieder ein, (S. 16) – es ist, als


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wanke der Boden. – Ein leises Weinen, ein Bangen und Beben versenkt den Schmerz in das Innere und folgt den Schrecknissen, die hier in einem basso continuo (S. 20) nach- und auszittern.

Tröstend und leicht, obwohl voll Wehmuth, steht dem ersten Theil der Zwischensatz gegenüber. In seiner edeln Einfachheit


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beruhigend, scheint er auf große Dinge hinzuweisen: aus ihm tritt feierlich die Fanfare (B dur), deren wir oben gedacht hervor – eine Riesenfanfare, in die allmählich alle Stimmen (bis auf die Glocken), indem sie sich höher und höher thürmen, eintreten. – Sanft ausdrucksvoll, beredt und in den Stimmen verstärkt, hebt der Gesang (VI) abermals an und verbreitet sich diesmal bis über die hohen Tonlagen, und abermals folgt die Fanfare (jetzt C dur). Aber die dunkeln Mächte treten bebend ein – Più agitato ed accelerando il tempo, S. 32 –, das Glockenmotiv, das[302] II. Schmerzthema, das Flebile (III) ertönen, die Bässe erzittern und gipfeln in dem eisern strengen Baßmotiv (IV). Beim Wiedereintritt des Marschthemas (I) aber, das jetzt kanonisch bearbeitet ist, weicht es der zweiten Stimme desselben, die als Baß in kolossaler Kraft, von Tamtamschlägen durchschwirrt, aus der Tiefe emportreibt.


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In diesem dem Zwischensatz folgenden Wiederholungstheil veränderte der Meister die Themenfolge: er begann mit dem II. Thema und führte erst dann das erste ein. Die eben citirte Stelle bildet einen Höhepunkt, der ein Schrei des Entsetzens scheint, wie er »Katastrophen, die den Hingang einer alten Ordnung der Dinge, oder das Entstehen einer neuen bedeuten,« begleitet.25 Der Erschütterung folgt eine nochmalige kanonische Bearbeitung des I. Themas, begleitet von einem geheimnisvollen Vibrato 14. Die symphonischen Dichtungen. 14. Die symphonischen Dichtungen. der Violinen und Bratschen über langgezogene Orgelpunkte. Seine Schritte weiten sich mehr und mehr ins Große, die Bewegung nimmt zu und treibt zu einem zweiten Kulminationspunkt der Dichtung, bei welcher die sämmtlichen Bässe es ergreifen,


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während glanzvoll das Trostmotiv (VI) in der Höhe sich ausbreitet. Die Majestät des Schmerzes entfaltet ihre Glorie in mächtigsten Klängen, und man wäre versucht, sie jubelnd zu nennen, dränge nicht durch allen Glanz ein aufschreiender Wehelaut der Bässe. Er färbt die Fluth der Erhabenheit dunkler und dunkler, bis das Glockenmotiv und die Schlaginstrumente von neuem einsetzen, doch[303] nur vier Takte, womit der Glanz des Schmerzes seiner Trauer das Recht einräumt und Thränen und stilles Bangen (V) zurück bleiben. –

Die erste Aufführung der »Héroïde funèbre« fand in Breslau (unter Damrosch) 1857 (?) statt. Eine andere folgte zu Berlin, eine zu Frankfurt a/Oder im Oktober 1858 (hier von Kapellmeister Gottfried Piefke26 für Militär-Orchester instrumentirt und bei einer großen Revue daselbst dirigirt). Die bedrückende Schwere des Stoffes ließen sie als nur bei besonders ernsten Anlässen geeignet für den Koncertsaal erscheinen. Im Jahre 1886 wurde sie in verschiedenen Städten das Hauptwerk der musikalischen Feierlichkeiten, die dem Heimgang ihres großen Schöpfers galten.

Die noch übrigen symphonischen Dichtungen »Les Préludes«, »Die Festklänge« und »Die Ideale« (S. 206) zählen nicht zu jenen Stoffen, denen der Schmerz – diese in Liszt's Individualität so stark vibrirende Saite27 – inkarnirt wäre, obwohl er auch über sie seine Schatten wirst.


