Siebentes Kapitel.

Auf dem Gipfel der Entwickelung.

Mit den drei letztbesprochenen Opern: »Orfeus«, »Alceste« und »Paride ed Helena« war die neue Form der Oper herrlich und glänzend in die Erscheinung getreten; zugleich aber hatte Gluck auch ihre theoretische Begründung versucht, und zwar zuerst in der Zueignungsschrift, mit welcher er die Partitur der »Alceste« dem Großherzoge von Toscana widmete, und dann wiederum in der anderen, an den Herzog von Braganza, die er der Partitur von: »Paride ed Helena« voransetzte. Sie sind beide so oft veröffentlicht worden, daß dies hier nicht mehr nothwendig erscheint. Die erste giebt in klaren Zügen die Hauptgrundsätze, welche den Meister bei der »Alceste« leiteten; er bezeichnet als seine Absicht, alle jene Mißbräuche, welche die falsch angebrachte Eitelkeit der Sänger und die allzugroße Gefälligkeit der Componisten in die italienische Oper eingeführt hätten, sorgfältig zu vermeiden. »Ich suchte,« heißt es wörtlich weiter, »daher die Musik zu ihrer wahren Bestimmung zurückzuführen, das ist die Dichtung zu unterstützen, um den Ausdruck der Gefühle und das Interesse der Situationen zu verstärken, ohne die Hand lung zu unterbrechen oder durch unnütze Verzierungen zu entstellen. – Ich habe mich demnach gehütet, den Schauspieler im Feuer des Dialoges zu unterbrechen und ihn ein langweiliges Ritornell abwarten zu lassen, oder plötzlich mitten [133] in einer Phrase bei einem günstigen Vocale aufzuhalten, damit er entweder in einer langen Passage die Beweglichkeit einer schönen Stimme zeigen könne, oder abwarten müsse, bis das Orchester ihm Zeit lasse, Luft zu einer langen Fermate zu schöpfen. Auch glaube ich nicht, über die zweite Hälfte einer Arie rasch hinweg gehen zu dürfen, wenn gerade diese vielleicht der leidenschaftlichste und wichtigste ist, nur um regelmäßig viermal die Worte der Arie wiederholen zu können; eben so wenig erlaubte ich mir, die Arie dort zu schließen, wo der Sinn nicht schließt, nur um dem Sänger Gelegenheit zu verschaffen, seine Fertigkeit im Variiren einer Stelle zeigen zu können.

»Genug, ich wollte alle jene, Mißbräuche verbannen, gegen welche der gesunde Menschenverstand und der wahre Geschmack schon lange vergebens kämpfen.«

»Ich bin der Meinung, daß die Ouverture den Zuhörer auf den Charakter der Handlung, die man darzustellen gedenkt, vorbereiten und ihm den Inhalt derselben andeuten soll, daß die Instrumente immer nur im Verhältniß mit dem Grade des Interesses und der Leidenschaft angewendet werden müssen, und daß man vermeiden soll, im Dialoge einen zu großen Zwischenraum zwischen dem Recitativ und der Arie zu lassen, um nicht dem Sinne entgegen die Periode zu unterbrechen, und den Gesang und das Feuer der Scene am unrechten Orte zu stören.«

»Ferner glaubte ich, einen großen Theil meiner Bemühungen auf die Erzielung einer edlen Einfachheit verwenden zu müssen; daher vermied ich es auch, auf Kosten der Klarheit mit Schwierigkeiten zu prunken; ich habe niemals auf Erfindung eines neuen Gedankens irgend einen Werth gelegt, wenn er nicht von der Situation selbst herbeigeführt und dem Ausdrucke angemessen war. Endlich glaubte ich zu Gunsten des Effectes selbst die Regel opfern zu müssen.«

»Das sind die Grundsätze, die mich geleitet haben! Glücklicherweise entsprach die Dichtung meinem Vorhaben aufs Herrlichste.«

Die zweite Zueignungsschrift zur »Paride ed Helena« ist mehr eine Rechtfertigungsschrift, in welcher er sich gegen die heftigen Angriffe, die er von einzelnen Seiten zu erdulden hatte, vertheidigt. Die Hauptstelle, Paris und Helena betreffend, theilten wir bereits mit.

