Ideen zum Ensemble (D dur): »Trotze nicht«

[470] Bei all' diesen verschiedenartigen, die Kräfte des immer gebrechlicher werdenden Körpers fast aufreibend in Anspruch nehmenden Geschäften, ruhte die allerinnerlichste Schöpferthätigkeit Weber's nicht. Auf einsamem Spaziergange durch winterliche Gegend, von dem er, halb erfroren und durchkältet, zu Carolinens gemüthlichem Theetische eilte, wurde am 7. März die Idee zu Lysiart's bewundernswürdiger großer Scene im Beginne des zweiten Akts, dieß düstre, meisterhaft in mächtigen Farben gemalte Bild des Kampfs der Leidenschaften, in dem nur der anmuthige Mittelsatz wie Mondstrahlen durch Wetterwolken köstlich hervorleuchtet und Weber's unnachahmliche Kunst in der Benutzung der Messiginstrumente, zur Schilderung des Aufruhrs in der Seele und in der Natur, sich auf ihrer Höhe zeigt, empfangen. Dagegen entstanden die ersten Gedanken zu zwei der höchsten Glanzpunkte der Oper: das an leidenschaftlichem Feuer, Schönheit der Stimmenverschlingung und meisterhafter Modulation unübertroffene und, trotz der fast an das Burleske streifenden Abenteuerlichkeit der dramatischen Situation, immer ergreifende Duett Adolar's und Euryanthen's[470] zu Anfang des dritten Akts: »Hier weilest du, hier darf ich ruh'n« (22. März), und das pompöse Ensemble (D dur): »Trotze nicht, Vermessener« (9. April), in dem sich Weber's Kraft, seine Klarheit der Ideen, Beherrschung der Bewegung zusammenwirkender Massen, und sein Talent, bei all' dem die Soloparthien mit voller Deutlichkeit hervortreten zu lassen, imposant kundgaben, beim stillen Verleben trüber, letzter Wintertage, noch melancholischer gestimmt durch Uuwohlsein beider Eheleute. Kraft war ihm künstlerisch am nächsten, greifbarsten, wenn sie ihm körperlich ganz gebrach; Waldesfrische, Jubel und Herrlichkeit zogen am leuchtendsten auf der Bühne der Kunst an ihm vorüber, wenn er sie aus der dunkeln Logenecke düsterer Lebens- und Leidensstunden betrachten mußte.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 470-471.
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