»Les Préludes« (nach Lamartine) Nr. 3,


wird zu den freundlichsten derselben gezählt. Sie entstanden zu Anfang 1854. Ihre erste Aufführung war in einem Pensionskoncert der Hofkapelle zu Weimar am 23. Februar 1854. Doch haben sie eine kleine Vorgeschichte und Vorarbeit in einer andern Komposition Liszt's: in »Les 4 Eléments« (La Terre, Les Aquilons, Les Flots, Les Astres) nach einem Gedicht von dem Franzosen Aubray. Diese waren chorisch angelegt und fallen in die Zeit eines längeren Aufenthaltes Liszt's zu Paris gegen 1844 hin. Schon ziemlich mit dem Werke vorgeschritten, sah sich Liszt durch die Mattigkeit des Gedichtes an seiner weiteren Ausführung gehemmt. Er klagte seine Noth Victor Hugo, im Stillen hoffend, dieser werde mit einem Text ihm entgegen kommen. Aber seine Mittheilung glitt an dem Dichter ab und er selbst war zu stolz ihn direkt um einen solchen anzugehen. Das verleidete ihm die Komposition und er legte sie beiseite. Jetzt bei Gelegenheit obigen Koncertes erinnerte er sich ihrer und gestaltete »Die vier Elemente«[304] zur symphonischen Dichtung mit Lamartine'schem Programm um. Dieses, den »Médita tions poëtiques« entnommen, nennt unser Leben eine Reihenfolge von »Präludien zu jenem unbekannten Gesang, dessen erste und feierliche Note der Tod anstimmt.« Die Liebe, der Sturm des Lebens, der zerstörend über sie dahin braust, der Frieden ländlicher Ruhe nach solchen Erschütterungen und endlich die wiedergewonnene Thatkraft, die »wenn der Drommete Sturmsignal ertönt,« den Mann zu Thaten aufruft, durch die er zum Bewußtwerden seiner selbst, zum Vollbesitz seiner Kraft gelangt: Liebe, Schmerz, Frieden, Sieg – so heißen die Vorspiele.«

»Präludien« betitelte Liszt die Neudichtung, nebenbei bemerkt nicht gerade günstig oder zweckmäßig für die Komposition selbst, da dieses Wort ohne Nachsatz anderen Inhalt voraussetzt. In dem Tausch der Texte aber und in dem nachträglichen Progamm – was bis zu diesem Moment nicht bekannt gegeben wurde – liegt jener Bruch zwischen Programm und Musik, den A.W. Ambros scharfsinnig aufdeckte28 und den auch Franz Brendel zugestehen mußte.29 Liszt's Musik ist deskriptiv, das Programm aber subjektiv.

Wohlklang, sonniger Liebreiz und Mannesschönheit gewannen den »Präludien« eine Bevorzugung vor den andern Symphoniegedichten seitens der Koncertleiter. Sie kamen so häufig zur Aufführung, daß sie der Meister, ihre Popularität ironisirend, mit dem Wort »Gartenmusik« belegte.30[305]

Ein einleitendes Andante stellt an seine Spitze den Keim des Hauptthemas, der erweitert und umgebildet dem wesentlichen Theil des Gedichtes die thematische Grundlage giebt.


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Und in der That, wie ein Keim, der aus der Erde Schoß hervorbricht und das Geheimnis seines Seins noch geschlossen hält, tritt er sachte ein und entfaltet sich bei Harfenklang zu edlem, emporstrebendem[306]


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Glanz eines noch ungetrübten Jünglingspathos. Bald aber mengen sich weichere Regungen, leises Sehnen in den stolzen Muth, und das Thema erklingt im weichen,


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vollen Tenorton gleich einem Liede knospender Lyrik. Es weicht einem neuen Thema, das anschmiegend, selig bewegt von den ersten Wonnen des Herzens erzählt und zum ersten Thema, das seiner Natur und Durchführung nach als männliches Princip zu bezeichnen ist, als das dieses ergänzende weibliche hinzu tritt.


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Doch wo schont ein Sturm das Glück! Wetterwolken der Leidenschaft ziehen auf, Blitze zucken und die ganze Seligkeit verschlingt der sich entfesselnde Sturm:


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[307] Nach solchen Erschütterungen bringt die alles besänftigende Natur das Gleichgewicht der Seele und den Frieden zurück. Ein entzückendes Pastorale, dessen Hauptmotiv den gebundenen Naturton der Schalmei festhält, stellt ihn wieder her.


