Die »Ludlamshöhle«

[494] Es war eben damals in Wien, unter den Auspicien guter Götter, eine Gesellschaft zusammengekommen, die an Geist und Lustigkeit und Reichthum der in ihr vertretenen Elemente vor- und nachher nie wieder ihres Gleichen haben sollte.

Da sie großen Einfluß auf Weber's Wirken und seine Erfolge gehabt hat, seien ihr hier einige Zeilen gegönnt.

Heitere, geistvolle, junge Leute, unter denen sich Deinhardtstein, Hassaurek, Küstner, Korntheuer, Sydow, Castelli etc. befanden, kamen schon im Jahre 1816 und 1817 im Gasthause »zum Blumenstöckchen« im Ballgäßchen allwöchentlich zusammen, um sich mit Gesang und harmlosem Kunstdisput zu unterhalten. Man war jener Zeit lustiger als jetzt und jene Gesellschaft war sehr lustig.

Das war die Wurzel der »Ludlamshöhle«, einer Gesellschaft, die europäischen Ruf erlangen sollte, ohne jemals eine andere Tendenz gehabt zu haben, als »des holden Unsinns Pflege«, nichts trieb als die Kunst, den Ernst des Lebens von der harmlosen Tollheit jagen zu lassen, keine Pflichten auferlegte, als lustig sein. Aber in Allem gebührt der Meisterschaft die höchste Ehre, und so errang sich hier die Vollendung der Lachkunst den Kranz.

Den Namen erhielt diese wunderliche Gesellschaft, als sie, zu groß für ihr bisheriges Local geworden, nach der gemeinschaftlich besuchten ersten Vorstellung von Oehlenschläger's Stück: »Die Ludlamshöhle«, in das Schlossergäßchen zum gemüthvollen Wirth Heidvogel übersiedelte, der sie treulich bis an ihr polizeiliches Ende hegte.

Ein nackter Bacchus ritt auf dem Fasse über der Thür der dunkeln Kneipe, eine dunkle Wendeltreppe führte hinauf nach den Propyläen, einer niedrigen, großen, räucherigen Stube, wo profanes Gesindel sich den Magen mit Bier, Wein und Speise füllte. Durchschritt man diese, so fand man sich im Allerheiligsten der Ludlamshöhle. Ein[494] langes, dunkles, einfenstriges Zimmer streckte sich geheimnißvoll vor dem Neophyten, ein kahler Tisch von einfachen Stühlen umreiht, ein paar Wandschränke für die Kleider, ein paar Haken für die Hüte, das war das ganze Ameublement des berühmten Locals. Als später die Gesellschaft, die bei ihrer Aufhebung hundert Mitglieder zählte, sich noch vergrößerte, ließ der Großhändler J. Biedermann eine Mauer niederreißen, die eine angrenzende Stube schied, und erhielt dafür den Ehrentitel: »Ludlams Mauerbrecher«.

In Tabacksdampf tiefbläulich eingehüllt, reihte sich in diesem mehr als schlichten Locale, um diesen kahlen Tisch fast Alles, was Wien damals an Geist, Witz, Kunst und Wissenschaft aufzuweisen hatte, weil Jedermann von Verstand und Gemüth, der einmal in diesem »gescheitlustigen Kreise« gelacht hatte, demselben als Mitglied angehören wollte. Mit Affenblut geschriebene Gesetze mußten daher erlassen werden, deren unerbittliche Handhabung den Kreis vor Verunreinigung durch Dumme und Polizeiseelen schützen sollte.

Die »Ludlamshöhle« wurde für die Welt erklärt. Alles draußen war das Reich des Wesenlosen, die Ludlamiten allein waren »Körper«, jeder andere Mensch nur ein »Schatten«. Wollte ein »Schatten« »Körper« werden, so hatte er eine furchtbare Prüfung zu bestehen, und nur der, der die albernsten und unpassendsten Antworten gab, fand Aufnahme. Der Neophyt streifte mit dem Eintritte in die Höhle seinen Schattennamen ab und erhielt einen neuen, der an sei nen »Körper« geknüpft war.

Gesetzlich war der Dümmste der Gesellschaft ihr Fürst, ihr Kalif. Einstimmig hatte man auf den Thron den Schauspieler Schwarz erhoben, der ein sehr rothes, dummes Gesicht hatte. Daher der Wahlspruch der Höhle: »Schwarz ist roth und roth ist Schwarz!« der später (o Schmach deutscher Polizei!) Ursache zur polizeilichen Aufhebung der geistvollsten und harmlosesten Gesellschaft werden sollte!

