Viertes Capitel

[36] Es wird auch der Zufall und das Ungefähr unter der Ursachen genannt und gesagt, daß vieles theils ist theils wird durch Zufall und von ungefähr. Auf welche Weise nun zu den Ursachen, von denen wir sprachen, der Zufall gehört und das Ungefähr, und ob das nämliche der Zufall ist und das Ungefähr, oder ein verschiedenes, und überhaupt was da ist der Zufall und das Ungefähr, ist zu untersuchen. Denn Einige zweifeln sogar, ob jene sind oder nicht. Nichts nämlich geschehe aus Zufall, sagen sie; sondern alles habe eine bestimmte Ursache, von dem wir sagen, es geschehe von ungefähr oder aus Zufall: so wenn jemand aus Zufall auf den Markt komme, und treffe den er wollte aber nicht zu treffen meinte, sei Ursache davon sein Wille zu kommen und Marktgeschäfte zu treiben. Auf gleiche Weise finde auch bei dem Uebrigen, was zufällig heißt, stets eine Ursache statt, die anzugeben sei, aber nicht Zufall. Da zumal wenn der Zufall[36] etwas wäre, es auffallend in der That erscheinen müßte, und Bedenklichkeit erregen, warum doch keiner der alten Weisen, wenn er von den Ursachen beim Werden und Vergehen sprach, über den Zufall etwas festsetzte. Aber, so scheint es, nichts, glaubten auch jene, sei aus Zufall. Indeß auch dieses erregt Verwunderung. Denn vieles wird und ist aus Zufall und von ungefähr von dem wir, wohl wissend, daß jedes Ding sich zurückführen läßt auf eine Ursache des Werdens, wie der alte Spruch sagt, der den Zufall läugnet, dennoch alle sagen, es sei aus Zufall, während wir bei anderem sagen, es sei nicht aus Zufall. Darum hätten sie es auf jede Weise erwähnen sollen. – Aber auch nicht von jenem hielten sie eines für den Zufall, wie Freundschaft, Feindschaft, Feuer, Gedanke, oder sonst etwas dergleichen. Auffallend nun bleibt es, mögen sie nicht daran geglaubt, oder, obgleich daran glaubend, ihn übergangen haben, indem sie sogar bisweilen davon Gebrauch machen, wie Empedokles, wenn er sagt, nicht jederzeit gehe die Luft ihren eigenthümlichen Weg nach oben, sondern wie es falle. Er sagt nämlich in der Weltbildung:

So nun ging sie, so traf es sich damals, oft aber anders.

Auch von den Theilen der Thiere sagt er, daß die meisten zufällig seien. Es giebt aber Einige, die von diesem Himmel und dem ganzen Weltgebäude das ungefähr Ursache nennen. Von ungefähr nämlich, sagen sie, sei entstanden der Wirbel und die Bewegung, die da sonderte und in diese Ordnung zurechtstellte das All. Und gar sehr hat man eben hierüber sich zu verwundern, wie sie behaupten, daß Pflanzen zwar und Thiere aus Zufall weder sind, noch werden, sondern daß entweder die Natur, oder der Gedanke, oder etwas ähnliches ihre Ursache sei (denn nicht, was sich trifft, entsteht aus jedem Saamen, sondern aus einem solchen ein Oehlbaum, aus einem solchen aber ein Mensch), der Himmel aber und das[37] Göttlichere unter dem Erscheinenden von ungefähr geworden sei, da es hier keine ähnliche Ursache gebe, wie bei den Thieren und Pflanzen. Sollte es jedoch sich so verhalten, so war dieses selbst einer genaueren Beachtung werth, und es ist wohlgethan, eben hierüber einiges zu sprechen. Denn so auffallend die Behauptung an sich schon ist, so wird sie noch auffallender dadurch, daß es ihr doch nicht verborgen bleibt, wie in dem Himmel nichts von ungefähr geschieht, in demjenigen aber, was nicht zufällig sein soll, sich manches zufällig ereignet; da doch natürlicherweise vielmehr das Gegentheil geschehen sollte. Es giebt aber Einige, die für Ursache zwar den Zufall halten, aber für etwas dem menschlichen Denken unklares, weil Göttliches und höheren Geistern angehörendes. So daß also zu untersuchen ist, sowohl was beides, als auch ob das nämliche oder verschiedenes das Ungefähr und der Zufall, und endlich, wie es sich in jene Bestimmung der Ursachen einreiht.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 36-38.
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