[134] Wie klar und sicher somit Gluck das Ziel seiner ferneren Thätigkeit ins Auge gefaßt hatte, so mußte er doch noch einmal wieder zurück auf die alte Bahn. Im Jahre 1769 erhielt er den Auftrag, für die Feier zur Vermählung des königl. Infanten Don Ferdinand Ludwig Philipp Joseph mit Maria Amalia, Erzherzogin von Oesterreich, die Festmusik zu schreiben. Diese Feierlichkeiten begannen am 27. Juni in Wien und erreichten erst nach einer langen Reise des Brautpaares durch Tirol und Oberitalien in Parma am 24. August ihr Ende. Die dazu von Gluck componirten Stücke sind: »Le Feste d'Apollo«, ferner »L'atto di Bauci e Filemone« und »L'atto d'Aristeo« und »L'atto d'Orfeo«. Das letztere Stück bestand aus sieben Scenen seiner Oper Orpheus. Mit dieser stieß Gluck in Parma auf heftigen Widerstand. In Italien konnte man nicht begreifen, daß ein. Anderer als Metastasio einen Operntext schreiben könne, zudem erklärten sich auch die Sänger gegen Gluck; Millico, der die Rolle des Orpheus singen mußte, soll geweint haben aus Befürchtung, daß er dabei seinen Ruf aufs Spiel setze. Gluck besiegte indeß auch diese Schwierigkeiten und die Oper hatte einen entschiedenen Erfolg.

Daß trotz alledem auch selbst in Wien Gluck noch heftige und einflußreiche Gegner fand, berichtet der bekannte englische Musikschriftsteller Dr. Burney, der 1772 im August nach Wien kam und sich mit den Musikverhältnissen Wiens eingehend beschäftigte. Er erwähnt ausdrücklich1, daß damals zwei musikalische Parteien einander gegenüber standen; an der Spitze der einen Metastasio und Hasse, an der der anderen Calzabigi und Gluck. Da sich aber bei diesem immer mehr die Unzulänglichkeit der italienischen Oper herausstellte, so war es natürlich, daß er sein Auge immer bestimmter dorthin richtete, woher, ihm im Grunde der Hauptanstoß für seine neue Weise der Operndichtung gekommen war – nach Frankreich. Wieder fand er einen Dichter, der auf seine Intentionen mit Bereitwilligkeit und Verständniß einging: Bailly du Rollet, damals Attaché der französischen Gesandtschaft am Wiener Hofe. Im Einverständnisse mit dem Tondichter bearbeitete dieser [135] Racine's »Iphigénie en Aulide« und Gluck ging sofort mit solchem Feuereifer an die Composition, daß er bald dem Dichter und später auch dem kaiserlichen Hofe und anderen Kennern und Kunstfreunden einzelne Scenen vorführen konnte. Der Dichter war davon so entzückt, daß er sofort an D'Auvergne, einen der Directoren der großen Oper in Paris, unterm 1. August 1772 schrieb und ihm den Vorschlag machte, zu veranlassen, daß Gluck seine neue Oper der Königl. Akademie zur ersten Aufführung überließe. D'Auvergne antwortete nicht, sondern veröffentlichte den Brief Bailly's im Octoberhefte des Mercure de France, und da die Entscheidung dieser Angelegenheit sich in die Länge zog, so schrieb Gluck im Februar 1773 an den Redacteur des Mercure einen Brief, der ebenfalls in dieser Zeitschrift veröffentlicht wurde, in welchem er offen bekennt, wie sehr er es wünschte, seine Oper für die Pariser Bühne schreiben zu dürfen. Durch D'Auvergne veranlaßt sandte Bailly den ersten Act der »Iphigenie« ein, nach dessen Durchsicht er die Antwort von D'Auvergne erhielt: »Wenn der Ritter Gluck sich verbindlich machen wolle, der Pariser Akademie der Musik sechs solche Opern zu liefern, so sei er der Erste, der sich für die Aufführung interessire, ohne dieses aber nicht, denn eine solche Oper schlüge alle bisherigen französischen Opern nieder.«