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Unter seinem heitern Sonnenglanz findet das Gemüth die Klänge des Herzens wieder und aus dem reizenden Schalmeimotiv wallt das Liebesthema (II), wie eine neue Blüthe empor (S. 60). Köstlich sind die Varianten und Arabesken, in welchen sich beide umwinden, bis schließlich das Liebeslied die Oberstimme fest und kräftig behauptet und die Reize der Natur nur noch ihrem Schmucke zu dienen scheinen.

Die Sicherheit des Glücks stählt die Thatkraft. Woher auch


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14. Die symphonischen Dichtungen.

der Ruf an diese ergehe, es antwortet der Mann. Und voll hohen Muthes, jenen Talisman im Herzen, tritt er ein


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in die Reihe der Streitenden, unter denen er den sieghaften Besitz seiner selbst erhärtet. Feierlich ja kirchlich pompös klingen die »Präludien« aus.


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[308] Von eigenartiger Schönheit sind die


»Fest-Klänge«, Nr. 7.


In keiner der symphonischen Dichtungen ist eine solche Mischung von Adel, Stolz, Herbheit und seelischer Hingabe, wie hier. Ihr Geist ist anderer Art als er im allgemeinen mit Freude, Jubel und Glück sich verbindet. Schon die erste große Fanfare macht uns fühlbar, daß es auch hohe Feste – Jubelfeste – giebt, die, wenn auch nicht über Leichen, aber doch über Kampf und Schmerzen schreiten müssen, ehe das Ziel erreicht wird.

Es ist den »Festklängen« kein Programm voraus gegeben. Liszt's Schweigen über sie, selbst im engsten Freundeskreis, war zur Zeit ihrer ersten Aufführung und nach ihrer Publikation Allen auffallend. Von Brendel hörte ich sagen, sie sei eine Sphinx, die nicht zu deuten. Im allgemeinen aber nahm man an, daß Liszt sie zum fünfzigjährigen Jahrestag des Einzugs seiner hohen Gönnerin und Freundin Maria Paulowna in Weimar komponirt, habe – ein Jahrestag, der am 9. November 1854 festlich begangen wurde, wie ein Halbjahrhundert vordem, als Schiller's lyrisches Festspiel: »Die Huldigung der Künste« die hohe Frau begrüßte. In Wahrheit aber hängen sie eng mit des Meisters persönlichem Leben zusammen: sie waren zu seiner Vermählungsfeier mit der Fürstin bestimmt – seine »Hochzeitsmusik,« wie er sie nannte. Es war im Sommer 1851 in Eilsen, als es für einen Moment schien, als sollten die ihrer kirchlichen Verbindung entgegenstehenden Hemmnisse in Kürze überwunden sein. Diesem Augenblick entsprangen die »Fest-Klänge,« – ein Triumphlied über feindliche Machinationen. In ihnen lösten sich Bitternisse und Schmerzen in stolzes Frohlocken, und die ihnen eingewobene Polonaise vertonbildlichte die geistigen Züge der fürstlichen Polin, die ihn selbst zu ihrem »Seel-Eigenen« gemacht hatte. Daneben durchziehen das Werk kleine zarte Episoden – Festklänge der Seele –, die von dem poetischen Zauber des persönlichen Erlebnisses durchweht sind.

Bon da, wo die Polonaisen-Rhythmen beginnen, liegt musikalisch eine zweifache Lesart vor: die der Partitur dieser Dichtung und die einer späteren Umgestaltung einzelner Partien, die unter dem Titel: »Anhang, Varianten zu Nr. 7, Festklänge, Kürzungen und Errata« den symphonischen Dichtungen 1861 nachfolgten. Jede[309] dieser beiden Ausgaben hat besondere Reize, die erstere namentlich durch eine Vermischung des 4/4- mit dem 3/4-Takt (Seite 25 u.s.w.), welche die zweite zu Gunsten größeren formellen Flußes aufhebt. Diese Ausgabe dürfte im Ganzen genommen wirkungsvoller als die erste sein. Unsere analytische Skizze wendet sich ebenfalls an sie.

