Finale II. Akt 6. Mai

[235] Zwei Piècen, welche die Erde umwandert haben und zu einem Stück überall verstandener Welt-Geister-Sprache, zu Typen für eine ganze Sphäre des Ausklanges von Empfindungen bestimmter Richtung geworden sind, der »Jungfernkranz« und der »Jägerchor« wurden am 21. und 24. März vollendet. Der schöne Entre-Akt, D dur, der so unvergleichlich das Frommste einleitet, was je auf der Bühne gesungen worden ist: »Und ob die Wolke sie verhülle«, entstand am 17. und 20. März, das charaktervolle Duett zwischen Caspar und Samiel im zweiten Akt am 29. März, die Wolfsschlucht, eines der größten musikalischen Wagestücke der Neuzeit, um dessen Verständniß und Erfolg Weber bänger als um den irgend eines seiner andern Werke gewesen ist, und das doch mit zum großen Geschütz der Wirkung des Freischützen gehörte, am 18. April, und das Finale, welches das Ganze mit dem ungeschwächten Lichte der fortreißendsten, mit süßer Gläubigkeit nach Oben deutenden Stelle krönt, am 6. Mai. In dem ganzen Werke ist nicht eine schwache Stelle, keinen Takt lang läßt die spannende Kraft des Weber'schen Genius den Herzschlag langsamer gehen!

Mit dem 13. Mai, wo Weber die letzte Note der Ouverture schrieb, schließt die Arbeit an der »Jägerbraut«.

Der Clavierauszug wurde fast gleichzeitig mit der Oper fertig, und nur am 9. und 17. Juni hat er an diesem noch, am 18. noch an Revision der Partitur gearbeitet, die er fehlerlos gefunden haben mußte, denn in dem prachtvollen Manuscripte derselben, das Caroline nach seinem Tode der Bibliothek zu Berlin schenkte, ist auch nicht eine Rasur zu entdecken, keine Note durchstrichen oder corrigirt, rein und perlig, wie die Töne der Oper selbst, scheinen die Noten auf das Papier gerollt zu sein, mehr wie dahin gezaubert als geschrieben. Die Kraft der Geistessammlung, die es möglich macht, ein solches Werk so makellos niederzuschreiben, gehört zu den Phänomenen in der psychischen[235] Welt, die beinah eben so selten sind als die großen Genien der Kunst selbst.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 235-236.
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