So wäre Gluck wol nimmer zum Ziele gekommen, wenn er nicht an der Tochter der Kaiserin Maria Theresia, der unglücklichen Dauphine Marie Antoinette, die einst seine Schülerin gewesen war, eine Schützerin gefunden hätte. Diese beseitigte alle Schwierigkeiten, veranlaßte, daß den Directoren der Akademie die nöthigen Befehle ertheilt wurden, und lud Gluck ein, nach Paris zu kommen, um seine Oper einzustudiren.

Im Spätsommer des Jahres 1773 ging Gluck denn auch mit der Partitur der »Iphigénie en Aulide« nach Paris. Um seine Erlebnisse dort ganz zu verstehen, wird es nothwendig sein, das Werk, das er den Parisern brachte, vorher etwas eingehender zu betrachten.

Einer besondern Darlegung des Stoffes sind wir enthoben, da er allgemein als bekannt vorausgesetzt werden darf.

Man faßt die Bedeutung der Gluckschen Reform der Oper viel zu einseitig, wenn man nur auf die Vortrefflichkeit seiner Declamation, [136] auf die tiefere psychologische Wahrheit des Wortausdruckes, die er erreichte, hinweist. Durch sie wird wol die Verständlichkeit und Lebendigkeit des, die Handlung motivirenden Dialoges gefördert, allein das ist bereits bei Lully und in noch erhöhterem Grade bei Rameau als ihr Hauptstreben zu erkennen, und Gluck hat sich entschieden beiden Meistern darin nur angeschlossen. Allein damit ist im Grunde noch wenig gewonnen, der eigentliche Nerv der Handlung, die substantielle Empfindung, wird dadurch noch wenig berührt. Die den dramatischen Verlauf bedingenden psychologischen Prozesse kommen doch erst in den vollständig ausgeprägten Musikformen zu sinnlich gegenwärtiger Erscheinung, und das ist Glucks ungleich höhere Bedeutung, daß er die lyrische Empfindung, auf ihre Pointen zusammengefaßt im engsten Anschlusse an das Werk, aber doch in selbständig sich abrundenden Tonformen zu zwingendem Ausdrucke bringt, und diese Fähigkeit hatte er sich durch seine Thätigkeit für die italienische Oper angeeignet. Dort ist Alles Form und Stimmung, und die Arie bot den vollständigsten Apparat für den Erguß der verschiedensten Stimmungen. Gluck rückte diesen zusammen; er entkleidet ihn von allem Unwesentlichen und beseelt ihn durch seine schärferen Wort- und Gefühlsaccente. Jene charakteristischen Intervallenschritte, die wir namentlich bei den früheren Italienern in den Recitativen finden, werden jetzt auch der Arie eingewebt und diese erlangt dadurch neben dramatischer Wahrheit zugleich jene Innigkeit der Empfindung, die ausschließlich unser Interesse dem dramatischen Verlaufe zuwendet, und welche die Oper bisher nicht kannte. Die Personen, welche uns die Oper vorführt, gewinnen dadurch, daß die einzelnen Gefühlsausbrüche auf einander bezogen werden, bestimmten Charakter und die Handlung wird dramatisch belebt.

Jeder einzelne Satz der Oper: »Iphigénie en Aulide« dient als Beleg.

Die Ouverture ist das Muster für die Opernouvertüre überhaupt geworden. Die Einleitung nimmt direct Bezug auf die Handlung, ihr erstes Motiv kehrt im Gebete Agamemnons der ersten Scene wieder.