Die Fest-Klänge beginnen mit Fanfaren. Sie sind gleichsam ihr Leitmotiv. Stolz, kühn – der Sieg, der seinen Fuß fest auf


14. Die symphonischen Dichtungen.


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den Kopf der Schlange gestellt, seinen Siegeston anstimmt, erheben sie sich auf einer Dissonanz, dem Sekundakkord, der, so oft die Fanfaren wieder ertönen – inmitten des Festglanzes, als auch am Schluß des Werkes –, ihre charakteristische Grundlage bleibt. Die erste Fanfare (23 Takte) steht auf:


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ihre Wiederholung, die zweite, auf:


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Von eigenthümlicher Herbe ist folgender Gang derselben, dessen zwei Septimenakkorde zu einem Harmoniemotiv der Dichtung werden. Das


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[310] Gepräge des Heroischen, welche ihre Konstellationen den Fanfaren aufdrücken, bleibt dem ganzen Werk zu eigen.

Zwei Hauptthemen treten aus demselben hervor. Das erste Thema von entschieden männlichem Charakter, zeigt sich zum ersten


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Mal Seite 10 in der höheren Lage des Violoncells, giebt sich aber sogleich wieder gegenüber einer Sopranstimme (Oboe) auf, in deren Motiv das Violoncell einfällt,


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und Oboe und Violoncell nach kurzem aber innigem Zwiegespräch in einen Jubelschrei – Tempo 10, Allegro mosso con brio –, von Trompeten durchschmettert, ausbrechen. Er beendet diese kleine Episode, und im Lauf, fliegenden Athems, führt er hinab in die unteren Tonlagen, wo über einem höchst erregte basso continuo das I. Hauptthema, jetzt zweitönig (in Terzen) eintritt und auch


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seine Durchführung (über C, E und H) findet. Einen Höhepunkt derselben bildet die Stelle, wo die Stimmen der Bässe kraftvoll und groß sich des Themas bemächtigen und es mit dem Glanz eines


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[311] Fanfarenmotivs gleichsam krönen. Diese Themenform tritt verschiedendsten Ausdrucks im Verlauf des Ganzen noch mehrmals hervor. In einem basso continuo auf H schwingt der Jubelsturm aus und führt zum zweiten Hauptthema, das ausdrucksvoll in elastischer Geistigkeit und vornehmer Grazie sich ergeht.

Hier beginnen die beiden vorerwähnten Lesarten, die thematisch wie folgt sich darstellen:


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Das episodische Sätzchen (Part. S. 27 u.f.) – eine lyrische Wendung obigen, dem I. Hauptthema entsprungenen


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Baßmotivs – ist gleichfalls thematisch umgestaltet und in Fortsetzung desselben ebenfalls die Seiten 28–34 der Partitur. Tiefer eingreifend aber als diese thematischen Varianten ist ihre Satzgestaltung. Was in der Originalpartitur einen episodischen Charakter trägt, ist hier mehr mit dem Ganzen verwoben. Die Polonaisen-Rhythmen 14. Die symphonischen Dichtungen., obwohl noch nicht zur [312] Polacca vorgeführt, beginnen mit dem Allegretto dort erst Seite 34, verflechten sich mit dem Thema II und geben ihm die individuelle sowie charakteristische Grundlage, die zum Festglanz als Polacca – dem fürstlichen Kostüme – sich entwickelt.

Die Polonaisenthemen sind poesievolle Abkömmlinge der ersten zwei Takte des II. Hauptthemas, dessen erster Takt (Var. S. 4, Part. S. 28)


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zu duftigem Blumengewinde wird, und der zweite feierlich-stolz den Höhepunkt des Festgepränges zum Ausdruck bringt:


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Hier entfaltet sich der Polonaisencharakter in seiner glänzenden Festwürde, während er vordem überwiegend ein innerer Rhythmus bewegten Gefühls, dieses zu dialogischen Wendungen trieb. Einem Anrufe gleich, (S. 38) ertönt es mehrmals aus dem Gewoge:


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worauf die Polonaise abbricht und beschleunigten Klanges die Fanfarenperioden des Anfangs – jetzt:


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und:


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– wieder eintreten.

