[213] Oper von Meyerbeer.
(15. Jan. 1820.)
Wenn man den Gang der Kunsterscheinungen und deren Erfolge auf den Theatern Deutschlands beobachtet, so drängt sich gewaltsam die trübe Ueberzeugung auf, daß meistens nur Zufall und Glück das Gelingen der ersteren bestimmen.
Die Wahl derselben folgt oft einem eben so zufällig entstandenen Rufe, als es nur dem Glücke anheim zu stellen ist, ob auch die Mittel an dem Orte der Aufführung vorhanden, die, gerade zum Zwecke führend, das Kunstwerk in allen seinen Theilen, der ursprünglich dabei vorwaltenden Idee gemäß, wiedergeben können.
Wo ist aber auch die Theaterverwaltung zu finden, die, ohne Einwirkungen von Oben, Unten, Außen und Innen, frei einem auf wahre Kunstprinzipe begründeten Plane folgen könnte?
In allem diesen möchte wohl die Lösung des scheinbaren Räthsels liegen, wie in so entschiedenen Gegensätzen hoher Beifall und gänzliches Mißfallen ein und dasselbe Werk treffen können; und wie glücklich dagegen der Componist in Frankreich und Italien sei, wo der Erfolg fast ganz in seine Hände gelegt ist – hält er nämlich Gefallen für seinen höchsten Zweck – und wo er dann nur gewandt genug sein darf, alle ihm dargelegten Mittel wirksam auszustellen und zu verwenden.
Hat er aber auch in einem einzelnen Lande Lorbeern errungen, will er nun der Welt angehören, verbreiten sich seine Werke; wer steht ihm dafür, daß gerade dasjenige am dritten Orte gewählt werde, das am sprechendsten ihn bezeichnet, aus seiner bessern, vollendetern Epoche genommen sei? Abermals der Zufall, das Glück. Und diesen beiden möge es auch der Componist Meyerbeer verdanken, daß das Zusammentreffen mancher Umstände die Ausführung von zwei seiner Opern fast zu gleicher Zeit bedingt hat.[213]
Wir erhalten im Laufe nächster Woche von ihm:
Emma di Resburgo. Opera seria. Italienisch.
Alimelek. Komische Oper. Deutsch.
Zwei der verschiedenartigsten Blüthen seines reichen, herrlichen Genius, die ihm hoffentlich den Beifall der Freunde der italienischen und der deutschen Tongestaltungen, und den des wahren Kenners, der inmitten dieser Parteien steht und das Gute würdigt, es komme, woher es wolle, es von dem Standpunkte des Erzeugers desselben beurtheilend, erwerben wer den.
Herr Meyerbeer, aus Berlin, machte schon in seinen Kinderjahren Epoche als Clavierspieler, welches Talent er späterhin zu einer Vollkommenheit ausbildete, die ihm den Rang unter den ersten, wenn nicht gar den des Ersten Clavierspielers unserer Zeit, anweiset. Unabhängig von Sorgen für seine Existenz, weihte er sich mit voller Liebe der Musik, deren ernstes Studium in ihren geheimsten Tiefen er sich angelegen sein ließ. Dem zweijährigen Umgange des verewigten Abts Vogler dankt er, nächst eigenem Forschen, den größten Theil seiner musikalischen Bildung, die, auf den Grund einer sorgfältigen Erziehung in literarisch-wissenschaftlicher Hinsicht und Kenntniß fremder Sprachen gebaut, ihm das verlieh, was jedem Künstler, dem es Ernst ist mit der Kunst, nie als Basis fehlen sollte. In dieser Epoche (1811, Darmstadt) schrieb er ein Oratorium: Gott und die Natur, gedichtet von Schreiber16.
Ein treffliches, feuerloderndes Werk, voll tiefer, harmonischer Schönheit und kontrapunktischer Verwickelungen, ohne dabei der reizendsten Melodieen zu entbehren. Doch natürlich das durch Studium Liebgewordene vorherrschend. Ungefähr in demselben Geiste schrieb er die große ernste Oper Jephta, (ebenfalls von Schreiber gedichtet), für München; und wenn die Haltung derselben damals manchem Kenner etwas bunt erschien, so lag das wohl in dem Bestreben, dem Sänger überhaupt mehr zu genügen, das, mit der Ueberfülle harmonischer Verflechtung, besonders in den Chören, einen[214] Zwiespalt, durch Nachgiebigkeit und innere Ueberzeugung im Gegensatze, vorblicken ließ.