[137] Wie bereits erwähnt, ist sie ganz der Scene aus »Telemacco« entlehnt, in welcher dieser den Geist seines Vaters anfleht. Um wie viel freier, wir möchten sagen selbstredender, ist sie aber hier verwendet:


7. Kapitel

7. Kapitel

Wie der unaufhaltsame Gang des, über den Helden der alten griechischen Tragödie schwebenden Schicksals, erscheint dann das erste Thema des eigentlichen Sonatensatzes:


7. Kapitel

[138] das mit unerbittlicher Consequenz festgehalten wird. Auch das holde Bild der lieblichen »Iphigenie«, dem das zweite Thema seine Entstehung verdankt:


7. Kapitel

7. Kapitel

[139] die rührende Klage der Oboe, vermögen es nicht aufzuhalten, nichts auszurichten gegen die beschlossene That mit ihren grausigen Folgen. Diese Ouverture ist nicht nur leidenschaftlicher empfunden und größer und gewaltiger ausgeführt, sondern sie steht auch in noch engerem inneren Zusammenhange mit der Oper als die zu »Orpheus«, »Alceste« oder »Paris und Helena«. Die erste Arie des Agamemnon »Brillant auteur« hat sogar noch die Form der Da Capo-Arie, aber wie außerordentlich knapp ist sie gehalten und wie vortrefflich charakterisirt sie die Stimmung des geängstigten Vaters, der nicht nur zu den Göttern betet, sondern zugleich auch auf Mittel zur Errettung aus dieser Gefahr bedacht ist. Treffender als in dieser Arie war der Zustand Agamemnons gar nicht zu schildern. Jetzt erscheint der Chor, der zum ersten Male in der Oper so energisch in die Handlung eingreift. Gebieterisch fordert er das Opfer, Calchas verkündet in mächtig bewegtem Gesange den Befehl der Göttin und eint seine Klagen dann mit denen des unglücklichen Vaters, und der Chor mit seiner harten Forderung schließt diese ergreifende Scene ab. Calchas entläßt ihn mit der Versicherung, daß das Opfer heute noch gebracht werden soll. Noch sträubt sich der[140] Vater und hofft, daß die List gelingt, vermittelst welcher er die Tochter fern zu halten gedachte, da verkündigt der Chor, daß sie mit der Mutter naht. Entsetzt schreit Agamemnon auf und Calchas mahnt im Choraltone zur Unterwerfung unter den Willen der Göttin.

Das Motiv zu dem nun folgenden Chore: »Que d'attraits! que de majesté« (Welch' ein Reiz, welche Majestät), mit welchem die Griechen die holde Iphigenie empfangen, ist dem Mittelsatze der Arie aus Semiramis: »Se mai senti spirarti«2 entlehnt. Er gehört zu den entzückendsten Tonsätzen, welche je geschrieben wurden und zu welchem das kurze Lied der Clytemnestra: »Que j'aime à voir ces hommages flateurs« (Wie gern hört mein Ohr dies schmeichelnde Lob) einen lieblichen Gegensatz bildet. Diese eilt zu Agamemnon und läßt Iphigenie auf dem Throne zurück, wo sie den Tänzen der griechischen Jugend zuschaut. Nach dem ersten Tanze besingt der Chor wieder Iphigenie's Reiz und dann folgen wiederum Tänze, und dann das Lied der Iphigenie, das sie kaum an anmuthendem Reiz übertroffen haben mag: »Les voeux dont ce peuple m'honore« (Die Liebe, durch die ihr mich ehret). Noch einfacher als das Lied der Clytemnestra, ist es noch süßer und duftiger; berückend wie die eben erst sich erschließende Blume. Wer die Feinheit der Charakteristik bei Gluck bewundern will, vergleiche namentlich diese beiden einfachen Lieder nach ihrem eigensten Charakter. Wieder folgen Tänze und dann erst beginnt die folgenschwere Handlung. Clytemnestra erscheint und mit ihrem »Allez« verscheucht sie den Ton, der bisher in dieser Scene vorwaltete. Sie hat von Agamemnon den falschen Bericht von der Untreue des Achilles, mit dem er sie aus dem Lager vertreiben will, um so zu verhindern, daß Iphigenie als Opfer falle, erhalten. Voll Scham und Zorn mahnt sie zur Flucht, und als die erschreckte Iphigenie Einwand zu erheben versucht, da fordert sie gebieterisch: »Armez vous d'un noble courage« (Ha, durchglüht von zürnenden Flammen) in einer Arie, die das Innere jener Clytemnestra enthüllt, welche sich später nicht scheut, den rächenden Arm gegen den eigenen Gatten zu erheben. Wie anders [141] tönt dagegen die Klage der herrlichen Jungfrau Iphigenie: »L'ai je bien entendu?« (Ist es wahr?). Da erscheint Achill; die Wechselreden der Beiden sind mit Sorgfalt behandelt, doch nicht hervorragend; erst die Arie Achills: »Cruelle non j'amais votre insensible coeur« erhebt sich wieder zu dramatischer Gewalt, und das anschließende Recitativ wie das Duett zwischen Beiden hält sich jetzt auf der gleichen Höhe und steigert sich sogar nach dem Schlusse noch ganz bedeutend.