Sie leiten den ersten Theil der »Fest-Klänge« zum Durchführungssatz über, der ausschließlich vom I. Hauptthema bestimmt ist. In großartiger Linie wogt dieses über hochstrebende (Seite 45) und fliegende Bässe von Fanfarenmotiven durchrauscht (S. 48), sich steigernd bis zur heroischen Größe in dem Andante sostenuto[313] (Seite 51). In einem Sätzchen innigster Inspiration erklingt es hierauf gedämpften Lautes, der in hinzutretenden drei Violoncellostimmen selig und fragend berührt.


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Stimmungsanalogien findet diese wunderbare Stelle im Gretchensatz der »Faust-Symphonie.« Ihr poetischer Zauber fließt zusammen mit dem Zwiegespräch des ersten Theils (Seite 10), das, hier wiederholt, ihr die Fortsetzung giebt und zugleich den Repetitionssatz beginnt.

Letzterer wiederholt theils getreu, theils unter neuen Streiflichtern den ersten Theil bis da, wo der Polonaisenrhythmus abbricht. Das auch hier eintretende Fanfarenmotiv zeigt sich nur kurz und verflüchtigt, bildet aber den Übergang zum Schluß, der (S. 84) mit dem I. Haupthema so umwölkt beginnt, als stehe das Fest in Frage. Es vibrirt die Luft (Str.), langgezogene Töne (Hlzbl.) ziehen über dem Basse, dem I. Haupthema, hin. Dieses aber treibt stringendo e crescendo, von kurzen Trompetenstößen 14. Die symphonischen Dichtungen. unterstützt, vorwärts, bis es, alle Stimmen besiegend, in majestätischem Glanze das ganze Tongebiet beherrscht (S. 88). Die Fanfaren treten hinzu, unter ihrer Ferse den zertretenen Schlangenkopf. Edel und glanzvoll endet das Werk. Seiner Seelengeschichte gedenkend wird wohl für immer der Schein eines Doppelantlitzes den Hörer umschweben. – – –

Fußnoten

1 Der Göthe-Marsch, Fest-Vorspiel, Künstler-Festzug, Huldigungs-, Hohenzollern-Marsch, Fest-Marsch (nach Motiven des Herzogs Ernst) und die Ungarischen Märsche.


2

  • Nr. 1. »Ce qu'on entend sur la montagne« (nach Hugo). Edirt 1857: Breitkopf & Härtel.

  • Nr. 2. Tasso. Lamento e Trionfo. Edirt 1856: Breitkopf & Härtel.

  • Nr. 3. Les Préludes (nach Lamartine.) Edirt 1856: Breitkopf & Härtel.

  • Nr. 4. Orphée. Edirt 1856: Breitkopf & Härtel.

  • Nr. 5. Prométhée. Edirt 1856: Breitkopf & Härtel.

  • Nr. 6. Mazeppa (nach V. Hugo). Edirt 1856: Breitkopf & Härtel.

  • Nr. 7. Fest-Klänge. Edirt 1856: Breitkopf & Härtel.

  • Nr. 8. Héroïde funèbre. Edirt 1857: Breitkopf & Härtel.

  • Nr. 9. Hungaria. Edirt 1857: Breitkopf & Härtel.

  • Nr. 10. Hamlet. Edirt 1861: Breitkopf & Härtel.

  • Nr. 11. Hunnen-Schlacht (nach Kaulbach). Edirt 1861: Breitkopf & Härtel.

  • Nr. 12. Die Ideale (nach Schiller). Edirt 1858: Breitkopf & Härtel.


3 Siehe I. Kapitel d.B. Nr. II.


4 Die 2. Posaunenstimme 4. Takt enthält den Keim des »Ideal«-Motivs.


5 Nach einer brieflichen Mittheilung des Meisters an Dionys Pruckner.


6 Derartige Stellen, aber ausgedehnter, finden sich auch in der »Hungaria« vor S. 58 u.f.


7 Siehe Fußnote XI. Kapitel (S. 201).


8 Richard Pohl erwähnt in seinen Programmen zu symphonischen Dichtungen Liszt's (Ges. Schr. II. Bd. S. 396) keine Silbe von der dem »Mazeppa« untergeschobenen Idee. Aber er giebt zum Gebrauch bei Koncertaufführungen eine zweckentsprechende Kürzung des I. Theils des Hugo'schen Gedichtes, das zu adoptiren sehr zu empfehlen ist.