Der »Kalif« mit dem furchtbaren Höhlennamen: »Rauchmar der Zigarringer«, sah stolz, viel essend, viel rauchend, viel schweigend, auf den Kreis mächtiger und geistbegabter »Körper« herab, die sich um ihn lachend, schreibend, vorlesend, zeichnend, abarbeiteten, während[495] er »Nichts zu thun hatte, als dumm zu sein«. Da wurden Ludlams-Lieder und Chöre geschrieben und componirt, Ludlams-Bilder und Carrikaturen gezeichnet und fünf eigens für die Höhle geschriebene Zeitungen redigirt. Von diesen war die »Trattnerhof-Zeitung«, nach der Wohnung des Kalifen im Trattnerhofe so genannt, die officielle; sie begann stets mit den Worten: »Seine Rauchheit der Kalif haben in Dummheit geruht«. Der geistvolle Hassaurek mit dem Höhlennamen »der ewige Schatten«, stand an ihrer Spitze. Zwei andere Zeitschriften, »Wächter« und »Kellersitzer«, waren die Organe von Ignaz Jeitteles (Roller der Unbegreifliche) und Saphir (Ludlams lapis infernalis), während Castelli (Chif Charon, der Höhlenzote) die »Wische«, das demokratische der Blätter, inne hatte. An Mitarbeitern bei diesen Blättern fehlte es nie, und wenn es gar ein tolles neues Ludlamslied zu schmieden galt, da wetteiferten die besten (dümmsten) Köpfe, da erschienen sie alle mit »Wischen«, unter Vortritt des gewaltigen »Voran des Geharrnischten« (Rückert), die Edeln: »Columbus Turturalla« (Zedlitz), »Seinsmestill von Desputirowat« (Deinhardtstein), »Sophokles der Istrianer« (Grillparzer), »Feifer von Feifersberg« (Th. Hell), »Traubinger à Codexi« (Mailath), »Zweipfiff der Sicilianer« (Seidl), »Hudeltei« (Holtei), »Peter der Grantige« (Halirsch) und wie sie alle hießen und buhlten um die Ehre des Geschreis: »Eins! Zwei! Drei!«, das in der Ludlam den besten, d.h. tollsten, zotigsten und witzigsten Dichter oder Künstler lohnte. Schmeichelnd bewarben sich eben so mit ihren humoristischen, musikalischen Gedanken »Sedl von Latschek« (Sedlazek), »Notarsch Sakramensky« (Gyrowetz), »Rossini von Nowgorod« (Bierey), »Tasto der Kälberfuß« (Moscheles), »As minor« (Aßmeyer) etc., um die Gunst, unterstützt vom weisen Rathe des Meister »Monochord der Tongrübler« (Chladni), die Höhlenlieder setzen zu dürfen und dadurch mit einem Male unsterblich zu werden, denn was war eine Symphonie, eine Oper, ein Oratorium gegen ein Höhlenlied?! – Kein Wunder war es, daß von solchen Kräften getragen, die sich der Sache mit Jubel weihten, von »Tacitus Lachelberger« (Eugen von Stubenrauch) mit den meisterhaftesten Carrikaturen illustrirt, die Journale der »Höhle«[496] prächtig gediehen und das Archiv der Höhle sich bald in eine Schatzkammer voll geistreicher Possen, Zoten, Lieder, Lustspiele, Musikwerke, Zeichnungen, Carrikaturen etc. verwandelte, wie sie niemals sonst auf Erden vorhanden gewesen ist. Auch diese, wie so viele andere geistige Herrlichkeiten, sind in den Händen der Wiener Polizei zu Asche geworden, wie jene schönen Früchte im Mährchen, die unter der Hand des Gottlosen in Staub zerfallen.

Aber ganz natürlich lag auch in dieser festgeschlossenen Gesellschaft, deren Mitglieder sich zwar untereinander in der Höhle unbarmherzig verspotteten und geißelten, nach außen hin aber fast immer fest, Rücken an Rücken, standen, ein so mächtiger Schwerpunkt der öffentlichen Meinung über Alles, was Kunst, Wissenschaft, Geist und Leben betraf, daß sie dadurch etwas Furchtbares erhielt. Sie hat diese Macht nie gemißbraucht, dazu bestand sie aus zu edeln Elementen, aber gefördert und gestützt hat sie manches wahre Talent, wie das Weber selbst am Besten erfahren sollte.

Der »Kalif« selbst führte Weber, wie erwähnt, in die, von dem Besuche des Componisten des »Freischütz« vorher benachrichtigte Höhle ein. Benedikt und Holtei begleiteten ihn.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 494-497.
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