Der zweite Act beginnt wieder mit einem, in seiner Einfachheit unmittelbar herzgewinnend wirkenden Chore (der Frauen): »Rassurez vous belle Princesse«. Das Recitativ: »Vous essayez envain de bannir mes allarmes« und die anschließende Arie: »Par la crainte et par l'esperance« sind wiederum so ganz und gar aus dem Herzen der herrlichen Königstochter gesungen, daß sie nur ihr und niemand Anderem angehören. Prachtvoll ist dann die Schilderung der beginnenden Hochzeitsfestlichkeiten. Die Wirkung des Quartetts: »J'amais à tes autels«, zu dem dann auch der Chor hinzutritt, ist wol selten nur von der Bühne herab erreicht worden. Da, als Achill drängt, zum Altare zu eilen, offenbart Arcas den schrecklichen Betrug, verkündend, daß Iphigenie den Opfertod am Altare erleiden soll. Clytemnestra und Achill tödtlich erschreckt, haben zunächst nur wenige Worte der Frage; die Thessalier bieten ihre Waffen zur Abwehr der schrecklichen That. Da wirst sich Clytemnestra Achill zu Füßen und in einer grandiosen Arie: »Par son père cruel« sieht sie nur noch Rettung bei ihm. Iphigenie spricht für den Vater und in dem Trio, zu welchem sie sich mit der Mutter und dem Geliebten verbindet, sind alle Drei wieder trefflich charakterisirt. Nicht minder groß ist der weitere Verlauf dieses Actes; und daß das Duett: »De votre audace temeraire« schon bei der ersten Vorstellung ganz außergewöhnliche Wirkung erzielte, ist hinlänglich bezeugt. Durch den Widerstand Achills gereizt, will Agamemnon die Opferung der Tochter beschleunigen, aber da ergreift ihn wieder der Schmerz mit Allgewalt. In einem Recitativ, das zu den größten Meisterwerken aller Zeiten gehört, eröffnet er sein Herz; in mächtig ergreifenden Accenten giebt er [142] den tausend Qualen, die ihn durchwühlen, Ausdruck und so gelangt er endlich zum Entschlusse die Tochter zu retten. Arcas erhält von ihm den Auftrag, unbemerkt Mutter und Tochter nach Mycene zu führen. »O toi l'objet le plus aimable« singt er, und trotzig bietet er sich dann der grausamen Göttin zum Opfer dar.