9 I. Bd. S. 86: Etudes, opus 1; S. 463: Grandes Etudes; II/1. Bd. S. 13, S. 100.


10 Nach Liszt's Mittheilungen an die Verfasserin.


11 Zwei einzelne Violinen.


12 Nach einer Bemerkung des Komponisten (S. Fr. Liszt, Symphonische Dichtungen. Anhang, Varianten etc. Partitur Breitkopf & Härtel) kann dieser Marsch separat ohne das Vorherige von Seite 89 an (Allegro 14. Die symphonischen Dichtungen.) aufgeführt werden.


13 Vorwort zur Partitur der symphonischen Dichtung »Orpheus«.


14 Ein Theaterzettel, im Großherzoglischen Archiv zu Weimar befindlich, besagt: » ... mit Orchester-Vorspiel und Schluß, mit Musik von Fr. Liszt« – von diesem »Schluß« konnte ich nichts ermitteln.


15 Obige Notation des Basso continuo ist nach des Meisters Veränderung, s. »Anhang zu den symphonischen Dichtungen« S. 35.


16 S. Liszt's Vorwort zur Partitur seines »Tasso«.


17 I. Bd. S. 482.


18 Wie der Mazeppa-Marsch kann der Tasso-Trionfo, nach des Komponisten Bemerkung (siehe Anhang zu Liszt's symphonischen Dichtungen S. 34) separat ohne den übrigen Theil des Werkes aufgeführt werden.


19 »Tasso erreichte ein Alter von einundfünfzig Jahren, einem Monat und vierzehn Tagen; auch hierin Virgil ähnlich, der sein Leben nicht über zweiundfünfzig Jahre brachte. Durch seinen Tod empfing die italienische Dichtkunst einen schweren Schlag und blieb gleichsam unter ihren Trümmern begraben. So war es kein Wunder, wenn ganz Italien trauerte, als es sich seiner höchsten Zier beraubt sah. Freunde und Verehrer waren untröstlich. Vor allem vermochte sich der Kardinal Cintio (Aldobrandino) nicht zufrieden zu geben, und es bekümmerte ihn über die Maßen, daß so viel Verdienst nicht in Zeiten mit der gebührenden Krone gelohnt worden war, welches Ehrenzeichen er Torquato Tasso wenigstens nach dem Tode nicht vorenthalten wollte. Somit ließ er den Leichnam mit einer kostbaren Toga bekleiden und befahl, ihm die Stirne mit dem verdienten Lorbeer zu kränzen, sich selbst dadurch Genüge thuend, daß dem Verklärten wenigstens bei der Trauerfeier der Schmuck werde, der ihm bei der ihm zugedachten Dichterkrönung zu tragen nicht mehr vergönnt war. Groß und prächtig war das von Aldobrandino veranstaltete Leichenbegängnis, wie es der Bedeutung Tasso's und dem edlen Wohlwollen seines Gönners geziemte. Unter glänzender Beleuchtung wurde der Leichnam von dem Kloster, darin er sich befand, herab nach der Stadt und dem ansehnlichen Platz St. Peters getragen, außer einer Anzahl von Ordensgeistlichen, vom ganzen Hofstaat des Papstes, von der Dienerschaft der beiden Kardinalnepoten, von den Lehrern der Wissenschaft und vielen Vornehmen und Gelehrten geleitet. Ein Jeder beeilte sich ihn zu sehen, begierig, ein letztes Mal noch das Angesicht eines Mannes zu schauen, der sein Jahrhundert so hoch geehrt hatte. Die Maler drängten sich zu dem Todten, um seine Züge festzuhalten, und wetteiferten alsbald in der öffentlichen Aufstellung seines Bildnisses.«

(Das Leben Torquato Tasso's

vom Abate Pierantonio Serassi.

Buch 3, Seite 325).


20 Nach den Mittheilungen der Frau Fürstin Wittgenstein durch Dr. Brichta (Wien 1886) im »Budapester Tagblatt«, nach des Meisters Tode.


21 Noch kürzlich nannte mir ein Veterane der Liszt-Wagner-Kämpfer den »Hamlet« ein »todtgeborenes Kind« seines Schöpfers.