Schon im Jahre 1813 ernannte S.K.H. der Großherzog von Darmstadt, aus eigenem Antriebe, als Anerkennung der Talente Meyerbeers, denselben zu seinem Kammer-Compositeur.
Für Stuttgart zunächst schrieb er nun die Oper: Alimelek (welche er später in Wien umarbeitete und die besonders in Prag viel Glück machte), ging dann zu Vervollkommnung seiner Bildung, nachdem er Deutschland durchkreuzt hatte, nach Frankreich, und von da nach Italien, wo er in Padua die Oper: Romilda e Constanza, mit Erfolg auf die Bühne brachte, neuestens aber durch Emma di Resburgo in Venedig einen unglaublichen Enthusiasmus erregte, den alle öffentlichen Blätter bestätigen.
Dem Wunsche des Componisten zu Folge, wird bei uns diese Oper den Reihen eröffnen. Ich erlaube mir aber, zuerst von Alimelek, als dem Erstgebornen, zu sprechen.
Der anziehende, heitere und gemüthvolle Stoff (der erwachte Schläfer aus Tausend und einer Nacht) ist vom Dichter, Herrn Wohlbrück (dermalen in Leipzig), mit vieler Theaterkenntniß, Laune und Musik begünstigend geschrieben. Der Componist hat in Einheit und Haltung des Ganzen und Zeichnung der Charaktere sich als Meister bewiesen. Dabei entfaltet er die Beweise seines ernsten musikalischen und dramatischen Studiums durch die schöne Verbindung selbstständiger Melodieen-Formen. Alles voll reger, lebendiger Phantasie, ohne Weitschweifigkeit immer schnell in der Handlung fortrückend, blos die möglichst dramatische Wahrheit vor Augen habend, treffliche Deklamation, liebliche, oft üppige Melodieen, reiche, neue Harmoniewendungen, oft in überraschender Zusammenstellung gedachte Instrumentation, die, mit vieler Zierlichkeit verschlungen, auch freilich fast die Sorgfalt eines Quartett-Vortrages erfordert; – dieses möchte das Bezeichnende dieses Werkes sein, und es ganz als deutsches Kunstwerk stempeln.
Emma di Resburgo trägt hingegen ganz das Gepräge des Himmelstriches,[215] unter dem sie geschaffen wurde, und des jetzt da herrschenden Musikgeistes.
Ich glaube, daß der Componist es sich zum Ziele gesetzt hatte, gefallen zu wollen, um so zu zeigen, daß er als Herr und Meister über alle Formen schalten und gebieten könne.
Es muß recht tief hinein böse sein, mit dem Verdauungsvermögen der italienischen Kunstmägen, daß der gewiß aus eigener, selbstständiger Kraft schaffen könnende Genius Meyerbeers es für nothwendig erkannte, nicht nur süße, üppig schwellende Früchte auf die Tafel setzen, sondern sie auch gerade mit diesen Modeformen verzuckern zu müssen.
Es versteht sich von selbst, daß oben berührte Vorzüge des Componisten, so weit als in der Gattung thunlich, in diesem Werke sich auch wieder finden, und daß es dem Beobachter höchst merkwürdig sein wird, ein so ganz verschiedenartiges Streben in diesen beiden Werken aufgestellt zu sehen, wie ich bei keinem andern Componisten ein ähnliches Beispiel nachweisen könnte.
Herr Meyerbeer hat uns also das Vielseitige seines gewiß originell sein könnenden, Talentes bewiesen, und daß er vermöge, was er wolle.
Darf der Schreiber dieses einen Wunsch aussprechen, so ist es der, daß Herr Meyerbeer nun, nachdem er die Kunst in ihren vielseitigen Abzweigungen, nach der Gefühlsweise der sie pflegenden Nationen, studirt, und seine Kraft, so wie die Geschmeidigkeit seines Talents, erprobt hat, ins deutsche Vaterland zurückkehren, und mit den Wenigen, die Kunst wahrhaft Ehrenden, auch mit fortbauen helfen wolle an dem Gebäude einer deutschen National-Oper, die gern von Fremden lernt, aber es in Wahrheit und Eigenthümlichkeit gestaltet wieder giebt, um uns so endlich auch den Rang unter den Kunst-Natio nen festzustellen, dessen unerschütterlichen Grund Mozart in der deutschen Oper legte.[216]
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