Im dritten Act ist es wieder Iphigenie, die mit wahrhaft berückender Einfachheit und Wahrheit gezeichnet ist. Das Volk widersetzt sich ihrer Flucht und so bittet sie Arcas, sie nicht länger zu vertheidigen, sie beugt sich gern dem barbarischen Beschlusse. Noch einmal sagt sie Achill, wie sehr sie ihn liebt, weist aber auch entschieden seine Hülfe zurück. Dieser, zur Wuth getrieben, will zum Tempel eilen, um sie von Calchas für immer zu befreien. Die Arie: »Calchas d'un trait mortel percè« hatte bekanntlich bei der ersten Aufführung gleichfalls ganz ungewöhnlichen Erfolg. Es wird erzählt, daß die Officiere, hingerissen vom Moment, aufgesprungen wären und ihre Schwerter aus der Scheide gerissen hätten. Als Achill fort ist, erscheint Clytemnestra und die Scene gewinnt immer mehr an Größe und Bedeutung. Vergebens mahnt Iphigenie, die Mutter wird immer heftiger und verliert alle Besinnung. Iphigenie entfernt sich und nun gewinnt die Mutter ihre ganze heroische Kraft wieder. »Dieux puissans que j'atteste! non je ne souffrirois pas« ruft sie, und die Arie: »Jupiter lance ta foudre« ist wieder ein so großer und gewaltiger Ausdruck der Stimmung, wie er ähnlich nur wenigen Meistern gelungen ist.

Jetzt soll die Opferung beginnen. Calchas, das Opfermesser in der Hand, bittet die Göttin, die Heimkehr der Griechen nicht länger zu hindern um des Opfers willen, das er ihr darbringe; da erscheint Achilles, gefolgt von seinen Thessaliern, reißt das Opfer vom Altare und legt es in die Arme der Mutter. Eben will das Volk zum Widerstande schreiten, da verschwindet der Altar unter einem mächtigen Donnerschlage und Calchas erklärt, daß die Götter versöhnt sind, und Wind und Meer zeigen sich der Abfahrt günstig. Diese ganzen Vorgänge sind mit einer Musik begleitet, die nicht größer und nicht entsprechender gedacht werden kann. Erwägt man noch, eine wie reiche [143] Harmonik der Meister verwendet und wie außerordentlich sein er instrumentirt, so wird man seinem Ausspruch, daß er beim Schaffen vor Allem den Musiker zu vergessen suchte, eine andere Bedeutung geben müssen, als man dies häufig thut. Gluck war eben Musiker in des Wortes strengster Bedeutung. Seine Harmonik ist zwar nicht so tief und so reich, wie die eines Händel oder Bach, aber sie überragt doch alle früheren und gleichzeitigen Erscheinungen auf diesem Gebiete ganz gewaltig.

Seine Instrumentation aber ist eigenthümlich und steht in gewissem Sinne der modernen viel näher, als die eines Händel oder Bach. Der eigenthümliche Stil Beider, der im Vocalen seinen Schwerpunkt findet, läßt sie auch einen mehr nach vocalen Gesetzen gebildeten Orchesterstil cultiviren; Glucks besondere Aufgabe dagegen führte ihn dazu, den Instrumentalstil Rameau's weiter zu bilden, nicht das Orchester an der Polyphonie des Gesanges Theil nehmen zu lassen, sondern durch eigenthümliche Zusammenstellung verschiedener Instrumente neue Farben zu erzielen. Seine Behandlung der Posaunen und ihre Zusammenstellung mit Hörnern und Fagotten zeigt eine viel feinere Kenntniß des Klanges dieser Instrumente, als seinen meisten Zeitgenossen erschlossen war. Eben so hat er auch Clarinetten und Hörner zu reizenden Klängen gemischt und sie genial charakterisirend anzuwenden verstanden.

Der Gipfelpunkt seiner Wirksamkeit war damit erreicht, was er darnach noch schuf, konnte sich nur auf der Höhe desselben erhalten oder mußte sinken.

Fußnoten

1 Tagebuch einer musikalischen Reise.


2 Siehe Notenbeilage.

Quelle:
Reissmann, August: Christoph Willibald von Gluck. Sein Leben und seine Werke. Berlin und Leipzig: J. Guttentag (D. Collin), 1882..
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