22 Im Jahre 1884 wurde Liszt in einem Privatsalon mit seinem »Hamlet« in der Bearbeitung für 2 Klaviere traktirt. Ich saß neben ihm und konnte seinem Gesichtsausdruck ablesen, daß er in Gedanken den »Hamlet« durchlebte. Bei dieser Stelle flüsterte er mir zu: »Polonius – die Ratte«, was er mit einer dieser Scene entsprechenden Armbewegung illustrirte.


23 Siehe I. Bd. Seite 145 u.f.


24 Irrthümlich nannte ich im I. Bd. S. 147 den »Heroischen Marsch« (D moll) und in Konsequenz die »Hungaria« als die Werke, in welche dieselben übergegangen, was hiemit berichtigt sei.


25 Nach Liszt's Vorwort.


26 Damals Kapellmeister des 8. Infanterie-Regiments zu Berlin.


27 Siehe I. Bd. (S. 97, 129) S. 263 u.f.


28 A.W. Ambros: »Kulturhistorische Bilder aus dem Musikleben der Gegenwart« S. 160.


29 »Anregungen f.K., L.u.W.« V. Band 1860, S. 76.


30 Die mit geringen Ausnahmen günstige Aufnahme der »Préludes« konnte aber eine andere mit ihrer Aufführung im März 1857 in Wien seitens der »Gesellschaft der Musikfreunde« verknüpfte Erfahrung nicht hinwegwischen. Sie blieb als ein bitterer Tropfen lebenslänglich in des Meisters Erinnerung, ja wirkte als gekränktes Gefühl auf die ofte Nichtgenehmigung der Aufführung seiner Werke namentlich in Wien zurück, was viele persönliche und schriftliche Äußerungen belegen. Als nämlich die »Präludien« daselbst, zu Gehör gebracht wurden, zeigte sich sein Freund Löwy, der ihm seit 1838 enthusiastisch angehangen und zu seinen devotesten Verehrern zählte, dermaßen von der gegnerischen Kritik beeinflußt, daß er in der Furcht vor einem Fiasko seinen Sperrsitz für diesen Abend gegen einen Platz in einem dunkeln Winkel aufgab. – Wie tief diese Feigheit Liszt verletzte, ist aus einem für seinen Charakter bezeichnenden Brief an Eduard Liszt ersichtlich. Daselbst heißt es:

– – – – – – – – – – – – – – – – –

»Meinem alten Freund Löwy bitte ich Dich gelegentlich meinen besten Dank zu sagen für die Zeilen, die er mir sogleich nach der Aufführung der »Préludes« geschrieben hat. Ich weiß, daß er es gut mit mir meint, auf seine Art und Weise, die leider nicht die meine sein kann, weil mir Freundschaft ohne Muth und Flamme etwas Fremdes bleibt und ich z.B. nicht begreifen kann, warum bei dem Koncert Er nicht seinen gewöhnlichen Platz eingenommen und sich in einem Winkel verhalten hält, wie Er mir erzählt. Wann habe ich Ihm die Veranlassung gegeben, sich meiner zu schämen? Stehe ich denn nicht in der ganzen Kunstwelt als ein nobler Kerl da, der seiner Überzeugung getreu alle schnöden Mittel und gleißnerischen Umtriebe verachtend ein hohes Ziel wacker und ehrlich anstrebt? Gesetzt den Fall, daß, getäuscht von meinen so vielseitigen Erfahrungen (die wahrlich nicht so gering anzuschlagen sind, denn ich habe die für die Musik so bedeutsamen Perioden von Beethoven, Schubert, Mendelssohn, sowie die Rossini's und Meyerbeer's mit erlebt und durchgearbeitet), irre geführt durch mein seit sieben Jahren unaufhaltsames Arbeiten, ich gänzlich auf dem Holzweg gerathen bin, wäre es die Aufgabe meiner intimen Freunde vor der Opposition, die sich mir gegenüber stellt, weil ich Neues bringe, zu erröthen, sich in einen Winkel zu verstecken, mich zu verleugnen? – Das hast Du anders und besser gemacht, bester Eduard, und Dein Benehmen mit Castelli war abermals das richtige. – Meine wenigen Freunde können sich an Dir ein gutes Beispiel nehmen, denn sie haben sich wahrlich nicht vor dem Koncert, welches die Großmäuler im Verbündnis mit den Maulaffen gegen meine Sachen erheben, einschüchtern lassen.« –

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1892.
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